Nohlen - Wahlrecht und Parteiensystem - Def. „Wahlen“: demokratische Methode der Bestellung von Personen in Vertretungsorgane oder Führungspositionen > besonders dort, wo die unmittelbare Beteiligung der Menschen an der Beratung und Herbeiführung von Entscheidungen nicht möglich ist > als Technik nicht beschränkt auf Demokratien (anstelle Erbfolge, Amt, Ernennung) - zwei Komponenten: - Technik (gewählt wurde schon vor der Zeit der modernen Demokratien > kein allgemeines Wahlrecht) - liberale Komponente: Gewährleistung von Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit > pluralistischer Wettbewerb um die Mandate durch Parteien > Anerkennung der Wahlergebnisse als legitim - 1. Begriff der Wahl variiert nach den politischen Systemen - kompetitiv: Auswahlmöglichkeiten (mind. zwei Angebote), Wahlfreiheit > rechtl. gesich. > Prinzipien: 1. Wahlvorschlag 2. Wettbewerb der Kandidaten (Konkurrenz zwischen Pers.n und Progr.n) 3. Chancengleichheit der Wahlbewerbung (Kandidatur, Wahlkampf) 4. Wahlfreiheit > geheime Stimmabgabe 5. Wahlsystem (Umsetzung der Wählerstimmen in Mandate) > keine politisch anstößigen oder demokratiegefährdenden Ergebniss (z.B. übergroße Mehrheiten) 6. Wahlentscheidung auf Zeit - für eine Wahlperiode > liberal-demokratische Systeme - semi-kompetitiv: Beschränkung von Auswahl und Wahlfreiheit > autoritäre Systeme - nicht-kompetitiv: prinzipielle Verwehrung von Auswahl und Wahlfreiheit > total. Systeme - 2. Bedeutung von Wahlen ist in verschiedenen polit. Systemen nicht die gleiche - in pluralistischen Demokratien: - Grundlage des Demokratieverständnisses: politische Führung hat aus Wahlen hervorzugehen (ohne Wahlen - keine Demokratie) - Wahlen legitimieren die politische Führung und das politische System > Legitimitätsglaube > liberales Konzept von Demokratie (vs. radikales Konzept: Herrschaft von Menschen über Menschen abgeschafft > Rousseau) - für die Masse der Bevölkerung einzige Teilnahme am politischen Prozess - in nicht-kompetitiven Systemen (z.B. ehem. Ostbock): - Führungsanspruch nicht auf Wahlen gegründet, keine Legitimierung der Macht - Legitimierung der Machtausübung durch eine Partei wird historisch begründet - Wahlen nur als Instrument der Herrschaftsausübung - nicht ihr Kriterium - unterlagen der absoluten Kontrolle der Partei/Staatsorgane - Opposition konnte sich nicht artikulieren - in autoritären Systemen: - Wahlen zur Bestätigung der politischen Machtverhältnisse - Macht stand niemals zur Disposition - Unterschied: Opposition kann sich artikulieren, oppos. Parteien können zugelassen sein, Ausdruck des Dissens durch Wahlenthaltung oder Abgabe weißen Stimmzettels > können trotzdem Auswirkungen auf die politische Führung haben (Zustimmung in Prozenten gemessen) > stärkere Konkurrenz durch demokratie Ideale (=freie Wahlen) - 3. Funktionen von Wahlen sind je nach den politischen Systemen verschieden - kompetitive Wahlen: - Vertrauen der Wähler in die Gewählten wird artikuliert - Bildung einer funktionsfähigen Repräsentation - Kontrolle über die Regierung > abh. von gesellsch., institutionellen und polit. Bedingungen der Länder: - fragmentierte Länder: Repräsentation aller Gruppen, Bildung einer Mehrh. - homogene Gesellsch.: Konkurrenzkampf zwischen Parteien um polit. Führ. - Strukturfaktoren: - Struktur der Gesellschaft: Klassen, Schichten, Ethnien, Konfessionen, ... - Struktur des polit. Systems: parlamentarisch/präsidentiell, unitarisch/föderal, Konkurrenz/Konkordanz - Struktur des Parteiensystems: Zahl der Parteien (Fragmentierung), Polarisierung, Interaktionsmuster - Funktionen in Ländern ohne tiefe cleavages: - Legitimierung des polit. Systemes und der Regierung einer Partei/Koalition - Übertragung von Vertrauen an Personen und Parteien - Rekrutierung der politischen Elite - Repräsentation von Meinungen und Interessen der Wahlbevölkerung - Verbindung der polit. Institutionen mit den Präferenzen der Wählerschaft - Mobilisierung der Wählerschaft für gesellsch. Werte, polit. Ziele und Programm - Hebung des politischen Bewusstseins der Bevölkerung durch Verdeutlichung polit. Probleme und Alternativen - Kanalisierung politischer Konflikte in Verfahren zu friedlicher Beilegung - Integration des gesellsch. Pluralismus und Bildung eines politischen aktionsfähigen Gemeinwillens - Herbeiführung eines Konkurrenzkampfes um politische Macht auf der Grundlage alternativer Sachprogramme - Herbeiführung einer Entscheidung über die Regierungsführung in Form der Bildung parlamentarischer Mehrheiten - Einsetzung einer kontrollfähigen Opposition - Bereithaltung des Machtwechsels - nicht-kompetitive Wahlen (nicht legitimierend - aber nicht funktionslos): - Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte - Verdeutlichung der Maßstäbe der (kommunistischen) Politik - Festigung der politisch-moralischen Einheit der Bevölkerung - Dokumentation der Geschlossenheit von Werktätigen und Partei in Höchstzahlen an Wahlbeteiligung und Zustimmung zu den Einheitslisten > eigenes Funktionsverständnis - semi-kompetitive Wahlen: - Versuch der Legitimierung der bestehenden Machtverhältnisse - politische Entspannung nach innen - Reputationsgewinn nach außen - Sichtbarmachung (auch Teilintegration) und Opposition - systemstabilisierende Anpassung der Machtstruktur > auch: opening elections (freie und faire Wahlen in einem autoritären Kontext > öffnen das System für einen Übergang zur Demokratie) Wahlrecht - westliche Demokratien: allg., frei, gleich, direkt, geheim - demokratische Bestellung des Parlaments (u. Präsidenten) = Grundvoraussetzg. mod. Demokr. - Wahlrecht historisch aus zwei Prozessen: - industrielle Revolution - gesellschaftliche Ausdifferenzierung (Forderung der Arbeiterbewegung nach Wahlen - Schlüssel für neue, egalitäre Gesellschaft) - nation-buildung > Einbeziehung breiter Bev.kreise in die Einheit des Nationalstaates - (Parteiensysteme: Antwort auf die wachsenden Partizipationsforderungen der unteren Schichten) - Aufstieg der Arbeiterparteien: gesellsch. Grundkonflikt ins politische System verlagert (und dadurch entschärft) - Partizipation und Pluralismus verstärkten sich gegenseitig > stabile Demokratien - in Industrieländern: Durchsetzung des Wahlrechts = Kern der Demokratisierung (während des Prozesses bereits beschränkte Wahlen in politischen Systemen, in denen die Gewaltenteilung bereits vollendet war) - in Entwicklungsländern: Wahlrecht eingeführt, obwohl Gewaltenteilung noch nicht etabliert - Grundsätze: - allgemein: alle (volljährigen) Staatsbürger haben Stimmrecht - gleich: Stimmgewicht der Wahlberechtigen ist gleich > Zählwertgleichheit - geheim: Entscheidung des Wählers nicht von anderen erkennbar - direkt: Wähler bestimmen selbst die Mandatsträger (vs. mittelbar: Wahlmänner) - frei = Grunderfordernis der Wahl - frei von Zwang und unzulässigem Druck Wahlsysteme - enger Begriff: Übertragung der Wählerpräferenz in Parlamentssitze - Prozess: Wahlkreiseinteilung, Wahlbewerbung, Stimmgebung, Stimmenverrechnung - Bedeutung: - Sartori: Wahlsysteme als „most essential part of the workings of political systems“ - „shape the party system und affect the spectrum of representation“ - besonders geeignete Instrumente des political engineering - Lijphart: „most fundamental element of representative democracy“ - andere Meinungen: demokratische Qualität eines Systems wesentlich von anderen Faktoren abhängig: social cleavages, politische Kultur, gesellsch.polit. Machtverhältnisse, Parteien und ihre Verfassung, Mängel des Wahlprozesses (Manipulationen) > v.a. junge Demokratien > allg.: Wahlsysteme haben im politischen Willensbildungsprozess und für die Übertragung politischer Macht eine beachtliche Bedeutung > Wahlsysteme gestalten Wählerwillen und Wahlergebnisse - Folgen von Wahlsystemen - funktionalistische Literatur: Parteienkonzentration v.a. bei relativer Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen; Desintegratin, Parteienzersplitterung, politische Instabilität v.a. bei Verhältniswahl > setzen bestimmte Bedingungen voraus > empirisch: Mehrheitswahl fördert nicht immer die Integration oder den Regierungswechsel > abhängig von konkreten gesellschaftlichen und politischen Bedinungen > komplexer Zusammenhang von Faktoren, der je nach Ländern und Zeiten unterschiedlich sein kann > Berücksichtigung von historischen, soziopolitischen Bedingungen - Bedeutung von Wahlsystemen: - Parteiinteressen (kleine Partie: mgl. gerechte Repräsentation, große Partei: Regierungsstabilität durch parteiliche Mehrheitsbildung) - staatspolitische Erwägungen - Forschungsansätze: - normativ: Theorie der Demokratie, gute Regierung - empirisch-statistisch: historische Analyse einer großen Zahl von Fällen - historisch-empirisch: Einzelfall-orientiert, Analyse des soziopolitischen Kontextes > Voraussetzung für der Verständnis von Funktionsweise und Auswirkungen > Unterschied zu emp.-stat.: ist deskripitiv-individualisierend > von induktivem Vorgehen zu theoretischem Verständnis (detailliertes Studium der Kontextfaktoren) Parteiensysteme - Def.: strukturelles Gefüge der Gesamtheit der politischen Parteien in einem Staat: - Zahl der Parteien - ihre Größenverhältnisse - ihre ideologischen Entfernungsbeziehungen - ihre Interaktionsmuster - ihre Beziehungen zur Gesellschaft bzw. gesellschaftlichen Gruppen - ihre Stellung zum politischen System - Grad der Strukturiertheit des Parteiensystems > „bilden in einem demokratischen Gemeinwesen den Schnittpunkt, auf den hin alle politischen Kräfte konvergieren - alles politische wichtige findet seinen Platz irgendwo innerhalb der Parteien und ihrer Beziehungen zueinander“ (Lipson, 1969) - im Mittelpunkt: Frage nach der Struktur, Konstanz und Wandel - Sartori, 1966: Merkmale von Parteiensystemen: Fragmentierung Polarisierung inn. Dynamik --------------------------------------------------------------------------------Zweiparteiennull zentripetal Mehrparteiengering zentripetal Vielparteienstark zentrifugal - La Palombara/Weiner (1966) > qualitative Kriterien: - kompetitiv - non-kompetitiv - Grundmuster der Orientierung: ideologisch - pragmatisch - Maßstab des Stärkeverhältnisses: Alternieren (etwa gleich) - Hegemonie - Sartori, 1970: Kontinuum: - Einparteiensystem (SU) - hegemonisches Parteiensystem (Mexiko) - dominantes Parteiensystem (Indien, Japan) - Zweiparteiensystem (GB, USA) - gemäßigter Pluralismus (NL, CH, B, D) - polarisierter Pluralismus (Chile bis 1973, Italien, Finnland) - Untertyp I: mit Fundamentalopposition (Weimar) - Untertyp II: mit regierungsfähigen Mittelparteien (Frankreich, Israel, Italien) - jenseits dieses Kontinuums: extreme Atomisierung der polit. Parteien - Zweiparteiensystem (Lipson, 1969): Parlamentsebene: - bei jeder Wahl teilen sich (genau) zwei Parteien die Chance, an die Macht zu kommen - eine der beiden Parteien ist in der Lage, allein die Regierung zu bilden (ohne dritte P.) - es besteht die reale Möglichkeit, dass die Regierungspartei durch die Opp.partei abgelöst wird Wählerebene: - es bewerben sich weniger als drei Kandidaten pro Wahlkreis - die beiden großen Parteien erzielen einen Stimmenanteil von zusammen rd. 90% - eine Partei gewinnt die parlamentarische Mehrheit > es gibt kaum (mehr) Zweiparteiensysteme > allg. Aussage „Mehrheitswahl führt zu Zweiparteiensystemen“ ist nicht zutreffend - Grad der Institutionalisierung (Bendel, 1996) - dominierende Rolle der Parteien im politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, Parteien prägen das Wählerverhalten - gesellschaftliche Verwurzelung der Parteien > artikulieren gesellschaftliche Interessen und lösen relative stabile politische Loyalität von Wählern und Wählergruppen aus - Stabilität des Strukturtyps des zwischenparteilichen Wettbewerbs (in wenig strukturierten Parteiensystemen können Mehrheitswahlsysteme ihre parteienkonzentrierende und mehrheitsbilden Wirkung verlieren) - sozialstruktrelle Erklärung (Lipset/Rokkan) > Nationwerdung, Industrialisierung - Spannung zwischen Zentrum und Peripherie (dominante - unterworfene Kultur) - Spannung zwischen Staat und Kirche - Spannung zwischen Bodenbesitzern und Handels-/Unternehmergruppen (Agrar/Indus.) - Spannung zwischen Produktionsmittelbesitzern und Arbeitnehmern (Kapital/Arbeit) > Aufgaben der Analyse von Wahlsystemen: 1. Erfassung der technischen Regelungen, der Funktionsweise und Bedeutung der Elem. 2. Systematisierung mitteles Explikation grundlegender Konzepte, Etablierung verschiedene Typen und Zuordnung der empirischen Wahlsysteme 3. Hypothesenbildung und -überprüfung zu den Auswirkungen Technische Elemente - Wahlkreiseinteilung - stetige Anpassung an veränderte Verhältnisse: geographische Neufestlegung der Wahlkreisgrenzen oder (bei Mehrpersonenwahlkreisen) durch Veränderung der Mandatszahl - Ziel: Gleichheit des Stimmengewichts (teilw. ungleiche Repräsentation: Bsp. GB > übersteigende Repräsentation für die ländliche Bevölkerung, Gewichtung nach den vier Landesteilen England, Schottland, Wales, Nordirland) - Mittelwert der Bevölkerungszahl pro Mandat > hauptsächl. bei Einerwahlkreisen (Anpassung an Bevölkerungsverschiebungen) - gerrymandering: bewusste politische Wahlkreiseinteilung (=manipuliert) > Ziel: Mischung der Wählerschaften - oder Hochburgenbildung - Wahlkreisgröße: nicht territorial, sondern Anzahl der Mandate pro Wahlkreis - Einerwahlkreis: Majorz (relative oder absolute Mehrheit) - Mehrpersonenwahlkreis (Proporz) > homogene Typen (ganzes Land gleich geteilt) vs. inhomogene Typen (Wahlkreisgrößen sind variabel) Zahl der Mandate 2-5 5-10 10 und mehr Subtypen von Mehrp.wahlkreis. kleine Wahlkreise Wahlkreise mittlerer Größe große Wahlkreise > je kleiner der Wahlkreis, desto geringer der Proporzeffekt (=weniger Chancen für kleine Parteien) - kleine Wahlkreise: STV als bestes System (Irland) > keine Parteienzersplitterung durch geringe Wahlkreisgrößen - verschiedene Größen: auf nationaler Ebene = begrenzter Proporz (weder sehr große proportionale Vertretung noch Parteienkonzentration) > Konzentration kleiner Parteien auf die großen Wahlkreise > Wähler richtet sein Wahlverhalten nach den Chancen von Parteien > Verringerung von Stimmen für kleine Parteien in kleinen Wahlkreisn. > Bindung Wähler-Abgeordner im Einerwahlkreis besser - aber: Wähler kann nur zwischen Parteien unterscheiden, nicht zwischen vers. Kandidaten seiner Parteien-Präferenz - Wahlbewerbung - grundlegend: Einzelkandidatur vs. (Partei)Liste - Listenformen: - starre Liste: Stimme en bloc für die Partei, kein Einfluss des Wählers auf die Reihenfolge der Kandidaten (Dtld., Frkr., USA) - lose gebundende Liste: Wähler trifft Entscheidung, wer die Partei vertreten soll (NL, JP, P) - freie Liste: Wähler kann eigene Liste (auch unterschiedl. polit. Coleur) zusammen stellen > Liste der Parteien nur noch als unverbindlicher Vorschlag (IR, LUX, Malta) - Listenverbindungen: - verringern Disproportionalität - erhöhen die effektive Zahl der Parlamentsparteien - reduzieren die Häufigkeit von künstlichen Mehrheiten (Mandatsmehrheit ohne Stimmenmehrheit) - Stimmgebung - enger Zusammenhang mit der Form der Liste: Listenform Stimmgebung - starr - Wähler hat eine Stimme > wählt die Partei als ganze - lose gebunden- Wähler hat entweder Präferenzstimme oder mehrere Stimmen > Mgl.keit des Kumulierens - frei - Wähler hat mehrere Stimmen und kann „seine“ Liste zusammenstellen > Panaschieren - Demokratietheorie: - partizipatorisch: Kritik am Parteienmonopol der Kandidatenaufstellung - funktionalistisch: Aufgabe der Parteien, Mehrheiten herzustellen > Monopol - Stimmenverrechnung - Sperrklauseln > gesetzte Hürden - Auswirkungen in Dtld.: - Konzentrationsprozess auf die großen Parteien - Verringerung der Repräsentationschance kl. Parteien - Verringerung der Chancen von Neugründungen auf den Durchbruch > Festigung des bestehenden Parteiensystems - Entscheidungsregeln - Majorz: Erfordernis der absoluten Mehrheit (ggf. Stichwahlen) - Proporz > Verrechnungsverfahren: - Höchstzahlverfahren > d‘Hondt (Divisorenreihe) - Wahlzahlverfahren > Hare - mathematische Proportionen > Hare/Niemeyer: (Parteistimmen x Zahl der Mandate) : Gesamtzahl abgegeb. Stimm. > Parteien erhalten so viele Mandat, wie ganze Zahlen entstehen > Restmandate werden nach der größten Bruchstelle vergeben > ggf. „logische Sprünge“: Mandatsverlust einer Partei bei Erhöhung der zu vergebenden Sitze Klassifikation der Wahlsysteme - Funktion des Systems als kategoriales Unterscheidungskriterium: - Mehrheitswahl: Entscheidungsregel mit Mittelpunkt > Methode der Übertragung von Stimmen in Mandate - Verhältniswahl: Ziel (=mgl. genaue Repräsentation der Wählerschaft) im Mittelpunkt > zielt auf die nationalen Ergebnisse einer Wahl > es geht im Kern um Werte, nicht um Techniken > Verhältniswahl historisch nicht als „no-effect-system“, sondern als effizientes politisches Instrument zur besseren Durchsetzung oder Verteidigung gesellsch. Interessen - politische Zielvorstellungen: - Mehrheitswahl: soll die Mehrheit einer Partei im Parlament ermöglichen - gerade dann, wenn keine Wählermehrheit vorhanden ist > Ziel: Fähigkeit, eine (parteiliche) Regierungsmehrheit hervorzubringen - Verhältniswahl: mgl. genaue Wiedergabe der in der Bevölkerung bestehenden sozialen Systeme und gesellschaftlichen Gruppen > Stimmenanteile sollen mgl. den Mandatsanteilen entsprechen > auch ablesbar: Repräsentationsprinzip als verfassungsrechtliche Festlegung (u.a. in Dänemark, Irland, Norwegen, Portugal, Schweiz) oder Wahlsystem als wahlgesetzliche Bestimmung (u.a. BRD, Frankreich, GB, Italien) Politische Auswirkungen der Entscheidungsregeln - Mehrheitsregel: es zählen (politisch) nur die Stimmen des siegreichen Kandidaten > unterschiedlicher Erfolgswert der Stimmen > mglw. Entmutigung der politischen Opposition, Gefahr der Verödung der polit. Landschaft (in Parteienhochburgen) und Abnahme der Wahlbeteiligung - dafür: klare Entscheidungssituation für den Wähler, erkennbarer Zus.hang zwischen Stimmabgabe und Wahlergebnis, Einerwahlkreis: man kann den Kandidaten kennen und ihm sein Vertrauen aussprechen - Wahlergebnis: große Disproportionen zwischen Stimmen und Mandaten der vers. Part. - Verhältniswahl: auch die unterlegene Partei hat Anteil an den Mandaten > Erfolgswertgleichheit der Stimmen ist (bestmöglich) hergestellt > es lohnt sich, um jede einzelne Stimme zu kämpfen > führt zu größerer Wahlbeteiligung - Verrechnungsverfahren machen es für den Wähler schwierig, festzuhalten, was mit seiner Stimme passiert - Wahlergebnis: kleine Partei kann evtl. mit 3% ein Mandat erringen, während große Parteien knapp unterhalb der absoluten Stimmenmehrheit die absolute Parlamentsmehrheit verfehlen > Vergleich: Parteiensysteme immer wesentlicher für das Wählerverhalten, Personen im Prinzip sekundär, wenn die Auswahl zwischen ihnen auch die Auswahl zwischen Parteien bedeutet (Widerspruch: persönliches Vertrauen vs. Parteipräferenz) > zugeschriebene Problemlösungskompetenz der Partei wichtiger als die Persönlichkeit des Wahlkreisbewerbers - in parlamentarischen Regierungssystemen ist die Rolle der Parteien größer - Kritik: - führt „gerechte Repräsentation“ zur Unregierbarkeit? - führt die Parteienkonzentration (MW) zur Polarisierung, zum Bürgerkrieg? - Toqueville: Bedingungen für Mehrheitsprinzip: - weitgehende Gleichheit der Lebensumstände oder recht homogene Gesellschaft (Abwesenheit von „cross-cutting cleavages“: ethnische, religiöse, sprachliche Konflikte, Abwesenheit starker ökonomisch-industrieller Unterschiede) > GB: bipolare Struktur > working class - middle class > große Mehrheit von (für die beiden großen Parteien) sicheren Wahlkreisen > Wahlentscheidung durch „marginal seats“, in denen sozialstrukturell homogene Wählerschaft lebt - politischer Grundkonsens der Bevölkerung in die Mehrheitsregel - Möglichkeit, dass die Minderheit selbst einmal Mehrheit wird - Grenzen des Mehrheitsprinzips: - zunehmende gesellschaftliche Differenzierung - erhöhter Komplexitätsgrad politischer Entscheidungsfindung - Durchsetzung der Verhältniswahl in den meisten westl. Dem. - Entscheidungen in gesellschaftlichen Problemlagen mit irreversiblem Chrakter: Kernenergie, Gentechnologie, Waffentechnologie, ... Bewertungskriterien - es gibt kein „best system“ a priori > immer abhängig von Raum und Zeit, von historischsoziopolitischen Verhältnissen - Wahlsysteme haben nicht nur eine Zielfunktion, sondern: (faire) Repräsentation, Effizienz und Verantwortlichkeit Anforderungen an ein Wahlsystem: - Repräsentation: alle relevanten gesellsch. Gruppen UND alle gesellsch. Interessen > Parameter: Grad der Proportionalität von Stimmen und Mandaten - Konzentration: Aggregagation politischer Interessen und Meinungen zum Zwecke der Entscheidungsfindung und Handlungsfähigkeit > Parameter: Zahl der Parteien bzw. Zahl der Reduzierung der Parteien, die Mandate erhalten, auch: Bildung stabiler Mehrheiten, Effektivität: fördert das Wahlsystem die Stabilität des politischen Systems? - Partizipation: Möglichkeit des Wählers, seinen polit. Willen zum Ausdruck zu bringen > mgl. Personalstimmgebung - Einfachheit: Wähler soll nachvollziehen können, was mit seiner Stimme geschieht - Legitimität: allgemeine Akzeptanz der Wahlergebnisse und des Wahlsystems > Parameter: eint oder teilt das Wahlsystem die Gesellschaft > Unterschied: Legitimitätsanspruch - Legitimitätsglaube (wenn wenig bzw. gar nicht öffentlich kritisiert, herrscht gewisse Zufriedenheit) Wahlsystemtypen - empirisch-statistischer Ansatz: variablen-orientierte Analyse der Wahlsysteme > Lijphart 1994: Unterteilung sogar nach technischer Modifikation der Systeme > Tendenz zum System-„Design“ (Wahlsysteme werden gestaltet) > ex postBewertung: gelungen, misslungen oder zwischen den Extremen - historisch-empirischer Ansatz: Versuch, fallorientiert unter den Grundtypen zu gruppieren > derzeit etwa 20 verschiedene Wahlsystemtypen > Ausdifferenzierung erfolgt nach Erfahrung, ist pragmatisch orientiert - Nohlen: es gibt keine Kategorie der Mischwahlsysteme > ihre Wirkungen sind entweder eher majoritär oder eher proportional - Grundtypen nach International IDEA 1997: - absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (two round system, TRS) - absolute Mehrheitswahl mit alternativer Stimmgebung (alternive vote) - relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (first-past the post) - relative Mehrheitswahl in Mehrpersonenwahlkreisen (block vote) - Verhältniswahl nach Listen (List PR) - personalisierte Verhältniswahl (mixed member proportional) - übertragbare Einzelstimmgebung (single transferable vote) - nicht übertragbare Einzelstimmgebung (single non-transferable vote) - Grabensystem (segmentiertes oder Parallelsystem) - Nohlen: zehn Wahlsystemtypen: - relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (GB, Indien, Pakistan) > Vorteile für Partei mit meisten Stimmen Untertypen: - relative Mehrheitswahl in Mehrpersonenwahlkreisen - relative Mehrheitswahl mit gemischter Wahlkreiseinteilung - absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (Frankreich) > Vorteile für Partei mit den meisten Stimmen Untertyp: - alternative vote > vote-pooling, 2. Wahlgang entfällt - Mehrheitswahl in kleinen Wahlkreisen (bis 5 Mandate) Varianten: - homogen-ungeradzahlig (3/5 Mand.) > mehrheitsbildend - homogen-geradzahlig (1/2/4 Mand.) > begünstigt zweitstärkste Partei) - (unreine) Verhältniswahl in variablen Mehrpersonenwahlkreisen (Span., Port.) - reine Verhältniswahl: keine oder extrem niedrige Hürden (Wahlkreisgröße) oder künstliche Hürden (Sperrklausel), Bsp. Israel, Niederlande Ziel: hohe Stimmen-Mandate-Proportionalität, Vergabe auf erster Ebene in landesweitem Wahlkreis, zweite/dritte Ebene als Ausgleich zu den evtl. Disproportionen - Verhältniswahl mit gesetzlicher Sperrklausel auf nationaler Ebene (BRD) bzw. zwei Ebenen (Schwd.) > Wahlkreis als Einteilungskriterium (bis auf erste beide Typen) - Mehrheitswahl mit Minderheitenrepräsentation in Mehrpersonenwahlkreisen (Wähler hat weniger Stimmen, als Mandate zu vergeben sind) Varianten: - single non-transferable vote (Japan bis 1994: 1 St., 4 Man.) - Mehrheitswahl mit proportionaler Zusatzliste > Großteil der Mandate in Einerwahlkreise, zusätzlich Mandate mit/ohne Verrechnung über Parteilisten nach Proporz > Sub-Variante: segmentiertes Wahlsystem - kombinierte Wahlsysteme > Verbindung von Einerwahlkreisen (Majorz) mit nationalen Listen Untertypen: - personalisierte Verhältniswahl (Mandatsanteil ausschließlich nach dem Stimmenanteil auf nat. Ebene gerichtet), ggf. Überhangmandate > hohe Proportionalität, Beispiele: BRD, Neuseeld. - kompensatorische Verhältniswahl: erste Stufe: Mandate nach Majorz vergeben, in zweiter/dritter Stufe wird der Disproortionseffekt durch Proporz annähernd kompensiert (ggf. große Parteien benachteiligt oder ausgeschlossen) - segmentierte Wahlsysteme (Grabenwahlsysteme) - Bsp. Mexiko > Teil der Abgeordneten nach Verhältniswahl, anderer Teil nach Mehrheitswahl gewählt - single transferable vote > klassische Verhältniswahl angelsächsichen Typs (Bsp. Irland) > v.a. in kleinen Wahlkreisen, vglw. großer Disproportionseffekt Typologie nach Nohlen: Mehrheitswahlsysteme ---------------------------------------------------------- relat. MW in Einerwahlkreisen - absolute MW in Einerwahlkreisen - MW mit Minderheitenvertretung (a. SNTV) - MW in kleinen Wahlkreisen - MW mit proport. Zusatzliste Verhältniswahlsysteme --------------------------------------------------- VW in Mehrpersonenwahlkreisen - kompensat. VW mit Sperrklausel - pers. VW mit Sperrklausel - übertragbare Einzelstimmgebg. (STV) - reine Verhältniswahl Erfüllung von Funktionsanforderungen: Wahlsystem ------------------------------------------------ rel. MW - abs. MW - VW in kleinen Wahlkreisen - VW in Mehrpersonenwahlkreisen - reine Verhältniswahl - personalisierte Verhältniswahl Repräs.Konzentr. ----------------------------negativ positiv negativ positiv negativ positiv positiv negativ positiv positiv negativ negativ positiv positiv Partizip. ------------positiv positiv negativ positiv Wahlsysteme in westlichen Industrieländern - Mehrheitswahlsysteme - relative MW in GB, USA, Kanada - absolute MW in Australien (mit altern. Stimmgebung), Frankreich - STV: Irland - Verhältniswahlsysteme - „Verfeinerung“ des Proporzes: Belgien, Norwegen, Schweden, Dänemark - „Verbesserung“ der Verhältniswahl (Begrenzung des Proporzeffektes): BRD, GR, S (starre Listen: Portugal, Spanien, BRD; lose Listen: Schweiz, Luxemburg, Finnland) Wahlsysteme und Parteiensysteme - allg. Institutionen wie das Wahlsystem hängen vom jeweiligen Kontext ab und werden mitverursacht von den Parteiensystemen, auf deren Strukturen sie einwirken - 60er Jahre (BRD): Frage nach bestmöglichem Wahlsystem/gutem Regieren > Kriterium: Möglichkeit eines Regierungswechsels besteht tatsächlich > Zuweisung von Regierungsgewalt auf Zeit durch den Wähler - Konkordanz: Demokratie auch unter schwierigen gesellschaftlichen Bedinungen möglich (CH, ...) > institutionelle Option der Konsensdemokratie (Lijphart) > Verhältniswahl als unabdingbarer Bestandteil eines Demokratiemodells > zumindest für alle Demokratien mit segmentiertem Pluralismus zu empfehlen > seitdem Mehrheits- und Verhältniswahl nicht nur als Wahlsystem, sondern auch als Demokratieentwürfe antithetisch gegenüber > dennoch keine zwingende Verbindung von Wahlsystem und Demokratiemodell (Bsp. Libanon (MW), Kolumbien (VW): Konfliktregelung durch Vorab-Mandatsverteilung - Juan J. Linz (1994): Präsidentialismus zusammen mit Verhältniswahl > „verheerend“ für Funktionsfähigkeit und Konsolidierung der Demokratie - Sartori: Kontexte wie gesellsch. Struktur, ökonomischer Entwicklungsstand, politische Kultur, historische Erfahrung bestimmen den Typ des politischen Pluralismus > wichtiger als das Institutionenarrangement selbst Leistungsprofile von Wahlsystemen - Kriterien: Integration, Mäßigung, Stabilität, Chance des Machtwechsels - nicht immer dichotom verwendbar: in heterogenen. zerklüfteten Gesellschaften wirkt die Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen eher desintegrierend (vs. pauschale Annahme) - etliche Länder: Stabilisierung des politischen System aufgrund des Proporzes > Einbinden von Minderheiten häufig nicht nur im Parlament, sondern auch in der Regierung > „System des Krieges“ (dagegen: Mehrheit im Wahlverfahren als „Prinzip des Friedens“) - best system approach: es gibt kein bestes System a priori - nur das, was am besten passt - These der MW als Persönlichkeits-/Personenwahl: nicht mehr unbedingt vertretbar > bereits ideengeschichtlich auch die VW mit Klassifikation der Kandidaten (freie oder lose gebundene Listen), außerdem: Strukturwandel des Parlamentarismus > Kandidaten stehen für Parteien, Parteiprogramme und Parteiführer > konkretes Wahlsystem muss auch Förderung oder Abschwächung personenorientierten Stimmverhaltens untersucht werden Wahlsysteme und Wahlbeteiligung - These: eher Wahlenthaltung bei großen Mehrheiten zugunsten einer Partei im Wahlkreis - Tendenz zu mehr Wahlbeteiligung bei Verhältniswahl > Lijphart: Empfehlung einer Wahlpflicht > Epiphänomen des höheren Kompetivitätsgrades des Parteienwettbewerbs > Wahlsystem als abhängige Variable (je mehr Komp.kultur, desto eher VW > Beteiligg.) - allg. dennoch: Erklärung für unterschiedl. Wahlbeteiligungen hat hauptsächlich andere Ursachen als das Wahlsystem Wahlsystem und Parteiensystem - untersucht Auswirkungen des Wahlsystems auf: - Zahl der Parteien (eine, zwei, viele) - Stärkeverhältnis der Parteien (groß, klein, dominieren, asymmetrisch) - ideologische Entfernungsbeziehungen zw. Parteien (moderater oder extremer Pluralism.) - Interaktionsformen (Pole, Lager, Blöcke, Koalitionen) - Duverger: „soziologische Gesetze“ über die Auswirkungen von Wahlsystemen (heute Sartori) > neuere Wahlforschung: betont relative Bedeutung des Faktors Wahlsystem > Unterscheidung zwischen mechanischen und psychologischen Effekten (Duverger) - Unterscheidung von Parteisystemen nach: - A Kandidaturen - B Wählerstimmen - C Parlamentsmandaten (GB: gilt nur als Zwei-Part-Syst, wenn man Liberale außer acht lässt) > Wahlsysteme vermitteln zwischen A/B und C > sie transformieren Parteiensysteme der Ebene Kanidatur/Wählerstimmen auf die Ebene Parlamentsmandate > auf unterschiedlicher Art und Weise > je mehr Proporz, desto größer die Annäherung von C an A/B; je mehr Majorz, desto größer die Abweichung von C gg.über A/B - sämtliche Wahlsysteme: reduzieren die Zahl der Parteien auf Ebene A/B auf der Ebene C (Abweichung: Listenverbindungen) - stärkste Parteien werden zuungunsten der kleinen/mittleren Parteien gefördert - Wahlsystem und das unter seiner Einwirkung strukturierte Parteiensystem formen die Wählerentscheidung mit - Wahlsysteme von verschiedenen gesellsch. und politi. Einflüssen durchkreuzt > keine deterministischen Aussagen darüber möglich, in welchem Fall es für welche Ebene welche Folgen hatte (Empirie widerspricht der Theorie) > Wenn-Dann-Aussagen nur mit Einbeziehung der näheren Bedinungen möglich Wahlsysteme und Mehrheitsbildung - Mehrheiten durch: - Stimmen (earned majority) - Mandate (manufactured majority) > durch Disproportionseffekt > Rae, 1967: meiste Mehrheitsbildungen aufgrund des Disproportionseffektes > Lijphart, 1994: zwei Drittel aller parlamentarischen Mehrheiten den mechanischen Effekten des Wahlsystems zuzurechnen (davon 93,2% in MW-Systemen) - teilweise große Disproportionen in den westl. Industrieländern (GB 1997: 20% Unterschied zwischen Stimmen und Mandaten der größten Partei > Labour) > Bedingungen für übergroße Disproportionen bei MW: - unterschiedl. Wahlbeteiligungen in den Wahlkreisen - asymmetrische Parteiensysteme - regionale Streuung der Wählerschaft (Hochburgen) - Dritt- und Viertparteien > es überwiegt die Einsicht der Funktionsnotwendigkeit parlamentarischer Mehrheitsbildg. - „bias“: parteiliche Minderheit kann parlamentarische Mehrheit erreichen > politisch bedenklich - bei VW manufactured majorities in westl. Industrieländern faktisch versiegt Wahlsysteme und Regierungswechsel - Konkurrenzmodell der Demokratie lebt vom Wechsel der Mehrheiten > Parteien ringen um die Führung, Wähler verteilt die Funktionen: Regierung (Mehrheitspartei), Opposition (Minderheitspartei) > „his majesties opposition“ = „Alternativregierung von morgen“ > funktionales Demokratieverständnis: fördert ein Wahlsystem den Regierungswechsel? > GB: ja, MW bewirkt häufige Regierungswechsel (in den Jahrzehnten des Zweiparteiensystems reichte ein nationaler Swing von 2,3% für einen Wechsel aus) > Voraussetzung: zwei Parteien müssen annähernd gleich stark sein bzw. Wechselwählerschaft muss groß genug sein > Regierungswechsel ist primär von den Strukturen des Parteiensystems abhängig (gleich stark vs. asymmetrisch, ...) > kein empirischer Beweis, dass ein bestimmtes Wahlsystem den Regierungswechsel erleichtert > unterliegt den gesellsch. und polit. Bedingungen Wahlsysteme und Proportionalität - Ziel: mgl. gerechte Repräsentation - Wert: Verhältnis Stimmen-Mandate (Dtld. CDU ´94: 41,5% Sti., 43,7% Mandate > Index 96) - Empirie: Werte für einzelne Länder schwankend > ein und dasselbe Wahlsystem produziert nicht immer den selben Wert > beweist Bedeutung des Parteiensystems und des Wechsels des Wählerpräferenzen (abh. von den Ergebnissen der anderen Parteien) > hoher Index nicht zwangsläufig = Verhältniswahl (USA: 99, GB: 83) Gesetzmäßige Auswirkungen von Wahlsystemen - Duvergers „soziologische Gesetze“ (1951/1959): 1. Verhältniswahl führt zu Vielparteiensystem mit starken, unabh. und stabilen Parteien 2. Mehrheitswahl mit Stichwahl führt zu Vielparteiensystem mit elastischen, abh. und verhältnismäßig stabilen Parteien 3. einfache Mehrheitswahl führt zu Zweiparteiensystem mit sich abwechselnden großen und unabhängigen Parteien > Defizite: 1. empirisch: zu viele Fälle widerlegen die zugeschriebenen Auswirkungen (es gibt Mehrparteiensysteme bei rel. MW und Zweiparteiensysteme bei VW) 2. theoretisch: abweichende Fälle werden nicht zur Kenntnis genommen > einbeziehende Kontexte fehlen 3. methodisch: nicht Vergleich von Wahlsystemen, sondern die rel. MV in Einerwahlkreisen mit dem Repräsentationsprinzip (kann verschieden umgesetzt sein) > Duverger, 1984: ...waren nur „Arbeitshypothesen“ - Sartoris Neuformulierung der Duverger‘schen Gesetze (1986): 1. bei strukturiertem Parteiensystem und gleichmäßiger Stimmverteilung führt relative MW zu einem Zweiparteiensystem 2. bei strukturiertem Parteiensystem ohne gleichmäßige Stimmverteilung bewirken relative MW-Systeme die Beseitigung kleiner Parteien (ohne Mandat), aber „Hochburgensituationen“ dritter/vierter Parteien 3. bei strukturiertem Parteiensystem hat die VW einen Konzentrationseffekt > je größer die „Unreinheit“, desto größer der Konzentrationseffekt 4. wenn kein strukturiertes Parteiensystem, besteht bei reiner VW keine Diskriminierung und die Zahl der Parteien kann die erlaubte Höhe erreichen („strukturiert“ = gut organisiert und in der Wählerschaft gut verankert) > keine theoretischen Aussagen > schreiben Bedinungen fest, unter denen die Gesetzmäßigkeit nicht mehr in Frage gestellt werden kann - VW als „no-effect-system“ - dagegen: MW konzentriert Parteiensystem > Ursache: Wahlsyst. - Kontextfaktoren von Wahlsystemen: - gesellschaftliche Struktur - Zahl und Tiefe der Konfliktlinien - Fragmentierung des Parteiensystems - Institutionalisierungsgrad des Parteiensystems - Interaktionsmuster der Parteien - regionale Streuung der Wählerschaft - Wählerverhalten > variieren nach Raum und Zeit > Unterscheidung der Wahlsysteme nach dem Grad der Sensibilität gegenüber Veränderungen der Kontextvariablen Arzheimer/Falter: Wahlen, in: Sturm/Jesse: Demokratien des 21. Jh. - Wahlen als wichtigste Institutionen demokratischen Handelns und Einflussnahme des Volkes Bedeutung von Wahlen - Technik der Bestimmung von Mitgliedern der Repräsentativkörperschaften - historisch lange Zeit auf kleine Gruppen (nach sozialen Merkmalen: Geschlecht, Besitz, Abstammung) beschränkt - Wahlberechtigung nicht ausreichend (s. Drittes Reich oder DDR) - deshalb normative Ansprüche: - aktive Beteiligung an der Wahl muss frei sein - Wahlbewerber sollen das Spektrum relevanter Meinungen abdecken - Wahlbewerber müssen gleiche Chancen im Wahlkampf haben - Bürger müssen zwischen den Bewerbern entscheiden könn. - Bürger müssen gleiche Chancen/Einfluss auf das Wahlergebnis haben > Wahlrechtsgrundsätze mit Verfassungsrang (Art. 38 GG) - periodische Wahlen = zentraler Mechanismus zur Legitimation politischer Herrschaftsträger > Regierung/Parlament können nur Folgebereitschaft einfordern, wenn sie sich regelmäßig dem Votum der Bevölkerung unterwerfen - Wahlen für Großteil der Bürger wichtigste/einzige Möglichkeit der Beeinflussung des politischen Prozesses auf nationaler Ebene (Plebiszite sind selten und haben unterschiedliche Reichweite) - Wahlverhalten der Bürger hat entscheidenden Einfluss auf Bildung/Fortbestand der Regierung und deren Chancen, ihre Vorhaben im Parlament durchzusetzen Wahlrecht/Wahlsystem - Wahlsystem (enger Begriff): technische Ausgestaltung (Wahlrecht: weiter gefasst) - grundsätzliche Typen: Mehrheitswahl <> Verhältniswahl - Sperrklauseln - Wahlkreisgröße - Ebenen der Stimmverrechnung - Form der Liste und Stimmgebg. - gemischte Wahlsysteme Wählerverhalten - mikrosoziologischer Ansatz (Paul F. Lazarsfeld, 1944): - sozialstrukturelle Variablen (sozioökonomischer Status, Konfession) im Zus.hang mit Wahlentscheidung - Umfeld des Wählers von Bedeutung (Land/Stadt) > Ergebnis: politische Präferenz in hohem Maße vom sozialen Umfeld bestimmt (nur selektive Wahrnehmung des Wahlkampfes und der Kandidaten > weit entfernt vom Idealbild des mündigen und informierten Bürgers) (sozialer „Druck“ auf das Individuum - Fehlen von gesamtgesellsch. Aspekten) - makrosoziologischer Ansatz (M. Rainer Lepsius, 1966, später Lipset/Rokkan, 1967): - sozial-moralische Milieus - Lipset/Stein: Cleavage-Theorie > „cleavage“ = dauerhafter sozialer Konflikt, in dem sich (mindestens) zwei durch soziale Merkmale definierte Großgruppen mit unterschiedlichen Interessen gegenüber stehen > gehen auf Modernisierungsprozesse zurück > in Europa: 1. Konflikte zwischen Zentrum und Peripherie 2. Konflikte zwischen städtischen und ländlichen Gebieten 3. Konflikte zwischen Staat und (katholischer) Kirche 4. Konflikte zwischen Arbeiter- und Kapitalinteressen > politisch relevant dann: 1. Konflikt bleibt über längeren Zeitraum virulent und spielt im Leben der betroffenen Personen eine zentrale Rolle 2. gesellschaftliche Mobilität ist gering (Mitglieder einer sozialen Gruppe gehören dieser ihr Leben lang an) 3. Gruppenmitglieder haben die Möglichkeit und Motivation, sich zur Wahrung ihrer Interessen zusammenzuschließen 4. die Führer dieser Interessenverbände schließen sich einer Partei an oder gründen eine Partei 5. diese Partei hat die Chance, die Grenze zu parlamentarischen Repräsentation zu überschreiten > „Politisierung der Sozialstruktur“ (Parteien als politische Agenten sozialer Gruppen > als solche auch wahrgenommen und unterstützt) > Mangel der Theorie: keine Beachtung für Ebene des Individuums - sozialpsychologisches Modell (Campbell/Gurin&/Miller, 1954) - Wahlverhalten erklärt durch psychologische Einstellungsvariablen (Bewertung der Kandidaten, Position zu den wichtigsten politische Streitfragen, langfristige Partei-Identifikation) > Kritik: gesellschaftlicher Kontext völlig ignoriert > Anpassung: „Ann-Arbor-Modell“: Variblen auf in der Vergangenheit liegende Faktoren zurück geführt (u.a. historische Erfahrungen der eigenen Bezugsgruppe mit den Parteien, Verstärkung/Abschwächung entsprechender Wahlnormen durch das unmittelbare soziale Umfeld) - rational choice (Downs) Wahlen in der BRD - Wahlsystem: personalisierte Verhältniswahl (seit 1953) - zur Wahl ausschließlich Landeslisten zugelassen > Verteilung der Mandate nach den Listen - Erststimme: relative VW in 299 EWK (Aufteilung an die Bundesländer je nach Einwohnerzahl) > Zuschnitt der Wahlkreise soll den Grenzen der Gemeinden und Landkreise entsprechen > Neueinteilung bei mehr als 25% Abweichung vom Durchschnitt > Erststimmen-Ergebnis in der Regel ohne Bedeutung, da Verrechnung > „Personalisierung“ nur mit großen Einschränkungen (weniger Listenplätze aus dem Bundesland) > Abweichungen: Grundmandatsklausel (mind. 3 Mandate), Überhangmandate (in einem Bundesland mehr Direktmandate als prozent. Stimmenanteil) > Kritik: Grundsatz der gleichen Wahl berührt Grundmuster des Wahlverhaltens - in der BRD lange Zeit stabile Zusammenhänge zwischen sozialen Großgruppen und dem individuellen Wahlverhalten (Arbeiter - SPD, Katholiken - Union) > Cleavage-Theorie > dennoch Bestrebungen der Parteien hin zu „Volksparteien“ (aufgrund Wandels der politischen Kultur und gesellsch. Prozessen: Bildungsexpansion, Massenwohlstand, Zunahme der Mobilität, Wertewandel) > Verlust der Bedeutung von Milieus > Kerngruppen geschrumpft, Zuwachs im „neuen Mittelstand“ > auch innerhalb der Großgruppen Unterstützung für diese Parteien abgeschwächt - relativ hoher Anteil langfristiger Partei-Anhänger (Ann-Arbor-Modell) - hohe Wahlbeteiligung - Unterschiede zwischen Ost und West: - Anteile der Nicht- und Wechselwähler im Osten höher - Machtverhältnisse ändern sich im Osten schneller - im Osten große Konkurrenz durch die PDS > Wahlverhalten im Osten von kurzfristigen Faktoren (Kandidaten, aktuelle Themen) beherrscht Vergleich BRD mit anderen Demokratien - Wahlsystem - eher „Normalfall“: Verhältniswahlrecht in (West)Europa größtenteils durchgesetzt - auch Stimmverrechnung inzwischen weiter verbreitet - Wahlverhalten - Cleavage-Theorie für alle westlichen Demokratien, Abschwächung wird diskutiert (v.a. durch unterschiedliche historische Entwicklung) - Partei-identifikation nimmt ab - auch anderswo Disparitäten in der Politisierung der Sozialstruktur (Bsp. UK: Sitze für Regionalparteien aus Wales, Nordirland und Schottland) > allg.: Unterschiede im Wahlsystem aufgrund versch. historischer Ereignisse und Entscheidungen > vergleichende Aussagen schwierig, da Wählerforschung seit den 50er Jahren v.a. auf nationale Wahlen (und auf deren regionale Unterschiede) bezogen ----Anm.: beschränkte Stimmgebung = eine Stimme weniger, als Mandate zu vergeben sind