Chemie der Erde - Bibliothek Wissenschaftspark Albert Einstein

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Zweijahresbericht
GeoForschungsZentrum Potsdam
in der Helmholtz-Gemeinschaft
2002/2003
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Das System Erde – Forschungsgegenstand des GFZ Potsdam
III
V
Aus der wissenschaftlichen Arbeit
DESERT - Struktur und Dynamik der Dead Sea Transform
1
Ein Ozean taucht ab: Ergebnisse zur Dynamik des aktiven Kontinentalrandes in Südchile
19
Lithium-, Bor-, Strontium-, Neodym- und Blei-Isotope als Monitore fluid-induzierter
Mineralreaktionen in kontaktmetamorphen Marmoren
35
Dimensionen und Dynamik des Kohlenstoffkreislaufs in Sedimentbecken
45
MALLIK - Gashydrate unter Permafrost
59
Trizonia Island – simultanes Deformations- und Temperaturmonitoring mit faseroptischen
Sensoren in einer Rift-Bohrung
77
Kleine Proben – große Aussagen: Experimente als „Fenster in das Innere der Erde“
85
Focused Ion Beam-Technik FIB: eine Nanotechnologie ermöglicht neue Erkenntnisse in den
Geowissenschaften
99
GRACE - Eine Schwerefeld- und Klimamission
109
Signaturen des Erdmantels im Schwerefeld der Erde
119
Die Departments
Department 1 „Geodäsie und Fernerkundung“
126
Department 2 „Physik der Erde“
166
Department 3 „Geodynamik“
238
Department 4 „Chemie der Erde“
280
Department 5 „Geoengineering“
332
Gremien des GFZ Potsdam
361
Organisation, Verwaltung und zentrale Dienste
362
Personal- und Sozialwesen
Haushalt und Finanzen
Bibliothek des Wissenschaftsparks Albert Einstein
ICDP Operational Support Group
Daten- und Rechenzentrum
Das Jahr der Geowissenschaften 2002
Auszeichnungen und Ehrungen
394
Habilitationen, Promotionen
394
Ausgewählte Publikationen 2002/2003
396
Glossar
406
I
1
Gashydrate aus dem Labor: Synthetisierte Gashydratkristalle bei 90 MPa und 12°C. Zusammensetzung der
Gasphase: 5% CO2 und 95% CH4 (Foto: J. Schicks, GFZ)
Crystals of gas hydrates at 90 MPa and 12°C. Composition of the gas phase: 5% CO2 and 95% CH4
280
Department 4
Chemie der Erde
Geodynamische Prozesse sind als räumlich begrenzte
Abläufe Antrieb für Deformationsprozesse, Erdbeben
und für alle geogenen Stoffkreisläufe, die den Lebensraum Erde aufrecht erhalten. Stoffkreisläufe sind der
Motor für die Entstehung von Ressourcen, wie mineralische Lagerstätten, Kohlenwasserstoffvorkommen und
Grundwasser.
Um Antrieb und Steuerungsmechanismen von geodynamischen Prozessen und Stoffkreisläufen zu identifizieren und deren Risiko- und Ressourcenpotentiale abschätzen zu können, werden neben geophysikalischgeodätischen Messkampagnen in geodynamischen
Schlüsselregionen der Erde – vor allem an aktiven und
passiven Kontinenträndern („Labor Erde“) - insbesondere Laborexperimente entwickelt („Erde im Labor“),
welche die Prozesse simulieren und die Materialeigenschaften in allen Skalenbereichen bis in den atomaren
Maßstab entschlüsseln. Der Einsatz mikro- und isotopenanalytischer Methoden erlaubt dabei die Quantifizierung von Stoffumsätzen und die Bestimmung der
Chronologie geodynamischer Prozesse. Numerische
Modellierungen verknüpfen diese Daten ganz unterschiedlicher Art und Dimension über verschiedene
Skalenlängen. In diesem Kontext ist auch die Neu- und
Weiterentwicklung innovativer Mess- und Auswertetechnologien von essentieller Bedeutung.
Unter den verschiedenen Stoffkreisläufen ist gegenwärtig der geogene Methankreislauf wegen der fundamentalen Bedeutung des Methans als klimarelevantem
Treibhausgas von Interesse. Eine Komponente dieses
hochaktuellen Themas sind Gashydrate, die mehr als die
Hälfte der Kohlenwasserstoffreserven der Erde ausmachen und damit einen erheblichen Einflussfaktor für
längerfristige Klimaänderungen darstellen. Die Biogeochemie der Bildungs- und Abbaubedingungen sowie das
Verhalten von Methanhydraten in Sedimenten ist daher
ein wesentliches Forschungsziel. Die Hälfte der globalen Biomasse lebt unterhalb der Erdoberfläche und beeinflusst dort maßgeblich den Methanhaushalt. Diese
bislang kaum bekannte „Tiefe Biosphäre“ ist zudem ein
einmaliges natürliches Labor, das die Baupläne für
heute noch völlig unbekannte Bakterien und Enzyme für
die Biotechnologie liefern wird. Die Untersuchung biogeochemisch gesteuerter Stoffkreisläufe ist daher von
grundlegender Bedeutung für unsere Zivilisation und
soll in Zukunft ein weiteres wichtiges Forschungsthema
bilden.
Der Stickstoffkreislauf in metamorphen Gesteinen
Der grösste Anteil des Stickstoffs in der Erdkruste ist als
Ammonium (NH4+) in Mineralen gebunden und substituiert Kalium in wichtigen Mineralen wie Illit, Muscovit, Biotit und Kalifeldspat. Er stammt zumeist aus
organischem Material, das in Sedimenten abgelagert
wurde. Bei der Diagenese werden Aminosäuren unter
anoxischen Bedingungen zersetzt, Methan gebildet und
Ammonium als Fluidkomponente freigesetzt. Im weiteren Verlauf können NH4+-haltige Fluide autigene
281
a
b
Abb. 4.1: K-NH4-Verteilungen zwischen Muskovit, Feldspat und Fluid bei verschiedenen Drücken und Temperaturen.
Symbole bedeuten experimentelle Datenpunkte, die Kurven sind thermodynamisch berechnet.
K-NH4-distributions between muscovite, feldspar and fluid at various pressures and temperatures. Symbols denote
experimental data points, equilibrium curves are calculated from thermodynamic properties.
(NH4,K)-Minerale auskristallisieren oder mit Kaliumsilikaten unter K-NH4 -Austausch reagieren. Sedimente
und sehr niedriggradig metamorphe Gesteine enthalten
daher sehr variable Mengen an Stickstoff, gesteuert
durch Redoxbedingungen und lokale Verfügbarkeit von
organischem Material. Bei zunehmenden Druck- und
Temperaturbedingungen wird Ammonium zwischen
Mineralen und fluiden Phasen kontinuierlich neu verteilt. Geländebeobachtungen haben gezeigt, dass Gesteine
mit aufsteigender Metamorphose ständig Stickstoff verlieren und dass in hochgradigen Gesteinen die Stickstoffgehalte um ein bis zwei Grössenordnungen geringer
sind. Der zugrunde liegende Mechanismus ist bisher
weitgehend unklar. Weil aber Metasedimente mit zunehmender Metamorphose durch Dehydratisierungsreaktionen auch kontinuierlich Wasser verlieren, kann
spekuliert werden, dass das Ammoniumbudget durch
Mineral-Fluid-Reaktionen gesteuert wird. Experimente
können diesen Mechanismus identifizieren und quantifizieren.
Dazu wurden Kationenaustauschexperimente zwischen
Mineralen und chloridischen Fluiden zu den beiden
Reaktionen
Muskovit + NH4Cl
<=>
Tobelit + KCl
<=>
<=>
NH4Al2AlSi3O10(OH)2
+ KClaq und K-Feldspat
+ NH4Cl
Buddingtonit + KCl
<=>
NH4AlSi3O8 + KClaq
KAl2AlSi3O10(OH)2
+ NH4Claq
aq
KAlSi3O8 + NH4Cl
282
unter hydrothermalen Bedingungen bei 400 °C, 500 °C,
600 °C und 400 MPa sowie bei 500 °C, 600 °C und 1500
MPa entlang des gesamten K-NH4+-Zusammensetzungsbereichs durchgeführt. Die Zusammensetzung der
Glimmer- und Feldspatmischkristallreihen wurde mit
Röntgendiffraktion, Elektronenstrahlmikrosonde und
infrarotspektrometrischen Methoden bestimmt, die des
koexistierenden Fluids mit Ionenchromatographie. Die
Phasenbeziehungen und Massenbilanzen in den Experimenten sind konsistent und zeigen GleichgewichtsBedingungen an. Bei allen P-T-Bedingungen bilden
Muskovite und Feldspäte kontinuierliche Mischkristallreihen. In beiden Systemen, sowohl für (K,NH4)Muskovit-Fluid als auch für (K,NH4)-Feldspat-Fluid
fraktioniert Ammonium über den ganzen Zusammensetzungsbereich bevorzugt ins Fluid. Die Fraktionierungen sind temperatur- und druckabhängig und es können P-T-X-abhängige Verteilungskoeffizienten abgeleitet werden. Die Kombination beider experimentellen
Serien zeigt, dass Ammonium bevorzugt in den Feldspat relativ zum Muskovit eingebaut wird. Unter der
Annahme, dass sich NH4Cl und KCl in verdünnten
Lösungen gleich verhalten, können die experimentellen
Resultate thermodynamisch ausgewertet werden. Mithilfe multidimensionaler Regression und regulärer
Mischungsmodelle wurden die Mischungsenergien für
(K,NH4)-Muskovite und (K,NH4)-Feldspäte bestimmt.
Für die Anwendung auf natürliche Gesteine sind K-NH3Verteilungen bei sehr niedrigen NH4-Gesamtkonzentrationen im Bereich von mehreren hundert bis einigen tausend ppm NH4 besonders relevant. Mithilfe der abgeleiteten thermodynamischen Daten werden NH4-Verteifluid-ms
fluid-fsp
fluid-ms
lungskoeffizienten D NH4 , D NH4 und D NH4 bestimmt.
fluid-ms
D NH4 variiert zwischen 7 und 8 bei 400 bis 600 °C / 400
fluid-fsp
MPa, und ist ungefähr 5 bei 1500 MPa. D NH4 variiert
zwischen 6 und 7 bei 400 bis 600 °C / 400 MPa und ist
ebenfalls ungefähr 5 bei 1500 MPa. Die Daten zeigen
eine extreme Fraktionierung des Ammoniums ins Fluid
fluid-ms
bei allen Bedingungen. D NH4 liegt zwischen 1 und 1,2.
Hier ist die Fraktionierung so gering, dass im Rahmen
der Meßfehler keine Druck- und Temperaturabhängigkeit festgestellt werden kann. Messungen an
natürlichen Gesteinsparagenesen zeigen, dass das
Ammonium in metamorphen Gesteinen am liebsten in
den Biotit geht. Frühere Experimente von Bos et al.
(1988), thermodynamisch evaluiert von Moine et al.
(1994) ergaben, dass der NH4-Verteilungskoeffizient
fluid-bt
zwischen chloridischem Fluid und Biotit D NH4 bei 550 °C
/ 200 MPa ungefähr 2 beträgt. Damit lassen sich Verteiphl-ms
phl-fsp
lungskoeffizienten D NH4 ≈ 3.5 and D NH4 ≈ 3 bei 550 °C
und 200 bis 400 MPa berechnen.
Literaturdaten von gemessenen NH4-Konzentrationen
koexistierender Muskovite, Biotite und Kalifeldspäte
aus ganz verschiedenen Gesteinen mit unterschiedlichen
Metamorphosegraden zeigen tatsächlich sehr häufig
Gleichgewichtsverteilungen. Diese können nun, in
Verbindung mit den Gesamtkonzentrationen im Gestein,
als Monitore für die Reaktions- und Dehydratationsgeschichte von metamorphen Gesteinen verwendet werden. In sehr niedriggradigen Tonen und Tonschiefern ist
Ammonium zwischen Schichtsilikaten und Porenfluiden
verteilt. Während der prograden Metamorphose wird
Wasser durch Dehydratationsreaktionen entlang dem
Druck-Temperatur-Pfad zunehmend freigesetzt und aus
dem Gestein ausgetrieben. Weil Ammonium bevorzugt
ins Fluid fraktioniert, wird Stickstoff dabei kontinuierlich aus dem Gestein entfernt. Das verbleibende
Ammonium wird immer wieder neu zwischen Muskovit
und Biotit partitioniert, gemäß sich neu einstellender PT-X-abhängiger Verteilungskoeffizienten. In hochgradigen, nahezu H2O-freien Gesteinen bleibt Kalifeldspat
bei sehr geringen NH4-Gehalten einziges NH4-haltiges
Mineral, nachdem Muskovit und Biotit abgebaut wurden. Der große Fraktionierungseffekt für NH4 zwischen
Fluiden und den K-Mineralen einerseits, und zwischen
Biotit und Muskovit/Kalifeldspat andererseits bietet ein
großes Potential für die Interpretation von Devolatilisierungsprozessen und Fluid-Gesteins-Wechselwirkungen
in der Erdkruste. Mit den nun vorliegenden Daten können Massenbilanzen für den Stickstoffkreislauf in der
Erdkruste modelliert werden. Dies ist das Ziel zukünftiger Arbeiten.
283
Abb. 4.2: Ammoniumkonzentrationen in koexistierenden Biotiten, Muskoviten und Kalifeldspäten aus Graniten und
Metamorphiten unterschiedlicher Fazies. Linien geben die für verschiedene Temperaturen experimentell abgeleiteten
Verteilungskoeffizienten für geringe NH4-Konzentrationen an.
Nitrogen concentrations calculated as ammonium in apparently coexisting K-bearing minerals from the literature.
Dashed lines indicate our experimentally determined distributions at low NH4 bulk concentrations at the respective
P-T-conditions.
Abb. 4.3: REM-Bilder von (K,NH4)-Muskovit (a) und (K-NH4)-Feldspat, synthetisiert bei 500 °C und 400 Mpa
(Foto: B. Pöter, GFZ).
SEM micrographs of (K,NH4)-muscovite (a) and (K,NH4)-feldspar, synthetizised at 500 °C and 400 Mpa.
Fluide in der Unterkruste:
Evidence from nature and experiment
284
In der Natur gibt es viele Hinweise
darauf, dass unterkrustale Fluide
niedriger H2O-Aktivität (CO2 oder
konzentrierte KCl- and NaCl-Lösungen) die Dehydra-tion von H2Oreichen, Plagioklas-Quarz-Hornblende-Biotit-führenden amphibolitfaziellen Gesteinen in H2O-arme,
Orthopyroxen-führende granulitfazielle Gesteine (750 bis 900 °C und
600 bis 1000 MPa) über Distanzen
von mehreren Kilometern bewirkt
haben. Ein petrographisches Merkmal solcher trockener, Orthopyroxen-führender Gesteine ist das
Auftreten von Kalifeldspat-Säumen
entlang von Quarz-Plagioklas-Korngrenzen, oft assoziiert mit Albitverwachsungen entlang der Grenzflächen zwischen Kalifeldspat und
Plagioklas (Abb. 4.4a).
Abb. 4.4: Fluid-Gesteinswechselwirkung in der Natur und im Experiment (Erläuterung siehe Text)
Fluid-rock interaction in nature and
experiment (for details see text)
Zur Entstehung dieser Säume können im wesentlichen
drei Prozesse beitragen:
fazieller in granulitfazielle Gesteine in der Unterkruste
unter gleichzeitiger Bildung von Kalifeldspatsäumen.
1. Destabilisierung von Plagioklas (Anorthit-Komponente) entlang von Plagioklas-Quarz-Grenzflächen
während der granulitfaziellen Metamorphose unter
Einwirkung von KCl-Lösungen entsprechender der chemischen Reaktion
Ein anderes typisches Merkmal fluidinduzierter granulitfazieller Dehydrationszonen stellt das Vorkommen
von Monazit und/oder Xenotim innerhalb oder am Rand
von Fluorapatit dar (Abb. 4.4d). Nach unseren experimentellen Untersuchungen können diese SEEPhosphate metasomatischen Ursprungs sein, entstanden
durch Wechselwirkung mit KCl-Lösungen oder
CO2/H2O-Mischungen mit dem Apatit über grosse Temperatur- (300 bis 900 °C) und Druckbereiche (500 bis
1000 MPa).
CaAl2Si2O8 + 4 SiO2 + 2 KCl = 2 KAlSi3O8 + CaCl2
Anorthit
Quarz
Fluid
Kalifeldspat
Fluid
Ein weiteres Indiz für die Beteiligung von Fluiden niedriger H2O-Aktivität an der Entstehung granulitfazieller
Gesteine, sowohl im lokalen als auch regionalen Rahmen, stellt die raumzeitliche Entwicklung des F/OHVerhältnisses in Apatiten und Biotiten dar. Betrachtet
man das relative Fugazitätsverhaltnis von OH zu HF im
KCa2(Fe,Mg)4Al3Si6O22(OH)2 + 4 SiO2
metasomatischen Fluid als Funktion von der Entfernung
von der Fluidquelle, so ergibt sich eine stetige, systemaHornblende
Quarz
tische Zunahme von log(fH2O/fHF) (Abb. 4.4e und 4.4f).
Diese Entwicklung kann dahingehend interpretiert werden, dass ein initial wasserärmeres
= Ca(Fe,Mg)Si2O6 + 3 (Fe,Mg)SiO3 + CaAl2Si2O8 + KAlSi3O8 + H2O
Fluid bei seiner Passage durch die Gesteine zunehmend an Wasser angereiKlinopyroxen
Orthopyroxen Plagioklas
Kalifeldspat
chert wird, bis schliesslich irgendwo
im amphibolitfaziellen Ausgangsgestein Gleichgewicht erreicht wird.
3. Freisetzung von K und Al im Zuge der Umwandlung
Gleichgewicht
ist dann eingestellt,
von Biotit und Quarz in Orthopyroxen und Kalifeldspat:
wenn das Fluid nicht mehr in der Lage
ist, die Umwandlung von Amphibolen
K(Fe,Mg)3AlSi3O10(OH)2 + 3 SiO2 = 3 (Fe,Mg)SiO3 + KAlSi3O8 + H2O
und Biotiten in Pyroxene zu initiieren.
Eine stetige Zunahme von log(fH2O/fHF)
Biotit
Quarz Orthopyroxen
Kalifeldspat
zeigen die Granulit/Amphibolit-Traversen von Val Strona di Omegna in
der
Ivrea-Verbano
Zone, N-Italien (Abb. 1e) und von
Die Reaktionen 2 und 3 spielen vor allem dann eine
Tamil
Nadu,
S-Indien
(Abb. 4.4f).
Rolle, wenn das infiltrierende Fluid eine NaCl-Lösung
darstellt oder reich an CO2 ist. Die dehydrierende Eigen- Alle diese verschiedenen Beobachtungen unterstreichen,
schaft von Fluiden niedriger H2O-Aktivität wurde in ver- dass Fluide mit niedriger Wasser-Aktivität eine domischiedenen Piston-Zylinder-Experimenten durch Wechsel- nierende Rolle bei der Umwandlung amphibolit- in
wirkung unterschiedlicher Fluide mit einem natürlichen granulitfazielle Gesteine spielen können, assoziiert oder
Plagioklas-Quarz-Biotit-Gneis nachgewiesen. In einem nicht mit einer teilweisen Aufschmelzung der Ausgangsdieser Experimente (900 °C; 1000 MPa; 3 Wochen) wur- gesteine. Zukünftige Modelle zur Evolution und Stabilide eine 0,5 cm-lange zylindrische Probe dieses Gneises sation der Unterkruste müssen die Bedeutung von Fluiden
(Durchmesser 0,3 cm) mit einer geringen Menge (ca. in geeigneter Weise berücksichtigen.
3.6 % der Masse des Gneises) einer konzentrierten KClLösung in einer Au-Kapsel in Wechselwirkung gebracht.
Zoisit als Träger der leichten Seltenen Erden in
Im Ergebnis dieses Experimentes wurde der Gneis parSubduktionszonen
tiell aufgeschmolzen und es bildeten sich Kalifeldspatsäume entlang von Quarz-Plagioklas-Korngrenzen, Subduktionsbezogene Magmen zeichnen sich im Allgejedoch nur dort, wo sich Biotit und Quarz in Kontakt meinen durch eine deutliche Anreicherung der leichten
befanden (Abb. 4.4b) Hier reagierte der Biotit mit Quarz und mittleren Selten-Erd-Elemente (SEE) aus. Diese
unter Bildung einer Vielzahl kleiner Kristalle von Anreicherung ist auf einen Fluidtransport aus der subOrthopyroxen, Klinopyroxen und Ilmenit (Abb. 4.4c). duzierten Platte zurückzuführen. Um den Stoffkreislauf
Die Quelle des für die Bildung von Ilmenit benötigten der leichten und mittleren SEE in Subduktionszonen zu
Titans bilden die 2 bis 3 Gewichts-% Titanoxid im Biotit verstehen, ist es notwendig, das geochemische und kris(Abb. 4.4c). Die Ergebnisse dieses und ähnlicher tallchemische Verhalten ihrer Trägerminerale zu kennen.
Experimente mit CO2 und konzentrierten NaCl-Lösungen Typische Trägerminerale in Hochdruckgesteinen sind
bestätigen die Möglichkeit der Dehydration amphibolit- die Epidotminerale und Zoisit. So zeigen Untersuchungen,
2. Freisetzung von K und Al im Zuge der Umwandlung
von Hornblende und Quarz in Orthopyroxen, Klinopyroxen, Plagioklas und Kalifeldspat:
285
daß bis zu 90 % des leichten SEE-Gesamtgehaltes in
Eklogiten in Zoisit und Allanit eingebaut sein können.
Als OH-führendes, gesteinsbildendes Mineral kann Zoisit zudem signifikante Mengen Wasser in große Tiefen
transportieren und stellt damit eine potentielle Fluidquelle für die Mantelmetasomatose, aber auch für die
Bildung von Entwässerungsschmelzen dar. Trotz seiner
geochemischen Bedeutung waren jedoch bislang die
Stabilitätsbedingungen von Zoisit nur unzureichend
bekannt und fehlten experimentell bestimmte Verteilungskoeffizienten für die SEE zwischen Zoisit und
Schmelze gänzlich.
Die Stabilitätsbedingungen von Zoisit und insbesondere
seine Phasenbeziehungen zu Klinozoisit wurden mit
Hochdrucksyntheseexperimenten aus chloridischen
Lösungen untersucht. Die Versuchsbedingungen waren
2,0 GPa/600 bis 800 °C und die Versuchsprodukte wurden mittels Mikrosonde, Röntgendiffraktometrie und
temperaturabhängiger Infrarotspektroskopie analysiert.
Die Verteilungsexperimente der SEE zwischen Zoisit
und einer wasserhaltigen silikatischen Schmelze wurden
bei 3,0 GPa/1100 °C in einer Stempel-Zylinderapparatur
durchgeführt. Ausgangszusammensetzungen waren natürliche Kumulate anorthitischer Zusammensetzung.
Sie deuten außerdem darauf hin, daß der Eiseneinbau
Zoisit gegenüber anderen Phasen wie Granat, Anorthit
und Lawsonit stabilisiert. Dies bedeutet, daß die bisher
nur aus Versuchen im eisenfreien System bekannten
oberen Stabilitätsgrenzen von Zoisit in eisenführenden
Systemen zu höheren Druck- bzw. Temperaturbedingungen verschoben werden und Zoisit in Subduktionszonen bis in größere Tiefen als bisher angenommen stabil ist. Sowohl die röntgenographische als auch die temperaturabhängige infrarotspektroskopische Untersuchung der Syntheseprodukte belegen zudem zwei bisher
unbekannte Modifikationen von Zoisit. Die Daten deuten darauf hin, daß unter normalen geothermischen Gradienten Zoisit II stabil ist und Zoisit I nur in sehr kalten
Subduktionszonen vorkommt (Abb. 4.6).
Die Syntheseexperimente zeigen, daß Zoisit nur geringe
Eisengehalte einbauen kann, daß der maximale Eisengehalt mit steigendem Druck und/oder steigender Temperatur jedoch ansteigt (Abb. 4.5).
Abb. 4.6: Phasenbeziehungen zwischen Zoisit I, Zoisit II
und Klinozoisit. Zoisit I ist die Hochdruck-Niedertemperatur-Modifikation, Zoisit II die Niederdruck-Hochtemperatur Polymorph. Steigender Eisengehalt verschiebt den invarianten Punkt I zu höheren Druckbedingungen.
286
Phase relations between zoisite I, zoisite II, and clinozoisite. Zoisite I is the high-pressure/low-temperature,
zoisite II the low-pressure/high-temperature polymorph.
Increasing iron content shifts the invariant point I to
higher pressure.
Abb. 4.5: Das Zoisit – Klinozoisit 2-Phasenfeld bei 2,0
GPa. Die Grenzen des 2-Phasenfeldes sind zu niedrigeren Eisengehalten als gerade Linien extrapoliert. Die
Gleichungen geben die Temperaturabhängigkeit der maximalen und minimalen Eisengehalte in koexistieren dem
Zoisit und Klinozoisit an. (czo = Klinozoisit; zo = Zoisit)
The zoisite – clinozoisite two-phase field at 2.0 GPa.
The limbs of the two-phase fields are tentatively extrapolated to lower iron contents as straight lines. Equations
show the temperature dependencies of maximum and
minimum iron contents in coexisting zoisite and clinozoisite. (czo = clinozoisite; zo = zoisite)
Welchen Einfluß die zwei Modifikationen auf die Spurenelementgeochemie von Zoisit haben, konnte im Rahmen der Untersuchungen allerdings nicht bestimmt werden. Die experimentell bestimmten Verteilungskoeffizienten für die SEE zwischen Zoisit und wasserhaltiger silikatischer Schmelze sind in sich konsistent.
Die Abhängigkeit der Verteilungskoeffizienten von dem
Ionenradius der SEE folgt einer idealtypischen Parabel
(Abb. 4.7) und belegt, daß die Verteilung der SEE zwischen Zoisit und wasserhaltiger silikatischer Schmelze
überwiegend von der Kristallstruktur und -chemie des
Zoisits bestimmt wird.
Daten sind deshalb homogene und gut charakterisierte
Referenzproben verschiedener Zusammensetzung notwendig, an denen die Messungen kalibriert werden können.
Nachfolgend werden zwei Anwendungen zur Analytik
leichter Elemente mit der CAMECA ims 6f am GeoForschungsZentrum beschrieben. Das erste Beispiel bezieht
sich auf das Mineral Staurolith, ein Schlüsselmineral zur
Bestimmung des Grades regionaler Metamorphose. Bis
vor einigen Jahren war die komplexe Kristallchemie von
Staurolith kaum verstanden und auch die experimentellen Arbeiten zur Stabililität des Minerals waren
nicht eindeutig zu interpretieren. Es war unklar, warum
Staurolith bis zu 1,3 Gew.% Li2O einbauen kann und der
H2O-Gehalt mindestens von 1,4 bis 2,3 Gew.% variiert.
Die chemische Variation von Staurolith wurde deswegen
mit einer flexiblen Formel
Abb. 4.7: Onuma-Diagramm der experimentell bestimmten Zoisit/Schmelze Verteilungskoeffizienten für die
SEE und Yttrium. Die Verteilungskoeffizienten sind
gegen den Ionenradius in siebenfacher Koordination
aufgetragen.
Onuma plot of experimentally determined zoisite/melt
REE (and Y) partition coefficients versus ionic radius in
7-fold co-ordination.
Der Zenit der Parabel liegt bei Neodymium und zeigt,
daß Zoisit bevorzugt die SEE Neodymium und Samarium einbaut. Für Schmelzen, die mit Zoisit im Gleichgewicht sind, bedeutet dies, daß sie an den mittleren
SEE verarmen, was zu einer relativen Anreicherung der
leichten SEE führt. Im Gegensatz dazu werden Entwässerungsschmelzen, die beim Abbau von Zoisit entstehen, eine relative Anreicherung der mittleren SEE
gegenüber den leichten SEE aufweisen.
Leichte Elemente in Staurolith und Nigerit:
Indikatoren geodynamischer und petrogenetischer Prozesse.
Leichte Elemente (H, Li, Be, B) und ihre Isotopen spielen eine wichtige Rolle bei der Interpretation und Modellierung grossräumiger geodynamischer Prozesse, wie
z.B. Subduktion und Krustenbildung. Durch verbesserte
analytische Apparaturen und Messverfahren sind während der letzten 5 bis 10 Jahre beachtliche Fortschritte
im Nachweis und der Quantifizierung leichter Elemente
gemacht worden.
Mit einer Ortsauflösung von weniger als 10 µm und niedriger Nachweisgrenzen bei geringen Probenmengen ist
die Sekundärionen-Massenspektrometrie (SIMS) eine
ausgezeichnete Methode für die „in situ“ -Bestimmung
von leichten Elemente in festen Substanzen. Ein
Nachteil der SIMS-Methode ist, dass quantitative
Ergebnisse von der Zusammensetzung und der Struktur
der Matrix abhängig sind. Für gute quantitative SIMS-
[M4]
(Fe2+,Mg,Mn,j)4 [T2](Fe2+,Zn,Co,Mg,Li,Al,Fe3+,Mn2+,j)4
[M1,M2]
(Al,Fe3+,Cr,V,Mg,Ti)16 [M3](Al,Mg,j)4 [T1](Si,Al)8 O40
(OH,O,F)8
beschrieben. Der H2O-Gehalt in Staurolith hängt systematisch von den metamorphen Bedingungen während
der Bildung ab, wobei die höchsten H2O-Werte bei
hohen Drücken und niedrigen Temperaturen auftreten.
Als wichtigste Substitution für den Einbau von Wasser
gilt [T2](Fe2+,Zn, Mg,Mn, Ni, Co) + 2j = [T2]j + 2H+, die zu
einer Abnahme des Staurolith-Volumens mit zunehmenden H2O-Gehalt führt.
Auf der Insel Samos (Ägäisches Meer) tritt am Kontakt
zwischen einem Chloritoid-Diaspor-führenden Metabauxit und Calcitmarmor ein ungewöhnlicher Li-H-Zn
reicher Staurolith auf. Nach seiner Bildung bei hohen
Drücken und niedriger Temperatur wurde dieser Staurolith teilweise abgebaut, hauptsächlich unter Bildung von
Na-Ca-Li Glimmer (0.90-1.50 Gew.% Li2O) und Gahnit
(ZnAl2O4), gelegentlich mit Diaspor, Ni-Co-reichen
Chlorit und Fe-Mn-Oxid (Abb. 4.8).
Detaillierte EMS-Arbeiten ergaben, dass viele Staurolith-Kristalle chemisch zoniert sind, wobei die höchsten Zn-Gehalte im Kern und an den Rändern erhöhte
Fe-, Co- und Mg-Gehalte auftreten (Abb. 4.9, 4.10). Die
SIMS-Analysen ergaben, dass der H2O-Gehalt im Kernbereich von Staurolith-Kristallen höher ist als am Rand;
für Li wurde eine geringe, aber signifikante Erhöhung
am Rand gemessen (Abb. 4.10). Die chemische
Zonierung in Staurolith ist durch ein aufeinanderfolgendes Wachstum während unterschiedlicher metamorpher
Stadien entstanden, in Einklang mit der tektono-metamorphen Entwicklung von Samos. Der Zn- und Hreiche Kernbereich ist während einer früh-alpinen, mit
Subduktion verbundenen hoch-P/niedrig-T-Metamorphose gewachsen, die Ränder mit erhöhten Fe, Co, Mg
und Li (niedriger H) entstanden während einer spätalpinen Grünschiefer-faziellen Metamorphose, nach-
287
288
Abb. 4.8: Dünnschliff-Aufnahme (oben links), Rückstreuelektronen (RSE)-Aufnahme (oben Mitte), EMS X-ray (Si
Ká, Al Ká, Na Ká, Zn Ká) und SIMS (7Li+, 27Al+, 28Si+, 40Ca+) Element–Verteilungsbilder eines prismatischen Zincostaurolith (St) Kristalls, der teilweise nach Na-Ca-Li Glimmer (Mi), Gahnit (Gah) und Diaspor (Dsp) umgewandelt
ist. Die Matrix besteht aus Calcit (Cal) und Turmalin (Tur). Der Kreis auf Si Ká and Na Ká ?-Bildern gibt den
Bereich an, der mit SIMS abgebildet wurde (untersten 4 Bilder). Probe SA22B1 von Ost-Samos.
Transmitted light photograph of thin section (upper left), BSE-picture (upper right), EMP X-ray (Si Ká, Al Ká, Na
Ká, Zn Ká) and SIMS ion (7Li+, 27Al+, 28Si+, 40Ca+) images of partial breakdown of prismatic zincostaurolite crystal
into Na-Ca-Li mica (Mi), gahnite (Gah) and diaspore (Dsp). Matrix consists of calcite (Cal) and tourmaline (Tur).
Circles on Si Ká and Na Ká maps indicate the area imaged by SIMS (lower 4 pictures). Sample SA22B1 from EastSamos.
Abb. 4.9.: Verteilung von Zn, Fe, Ni und
Co in einem zonierten Staurolith-Kristall von Samos (Probe Sa9aE). Fe-reiche
Einschlüsse im Kern und im untersten
Rand des Kristalls sind (Fe, Mg, Mn)CaCarbonate. R-S zeigt die Position des
chemischen Profils in Abb. 4.10.
Distribution of Zn, Fe, Ni and Co in
zoned staurolite grain from Samos (sample Sa9aE). Fe-rich inclusions in core
and lower rim of grain are (Fe, Mg, Mn)
Ca-carbonates. R-S indicates the position of the compositional profile shown
in Fig. 4.10.
289
Abb. 4.10: Chemische Variation (Atome normiert auf 48 Sauerstoffe) eines Staurolith-Kristalls entlang das Profils
R-S (Probe Sa9aE). Li and H wurden mit SIMS, alle andere Elemente mit EMS analysiert. Das Rückstreu-Elektronen-Bild (oben links) zeigt den ganzen Staurolith-Kristall mit Position des Profils R-S (vgl. auch Abb. 4.9).
Chemical variation (atoms per 48 oxygens) in staurolite crystal along R-S (sample Sa9aE). Li and H were analyzed
with SIMS, all other elements with EMP. BSE-image (upper left) displays entire staurolite crystal with position of
profile R-S (cf. Fig. 4.9).
dem die hoch-P-Gesteine tektonisch in die mittlere
Kruste transportiert wurden. Im Allgemeinen scheint die
chemische Zonierung in Staurolith die Empfindlichkeit
seiner komplexen Kristallstruktur für Änderungen der
physiko-chemischen Randbedingungen (Druck, Temperatur, H2O- und O2-Fugazität) zu zeigen. Im Fall der
Insel Samos war es vor allem die rasche Dekompression
der hoch-P-Gesteine, die zur Destabilisierung des frühalpin gebildeten Stauroliths und zu dessen teilweisen
Abbau in weniger dichte Minerale wie Gahnit, Ca-NaLi-Glimmer und Chlorit führte. Das Beispiel Samos
zeigt, dass, ähnlich wie das Mineral Granat, der kristallchemisch komplexe Staurolith ein Monitor für die
Druck-Temperatur-Zeit–Geschichte seines Wirtsgesteins ist.
Ein zweites Beispiel der SIMS-Analytik leichter
Elemente betrifft die quantitative Analyse von Nigerit
(Fe-Mg-Zn-Sn-Al-Oxid). Auf der Basis von Kristallstruktur-Verfeinerungen von Nigerit, der mit SnO2-führenden Pegmatiten assoziiert ist, wurde vermutet, dass
Nigerit signifikante Mengen von Li einbauen kann.
Bestätigt wurde diese Vermutung erstmalig durch
SIMS-Analysen an Proben aus Namibia und Nigeria
(Typlokalität von Nigerit), welche 0,70 und 0,61 Gew.%
Li2O ergaben. Ähnliche Li2O-Gehalte sind für andere,
mit Li-Sn reichen Pegmatiten assoziierte Nigerite zu
erwarten, so dass eine Neuinterpretation der Kristallchemie von Nigerit notwendig ist.
Korngrenzdiffusionskontrollierte Mineralreaktionen
290
Viele Gesteine haben im Verlauf ihrer Existenz durch
Wirkung von Temperatur, Druck oder Fluiden wesentliche Veränderungen hinsichtlich ihrer Struktur oder
Mineralzusammensetzung erlebt, die man unter dem
Begriff der Gesteinsmetamorphose zusammenfaßt.
Diese Umbildungen geschehen im festen Zustand und
setzen meist Stoffwanderung durch das Mineralaggregat
voraus. Im mm- bis dm-Maßstab ist dies vor allem
Stofftransport durch Diffusion und in Mineralaggregaten
insbesondere durch Korngrenzdiffusion. Viele Merkmale metamorpher Gesteine werden durch diffusionskontrollierte Prozesse erklärt, wie etwa Mineralzonierungen, Symplektite oder Reaktionssäume. Ihnen ist gemeinsam, daß es aufgrund des langsamen diffusiven
Stofftransportes nicht zur Einstellung eines thermodynamischen Gleichgewichts gekommen ist. Gerade derartige Ungleichgewichts-Strukturen können Petrologen
wichtige Hinweise zur Genese dieser Gesteine und
damit zur Rekonstruktion großräumiger geologischer
Prozesse geben.
Monomineralische oder komplexe Reaktionssäume in
metamorphen Gesteinen liefern Aussagen über die
Stoffflüsse der beteiligten chemischen Komponenten
und ihre relative Größe. Unsicher ist hingegen der
Faktor Zeit. Will man die Dynamik der Bildungsprozesse verstehen, ist man auf Experimente angewiesen.
In der Sektion 4.1 wurde über mehrere Jahre die Kinetik
des Wachstums von polykristallinen Reaktionssäumen
zwischen inkompatiblen Mineralen experimentell untersucht. Das Ziel war, Reaktionsmechanismen und limitierende Faktoren herauszuarbeiten und die Diffusivität
der chemischen Komponenten in polykristallinen
Aggregaten gesteinsbildender Minerale quantitativ zu
bestimmen. Als Standardreaktion wurde dabei die
Bildung von Pyroxensäumen (Enstatit) bei der Reaktion
von Quarz und Olivin etabliert. Dabei stellten sich zwei
grundsätzliche Probleme heraus:
- An Mineralreaktionen sind im allgemeinen mehrere
chemische Komponenten beteiligt, die unterschiedlich
mobil sein können. Das Dickenwachstum von Reaktionssäumen ergibt keine unmittelbare Aussage,
welche Komponenten tatsächlich diffundieren.
- Die Prozesse sind sehr langsam. Um im Labor messbare Effekte zu erzielen, muss man bei wesentlich
höheren Temperaturen als in der Metamorphose
experimentieren.
Ein neuer Ansatz, die individuelle diffusive Mobilität
chemischer Komponenten zu bestimmen, wurde mit der
isotopischen Dotierung der Startsubstanzen gefunden.
Die isotopischen Konzentrationsgradienten in den
Reaktionssäumen wurden mittels SekundärionenMassenspektrometrie (SIMS) gemessen. Im Berichtszeitraum gelang es nun auch in Zusammenarbeit mit der
Ruhr-Universität Bochum, die Reaktionssaum-Methode
im Bereich geologisch relevanter Temperaturen anzuwenden. Der Schlüssel hierzu war die Miniaturisierung
der experimentellen Anordnung.
Auf polierte Quarz-Oberflächen wurden mit der Pulsed
Laser Deposition-Technik (PLD) Dünnschichten von
Pyroxen (En90Fs10) und darüber Olivin (Fo90Fa10) in
einer Gesamtdicke von einigen 100 nm aufgedampft. Im
Olivin waren die Isotope 29Si und 18O stark angereichert.
Die Schichtdicken wurden mit Rutherford-Backscattering (RBS) am Bochumer Teilchenbeschleuniger gemessen. Im Diffusionsexperiment verbreiterte sich die
Pyroxenschicht unter Kontrolle von Umgebungsatmosphäre, Temperatur und Zeit. Anschließend wurde am
GFZ Potsdam die Isotopenverteilung mit SIMS-Tiefenprofilen in einer räumlichen Auflösung von 30 nm
gemessen. Mikrostrukturen der Reaktionssäume und
ihre Dicke nach den Experimenten wurden am Transmissions-Elektronenmikroskop (TEM) ermittelt. Das
dafür notwendige räumlich hochpräzise Extrahieren von
TEM-Präparaten aus polierten Probenoberflächen ist
erst durch Focussed Ion Beam Methode (FIB) möglich
geworden, die am GFZ in die Geowissenschaften eingeführt wurde.
Die Untersuchung ergab, daß der geschwindigkeitsbestimmende Reaktionsmechanismus bei 1000 °C derselbe
ist wie in trockenen Hochtemperatur-Experimenten bei
1350 bis 1450 °C. In beiden Fällen liegt die Aktivierungsenergie der diffusionskontrollierten Reaktion bei
etwa 400 kJ/mol. Spektakulär ist der Effekt von sehr
geringen Mengen Wasser (0.1 bis 1 Gew.-%) in Hochdruck-Experimenten bei 1000 MPa (entsprechend dem
Druck an der Basis der kontinentalen Kruste). Diese
geringen Mengen an Wasser erhöhen die Diffusivität
sowohl von Mg wie von Si um das 103- bis 104-fache.
Dies läßt den Schluß zu, daß sehr geringe Wassermengen
im intergranularen Raum einen enormen Einfluß auf
Reaktionsgeschwindigkeiten und somit die Gestalt
metamorpher Gesteine nehmen. Insbesondere deutet sich
an, daß schon sehr geringe Mengen extern zugeführter
Fluide selbst in Abwesenheit schneller Migrationswege
metamorphe Reaktionen stark beschleunigen können.
Die typischerweise mit ihnen verbundene Volumenreduktion ist eine mögliche Erdbebenquelle.
Die PLD-Technik ist sehr flexibel hinsichtlich der Zusammensetzung der Dünnschichten. Die neuentwickelte
Dünnschicht-Methode eröffnet damit vielfache neue
Möglichkeiten, etwa hinsichtlich variabler Fe-Mg-Konzentrationen in Pyroxen und Olivin in der untersuchten
Reaktion oder hinsichtlich ganz anderer Mineralreaktionen. Am GFZ Potsdam existieren hervorragende
Möglichkeiten, entsprechende Reaktionsprodukte zu
analysieren. Es ist vorgesehen, die Arbeit in Kooperation des GFZ mit Wissenschaftlern der Universität
Basel und der Ruhr-Universität Bochum fortzusetzen.
Abb. 4.11: TEM-Aufnahmen von polykristallinen
Dünnschichten von Pyroxen (Enstatit) und Olivin auf
Quarz vor dem Experiment (oben) und nach 360 min bei
1200 °C (unten). Die Enstatitschicht ist weitergewachsen. Zudem fand eine Kristallvergröberung statt.
SEM picture of polycrystalline pyroxene (enstatite) and
olivine on quartz before (top) and after 360 min at 1200
°C (bottom). Enstatite growth continued and a crystal
enlargement took place.
Experimentelle Simulation von Mantelmetasomatose
In einer subduzierenden Platte können Dehydratationsreaktionen wasserhaltiger Phasen bis in Tiefen von über
300 km stattfinden. Das hierbei freiwerdende Fluid ist
an inkompatiblen Elementen angereichert und sein
Aufstieg führt durch Reaktionen mit Material des überlagernden Mantelkeils zu Mineralneubildungen. Dieser
Vorgang, der als Mantelmetasomatose bezeichnet wird,
stellt einen wesentlichen Aspekt zum Verständnis des
Stoffkreislaufes an konvergenten Plattengrenzen dar, da
er z.B. Stoffmengenbilanzen, Mantel-sowie Magmenchemismen kontrolliert.
Die Simulation von Mantelmetasomatose an konvergenten Plattengrenzen erfolgte in Hochdruck/TemperaturExperimenten in einer Stempel-Zylinderapparatur mit
dem in Abb. 4.12 dargestellten experimentellen Aufbau.
Der Boden einer Au-Kapsel wurde mit synthetischem
(Cs,Rb,K)-Phengit gefüllt, der obere Bereich mit einer
modellhaft den Mantel repräsentierenden Mischung aus
Fe-freiem Olivin und Enstatit. Phengit wurde als typisches Material einer Subduktionsplatte ausgewählt, weil
dieser OH- und alkalihaltige Glimmer bei der tiefen
Subduktion von Sedimenten und ozeanischer Kruste zu
den Hauptträgern von Wasser zählt und seine Entwässerung zudem wesentlich zum Stoffkreislauf der
Alkalielemente an konvergenten Plattengrenzen
beiträgt. Eine fluiddurchlässige perforierte Gold-Folie
trennte in diesem Modellaufbau die „subduzierte Platte“
vom „überlagernden Mantelkeil“, um direkten Kontakt
zwischen den Bereichen zu vermeiden. Das Experiment
wurde bei einem Druck von 35 kbar durchgeführt und
war so konzipiert, das zwischen dem Boden (950 °C)
und dem Deckel (1000 °C) der Kapsel ein TemperaturGradient vorlag und dadurch das durch partielle
Zersetzung und Rekristallisation von Phengit freigesetzte Fluid aufsteigen und im oberen heißeren Kontaktbereich eine “Mantelmetasomatose” initiieren sollte.
Nach dem Experiment zeigte sich Neubildung von
Phlogopit und Al-reichem Enstatit im “Slab-Mantel”Kontaktbereich (Abb. 4.12) – erstmalig war die
Simulation einer phlogopitischen Mantelmetasomatose
im Experiment erfolgreich. Die gemessenen AlkaliVerteilungskoeffizienten zwischen Phlogopiten und
rekristallisierten Phengiten stimmen sehr gut mit
Literaturdaten experimenteller Arbeiten überein. Die in
den Hohlräumen zwischen Mineralen der Kontaktzone
aufgefundene amorphe Phase ist sehr alkali-, Al- und Sireich (Abb. 4.13) und entspricht in ihrer Zusammensetzung den aus früheren Löslichkeitsexperimenten bestimmten Fluidchemismen. Wahrscheinlich repräsentiert
das amorphe Material das von hohen Drücken und Temperaturen auf Atmosphärenbedingungen abgeschreckte
und dabei chemisch nahezu unveränderte Fluid dar.
Ob nun das aus der subduzierten Platte aufsteigende
Fluid durch einen an alkalihaltigen Mineralen freien
Mantel, oder durch einen amphibol- und/oder phlogopi-
291
Abb. 4.12: Schematische Zeichnung und Bild der aufgeschnittenen Au-Kapsel nach dem Experiment. Der grüne
Bereich der Kapsel zeigt das aus Forsterit (Fo) und Enstatit (En) bestehende „Mantelmaterial“. Der blaue Bereich,
der die „subduzierte Platte“ repräsentiert, besteht aus rekristallisiertem Phengit (phe). Zusätzlich wird in einem
REM-Bild die “Platten-Mantel” Kontaktzone gezeigt - die metasomatische Zone, die aus neu gebildetem Phlogopit
(phl) und Al-reichen Enstatit (en) besteht. In den Hohlräumen zwischen diesen Mineralen findet man eine Cs-reiche
amorphe Phase.
Schematic drawings and photograph of the cutted Au-capsule after the experiment. The green part shows the mantle assemblage consisting of forsterite (Fo) and enstatite (En). The blue part, representing the subducted slab, consists of recrystallized phengite (phe). Additionally, the marked area at the contact “slab-mantle”, representing the
metasomatic zone with newly formed phlogopite (phl) and Al-rich enstatite (en), is shown in a SEM-photopraph. In
the cavities between these minerals a Cs-rich amorphous phase is formed.
292
Abb. 4.13: Zusammensetzungen der Startmaterialien und Produktphasen (siehe Legende) dargestellt in den ternären
Systemen a) MgO-Al2O3-SiO2 und b) Cs-Rb-K.
Composition of the starting materials and product phases (see legend) plotted in the ternary systems a) MgO-Al2O3SiO2 and b) Cs-Rb-K.
thaltigen Mantelsaum wandert, in welchen Tiefen diese
Durchströmung stattfindet und wie groß die Breite eines
durch Metasomatose gebildeten Amphibol-, bzw.
Phlogopitsaumes im Mantel ist – dieses hat grundlegende Bedeutung z.B. für die Interpretation von
Alkalisignaturen in Inselbogenvulkaniten. Die Lokation
phlogopitischer Mantelmetasomatose hängt sehr stark
von der Geometrie und thermischen Struktur einer
Subduktionszone ab. Für die in Abb. 4.14a dargestellte
relativ warme Subduktion SW Japans, wird Phlogopit
im Mantel ab einer Tiefe von etwa 100 km in einem etwa
25 km breiten Saum kristallisieren. In kälteren
Subduktionzonen, wie z.B. in NO-Japan (Abb. 4.14b)
dehnt sich die maximale Stabilität von Amphibol zu
größeren Manteltiefen aus. Bis zu einer Tiefe von ca.
120 km wird sich in einem schmalen Streifen des sich
direkt an die Subduktionszone angrenzenden
Mantelkeils Amphibol bilden – Phlogopitkristallisation
setzt erst mit Überschreiten der Amphibolstabilitätsgrenze ein. Sollte alkalihaltiges Fluid diesen amphibolhaltigen Bereich durchströmen, könnte es zusätzlich zu
Phlogopitbildung in heißeren, höher gelagerten Zonen
des Mantels kommen. Im Gegensatz zu SW-Japan (Abb.
4.14a), wird durch die in kalten Subduktionsplatten
näher zusammenliegenden Isothermen die Breite des
Amphibol-/Phlogopitsaumes bzw. der alleinigen Phlogopitzone im Mantelkeil deutlich kleiner. Zusätzlich
wird auch die Position der beginnenden Phengitentwässerung in der subduzierten kalten Platte und damit
das Auftreten von phengitinitiierter Mantelmetasomatose zu größeren Erdtiefen verschoben.
OH in Coesit und seine Auswirkung auf die
Coesit-Quarz Transformationskinetik
Ausser in nominell wasserhaltigen Mineralen wie
Amphibol, Serpentin und Talk kann Wasserstoff auch in
nominell wasserfreien (anhydrous) Mineralen (NAMs)
wie Pyroxen, Granat und Olivin gespeichert werden.
NAMs bauen diesen Wasserstoff als Punktdefekte in
Form von Hydroxylgruppen in ihre Struktur ein.
Experimentelle Untersuchungen ergaben, dass die
Speicherfähigkeit von Wasserstoff in diesem Mineralen
generell mit dem Umgebungsdruck steigt. Die
Löslichkeit von Wasserstoff in NAMs, ausgedrückt als
Gew% H2O, ist zwar auch unter Erdmantelbedingungen
noch relativ gering (bis zu 0,3 Gew % H2O), aber global
gesehen übersteigt der Wassergehalt des Oberen Erdmantels den der Hydrosphäre bei weitem.
Die Anwesenheit von Wasser im Erdmantel hat enorme
Auswirkungen auf die physikalischen Eigenschaften der
Minerale und Gesteine. Mit steigendem Wassergehalt
ändern sich das rheologische Verhalten, die Diffusionsgeschwindigkeiten, die elastische Konstanten, die Wärmeleitfähigkeit, die Transformationskinetik und letztendlich auch der Schmelzpunkt des Mantelmaterials.
Zur Modellierung dynamischer Prozesse im Erdmantel
ist es also unerlässlich, die Änderung dieser physikalischen Eigenschaften als Funktion des Wassergehaltes zu
kennen.
Eine geeignete Methode zur Lokalisierung und Quantifizierung von Wasserstoff in Mineralen ist die Fourier
Transform Infrarot-Spektroskopie (FTIR). In Kombination mit einem Mikroskop kann man so bis zu 30 µm
kleine Kristalle untersuchen. Unter zusätzlicher Verwendung von Synchrotron-IR-Strahlung (z.B. am Bessy
II-Speicherring in Berlin) kommt man auf eine lokale
Auflösung von 5 x 5 µm. Verwendung von linear polarisiertem Licht, Arbeiten mit Diamantstempelzellen zur
Simulation von hohen Drücken, sowie Arbeiten mit
Heiz- und Kühlzellen liefern weitere wertvolle Informationen zur Lokalisierung und Quantifizierung der
Hydroxylgruppen in den jeweiligen Mineralen.
Abb. 4.14: Thermische Struktur der Subduktionszonen
in SW-Japan (a) und NO-Japan (b) (modifiziert nach
Peacock & Wang, 1999), zusammen mit den Bereichen
maximaler Stabilität von Phlogopit (phlog out) und
Amphibol (amph out). Der Bereich, in dem Phlogopit
innerhalb des Mantelkeils gebildet werden kann, ist rot
gefärbt. Der Stern zeigt die Druck/TemperaturBedingungen des Experiments.
Thermal structure of the SW Japan (a) and NE Japan
(b) subduction zones (modified after Peackock & Wang,
1999), together with the locations of maximum stability
of phlogopite (phlog out) and amphibole (amph out).
The area of metasomatic phlogopite formation in the
mantle wedge is shown in red. The asterix indicates the
pressure/temperature-conditions of the experiment.
293
In experimentellen Studien synthetischer und natürlicher Systeme wurde der Einbau von Wasserstoff in
Mantelminerale charakterisiert und quantifiziert. Der
Einbau von OH in Coesit, die Hochdruckmodifikation
von Quarz, wurde experimentell im Druckbereich von
3,0bis 9,0 GPa und bei Temperaturen von 700 bis 1300
°C untersucht. Unsere Experimente zeigten, dass Coesit
bis zu 0,02 Gew. % H2O in die Struktur einbauen kann
(Abb. 4.15). Der Einbau von nicht stöchiometrischen
Wasserstoff in ein nominell wasserfreies Mineral muss
ladungsmässig ausgeglichen sein. Dies kann theoretisch
über die Ausbildung von Leerstellen, wie z.B. bei der
sogenannten Hydrogranatsubstitution Si4+ + 4O2- = [4] j(Si)
+ 4OH- geschehen, oder über gekoppelte Substitutionen
wie z.B. den Erstatz des vierwertigen Si durch ein dreiwertiges Kation plus Wasserstoff nach Si4+ = Al3+(B3+) +
H+. Mit Hilfe der FTIR-Spektroskopie bei Raumbedingungen in Kombination mit in-situ FTIR-Spektroskopie bei hohen Drücken konnte gezeigt werden,
dass ca. 80% des Wasserstoff im Coesit in Form der
Hydrogranatsubstitution eingebaut wird. Bei der
Hydrogranatsubstitution werden die Sauerstoffe vakanter Si-Tetraeder durch OH Gruppen ersetzt (Abb. 4.16),
also (OH)4-Cluster gebildet. In Abhängigkeit vom Synthesedruck treten zwei verschiedene Typen dieser Cluster auf. Sie unterscheiden sich in der Anordnung der
OH-Gruppen und in den O-H…O-Abständen. Dies konnte anhand des unterschiedlichen Druckverhaltens der
OH-Banden bestimmt werden (Abb. 4.17). Circa 20%
des Wasserstoffs im Coesit wird über gekoppelte
Substitutionen unter Beteiligung von Al und B eingebaut.
Abb. 4.16: Modell der Hydrogranat-Substitution I in
Coesit. In einem vakanten Si2 -Tetraeder werden die
vier Sauerstoffe durch vier OH-Gruppen ersetzt.
Model of the hydrogarnet substitution I in coesite. In a
vacant Si2 tetrahedron the four oxygens are replaced by
four OH-groups.
Abb. 4.17: Positionen der OH-Banden in Coesite als
Funktion des Drucks. Die Spektren wurden in-situ in
einer Diamantstempelkammer aufgenommen.
Position of the OH bands in coesite as a function of
pressure. The spectra were collected in-situ in a diamond anvil cell.
294
Abb. 4.15: Infrarot-Spektren von Coesit, synthetisiert
bei verschiedenen Drücken. Die Banden v1-v3 und v7v10 werden Schwingungen von OH-Gruppen zweier unterschiedlicher (OH)4 -Cluster zugeordnet. Die Banden
v4, v5 und v6 werden Schwingungen von OH-Gruppen
zugeordnet, die im Zusammenhang mit der Substitution
des Si4+ durch Al3+ + H, bzw. durch B3+ + H stehen.
Infrared spectra of coesite, synthesized at different pressures. The bands v1-v3 and v7 - v10 are assigned to vibrations of OH groups of two different (OH)4 clusters. The
bands v4, v5 and v6 are assigned to vibrations of OH
groups in connection with Al- and B-based point defects.
Obwohl OH-haltige Coesite experimentell relativ einfach zu synthetisieren sind, konnte erst an einem einzigen natürlichen Coesit der OH-Einbau in der Natur
nachgewiesen werden (Abb. 4.18). Dieser Coesit kommt
als Einschluss in einem Diamanten vor, der in kimberlitischem Gestein des Guyana-Schildes in Venezuela
gefunden wurde. Die Infrarotspektren zeigen, dass er
OH in Form der Hydrogranatsubstitution I eingebaut
hat. Im Vergleich zu den Spektren bei Atmosphärendruck sind die OH-Banden zu niedrigeren Wellenzahlen
verschoben. Dies zeigt an, dass der im Diamant
eingeschlossene Coesit immer noch unter Druck steht.
Im Vergleich zu oben gezeigten experimentellen Daten
entspricht die Verschiebung der OH-Banden einem
Druck von etwa 5 GPa (ca. 150 km Erdtiefe). Dies ist
auch der Druck, den man als Bildungsdruck für die kimberlitischen Diamanten aus Venezuela annimmt. Damit
ist dieser Coesit ein Beleg dafür, dass im oberen
Erdmantel tatsächlich Wasser vorhanden ist, und dass es
in Coesit eingebaut wird.
Petrographische Untersuchungen an Hochdruckgesteinen haben ergeben, dass Coesit häufig nur noch als
Relikt in den jetzt an der Erdoberfläche
auftretenden Gesteinen zu finden ist und
dass diese Coesite kein Wasser enthalten.
Dünnschliffe dieser Gesteine belegen, dass
die meisten Coesite sich in Quarz umgewandelt haben. Dies muss während der Exhumierung, also während der Druckentlastung, geschehen sein. Es drängt sich nun
die Frage auf, ob die Rückumwandlung in
Quarz durch zuvor in Coesit eingebautes
OH gefördert wird. Dies könnte erklären,
warum OH bisher erst in einem natürlichen
Coesit nachgewiesen werden konnte.
Abb. 4.18: Infrarotspektrum eines Coesits, eingeschlossen in einen
Diamant im Vergleich zu einem Spektrum eines synthetischen Coesits,
das in-situ in einer Diamantstempelzelle bei 4,9 GPa aufgenommen
wurde. Es sind nur die zur Hydrogranat Substitution I zugeordneten
Banden zu beobachten. Im Vergleich zu den Spektren bei
Raumbedingungen (Abb. 4.15) sind die Banden aber zu niedrigeren
Wellenzahlen verschoben. Damit ist belegt, dass der Coesit immer
noch unter Druck steht.
Infrared spectrum of coesite as inclusion in diamond in comparison to
a spectrum of a synthetic coesite taken in-situ in a diamond anvil cell
at 4.9 GPa. Only bands assigned to the hydrogarnet I substitution can
be observed. In comparison to spectra taken at ambient conditions
(Fig. 4.15) the bands are shifted to lower wavenumbers indicating that
the coesite inclusion is still under confining pressure.
Um den Einfluss von OH in Coesit auf die
Coesit/Quarz Transformationskinetik zu
untersuchen, wurden in-situ-Experimente
im Druck/Temperaturbereich 2,4 bis 3,0
GPa / 600 bis 950 °C an der MAX 80 im
Hamburger Synchrotronstrahlungslabor
(HASYLAB) durchgeführt. Dazu wurde
röntgenographisch die Umwandlungsrate
von OH-haltigem und OH-freiem Coesite
zu Quarz bestimmt (Abb. 4.19). Es zeigte
sich, dass bei OH-haltigen Coesiten die
Umwandung um einige Grössenordnungen
schneller geht als in OH-freien Coesiten.
Damit können wir verstehen, warum OHhaltige Coesite so selten sind. Sie überleben die Exhumierung nur, wenn sie, wie
der Coesiteinschluss im Diamant, in einem
Druckkontainer eingeschlossen sind.
295
Abb. 4.19: Sequenz von Röntgendiffraktogrammen gegen die Zeit während der Coesit-Quarz-Transformation bei 2,4 GPa und
700 °C. Die (040) und (041) Reflexe gehören zu Coesit, die (101) und (100) Reflexe
zu Quarz. (a) OH-freier Coesit; nach 16
Minuten war 80% des Coesits in Quarz
umgewandelt. (b) OH-haltiger Coesit;
nach 2,5 Minuten war 80% des Coesits in
Quarz umgewandelt.
Sequence of diffraction patterns versus time
during the phase transition coesite-quartz
at 2.4 GPa and 700 °C. The (040) and (041)
diffraction lines belong to coesite, the (101)
and (100) lines to quartz. (a) OH-free coesite; 80% conversion was reached after 16
min. (b) OH-bearing coesite; 80% conversion was reached after 2.5 min.
Bor-Isotopenfraktionierung in Subduktionszonen: Systematische Borisotopenvariation über
den kontinentalen vulkanischen Bogen der Zentralen Anden
jüngster Zeit besondere Bedeutung beigemessen. Mit
Hilfe des geochemischen Verhaltens von Bor wurde an
Vulkangesteinen der Zentralen Anden sowohl der Stofftransfer als auch eine eventuelle Fraktionierung der Borisotope während fortschreitender Subduktion untersucht.
Subduktionsprozesse an konvergenten Lithosphärenplatten haben großen Einfluß auf die stoffliche und
strukturelle Entwicklung der kontinentalen Kruste.
Insbesondere die Untersuchung der Stoffkreisläufe in
Subduktionszonen bietet die Möglichkeit Aussagen über
die Entwicklung der kontinentalen Kruste sowie über
die dynamischen Prozesse während der Subduktion
zuerhalten. Den Stoffflüssen leichter Elemente wird aufgrund ihrer speziellen geochemischen Eigenschaften in
Die Zentralen Anden stellen ein Extrembeispiel eines
Ozean-Kontinent-Subduktionssystems dar (Abb. 4.20),
das durch seine bis zu 70 km dicke kontinentale Kruste
einzigartig ist. Weil die primären Signaturen der
Subduktionsmagmen bei den meisten geochemischen
Tracern, wie z.B. Cs, Rb und den radiogenen Isotopensystemen Sr, Nd, und Pb, durch Kontamination in der
verdickten andinen Kruste teilweise oder vollständig
296
Abb. 4.20: Topographische Karte der Zentralen Anden mit den Lokationen der bearbeiteten vulkanischen Zentren
und den Tiefenkonturen der Wadati-Benioff Zone nach Cahill und Isacks (1992).
Topographic map of the study area showing the locations of volcanoes investigated and depth contours to the WadatiBenioff Zone after Cahill and Isacks (1992).
überprägt sind, wurde Bor und seine Isotopenzusammensetzung als Anzeiger für einen Stofftransfer von der
ozeanischen Unterplatte in die andine Oberplatte untersucht. Insbesondere die charakteristische Borisotopensignatur der durch Meerwasseralteration an 11B angereicherten oberen ozeanischen Kruste (δ 11B-Werte > 0 ‰),
die sich von den anderen an der Magmengenese
beteiligten Reservoiren (Mantel und kontinentale Kruste
δ 11B-Werte < 0 ‰) unterscheidet, ermöglicht es einen
eventuellen Stofftransfer zu identifizieren. Alle früheren
Studien zur Borisotopenzusammensetzung von Inselbogenvulkaniten haben sich mit Ozean-Ozean-Subduktionszonen beschäftigt, während von uns die erste systematische Untersuchung zur Borisotopenverteilung
subduktionsbezogener Vulkanite in einer Ozean-Kontinent-Subduktionszone durchgeführt wurde.
Die untersuchten quartären bis miozänen subduktionsbezogenen Laven stellen ein Profil von der vulkanischen
Front im Westen bis in den “Back-arc“-Bereich im
Osten über unterschiedlichen Tiefen der nach Osten
abtauchenden eozänen Nazca-Platte dar (vgl. Abb.
4.20). Dieses Profil ermöglicht die Untersuchung
dynamischer Prozesse während der Subduktion und der
damit einhergehenden Entwässerung der Unterplatte.
Die δ 11B-Werte und Borkonzentrationen variieren über
einen großen Bereich von -7 bis + 4 ‰ und von 6 bis 60
µg/g Bor (Abb. 4.21). Es ist deutlich zu erkennen, dass
Proben mit positiven δ 11B-Werten generell höhere Borkonzentrationen aufweisen und ausschließlich von der
vulkanischen Front stammen, wohingegen Proben mit
negativen δ 11B-Werten Borkonzentrationen generell unter
20 ppm zeigen und vornehmlich aus dem “Back-arc“Bereich stammen (Abb. 4.21). Das auffälligste Merkmal
bezüglich der Bordaten ist die systematische Variation
der δ 11B-Werte von +4 zu -7 ‰ über den andinen vulkanischen Bogen von Westen nach Osten (Abb. 4.22).
Abb. 4.21: Borkonzentrationen und δ 11B-Werte der
untersuchten andinen Inselbogenvulkanite. Der Pfeil
zeigt die Beziehung der Borkonzentrationen und δ 11BWerte in Abhängigkeit von
der Tiefe der WadatiBenioff-Zone.
Boron concentrations and
δ 11B-values of the investigated Andean arc-volcanic
rocks. Arrow highlights the
relationship between δ 11Bvalues and boron concentrations depending on the depth
of the Wadati-Benioff Zone
Abb. 4.22: Systematische
Variation der δ 11B-Werte der
untersuchten Inselbogenvulkanite mit der Tiefe der
Wadati-Beniof- Zone.
Systematic variation of δ 11Bvalues of the investigated
volcanic rocks with depth to
the Wadati-Benioff Zone.
297
Eine ähnliche Variation der δ 11B-Werte wurde schon für
drei westpazifische Ozean-Ozean-Suduktionszonen
beschrieben und konnte mit dieser Arbeit erstmals in
einer Kontinent-Ozean-Subduktionzone nachgewiesen
werden. Die positiven δ 11B-Werte der Vulkanite der
vulkanischen Front zeigen deutlich eine Beteiligung
einer 11B-reichen Komponente am Aufbau der andinen
Vulkanite, die am wahrscheinlichsten aus Fluiden der
alterierten ozeanischen Kruste der abtauchenden NazcaPlatte stammt. Diese Beobachtung macht einen alleinigen Ursprung der untersuchten Laven aus dem
Mantelkeil und der kontinentalen Kruste unwahrscheinlich und gibt erstmals einen eindeutigen Hinweis auf
einen Stofftransfer von der ozeanischen Nazca-Platte in
die andine Oberplatte. Der Trend zu systematisch negativeren δ 11B-Werten von der vulkanischen Front zum
“Back-arc“ wird als Resultat einer Borisotopenfraktionierung, einhergehend mit einer stetigen Abnahme
der Fluidkomponente und einer relativ konstanten
krustalen Kontamination, interpretiert.
Die Borisotopenfraktionierung zwischen Mineral und
Fluid während der Entwässerung der subduzierenden
Unterplatte wurde mit einer Rayleigh-Fraktionierung
und neuen experimentellen Daten zur Fraktionierung
der Borisotope während der prograden Bildung von
Schichtsilikaten (Smektit-Illit), die Hauptträger von Bor
in der alterierten ozeanischen Platte sind, modelliert
(Abb. 4.23). Die kalkulierte Isotopenfraktionierung
entspricht dem theoretisch angenommenen Verlauf. Das
entwässernde Fluid hat zu Beginn der Subduktion einen
δ 11B-Wert von ca. +35 ‰. Mit steigender Temperatur
entwässern bei einem exponentiellen Verlauf Fluide mit
zunehmendem Anteil von 10B. Dieser Fraktionierungseffekt beruht auf der koordinationsabhängigen Verteilung der Borisotope in Mineral und Fluid, wobei 11B
den trigonalen B(OH)3-Komplex im entwässernden Fluid
bevorzugt und 10B dadurch im “Subduktionsrestit“ der
ozeanischen Platte angereichert wird.
Durch eine Kombination des Borisotopenfraktionierungsmodells mit einem Temperaturmodell der ANCORP Working Group (1999) für die Zentralen Anden wurde aus
der Tiefenlage der Wadati-Benioff-Zone unter den jeweiligen Probenlokalitäten die Temperatur am Übergang
der Nazca-Platte zum Mantelkeil bestimmt. Mit dieser
Information konnten die gemessenen Borisotopen-Zusammensetzungen der andinen Vulkanite in das Fraktionierungsmodell eingebaut werden. Weil die δ 11B-Werte
der andinen Vulkanite sehr gut mit der modellierten
thermischen Entwicklungslinie des Subduktionszonenfluides übereinstimmen, liegt die Vermutung nahe, daß
das Borbudget von Inselbogenvulkaniten bis in den
“Back-arc“-Bereich von Bor aus Subduktionszonenfluiden der ozeanischen Platte domi-niert wird. Die
positive Korrelation der δ 11B-Werte mit der reziproken
Temperatur unterstützt die Interpretation, dass die δ 11BVariation in den Anden von der temperaturabhängigen
Borisotopenfraktionierung während der Entstehung
des Subduktionsfluides bestimmt wird.
Bisher wurde dieses systematische Verhalten damit erklärt, dass es sich
nur um eine Mischung
zwischen einer Subduktionsfluidkomponente, die
über das gesamte Profil
eines vulkanischen Bogens eine konstante Borisotopenzusammensetzung aufweist und die der
subduzierten Platte am
Beginn der Subduktion
entspricht, und einer
Mantelkomponente handeln könnte.
298
Unser Daten und unser
Fraktionierungsmodell
legen indes nahe, dass die
Fraktionierung der Borisotope während der Entwässerung der Unterplatte ein genereller Prozess
in Subduktionszonen ist
11
Modelled B-isotope fractionation between slab-fluid and slab-restite as a function of und die δ B-Werte subtemperature: δ 11B-values of slab-fluid (blue solid line) and the slab-restite (green dashed duktionsbezogener Vulline) were calculated for different temperature increments using the Rayleigh fractiona- kanite entscheidend mitbestimmt.
Demnach
tion model. Inset shows the linear correlation of our δ 11B data vs. 1000/T.
Abb. 4.23: Modellierte Borisotopenfraktionierung zwischen Subduktionsfluid und
“Subduktionsrestit“ als Funktion der Temperatur: δ 11B-Entwicklungslinen des
Subduktionsfluides (blaue Line) and des “Subduktionsrestites“ (grüne gestrichelte Linie)
wurden mit einem Rayleig- Fraktionierungsmodell für die einzelnen
Temperaturinkremente kalkuliert (für Detailinformationen siehe Rosner et al. (2003)).
Das Diagramm rechts oben zeigt die positive Korrelation unserer δ 11B-Daten mit
reziproker Temperatur.
müssen die δ 11B-Werte von Inselbogenvulkaniten nicht
notwendigerweise Unterschiede in der primären Zusammensetzung der subduzierten ozeanischen Platte
reflektieren, vielmehr dokumentieren sie den dynamischen Prozess der Borisotopenfraktionierung während
der Subduktion.
Die Borisotopenfraktionierung während der Subduktion
hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Vulkanite der vulkanischen Bögen, sondern
bestimmt ebenso die Borisotopie der tief in den Mantel
subduzierten ozeanischen Platte. Die negativen δ 11BWerte von ca. -10 ‰ für Ozean-Insel-Basalt-Magmen
reflektieren möglicherweise die Beteiligung eines durch
Borisotopenfraktionierung an 10B angereicherten “Subduktionsrestits“.
Fluidentmischung und der magmatisch-hydrothermale Übergang: Ein Schlüssel zum Verständnis von Schmelzen und Fluiden in der Erdkruste
Eine quantitative Interpretation der mit Magmatismus
verbundenen Energie- und Stoffumsätze in der Erdkruste setzt ausreichende Kenntnisse über die thermodynamischen und physikalischen Eigenschaften von Mineral-, Fluid- und Schmelzphasen unter geologischen
Bedingung sowie über Elementverteilungen zwischen
den Phasen voraus. Nirgends ist unsere Wissenslücke
über fundamentale Phasenbeziehungen und stoffliche
Eigenschaften grösser als zum Übergangsbereich
Schmelze - hydothermale Lösung , der für viele Prozesse wie z.B. die Entstehung vulkanischer Gase oder
die Bildung von Lagerstätten wichtiger Wertmetalle verantwortlich ist. Handelt es sich dabei um einen kontinuierlichen oder diskontinuierlichen Übergang von
hochpolymerisierten Silikatschmelzen zu wässrigen
Lösungen? Die Vorstellungen darüber gehen in der Literatur weit auseinander. Bei dem klassischen Modellansatz für die Bildung von Pegmatiten wird z.B. die
Koexistenz einer nicht-mischbaren Silikatschmelze und
einer wässrigen Lösung vorausgesetzt. Über die exakten
Löslichkeitsgrenzen sowie die chemische Zusammensetzung und Zustandsfunktionen der beteiligten Phasen
ist allerdings sehr wenig bekannt. Andere Autoren
stellen dieses Modell mit der Begründung in Frage, dass
hohe Anteile volatiler- und semi-volatiler Komponenten
in der Schmelze den kritischen Punkt herabsetzen und
eine Fluidentmischung verhindern würden. Konsequenz
dieser Vorstellung ist, dass hochkonzentrierte SalzWasser-Silikatlösungen (sog. Salzschmelzen) bis in
Temperaturbereiche von nur wenigen hundert Grad existieren müssen. Der Bedarf an verlässlichen experimentellen Daten über Phasengleichgewichte in komplex zusammengesetzten Silikatschmelz-Fluidsystemen ist daher entsprechend gross.
Fortschritte durch neue Experimentiertechniken
Das Verhalten volatil-reicher Silikatschmelzen in der
Nähe ihrer kritischen Drücke und Temperaturen zu
studieren, ist eine sehr anspruchsvolle und reizvolle
Aufgabe, die neue experimentelle und analytische
Verfahren benötigt. Klassische Methoden der experimentellen Petrologie versagen hier, weil die Produkte
der Experimente nicht „quenchbar“, d.h. bei Raumtemperatur und -druck nicht mehr stabil sind. Ein Lösungsweg bietet der Einsatz der hydrothermalen Diamantstempelkammer (HDAC). Diese Apparatur, die seit 1998
am GFZ eingesetzt wird, ermöglicht die optische und
Raman- bzw. Infrarot-spektroskopische Untersuchung
der beteiligten Phasen bei hohen Drücken und
Temperaturen (bis ca. 900 °C und 1 GPa). Es lassen sich
mit der HDAC Phasenübergange bei krustalen P-TBedingungen erstmals direkt beobachten und Eigenschaften der Phasen auch in situ messen. Durch Einsatz
der HDAC konnte z. B. gezeigt werden, dass unter
hohem Druck eine Silikatschmelze mit Wasser in beliebigen Verhältnissen mischbar ist (Bureau und Keppler,
1999). Dieser experimentelle Hinweis des superkritischen Verhaltens im System Schmelze-Wasser war ein
wichtiger Fortschritt, jedoch wird der ermittelte Druck
in der oberen Erdkruste nicht erreicht. Durch den Zusatz
von Fluor, Natrium und Bor können die erforderlichen
Drücke erheblich herabgesetzt werden.
Einen ersten Beweis, dass in natürlichen, volatil-reichen
Magmen überkritische Bedingungen für H2O und Silikatschmelze möglich und für geologische Prozesse von
Bedeutung sind, konnte am GFZ mit Hilfe von Einschlussuntersuchungen an pegmatitischen Magmatiten
erbracht werden (Thomas et al., 2000). Diese Untersuchungen zeigten, dass das System beim Abkühlen zur
Entmischung zweier Schmelzphasen neigt und dass sich
die entmischenden Phasen bezüglich der Elementverteilung sehr unterschiedlich verhalten (Abb. 4.24).
Dieses Ergebnis war nur möglich weil am GFZ neue
analytische Verfahren wie z. B. die Laser-Ramanspektroskopie insbesondere zur Bestimmung von H2O und B
in Schmelz- bzw. Fluideinschlüssen weiterentwickelt
werden konnten.
Wir setzen neben der HDAC auch einen sog. „rapidquench“-Autoklaven ein, um die Phasenbeziehungen in
synthetischen, Volatil-reichen Granitsystemen experimentell zu bestimmen und die Elementverteilung zwischen den beteiligten Phasen zu untersuchen. Die Wahl
der chemischen Zusammensetzung und des zu untersuchenden P-T-Bereichs wird von Beobachtungen an
natürlichen Schmelzeinschlüssen geleitet, wodurch die
geologische Relevanz der Ergebnisse gewährleistet
wird. Durch diese Arbeiten erbrachten wir den ersten
experimentellen Nachweis von drei koexistierenden,
nicht-mischbaren Fluiden unter geologisch relevanten
Bedingungen (Veksler et al., 2002). Die Abb. 4.25 zeigt
ein solches Experiment in der Diamantstempelkammer.
Wir sehen, dass Silikatschmelze, “Salzschmelze” und
wässrige Lösung stabil koexistieren.
299
Abb. 4.24: Beispiel von koexistierenden Silikat-reichen und
Wasser-reichen Schmelzeinschlüssen in Quarz aus dem
Pegmatit Ehrenfriedersdorf
(Sachsen). Das Diagramm zeigt
den durch Einschlussuntersuchungen ermittelten Solvus und
die Einschlussfotos veranschaulichen die beiden Schmelztypen
„A“ und „B“ nach Rehomogenisierung bei 650 °C und 100
MPa.
Coexisting silicate- and waterrich melts included in quartz
from the Ehrenfriedersdorf pegmatite (Saxony). The diagram
shows the polybaric solvus
determined by homogenization
experiments and the photos
illustrate the two melt phases
“A” and “B” after quench from
650 °C and 100 MPa.
Abb. 4.25: Experimenteller Nachweis für drei koexistierende, nicht-mischbare Fluide im synthetischen B-,
P- und F-reichen Pegmatitsystem. Das Bild (oben) zeigt
eine Momentaufnahme des Systems in der HDAC-Zelle
bei 810 °C und 0,4 GPa. Die beteiligten Phasen werden
in der Skizze (unten) gekennzeichnet.
Experimental proof of three coexisting, immiscible fluids in a synthetic B-, P- and F- rich pegmatite. The
photo (top) shows an experiment in the HDAC cell at
810 °C and 0.4 GPa. The phases are identified in the
sketch below.
300
Diese sogenannte „Salzschmelze“ ist an gelösten Stoffen
hochkonzentriert (ca. 30 Gew.-% H2O, 70 Gew.-% gelöste Salze) und besitzt eine im Vergleich zur Silikatschmelze niedrigere Dichte und Viskosität. Die Salzschmelze ist sehr mobil und besitzt ein hohes Stofftransportvermögen. Daher ist sie vermutlich von grosser
geologischer Bedeutung, nicht nur im Endstadium der
magmatischen Entwicklung (Lagerstättenbildung und
Vulkangase), sondern auch für Prozesse bei der fluidgesteuerten Schmelzbildung in der Kruste oder in
Subduktionszonen. Der erste experimentelle Nachweis
von Salzschmelzen wurde zwar in Systemen mit hohen
Konzentrationen von Bor, Phosphor und Fluor erbracht,
die in der Natur nur bei hochentwickelten Graniten und
Pegmatiten erreicht werden. Neue systematische Experimente zeigten allerdings, dass koexistierende Silikatund Salzschmelzen auch in weit weniger „exotischen“
Stoffsystemen erwartet werden können, so auch in „simplen“ Quarz-Feldspat-Pegmatiten ohne nennenswerte
Anreicherungen an F, Cl oder B (Abb. 4.26).
Abb. 4.27: Die Tendenz zur Schmelzentmischung in
Wasser-freien binären Silikat-Oxid-Systemen wird von
der Ladungsdichte der Netzwerk-modifiziernden Kationen bestimmt. Gezeigt ist die Korrelation der kritischen
Temperatur der Solvi und das Verhältnis Ladung zu
Ionenradius nach Hess (1995).
Abb. 4.26: Schematische Projektion der Mischbarkeitsgrenzen im einfachen System Haplogranit-Na2O-H2O
bei 700 °C und 100 MPa (nach Trufanova und Gluk,
1986). Unten: Nachweis von Schmelzentmischung in
diesem System nach einem Experiment im „RapidQuench“-Autoklav bei 770 °C, 100 MPa. Das Bild zeigt
einen in granitischem Glas (L1) eingeschlossenen
„Tropfen“ aus nicht-mischbarer Na-reicher Schmelze
(L2) und Wasser-reichem Fluid (V)
Schematic projection of the miscibility gap in the granite – Na2O – H2O system at 750 °C and 100 MPa (from
Trufanova and Gluk, 1986). The microphotograph below
gives experimental proof of 3-phase unmixing in this
system (rapid-quench autoclave, 770 °C, 100 MPa). A
globule of Na-hydrosilicate glass (L2) coexisting with
water-rich fluid (V), both set in a matrix of granitic aluminosilicate glass (L1).
Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Tendenz
zur Entmischung und Bildung von Salzschmelzen im
wesentlichen von der Ionenstärke der im Silikatnetzwerk gebundenen Kationen (Abb. 4.27) sowie vom Verhältnis dieser Kationen zu Aluminium abhängt. Schmelzentmischung tritt in peralkalinen Systemen (Na+K>Al)
bevorzugt auf. Der Zusatz einer Volatilkomponente, wie
F, Cl, CO3 und BO3 kann die Entmischung fördern, ist
aber keine notwendige Bedingung dafür.
Effects of network-modifying cations on liquid immiscibility in dry silicate systems. The diagram shows the
critical temperatures of two-melt solvi in metal oxide –
silica binaries as a function of the charge-radius ratio of
the cations, from Hess (1995).
Bestimmung der Elementverteilung
Es bestehen noch erhebliche Probleme bei der quantitativen Bestimmung der Elementverteilung zwischen den
Schmelz- und Fluidphasen, nicht nur wegen ihrer geringen Größe sondern auch wegen ihrer Instabilität bei
Raumbedingungen. Wir waren bereits erfolgreich mit
der Entwicklung und Anwendung der Zentrifugenautoklav-Technik, die eine effektive Trennung nichtmischbarer Phasen bei hohen Temperaturen und
Drücken ermöglicht. Nach der Separation können die
Phasen mit konventionellen oder auch neu entwickelten
mikroanalytischen Methoden untersucht werden.
Zur Zeit wird intensiv an Methoden für die in-situElementbestimmung in der HDAC-Apparatur gearbeitet.
In Kooperation mit dem HASYLAB in Hamburg wird
die Synchrotron-Röntgenfluoreszenzanalyse für Spurenelementbestimmung in der HDAC optimiert. Parallel
dazu wird, zusammen mit Prof. A. Anderson (Antigonish University, Canada), ein neues Verfahren entwickelt, das es ermöglichen soll die fluiden Phasen während eines HDAC-Experiments zu extrahieren und
anschließend mit ICP-MS zu analysieren.
301
Cl/Br und δ37Cl Fraktionierung in magmatischen und hydrothermalen Fluiden.
Hochsalinare Lösungen (brines) spielen in vielen Lagerstätten-bildenden Prozessen eine bedeutende Rolle. Dies
ist nicht verwunderlich, da in wässrigen Lösungen viele
Metallionen als Chloridkomplexe transportiert werden,
wobei schon Lösungen mit einer relative geringen
Salinität erhebliche Mengen an Metallen transportieren
können. Die Untersuchung der Herkunftsbereiche des
Chlors in wässrigen Lösungen ist daher eine wichtige
Vorraussetzung für das Verständnis mineralbildender
Prozessen in der Erdkruste.
Hochsalinare Lösungen können in verschiedenen geologischen Milieus gebildet werden:
(1) Abtrennung von Fluiden aus einem kristallisierenden Magma („magmatic brines“)
(2) Verdunstung von Meerwasser und der damit verbundenen Abscheidung von Salz, wobei die residuale wässrige Lösung in Brom angereichert wird
(„bittern brines“)
(3) Lösung von Halit (Steinsalz) durch Wasser („NaCl
brines“) sowie
(4) Dehydration chloridischer Lösungen bei metamorphen Prozessen in der Erdkruste („metamorphic
brines“).
302
Die ursprüngliche chemische und isotopische Zusammensetzung eines brine kann bei der Migration durch
krustale Gesteine und damit verbundenen Wasser/
Gestein Wechselwirkungen wesentlich und schnell
verändert werden. Man unterscheidet daher zwischen
konservativen und nicht-konservativen Komponenten
und „tracern“ in wässrigen Lösungen. Chlor und Brom
sind die am besten bekannten konservativen
Komponenten in einem brine, d.h. die Komponenten,
die die ursprüngliche Zusammensetzung eines brines
widerspiegeln; δD und δ37Cl sind konservative „tracer“.
Daher werden die Cl/Br-Verhältnisse in Fluiden dazu
genutzt die Herkunftsbereiche von brines zu charakterisieren. So haben z.B. brines, deren Salzfracht aus der
Auflösung von Salzen herrührt ein hohes Cl/BrVerhältnis, während brines, die durch Evaporation von
Meerwasser entstanden sind, ein niedrigeres Cl/BrVerhältnis als Meerwasser aufweisen.
Seit einigen Jahren wird das Verhältnis der stabilen
Isotope des Chlors, 35Cl und 37Cl (ausgedrückt als δ37Cl)
als zusätzlicher konservativer „tracer“ verwendet. Die
δ37Cl Werte von Salzen aus Evaporiten und Fluideinschlüssen in Mineralen aus Mississippi-Valley-TypeBlei-Zink und Porphyry-Copper-Lagerstätten variieren
geringfügig um etwa ±1‰ im Vergleich zum Meerwasserstandardwert von 0‰. Die Untersuchung von
Flüssigkeitseinschlüssen in diversen Mineralsationen
innerhalb sedimentärer Becken führt zu vergleichbaren
Ergebnissen (Abb. 4.29).
Abb. 4.29: δ 37Cl-Cl/Br Diagramm von Flüssigkeitseinschlüssen in Quarzen und Fluoriten aus Mineralisationen in sedimentären Becken. Das blaue Feld deckt den
Bereich von δ 37Cl Werten für brines ab, die durch Verdunstung von Meerwasser oder durch Auflösen von Evaporiten gebildet werden können.
δ 37Cl-Cl/Br diagram of fluid inclusions in Quartz and
Fluorite from mineralizations in sedimentary basins.
The blue field covers the range of δ 37Cl of brines which
are produced by precipitation of sea water or by dilution
of evaporites.
Ein weiterer wichtiger Prozess, der zur Bildung von
brines führen kann ist die Phasenseparation hydrothermaler Lösungen. Tiefzirkulierende, hochthermale
Fluide können beim Aufstieg auf Störungszonen durch
die Erdkruste oder ozeanische Kruste in Druckbereiche
gelangen wo sie auf die 2-Phasengrenze (Flüssigkeit/
Dampf) stoßen, wobei sich eine niedrig salinare
Gasphase von der wässrigen Phase trennt (Abb. 4.30).
Die chemische Zusammensetzung der durch die Phasenseparation entstandenen Gasphase und flüssigen Phase
unterscheidet sich deutlich von der chemischen Zusam-
Abb. 4.30: Wässrige und gasreiche Flüssigkeitseinschlüsse in Quarz aus einer epithermalen Ag-Mineralisation, Creede, Colorado, USA. Die zeitgleiche Bildung
beider Einschlusstypen ist auf Phasenseparation der
hydrothermalen Lösung zurückzuführen.
H2O- and gasrich fluid inclusions in quartz from an epithermal Ag-mineralization, Creede, Colorado, USA. The
simultaneous formation of both inclusion types can be
explained by a phase separation of the hydrothermal fluid.
mensetzung des ursprünglichen Fluids. Ionische Bestandteile (z.B. Na+, Cl-) haben eine große Affinität für
die wässrige Phase, so dass sich die Na/Cl, K/Na usw. Verhältnisse in der flüssigen Phase nicht wesentlich
gegenüber den Verhältnissen im Ausgangsfluid ändern.
Neutrale Säuren, Basen sowie neutrale Komplexe (z.B.
NaCl0) und gelöste Gase hingegen wandern bevorzugt in
die Gasphase.
Kommt es bei dem Prozess der Phasenseparation zum
Absatz hydrothermaler Minerale können gleichzeitig
wässrige als auch gasreiche Flüssigkeitseinschlüsse in
diesen Mineralen gebildet werden (Abb. 4.31). Erfolgt
die Mineralbildung zu einem späteren Zeitpunkt werden
zumeist oder ausschließlich wässrige, salinare
Flüssigkeitseinschlüsse gebildet, da die Gasphase bereits aus dem hydrothermalen System entwichen ist.
Die Untersuchung von Flüssigkeitseinschlüssen in hydrothermalen Mineralen, deren Lösungen eine Phasen-
separation durchlaufen haben, erbrachte neue Ergebnisse zur Fraktionierung von Chlor Isotopen. Es konnte
erstmals nachgewiesen werden, dass die Phasenseparation magmatischer als auch hydrothermaler brines eine
deutliche Fraktionierung der Chlor Isotope bewirkt, die
mit einer Fraktionierung der Cl/Br -Verhältnisse korreliert ist (Abb. 4.32).
Flüssigkeitseinschlüsse in Zinkblende aus rezenten
marinen Hydrothermalsystemen (Jade-Feld, NordFidschi-Becken) haben positive δ37Cl -Werte wobei die
Einschlüsse mit den positivsten δ37Cl -Werten grundsätzlich die niedrigsten Cl/Br -Verhältnisse aufweisen.
Gasreiche Einschlüsse treten in diesen Proben nicht auf.
Die Regressionsgerade für die Proben aus dem JadeFeld verläuft durch den Meerwasser-Wert, so dass die
Vermutung nahe liegt, dass das Ausgangsfluid für die
Mineralisation tiefzirkulierendes Meerwasser war, das
in der ozeanischen Kruste aufgeheizt worden ist. Die
Proben aus dem Nord-Fidschi-Becken wurden ebenfalls
aus erhitztem Meerwasser abgeschieden, wobei jedoch
eine Zumischung magmatischen Chlors nicht ausgeschlossen werden kann.
Flüssigkeitseinschlüssen in Quarzproben aus einer
gangförmigen Quarz-Antimonit-Mineralisation im spanischen Pyritgürtel beinhalten hingegen neben wässrigen Flüssigkeitseinschlüssen auch gasreiche Einschlüsse. Die wässrigen Flüssigkeitseinschlüsse weisen
wiederum positive δ37Cl -Werte auf während die
Untersuchung der gasreichen Einschlüsse negative δ37Cl
303
Abb. 4.31: Zweiphasengrenze einer hydrothermalen
Lösung mit Meerwassersalinität im Temperatur-Druck
(hydrostatisch) -Diagramm. Infolge von Druckentlastung kann eine auf Störungen aufsteigende hydrothermale Lösung eine vollständige oder partiellen Phasenseparation durchlaufen wobei sich eine niedrig-salinare
Dampfphase von der Lösung abtrennt. Die Salinität der
residualen fluiden Phase wird dadurch erhöht.
2-phase boundary of a hydrothermal fluid with sea water
salinity in the p-T diagram. Due to pressure release during uplift a hydrothermal fluid can be completely or
partially separated into its phases. The salinity of the
residual fluid phase will be increased.
Abb. 4.32: δ 37Cl-Cl/Br -Diagramm vulkanischer Gase
und Flüssigkeitseinschlüssen in Mineralen aus magmatischen und hydrothermalen Mineralisationen. Die
gestrichelten Linien sind die Regressionsgraden für
nicht kontaminierte Proben und liefern Hinweise zu den
Herkunftsbereichen der Fluide. Die extreme Fraktionierung der δ 37Cl -Werte und der Cl/Br -Verhältnisse resultiert aus der Phasenseparation der mineralbildenden
Lösungen.
δ 37Cl-Cl/Br diagram of volcanic gases and of fluid
inclusions in Minerals from magmatic and hydrothermal
mineralizations. The dashed lines represent the regression lines for non-contaminated samples. The extreme
fractionation of δ 37Cl and of Cl/Br ratios results from
the phase separation of the mineral forming fluids.
-Werte ergab. Auch hier liegt eine gute Korrelation von
δ37Cl -Werten und Cl/Br -Verhältnissen vor: die Probe
mit dem negativsten δ37Cl Wert hat das höchste Cl/Br
Verhältnis, die Probe mit dem positivsten δ37Cl Wert das
niedrigste Cl/Br Verhältnis (Abb. 4.32).
Eine Vielzahl von untersuchten vulkanischen Gasen
zeigt ebenfalls eine gute Korrelation der δ37Cl -Werte
und den Cl/Br -Verhältnissen jedoch ist das Cl/Br Verhältnis gegenüber dem hydrothermaler Fluid deutlich erhöht. Dies ist möglicherweise auf Unterschiede
bei der Fraktionierung der Gasphase aus einer Schmelze
gegenüber der aus einer flüssigen Phase zurückzuführen. Die positiven δ37Cl -Werte und die Cl/Br Verhältnisse wässriger Flüssigkeitseinschlüsse in Quarzen, die aus magmatischen brines kristallisierten, fallen
ebenfalls nahe an die Regressionsgerade für die meisten
der untersuchten vulkanische Gase. Die Gasproben, die
dem Meerwasser-Wert ähneln, sind vermutlich durch
Wasserdampf (Meerwasser) kontaminiert (Abb. 4.32).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die
Phasenseparation von Fluiden eine extreme Fraktionierung der Chlorisotope und Cl/Br-Verhältnisse bewirkt,
wobei der Verlauf der Regressionsgeraden Hinweise auf
die Quelle der ursprünglichen Fluide liefert. Somit
lassen sich Fluide magmatischen Ursprungs von hydrothermalen Fluiden unterscheiden oder Lösungsmischungen erkennen, wie am Beispiel des Nord-FidschiBeckens gezeigt werden kann.
Vorhersage von Erdölphase und -Zusammensetzung
304
Die Mechanismen, Effekte und Migrationswege anhand
derer Erdöl vom Muttergestein zu den Reservoiren
gelangt sind noch relativ unerforscht. Neueste Ergebnisse zeigen allerdings, dass das Phasenverhalten der
generierten Fluide eine äußerst bedeutsame Rolle in
dem sich anschließenden Fraktionierungsverhalten
spielt. Neben petrophysikalischen Parametern sowie
Temperatur und Druckgradienten sind vor allen Dingen
die Zusammensetzung und das Phasenverhalten der
Kohlenwasserstoffe mitentscheidend für die Fördervoraussage (Production Forecast) und damit die Wirtschaftlichkeit einer Lagerstätte. Grundlage hierfür
bieten Tiefenproben oder auch Testergebnisse (PVTDaten), die in älteren Explorationsgebieten in der Regel
in umfangreichen Datenbanken dokumentiert sind und
für die Entwicklung neuer Felder genutzt werden können. In Frontier-Explorationsgebieten jedoch beruhen
solche Voraussagen der Fluideigenschaften auf konzeptionellen Modellen und Datenextrapolationen. Um das
Risiko eines Misserfolgs zu minimieren, ist die Richtigkeit dieser Vorhersagen gerade im Vorfeld größerer
Bohrkampagnen von enorm hoher wirtschaftlicher
Bedeutung. Eine wichtige Möglichkeit, um das Phasenverhalten auch in solchen Gebieten zu bestimmen, ist
die Anwendung neuster Beckenmodellierungssoftware,
in die PVT-Simulatoren und kompositionelle kinetische
Modelle integriert werden können.
Im Rahmen des Industrie-Partnerschaft-Programms des
GFZ Potsdam wird innerhalb des Projektes „Vorhersage
von Erdölphase und Zusammensetzung“ die Rolle des
Muttergesteins bei der Kohlenwasserstoffzusammensetzung und das Phasenverhalten der generierten Fluide
untersucht. Ziel des Forschungsprojektes ist es, eine
Methodik zur Bestimmung des Phasenverhaltens aus
künstlichen Aufheizexperimenten im Labor (Pyrolyse)
zu entwickeln, um anschließend daraus eine kompositionelle Kinetik für die Beckenmodellierung abzuleiten.
Bisherige kinetische Untersuchungen (Vandenbroucke
et al., 1999) sowie im Rahmen dieser Studie durchgeführte Testexperimente haben gezeigt, dass nur mittels
geschlossener Pyrolyseexperimente und insbesondere
der MSSV-Pyrolysetechnik (Horsfield et al., 1989) die
in der Natur ablaufenden Prozesse wirklich sinnvoll
rekonstruiert werden können. Die so erhaltenen kinetischen Modelle werden schließlich auf die von Reservoiringenieuren genutzten PVT-Datenformate abgestimmt
und auf natürliche Erdölfunde geeicht. Um die Ergebnisse der MSSV-Pyrolyse in das PVT-Datenformat zu
überführen, wurde insbesondere auf die korrekte
Ermittlung des Molekulargewichtes und der Dichte der
C7+ -Fraktion Wert gelegt. Gerade diese Parameter
haben entscheidenden Einfluß auf die Phaseneigenschaften.
Von den beteiligten Industriepartnern ConocoPhillips,
ENI, Norsk Hydro, Petrobras, Shell und Statoil wurden
zu diesem Zweck umfangreiche Datensätze zur Verfügung gestellt. Diese umfassten unreife Muttergesteine
verschiedener Kerogentypen für die künstlichen Reifeexperimente und Fluide einer Reifesequenz sowie umfangreiche PVT-Datensätze. Die PVT-Daten wurden
zunächst im regionalen und geologischen Kontext interpretiert. Bisherige regionale Studien haben bereits
gezeigt, dass solche Daten entscheidende Hinweise für
die Aufsuchung von Erdöl und Erdgas liefern können (di
Primio, 2002). Die ersten Ergebnisse unserer Untersuchungen bestätigen das enorme Potential von PVTDaten zur organisch-geochemischen Charakterisierung
von Fluiden. Das Phasenverhalten von Fluiden kann
neben einer Vielzahl weiterer Parameter mit Hilfe von
Phasendiagrammen sowie dem Gas- zu Öl-Verhältnisses
(GOR) beschrieben werden. Ein solches p,T-Diagramm
ist für die fünf wichtigsten Reservoirfluide beispielhaft
in Abb. 4.33 dargestellt.
Die Kurvenzüge kennzeichnen jeweils den berechneten
Sättigungsdruck in Abhängigkeit von der Temperatur.
Oberhalb der Kurvenzüge, die die Phasengrenzen
markieren, ist nur eine Phase beständig, unterhalb besteht das System aus zwei Phasen. Um ein solches
Phasendiagramm zu erhalten, müssen Berechnungen
mit Hilfe einer entsprechenden Simulationssoftware (z.
B. PVTsim V.12 der Firma Calsep) durchgeführt werden. Mit fortschreitender Produktgenese ergeben sich
kontinuierliche Veränderungen des Phasenverhaltens. In
dem für diese Untersuchungen relevanten Bereich der
Erdöle zeigt der kritische Punkt eine Verschiebung in
Bereiche hoher Drücke und niedriger Temperaturen.
Dieses Verhalten ist typisch für Geneseprodukte eines
Ergebnisse der MSSV-Pyrolyseexperimente zeigen
erhebliche Unterschiede in der Zusammensetzung für
unterschiedliche Muttergesteinstypen. Sehr gute Übereinstimmungen ergaben sich für die Zusammensetzung,
Molekulargewichte und Dichten der C7+-Fraktion. Erhebliche Differenzen aber wurden für den Bereich der
gasförmigen Kohlenwasserstoffe, insbesondere beim
Methan beobachtet. Muttergesteine der Heather-Formation (Typ III-Kerogen) sind bereits bei relativ geringen
Reifegraden in der Lage große Mengen Methan zu generieren. Dagegen wurde die Generierung großer Methanmengen bei den Typ II-Muttergesteinen erst im Bereich
des sekundären „Crackens“ von Öl zu Gas beobachtet.
Speziell die Lösung dieser Problematik ist Ziel der weiteren Untersuchungen.
Abb. 4.33: Die fünf Reservoirfluide; nach McCain
(1990).
The five reservoir fluids
Muttergesteins mit zunehmender Reife und geht außerdem mit einem Anstieg des GOR einher. Dieses
Verhalten kann auch durch die MSSV-Pyrolysexperimente im Labor simuliert werden wie dies in Abb. 4.34
exemplarisch für ein Muttergestein aus der Duvernay
Formation (Westkanadisches Becken) gezeigt ist.
Abb. 4.34: Phasendiagramme für die MSSV-Produkte
aus der Duvernay-Formation.
Phasediagrams for the MSSV products of the Duvernay
formation.
Diese Entwicklung zeigt, dass das Phasenverhalten
natürlicher und künstlicher Produkte grundsätzlich
miteinander vergleichbar ist. Bei einer Heizrate von 0,1
K/min führt die Zunahme der Pyrolysetemperatur zu
einer ebensolchen Verschiebung des kritischen Punktes.
Die berechnete Vitrinitreflexion (Ro) gilt als Maß für die
Reife des organischen Materials. PVT-Daten sind aber
ebenso geeignet um Alterationsprozesse im Reservoir,
wie z. B. die Überarbeitung von Erdölvorkommen durch
Bakterien (Biodegradation) aufzuzeigen. Generell
zeichnen sich biodegradierte Öle durch ein höheres
Molekulargewicht und geringe Mol-% im Bereich der
gasförmigen C3-n-C5 -Kohlenwasserstoffe aus.
Weiterhin können die hier durchgeführten Studien auch
dazu benutzt werden um z. B mittels Beckenmodellierung die natürliche Emissionen von Methan aus Sedimentbecken als Funktion der geologischen Zeit zu
bilanzieren.
Makromoleküle in Erdölen als geologische
Marker tiefer Ablagerungsräume
Riesige Mengen organischen Materials sind als Zeugen
der erdgeschichtlichen Faunen- und Florenvielfalt in
Sedimenten erhalten geblieben. Dieses Material kann
wichtige Informationen über palaeo-klimatische und geographische Bedingungen liefern. Nur ein Teil des
organischen Materials bleibt tatsächlich in Sedimenten
erhalten und wird hier zu 90% von makromolekularen
Strukturen - dem Kerogen - dominiert. Mit der Aufheizung im Zuge der Absenkung sedimentärer Systeme
werden diese Makromoleküle in verschiedene Molekülfraktionen umgewandelt und migrieren als Erdöl und
Erdgas in flachere, besser erforschbare Bereiche sedimentärer Systeme (Abb. 4.35). Die Struktur des makromolekularen organischen Materials bleibt bei diesen
Prozessen teilweise erhalten und bildet in den Erdölen
die Fraktion der Asphaltene. Diese Fraktion zeigt eine
gewisse Übereinstimmung mit dem sedimentären organischen Material aus dem es gebildet wurde, so dass sich
sowohl Strukturmerkmale (geologische Marker) als
auch deren Umwandlungseigenschaften ableiten lassen.
In Erdölreservoiren und Oberflächenaustritten (Seeps)
stellen sie also eine Form geologischen Archivs tiefer
unerforschter Sedimentationsräume dar.
Wir versuchen die makromolekulare Fraktion in Erdölen
auf geologische und geochemische Marker hin zu untersuchen. Entgegen konventioneller Studien an Erdölen,
gilt unser Interesse nicht der Auffindung fossiler
Energieträger sondern der Vielzahl an Informationen
über tiefe Sedimente, die in den Erdölasphaltenen enthalten ist. Wir konzentrieren uns dabei im wesentlichen
auf passive Kontinentalränder. Sowohl die Ablagerungsbedingungen in der Prä-Riftphase als auch die
Entwicklung in der Post-Riftphase sind hier von herausragender Bedeutung. Ihre Rolle im weltweiten Kohlenstoffzyklus ist wesentlich von der Qualität des organis-
305
Abb. 4.35: Erforschung tiefer Sedimente im Bereichen passiver Kontinentalränder. Erdölproben aus flachen Akkumulationen stehen zu Verfügung, Asphaltene als makromolekulare Fraktion werden isoliert und untersucht um Eigenschaften tiefer Sedimente besser erfassen zu können.
Research of deep sediments in passive continental margins.
306
chen Materials und seiner thermischen Stabilität im
geologischen Untergrund abhängig. Kern unserer Forschung ist deshalb die thermische Zersetzung von Erdölasphaltenen im Labor und die Entwicklung von Modellen,
welche geologische und geochemische Informationen
miteinander verknüpfen können. Reaktionskinetische
Modelle sind hier von besonderer Bedeutung, da sie als
Bindeglied zwischen den schnellen Prozessen bei der
Simulation der Umwandlungsprozesse im Labor und
den langsamen geologichen Prozessen fungieren können. So konnte gezeigt werden, dass die Umwandlung
von Erdölasphaltenen in marinen schwefelarmen Systemen weitgehend mit den Muttergesteinscharakteristika
übereinstimmt. Dagegen enthalten Erdölasphaltene aus
schwefelreichen Muttergesteinen nur die initiale Phase
der Umwandlung schwefelreichen organischen Materials in den Sedimenten und eigenen sich insbesondere
flache, relativ oberflächennahe Umwandlungsprozesse
(<2000 m) zu erfassen.
Unter Anwendung komplexer geochemischer Pyrolyseverfahren ist es darüber hinaus gelungen die Bildung
verschiedener Kohlenwasserstoffklassen, insbesondere
auch von Gas, entlang der geologischen Zeitachse zu
rekonstruieren. Hier konnte gezeigt werden, dass die
migrierten Asphaltene aus den Erdölen eine genau Rekonstruktion der Gasbildung aus nicht verfügbaren
Sedimenten erlauben.
Wird die Forschung an Erdölasphaltenen mit seismischen Tiefenprofilen und der numerischen Beckensimu-
lationen gekoppelt, lassen sich regionale Faziescharakteristika tieferer Regionen bestimmen. Die Bildung von
Gas und sein Potential unter bestimmten Voraussetzungen
bis an die Erdöberfläche zu migrieren, ist dabei von
übergreifendem Interesse.
Grundlage unserer Untersuchungen sind gute erforschte
Sedimentbecken. Diese fungieren in unseren Projekten
als natürliche Labore und erlauben die Kalibration der
Vorhersagen an natürliche Abläufe und ihre erfolgreiche
Anwendung auf unerforschte Gebiete.
Abb. 4.36 zeigt die Ergebnisse aus Strukturuntersuchungen an Makromolekülen mariner Öle aus dem Westkanadischen Sedimentbecken. Aus der charakteristischen Verteilung der n-Alkyketten in den Pyrolyseprodukten lassen sich marine Ablagerungsbedingungen für
die relevanten Sedimente aus den Erdölasphaltenen
ableiten. Daneben zeigt sich in den Zersetzungsprodukten
der Asphaltene eine spezielle Verbindung namens
1.2.3.4-TMB (Tetramethylbenzol). Diese Verbindung,
die relativ selten in sedimentärem organischen Material
zu finden ist, zeugt von der Existenz spezieller Bakterienkulturen – photosyntetisierender grüner Schwefelbakterien – welche während der Ablagerung des organischen Materials vor mehr als 300 Millionen Jahren aktiv
waren. Daraus lässt sich eine relative geringe Palaeowassertiefe und episodisch suboxische Bedingungen für
das organische Material in den entsprechenden Sedimenten ableiten.
Abb. 4.36: Pyrolyse Gaschromatogram zeigt die n-Alkylkettenverteilung aus den Resten mariner Lebensformen.
1.2.3.4-TMB als geologischer Marker für die Aktivitiäten bakterieller Kulturen während der Ablagerung dieser
Sedimente können ebenfalls in den Pyrolyseprodukten der Erdölasphaltene identifiziert werden. Reaktionskinetische
Parameter (Aktivierungsenergieverteilung und Frequenzfaktor) sind ebenfalls in der Abbildung gezeigt und helfen
die Umwandlungsrate des sedimentären organischen Materials in unerforschten Ablagerugsräumen vorherzusagen.
Mechanismen des anaeroben mikrobiellen
Kohlenwasserstoff- und Erdölabbaus
Biologischer Abbau von Erdöl und Erdgas in Lagerstätten ist von großer wirtschaftlicher Bedeutung und spielt
eine wichtige Rolle im biogeochemischen Kohlenstoffund Schwefelkreislauf. Die Vorkommen an biodegradierten Schwerölen in nur zwei Erdölsystemen in
Kanada und Venezuela übersteigen die nachgewiesenen
konventionellen Reserven um ein Mehrfaches. Der
Einfluss der Biodegradation auf die Zusammensetzung
und damit auf die Eigenschaften von Erdöl ist empirisch
gut dokumentiert, die zugrundeliegenden Mechanismen
sind jedoch bislang nur sehr unzureichend verstanden.
Biologischer Abbau führt zur Erhöhung der Dichte, der
Viskosität und der Gehalte an organischen Säuren,
Schwefel, und Metallen. In der Konsequenz sind biodegradierte Erdöle schwieriger zu produzieren und verarbeiten, haben einen geringeren ökonomischen Wert und
weisen erheblich größere ökologische Probleme auf.
Erdöllagerstätten sind ein außergewöhnliches Habitat
der tiefen Biosphäre in geologischen Systemen. Kohlenwasserstoffe als potenzielle mikrobielle Kohlenstoffund Energiequellen sind praktisch unbegrenzt verfüg-
bar. Die Limitierung mikrobieller Aktivität muss daher
durch andere geologische und geochemische Faktoren
bestimmt werden. Allgemein wird davon ausgegangen,
dass die Temperatur eine wichtige Rolle spielt. Biodegradation wird in der Regel nicht in tiefen Lagerstätten bei Temperaturen oberhalb von 80 °C beobachtet.
Der wichtigste Faktor ist jedoch vermutlich die begrenzte Verfügbarkeit von Elektronenakzeptoren für die
mikrobiellen Respirationsprozesse. In jüngerer Zeit
setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass
Sauerstoff als Elektronenakzeptor in Erdöllagerstätten
keine Rolle spielt.
Aerober Kohlenwasserstoffabbau ist bereits seit Anfang
des vorigen Jahrhunderts bekannt. Aerobe Bakterien
nutzen den Sauerstoff nicht nur als Elektronenakzeptor,
sondern auch als Kosubstrat bei der Aktivierung der
reaktionsträgen Kohlenwasserstoffsubstrate für den
weiteren oxidativen Abbau. Aus diesem Grund wurde
die Fähigkeit anaerober Mikroorganismen zum oxidativen Abbau von Kohlenwasserstoffen lange Zeit grundsätzlich in Frage gestellt. In den letzten 15 Jahren wurde
jedoch eine große Vielfalt denitrifizierender, eisenreduzierender, sulfatreduzierender und methanogener
Mikroorganismen aus unterschiedlichen geologischen
307
Habitaten isoliert, die Kohlenwasserstoffe und teilweise
auch Erdöl unter anaeroben Bedingungen als alleinige
Kohlenstoff- und Energiequelle verwerten (zum Überblick siehe Widdel und Rabus, 2001).
Experimentelle Untersuchungen mit solchen Organismen und reinen Kohlenwasserstoffen oder Erdöl als
Substraten haben es jetzt erstmals ermöglicht, einen
plausiblen Abbauweg für n-Alkane unter anaeroben
Bedingungen vorzuschlagen (Rabus et al., 2001, Wilkes
et al., 2002, 2003; siehe Abb. 4.37). n-Alkane sind die
Hauptbestandteile konventioneller nicht-biodegradierter
Erdöle. Sowohl denitrifizierende als auch sulfatreduzierende Bakterien sind demnach in der Lage, diese
Erdölbestandteile unter Ausschluss von Sauerstoff vollständig zu Kohlendioxid zu oxidieren. Neuste Untersuchungen zeigen, dass mesophile und thermophile sulfatreduzierende Bakterien, die aus Sedimenten des
Guaymas-Beckens im Golf von Kalifornien isoliert wurden, die gasförmigen n-Alkane Propan und n-Butan auf
diese Weise abbauen können. Das Abbaupotenzial
solcher Mikroorganismen ist jedoch nicht auf n-Alkane
beschränkt, sondern umfasst auch Cycloalkane (Wilkes
et al., 2003) und Alkylbenzole (Kniemeyer et al., 2003).
308
Suche nach Spuren mikrobiellen Lebens in den
Tiefen der Erde – molekulare „Life Marker“
Die Entdeckung von mikrobiellem Leben in, vom
menschlichen Standpunkt aus gesehen, extremen
Lebensräumen, wie z.B den Polarregionen der Erde,
hypersalinen Seen, der Tiefsee, heißen Quellen und im
tiefen Untergrund der Erde führte in den letzten Jahren
zu der Erkenntnis, dass die Grenzen für Leben auf
unserem Planeten sehr viel weiter gesteckt werden
müssen, als bisher angenommen. Studien, wie die von
Parkes et al. (2000), haben gezeigt, dass mikrobielles
Leben bisher, wenn auch mit abnehmender
Konzentration der Zellanzahl, bis in Teufen von 1000 m
nachgewiesen werden konnte. Unser Ziel ist die
Charakterisierung dieser mikrobiellen Lebensgemeinschaften (Bakterien, Archaeen) mit molekular organisch-geochemischen Mitteln. Gleichzeitig soll deren
Aktivität, Häufigkeit sowie die Anpassung an „extreme“
Habitate (hohe Drücke und Temperaturen) untersucht
werden. Eine besondere Rolle kommt dabei der extremen Substratlimitierung zu, die den größten Einfluss
auf Wachstumsraten und Spezies-Charakter haben
dürfte. Die für diese Studien ausgewählten Sedimente
Abb. 4.37: Vorgeschlagener genereller Weg für den anaeroben Abbau von n-Alkanen. Das n-Alkan (1) reagiert
an Kohlenstoffatom 2 in einem Radikalmechanismus mit
Fumarat zu (1-Methylalkyl)succinat (2), das dann mit
HSCoA (Koenzym A, CoA) zu (1-Methylalkyl)succinat
(3) aktiviert wird. Letzteres unterliegt einer Kohlenstoffgerüstumlagerung (Wasserstoff-Carboxyl-CoA-Austausch), die zu (2-Methylalkyl)malonyl-CoA (4) führt
und eine nachfolgende Decarboxylierung zu 4-Methylalkanoyl-CoA (5) erlaubt. Dieses wird durch konventionelle â-Oxidation weiter oxidiert, wobei als Intermediate unter anderem 2-Methylalkanoyl-CoA (6), Propionyl-CoA (nicht gezeigt) und Acetyl-CoA (CH3COSCoA ) auftreten. Propionyl-CoA könnte zu Fumarat
recycelt werden (Details nicht gezeigt; für weitere
Informationen siehe Wilkes et al., 2002) und Acetyl-CoA
wird zu CO2 oxidiert (Details nicht gezeigt).
Proposed generalised pathway for the anaerobic degradation of n-alkanes. The n-alkane (1) reacts at carbon2 in a radical mechanism with fumarate yielding a (1methylalkyl)succinate (2) which is then activated with
HSCoA (coenzyme A, CoA) to (1-methylalkyl)succinylCoA (3). The latter undergoes carbon skeleton
rearrangement (hydrogen-carboxyl-CoA exchange)
yielding (2-methylalkyl)malonyl-CoA (4) that allows
decarboxylation to 4-methylalkanoyl-CoA (5). This is
further oxidised via conventional b-oxidation, yielding
intermediates such as 2-methylalkanoyl-CoA (6), propionyl-CoA (not shown) and acetyl-CoA. Propionyl-CoA
could be recycled to fumarate (details not shown; for
further information see Wilkes et al., 2002), and acetylCoA is oxidised to CO2 (details not depicted).
stammen aus den unterschiedlichsten marinen (verschiedene Fahrten des internationalen Tiefseebohrprogramms
ODP, Ocean Drilling Program), lakustrinen (Baikalsee,
Aralsee) und terrestrischen (Mallik-Bohrung, Mackenzie River Delta, Nord-Kanada) Ablagerungsräumen.
Die aufbereiteten Sedimentproben werden mittels sensitiver Methoden (gekoppelte Flüssigkeitschromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS), Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) auf molekularer
Ebene detailliert untersucht. Insbesondere die Suche
nach intakten Membranlipiden (i.e.S. Phospholipide)
von Mikroorganismen steht im Mittelpunkt unserer
Untersuchungen. Diese Lipide eignen sich in besonderem Maße als Indikatoren für lebende Biomasse, da
sie nach dem Absterben der Zellen sehr schnell abgebaut
werden (White et al., 1997).
Im Rahmen des ODP konnten erstmals vor der Küste
Japans im Nankai-Graben mehrere Bohrungen speziell
im Hinblick auf sowohl mikrobielle als auch molekulare
Fragestellungen beprobt werden (Leg 190). In den 15
Millionen Jahre alten organisch-armen Sedimenten aus
bis zu 750 m Teufe (Temp. ca. 47 °C) und Temperaturen
von bis zu 84 °C (Teufe 500 m) konnten verschiedene
intakte Phospholipide und Lysophospholipide (Phosphatidyl-ethanolamine und -choline) als potentielle
„Life Marker“ für Prokaryoten in allen drei Bohrungen
nachgewiesen werden (Zink et al., 2003). Erhöhte
Konzentrationen an Bakterienpopulationen werden aufgrund hoher Bioproduktivität und z.T. hoher Methangehalte in den Sedimenten der ODP Leg 201 und 204
vermutet. Erste Analysen von Proben des Leg 201
zeigen Anreicherungen von vorläufig als Phosphatidyletherlipide bestimmte Komponenten, die vermutlich
von Archaeen stammen, im Vergleich zu den sehr niedrigen Signalen von estergebundenen Phosphatidylglycerolen (Abb. 4.38). Dagegen wurden bis jetzt keine signifikanten Mengen intakter mikrobieller Lipide in
Sedimenten des Leg 204 (zwischen 27 und 170 mbsf)
detektiert. Ein Zusammenhang zwischen den stark
wasserbindenden Gashydraten und benachbarten ausgetrockneten Sedimentlagen könnte dabei bestehen, da
ohne wässrige Phase keine mikrobielle Aktivität möglich ist.
Auch in den terrestrischen Sedimenten der Mallik 5L-38
Gashydratbohrung konnten bis zu einer Tiefe von
1063 m intakte mikrobielle Membranlipide nachgewiesen werden. Die Besonderheit dieser Bohrung ist neben
einer Permafrostzone von 0 bis 650 m insbesondere eine
Gashydratzone von 890 bis 1110 m. Wie bereits in marinen Ablagerungsräumen nachgewiesen, in denen mikrobielle Konsortien aus Archaeen und Bakterien Gashydrate als Nahrungs- und Energiequelle nutzen (AOM:
Anaerobe Oxidation von Methan, Boetius et al., 2000),
309
Abb. 4.38: Massenspektren (LC-MS, Retentionszeit 1,42 bis 1,72 min) von intakten mikrobiellen Lipiden in
Sedimentkernen aus zwei Teufen, Site 1230, ODP Leg 201, Peru/Chile. Detektierte Massen von m/z 543 bis 689:
ethergebundene Lysophosphatidylglycerole; Massen von m/z 844 bis 942: noch nicht identifizierte intakte ethergebundene Lipide; Massen von m/z 707 bis 747: intakte estergebundene Phospholipide (PG – Phosphatidylglycerole).
Mass spectra (LC-MS, retention time 1,42 to 1,72 min) of microbial lipides in sedimentcores of ODP Leg 201, site
1230, Peru/Chile. Masses with m/z 543 - 689: etherbased Lysophospateidylglycerole; m/z 844 - 942: not yet identified etherbased lipides; m/z 707 - 747: etherbased phospolipides (PG - Phospateidylglycerole)
Abb. 4.39: LC-MS/MS-Massenspektrum eines Phosphatidylethanolamins, detektiert in 1.049 m tiefem Sediment der
terrestrischen Mallik 5L-38 Gashydratbohrung, Mackenzie River Delta, Kanada.
LC-MS/MS mass spectrum of phosphateidylethanolamin found in sediments of the terrestrial Mallik 5l-38 gashydrate research well, Mackenzie River Delta, Canada, from a depth of 1049 m
stellen die Gashydrate der Mallik-Bohrung eine potentielle Kohlenstoff- und Energiequelle für mikrobielles
Leben in Tiefen dar, in denen andere Substratquellen
kaum verfügbar sind. In den tiefliegenden MallikSedimenten der Gashydratzone wurde neben Phospholipidestern hauptsächlich Lipidsignale detektiert, die
anhand ihrer Massenspektren als Lysophospholipidether
interpretiert werden können.
310
Etherlipide sind indikativ für Archaeenvergesellschaftungen und können damit auf die Existenz von methanogenen (Methanproduzenten) oder sogar methanotrophen
(Methankonsumenten) Gemeinschaften hindeuten.
Aufschluss über einen direkten Zusammenhang zwischen diesen mikrobiellen Lipidsignalen und der MallikGashydratzone sollen in Zukunft Kohlenstoffisotopenmessungen einzelner Lipidbiomarker ergeben. In
Kooperation mit Mikrobiologen werden außerdem aus
tiefen Sedimenten isolierte mikrobielle Kulturen systematisch untersucht, um den Einfluss dort lebender Organismen auf die Biosphäre besser verstehen zu können.
Dynamik des Zentraleuropäischen Beckensystems
Ein besseres Verständnis der Faktoren, die die Dynamik
des intrakontinentalen Zentraleuropäischen Beckensystems steuern, war auch in diesem Berichtszeitraum ein
zentrales Forschungsziel. Zu den Untersuchungen des
NO-deutschen Beckens kamen neue Arbeiten zum
Polnischen Becken und schließlich des gesamten
Beckensystems. Die Studien sind in den DFGSchwerpunktprogramm „Sedimentbeckendynamik“
eingebettet und entstanden in Zusammenarbeit mit polnischen und dänischen Kollegen. Das Zentraleuropäische Beckensystem erstreckt sich von der südlichen
Nordsee über die Niederlande, Dänemark und Norddeutschland bis nach Polen und besteht aus drei großen
Teilbecken, dem Dänischen, dem Norddeutschen und
dem Polnischen Becken. Die Entwicklung dieser IntraPlatten-Becken war entscheidend durch tiefkrustale
Strukturen beeinflußt. Insbesondere NW-S0 streichende
und damit parallel zu den Hauptbeckenachsen verlaufende Störungssysteme, die Sorgenfrei-TeysseireTornquist Zone im Norden und das Elbe-Störungssystem im Süden, sowie die Randstörungen des Ringkøbing-Fyn-Hochs wurden im Laufe der Beckengeschichte wiederholt reaktiviert (Abb. 4.40). Eine
zweite Familie von Störungen strukturiert die großen
Grabenstrukturen, die sich im Mesozoikum senkrecht zu
den Rändern des Beckensystems entwickelt haben. Um
die Interaktion dieser Strukturelemente sowie die Zeit
zu verstehen, wurde ein 3D-Strukturmodell des gesamten Beckensystems entwickelt, das die Analyse der
regionalen Absenkungsgeschichte, der strukturellen
Entwicklung und der unterschiedlichen Krusteneigenschaften erlaubt. Das Modell integriert fünf permischkänozoische Sedimentschichten sowie die Mächtigkeit
der Kruste unterhalb des Perms.
Die Teilbecken des Zentraleuropäischen Beckensystems
weisen seit dem Perm ähnliche Absenkungsmuster auf,
obwohl sie auf unterschiedlichen Krustenblöcken
angelegt sind. Auf Vulkanismus und lokale Subsidenz an
der Wende Karbon/Perm folgte thermische Subsidenz in
NW-SO gerichteten Becken während Perm und Trias
(Abb. 4.41, 4.42). In der späten Trias erfolgte eine
Umgestaltung des Beckensystems mit +/- N-S-gerichteten Gräben und Trögen als Hauptdepozentren. Im
späten Jura traten wieder NW-SO gerichtete Subsidenzzentren, nun allerdings in den Randbereichen der ehemaligen Permbecken auf. Die Gesamtmächtigkeit der
oberpermisch bis unterkretazischen Sedimente (Abb.
4.42) zeichnet entsprechend sowohl Ablagerungsräume
mit NW-SO als auch mit N-S gerichteten Achsen nach.
An der Wende Kreide/Känozoikum wurden vor allem
die beckenrandlichen Bereiche entlang der Tornquist-
Abb. 4.40: Blick auf die beleuchtete Tiefenlage der PräPermoberfläche im Modell des Zentraleuropäischen
Beckensystem mit den Hauptstrukturelementen: Das
Beckensystem wird durch die Sorgenfrei -TeysseireTornquist Zone (STZ, TTZ) im Norden und das ElbeStörungssystem im Süden begrenzt. Das RingkøbingFyn -Hoch trennt das Dänische Becken vom Norddeutschen und Polnischen Becken. Dazwischen entstanden der Central-Graben (CG), der Hor- Graben
(HG) und der Glückstad- Graben (GG) senkrecht zu den
Hauptbeckenachsen.
View on the modelled pre-Permian surface (lit from
above) in the Central European Basin System showing
the major structural elements: The basins system is
framed by the Sorgenfrei -Teysseire- Tornquist Zone
(STZ, TTZ) in the north and by the Elbe Fault System in
the south. The Ringkøbing-Fyn-High separates the
Danish Basin from the North German and the Polish
Basin. In between, the Central Graben (CG), the Horn
Graben (HG) and the Glückstadt Graben (GG) developed perpendicular to the main basin axes.
Abb. 4.41: Die Mächtigkeit des sedimentären Rotliegend zeigt stärkste Subsidenz in NW-SO gerichteten
„Südlichen Permbecken“ (Norddeutsches und Polnisches Becken) während kaum Sedimente im „Nördlichen Permbecken“ (Dänisches Becken) abgelagert wurden.
The thickness distribution of the sedimentary Rotliegend
(Lower Permian) indicates strongest subsidence in the
NW-SE oriented “Southern Permian Basin” whereas
sedimentation in the “Northern Permian Basin” is of
minor importance. Compiled from: NE German Basin:
Scheck & Bayer 1999; Polish Basin: Lamarche et al.,
2003; other areas: Plein, 1978; Ziegler, 1990;
Bachmann and Hoffmann, 1997;Lockhorst et al., 1998,
NW European Gas Atlas.
Compiled from: NE German Basin: Scheck & Bayer
1999; Polish Basin: Lamarche et al 2003; other areas:
Lockhorst et al., 1998, NW European Gas Atlas,
Vejbaek, 1997.
Zone und entlang des Elbe-Störungssystems invertiert,
was sich im heutigen Strukturbild der Oberkreidebasis
bemerkbar macht (Abb. 4.43). Die inversionsbedingte
Deformationslokalisierung erfasste diejenigen Bereiche
am stärksten, unterhalb derer die geophysikalischen
Eigenschaften der tieferen Kruste auf das Vorhandensein von Schwächezonen hinweisen. Im Känozoikum
schließlich sanken weite Teile des Beckensystems erneut
ab, wobei sich das Hauptsubsidenzzentrum in die zentrale Nordsee verlagerte. Während der permisch-känozoischen Geschichte wurden bis zu 12 km überwiegend
klastischer Sedimente abgelagert. Eine Ausnahme bildet
das bis zu 2.500 m mächtige permische Zechsteinsalz,
dessen Mobilisierung die Beckenentwicklung ebenfalls
maßgeblich beeinflusst hat.
311
Abb. 4.42: Die berechnete Gesamtmächtigkeit Zechstein
bis Unterkreide zeigt zwei Arten von Beckenachsen, die
auf unterschiedliche tektonische Phasen hinweisen.
The calculated thickness of Upper Permian (Zechstein)
to Lower Cretaceous sediments shows two types of
depocentral axes indicating different tectonic phases
during this interval.
NW-SE: Danish Basin, North German Basin, Polish
Basin as well as the smaller Sole Pit Basin (SPB), Broad
Fourteens Basin (BFB), Lower Saxony Basin (LSB),
Subhercynian Basin (SHB). N-S: Central Graben (CG),
Horn Graben (HG), Glückstadt Graben (GG).
Abb. 4.43: Die modellierte Tiefenlage der Oberkreidebasis im Zentraleuropäischen Beckensystem zeigt herausgehobene, Blöcke mit NW-SO streichenden Strukturachsen (blaue Linien) entlang der südlichen und
nördlichen Beckenränder, im östlichen Bereich des
Ringkøbing-Fyn-Hochs, sowie entlang der Beckenachse
des Polnischen Beckens. Diese Inversion wird auf
regionale, alpin induzierte Kompression an der Wende
Kreide/Tertiär zurückgeführt.
The modelled Base Upper Cretaceous in the CEBS
shows uplifted blocks with NW-SE striking axes along
the northern and southern margins of the basin system,
along the RFH as well as along the axis of the Polish
Basin (Mid-Polish Swell). This inversion is related to
alpine-induced compression in Late Cretaceous/Early
Tertiary.
312
In den letzen Jahren wurden 3D-Strukturmodelle einzelner Teilbecken mit unterschiedlicher Auflösung entwickelt. Dem Modell des gesamten Zentraleuropäischen
Beckenssystems gingen detaillierte 3D-Modelle des
NO-deutschen Beckens (Scheck and Bayer, 1999) und
des Polnischen Beckens (Lamarche et al., 2003) voraus.
Die Modelle der Teilbecken erlauben eine unabhängige
Untersuchung der dort abgelaufenen Prozesse und den
direkten Vergleich der einzelnen Becken, um regional
wirksame Faktoren abzugrenzen. Dabei zeigten sich
sowohl Gemeinsamkeiten als auch signifikante Unterschiede, die in der Variation von physikalischen Eigenschaften der unterlagernden Kruste bedingt sind. So enthalten alle Teilbecken Zechsteinsalz, das im Mesozoikum
mobilisiert wurde und eine Vielzahl von Salzstrukturen
ausbildete. Dieser Vorgang beeinflusste nicht nur die
Absenkungsgeometrie erheblich, sondern führte auch zu
einer tektonischen Entkopplung der post-permischen
Deformationen im Liegenden und Hangenden der
Salzschicht. Ein Verständnis der damit verbundenen
Prozesse im NO-deutschen und polnischen Teilbecken
war deshalb ein weiterer Forschungsschwerpunkt der
letzten Jahre.
Abb. 4.44: Die modellierte Tiefenlage der Tertiärbasis
weist auf eine radikal veränderte Absenkungsdynamik
während des Känozoikums im Zentraleuropäischen
Beckensystem hin. Die tiefsten Depressionen sind N-S
orientiert, während NW-SO gerichtete Elemente von
untergeordneter Bedeutung sind. Das Hauptdepozentrum liegt in der zentralen Nordsee außerhalb der permisch-mesozoischen Beckenstrukturen. Vierecke bezeichnen die Lage der detaillierten Teilmodelle des NOdeutschen und des polnischen Beckens
The modelled depth of the Base Tertiary indicates a radical change in subsidence regime in the Central European Basin System during the Cenozoic. Deepest
depressions strike N-S and the main depocentre is shifted north into the Central North Sea and thus outside the
Permo-Mesozoic basin structures. Rectangles delineate
the location of detailed models of the NE-German and
Polish basins.
Neue Ergebnisse aus dem NE-deutschen Becken
Das 3D-Strukturmodell des NO-deutschen Beckens
wurde genutzt, um die Salzdynamik dieses Teilbeckens
zu untersuchen. Dazu wurde eine Methode entwickelt,
die ein 3D-Backstripping mit Salz-Rückdeformation
ermöglicht (Scheck et al. 2003). Ausgehend von der
heutigen Salzverteilung wurden schrittweise die
Deckschichten weggenommen, das Salz entsprechend
der veränderten Last im Hangenden umverteilt und ein
isostatischer Ausgleich durchgeführt. Dabei wurden
rekonstruierte Mächtigkeiten der Salzdeckschichten
berücksichtigt. Zusätzlich wurden reflektionsseismische
Daten interpretiert, um mit einer zweiten, von der
Modellierung unabhängigen Methode, die Dynamik der
Salzbewegung zu untersuchen. Wichtigstes Ergebnis
dabei war, dass Phasen der Salzbewegung zeitlich mit
tektonischen Phasen korrelieren(Abb. 4.45).
Abb. 4.45: Rekonstruierte Mächtigkeitsverteilungen des
Zechsteinsalzes nach 3D-Backstripping: Die wichtigsten
Phasen der Salzbewegung korrelieren zeitlich mit spättriassischer Extension und mit spätkretazischer Kompression. Während der Extensionsphase entstand ein
NNO-SSW gerichteter Trog in den Salzdeckschichten,
dessen Subsidenz durch Salzabwanderung unterhalb
des Trogs und Salzaufstieg an den Trogflanken begleitet
war. Während der Kompressionsphase kam es zur
Faltung der Salzdeckschichte,n begleitet von Salzwanderung in die Sattelkerne und Salzabwanderung aus den
Muldenbereichen.
Reconstructed thickness distributions of the Zechstein
salt from 3D backstripping: The major phases of salt
movement correlate temporally with Late Triassic extension and with Late Cretaceous compression. During
extension, formation of a NNE-SSW directed trough in
the salt cover was accompanied by salt withdrawal
below the trough and by salt rise along the flanks of the
trough. During compression, folding of the salt cover
went along with salt migration into the cores of anticlines and salt removal from the synclines.
Das Polnische Becken
Das Polnische Becken hat sich seit dem Perm direkt
oberhalb der Teisseyre-Tornquist-Zone (TTZ) entwickelt. Klassische Konzepte der Beckenentwicklung sind
deshalb auf dieses Becken nur begrenzt übertragbar.
Vielmehr scheint die Heterogenität der unterlagernden
Kruste eine Schlüsselrolle für die Lokalisierung von
Subsidenz und Inversion zu spielen. Entlang der TTZ
grenzt die präkambrische Kruste der Osteuropäischen
Plattform an die paläozoische Kruste Mitteleuropas, was
sich in einer Änderung geophysikalischer Krusteneigenschaften (Geschwindigkeit der Unterkruste, Krustenmächtigkeit) bemerkbar macht (Guterch et al., 2002).
Das entwickelte 3D-Strukturmodell des Polnischen
Beckens (Lamarche et al., 2003) integriert diese
Informationen und setzt sie in Zusammenhang zur internen Architektur des Beckens (Abb.4.46). Der
Sedimentanteil des Modells ist in 13 Schichten permisch bis känozoischen Alters aufgelöst, die die
Absenkungsmuster durch die Zeit wieder spiegeln.
Herausragendes Merkmal ist dabei eine konsistent NWSO streichende Strukturachse oberhalb der TTZ entlang
derer sowohl die intensivste permo-triassische Absenkung
Abb. 4.46: Die Tiefenlagen der Basis Känozoikum (a),
der Basis Kreide (b) und der Basis Zechstein (c) im 3DModell des Polnischen Beckens illustrieren die tektonische Entkopplung durch das Zechsteinsalz.
Depth of the base Cenozoic (a), base Cretaceous (b),
and base Zechstein (c) in the Polish Basin model illustrating the tectonic decoupling due to the presence of
Zechstein salt.
erfolgte als auch die stärkste Hebung in der spätkretazischen Inversionsphase. Zusätzlich treten NNO-SSW
streichende Transferstörungen auf, die das Becken in
drei große Blöcke zerlegen. In den Bereichen, wo
Zechsteinsalz abgelagert wurde, kam es zu dessen
Mobilisierung ab der Trias, wobei hier wie auch im NOdeutschen Becken eine tektonische Entkopplung durch
das Salz zu beobachten ist.
Genese und Migration stickstoffreicher Erdgase
im Norddeutschen Becken
Das Norddeutsche Becken ist Teil der Mitteleuropäischen Senke, die vor allem in karbonischen und permischen Speichergesteinen große Erdgaslagerstätten
aufweist. Die Gase wurden zum großen Teil aus den
Oberkarbon Kohlen und Corg-reichen marinen Tonsteinen generiert. In England, den Niederlanden und in
Niedersachsen sind diese Erdgase reich an Methan.
Neben Methan treten aber auch Nicht-Kohlenwasserstoffe wie CO2, H2S und N2 auf, deren Gehalte über die
313
Ökonomie der Förderung entscheiden. Die Kenntnis der
Genese, Migration und Akkumulation dieser Gase liefert
einen wichtigen Beitrag bei der Exploration von Gaslagerstätten.
Im nordostdeutschen Teil der mitteleuropäischen Senke
nimmt der Stickstoffgehalt der Erdgaslager extrem zu.
So finden sich Gaslagerstätten mit bis zu 90 % N2. Die
Frage nach der Herkunft des Stickstoffs ist trotz intensiver Forschung noch nicht gelöst. Da sich der Eintrag
von Luftstickstoff ausschließen lässt, verbleiben drei
generelle Erklärungsmöglichkeiten der Generierung:
1. aus sedimentären organischem Material während der
Diagenese
2. aus Sedimenten während der Diagenese und Metamorphose und
3. Mantelentgasungen.
Im Rahmen des SPP1135 der DFG werden im Projekt
MI 708 in Zusammenarbeit mit der BGR und dem GZG
die Wechselwirkungsprozesse zwischen organischer
Substanz, Illiten und Fluiden in tonigen Sedimenten des
Karbons der mitteleuropäischen Senke untersucht. Um
die Generierungsprozesse von Stickstoff aus Sedimenten zu evaluieren, werden die mineralogische Zusammensetzung, die Stickstoff- und Ammoniumgehalte sowie deren Isotopenverhältnisse bestimmt und Einschlussuntersuchungen durchgeführt.
Abb. 4.47: Dünne kohlige Lagen aus dem Namur des
Nordostdeutschen Beckens zeigen neu gebildete NH4reiche Illite mit mehr als 0,5 % N (Foto A. Kronz,
Universität Göttingen) in ehemaligen Zellstrukturen.
Thin coal layers fraom the Namur of the Norteastern
German Basin show newly formed NH4-rich illites with
more than 0,5 % N .
Primär ist Stickstoff in Sedimenten zum größten Teil in
organischer Substanz gebunden.
314
Die biologische und thermische Zersetzung der organischen Substanz während der Ablagerung und Diagenese
der Sedimente führt zur Freisetzung von anorganischen
Stickstoffkomponenten. Hier liegt die erste Quelle der
Stickstoffgenerierung. Freigesetztes Ammonium (NH4+)
kann aufgrund seines ähnlichen Ionenradius für Kalium
(K+) in authigen gebildeten Illiten eingebaut werden.
Abb. 4.47 dokumentiert NH4-reiche Illite als Neubildung in kohligen Lagen des Namurs.
So fixiert kann der Stickstoff in tiefe Beckenbereiche
abgesenkt werden. Abgekoppelt von der Methanbildung
wird dieser Stickstoff erst zu einem späteren Zeitpunkt,
aufgrund thermischer oder hydrothermaler Prozesse,
freigesetzt. Das entspricht dem zweiten Prozess der
Stickstoffgenerierung. Ein schematischer Stickstoffkreislauf illustriert Fixierung und Freisetzung in
Abbildung 4.48.
Präpermische Ton- und Siltsteine des Nordostdeutschen
Beckens zeigen Gesamtstickstoffgehalte zwischen 500
bis 3000 ppm. Bei höher diagenetisch überprägten
Proben liegt der Gehalt an anorganisch fixiertem
Stickstoff bei über 60 %. Besonders hohe Gehalte an
fixiertem anorganischem NH4+-N finden sich in den
Tonsteinen und Tonschiefern des Namur. Sie liegen bei
durchschnittlich 1000 ppm und zeigen δ15N Isotopenverhältnisse um +3 ‰. Die über 2000 m mächtigen
namurischen Schichten des Nordostdeutschen Beckens
haben somit ein hohes N-Fixierungs- und Speicherungspotential. Im Beckenzentrum indizieren hohe δ15N-
Abb. 4.48: Schematischer Stickstoffkreislauf in der
Lithosphäre
Schematic Nitrogen-cylce ni the lithosphere.
Werte von über +6 ‰ und sehr niedrige NH4+-N-Gehalte
von ~600 ppm eine bedeutende Mobilisierung des als
NH4+ gebundenen Stickstoffs aus den hoch maturen
namurischen tonigen Sedimenten. Dieser Stickstoffverlust führt zu einer relativen Anreicherung von 15N im
Gestein und daraus resultierenden schwereren Isotopenverhältnissen. Kalkulationen über Rayleighfraktionierung belegen eine bevorzugte Freisetzung des Stickstoffs aus den namurischen tonigen Sedimenten in Form
von NH3. Dieser mobilisierte Stickstoff migrierte innerhalb des Karbons hauptsächlich als NH3/NH4 und wurde
erst in den Gesteinsfolgen des Rotliegenden zu N2 oxidiert. Dies kann auch anhand der Ergebnisse von FluidEinschlussuntersuchungen belegt werden.
In Kluftmineralisationen und diagenetischen Zementen
des Karbons konnten CH4- und CO2-haltige Gaseinschlüsse nachgewiesen werden, N2 tritt hier nur in Spuren auf. Dagegen lassen sich in Kluftmineralisationen
innerhalb des Rotliegenden im Nordostdeutschen
Becken Gaseinschlüsse mit variierenden N2-CH4-Gehalten und nur noch Spuren von CO2 nachweisen. Abb.
4.49 zeigt einen N2 -reichen Einschluss in einem QuarzHämatitgang innerhalb eines permischen Quarzporphyrs. Interessant sind hierbei die deutlich geringeren
rekonstruierten Bildungsdrücke der N2 Einschlüsse im
Vergleich zu den CO2-CH4-Einschlüssen in karbonischen
Sedimenten. Die niedrigen Bildungsdrücke zum Zeitpunkt der Einschlussbildung deuten auf eine erhebliche
Stickstoffmigration während der Beckeninversion hin.
Unsere Daten stützen die Hypothese der Stickstoffgenerierung im Norddeutschen Becken aus einem „anorganischen Tiefenstickstoff“. Während die Fixierung
und Speicherung dieses Stickstoffs parallel zur KWGenerierung erfolgte, fand die Mobilisation, Migration
und Akkumulation jedoch zu einem späteren Zeitpunkt
und unter anderen Konditionen statt.
DOBREflection-2000, eine beispielhafte Inversionsstruktur
Das reflektionsseismische Profil DOBREflection-2000
war ein multinationales Projekt im südlichen Teil des
Pripyat-Dniepr-Donets Beckens, Ukraine, mit Beteiligungen aus der Ukraine (Ukrgeophyzica), Deutschland
(Univ. Hamburg, GFZ-Potsdam, Univ. Kiel), den Niederlanden (FU Amsterdam, Univ. Utrecht) und Dänemark (Univ. Kopenhagen). Die Lage der seismischen
Linie in Bezug zu den regionalen tektonischen Strukturen zeigt Abb. 4.50.
Vor DOBREflection gab es nahezu keine tiefenseismischen Linien im südlichsten invertierten Bereich des
Pripyat-Dnieper-Donets Beckens, während die oberflächennahen Strukturen bis ca. 1000m durch den im
Donbas betriebenen intensiven Kohlebergbau sehr gut
erkundet waren. Entsprechend wurde das seismische
Experiment mit einer Länge von 133 km geplant und
umfasste den Bereich vom Azov Massif des
Ukrainischen Schildes durch den zentralen Bereich des
Beckens bis nahe zu dessen nordöstlichem Rand. Das
Experiment wurde 2001 durch Ukrgeofizika bis an die
russische Grenze fortgesetzt. Die Datengewinnung
Abb. 4.49: Charakteristischer N2-Einschluß (blauer Kreis)
in einem Quarz-Hämatitgang eines alterierten Rotliegendporphyrs einer norddeutschen Tiefbohrung. Das
Ramanspektrum zeigt eine Gaszusammensetzung von
mehr als 95 % N2 und < 5 % CH4.
Characteristic N2-inclusion (blue circle) in a quartzhematitevein of an altered porphyr. The Ramanspectrum
shows gas composition of > 95 % N2 and < 5 % CH4.
315
Abb. 4.50: Lage der seismischen Linie
DOBREflection-2000 in Bezug zu den regionalen Strukturen im Bereich der Ukraine und angrenzender Gebiete.
Position of the seismic profile DOBREflection-2000 with respect to the regional
structures.
Abb. 4.51: Geologische Interpretation von DOBREflection-2000
Geological interpretation of DOBREflection-2000
316
Abb. 4.52: Palinspastische Rekonstruktion der Beckenstruktur vor Einengung und Inversion (unten) mit der interpretierten heutigen Struktur (oben).
Palinspastic reconstruction of the basin structure before compression and inversion (below) with the interpreted
actual structure (top).
erfolgte mittels Vibroseis® und explosiven Quellen mit
681 Kanälen und einem Stationsabstand von 25 m. Die
Schussabstände betrugen 140 m für die Vibroseis®Daten und 3010 m für die Explosionsdaten. Dabei wurde die Datengewinnung lokal durch den intensiven,
unter Tage betriebenen Kohleabbau behindert, was sich
durch Lücken im Profil bemerkbar macht.
Beckens die heute vorliegenden Strukturen wesentlich
mitbestimmt hat. Das Becken hat dann mehrere Phasen
der Einengung erlebt: im frühen Perm wurde in einem
transtensionalen tektonischen Regime vor allem das
Salz mobilisiert, während die Haupteinengung und
Inversion dann in der späten Trias und am Übergang
Kreide-Tertiär erfolgte.
Das Pripyat-Dniepr-Donets-Becken entstand als intrakratonisches Rift im Devon mit einer nachfolgenden
weiteren Absenkung im Karbon. Dabei wurde im oberen
Devon eine mächtige Salzlage abgeschieden, deren
spätere Bewegungen vor allem im zentralen Bereich des
Die Interpretation der seismischen Linie erfolgte aufgrund der sehr guten Oberflächenanbindung durch den
Kohleabbau sowie durch Vergleiche mit den weiter
nördlich im Zentralbereich des Beckens vorhandenen
Bohrungen und seismischen Daten. Neben der strati-
graphischen Abfolge und ihrer Deformation konnten so
insbesondere Störungssysteme bis in den tiefen Untergrund verfolgt werden (Abb. 4.51).
Die wesentlichen Punkte für die Interpretation in Abb.
4.51 sind: eine Verdoppelung der MOHO im SW-Teil
der Linie, eine Überschiebung der Prä- und Synriftsedimente östlich der zentralen Antikline sowie eine vertikale Veränderung der Reflektivität in der kristallinen
Kruste. Fügt man diese Elemente zusammen, so ergibt
sich eine lange, von Südwesten nach Nordosten ansteigende lystrische Aufschiebung, die in einem Störungsfächer an der Oberfläche endet, der schon lange aus
oberflächennahen Daten bekannt ist. Konjugiert dazu
verläuft eine Aufschiebung vom Zentrum des Beckens,
ausgehend von der Aufschiebung, nach Südwesten und
sie erreicht die Oberfläche ebenfalls in einer bekannten
Störung mit beträchtlichem Versatz. Die Inversion stellt
sich damit als ein Mega-Horst oder eine „Pop up“Struktur im Skalenbereich der Kruste dar, die bis zur
Basis der Kruste reicht. Hinzu kamen interne Verformungen der Sedimentfüllung, die zu einer faltenartigen
Deformation sowie einem System untergeordneter Verwerfungen führten.
Die Interpretation der seismischen Linie wurde durch
eine palinspastische Rekonstruktion für den Zeitpunkt
vor der Inversion überprüft, wobei die Volumina bzw.
Flächenanteile der einzelnen Schichten erhalten bleiben.
Abb. 4.52 zeigt das Ergebnis und macht deutlich, dass
nach Ausgleich der Verwerfungen und Entzerrung der
faltenartigen Deformationen eine Beckenstruktur entsteht,
die nur noch die wesentlichen Elemente einer Riftstruktur beinhaltet.
Die seismische Linie DOBREflection-2000 bietet damit
hervorragende Informationen zur Entwicklung des
südöstlichen Teils des Pripyat-Dniepr-Donets Beckens
und stellt ein exzeptionelles Beispiel einer Inversionsstruktur dar. Bemerkenswert ist, dass die Inversion die
gesamte Kruste bis zur MOHO erfasste, wodurch eine
Mega-„Pop Up“-Struktur entstand.
Modellierung der Versenkungs- und Temperaturgeschichte mehrere ODP-Bohrungen im
Nankai-Trog
Der Nankai-Akkretionskeil und der daran anschließende
Nankai-Trog gehören zu den am besten untersuchten
Strukturen dieser Art. Im Rahmen des International
Ocean Drilling Programs (ODP) wurden vor Japan im
Nankai-Trog, südöstlich der Insel Shikoku, mehrere
Bohrungen in einer Wassertiefe von über 4,6 km abgeteuft. Der Nankai-Trog markiert die Plattengrenze zwischen der Eurasischen Platte und der darunter mit eine
Rate von 2 bias 4 cm/a abtauchenden Philippinischen
See Platte. Im Bereich des Arbeitsgebietes wird ein
Spreading Center subduziert, dessen Aktivitäten vor
etwa 15 Ma zu Ende gingen (Jolivet et al., 1994).
Entlang des Muroto-Profils haben zwei Bohrungen am
Fuß des Akkretionskeils sowie eine in den davor liegenden marinen Ablagerungen im Graben bis zu 1100 m
mächtige und gering bis undeformierte Sedimente
durchteuft. Die Sedimentabfolge besteht aus fünf lithologischen Einheiten (Shipboard Scientific Party, 2001).
Die Abfolge beginnt mit der Ablagerung saurer Vulkanite zu Mitte des Miozäns. Daran schließt sich die Ablagerung von hemipelagischen Gesteinen während des
mittleren Miozäns bis zum mittleren Pliozäns an. Ab
dem oberen Pliozän bis zum unteren Pleistozän kommt
es zu Einschaltungen von Tephra-Lagen in die hemipelagischten Sedimenten. Während des Pleistozäns kam es
dann zu einem langsamen Übergang vom hemipelagischen Ablagerungsmilieu zu vermehrten turbiditischen
Ablagerungen, die in der Ablagerung massiver TurbiditSequenzen im Holozän kulminiert. Die Schichten in den
Bohrungen an der Deformationsfront sind, bis auf eine
Überschiebung in 365 m Tiefe mit 145 m Versatz, gering deformiert und die Schichten in der Bohrung, die
sich im Graben befindet, sind ungestört.
Von besonderem Interesse ist diese Lokalität auch, weil
in den Bohrungen die Temperatur mit der Tiefe sehr
stark, maximal 165 °C/km, ansteigt. Weiterhin werden
in dieser Zone des Nankai-Trog sehr hohe und über
kurze Distanzen stark variierende (130 bis 200 mW/m2)
Wärmeflüsse gemessen. Aufgrund des Alters der
ozeanischen Kruste von 15 Ma sollte man einen
Wärmefluss von etwa 130 mW/m2 erwarten (Yamano et
al., 2003), der auf Grund der hohen Sedimentationsraten
eher noch bis zu 20% niedriger sein sollte. Tatsächlich
wurden in einer Bohrung 130 mW/m2 und in zwei weiteren Bohrungen 180 mW/m2 bestimmt (Yamano et al.,
2003). Diese Wärmeflusswerte wurden nun als Randbedingungen für die Modellierung der Absenkungsgeschichte der Bohrungen verwendet. Für die gesamte Absenkungs- und Temperaturgeschichte wurde zudem ein
bis auf den heutigen Wert abnehmender Wärmefluss
angenommen, der das Abkühlen der relativ jungen ozeanischen Kruste widerspiegeln soll.
Sowohl die 1D-Modellierungen der einzelnen Bohrungen
wie auch 2D-Modellierungen einer Sektion zeigen, dass
es kein einheitliches Wärmeflussmodell gibt, mit dem
sowohl die Temperaturverteilung mit der Tiefe, der
gemessene Reifetrend der Vitrinitreflexion als auch die
Wärmeflusswerte modelliert werden können. So sind
zur Erreichung der gemessenen Vitrinitreflexionswerte
Wärmeflusswerte von 170 bis 180 mW/m2 notwendig,
was deutlich über dem aus der ozeanischen Kruste zu
erwartenden Wärmefluss von 130 mW/m2 liegt, wenn
man den Wärmefluss aus einer 15 Ma alten ozeanischen
Kruste als Randbedingung zugrunde legt. Dieses
Ergebnis ist im Einklang mit Modellierungen von
Brown et al. (2001), die ebenfalls von solchen Wärmeflusswerten bei ihrer Smektit-Diagenesemodellierungen
ausgehen. Welche Ursachen für diesen außergewöhnlich
hohen Wärmefluss verantwortlich sind, ist ungewiss.
Yamano et al. (2003) erörtern unter anderem Fluidfluss
im Zuge der Akkretion mariner Sedimente und
Hinweise auf Vulkanische Aktivitäten in jüngerer Zeit,
kommen aber zu keinem abschließenden Ergebnis.
Obwohl das hier verwendete Modell nur eingeschränkt
zur Modellierung advektiven Wärmetransports geeignet
317
Abb. 4.53: Heutige Verteilung
der Temperatur entlang des
schematisierten Muroto-Profils
Todays temperature distribution along the schematic Muroto profile
ist, wurde versucht diesen Effekt bei der Modellierung
der rapiden Holozänen Versenkung zu berücksichtigen.
Es wurde angenommen, dass Fluide aus dem tiefen Teil
des Akkretionskeils entlang des Decollements und in
den darüber und darunter liegenden Schichten bis in den
Beckenbereich fließen können. Dabei zeigte sich, dass,
um überhaupt einen nennenswerten Effekt auf die
Temperatur- oder Reifeentwicklung zu erzielen, sehr
hohe Flussraten von mehr als 100 m/a angenommen
werden müssen, was als ein eher unwahrscheinliches
Szenario anzusehen ist.
318
Ob die Ozeanische Kruste in dieser Region generell
wärmer ist und somit nicht den gängigen Modellen
entspricht oder tatsächlich ein jüngeres vulkanisches
Ereignis zu einer Aufwärmung der Kruste führte, kann
aus den vorliegenden Daten nicht bestimmt werden,
denn die Vitrinite gelangen erst mit dem Einsetzen der
rapiden Versenkung zu Ende des Pliozäns in einen
Teufen- und damit Temperaturbereich, in dem ihre Reife
zunimmt. Während des gesamten vorhergehenden
Zeitraums ist die Versenkungstiefe zu gering, um trotz
des sehr hohen Wärmeflusses zu einer nennenswerten
Reifezunahme zu führen. Erst im Zuge der rapiden
Versenkung im Holozän gelangen die Sedimente in
Temperaturbereiche, die zur Inkohlung des organischen
Materials führen.
Im Rahmen von DeepBUG wurden unter anderem an
organischem Material aus zwei Bohrungen kinetische
Parameter des thermischen Abbaus bestimmt. Dieser
Datensatz wurde im Rahmen der Modellierung dazu
verwendet, um herauszufinden, ab wann und in welchen
Schichten organisches Material abgebaut wird. Es zeigte
sich, dass in den beiden Bohrungen am Fuße des
Akkretionskeils in den tieferen Schichten bereits organisches Material abgebaut wird. Die Abbauprodukte stehen somit als potentielle Nahrungsquelle für die organischem der tiefen Biosphäre zu Verfügung, die in diesen
Bohrungen nachgewiesen wurden (Zink et al. 2003).
Die Modellierung der Absenkungs- und Temperaturgeschichte mehrer Bohrungen im Nankai Trog haben
gezeigt, dass der thermische Abbau organischen Materials erst mit Beginn der extrem schnellen quartären Versenkung begann und durch einen gleichzeitig sehr hohen
Wärmefluss möglich wurde. In wieweit advektiver
Abb. 4.54: Gemessene (Dreiecke, Berner & Koch, 1993)
und modellierte (Linie) Verteilung der Vitrinitreflexion
in ODP-Bohrung 808.
Measured (triangles) and calculated (line) distribution
of the vitrinite reflexion in ODP hole 808.
319
Abb. 4.55: Gemessene (Dreiecke) und modellierte
(Linie) Verteilung der Temperatur in ODP-Bohrung 808.
Measured (triangles) and calculated (line) temperature
distribution in ODP hole 808.
Wärmetransport zu diesen Prozessen beigetragen hat
lässt sich mit dem gegenwärtigen Modell nicht eindeutig
beurteilen.
KTB-VB-Pumptest
Das Kontinentale Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik Deutschland (KTB) war von Beginn an bis heute, da
die Bohrungen als Tiefenlabors benutzt werden, ein
außerordentlich erfolgreiches Vorhaben. Es wurden eine
große Vielfalt geowissenschaftlicher Daten gewonnen
und Ergebnisse von bisher unerreichter Qualität erhalten. Trotzdem konnten zahlreiche wichtige Forschungs-
Abb. 4.56: Prozentuale Zunahme der Umwandlung
organischen Materials mit der Tiefe. Berechnet für die
Temperaturgeschichte von ODP-Bohrung 808.
Increase of transformation of organic material with
depth, calculated for the temperature history of ODP
hole 808.
fragen aus verschiedenen Gründen nicht befriedigend untersucht werden. Insbesondere wurde das wissenschaftliche Potenzial der zwei benachbarten Tiefbohrungen
(Vorbohrung KTB-VB, 4.000 m und Hauptbohrung
KTB-HB, 9.100 m) bei weitem nicht ausgeschöpft.
Das übergeordnete Ziel einer neuen Forschungsinitiative, die vom GFZ Potsdam, dem GGA-Institut Hannover und der FU Berlin koordiniert wird, ist es, Energieund Fluidtransportprozesse in kontinentalen Bruchsystemen im km-Maßstab am Beispiel der KTB-Lokation
zu studieren. Dazu wurde in einer ersten Phase ein 12monatiger Fluidproduktionstest in der KTB-VB durchgeführt, an dem sich 15 Arbeitsgruppen aus Deutsch-
land und Übersee beteiligen. Während des Tests wurden
geophysikalische, hydraulische und chemische Messgrößen on-line bestimmt und regelmäßig Wasser- und
Gasproben für weiterführende geochemische, isotopengeochemische und geobiologische Untersuchungen
genommen. In der nächsten Phase ist in 2004 und 2005
ein massiver Injektionstest in der KTB-VB geplant, welcher zunächst das obere von zwei dominanten Bruchsystemen in 4,0 und 7,2 km Tiefe anregen soll.
Der Pumptest startete im Juni 2002 mit der Installation
einer elektrischen, 18 m langen, Bohrlochtauchpumpe, die
zusammen mit einer Druckmesseinrichtung bei 1.283 m
Tiefe in der KTB-VB eingebaut wurde. Damit sollten 120
°C heiße Krustenfluide aus dem offenen Bohrlochbereich
zwischen 3.850 und 4.000 m über Tage gefördert werden.
Die obertägige Austrittstemperatur, die Absenkung des
Wasserspiegels, die Fließmengen, der pH-Wert, das Redoxpotenzial und die elektrische Leitfähigkeit der Fluide
wurden ebenso wie die Gesamtmenge an gelösten Gasen
in Echtzeit registriert. Die Gasphase der Fluide wurde
separiert und on-line mit Quadrupol-Massenspektrometrie auf N2, CH4, He, H2, O2, Ar und CO2 analysiert.
Zusätzlich wurde der Gehalt an Radon in der Gasphase
mit einem Alphaspektrometer bestimmt.
320
Um einen evtl. Einfluss der Pumpaktivitäten auf die 200
m entfernte Hauptbohrung feststellen zu können, war
diese mit einem empfindlichen Bohrlochseismometer
und verschiedenen Wasserpegel-Messgeräten ausgestattet. Von Juni bis Oktober 2002 wurde mit einer durchschnittlichen Pumprate von 29 l/min gefördert, wobei
sich in der Vorbohrung ein Wasserspiegel von etwa 300
m unter Gelände einstellte. Überraschender Weise war
die Förderrate um etwa 6 bis 8 mal höher als aus den
Daten eines früheren Pumptests in 1991 berechnet
wurde. Nachdem die erforderlichen Genehmigungen
erteilt waren, konnte mit der maximalen Förderrate von
ca. 58 l/min bis Ende Juni 2003 weiter gepumpt werden.
Im Verlaufe des Pumptests sank der Wasserspiegel in der
KTB-VB auf 620 m unter Gelände und die Fluidaustrittstemperatur stieg bis auf 43 °C an. Nach Abschluss
des sehr erfolgreichen Pumptests im Juni 2003 waren
mehr als 23.000 m3 Krustenfluide zu Tage gefördert
worden. Die chemische Zusammensetzung der Krustenfluide (Tab. 4.1) veränderte sich im Verlauf des Produktionstests nur sehr geringfügig. So war das Gas- zu
Wasser-Volumenverhältnis bei Oberflächenbedingungen
durchweg ca. 1,0. Die Gasphase bestand im Wesentlichen aus Stickstoff und Methan sowie relativ hohen
Konzentrationen an Helium und einer 222Rn-Aktivität
zwischen 5.000 und 6.000 Bq/m3.
Tab. 4.1: Stoffbestand der tiefen Krustenfluide des
KTB-VB Produktionstests. Die in Endteufe 120 °C heissen Wässer stammen aus dem offenen Bohrlochbereich
der Vorbohrung (3850-4000 m). Die Tiefenpumpe
wurde am 26. Juni 2003 nach Förderung von ca. 23.000
m3 endgültig abgeschaltet: Wasserspiegelabsenkung =
620 m; Austrittstemperatur = 42 °C; pH = 7,5; EC25 = 86
mS/cm; EH = -430 mV
Die verschiedenen zahlreichen Messdaten sowie die
Wasser- und Gasproben sind noch in Bearbeitung, aber
die ersten Resultate des KTB-VB Science Teams lassen
sich wie folgt zusammenfassen:
•
Die Konzentration gelöster Stoffe war während des
Pumptests mehr oder weniger konstant, nur die Raund Rn-Konzentrationen zeigten eine deutliche Abhängigkeit von der Pumprate. Da sich beide Elemente im radiochemischen Gleichgewicht befinden,
haben wir bisher noch keine eindeutige Erklärung
für dieses Verhalten.
•
Die Gehalte an Seltenen-Erden-Elemente waren unerwartet niedrig (10-14 mol/l). Solch geringe Konzentrationen wurden bisher weder in Tiefenwässern
noch in natürlichen Oberflächenwässern bestimmt.
•
Die Auswertung verschiedener Wasserspiegelanstiegskurven, die durch zeitweises Abschalten der
Tiefenpumpe erhalten wurden und der Verlauf der
Absenkung zeigen nach bisheriger Interpretation,
dass es sich scheinbar um ein „unendliches“
Reservoir handelt; die Transmissivität des Gebirges
wurde mit etwa 3 x 10-13 m2 berechnet.
•
Der Wasserspiegelstand in der Hauptbohrung wurde
eindeutig von den Pumpaktivitäten in der Vorbohrung beeinflusst. Er sank kontinuierlich im Verlaufe
des Produktionstests ab und steigt ebenso wie der
Wasserspiegel in der Vorbohrung seit dem Ende des
Produktionstests im Juni 2003 mit einer zeitlichen
Verzögerung an. Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf
eine direkte Kommunikation zwischen den zwei
Bohrungen, wie sie bisher ohne diesen Versuch nicht
aufgezeigt werden konnte.
•
Das Seismometer in der KTB-Hauptbohrung hat
zahlreiche seismische Ereignisse detektiert, wobei
die noch laufende Auswertung zeigt, dass nur sehr
wenige durch die eigentliche Pumpaktivität her
vorgerufen wurden.
•
Möglicherweise wegen der doch zu hohen Temperaturen von ca. 120 °C auf der Bohrlochsohle der
KTB-Hauptbohrung konnten trotz umfangreicher
Untersuchungen noch keine „lebenden“ thermophilen oder hypothermophilen Organismen eindeutig nachgewiesen werden.
Im Verlaufe von 2003 werden weiterhin die Wasserspiegelveränderungen in der Haupt- und in der Vorbohrung beobachtet. In der Vorbohrung selbst werden im
Herbst/Winter 2003 regelmäßig Temperatur- und
Leitfähigkeitsmessungen sowie geoelektrische Versuche
durchgeführt.
Der Start der 2. Phase der jüngsten KTB-Forschungsinitiative ist für April 2004 geplant, während eines 12-monatigen Injektionstests soll bis zu 200 l/min Oberflächenwasser in die 4,0 km-Bruchzone (SE2-Reflektor)
gepumpt werden, um Mikroseismizität hervorzurufen
und das dadurch gespannte Bruchsystem durch Deformationsmessungen abzubilden.
Abb. 4.57a,b: Installation der Bohrlochtiefenpumpe in der KTB-Vorbohrung (Fotos: J. Erzinger, GFZ)
Installation of borehole submersible pump at KTB pilot hole
321
Abb. 4.58: Schematische Darstellung des obertägigen Monitoring während des Produktionstests in der KTB-VB
Sketch of real-time monitoring for the fluid production test at KTB pilot hole
Abb. 4.59: Fluidprobennahme für weiterführende Laboruntersuchungen (Foto: J.
Erzinger, GFZ)
Fluid sampling for
detailed laboaratory
investigations
in den Wasserkäfigen eingelagert wird, immer mit geringen Beimischungen von Ethan oder Propan, Kohlendioxid oder Schwefelwasserstoff .
322
Abb. 4.60: Brennendes
Eis: Gashydrate enthalten
soviel Methan, dass sie
brennen (Foto: J. Schicks)
Abb. 4.61: Schematische
Darstellung eines Hydratkäfigs mit Methan als Gastmolekü
Burning ice: Gas hydrates Sketch of a hydrate cage
are flammable due to the with methane as guest momethane they contain
lecule
Laborexperimente an Gashydraten
Gashydrate sind eisähnliche, feste Verbindungen, bei
denen Wassermoleküle über Wasserstoffbrückenbindungen einen Käfig bilden, in dem ein Gasmolekül
eingebunden ist. Somit gehören sie aus chemischer
Sicht zu den Einschlussverbindungen, den sogenannten
Clathraten. Wenngleich die Wechselwirkung zwischen
dem Gasmolekül und dem Käfig sehr schwach ist, stabilisiert das eingeschlossene Gasmolekül dennoch sein
eigenes Gefängnis. Die Bildung von Gashydraten ist nur
möglich bei höheren Drücken und/oder bei tiefen
Temperaturen, womit sich das Vorkommen natürlicher
irdischer Gashydrate i. W. auf Permafrostregionen und
den Meeresboden begrenzt (vgl. dazu auch den Bericht
„Mallik – Gashydrate im Permafrost“ in diesem
Zweijahresbericht). In natürlichen Gashydraten ist es
vorwiegend Methan (aber auch Kohlendioxid), welches
Es sind für Gashydrate, die leichtere Kohlenwasserstoffe
als Gastmoleküle enthalten, drei unterschiedliche
Strukturen bekannt. Sie werden als Struktur I, Struktur
II und Struktur H bezeichnet. Diese Strukturen unterscheiden sich im Wesentlichen in der Anzahl, dem Verhältnis und der Anordnung von kleineren und größeren
Käfigen. Eine Übersicht gibt hierzu Tabelle 4.2.
Welche Struktur letztlich gebildet wird, hängt unter
anderem von der Größe des eingeschlossenen Moleküls
ab. Kleine Moleküle wie CH4, CO2, H S oder auch C2H6
bilden bevorzugt die Struktur I aus, da sie in dieser
Struktur die vorhandene kleinen (512) und größeren
(51262) Käfige gut ausfüllen und stabilisieren können.
Die Struktur II wird aus kleinen (512) und etwas größeren
(51264) Käfigen aufgebaut, was dazu führt, dass
Moleküle wie Methan diese Käfige nicht mehr optimal
ausfüllen und stabilisieren können. Daher wurde bisher
davon ausgegangen, dass Methan ausschließlich
Struktur I-Hydrate bildet.
2
Zum grundlegenden Verständnis der Gashydrate ist es
notwendig, den Einfluss verschiedener Parameter wie
Druck, Temperatur und Zusammensetzung der Gasphase auf ihre Bildung und Stabilität zu bestimmen. Für
die Synthese der Gashydrate unter definierten Bedingungen wird eine im GFZ Potsdam weiterentwickelte und
angefertigte Druckzelle verwendet. Diese Zelle verfügt
über ein Probenvolumen von max. 400 µl. Sie kann von
–27 °C bis +80 °C ohne Temperaturgradienten temperiert werden, die aktuelle Temperatur wird direkt am
Probenraum kontinuierlich mit einer Genauigkeit von ±
0,1 °C gemessen. Der wählbare Druckbereich liegt zwischen 1 bar und 100 bar und wird mit Hilfe eines
Druckreglers mit hoher Genauigkeit
geregelt. Im Zentrum der Zelle befindet
sich die eigentliche Probenkammer. Sie
ist nach oben mit einer Quarzglasscheibe verschlossen, wodurcheine Analyse
der einzelnen Phasen mit Hilfe der
Ramanspektroskopie möglich ist. Darüber hinaus können sämtliche Prozesse, die in der Zelle stattfinden, im
Tab. 4.2: Verteilung der Clathrat-Kristallkäfige in den unterschiedlichen Auflicht unter dem Mikroskop beoHydratstrukturen
bachtet und mit Hilfe einer CCDKamera dokumentiert werden.
Distribution of clathrate cage types building-up the hydrate structure“)
Abb. 4.62: Schematische Darstellung der Druckzelle
Sketch of the pressure cell
Die in dieser Zelle durchgeführten Experimente an den Systemen CH4-H2O
und CH4-CO2-H2O führten zu unerwarteten Beobachtungen und Ergebnissen: Zunächst wachsen die Hydrate
in Form kubischer Kristalle, wie sie in
Abbildung 4.63a dargestellt sind.
Werden Druck oder Temperatur nun
dahingehend verändert, dass sich das
System weiter in das Stabilitätsfeld von
Struktur I Methanhydraten hinein begibt, konnte eine bemerkenswerte Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes der Hydrate beobachtet werden.
Dieser Vorgang erinnert an einen
Schmelzprozess: die Hydratkristalle
verlieren ihre scharfen Kanten und werden durch eine amorph erscheinende
Masse ersetzt. Dieser Prozess ist in den
Abbildungen 4.63b-d dokumentiert.
Ramanspektroskopische Untersuchungen
zeigten, dass einige der wohldefinierten
Kristalle (Abb. 4.63a) nicht die erwartete und stabile Struktur I aufweisen,
sondern die metastabile Struktur II.
Diese beiden Strukturen koexistieren in
einem kinetisch gehemmten Ungleichgewicht. Deshalb genügen bereits geringe Veränderungen in Druck oder
Temperatur, um eine Umstrukturierung
der metastabilen SII-Phase in die stabile Struktur I auszulösen. Dieser
Prozess ist exotherm und ist nicht nur
begrenzt auf die Umwandlung von SIIKristallen, sondern beeinflusst auch die
Abb. 4.63: Wachstum (a) und Umwandlung der Gas-hydrate: In a) liegen
umliegenden SI-Kristalle und breitet
Struktur I und Struktur II Hydrate nebeneinander vor. Durch
sich so über die gesamte Hydratmasse
Temperaturerniedrigung wird eine Umwandlung der Struktur II Hydrate
aus (Abb. 4.63d).
in Struktur I Hydrate ausgelöst (b-c), bis schließlich eine Rekris-tallisation der gesamten Hydratphase erfolgt nach der ausschließlich Struktur I Die Ramanspektren in Abb. 4.64 zeigen
diesen Um-strukturierungsprozess, bei
Hydrate vorliegen.
dem der Anteil der SII-Hydrate zu
Growth and transformation of gas hydrates: a) Coexistence of structure I
Gunsten der SI-Hydrate zunehmend
and structure II hydrate crystals. Reduction in temperature incuces a
geringer wird, bis schließlich ein stabiltransformation of structure II to structure I hydrates (b-c). A recrystallizaer Zustand erreicht wird, in dem ausstion of the complete hydrate phase follows, until structure I hydrates
chließlich SI-Hydrate vorliegen.
remain only.
323
keiten vp und vs, elastische Konstanten cij sowie Kompressions- und Schermoduli Ks und G bei erhöhten
Druck und/oder Temperaturbedingungen zu bekommen.
Diese Ergebnisse können dann benutzt werden, um
Geschwindigkeitsprofile von Mineralgemengen wie sie
etwa im oberen Erdmantel (Olivin und Pyroxen), in der
Übergangszone (Spinelle und Granate) und im unteren
Erdmantel (Perovskit und Magnesiowüstit) vorkommen,
zu modellieren und mit seismischen Daten zu vergleichen.
Abb. 4.64: Die Umwandlung der Struktur II- zu Struktur I -Methanhydraten lässt sich an den Ramanspektren
nachvollziehen.
The transformation of structure II to structure I methane
hydrates could be proven by Raman spectra.
Zur Zeit ist noch nicht geklärt, warum sich die theoretisch nicht zu erwartenden Struktur II-Methanhydrate
überhaupt bilden können. Es ist auch noch nicht absehbar, welchen Einfluss dieses Verhalten auf die Modelle
zur Vorhersage von Hydratstabilitätsgrenzen und auf
den Verlauf geologischer Hydratbildungs- und -abbauprozesse haben werden.
324
Ultraschallexperimente in der Diamanthochdruckzelle
Messungen und Interpretationen der Laufzeiten seismischer Schallwellen sind die wichtigsten Methoden zur
Entschlüsselung des Aufbaus des Erdinneren. So zeigen
Geschwindigkeitssprünge der Schallwellen in 410 und
660 km Tiefe abrupte Übergänge der Phasen und/oder
des Chemismus an. Ein anderes Beispiel sind
Messungen der Laufzeiten im oberen und unteren
Erdmantel, die auf unterschiedliche Schallgeschwindigkeiten in verschieden Richtungen hindeuten. Dies läßt
den Schluß zu, daß ein Teil der Minerale sich bevorzugt
in bestimmte Richtungen orientiert.
Es ist jedoch nicht möglich, allein aus den seismischen
Geschwindigkeitsbestimmungen auf die chemische
Zusammensetzung und die Phasen der Minerale im
Erdmantel zu schließen. Hierfür werden zusätzlich
Geschwindigkeitsmessungen an mantelrelevanten Mineralen im Labor durchgeführt. Das Ziel ist es, einen
genügend großen und verläßlichen Datensatz über longitudinale und transversale Schallwellengeschwindig-
Eine Methode, Schallwellengeschwindigkeiten zu
messen, ist die Ultraschall - Interferometrie. Hierbei
wird die Laufzeit eines Schallpulses durch eine Probe
gemessen und daraus die Geschwindigkeit der
Schallwellen bestimmt. Diese Methode bietet folgende
Vorteile: 1. Es können dunkle oder opake Proben, die
optischen Methoden wie Brillouin - Streuung nicht
zugänglich sind, untersucht werden. Dies ist ein besonders wichtiger Punkt, da viele mantelrelevante Minerale,
wie Magnesiowüstit (Mg,Fe)O oder Ringwoodit ( (Mg,Fe)2SiO4, Eisen in verschiedenen Wertigkeitsstufen
enthalten und deshalb Licht absorbieren. 2. Wegen der
sehr hohen Frequenzen im GHz – Bereich ist es
möglich, kleinste Proben mit einer Dicke von ca. 40µm
zu untersuchen. 3. Die GHz – Interferometrie kann in
Diamanthochdruckzellen angewendet werden. Dies
bietet uns die Möglichkeit, die elastischen Eigenschaften von Mineralen als Funktion des Druckes und
der Temperatur zu bestimmen.
Ein Beispiel für ein wichtiges, opakes Mineral ist Magnesiowüstit. Dieses Mineral -(Mg,Fe)O - bildet eine
komplette Mischreihe zwischen den beiden Endgliedern
MgO und FeO. Magnesiumwüstit ist neben Perovskit
der Hauptbestandteil des unteren Mantels und das häufigste Nichtsilikat im gesamten Mantel. Die elastischen
Eigenschaften von (Mg,Fe)O bestimmen somit maßgeblich die elastischen Eigenschaften des unteren
Erdmantels mit. Bisher gab es von den (Mg, Fe)O
Mischkristallen keine Einkristalldaten, da ab einem
Eisengehalt > 6mol% (Mg,Fe)O dunkel wird. Abb. 4.65
zeigt die elastische Konstanten c11 = ∆ (vp[100])2, c44 = ∆
(vs[100])2 und (c11 + 4c44 +2c12)/3 = ∆ (vp[111])2, mit ∆
Dichte und (vp[100]), (vp[111]) und (vs[100]) longitudinale
Schallwellengeschwindigkeiten in (100) und (111)
Richtung sowie Scherwellengeschwindigkeit in (100)
Richtung.
Auffällig ist der plötzliche Sprung von c11 bei Zugabe
von kleinen Mengen Eisen zu MgO, was ein ‚weicher
werden‘ (softening) vorzugsweise parallel zu (100) entspricht. Der adiabatische Kompressionsmodul Ks = (c11
+ 2c12)/3 jedoch ändert sich kaum (Abb. 4.66), da c12
mit steigendem FeO - Gehalt ansteigt (vgl. Abb. 4.65).
Im Gegensatz dazu ist der Schermodul jedoch stark vom
Eisengehalt in Magnesiowüstit abhängig. Dies deutet
darauf hin, daß der Kompressionsmodul für (Mg,Fe)O
im unteren Erdmantel ähnlich dem von MgO ist,
während der Schermodul signifikant kleiner ist.
Abb. 4.65: Die elastischen Konstanten cij von (Mg,Fe)O
als Funktion des Druckes
Elastic constants of (Mg,Fe)O as a function of pressure
Abb. 4.67: Die gemittelten Longitudinal – und Transversalschallwellengeschwindigkeiten, vp und vs, von Magnetit Fe3O4 als Funktion des Druckes. Auffällig ist die
Abnahme von vs mit steigendem Druck
Mean values of vp and vs of magnetite Fe3O4 as a function
of pressure. Vs decreases with pressure.
325
Abb. 4.66: Der adiabatische Kompressions – und
Schermodul Ks und G als Funktion des Eisengehaltes in
(Mg,Fe)O (volle Kreise). Offene Kreise: Röntgenmessungen von (Mg,Fe)O (Jacobsen et al., JGR 107, 2002)
The adiabatic compression- and shear modulus Ks and
G as a function of Fe-content in (MG,Fe)O (full circles).
Open circles: X-ray investigations of (Mg,Fe)O.
Ein anderes wichtiges Mineral ist Magnetit Fe3O4 (ca.
1.5 Volumen % in der Erdkruste). Bisher gab es keine
Messungen der Longitudinal – und Transversalgeschwindigkeiten und der 3 elastischen Konstanten cij in
Abhängigkeit vom Druck P. Abb. 4.67 und 4.68 zeigen
die longitudinalen und transversalen Schallwellengeschwindigkeiten vp und vs sowie die elastischen
Konstanten cij von Fe3O4 als Funktion des Druckes. Die
longitudinale Schallgeschwindigkeit vp steigt mit zunehmendem Druck an, wie es bei den meisten Mineralen beobachtet wird. Die Scherwellengeschwindigkeit
Abb. 4.68: Die elastischen Konstanten cij von Magnetit
als Funktion des Druckes. Die negative Druckabhängigkeit von c44 deutet auf einen Phasenübergang bei höheren Drücken hin. Die durchgezogenen Linien sind lineare Fits an die Datenpunkte.
Elastic constants of magnetite as a function of pressure.
The negative pressure dependance of c44 indicates a
phasetransition at higher pressures.
zeigt jedoch ein außergewöhnliches Verhalten: sie
nimmt mit zunehmendem Druck ab. Ebenso nimmt c44
mit steigendem Druck ab (Abb. 4.68).
Mittels Röntgenmessungen wurde ein Phasenübergang
bei ca. 21GPa festgestellt. Das Abfallen von c44 ist ein
‚Vorbote‘ dieses Phasenübergangs. Das heißt, mit
Messungen bei niedrigen Drücken können mögliche
Phasenübergänge bei weitaus höheren Drücken vorausgesagt werden.
Um die Bedingungen im Erdinneren besser zu
simulieren, werden Messungen bei noch weiter erhöhten
Druck – und Temperaturbedingungen vorbereitet.
Ultraschallexperimente an Amphiboliten und
Serpentiniten während der Dehydratation
Entwässerungsreaktionen und partielle Schmelzbildung
sind eng mit geodynamischen Prozessen in tektonisch
aktiven Zonen verknüpft. So werden großräumige geophysikalische Anomalien, wie beispielsweise Zonen
geringer seismischer Geschwindigkeit, hoher seismischer Dämpfung und hoher elektrischer Leitfähigkeit, auf
in der Lithosphäre zirkulierende Fluide und/oder
Schmelzen zurückgeführt. Eine Möglichkeit, den
Einfluss dieser Prozesse auf die elastischen Eigenschaften von Gesteinen mit wasserhaltigen Mineralen
unter definierten Druck-Temperatur-Bedingungen im
Labor zu untersuchen, bieten in-situ Ultraschallexperimente.
326
In den letzten 50 Jahren wurden viele Daten zur Temperaturabhängigkeit der seismischen Geschwindigkeiten von Gesteinen veröffentlicht (z.B. Hughes und Maurette, 1957; Christensen, 1979; Kern, 1997). Die Proben
wurden dabei in offenen Systemen untersucht, aus
denen die bei der Dehydratation wasserhaltiger Minerale
freigesetzten fluiden Phasen entweichen konnten. Unter
der Annahme, dass zumindest ein Teil der in Subduktionszonen freigesetzten Fluide in größeren Tiefen verweilt, ist die Betrachtung von geschlossenen Systemen
von besonderer Bedeutung, bei denen Fluide im Probenraum verweilen können. Aus diesem Grunde wurden
spezielle Versuchsaufbauten entwickelt, um an gekapselten Proben Ultraschallversuche durchführen zu können. Dies erlaubt uns, über die intrinsischen elastischen
Gesteinseigenschaften hinaus, die Auswirkungen des
sich während der Dehydratation ändernden Porenfluiddruckes auf die Mikrostruktur eines Gesteines zu untersuchen.
Die Abhängigkeit der seismischen Geschwindigkeit von
Druck und Temperatur wird in einem innenbeheizbaren
Gasdruckautoklaven an Kernen natürlicher Amphibolite
und Serpentinite bei Umschließungsdrücken von bis zu
10.000 bar (100 km Wassersäule) und Temperaturen bis
700 °C untersucht. Die Messzelle besteht aus einer
zylindrischen Probe (Länge = 25 mm; Durchmesser =
30 mm) und zwei Vorlaufkörpern (Abb. 4.69), an deren
äußeren Enden Ultraschallsensoren befestigt sind. Die
Bestimmung der seismischen Geschwindigkeiten erfolgt durch eine Kombination von Durchschallungs- und
Impuls-Echo-Messungen. Im Falle des Durchschallungsmodus durchläuft die seismische Welle den gesamten Probenaufbau und wird an der Probenrückseite
registriert. Ein Teil der Wellenenergie wird jedoch an der
Grenzfläche zwischen Vorlaufkörper und Probe reflektiert und als Echo am ersten Sensor empfangen. Mit der
Differenz beider Laufzeiten wird die Laufzeit durch die
Probe präzise bestimmt.
Charakteristisch für den Serpentinit und Amphibolit ist
der Abfall und Wiederanstieg der seismischen Geschwindigkeiten mit steigenden Temperaturen (Abb.
4.70a und b). Diese Beobachtungen im geschlossenen
System weichen deutlich von Literaturdaten (z.B. Kern
et al., 1997) ab, die eine lineare Abnahme der Geschwindigkeit von einigen wenigen Prozenten im offenen System zeigen. Darüber hinaus konnte beim
Amphibolit ein relativ starker Abfall der p-Wellengeschwindigkeiten um ~ 7 % in einem Temperaturintervall
zwischen Raumtemperatur und 400 °C beobachtet werden. Ein weiterer Versuch mit einer vakuumgetrockneten Amphibolitprobe bestätigt den allgemeinen Trend
des Kurvenverlaufes, allerdings bei einer weit geringeren Geschwindigkeitsreduktion.
Aus petrologischen Untersuchungen ist bekannt, dass
die Entwässerung des Serpentinites und auch des
Amphibolites bei ca. 500 °C einsetzt. Eine starke lineare
Geschwindigkeitsabnahme bei Temperaturen weit unterhalb der Entwässerungstemperaturen, wie sie an den
Amphibolitproben beobachtet wird, spricht im Allgemeinen für eine Auflockerung des Kornverbandes. Da
eine thermisch induzierte Rissbildung, d.h. die Öffnung
von Rissen bedingt durch die verschiedenen thermischen Ausdehnungskoeffizienten der jeweiligen gesteinsbildenden Minerale, durch die hohen Umschließungsdrücke (10.000 bar) stark unterdrückt sein sollte, vermuten wir, dass die Geschwindigkeitsreduktion von an
den Korngrenzen adsorbiertem Wasser verursacht wird.
Da der thermische Ausdehnungskoeffizient von Wasser
eine Größenordnung über der von Festkörpern liegt,
könnte ein steigender Porenfluiddruck im geschlossenen
System die Öffnung von Mikrorissen bedingen. Die Mobilisierung von Fluiden führt in distinkten Temperaturintervallen zu Ausfällungen neuer Mineralphasen (Abb.
4.71). Mit dem Erreichen der Dehydratationstemperaturen wird ein Wiederanstieg der Wellengeschwindigkeiten beobachtet, der besonders deutlich in den
Amphibolitproben hervortritt. Die Auswertung von
Dünnschliffen legt nahe, dass zumindest in den
Amphibolitproben die Neubildung von Epidotmineralen
den Kornverband wieder verfestigt und durch die
Änderung des Mikrogefüges die Geschwindigkeitsabnahme kompensiert. Mit weiter steigenden Temperaturen führt die Dehydratation der wasserhaltigen Phasen
(Chlorit, Amphibol; Antigorit) vermutlich zu einer verstärkten Mikrorissbildung, was sich in einer erneuten
Abnahme der seismischen Geschwindigkeiten äußert.
Abb. 4.69: Schematische Darstellung der Versuchsanordnung zur Messung der seismischen Geschwindigkeit.
Schematical illustration of the experimental assembly
for seismic velocity measurements.
Abb. 4.71: Dünnschliffaufnahmen eines Amphibolites.
(a) Das Ausgangsmaterial ist zumeist frisch. (b) Nach
dem Erhitzen auf 450 °C scheinen Mikrorisse durch die
Neubildung von Epidot „auszuheilen“.
Microgarphs of amphibolite. (a) The starting material is
almost fresh. (b) After a run up to 450 °C the healing of
microcracks due to the formation of epidote minerals is
observed.
327
a
b
Abb. 4.70: Seismische Geschwindigkeit von Amphibolit und Serpentinit in Abhängigkeit von der Temperatur. Die
offenen Symbole repräsentieren Datenbeispiele vergleichbarer Proben, die in einem „offenen“ System gemessen
wurden (Kern et al., 1997). (a) Amphibolit: luft- bzw. vakuumgetrocknet; (b) Serpentinit: vakuumgetrocknet.
Seismic velocities versus temperature of amphibolite and serpentinite. Open symbols represent data sets for comparable samples, measured in an “open” system (Kern et al., 1997). (a) amphibolite: air-dried and vacuum-dried,
respectively; (b) Serpentinite: vacuum-dried.
Wärmekraftmaschine Erde
Das Erdinnere besitzt noch eine gewaltige Wärmemenge
aus der Entstehungszeit unseres Planeten. Durch die
gravitative Trennung des schweren Erdkerns und des
leichteren Erdmantels wurden große Wärmemengen
freigesetzt. Die wesentlich höhere Radioaktivität in der
Anfangszeit unseres Planeten hat zu einer großen
Wärmefreisetzung geführt, die noch in der Erde gespeichert ist. Reaktionswärme an der Kern-Mantel-Grenze
und Kristallisationsenthalpie des wachsenden festen
Erdkerns auf Kosten des flüssigen äußeren Kerns führen
zu einer weiteren Temperaturerhöhung in der sich
langsam abkühlenden Erde. Heute sind die meisten
Elemente, die radiogene Wärme produzieren (K, U, Th),
in der Erdkruste konzentriert und erzeugen dort eine
Wärme, die zu einer Wärmeflussdichte von ca. 45 mW
pro Quadratmeter führt. Dies kann aus der bekannten
chemischen Zusammensetzung der zugänglichen
Erdkruste bestimmt werden. An der Erdoberfläche wird
jedoch im weltweiten Mittel eine Wärmestromdichte
von rund 65 mW/m2 gemessen. Die restlichen 20
mW/m2 kommen vermutlich überwiegend aus der
Region der Kern-Mantelgrenze, die durch Reaktionen
zwischen Mantel- und Kern-Material freigesetzt werden. Daraus resultiert ein hoher Temperaturgradient, der
durch Wärmetransport ausgeglichen wird. Aus den
physikalischen Eigenschaften der Mantelminerale
errechnet sich eine Wärmeleitfähigkeit von ca. 3 W/(m
K). Der über tausend Kilometer mächtige „isolierende
Mantel“ würde deshalb zu einem Hitzestau an der
Kernmantelgrenze führen, wenn nicht ein Teil der
Wärme über einen andern Wärmetransportmechanismus durch den Erdmantel transportiert würde, nämlich
über großräumige Konvektion. So kann der gesamte
Erdkörper als eine gigantische Wärmekraftmaschine
betrachtet werden.
328
Es ist heute weitgehend unumstritten, dass Temperaturausgleichsprozesse für den Antrieb der Plattentektonik
verantwortlich sind, obwohl die näheren Zusammenhänge noch unbekannt sind. Deshalb ist die quantitative
Kenntnis der den Wärmetransporteigenschaften zugrunde liegenden Prozesse und Mechanismen eine wichtige
Voraussetzung, um die dynamischen Vorgänge unseres
Planeten zu verstehen.
Neben der Bedeutung für geodynamische Fragestellungen
und zum Verständnis geodynamischer Prozesse ist die
Kenntnis der Wärmetransporteigenschaften von Mineralen wesentlich bei der Nutzung geothermaler Energie.
Die Wärmeleitfähigkeit von Gesteinen wird meist von
den Mineraleigenschaften dominiert. Gute und verlässliche Daten als Funktion der Temperatur und des
Druckes sind deshalb von fundamentaler Bedeutung –
aber kaum bekannt.
Wärmetransporteigenschaften werden durch die
Temperatur- und Wärmeleitfähigkeit beschrieben. Die
Temperaturleitfähigkeit gibt an, wie schnell sich die
Temperaturunterschiede innerhalb eines Körpers ausgleichen. Die Temperaturleitfähigkeit kann auch als
Wärmediffusion beschrieben werden (thermal diffusivity). Die Wärmeleitfähigkeit bzw. der Wärmewiderstand
(thermal conductivity / thermal resistivity) beschreiben
wie viel Wärme durch einen Körper transportiert werden kann. Temperatur- a und Wärmeleitfähigkeit λ sind
in homogenen Körpern über die Wärmekapazität cP und
Dichte ρ korreliert.
λ = a cp ρ
(1)
Verschiedene Mechanismen können für den Wärmetransport in Mineralen verantwortlich sein. In den
gesteinsbildenden Mineralen dominieren Phononen
(Gitterschwingungen) und Photonen (Lichtquanten) den
Wärmetransport. Um die Wärmetransporteigenschaften
über einen großen Druck- und Temperaturbereich
extrapolieren zu können, ist die Kenntnis der zugrundeliegenden Prozesse von entscheidender Bedeutung.
Im Wesentlichen sind die dazu notwendigen mineralphysikalischen und theoretischen Untersuchungen bisher auf hochreine Einkristalle – vor allem Elemente – bei
tiefen Temperaturen beschränkt.
In Zusammenarbeit mit der Universität Montpellier
wurden Untersuchungen zum Wärmetransport des
Erdmantels durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk
wurde dabei auf die Anisotropie (Richtungsabhängigkeit) der Wärmetransporteigenschaften gelegt.
Dazu wurde an Olivinen und Olivin-dominierten
Gesteinen – Duniten – Messungen zum Wärmetransport
als Funktion der Temperatur durchgeführt.
Für die Untersuchung des Wärmetransports in
Mineralen bei höheren Temperaturen wurde ein
spezielles Transientenverfahren eingesetzt (Abb. 4.72).
Die dazu genutzte Apparatur ermöglicht die richtungsabhängige Bestimmung der Temperaturleitfähigkeit als Funktion der Temperatur in höchster Präzision
[Schilling, 1999]. Für die Messung wird ein kurzer
Wärmeimpuls auf die Probe übertragen und mit dem
Thermoelement registriert (Abb. 4.72, rote Kurve). Die
übertragene Wärmemenge führt zu einem Temperaturausgleichsprozess in der Probe, welcher mit dem Differenzthermoelement an der Probenrückseite aufgezeichnet wird. Aus dem beobachteten Temperaturausgleichsverhalten lässt sich die Temperaturleitfähigkeit bestimmen.
Abb. 4.72: Transientenverfahren zur Messung
der Temperaturleitfähigkeit als Funktion der
Temperatur bis 900 °C [Schilling, 1999].
Transient Technique to measure thermal diffusivity as a function of temperature up to
900 °C [Schilling 1999].
Abb. 4.73: Temperaturleitfähigkeit von San
Carlos Olivin-Einkristallen als Funktion der
Temperatur für die Richtungen [100], [010]
und [001].
Thermal diffusivity of San Carlos olivine single crystals as a function of temperature. The
diffusivities in [100], [010], and [001] direction are plotted.
Abb. 4.73: Temperaturleitfähigkeit von San Carlos OlivinEinkristallen als Funktion der Temperatur für die Richtungen [100],
[010] und [001].
Thermal diffusivity of San Carlos olivine single crystals as a function of temperature. The diffusivities in [100], [010], and [001]
direction are plotted.
329
In Abb. 4.73 ist die Temperaturleitfähigkeit von San
Carlos-Olivin-Einkristallen als Funktion der Temperatur
dargestellt. Bei höheren Temperaturen wird eine
Zunahme der Temperaturleitfähigkeit beobachtet.
Letzteres zeigt, dass neben dem Wärmetransport über
Phononen zusätzlich Wärmetransport über Strahlung,
über einen so genannten radiativen Wärmetransport,
berücksichtigt werden muss. Bei Temperaturen unterhalb ca. 500 °C wird eine Abnahme der
Temperaturleitfähigkeit beobachtet. Die beobachtete
Abnahme deutet auf einen Wärmetransport hin, der
durch
Phononen
dominiert
wird.
Die
Temperaturleitfähigkeit a kann dann durch die
Geschwindigkeit der Phononen v (entspricht der mittleren Schallgeschwindigkeit) und die mittlere freie
Weglänge der Phononen l beschrieben werden:
a = 1 vl
3
Aus den bekannten Schallgeschwindigkeiten können die
mittleren freien Weglängen für Olivin berechnet werden
abb. 4.75). Wir haben dazu das quadratische Mittel der
P- und zwei S-Wellengeschwindigkeiten verwendet.
(2)
Abb. 4.75: Mittlere Schallgeschwindigkeit und mittlere
freie Weglänge in Abhängigkeit von der Temperaturleitfähigkeit.
Mean sound velocity and mean free path length as a
function of thermal diffusivity.
330
Abb. 4.74: Anisotropie der Schallgeschwindigkeiten von
San Carlos-Olivin, berechnet aus den elastischen Konstanten nach Bass (1997).
Anisotropy of sound velocities of San Carlos olivine
modelled with elastic constants from Bass (1997).
Die Schallgeschwindigkeiten für San Carlos-Olivin sind
sehr gut bekannt und zeigen eine deutliche Richtungsabhängigkeit. Die Richtungsabhängigkeit ist in Abb.
4.74 für die Ebene (001) dargestellt. Aus Deformationsexperimenten an olivinführenden Gesteinen ist bekannt,
dass sich der trockene Olivin in der [010] Richtung orientiert. Die aus der bevorzugten Mineralorientierung
resultierende Anisotropie wird seismologisch zur
Bestimmung von Bewegungen im Erdmantel benutzt.
Wie Tommasi et al. (1999) gezeigt haben, sollte dies
auch zu einem bevorzugten konduktivem Wärmefluss in
Bewegungsrichtung führen. Dies zu überprüfen war
eines der Ziele des gemeinsamen Projektes mit A.
Tommasi, D. Mainprice und B. Gibert (alle Univ.
Montpellier).
Die Temperaturleitfähigkeit hängt von der mittleren
freien Weglänge und Phononengeschwindigkeit (mittlere Schallgeschwindigkeit) ab. Ähnlich wie wir es für
Quarz und Feldspäte zeigen konnten (Höfer und
Schilling 2002), scheint es auch beim Olivin einen
Zusammenhang zwischen mittlerer freier Weglänge und
Phononengeschwindigkeit zu geben. Mit zunehmender
Phononengeschwindigkeit nimmt auch die mittlere freie
Weglänge zu. Dies erlaubt es, auf Details des Transportmechanismus zu schließen. Eine Abhängigkeit der
mittleren freien Weglänge von der Schallgeschwindigkeit wird dann erwartet, wenn der Streuprozess sich auf
eine Rayleigh-Streuung zurückführen lässt. Bei der
Rayleigh-Streuung hängt der Streuquerschnitt von der
Wellenlänge der elastischen Welle ab. Die Wellenlänge
ist dabei eine Funktion der Geschwindigkeit. Mit
zunehmender Geschwindigkeit nimmt die Wellenlänge
zu und die Streuwahrscheinlichkeit ab. Die mittlere freie
Weglänge ist reziprok zur Streuwahrscheinlichkeit und
nimmt deshalb mit zunehmender Schallgeschwindigkeit
zu.
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