50 Politische Willensb i l d u n g i n d e r De m o k r at i e M at e r i a l 1 INTERNET www.cdu.de www.spd.de www.fdp.de www.gruene.de www.die-linke.de Wozu brauchen wir eigentlich Parteien? Wozu brauchen wir eigentlich Parteien? […] Selbstverständlich sind sie nicht, sondern weit eher ein Ärgernis. Sie zanken und strei­ ten, sie flicken einander am Zeug, wie sie nur können. Sie weisen – oder, mehr noch, sie zerren in verschiedene Richtungen; im­ mer hört man „Hü!“ und „Hott!“ gleichzeitig. […] Aber muss man nicht noch um einen ent­ scheidenden Schritt weitergehen und sagen: Parteien sind an und für sich etwas Nega­ tives, nämlich ein Ausdruck dafür, dass die Einheit, die Harmonie des Ganzen, die es ei­ gentlich geben sollte, zerrissen ist und dass nicht mehr das Gemeinwohl, sondern der Egoismus, das Sonderinteresse im Vorder­ grund steht? […] Daher nochmals: Wozu brauchen wir eigentlich Parteien? Es bietet sich an, auf diese einfache Frage ei­ ne einfache Antwort zu geben: Parteien mö­ gen ein Notbehelf sein, aber sie sind prak­ tisch unentbehrlich – dann jedenfalls, wenn nicht bloß die wenigen, sondern die vielen politisch mitsprechen sollen: Zwar verkün­ det das […] Grundgesetz in Artikel 20 feier­ lich: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Aber das Volk kann nicht regieren; […]. Das Pro und Contra der komplizierten Sachfra­ gen und ihrer Lösungsmöglichkeiten ebenso wie die Kandidatenauslese für Führungs­ ämter muss vielmehr organisiert und in Alter­nativen öffentlich dargestellt werden, damit die Menschen sich ein Urteil bilden und dann wählen können. Genau dies leisten Parteien. Sie sind die Mittler zwischen der Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht, und der Regierungsmacht, die sie ausübt. Darum heißt es in Artikel 21 des Grundgesetzes: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Das allerdings ist gelinde gesagt eine Untertreibung. Die Parteien nehmen eine, nein: die schlechthin zentrale Stellung ein; ohne sie gäbe es keine Willensbildung des Volkes, zumindest keine, die real wirksam werden könnte. Oder anders ausgedrückt, zugespitzter: Erst mit und in den Parteien verdichtet sich der Wille des Volkes zum wirklich Politischen, über das bloße Meinen oder das Stammtischgerede entscheidend hinaus. […] Freilich, wenn wir uns den Sachverhalt ­etwas näher ansehen, dann genügt diese erste und einfache Antwort keineswegs. Ein Einwand drängt sich sofort und beinahe unwidersteh­ lich auf: Gibt es nicht so etwas wie das Ge­ meinwohl? Jedenfalls: Sollte es das nicht ge­ ben, das Wahre, Gute, Gerechte schlechthin, in dessen Zeichen alle einig sind oder zumin­ dest dann einig sein müssten, wenn sie ge­ nügend informiert und nicht von egoisti­ schen Sonderinteressen behext, mit einem – wie es heißt – „falschen Bewusstsein“ ge­ schlagen wären? … Niemand, kein Prophet oder Führer, keine Versammlung der Weisen, keine Elite oder Kaderpartei verfügt über das Ganze, über die Wahrheit schlechthin … Das Festschrei­ ben des Gemeinwohls, der Monopolanspruch auf die Wahrheit und das Gute in den Hän­ den eines Führers oder einer Kaderpartei, unter welchem Vorzeichen auch immer, ent­ mündigt den Menschen und zerstört seine Würde. Aus: Christian Graf von Krockow: Wozu brauchen wir eigentlich Parteien?, in: Ders./ Peter Lösche (Hrsg.): Parteien in der Krise, München 1986, S. 10ff. 1 Erarbeiten Sie aus M 1 die Thesen des Verfassers. Setzen Sie sich mit seinen Argumenten kritisch auseinander. Hängt das Heil der Demokratie vom Wahlrecht ab? Mehrheitswahl oder Verhältniswahl? M at e r i a l 2 M at e r i a l 3 Ordnen Sie folgende Feststellungen der Mehrheitswahl (MW) bzw. der Verhältniswahl (VW) zu. Geben Sie jeweils eine Begründung für Ihre Zuordnung. 1. Sie fördert die Bildung stabiler Regierun­ gen. 2. Sie ist gerecht und spiegelt die Meinun­ gen und Interessen innerhalb der Wähler­ schaft im Parlament wider. 3. Sie verhindert ein starres ­Parteiensystem (Kartell), da sie neue politische Strömun­ gen und Minderheiten berücksichtigt. 4. Sie verhütet Parteienzersplitterung. 5. Sie fördert die Parteienkonzentration in Richtung eines Zweiparteiensystems. 6. Sie trägt zur politischen Mäßigung bei, da die größeren Parteien um die Wähler­ schaft in der Mitte kämpfen und ihre Aus­ sagen am Machbaren ausrichten ­müssen. 7. Sie erleichtert radikalen Parteien, Man­ date zu erringen. Extremismus hat mehr Chancen. 8. Sie führt die Entscheidung über die Regie­ rungsverantwortung durch den Wähler herbei und nicht erst durch die Parteien in Koalitionsverhandlungen. 9. Sie schwächt den Einfluss der Parteifüh­ rung bei der Kandidatenaufstellung und stärkt den Einfluss der Wählerschaft. 10. Sie fördert den Machtwechsel, da gerin­ ge Veränderungen in der Wählerschaft große Veränderungen in der ­Mandatszahl auslösen können. 11. Sie trägt zu einem stärkeren Kontakt zwischen dem Abgeordneten und ­seinem Wahlkreis bei. 12. Konflikte über den räumlichen Zuschnitt von Wahlkreisen nach Bevölkerungsver­ änderungen sind ausgeschlossen („ger­ ry­mandering“). Die Verrechnung von Wählerstimmen in Parlamentsmandate 1 Vergleichen Sie tabellarisch Mehrheitswahl und Verhältniswahl (M 2) unter den 2 Gesichtspunkten: a) der Gerechtigkeit, b) der Verständlichkeit, c) der Beziehung von Wählern und Abgeordneten, d) der Bildung und Stabilität der Regierung, e) der Dynamik der Parteienlandschaft und f) der Tendenz zum Extremen. Vergleichen Sie das Verrechnungsverfahren nach d’Hondt mit dem neuen Verrechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/ Schepers (M 3). Worin liegt der wesentliche Unterschied? 81