2 4 || 24 YARRCCHHEEN N,, DDIIEE SSTA TADDTT DDEERR 77000000 N NOON NN NEEN N || YA YARCHEN FOTOS VON BORIS JOSEPH TEXT VON RAPHAELLE PIENNE Die Stadt der 7000 Nonnen Yarchen und seine Meditationshütten. In einen Arm des Flusses Jinsha geschmiegt, taucht die Stadt förmlich auf dem Nichts auf. Sie wurde mit recycelten Materialien erbaut und überrascht durch ihre Ausdehnung und ihr Erscheinungsbild. YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N | | 25 Eine Nonne, die älter scheint als die andern, meditiert auf dem Berg. Mit ihrer grösseren Hütte, ihrer Gebetsmühle und dem verhüllten Gesicht, scheint sie eine besondere Stellung einzunehmen. Trotz der kargen, von Entsagung geprägten Lebensbedingungen, bewahren diese Frauen ihr Lächeln. Den künstlichen Blumenstrauss wird diese Nonne ins Kloster bringen. 26 | | YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N Jede dieser von den Nonnen aus wiederverwertbaren Materialien gebauten Hütten ist anders. Obwohl sie dazu kaum Mittel haben, versuchen die jungen Frauen ihre winzigen Häuschen auch zu schmücken. Zu Tausenden sind sie ins Klosterlager Yarchen im Nordwesten Sichuans (China) gekommen. Unter schwierigen Lebensbedingungen beten und meditieren sie, um das buddhistische Ideal der Loslösung von der Welt zu verwirklichen. Nach fünf Stunden Fahrt auf einer schlechten Strasse klart der Himmel plötzlich auf und lässt eine von den schwarzen Tupfern der Yaks gesprenkelte Weidelandschaft zum Vorschein kommen. Hoch oben kreisen Geier. Die buddhistische Siedlung Yarchen, oder Yarchen Gar, liegt in der gegenwärtigen chinesischen Provinz Sichuan auf über 4000 m Höhe ins gebirgige Herz der tibetischen Region Kham eingebettet. Mit über 10 000 Bewohnern gilt sie als der grösste Versammlungsort buddhistischer Mönche und Nonnen weltweit. Nichts Grandioses, nichts Demonstratives indes am Eingang von Yarchen: Ein ungeteerter Weg führt an einer Reihe Gebetsmühlen entlang, die von tibetischen Pilgerfamilien in einem unermüdlichen Reigen am Drehen gehalten werden. Auf der anderen Strassenseite eine Ansammlung einstöckiger Holzhäuser, das Wohnquartier der Mönche. Es ist ruhig, nur ein paar Hunde dösen da und dort, mit von Raureif glitzernden Fellen. Sie heben kaum den Kopf, als wir vorbeifahren. Etwa fünfzig Meter weiter hält YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N | | 27 Dieses Mädchen soll einmal Nonne werden. Bei unserem Anblick sucht es furchtsam in den Rockfalten der Nonne Zuflucht, die es begleitet. 28 | | YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N Eine Nonne zeigt stolz ein Foto der Reinkarnation des Lamas Achuk Rinpoche, der 1927 Yarchen gegründet hat. Seinetwegen und für seine Unterweisung sind sie alle in diese Abgeschiedenheit gekommen. der Wagen vor zwei grossen Gebäuden mit geschwungenen Dächern an. Eines davon, das ältere, so sieht es aus, mit seinen ockerfarbenen Lehmmauern, ist der Wohnsitz von Achuk Rinpoche, Jahrgang 1927, dem Gründer von Yarchen. Der hohe Würdenträger aus der Schule der Nyingmapa (der älteste der vier Zweige des tibetischen Buddhismus) hat den Rang eines lebendigen Buddhas erlangt. 1985 als Chinas Einstellung zum Buddhismus toleranter wurde, beschloss er, dieses Kloster zu gründen, das dem Unterricht und der Meditation gewidmet sein sollte. Blickt man ins Tal hinunter, das sich unter den Füssen des heiligen Mannes ausbreitet, ermisst man den Erfolg seines Appells. Die Halbinsel, die von einer Schlaufe des Flusses Jinsha gebildet wird, ist von einem unglaublichen Gewirr ineinander verschachtelter Dächer bedeckt. Auf dieser Landzunge, zu der die Mönche keinen Zutritt haben, wohnen über 7000 Nonnen. ZERBRECHLICHE KARGHEIT FRAUEN IM TIBETISCHEN BUDDHISMUS Das von Achuk Rinpoche gegründete Zentrum ist einer der wenigen Orte in Tibet, an denen Frauen eine buddhistische Unterweisung erhalten können. Der tibetische Buddhismus erlaubt keine Ordination der Frauen, so dass sie nie über den Rang der Novizin hinaus kommen. Weniger zahlreich als die Mönche, sind die tibetischen Nonnen auch weniger geachtet und werden von den Gläubigen auch mit sehr viel weniger Gaben bedacht. Über zwei schmale Brücken gelangt man in die zerbrechliche Stadt aus Brettern und Planen, die die Ordensschwestern hier YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N | | 29 Vor dem Klostereingang folgen diese Nonnen der Unterweisung eines grossen Lamas. Das Hauptgebäude kann sie nicht alle aufnehmen, und ihre Zahl wächst ständig. In allen tibetischen Klöstern beschränken die chinesischen Behörden drastisch die Anzahl der Mönche und Nonnen. Wie lange werden sie einen so grossen Zustrom noch dulden? gebaut haben. Das Wort Lager wäre angemessener für dieses Barackengewirr, durch das sich ein paar matschige Wege ziehen. „Die Neuankömmlinge bauen selber ihr Haus oder kaufen einer anderen Nonne eins ab“, erzählt uns die 22-jährige Nima, die vor einem Jahr aus Lhasa hierher gekommen ist. Auf den einstöckigen Gebäuden, zu denen ein kleiner Hof gehört, steht eine kleine Kabine, in der eine einzige Person zum Sitzen Platz hat, „zum Meditieren“, erklärt Nima. Es braucht fast eine Stunde für einen Rundgang im Quartier der Nonnen. Sehr schnell fällt dem Besucher auf, in welch armseligen Lebensbedingungen diese Tausende von Frauen leben. Auf der Halbinsel gibt es weder Elektrizität noch fliessendes Wasser. Die Nonnen von Yarchen haben nur kleine Öfen, in denen sie Yakmist verbrennen, um ihre mit Stoffbahnen und Plastik isolierten Hütten zu heizen, während die Temperaturen im Tal in den Winternächten regelmässig auf minus 20 Grad absinken. Auch die Sanitäreinrichtungen sind völlig ungenügend. Man hat über dem Fluss ein Dutzend auf Pfählen stehender Hütten gebaut, doch die meisten Bewohnerinnen gehen auf die Böschung. 30 | | YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N EINE STÄTTE DER ZUFLUCHT Trotz dieser schwierigen Lebensbedingungen zieht Yarchen weiterhin Frauen aus ganz Tibet an. Oft sehr jung, haben sie beschlossen, das Purpurgewand der Nonnen überzuziehen und ihre Familien zu verlassen, um hierher zu kommen. „Es war mein eigener Entschluss, Nonne zu werden, niemand hat mich gezwungen“, erklärt Nima spontan, dann fügt sie, leicht zögernd hinzu: „Das Leben war auch ein bisschen schwer.“ Schamhaft wird sie ein paar Worte darüber verlieren, dass ihre Eltern, Geschäftsleute, finanzielle Schwierigkeiten hatten. Viele dieser aus einfachen Verhältnissen stammenden Frauen, die nur sehr kurz oder gar nicht zur Schule gegangen sind, sahen in dem Entscheid, Nonne zu werden, ein Mittel, ihren Angehörigen Erleichterung zu verschaffen. Im Fall einer Katastrophe wurde das Phänomen noch verstärkt. „Nach dem Erdbeben vom letzten Jahr sind viele Mädchen aus Yushu nach Yarchen gekommen“, erklärt eine Nonne aus dieser Gegend. Das Beben, das am 14. April im tibetischen Distrikt Yushu stattfand, hat 2000 Todesopfer gefordert, und 5 Millionen Diese Nonnen kehren nach dem Gebet in ihre Hütten zurück. Trotz der schwierigen Lebensbedingungen und der grossen Isolation, geht eine grosse Freude von ihnen aus. Jeden Tag waschen sie ihre Wäsche im Fluss Jinsha, auch wenn das Wasser eisig ist. YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N | | 31 Eine Nonne kommt vom Brunnen zurück, wo sie ihre Wasserkanister abgefüllt hat. Nach der Meditation nehmen vor allem die Alltagspflichten Zeit in Anspruch. Menschen obdachlos gemacht. Yarchen hat auch fast 200 Han-Chinesen, die hier den tibetischen Buddhismus studieren wollen, als Mönche und Nonnen aufgenommen. So Yiling, die seit drei Jahren hier lebt und aus der mehrere tausend Kilometer südöstlich liegenden Provinz Fujian stammt. „Ich spreche nicht Tibetisch, aber die Unterweisungen der Lamas werden oft übersetzt, und es gibt Mädchen, die Chinesisch sprechen“, erklärt sie. Yiling hat rund um ihre Hütte eine behelfsmässige Trennwand aus alten Regenschirmüberzügen gebastelt, ein buntes Patchwork. „Ich hatte nicht genug Geld, darum nahm ich einfach, was ich fand“, sagt sie mit strahlendem Lächeln. LEBEN IM GEBET UND IN MEDITATION Das vergangene oder das gegenwärtige Elend geht in der Stadt 32 | | YA R C H E N , D I E S TA D T D E R 7 0 0 0 N O N N E N der Nonnen merkwürdig vergessen. Selbst der kalte Wind scheint überall eine Atmosphäre ruhiger Freude hinzutragen. Am Abend und am frühen Nachmittag, wenn der Lautsprecher die Nonnen auffordert, dem von den Lamas gegebenen Unterricht beizuwohnen, steigen sie in scherzenden lachenden Grüppchen zu dem grossen purpurfarbenen Gebäude hinauf. Vor dem Betreten des grossen Saals ziehen sie die Schuhe aus, dann folgen sie höchst konzentriert mehrere Stunden lang den Unterweisungen, die nur ab und zu von Gebeten unterbrochen werden. Diese Kurse sollen sie insbesondere mit der Meditation vertraut machen, einer Praxis, die in der Tradition der Nyingmapa fundamentale Bedeutung hat. Der Höhepunkt der Meditation besteht in Yarchen in einer 100 Tage dauernden „Einkapselung“, die auf die kältesten Wintermonate angesetzt ist. Dieser Übung dienen die Tausende winziger Kabinen, die Diese Nonnen stehen an, um zu telefonieren. Einige besitzen zwar ein Handy, die meisten müssen aber jene der Läden benützen, die Yarchen mit Lebensmitteln beliefern. auf den Hügeln um die Klosterstadt verstreut sind. Die Nonnen beziehen sie im frühen Morgengrauen und verlassen sie erst wieder bei Sonnenuntergang. Aus den kleinen Segeltuchzellen dringt dann der berückende Singsang der betenden und singenden Nonnen, deren Stimmen der Wind zum Himmel hinaufträgt. Die Nonnen von Yarchen bleiben mehrere Jahre, vielleicht sogar ein Leben lang in diesem abgeschiedenen Tal. Dieses Leben der Entsagung soll ihnen ermöglichen, das buddhistische Ideal der Loslösung von der Welt zu verwirklichen. Das erklärt auch, weshalb sich Tausende von Gläubigen in Yarchen einfinden. Der Ort steht allen offen, Reichen oder Armen, Männern oder Frauen, die sich auf den schwierigen Weg der Erlösung vom unendlichen Zyklus der Wiedergeburten begeben wollen, um sich von dieser Welt, von ihren Zwängen und Leiden zu befreien. CHINA UND DIE TOLERANZ Die chinesischen Behörden scheinen Yarchen gegenwärtig eine gewisse Toleranz entgegenzubringen. Wie bei allen religiösen Zentren in Tibet, ist die Studentenzahl begrenzt, doch Yarchen hat die bewilligte Quote längst überschritten. 2001 hatte der Distrikt unter diesem Vorwand über 800 Hütten zerstört und deren Bewohner zum Verlassen des Tals aufgefordert. Ein Zeichen, dass Yarchens Schicksal unsicher bleibt. Das Kloster ist übrigens noch immer nicht auf chinesischen Karten zu finden, trotz seiner über 25-jährigen Existenz. 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