Wie die Römer nach Schwaben kamen

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Wie die Römer nach
Schwaben kamen
Die Eroberungs- und Besetzungsgeschichte Südwestdeutschlands,
Bayerns und der Schweiz vollzog sich in der frühen römischen Kaiserzeit. Gleichwohl hatte bereits Caesar den Grund dafür gelegt, dass
Teile Germaniens unter römische Herrschaft kamen. Zwischen 58 und
51 v. Chr. führte er aus, wie man im Nachhinein sagen muss, fadenscheinigen Gründen seinen »Gallischen Krieg«. Die historische Bedeutung seiner Feldzüge liegt nicht allein darin, dass das heutige Frankreich Teil des Imperium Romanum wurde. Indem der Rhein durch
Caesar zur Ostgrenze des Römischen Reiches wurde, wurden Römer
und rechtsrheinische Germanen zudem nun zu unmittelbaren Nachbarn. Mit seine zwei Besuchen auf dem anderen Ufer, bewerkstelligt
durch den Bau von Holzbrücken, die man in der Nähe des heutigen
Neuwied lokalisieren kann, dokumentierte der römische Feldherr das
Interesse der Römer an den Germanen und ihren Gebieten. Durch die
Ermordung des Diktators an den Iden des März des Jahres 44 v. Chr.
kam allerdings diese Politik für kurze Zeit ins Stocken. Erst nachdem
sich Augustus in den Machtkämpfen nach Caesars Tod als Alleinherrscher durchgesetzt hatte, holte dieser die Germanenpläne wieder aus
der Schublade.
Das strategische Gesamtziel der augusteischen Germanienpolitik bestand mit höchster Wahrscheinlichkeit darin, das Land der Germanen
zwischen Rhein und Donau bis hin zur Elbe zu unterwerfen. Zwar
gibt es Historiker und Archäologen, die in Augustus’ Germanienpolitik einen primär defensiven Grundzug erkennen wollen. Doch es ist
nicht recht einsehbar, wieso die Sicherheit Roms ausgerechnet an der
Elbe beginnen sollte. Vieles dagegen spricht für eine im neuen Kaisertum angelegte imperiale Dynamik. Es entsprach römischer Praxis, die
Außengrenzen des Reiches an natürlichen Punkten wie großen Flüssen
zu orientieren, wenn Augustus tatsächlich ein großes Eroberungskonzept realisieren wollte. Zwar waren die geographischen Kenntnisse der
Römer in Bezug auf Germanien zu diesem Zeitpunkt noch eher be-
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scheiden. Doch dürften Händler, Kauf leute und germanische Agenten
für eine wenigstens ungefähre Vorstellung von den naturräumlichen
Bedingungen zwischen Rhein und Elbe gesorgt haben.
Hätte alles so funktioniert, wie Augustus sich die Abläufe möglicherweise gedacht hat, so hätten heute alle Deutschen eine römische
Vergangenheit. Die Schlacht im Teutoburger Wald im Herbst des Jahres 9 n. Chr., die übrigens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Kalkriese, in der Nähe von Osnabrück, stattfand, machte
jedoch allen hochfl iegenden Plänen einen Strich durch die Rechnung.
Bei den Vorbereitungen zur großen Germanien-Expedition beginnt
nun schließlich auch die römische Besetzungsgeschichte Schwabens –
genauer gesagt: von Teilen Südwestdeutschlands, Bayerns und der
Schweiz. Infolge der Alpenfeldzüge, die Augustus’ Stiefsöhne Tiberius
und Drusus führten, kam es in den Jahren 16/15 v. Chr. nach heftigen
Kämpfen gegen die keltischen Gebirgsbewohner zur infrastrukturellen
Erschließung der Alpen mittels Passstraßen. Das Gebirge kam ebenso
unter römische Kontrolle wie das Alpenvorland. Das Unternehmen
»Alpen« diente der strategischen Vorbereitung des großen Vorstoßes
Richtung Norden. Das antike Schwaben war in dieser Hinsicht gewissermaßen das Aufmarschgebiet für die Eroberung Germaniens bis
zum mutmaßlich angestrebten Ziel an der Elbe.
Zu den denkwürdigsten und dennoch heute nur sehr wenig bekannten Episoden aus jener Zeit, als Schwaben erstmals intensive Bekanntschaft mit den Römern machte, gehört die »Schlacht im Bodensee«.
Sie fand im Jahre 15 v. Chr. statt und wurde zwischen dem römischen
Feldherrn und späteren Kaiser Tiberius und dem keltischen Stamm
der Vindeliker ausgefochten. Die Vindeliker siedelten damals auf der
oberbayerisch-schwäbischen Hochebene und hatten wohl auch Dependancen in Vorarlberg und Tirol. Berühmt waren sie für ihre Kampfkraft, und als sich die römischen Legionen unter Tiberius dem Bodenseeraum näherten, spürten die Vindeliker wenig Neigung, sich den
Angreifern kampf los zu unterwerfen. Der zeitgenössische griechische
Historiker und Geograph Strabon, der über den Kampf im Bodensee berichtet hat, führt dazu Einzelheiten aus: Der See »enthält auch
eine Insel, derer sich Tiberius als Stützpunkt bediente, als er gegen die
Vindeliker in einem Seegefecht kämpfte.« Bei der Insel dürfte es sich
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um die Mainau handeln, die auf diese Weise zum Schauplatz eines
Gefechts im Rahmen der römischen Expansion zur Zeit des Kaisers
Augustus wurde. Tiberius gewann die Schlacht, das tapfere Keltenvolk aber den Respekt der Römer. Wie sie es gerne taten, integrierten die Römer Verbände der Vindeliker in ihre eigene Armee. Den
Bodensee, mit dem Tiberius zusammen mit seiner Bodenseeflotte so
intensive Bekanntschaft machte, nannten die Römer Lacus Brigantinus
nach den Brigantiern, den antiken Anwohnern des heutigen »Schwäbischen Meeres«. Im Stadtnamen Bregenz hat sich dieser Name bis heute
bewahrt, einer von vielen Beweisen für die Kontinuität des antiken
Erbes. Eine politische Konsequenz der römischen Alpenfeldzüge von
16/15 v. Chr. war die bald danach, spätestens in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. erfolgte Gründung der Provinz Raetia et Vindelicia.
Modern gesprochen, umfasste diese Nordprovinz des Imperium
Romanum ein Gebiet, das sich neben Teilen der Zentralalpen auf die
südöstliche Schweiz, Vorarlberg, Tirol und das Alpenvorland zwischen
Bodensee, Donau und Inn erstreckte. Übrigens stattete Tiberius als
erster Römer gleich nach der Bodensee-Schlacht auch den Donauquellen beim heutigen Donaueschingen einen Besuch ab. Hier mischten
sich offenbar strategische Interessen mit echtem geographischem Forschungseifer. Die Donau gelangte danach verstärkt in den Fokus der
römischen Aufmerksamkeit.
Der Fluss stellte bei den folgenden strategischen Konzepten der Römer einen wichtigen Faktor dar. Während die Hauptangriffe gegen
das freie Germanien, die 9 n. Chr. im Teutoburger Wald ein so abruptes Ende fanden, vor allem von den Legionslagern am Rhein aus
durchgeführt wurden, diente die Donauregion als Basis für flankierende operative Unternehmungen. 15 v. Chr. entstand bei Dangstetten
im Kreis Waldshut das erste Militärlager auf dem Boden des heutigen
Baden-Württembergs. Stationiert war in diesem Lager die 10. Legion.
Das Lager war allerdings nur sechs Jahre in Betrieb und wurde somit
bereits im Jahr 9 v. Chr., in der heißen Phase der augusteischen Expansionspolitik in Germanien, wieder aufgegeben.
Die Schlacht im Teutoburger Wald bedeutete die große Kehrtwende
in der römischen Germanienpolitik. Augustus nahm Abschied von
dem offensiven Konzept und ging zu einer Politik der Absicherung
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der Reichsgrenzen über. Militärische Abenteuer standen auch unter
seinen Nachfolgern nicht mehr auf der Agenda. Der Rhein war bereits
seit Iulius Caesar Grenze des Imperiums. Die gleiche Funktion sollte
nun auch die Donau haben. So ging es in den Jahren nach Augustus
vor allem darum, diese Rhein-Donau-Grenze militärisch abzusichern.
Dies geschah sinnvollerweise durch die Anlage von Kastellen und es
war daher zunächst das Militär, das in diesen Gebieten das allgemeine
römische Erscheinungsbild prägte.
Schon zu Anfang der Regierungszeit des Kaisers Tiberius entstand
16/17 n. Chr. das Legionslager Vindonissa in der Nordschweiz, am Zusammenfluss von Aare und Reuss. Erste Bewohner des Lagers beim
heutigen Ort Windisch war die 13. Legion mit dem Beinamen Gemina. Sie hatte, wie alle Legionen in der Kaiserzeit eine Normalstärke
von etwas mehr als 5000 Soldaten. Unter Augustus und Tiberius gab
es insgesamt 25 Legionen, die mit einer festen Nummerierung und
mit kennzeichnenden Beinamen versehen waren. Die 13. Legion mit
dem Beinamen »Zwilling« war eine relativ junge, entweder von Caesar
oder von Augustus in der Zeit der Bürgerkriege gegründete Einheit.
Zuerst war sie in Illyrien stationiert gewesen, dann nach der Schlacht
im Teutoburger Wald an den Rhein abkommandiert worden. Am
Standort Vindonissa blieb sie bis zur Herrschaftszeit des Kaisers Claudius (41 bis 54 n. Chr.), der die Einheit nach Pannonien, nach Ungarn,
verlegte. Wie üblich bestand das Lager in Vindonissa zuerst aus Holz
und wurde dann später in Stein ausgebaut. Denkmalpflegerisch und
museal vorbildlich auf bereitet, bietet Windisch dem heutigen Besucher
einen anschaulichen Eindruck von einem frühkaiserzeitlichen Legionslager. Etwa gleichzeitig wurde weiter östlich Augusta Vindelicum
gegründet, dem die heutige Stadt Augsburg ihren Namen verdankt.
Errichtet wurden diese Lager an strategisch wichtigen Punkten, an
denen auch überregionale Straßenverbindungen zusammenliefen und
mit dem Bau der großen Legionslager ging die Errichtung einer ganzen Serie von Kastellen längs der Donau einher.
Besonders eifrig waren die Römer in dieser Hinsicht in der Regierungszeit des Kaisers Claudius. Genauer gesagt, war hier die emsige
Administration jenes Kaisers tätig, den die römischen Schriftsteller
als einen eher weltfremden Herrscher porträtiert haben. Historisch
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Nachbau eines Mannschaftsgebäudes (Contubernia) im frühkaiserzeitlichen
Legionslager von Vindonissa (heute archäologischer Park von Windisch/Schweiz)
bezeugt ist die Art und Weise seiner Inthronisation. Sein Vorgänger
und Neffe Caligula, war 41 n. Chr. in Rom einer Verschwörung von
Hof leuten und führenden Angehörigen der Praetorianer, der kaiserlichen Leibgarde, zum Opfer gefallen. Claudius hatte sich im Palast
vorsichtshalber hinter einem Vorhang versteckt und wurde dort von
einem Praetorianer entdeckt. Im Glauben, sein letztes Stündlein habe
geschlagen, schickte er noch einige Stoßgebete zu den Göttern, doch
zu seiner größten Überraschung wurde der zitternde Onkel des gerade ermordeten Kaisers von jenem Soldaten als Imperator und damit
als neuer Kaiser begrüßt.
Derlei Geschichten kursierten natürlich auch unter den römischen
Soldaten in Rätien und Germanien. Doch man hatte unter der Regierung des Claudius als einfacher Grenzsoldat wenig Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, auf welch ungewöhnliche Weise dieser Caesar
an die Macht gekommen war. Respekt verschaffte sich Claudius aber
dennoch, indem auf seine Direktiven hin die Eroberung Britanniens
in Angriff genommen wurde. Schon 43 n. Chr. konnte in dieser Hin-
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sicht Vollzug gemeldet werden, das südliche und mittlere Britannien
waren römisch.
Die Soldaten im römisch-germanischen Grenzgebiet bauten währenddessen unermüdlich weiter am Donaulimes. Dieser Begriff hat
sich in der Wissenschaft eingebürgert für jene Kette von größeren
oder kleineren Kastellen, die unter Claudius an den römischen Ufern
der Donau entstanden. Hüfi ngen gehörte dazu, Mengen-Ennetach,
Rißtissen, Günzburg und Oberstimm. Und auch wenn Claudius in
Britannien als Eroberer wirkte, so verfolgte er in den Gebieten Süddeutschlands und der Schweiz, ganz nach den Vorgaben des Augustus,
einen dezidiert defensiven Kurs. All diese Kastellbauten dienten dazu,
die Donaugrenze lediglich zu sichern. Allerdings waren damals, wie
wir heute wissen, keine wirklichen Gefahren und Herausforderungen
von Seiten der einheimischen keltischen oder zugewanderten germanischen Völkerschaften zu erwarten. Derlei mochte man zwar nach der
desaströsen Schlacht im Teutoburger Wald früher einmal befürchtet
haben, als Gerüchte kursierten, die siegreichen Barbaren um Arminius
würden nun auch die Alpen überqueren und Italien verwüsten. Doch
nichts dergleichen war geschehen, und es war, realistisch betrachtet,
auch nicht zu erwarten gewesen. Jedenfalls waren die römischen Kaiser
nach Augustus bemüht, dessen Sicherheitskonzept, das die ausgreifenden Träume von einer römischen Herrschaft bis zur Elbe abgelöst hatte,
in die Realität umzusetzen. Und nach dem Willen der Kaiser und
ihrer Militärexperten ging es nun um ein saturiertes und arrondiertes Imperium Romanum, mit dem Grenzfluss Euphrat im Osten und
den beiden Grenzflüssen Rhein und Donau im Norden und Westen.
Große Teile des heutigen Schwaben waren zu diesem Zeitpunkt aber
immer noch nicht von der römischen Herrschaft erfasst. Das galt vor
allem für die Gebiete nördlich der Donau. Dass sich die Römer dann
doch noch, entgegen ihren ursprünglichen Absichten, auch in die Neckarregionen vorwagten, hatte seinen Grund in Ereignissen, von denen Rom und das Römische Reich nach dem Tod des exzentrischen
Kaisers Nero (68 n. Chr.) erschüttert wurde. In den Annalen zur römischen Geschichte firmiert das Jahr 69 n. Chr. als das »Vierkaiserjahr«.
Damit soll nicht etwa zum Ausdruck gebracht werden, dass Rom in
diesem Jahr vier Kaiser auf einmal gehabt hätte, wie es gegen Ende
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des 3. Jahrhunderts der Fall sein würde, in der von Kaiser Diokletian
begründeten »Tetrarchie«, während der das Reich auf vier Herrscher
verteilt wurde und jeder der vier Kaiser über einen dieser Teile regierte.
Im Vierkaiserjahr des Jahres 69 n. Chr. dagegen gab es nacheinander vier Kaiser, die sich heftig bekämpften und von denen drei jeweils kurze Zeit an der Macht waren, Galbo, Otho und Vitellius. Der
vierte Prätendent setzte sich als neuer und dauerhafter Kaiser durch:
Vespasian aus der Dynastie der Flavier, römischer Herrscher von 69 bis
79 n. Chr. Ihm folgte sein Sohn Titus, der allerdings wiederum nur
kurz, nämlich von 79 bis 81 n. Chr., regierte. Domitian, der zweite
Sohn Vespasians, blieb länger an der Herrschaft (81 bis 96 n. Chr.)
und sorgte in entscheidender Weise dafür, dass das heutige Südwestdeutschland unter die Herrschaft der Caesaren kam.
Die Umstände und Erfahrungen des Vierkaiserjahres hatten Vespasian dazu veranlasst, den bisherigen moderaten Kurs an der Rheingrenze zu korrigieren. Sein Konkurrent und Vorgänger Vitellius war
Kommandant der römischen Rheinarmee mit Dienstsitz Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) gewesen. Im Gerangel um Neros Nachfolge hatte er, im Vertrauen auf seine Soldaten, seine Chance gewittert und war in Richtung Italien marschiert, um dort den Rivalen
Otho auszuschalten. Die innerrömischen Machtkämpfe und der Umstand, dass Vitellius die meisten Soldaten seiner Rheinarmeen mit
nach Italien genommen hatte, waren für eine Reihe von germanischen
Stämmen das Signal gewesen, um den Römern den Kampf anzusagen. Ihnen war die massive römische Präsenz an Rhein und Donau
ohne Frage ein Dorn im Auge. Federführend waren am Niederrhein
die Bataver, deren Aufstand sich auch die rechtsrheinischen Chatten,
die ihre Siedlungsplätze etwa im heutigen Hessen hatten, anschlossen.
Weiter im Westen begann es bei den keltischen Treverern und Lingonen zu rumoren, und in der heutigen Schweiz meldeten sich die
Helvetier zu Wort.
Nachdem es nun Vespasian also 70 n. Chr. gelungen war, seine Rivalen um die Herrschaft auszuschalten, machte er sich entschlossen
daran, diese keltischen und germanischen Unruheherde wieder zu
löschen. Gleich acht Legionen setzte er in Richtung Rhein und Donau in Marsch. Noch im selben Jahr konnten des Kaisers Legaten und
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Feldherren Vollzug melden: Der Bataveraufstand war niedergeschlagen, und auch die übrigen Stämme, welche die Kraftprobe mit dem
Imperium gewagt hatten, waren in die Schranken verwiesen worden.
Die Aufstände hatten aber in aller Deutlichkeit erwiesen, dass das bis
dahin an Rhein und Donau praktizierte Grenzverteidigungssystem
nicht der Weisheit letzter Schluss war. Insbesondere hatte es sich gezeigt, dass am Verlauf von Rhein und Donau orientierte Truppenverschiebungen sehr viel Zeit beanspruchten. Legionen beispielsweise
von Mainz nach Augsburg zu schicken, bedeutete einen erheblichen
Aufwand, weil man umständlich südlich entlang des Rheins bis nach
Augst marschieren musste, um dann von dort aus Richtung Osten
in den Lauf der Donau einzuschwenken. Der territoriale Keil zwischen Rhein und Donau musste begradigt werden, um die römischen
Rheinprovinzen und die römischen Donauprovinzen enger miteinander zu verbinden. Außerdem brauchte der neue Kaiser Vespasian militärische Erfolge, um seine Herrschaft zu legitimieren. Und schließlich
galt es, den rebellischen Kelten und Germanen zu zeigen, dass Rom
nicht gewillt war, derlei Unbotmäßigkeiten zu tolerieren.
So entschloss sich Kaiser Vespasian, die römische Herrschaft erstmals
seit den Tagen des Augustus wieder über Rhein und Donau hinaus
auszudehnen und damit das Prinzip der Flussgrenze aufzugeben. Die
neue Grenzziehung orientierte sich an den militärpolitischen Notwendigkeiten. Der Auftrag des Kaisers an seine Legaten lautete: Eine
kürzere, vorgeschobene Verbindungslinie zwischen oberem Rhein
und mittlerer Donau herzustellen. Übertragen wurde diese Aufgabe
im Jahr 74 n. Chr. dem Kommandeur des obergermanischen Heeres Gnaeus Pinarius Cornelius Clemens. Er war verantwortlich für
die Anlage einer Straße, welche die angestrebte Verbindung zwischen
Rhein und Donau schaffen sollte. Ausgangspunkt war Argentorate, das
heutige Straßburg, einer der frühesten Vorposten des römischen Militärs am Rhein und spätestens seit dem Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.
Stammquartier der 8. Legion. Von hier aus bauten die Armee-Ingenieure eine Route, die durch das Kinzigtal über den Schwarzwald an
den oberen Neckar führte, von wo aus sie via Schwäbische Alb die Donau erreichte. Die Straße sollte schneller als zuvor Truppen befördern,
doch markierte sie nun auch die neue Grenze zu den »Barbaren« am
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mittleren und unteren Neckar. Offenbar kam es während der Anlage
der Straße zu keinen größeren militärischen Auseinandersetzungen.
Jedenfalls ist in den (zumeist epigraphischen) Quellen davon nicht ausdrücklich die Rede. Aber für eine relativ friedliche Durchdringung der
Region des oberen Neckars spricht der Umstand, dass dieses Gebiet
zu jenem Zeitpunkt nur sehr schwach besiedelt gewesen sein dürfte.
Mit einer Straße allein, so erkannten die römischen Strategen, war
es aber nicht getan, wollte man in der Region erfolgreich Flagge zeigen. So wurde entlang der Straße bzw. in deren Hinterland eine Reihe
von Kastellen angelegt. Ältere Donaulager wie Hüfi ngen und Mengen-Ennetach gab man dafür auf, weil sie ihre militärische Funktion
eingebüßt hatten. Dagegen begann jetzt Rottweils große römische
Zeit. Arae Flaviae wurde die »älteste Stadt Baden-Württembergs«, wie
sie sich gerne selbst bezeichnet, in der Römerzeit genannt. An strategisch herausragender Stelle entstand hier unter den Flaviern, daher
der Name »Flavische Altäre« als Hinweis auf die Gründer und den
dort praktizierten Kaiserkult, ein Zentrum der römischen Militärverwaltung.
Vespasian starb 79 n. Chr. schwerkrank, aber in stehender Haltung,
gestützt von Helfern, weil er der Meinung war, dies sei einem Kaiser
angemessener, als den Weg ins Jenseits im Liegen anzutreten. Sterben
konnte er in der Gewissheit, die Dinge an Rhein und Donau vorangebracht zu haben. Unter seinen Söhnen Titus und vor allem unter
Domitian wurde der Kurs des Vaters konsequent weiter verfolgt. Titus
hatte allerdings nicht viel Zeit, Großes zu leisten, weil er bereits zwei
Jahre nach Antritt der Herrschaft starb. Immerhin ist zu registrieren,
dass unter seiner Ägide beim heutigen Eining am Übergang der Donau das Kohortenkastell Abusina entstand. So hat auch Titus seinen bescheidenen Beitrag zur Erschließung neuer Räume in Rätien geleistet.
Ungleich aktiver war dagegen sein Bruder Domitian, der allerdings
auch 15 Jahre Zeit hatte, sich einen respektablen Eintrag im großen
Buch der römischen Okkupationsgeschichte in Germanien zu verschaffen. Das Bild dieses Kaisers in den antiken Quellen ist ansonsten
nicht sonderlich schmeichelhaft. Insbesondere der Historiker Tacitus
ließ an diesem letzten Spross aus der Dynastie der Flavier kaum ein
gutes Haar. Das war allerdings ein wenig scheinheilig, denn Taci-
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Kaiser Domitian
(regierte 81–96 n. Chr.)
galt bei seinen Zeitgenossen als »Germanenbesieger«
(Marmorbüste in den
Kapitolinischen Museen
Rom)
tus durchlief gerade unter diesem Kaiser als Senator eine beachtliche politische Karriere. Gleichwohl fanden Tacitus und seine senatorischen Standeskollegen wenig Gefallen an Domitians autoritärem
Regierungsstil, der ihn nach Auffassung der Eliten schon fast in eine
Reihe mit den exzentrischen Kaisern Caligula und Nero rückte. Nach
Domitians Tod waren die Senatoren erleichtert und Tacitus begann
seine Lauf bahn als Autor gerade jetzt, weil es nun wieder erlaubt war,
frei und ohne kaiserliche Zensur zu schreiben. »Der Mut ist zurückgekehrt«, schrieb er in seinem hier bereits erwähnten Erstlingswerk
Agricola.
In der Germania, wie der Agricola noch im Jahre 98 n. Chr. erschienen, nimmt Tacitus die Germanienpolitik Domitians aufs Korn. Der
Name des Kaisers wird zwar nicht genannt, aber jeder zeitgenössische
Leser wusste genau, wer gemeint war. Im 37. Kapitel der Germania
heißt es: »640 Jahre stand Rom, als man unter dem Konsulat des Caeci-
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lius Metellus und des Papirius Carbo erstmals von den Waffentaten der
Kimbern hörte.« Mit den Zügen der Kimbern und Teutonen Richtung
Süden im Jahr 113 v. Chr. hatten die Auseinandersetzungen zwischen
Römern und Germanen ihren Anfang genommen. Weiter schreibt
Tacitus: »Wenn man von diesem Zeitpunkt bis zum zweiten Konsulat des Kaisers Traian rechnet, dann ergeben sich etwa 210 Jahre: So
lange schon siegen wir über Germanien.« Tam diu Germania vincitur –
eine schöne ironische Formel, die alle propagandistische Bemühungen
römischer Feldherrn und Kaiser, sich als große Germanenbesieger zu
gerieren, konterkarierte.*
Als hätte es, so suggeriert Tacitus zwischen den Zeilen, nie eine
Schlacht im Teutoburger Wald gegeben! Als hätten die Kaiser sich seit
dem späten Augustus nicht einen Defensivkurs gegenüber den Germanen verordnet! 210 Jahre siegen wir über die Germanen, und doch
ist der größte Teil Germaniens nach wie vor frei!
Gerade Domitian aber hatte sich in allen Medien, die der kaiserlichen Propaganda zur Verfügung standen, seiner militärischen Erfolge
in Germanien gerühmt. 83 n. Chr. verlieh ihm der willfährige Senat
den Ehrennamen Germanicus, also »Germanensieger«. Auf Münzen mit
dem Bild Domitians erschien die Legende Germania capta (»Germanien ist unterworfen«). Das mag heillos übertrieben gewesen sein. Aber
selbst die schärfsten Domitian-Kritiker mussten immerhin zugeben,
dass unter seiner Herrschaft die römisch-germanischen Beziehungen
eine neue Qualität erhalten hatten. Und auch aus heutiger Sicht darf
festgehalten werden: Domitian ist es gewesen, der jene organisatorischen Voraussetzungen der Herrschaft geschaffen hat, die bis zum
Ende der römischen Herrschaft im antiken Schwabenland, also bis
260 n. Chr., Bestand hatten. Sein geschichtlich bedeutsamstes Werk
war die »Erfindung« des Limes als einer neuen, konzeptionell gestalteten Form der künstlichen Reichsgrenze.
* Auf Domitian folgte Nerva und diesem kurz darauf 98 n. Chr. Traian, aus
Spanien stammend und damit der erste römische Kaiser, der nicht aus Italien
kam. Auch die römischen Kaiser bekleideten das alte republikanische Amt des
Konsulats, und im Jahr 98 n. Chr., als Tacitus die Germania schrieb, war der
Imperator Traian zum zweiten Mal Konsul.
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In der Tradition seines Vaters Vespasian hatte Domitian, im Gegensatz zu der seit den gescheiterten Expeditionen des Augustus geltenden Doktrin der defensiven Sicherheitspolitik, einen deutlich aggressiveren Kurs gegenüber den germanischen Stämmen in den von
Rom nicht besetzten Gebieten eingeschlagen. Dahinter stand letztlich
auch der seit Caesars Zeiten bekannte Wunsch der politisch Verantwortlichen, sich durch außenpolitische Erfolge ein persönliches Renommee zu verschaffen. Den für Domitian willkommenen Anlass
zum militärischen Eingreifen lieferten die zwischen Main und Lahn,
im heutigen Hessen, beheimateten Chatten. Weil sich diese immer
wieder Übergriffe auf die Rheingrenze erlaubten, nutzte Domitian
83 n. Chr. die Gelegenheit zu einer Militäraktion östlich des Rheins.
Der Kaiser ließ es sich nicht nehmen, dieses Unternehmen selbst in die
Hand zu nehmen. An der Spitze einer personell und materiell bestens
ausgerüsteten Armee machte Domitian sich auf die Expedition nach
Hessen. Moderne Mutmaßungen, der Feldzug gegen die Chatten sei
nur der Auftakt zu einer Neuauf lage der expansiven augusteischen
Germanienpolitik gewesen, dürften nicht den Tatsachen entsprechen.
Unter den gegebenen Umständen war eine Politik mit dem Ziel, eine
Reichsgrenze an der Elbe zu errichten, unrealistisch. Und betrachtet
man sich die Vorgehensweise Domitians während des Chattenkriegs,
so deutet auch nichts darauf hin, dass es hier um mehr gegangen wäre,
als darum, die außenpolitische Erfolgsbilanz des Kaisers durch eine
lokal begrenzte Militäraktion aufzupolieren. Auf jeden Fall aber entsprach Domitians Chattenkrieg der von seinem Vater entwickelten
neuen Leitlinie einer Germanienpolitik, die darauf abzielte, im Vorfeld des Römischen Reiches eine von Rom fest kontrollierbare Sicherheitszone mit überdies kürzeren Wegen zwischen den einzelnen
Militärlagern an Rhein zu Donau zu schaffen.
Die Chatten taten den Römern allerdings nicht den Gefallen, sich
ohne Widerstand in ihr Schicksal zu fügen und den Römern ihre hessischen Siedlungsbiete auf einem silbernen Tablett anzubieten. Vielmehr
wählten sie eine Kampfestaktik, die den Römern schwer zu schaffen
machte. So berichtet der römische Militärschriftsteller Frontinus, dass
die Germanen »nach ihrer Gewohnheit aus Bergwäldern und dunklen
Schlupfwinkeln wiederholt unsere Truppen überfielen und einen si-
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cheren Rückzug in die Tiefe der Wälder hatten.« Diese Erfahrung hatten die römischen Legionäre auch bereits 74 Jahre zuvor machen müssen, als ihre bedauernswerten Vorgänger in den undurchdringlichen
germanischen Wäldern von den Cheruskern des Arminius in einen
Hinterhalt gelockt worden waren. Die Wälder Germaniens waren also
das große Plus der Germanen und das große Manko der Römer. Für
umfangreiche Rodungsarbeiten hatten die römischen Eindringlinge
indes keine Zeit. Aber immerhin konnte man, so die revolutionäre
Idee des Kaisers und seines Stabes, doch Schneisen (lateinisch limites) in
die Wälder des Taunus schlagen. Der Vorsatz wurde Wirklichkeit, die
römischen Pioniere leisteten ganze Arbeit und schufen einen 177 Kilometer langen Weg durch Hessens Wälder. Die Maßnahme erwies sich
jedenfalls als effektiv, wie Frontinus zu erzählen weiß: »Domitian änderte dadurch nicht nur die militärische Lage, sondern er unterwarf
auch die Feinde, deren Zufluchtsort er bloßgelegt hatte.«
Bei der Schneise im Taunus sollte es nicht bleiben. Die Römer dachten bei ihrer Grenz- und Militärpolitik immer und überall in größeren
strategischen Zusammenhängen. Oberstes Gebot war die Begradigung
der römischen Reichsgrenze und der damit verbundenen Gelegenheit
zu schnellen und unkomplizierten Truppenverschiebungen. Dazu gehörte auch eine Neuordnung der administrativen Strukturen. Es entstanden nun die beiden Provinzen Germania superior mit der Hauptstadt Mainz und Germania inferior mit der Hauptstadt Köln. So gehörte
das heutige Schwabenland im Gefüge dieser politisch-administrativen
Regelungen zu der neuen Provinz Germania superior sowie zu der
schon unter Kaiser Claudius installierten Provinz Raetia. Die Germania superior erstreckte sich auch auf das rechtsrheinische Dekumatland,
das wahrscheinlich von Mainz aus mit verwaltet wurde. Rechts des
Rheins gab es in der gesamten römischen Ära keine Residenz eines
römischen Statthalters. Die Grenze zwischen den beiden Provinzen
Obergermanien und Rätien berührte beim heutigen schweizerischen
Eschenz badisches Gebiet und endete im Württembergischen im Rotenbachtal bei Schwäbisch Gmünd.
Am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. war damit die römische Okkupation Südwestdeutschlands, Bayerns und der Schweiz abgeschlossen. Erfolgt war sie in drei Schüben. Die erste Phase war verbunden
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gewesen mit der militärischen Erschließung der Alpen und des Alpenvorlands durch Drusus und Tiberius im Kontext der ausgreifenden,
expansiven Germanienpolitik unter Kaiser Augustus. Die zweite Phase
war mit der Begradigung der Verbindung zwischen den Militärlagern
an Rhein und Donau einhergegangen und war das Ergebnis von Aufstandsbewegungen im turbulenten Vierkaiserjahr 69 n. Chr. und zu
Beginn der Regierungszeit des ersten flavischen Kaisers Vespasian gewesen. Nicht von ungefähr stammen daher die frühesten Militäranlagen im Land zwischen Rhein, Donau und Neckar exakt aus jener Zeit.
Die dritte Phase war geprägt vom dritten flavischen Kaiser Domitian,
der bis 96 n. Chr. regierte, bevor er eines gewaltsamen Todes starb.
Sein Krieg gegen den germanischen Stamm der Chatten im hessischen
Raum war die Ouvertüre zum Bau des Limes, jener weiter unten genauer zu beschreibenden vorgeschobenen, künstlichen Reichsgrenze
zwischen Rhein und Donau, die nun für die Folgezeit den römischen
Herrschaftsbereich markierte.
Bis zum Ende der römischen Präsenz nach der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. änderte sich in der Folgezeit in militärischer und politischer Hinsicht nicht mehr viel. Der militärischen Eroberung folgte
nun die wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Durchdringung einer
Region, die für die Römer bis dahin weitgehend unbekanntes Terrain
gewesen war. Und aus einer zum Zeitpunkt der römischen Okkupation fast menschenleeren Gegend entwickelten sich jetzt, um eine
moderne terminologische Anleihe zu machen, »blühende Landschaften«. Wo die Römer waren, da schufen sie exzellente infrastrukturelle
Bedingungen, und da florierten Wirtschaft und Handel. Die antiken
Schwaben erlebten damals die erste Glanzzeit schwäbischer Geschichte.
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