Pitfall aus dem Alltag? 5. Ostschweizer Notfallsymposium am 16. März 2017 in St. Gallen Sebastian Fenner Oberarzt ZNA Spital Grabs Notarzt Alarmierung und Eintreffen Mitte Februar 2017, Wochentag, Alarm 1507 Uhr Einsatzmeldung: Verletzung mit Messer Warnung der KNZ: Unklares Geschehen mit Messer - möglichst auf Polizei warten! Eintreffen um 1513 Uhr, NEF und RTW zeitgleich extrem aufgeregte Frau vor der Eingangstür kaum Angaben zur Situation im Haus keine Polizei vor Ort Notfallsituation im Haus im Haus im EG liegt ein 35-jähriger Mann in einer Blutlache atmet tachypnoisch, auffällig blass, Puls tachykard ~130/min, GCS 15, reagiert adäquat und spricht Thoraxwunde links - etwa vordere Axillarlinie, Höhe 4./5. Rippe die ca. 2,5 cm lange Wunde ohne wesentliche äussere Blutung sonst keine Wunden, keine „Probierschnitte“, kein Messer! auf Nachfrage gibt Patient Selbstverletzung an Auskultation: seitengleiches Atemgeräusch Erstdiagnose und Strategie Erstdiagnose: hämorrhagischer Schock bei V.a. unkontrollierbare Blutung durch penetrierende Thoraxverletzung links Einsatzstrategie: Entscheidung zum „Scoop-and-run“ ins nächstgelegene Spital Verzicht auf Thoraxdrainage / -punktion während Trage geholt wird erfolgloser Versuch i.v.-Zugang → Anlage i.o.-Zugang Tibiakopf rechts + Ringerfundin Sauerstoffgabe Scoop and Run Abfahrt mit Patient 1529 Uhr (= Alarmzeit + 22 Minuten) zeitgleich telefonische Voranmeldung für den Schockraum Ankunft: 1532 Uhr (3 Minuten später) Was hätten Leitlinien empfohlen? S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletztenbehandlung Stand 07/2016 Leitlinien (Spannungs)pneumothorax Leitlinien Transport Leitlinien Schockraumaktivierung Schockraumphase Ankunft 1532 Uhr: Schockraum-Team stand komplett bereit Rapport: führendes C-Problem mit hämorrhagischem Schock und V.a. Perikardtamponade Diagnostik: F.A.S.T.: Perikardtamponade Massnahmen: Perikardpunktion durch Teamleader Venenzugang über V. jug. ext. rechts durch Anästhesie Schockraumphase Beginn CPR wenige Minuten nach Übergabe (zunehmende Hypokinesie des Herzens, Patient noch somnolent) Narkoseeinleitung und Anlage einer Thoraxdrainage links unter Reanimationsbedingungen → 1g Tranexamsäure i.v. → insgesamt 6 Erythrozytenkonzentrate Null negativ i.v. → + kistalloider Volumenersatz Anlage Large Bore und arterieller Katheter Was hätten Leitlinien empfohlen? Leitlinien Thoraxtrauma Schockraum Leitlinien Trauma-Reanimation Leitlinien Gerinnung Leitlinien Transfusion Outcome Schockraumphase ca. 40 ml Perikarderguss abpunktiert (sonographisch kontrolliert, erfolgreich) aus der Thoraxdrainage mindestens 2,5 Liter Blut Pulslose elektrische Aktivität Fortführen der CPR und Adrenalingaben Verdachtsdiagnose: penetrierende Verletzung der Herzvorderwand Abbruch CPR und † um 1611 Uhr Obduktionsbefund des IRM 600 ml Blut frei in der Thoraxhöhle Stichverletzung zw. 4./5 Rippe links mit Verletzung der 4. Rippe Der Stichkanal 14 cm lang, Perikard und Herzvorderwand penetrierend bis in den linken Ventrikel reichend Spuren der Perikardpunktion durch Perikard und an Herzspitze Hätten wir eine Chance gehabt? Wenn überhaupt, dann nur mit ausreichend Equipment und Expertise! Take-Home-Messages schwierige Einschätzung penetrierender (Thorax)verletzungen sichtbare Wunde lässt nicht auf Verletzungsschwere schliessen für penetrierende (Thorax)verletzung(en) im hämorrhagischen Schock gibt es nur einen erfolgversprechenden Therapieansatz: die chirurgische Blutstillung! bei penetrierenden Verletzungen: „Scoop&Run“ / „Treat-on-street“ kein Vorteil für ALS an Spannungspneumothorax denken (Auskultation!). Bei klinischem Hinweis ggf. zunächst (weniger zeitintensive) Entlastungspunktion Take-Home-Messages Volumenersatz bei unkontrollierbaren Blutungen mit dem Ziel einer permissiven Hypotension; kristalloide Lösungen frühzeitig an die Gerinnung denken: Auskühlen und zuviel Verdünnung vermeiden bei massiven Blutugen Tranexamsäure i.v. oder i.o. auch bei sehr kurzer Vorlaufzeit lohnt eine telefonische Schockraum-Voranmeldung Eigenschutz trotz Hektik und Stress immer beachten! Insbesondere beim Messer mehr als die Armlänge Abstand Quellenangaben Bakalos, G. et al.: Advanced life support versus basic life support in the prehospital setting: A meta-analysis; Resuscitation 2011, Volume 82 , Issue 9 , 1130 - 1137 Ryynänen, O. et al.: Is advanced life support better than basic life support in prehospital care? A systematic review, Scandinavian Journal of Trauma, Resuscitation and Emergency Medicine 2010, 18:62 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletztenbehandlung, 01.07.2016, redaktionell überarbeitete Version vom 26.10.2016, Registernummer 012 - 019 URL: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-019.html (Screenshots in dieser Präsentation stammen aus der Kurzversion der Leitlinie) Herzlichen Dank für's Zuhören!