Mersch im ersten Weltkrieg

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Mersch
im ersten Weltkrieg
(1914 – 1918)
Mersch im erstem Weltkrieg
Mersch im ersten Weltkrieg
(1914 – 1918)
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmerung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.
(Georg Heym: Der Krieg)
1. Eine globale Übersicht hauptsächlich bez.
der Westfront
Nachdem der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz
Ferdinand d’Este und seine Gattin, die Herzogin von Hohenberg, den tödlichen Pistolenschüssen des serbischen
Attentäters Prinzip Gavrilo in Sarajevo zum Opfer gefallen waren, regierte der Kriegsgott Mars die Stunde. Am
1. August 1914 erklärte Deutschland im Bündnis mit der
Donaumonarchie Österreich-Ungarn den Russen den Krieg
und am 3. August auch den Franzosen, welche sich der
Unterstützung von Großbritannien sicher waren. So befanden sich die europäischen Hauptmächte binnen weniger
Tage im Kriegszustand, weitere Staaten sollten bald folgen. Merkwürdigerweise herrschte auf allen Seiten Kriegsbegeisterung und Siegeszuversicht – man glaubte allerseits
in völliger Ahnungslosigkeit, dass es nur ein kurzer Waffengang sein würde. Über die Schuld am Ausbruch des Krieges
sind sich auch heute die Historiker noch nicht einig. Der
britische Premierminister, Lloyd George bedauerte rückblickend sehr weise, dass es an großen Führerpersönlichkeiten in den entscheidenden Tagen damals fehlte und man
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gewissermaßen aus Torheit in den Krieg stolperte. Wie dem
auch sei, die Zeit der sogenannten „Belle Epoque“, gleich
nach dem Jahrhundertwechsel, war endgültig vorbei, das
Verhängnis nahm seinen Lauf, der Prozess der Selbstzerstörung begann.
Obschon die Gegner mit ungleichen Kräften in den Krieg
zogen, die Mittelmächte (Deutschland, Österreich usw.) verfügten nur über eine beschränkte Zahl von Feldheeren (etwa
3.8 Millionen) gegenüber der Entente (Frankreich, England,
Russland usw. mit insgesamt etwa 6 Millionen), drängte
Deutschland im Westen auf eine schnelle Entscheidung
und setzte mit dem sogenannten Schlieffen-Plan alles auf
eine Karte. So wollte man den Gegner mit einem schnell
vorrückenden rechten Flügel vernichtend schlagen, wobei
die neutralen Länder Belgien und Luxemburg unumgänglich in die Operationspläne miteinbezogen wurden. Zwar
stand man in wenigen Wochen, Anfang September 1914
tatsächlich bereits vor Paris, als jedoch die weit auseinandergezogenen deutschen Truppen der 1. und 2. Armee in
der „Marne-Schlacht“ im Gegenstoß bis zur Aisne zurückgedrängt wurden. Nun ging der Bewegungskrieg in einen
Stellungskrieg über. Von der Kanalküste bis zur schweizer
Grenze entstand eine Linie von Schützengräben, Minensperren und Drahtverhauen. Trotz einem noch nie erlebten
Einsatz von schwerer Artillerie, besonders auch bei Verdun,
konnten die Deutschen keine Gebietsgewinne erzielen. Den
Franzosen und dem englischen Expeditionskorps misslang
ebenso der Durchbruch an der Somme. Keine der beiden
Seiten im Westen fand einen Ausweg aus dem verhängnisvollen Zirkel, den Krieg wieder in Bewegung zu bringen.
Inzwischen hatte England durch eine Blockade zur See,
Deutschland von aller Zufuhr und vom Handel mit Neutralen abgeschnitten. Bald entwickelte sich diese Absperrung
zu einer wahren „Hungerblockade“, die eigentlich völkerrechtswidrig war und sogar von den Amerikanern angeprangert wurde. Die deutsche Antwort bestand im Versuch einer
Gegenblockade durch den Einsatz von Unterseebooten, die
durch warnungslose Torpedierung neutraler Handelsschiffe
in den britischen Gewässern ebenso völkerrechtswidrig vorgehen sollten. Der rücksichtslose U-Boot-Krieg veranlasste
schließlich die Vereinigten Staaten von Amerika, nachdem
bereits 1915 bei der Versenkung des britischen Passagierschiffs „Lusitania“ über hundert US-Staatsbürger ums Leben
gekommen waren, am 6. April 1917 auf der Seite Frankreichs in den Krieg einzutreten. Deutschlands Verhängnis
nahm nun seinen Lauf, obschon die Mittelmächte im März
1918 mit Russland und der Ukraine in der Festung Brest –
Litowsk zu einem Friedensabkommen kamen, ein Jahr nach
dem Ausbruch der russischen Revolution.
Unmittelbar nach dem Scheitern der blutigen Offensive vor
Verdun und noch während der Somme-Schlacht war der
deutsche General von Falkenhayn im August 1916 von Hindenburg und Ludendorff im Großen Hauptquartier abgelöst
worden. Maréchal Foch befehligte seit März 1918 die französischen Truppen. Ludendorff warf nun 192 alliierten Divisionen in den Endkampf im Westen, und war dem französischen Gegner jetzt überlegen. Am 21.03.1918 gelang
ihm bei St Quentin der Durchbruch, doch die Offensive
kam rasch zum Stehen. Mitte Juli war die deutsche An-
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Mersch im erstem Weltkrieg
griffskraft erlahmt und die ersten U.S.-Truppen griffen in
den Kampf ein. Als die Alliierten am 08.08.1918 mit Hilfe
der neuen Waffen, nämlich den englischen Tanks, bei Amiens einen Durchbruch erkämpften, wusste auch Ludendorff,
dass der Krieg verloren war, zumal wenig später auch die
türkischen und bulgarischen Fronten zusammenbrachen.
Ende September stand Deutschland sozusagen allein auf
dem Schlachtfeld, dementsprechend wurde der Kaiser aufgefordert, die sofortige Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen vorzunehmen. So kam es zur Ernennung
von Prinz Max von Baden zum Reichskanzler und wenige
Tage später zum Waffenstillstandsgesuch mit der Anerkennung der von dem US-Präsidenten geforderten 14 Punkte,
die den Weg einer „Liga der Nationen“, ebnen sollten. Im
Deutschen Reich gärte es zu diesem Zeitpunkt in der Parteienlandschaft. Die „Rechte“ wurde als borniert betrachtet, die „Linke“ als schlapp und national unzuverlässig,
was zur Entstehung der Dolchstoßlegende führte. Der Kaiser indessen wurde von den Alliierten zum Sündenbock erklärt und so ließ ihn die Sozialdemokratie fallen und forderte am 07.11.1918 ultimativ seine Abdankung. Wilhelm
II. floh ins Exil nach Holland und am 09.11.1918 bereitete sich der revolutionäre Aufstand der sozialistischen Arbeiter, der durch eine Meuterei in der Marine an Fahrt zunahm, im ganzen Reichsgebiet aus.
Die Waffenstillstandsverhandlungen geschahen zwischen Italien und Österreich am 04.11.1918 und zwischen den Westmächten und Deutschland am 11.11.1918 und zwar im Wald
von Compiègne. Das bis dato größte technisierte Völkergemetzel hatte viele Menschenverluste gekostet. Man schätzt,
dass für Deutschland etwa 1,8 Millionen, für Frankreich
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1,4 Millionen, für Italien 460.000, für England 950.000,
für Österreich/Ungarn 1,2 Millionen, für USA 120.000, für
Russland 1,7 Millionen und für die Türkei 330.000, insgesamt etwa 8 Millionen Tote und über 20 Millionen Verwundete im „Großen Krieg“ zu beklagen waren. Das Diktat der Sieger kostete Deutschland außer der Rückgabe von
Elsaß-Lothringen auch große Gebietsverluste im Osten, den
Verlust ihrer Kolonien in Afrika, außerdem Kriegsentschädigungen in Form von Geld und Sachwerten.
Der Keim zum Ausbruch des II. Weltkrieges lag in der Last
des Vertrags von Versailles, der aus 440 Artikeln bestand
und im Art. 231, der Deutschland die einseitige Kriegsschuld zuschob.
Pershing
Nach der Machtergreifung von Adolf Hitler am 30.01.1933,
dem brüsken Rücktritt des „Dritten Reiches“ aus dem Völkerbund im Oktober 1933, der Verkündung der allgemeinen
Wehrpflicht und dem Ausbau der Luftwaffe am 16.03.1935
und vielen anderen Verfehlungen gegen den Vertrag von
Versailles und den Kampf um die Neugestaltung Europas,
war der Ausbruch eines neuen Weltkrieges nur noch eine
Frage der Zeit.
2. Der Krieg kommt nach Luxemburg
Als Deutschland am 03.08.1914 um 16.00 Uhr Frankreich
den Krieg erklärte, befanden sich bereits deutsche Soldaten seit dem 1. August 1914 gegen 19.00 Uhr auf luxemburgischem Boden und verletzten somit unsere Neutralität,
die im Londoner Vertrag vom 11.05.1867 ausgehandelt
und übrigens von der Garantiemacht Deutschland mit unterschrieben worden war. In Ulflingen stand eine Kompanie
des 90. Infanterieregiments, welche in den Abendstunden
des 01.08.1914 den Bahnhof besetzte, und in den frühen Morgenstunden des 02.08.1914 gegen 5 Uhr fuhr im
Wasserbilliger Bahnhof ein deutscher Panzerzug ein, wenig
später gefolgt von Infanteristen der Regimenter 29 und 69.
Luxemburg wurde zum Aufmarschgebiet der Deutschen. Unter Protesten seitens der Großherzogin Maria-Adelheid beim
deutschen Kaiser Wilhelm II. und der luxemburgischen Regierung unter Staatsminister P. Eyschen († 12.10.1915)
beim deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg (trat 1917 im Streit mit der dt. obersten Heeresleitung
zurück und wurde am 20.07.1917 durch den bürgerlichen
Kanzler Michaelis ersetzt), dauerte der Truppendurchmarsch
zwei Wochen im ganzen Lande an. Luxemburg gehörte seit
Jahrhunderten zu den 3 klassischen Invasionswegen nach
Frankreich (Burgunderpforte – Basel/Belfort, Durchmarsch
nach Flandern – Maubeuge/Lille und die Mosellinie vom
Rhein her nach Metz-Diedenhofen).
Als Operationsplan gegen Frankreich griff man zu dem berühmten „Schlieffenplan“, an welchem auch Helmuth Graf
von Moltke, Chef des deutschen Generalstabs der Armee
von 1906 - Herbst 1914, gearbeitet hatte. In der Zwischenzeit sah man in Luxemburg viel deutsche, militärische und
fürstliche Prominenz, nachdem am 27.08.1914 das deutsche Hauptquartier von Trier nach Luxemburg verlegt worden
war (Schule gegenüber der Hauptpost) und von hier aus die
Marne-Schlacht anfangs September 1914 geleitet wurde.
Am 06.09.1914 stattete der deutsche Kaiser unserer Großherzogin einen unerwünschten Besuch ab. Nachdem das dt.
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Hauptquartier am 28.09.14 nach Mézières-Charleville verlegt wurde, verließ Wilhelm II. die Hauptstadt Luxemburg.
In diesem Zeitraum residierten außerdem folgende deutsche Persönlichkeiten hierzulande: Generaloberst Albrecht
Herzog von Württemberg, Oberbefehlshaber der 4. Armee
mit Hauptquartier in Echternach und der deutsche Kronprinz Wilhelm, Oberbefehlshaber der 5. Armee mit Hauptquartier in Esch/Alzette. Im Gefolge des Deutschen Kaisers
befanden sich damals in Luxemburg der Reichskanzler von
Bethmann-Hollweg und der Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes, Herr von Jagow.
Noch im August 1914 meldeten sich etwa 3000 Luxemburger Freiwillige in die französische Fremdenlegion, in deren
Reihen als einer der Ersten unser Radsportheld François Faber, Tour de France-Sieger von 1909, fiel. Am 09.08.1914
wurde die Gesellschaft des Luxemburger Roten Kreuzes gegründet. Ortsausschüsse befanden sich in allen größeren
Ortschaften unseres Landes, so auch in Mersch, wo ihre
Fahne (rotes Kreuz auf weißem Grund) auf den Dächern des
Klosters der Franziskanerinnen und dem Geburtshaus unseres ehemaligen Staatsministers, Emmanuel Servais (geb.
11.04.1811 in Mersch) wehte und Lazarette eingerichtet
waren.
Das kleine Luxemburg konnte dem Aufmarsch der deutschen
Truppen in seinem Land natürlich nichts entgegensetzen.
Unsere bewaffnete Macht unter Major E. van Dyck bestand
zu diesem Zeitpunkt aus einer Kompanie von kaum 150
Mann und einer Freiwilligen-Kompanie von etwa 170 Soldaten. Den preußischen Radfahr- und Kavalerie-Einheiten
(in Mersch kamen Radfahrer des 29. Infanterie Regiments
über die Felser Straße zu uns) wurde folglich kein militärischer Widerstand geleistet. Nachdem die martialisch aussehenden Truppen des VIII. Armeekorps unter ihrem kommandierenden General Tulff von Tschepa und Weidenbach
vorbeigezogen waren, sahen die Luxemburger etwas später
hauptsächlich ältere deutsche Soldaten, die sogenannten
Landsturmmänner, die, wie auch hier in Mersch, vorwiegend
zum Brücken- und Bahnschutz eingesetzt wurden. Sie trugen schwarze Tschakos mit der Nummer ihres Regiments
und waren nur leicht mit Säbel und
Gewehr bewaffnet, im Gegensatz
zu den Husaren, Dragonen, Ullanen, Kürassieren, welche in ihren
Schwadronen an vorderster Front
kämpften.
Im Allgemeinen glaubte man zu
Beginn der Kriegs, dass der Auseinandersetzung eine kurze Dauer
beschieden wäre, da die zur Verfügung stehenden Waffen (Artillerie,
Tanks, Flugzeuge, Kriegsschiffe,
usw.) so effektiv waren, dass kein
Land große Verluste, besonders an
Menschenopfern, lange aushalten
könne. Doch das Gegenteil war
der Fall. Erst im Frühjahr 1919,
wurden beispielsweise die ersten
französischen Soldaten „demobilisiert“.
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Luxemburg blieb während des ganzen Krieges von den Deutschen besetzt. Besonders die Lebensmittelknappheit bereitete den Luxemburgern große Sorgen und es musste vieles rationiert werden. Speziell in unserer Industriegegend
litt die Bevölkerung Hunger. Viele Stadtbewohner versuchten durch „Hamstern“ von den Bauern Fleisch, Eier, Butter und Kartoffeln für teures Geld zu erhalten. 1916 kam
es in der Hauptstadt zu Massenkundgebungen und dies
führte zur Einführung von Volksküchen und in vielen Gemeinden auch zu Schulkantinen. Am 23.12.1916 wurde
Generaldirektor Dr. Michel Welter, der erst seit dem 24.
Februar 1916 im Dienst war, wegen seiner schlechten Lebensmittelpolitik aus dem Amt gejagt und durch Ernest Leclère ersetzt. Doch die Lebensmittelpreise stiegen dauernd
weiter. Hinzu kam auch ein Mangel an Leder und manchen anderen Rohstoffen und sonstigen Bedarfsartikeln.
Zusätzlich wurde die Bevölkerung durch Bombenabwürfe
bedroht. In Differdingen, Bonneweg und Clausen sterben
über 20 Menschen durch Bombensplitter.
Infolge der Lebensmittelnotlage häuften
sich die Diebstähle auf den Ackern und
Feldern und sogar in den Häusern. Im
September 1918 wurden durch Großherzoglichen Beschluss Bürgerwehren eingeführt. Seit Herbst 1918 war die Moral der
deutschen Soldaten auf dem Tiefstand.
Allenthalben boten sie ihre Waffen und
sonstige Militäreffekte, sogar Pferde, zu
Schleuderpreisen zum Verkauf an. Zudem
rückte die Front hörbar näher an unsere
Grenze, der Abmarsch der deutschen Besatzung aus Luxemburg begann und die
deutsche Militärverwaltung in Luxemburg
hatte ein Ende.
Am 21.11.1918 zog John J. Pershing, als
Oberbefehlshaber der U.S.-Truppen mit
seinen Soldaten in Luxemburg ein. Anderntags folgte ihm das französische 109.
Infanterieregiment und am 25.11.1918 kam Maréchal Foch
mit einem Spezialzug in unser Land. Der Krieg war vorbei
und wieder einmal war viel Blut umsonst geflossen.
Die Kriegsereignisse in Mersch
A. Unter deutscher Militärverwaltung
Ab 02.08.1914 gegen 14 Uhr erfolgte auch in Mersch der
Durchmarsch der deutschen Truppen, zu Fuß, zu Rad und
Pferd von der „Felser Straße“ her, sie besetzten sofort die
Brücken, den Bahnhof und die Post. Der Protest des Merscher Bürgermeisters eingangs der „Langen Brücke“ wurde
von den arroganten deutschen Offizieren entschieden zurückgewiesen. Natürlich hielt die verängstigte Einwohnerschaft sich ruhig und besonnen zurück, zumal dies auch
von den Gemeindeverantwortlichen, sozusagen mit der Faust
in der Tasche empfohlen wurde. Zudem wirkten die Soldaten äußerst gereizt, da sie überall Spione vermuteten und
misstrauisch jederzeit den Angriff französischer Truppen befürchteten. Auf dem Gemeindeamt stellte sich ein deutscher
Offizier, Leutnant Krause, ein und bat in barschem Militär-
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jargon, der keine Widerrede duldete, um Quartier und Proviant für seine Kompanie. Tag für Tag passierten deutsche
Truppen unser Dorf und schließlich kommt es am 7. und
8. August 1914 zu der befürchteten Schlacht um Mersch.
Es handelte sich hierbei um das nervöse Vorgehen zweier
Ullanenabteilungen, welche gegen 15 Uhr am 07.08. vom
„QuatreVents“ her, durch Mersch jagen, als wäre der Teufel, sprich die Franzosen, hinter ihnen her. In Mersch gelagerte Maschinengewehr-Einheiten gingen sofort in Stellung, sowie ebenfalls eine Infanterie-Kompanie, welche in
Berschbach den Zugang der „Langen Brücke“ sicherte. In
der „Reckinger-Straße“ wurde ein Baum als Sperre gefällt
und gegen 16 Uhr fiel ein Schuss aus einer Feldhaubitze,
die an einem Berghang nahe dem Gehöft „Benzelt“ schussbereit stand. Die Granate explodierte oberhalb Reckingen,
ohne nennenswerten Schaden in einem Feld anzurichten. In
der Nacht zum 08.12 rückten weitere deutsche Truppen zur
Besetzung und Abwehr in Mersch ein und einige Panzerzüge
hielten sogar am Bahnhof zur Verstärkung an. Doch außer
einem Pferd, das in der Nacht durch Übermüdung ums Leben kam, geschah nichts und die „Schlacht um Mersch“,
die sogar in einigen deutschen Zeitungen erwähnt wurde,
hatte ein ruhmloses Ende gefunden. Doch die Angst blieb
bestehen, denn inzwischen waren sogar die Eisch- und Langbrücke scharf bewacht und niemand durfte sie ohne Passagierschein betreten. Der „Grommeschpesch“ strotzte ständig von Militäreinheiten, Fahrzeugen, Pferden, Zelten und
Geschützen und auch die Einquartierungen häuften sich.
Am 13. August lud die Militärkapelle des 115. Regiments
auf dem Marktplatz zu einem Ständchen ein. Die deutsche,
bestbekannte Zeitschrift „Gartenlaube“ druckte von diesem
Ereignis eine Fotographie mit dem Vermerk: „ein Militärkonzert in einer französischen Stadt“. Dies war natürlich eine
Zeitungsente erster Güte, da unser „alter Turm“ in seiner
ganzen Pracht im Hintergrund des Bildes zu sehen war. Die
„Gartenlaube“ publizierte aber auch Fotos von Mersch, die
der Wahrheit entsprachen, u.a. das Biwakieren eines Regiments des Prinzen von Schaumburg im „Grommeschpesch“
und eine Feldmesse für Soldaten protestantischer Konfession, eingeschickt vom Merscher Geometer Jos Henckels.
Katholische Soldaten wohnten dem Gottesdienst in der hiesigen Kirche bei und nahmen am selben Tag an der traditionellen Maria-Himmelfahrts-Prozession teil.
Der Durchmarsch dauerte den ganzen Monat hindurch unaufhörlich an. Dabei sahen wir außer Infanterie auch Einheiten mit schwerem Geschütz westwärts ziehen. Auch viel
Prominenz zeigte sich in unserer Ortschaft. Im Haus des
Notars Brincour bezog zeitweilig der Großherzog von Hessen Quartier. Kriegsdokumenten zufolge durchzogen damals
Einheiten der Leib-Kürassiere „Großer Kurfürst“ des Husarenregiments N° 4, des Feldartilleriebataillons N°5, Dragoner, Pioniere usw. unsere Ortschaft. Überliefert sind auch
viele Verwundetentransporte, die in Mersch notdürftig von
Sanitätern verarztet wurden.
Wie bereits erwähnt, wurde allerorts die sogenannte „5. Kolonne“ gefürchtet. Überall witterte die deutsche Feldgendarmerie Spionagetätigkeit. Mitte August wurde der Landwirt Rosselet aus dem „Schlemmeschhaus“ (heute Henri
Muller) mit seinen 3 ältesten Söhnen verhaftet und vorläufig ins Trierer Gefängnis gebracht.
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Insgesamt starben an jenen Augusttagen 3 deutsche Soldaten, die auf dem Merscher Kirchhof begraben wurden. 2
waren beim Baden in der Alzette ertrunken und 1 Schwerverwundeter starb im Merscher Kloster im dort untergebrachten Lazarett.
Die 3 Soldaten, die hier begraben wurden, sind namentlich
bekannt und wurden unter weißgestrichenen Holzkreuzen
begraben und zwar mit folgenden Inschriften:
Hier ruhet Johann Heinrich Dippel,
10 Comp. Res. Inftr. 116
† 28.08.1914
Hier ruhet August Staubesand,
Leib-Gard-Inftr. 115
† 11.08.1914
Hier ruhet Peter Edelmann,
Feldartl. Regt. 61
† 15.08.1914
Mitte August hörte man fast alltäglich anhaltenden Kanonendonner und Mersch war endlich von deutscher Einquartierung mehr oder weniger befreit. Nur noch die Etappenkommandantur befand sich im Hause Servais. Seit dem
03.09.1914 war der Postkutschendienst, resp. Automobilverkehr wieder hergestellt und das schwere Geschützfeuer
schwieg zeitweilig, um aber Wochen später an Heftigkeit
wieder zuzunehmen.
Langsam kehrte der graue Alltag zurück und der Kampf gegen den Hunger. Die Lebensmittelpreise stiegen. Um dem
drohenden Notstand entgegenzuwirken, kaufte die Merscher
Gemeindeverwaltung 26 Ztr. Salz, 50 Ballen Mehl und 322
kg Kaffee.
Am 11.04.1915 wurden die ersten Brotkarten ausgegeben. Andere Lebensmittelrationierungen, hinsichtlich Butter, Fleisch, Mehl usw. folgten ab Februar 1916. Das Jahr
1917 war ein ausgesprochenes Hungerjahr, verschärft durch
einen harten Winter. Hamsterfahrten in die Bauerndörfer
waren angesagt, den Kriegsgewinnern waren keine Grenzen gesetzt.
Bezüglich der Entschädigung für Einquartierung und Sachbeschädigung durch deutsche Truppen erhielt die Gemeinde
am 16.02.1915 die Summe von 10.107,90 Franken zwecks
Verteilung an die Dorfbewohner. Doch vieles wurde nicht bezahlt, da das Militär oft die Einquartierungsscheine zerrissen hatte und mancherorts sogar mit vorgehaltener Waffe
Proviant für Mannschaften und Pferde stahl.
Um der drohenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden, beschloss
der Gemeinderat Notstandsarbeiten in den Wäldern und an
den Gemeindewegen vorzunehmen. In zunehmender Weise
fing nicht nur das Fleisch an sehr knapp zu werden, sondern allerorts ging zusätzlich Klage ein über die ungenügende Zufuhr von Brennmaterial an die Haushalte.
In der Sitzung vom 22.01.1917 beschloss unser Gemeinderat drastische Maßnahmen, indem alles Fett und Schmalz
bei geschlachtetem Vieh nun von Gemeindebeamten registriert werden musste. Die Metzger oblagen der Pflicht, die
Liste ihrer Kundschaft vorzulegen. Auch die Kartoffelernten
sollten künftig kontrolliert werden, um eine gerechte Ver-
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Mersch im erstem Weltkrieg
teilung unter der Bevölkerung zu gewährleisten. Gemeindekommissionen zwecks Überwachung der Lebensmittelverteilung und der Preise wurden eingesetzt. In Mersch setzte
dieses Gremium sich gegen Ende des Krieges aus folgenden Personen zusammen: Berrens, Eiffes, Henckels, Homann, Nimax, Schintgen und Dr. Thinnes (père). Daneben
bildeten sich regionale Ausschüsse sogenannte „Comités
de ravitaillement“, deren Mitglieder vom Gemeinderat bestimmt wurden. Laut Sitzung vom 22.12.1918, als der Krieg
bereits vorbei war, gehörten folgende Personen aus dem
Kanton Mersch dieser Vereinigung an: Wilhelmy, Eichhorn,
Monen, Ecker, Schreiber, Ludovicy und Treinen. Das Geschäftsleben lag brach, der Schwarzmarkt beherrschte das
Geschehen, bis schließlich die Amerikaner kamen. Vorher
aber strömten nach dem Waffenstillstand am 11.11.1918
wiederum deutsche Heeresmassen heimwärts durch unsere
Straßen. Um absoluten Frieden zu garantieren, bat die Regierung die Bevölkerung um Geduld und Nachsicht gegenüber den müden Kämpfern des geschlagenen Deutschland,
welche fluchtartig ihrer Heimat zustrebten und unterwegs
alles verkauften, was sie entbehren konnten: Pferde, Waffen usw. Am 21.11.1918 tauchten plötzlich um die Mittagszeit die ersten Amerikaner in Mersch auf. Ein Festcomité, das sich tags zuvor in Mersch gebildet hatte, hisste
sofort auf dem Dach des „Café Américain“ (heute Fortis
Bank) das Sternenbanner und tags darauf errichtete man
am „Sternenplatz“ eine große Ehrenparade (genau am selben Ort wurde nach der Befreiung im 2. Weltkrieg auch
ein ähnlicher „Triumphbogen“ errichtet mit der Inschrift:
„For our Deliverers“). Die Merscher jubelten den Amerikanern ähnlich zu, wie danach am 10.09.1944, als sie unser Land von den Nazihorden befreiten. Mit dem Einzug der
Amerikaner war bald die Zeit des großen Hungers vorbei.
Die US-Besatzungszeit dauerte bis Frühjahr 1919. Als die
Amerikaner Mersch verließen, organisierte Captain Jos. L.
Kennedy vom 108. Supply Train ein großes Abschiedsfest
in der „Buvette de la Gare“ am 23.04.1919.
B. Die amerikanische Besatzungszeit
Obschon die Amerikaner in
Mersch sehr beliebt waren
und zahlreiche intime Kontakte mit der Bevölkerung gepflegt wurden, hinderte dies
unsere Geschäftsleute und besonders die Wirtsleute nicht
daran, den „Amerikaner“ alles doppelt in Rechnung zu
stellen, was begreiflicherweise zu manchen Mißtönen
führte. Doch auch seitens der
Gemeindeverantwortlichen
kamen Klagen über die Befreier, wie klar aus dem Schöffenbericht vom 09.01.1919
hervorgeht. So wirkte die Unsitte der amerikanischen Soldaten hinsichtlich ihres Benehmens gegenüber Frauen
und besonders ihr Hang zu
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frivolen Frauenzimmern recht störend im Dorf und man beabsichtigte die Offiziere bezüglich dieser unsoliden Moral
anzusprechen. Weitaus erfreulicher war hingegen die exakte
Abrechnung der Truppe mit der Gemeinde, was die Einquartierung anbelangte. Davon zeugt z.B. ein „Billeting Distr.
List“ der amerikanischen Expeditions-Streitkräfte vom Dezember 1918 in Mersch. Damals war das 314. Field Signal
Bataillon, eine Nachrichteneinheit mit etwa 10 Offizieren
und 220 Mann, im Dorf einquartiert. Die Kompanieküche
befand sich im Hof des Fotografen Ed. Hansen, das Bataillonsbüro im Café Schons & Linden, während der Hauptteil
dieser Truppe im Café Weyer (55 Mann) und im Schloss
(als „Red Castle“ bezeichnet – 130 Mann) untergebracht
waren. An Einquartierungsgeldern wurden zwischen dem
Gemeindeeinnehmer E. Urbes und Oberleutnant A.C. Fox
52.70 Franken für alle Haushalte pro Mann ausbezahlt. Das
Geld wurde am 24.05.1919 der Gemeinde zwecks Verteilung überwiesen.
Pëtten 1919
Unter den Truppen, die in Mersch Quartier bezogen hatten,
befand sich auch die damals bekannte Schriftstellerin Maud
R. Warren, welche den ganzen Feldzug als Kriegsberichterstatterin mitmachte. In einem Bericht schilderte sie den
Durchzug der 89. Infantry Division von Belgien nach Luxemburg und ihren Aufenthalt in Mersch. Sie schrieb beispielsweise unter anderem: „Die Hauptstraße zeigt einige
kleine Industrien, winzige Biskuit- und Zigarrenfabriken,
kleine Läden und Cafés, deren Schild angibt, dass sie der
Frau gehören…“. Im kleinen Hotel Schons-Linden konnte
sie für 3 Mark eine Mahlzeit bekommen – Brot und Zucker
zum Kaffee mussten sie selbst liefern, wobei der Brotrest
dem Hause überlassen blieb (Brot und Mehl hatten damals
Seltenheitswert).
Im benachbarten Reckingen lagen Soldaten der 32. und
33. U.S.-Infantry Division in Biwak. Das Lazarett besagter
Armeeeinheiten befand sich in Cruchten. Aus den Reihen
der ehemaligen, ausgewanderten Familien luxemburgischer
Herkunft stammten manche stramme „Boys“ ab. So z.B.
der Sohn des Reckinger Lehrers J.P. Daubenfeld, verheiratet mit Cath. Loesch, namens Perry, geboren als erstes von
sechs Kindern in Reckingen am 14.08.1879. Mit 14 Jahren
wanderte er nach Amerika (Chenoah/Illinois, wo sein Onkel
Nic. Loesch eine Farm besaß) aus. Am 03.12.1900 engagierte Perry sich für 5 Jahre beim Marine Corps, danach arbeitete er im Transportwesen und heiratete am 21.03.1907
Luisa Störzbach in Dixon. 1916 war er Offizier in der 2.
Infantry Division und kämpfte anschließend als First Lieutnant im Federal Service in Pancho Villa in Mexico. Am
05.08.1917 befand er sich als Kapitän und Kompanieführer
im 2. Illinois Infantry (später umbenannt in 132. Infantry,
um schließlich als 33. Infantry Division in Frankreich im
Feld zu stehen). Perry Daubenfeld kämpfte in den Argonnen,
wurde verwundet und am 16.06.1919 demobilisiert. 1924
wurde er zum Ehrenkonsul von Luxemburg ernannt. Er war
in zahlreichen Vereinigungen der Luxemburger in Amerika
vertreten z.B. Großpräsident des Luxemburger Bruderbundes (L.B.A.), Mitglied des Luxembourg Independant Club,
Luxembourg Singing Society of America, in der Holy Name
Society der Pfarrei St. Gregory. Ferner Kommandant der
Veteranenorganisation (33. Division War Veterans Association). Perry Daubenfeld besuchte nach seiner Pensionierung
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Mersch im erstem Weltkrieg
Luxemburg, seine alte Heimat, fast alljährlich. Er
starb an Herzschlag am 04.01.1945.
Doch die meisten Luxemburger hatten unter der
Fahne Frankreichs freiwillig gekämpft. Im „Livre
d’or de nos légionnaires 1914-1918“ finden wir
ihre Namen. Sie hatten sich größtenteils von Werbeplakaten anlocken lassen, die in den Pariser
Stadtvierteln angeschlagen wurden, wo sich damals viele Luxemburger beruflich aufhielten.
In Ettelbrück erinnert ein grauer Schieferstern an
seinen einstigen Mitbürger Fr. Schweisthal der, in
der französischen Metropole lebend, bei Kriegsausbruch, als erster den Aufruf an alle damals
in Frankreich lebenden wehrhaften Luxemburger
erließ, sich der französischen Armee anzuschließen.
In der Hauptstadt Luxemburg auf dem Konstitutionsplatz
aber sollte eine mächtige Stele, entworfen durch Claus Cito,
später im Volksmund „Gölle Fra“, zu Ehren der Legionäre
errichtet werden. Am 27.05.1923 war die Einweihung. 17
Jahre später kam der Tag der Rache der Besiegten, als nämlich an einem Tag im Oktober 1940 die Nazi-Deutschen den
Strick um die goldene Friedensgöttin legten und sie mit dem
Obelisk, per Dampfwalze, zu Boden rissen.
Hunderte ließen ihr Leben an der Aisne, an der Somme, in
Verdun usw. Aus unserer Gemeinde kennen wir die Soldaten Kettes, Scholler und Ravinger, welche den Tod auf dem
Schlachtfeld fanden, sowie Kahler, Kler und Olsem, deren
Schicksal unbekannt ist. Am 16.03.1919 wurden die überlebenden mit großem Volksauflauf begrüßt. Für die Angehörigen, Witwen und Waisen der Totbeklagten war ein Hilfskomitee, die ALVO („Aide aux Légionnaires et à leurs Veuves
et Orphelins“) gegründet worden.
In allen Ortschaften des Landes bildeten sich Aktionskomitees, welche zum Ziel hatten, Kollekten zur Errichtung eines
Monuments zur Erinnerung an die Legionäre, zu organisieren. In Mersch finden wir in diesem Komitee Dr. Zettinger,
Dechant Hartmann, Bürgermeister Wilhelmy, Geometer Henckels, Agronom Mich. Weis, Friedensrichter H. Schreiber,
den Notar und Abgeordneten Eichhorn, sowie Vermögensverwalter Urbes (Vorsteher des Verwaltungshauses von Arenberg/Meysemburg, das abgerissen wurde, als dort selbst der
„Cactus“ errichtet wurde). Auf Kantonsebene stellte Fels
eine bemerkenswerte Anzahl von Kriegsfreiwilligen.
Die Gemeinde Mersch hatte weiterhin keine Toten durch
Kriegseinwirkung zu beklagen. Auch der Sachschaden war
kaum erwähnenswert, - Fliegerangriffe waren gänzlich ausgeblieben. Die Hauptstadt war z.B. 22-mal bombardiert
worden, - dabei waren 28 Menschen getötet worden und es
gab 76 Verletzte. Die Jahre der Not hatte das Land schlecht
verdaut, besonders auch, da sein väterlich sorgender Führer, Staatsminister Paul Eyschen, der getreue Eckhard seines Vaterlandes, bereits am 12.10.1915 durch Herzversagen verschied. Er war offensichtlich schwer zu ersetzen,
denn erst am 24.02.1916 bildete sich endlich ein Dreiparteienministerium unter V. Thorn, das sich jedoch nicht
lange halten konnte (Rücktritt am 24.04.1917). Nach einer
missglückten Allianz des Linksblocks bildete sich schließ-
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(1914 -1918)
lich am 28.09.1918 eine große Koalitionsregierung unter
Staatsminister Reuter (Nic.Welter war damals von den Sozialisten als ihr Vertrauensmann delegiert worden). Doch
auch dieses Kabinett war stets überschattet von den unversöhnlichen Gegensätzen von „links“ und „rechts“. Es
entstanden bekanntlich Revolten und ein „comité du salut
public“ wollte gar die Republik einführen. Zudem mussten noch belgische Annexionsgelüste entschärft werden,
als man eine wirtschaftliche Lösung suchte und Paris diesbezüglich allen Annäherungsversuchen unter dem Hinweis
auf den belgischen Vorrang ablehnend gegenüberstand. Erst
mit der dynastischen Nachfolge von Großherzogin Charlotte
glätteten sich die Wogen und auch der Vertragsentwurf zur
wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Belgien konnte am
05.03.1922 endlich ratifiziert werden.
Über diese äußerst unruhige, revolutionäre Nachkriegszeit
berichtet uns Nic. Welter in seinem 1926 erschienenen
Werk: „Im Dienste – Erinnerungen aus verworrener Zeit
1918 -1921“. Besonders seine „Zeitgedichte” (über den
Kämpfen) sind von ergreifender Schönheit, Perlen dichterzeugender Kunst. Durch das ganze Werk zittert die Sorge
um unsere Heimat und deren politischen Zukunft. Zitieren wir beispielhalber Sätze aus der 4. Strophe des Gedichts: „Der 2. August 1914” auch bekannt „Im Schatten des Krieges”:
„Wir lebten still für uns, zufrieden
mit dem bescheidenen Glück, das uns beschieden,
Doch froh die Seele zugekehrt,
Allem, was die Menschheit als groß und edel verehrt.
Gastlich brannte die Flamme auf unserem Herd.
Plötzlich schlägt mit seiner Donnerfaust
Mitten auf unsern Tisch
Der Krieg
Wir taumeln über einer Kluft
Und schlagen mit den Händen ins Leere.
Dann hocken wir uns stumm in die Scherben.
Wir hören den Drachenzug der Heere.
Wir ahnen ein ungeheures Sterben.
Uns graust
Gedicht von Nik. Welter: „Krieg“
So endete schließlich eine gefahrvolle Zeit, welche außer
von politischen und militärischen Bedrohungen vor allem
durch starke Hungersnot gekennzeichnet war. In wirtschaftlicher Hinsicht begab man sich in eine ungewisse Zukunft,
die weltweit durch eine schwere Krisenzeit der 20er Jahre
spürbar wurde und ihren Höhepunkt mit dem Bankkrach
von 1929 fand.
Nachwort
Bezüglich der geschichtlichen Literatur über die Ereignisse
des 1. Weltkrieges, besonders des ersten Jahres in Mersch,
erzählt uns der Großvater des heutigen Druckereibesitzers
Fr. Faber in seinem Buch: „Luxemburg im Kriege 19141918“.
In den „Fortbildungskalendern“ jener Zeit finden wir reichlich Nachrichten von der Lebensmittellage, die sich bedauerlicherweise von Kriegsjahr zu Kriegsjahr verschlechterte.
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Mersch im erstem Weltkrieg
Schon im ersten Kriegswinter mangelte es an Petroleum,
was für viele Dörfer höchst ungelegen kam, da der technische Fortschritt des elektrischen Stroms noch nicht bis
zu ihnen vorgedrungen war. Manche Dörfer im Ösling waren erst Ende der 20er Jahre Nutznießer der Erfindung des
elektrischen Lichts.
Als sich die Lebensmittelknappheit im Herbst 1916 drastisch zuspitzte, ließ Generaldirektor Dr. Michel Welter aus
der Schweiz Ziegen einführen, um die armen Haushalte und
die Kleinkinder solchermaßen mit Milch zu versorgen. Diese
gutgemeinte Hilfeleistung trug dem Minister den Spottnamen „Geessemechel“ ein. Noch schlimmer wurde es, als
die U.S.A. im April 1917 in den Krieg eintraten und die
Lebensmittelzufuhr aus Übersee nun gänzlich unterbunden
war. Die Rationen schrumpften immer mehr zusammen,
um gegen Ende des Krieges noch 175 g Mehl oder 230 g
Brot alltäglich pro Kopf zu betragen. In den Städten und
größeren Ortschaften begegnete man der Not mit Volksküchen. Die Merscher Volksküche befand sich im Café Kemp.
„Fliegende Zoll- und Gendarmeriebrigaden“ kontrollierten
Schlächtereien, Mühlen, Bäckereien und Bauernbetriebe.
Gold- und Silbergeld verschwand aus dem Verkehr und da
man dem deutschen Papiergeld nicht traute, stiegen die
Preise auf dem Schwarzmarkt ins Unendliche. Mancherorts wurden die Spinnräder wieder von den Speichern geholt und man schneiderte seine Kleider selber. Tabakpflanzen pflanzte man im eigenen Garten.
Um dem Hunger etwas entgegen zu wirken, rollten andauernd Waggonladungen von Kohlrabi zu den Städten. Zu allem Elend brach im Oktober 1918 noch „die spanische
Grippe“ ins Land ein, eine Epidemie, die viele Opfer forderte. Mit dem Einzug der Amerikaner war zumindest dem
großen Hunger dann bald ein Ende gesetzt.
Was die Zeit des 1. Weltkrieges noch verschlimmerte, war
die große Arbeitslosigkeit hierzulande, die sich bereits im
1. Jahr der Besatzungszeit bemerkbar machte. Gemäß einer
Studie von G. Trausch (Contribution à l’histoire sociale de la
question du Luxembourg 1914 -1922, 1974) ging die Zahl
der Arbeiter von 32.285 im Juli 1914 auf 10.913 Einheiten im September 1914 zurück. Unruhen, wie wir sie bei
den Italienern in Differdingen, 1912, kennen, als die Gendarmerie eingreifen musste (es gab damals 3 Tote und zahlreiche Verletzte), brachen dennoch nicht aus, da es auch
an einer diesbezüglichen Organisation fehlte. Es gab zwar
bereits ein sogenanntes Gewerkschaftskartell, doch zählte
dieses Syndikat z.B. 1908 nur 888 Mitglieder.
Die Not verschärfte sich im Sommer 1915, als die Preise
für Konsumgüter beunruhigende Proportionen annahmen.
Allein die Bauern und gewisse Geschäftsleute konnten auf
blühende Geschäfte hoffen. Die Luxemburger selbst waren
auch bei der Hamsterei benachteiligt, da die deutschen
Soldaten, die besser bei Kasse waren, ihnen alles vor der
Nase wegschnappten. Am 04.11.1916 redete Minister Dr.
Mich. Welter (nach dem plötzlichen Tode von Staatsminister P. Eyschen hatte sich vom 24.02.1916 -19.06.1917 die
Koalitionsregierung von V. Thorn gebildet, in welcher sich
die 4 Generaldirektoren Welter, L. Moutrier, L. Kauffmann
und A. Lefort befanden) in Berlin eine deutliche Sprache,
als er hier erklärte: „Sämtliche Landsturmmänner betrei-
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(1914 -1918)
ben den Schmuggel und schleppen alles über die Grenze
nach Deutschland, was nicht niet- und nagelfest ist, jetzt,
wo es verboten ist…“. Auch Welters Nachfolger in der Regierung, Ernest Leclerc (Welter wurde am 23.12.1916 mit
42:2 Stimmen wegen seiner unglücklichen Lebensmittelpolitik gestürzt) änderte nichts an der immer größer werdenden Hungersnot der Landesbewohner, besonders der
Arbeiterklasse.
Am 05.06.1917 war das Fass zum Überlaufen voll, ein allgemeiner Streik brach in den Hüttenwerken der Minettemetropolen Esch und Differdingen aus. Deutsche Infanterie
und Husaren traten in Aktion und besetzten die Schmelzen. Uneinigkeiten unter den Streikenden bewirkte jedoch
ein Scheitern der „Grève de 1917“. Auch kleinere Streiks,
die noch nach dem Kriege aufflammten, führten zu keinem
Erfolg der Arbeiter. Selbst als es bereits zur Gründung der
sozialistischen und christlichen Gewerkschaften 1921 kam,
blieb der Generalstreik auf den Hüttenwerken in der „Minettegegend“ und in Dommeldingen Anfang März 1921,
ein Flop. Diesmal halfen französische Soldaten der luxemburgischen Gendarmerie, die Arbeiter, welche gegen Massenentlassungen und den internationalen Kapitalismus zu
Felde gezogen waren, in Schach zu halten.
Der Streik vom März 1921 bewies, dass die ökonomische
und soziale Krise, die sich bereits kurz vor Beginn des
1. Weltkrieges bemerkbar gemacht hatte, noch immer andauerte und bis zum 2. Weltkrieg nicht behoben werden
konnte. Was die Fotos bezüglich des deutschen Truppenaufmarsches in Mersch anbelangt, so ist dazu zu berichten,
dass sie ausschließlich dem ehemaligen Geometer und begeisterten Amateurfotograph von Mersch, Jos Henckels zu
verdanken sind. Niemand außer ihm hatte die Erlaubnis,
den Durchmarsch unbehelligt in Bilder festzuhalten. Manche Zeitung war heimlich neidisch über diesen Umstand, so
z.B. die „Luxemburger Zeitung“, welche ihrem Bedauern in
ihrer Ausgabe vom 13.08.1914 darüber Ausdruck verlieh,
dass es ihr nicht gestattet war, „von den so oft malerischen
Bildern dieses denkwürdigen Lagerlebens photographische
Aufnahmen zu machen“. Jos Henckels erhielt die Erlaubnis von einem deutschen Berufskollegen, welcher im Grad
eines Kapitäns den Feldzug mitmachte. Mit dem Auto Jos
Henkels’ (der als erster Autobesitzer von Mersch gilt, eine
DION-BOUTON, Modell 1895/98, damals noch Kerzen- u.
Carbidbeleuchtung als Scheinwerfer, 10-20 km Stundengeschwindigkeit, Benzinpreis 0,21 Fr) und Benzin, das der
deutsche Offizier zur Verfügung stellte, fuhren die beiden
durch das ganze Land und tags darauf erhielt unser Katastergeometer, wohl als Einziger unseres Landes, die Erlaubnis, Aufnahmen von deutschen Truppen vorzunehmen, natürlich mit dem strengen Vermerk, keinen Missbrauch davon
zu machen – im Klartext keine Spionage zu betreiben. Im
Gegensatz zu vielen anderen Berichterstattungen schreibt
Geometer Jos Henckels in einer Artikelserie, die im Februar 1951 im „Volksblatt“ erschien, wortwörtlich: „Über
den Krieg selbst hatten wir uns nicht zu beklagen, denn
das Land hatte wenig unter den direkten Folgen desselben
zu leiden.“ Doch die erschreckenden Bombenverheerungen, besonders in der Hauptstadt, die große Lebensmittelnot, der politische und soziale Unfrieden nach Kriegsende,
und vieles mehr sprechen eine andere Sprache.
Herausgeber: Gemeindeverwaltung Mersch
Text: Roger Hilbert
Fotobearbeitung: Nico Lucas
Konzept: Guy Pauly
© Layout: Henri Krier / Marc Manternach
Druck: Imprimerie Fr. Faber
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Dezember 2008
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