- Deutsches Historisches Museum

Werbung
PRESSEMAPPE
GEWALTMIGRATION ERINNERN
Twice a Stranger
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
6. November 2014 bis 18. Januar 2015
Inhalt
Mediengespräch
2
Fakten und Daten
4
Begleitveranstaltungen
5
Führungen
6
Ausstellungstexte
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Twice a Stranger
7
17
Pressebilder
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
20
Twice a Stranger
21
1
Mediengespräch zur Ausstellung
am 5. November 2014, 11 Uhr
GEWALTMIGRATION ERINNERN
Twice a Stranger
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
6. November 2014 bis 18. Januar 2015
Flucht, Vertreibung, Deportation, Zwangsumsiedlung, ethnische „Säuberung“: Das
20. Jahrhundert kennt eine Vielzahl von Begriffen für Migrationen, die gegen den
Willen der davon betroffenen Menschen erfolgten und von Gewalt gekennzeichnet
waren. Seit einigen Jahren wird an dieses Phänomen auch in Ausstellungen und
Museen erinnert.
Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung präsentiert gemeinsam mit dem
Deutschen Historischen Museum erstmals in Deutschland die von der griechischen
Produktionsfirma Anemon entwickelte Ausstellung Twice a Stranger. Ausgehend
vom griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch nach dem Ersten Weltkrieg
zeigt Twice a Stranger mit seltenen historischen Filmaufnahmen und
Zeitzeugeninterviews das Schicksal von Menschen aus Griechenland, der Türkei,
Indien, Pakistan und Zypern, die Opfer gewaltsamer Bevölkerungsverschiebungen
wurden. Manche fühlen sich nie mehr ganz zu Hause: Weder dort, wo sie geboren
wurden und wohin sie nicht mehr zurückkehren können, noch in ihrer neuen
Heimat, wo sie alt werden, ohne ganz integriert zu sein. Ihre Geschichten geben
der Ausstellung den Titel Twice a Stranger. Die Ausstellung war bereits in Istanbul,
Athen, Nikosia und Stockholm zu sehen und stieß dort auf ein lebhaftes Medienund Publikumsinteresse.
Gemeinsam mit dem Projekt Twice a Stranger stellt die Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung ihre Arbeit vor. In 22 Stationen, gestalterisch an
Studiertische angelehnt, gibt sie exemplarische Einblicke in das inhaltliche
Spektrum der künftigen Dauerausstellung und zeigt ausgewählte Objekte der im
Aufbau befindlichen Sammlung. Die thematischen Einheiten werden von zwei
Arbeiten flankiert, die sich mit dem Phänomen Gewaltmigration fotografisch
auseinandersetzen: „The Sorrows of the Refugees“ (1925/1926) der griechischen
Fotografin Nelly und „Wolfskinder“ (2011) von Claudia Heinermann.
Deutsches Historisches Museum
Zeughaus und Ausstellungshalle
Unter den Linden 2
10117 Berlin
www.dhm.de
Medien- und Öffentlichkeitsarbeit
Sonja Trautmann
T +49 30 20304-411
F +49 30 20304-412
[email protected]
Medienarbeit Sonderausstellung
Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung
Leonie Mechelhoff
T +49 30 206 29 98-11
F +49 30 206 29 98-99
[email protected]
Twice a Stranger
Katerina Oikonomakou
T +49 176 32 79 66 51
[email protected]
Sonderausstellung
Gewaltmigration erinnern
6. November 2014 bis 18. Januar 2015
Täglich 10 - 18 Uhr
Mediengespräch: 05.11.2014, 11 Uhr
Eröffnung: 05.11.2014, 18 Uhr
Pressedownloads unter:
www.dhm.de
2
Es erwarten Sie:
Dr. Arnulf Scriba, Kommissarischer Abteilungsleiter Sammlungen der Stiftung
Deutsches Historisches Museum
Prof. Dr. Manfred Kittel, Direktor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Dr. Michael Dorrmann, Leiter des Bereichs Ausstellung / Sammlung der Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Andreas Apostolidis, Anemon Productions
Dr. Alexander Schwarz, Tolle Idee! Agentur (Vertretung von Anemon Productions
in Deutschland)
3
Fakten und Daten
Ort
Laufzeit
Öffnungszeiten
Eintritt
Informationen
Internet
Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung
Ausstellungsfläche
Umfang der Ausstellung
Direktor
Konzeption und Projektleitung
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Ausstellungsgestaltung
Förderer
Internet
Twice a Stranger
Ausstellungsfläche
Umfang der Ausstellung
Gesamtleitung
Konzeption und Projektleitung
Fachbeirat
Fachberatung
Ausstellungsleitung
Ausstellungsgestaltung
Förderer
Internet
Deutsches Historisches Museum
Ausstellungshalle
6. November 2014 bis 18. Januar 2015
Täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt bis 18 Jahre frei
Tagesticket 8 €, ermäßigt 4 €
Deutsches Historisches Museum
Unter den Linden 2 | 10117 Berlin
T + 49 30 20304-444 | [email protected]
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Mauerstraße 83/84 | 10117 Berlin
T + 49 30 206 29 98-11 | [email protected]
www.dhm.de
ca. 250 qm
ca. 100 Objekte und Fotografien
Prof. Dr. Manfred Kittel
Dr. Michael Dorrmann
Gunter Dehnert
gewerk design
Die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur
und Medien
www.sfvv.de
ca. 250 qm
11 Dokumentarfilme; eine interaktive
Installation
Rea Apostolides
Yuri Averof
Bruce Clark
Roger Zetter
Leonidas Liambeys
Johan Annerhed / Paan Architects
Kulturprogramm der Europäischen Kommission
The A.G. Leventis Foundation
Goethe-Institut
British Council
www.twiceastranger.net
(die Abteilung Deutschland-Polen wird in Berlin
nicht gezeigt)
4
Begleitveranstaltungen
Filmpräsentation
Zimt und Koriander (2003)
17. November 2014, 18 Uhr
Zeughauskino, Eintritt frei
35 Jahre nachdem seine griechisch-stämmige Familie aus der Türkei fliehen
musste, reist Fanis Iakovidis ans Sterbebett seines in Istanbul verbliebenen
Großvaters, der ihm einst die hohe Kunst des Kochens lehrte. Dabei überkommen
ihn Erinnerungen an seine Kindheit und er beginnt, seinen eigenen Lebensweg zu
hinterfragen. Der Film zeigt entlang einer Familiengeschichte mit vielen
tragischen, aber auch komischen Momenten, die Problematik des griechischtürkischen Konfliktes. Gekennzeichnet von feiner Melancholie und humoristischer
Leichtigkeit, erzählt er unaufdringlich von Vertreibung und Exil und macht den
Schmerz der Heimatlosigkeit spürbar.
Programm
Begrüßung
Prof. Dr. Manfred Kittel, Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Filmvorführung
________________________________________________________________
Vortrag und Podiumsgespräch
Twice a Stranger ― Wie Massenvertreibungen das moderne Griechenland und
die Türkei formten
2. Dezember 2014, 18 Uhr
Zeughauskino, Eintritt frei
1923, nach einem langen Krieg über die Zukunft des Osmanischen Reiches,
mussten fast zwei Millionen Bewohner der Türkei und Griechenlands dies- und
jenseits der Ägäis ihre Heimat verlassen ― vertrieben, weil sie zur „falschen“
Religion gehörten. Bruce Clark beleuchtet die dramatischen Ereignisse dieses
„Bevölkerungsaustauschs“ unter Berücksichtigung neuester griechischer und
türkischer Forschungen sowie Interviews mit Flüchtlingen. In seinen Arbeiten
entwirft er ein faszinierendes Panorama jener Zeit und gibt auch den Opfern dieser
„ethnischen Säuberungen“ eine Stimme.
Programm
Begrüßung
Prof. Dr. Alexander Koch, Stiftung Deutsches Historisches Museum
Prof. Dr. Manfred Kittel, Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Vortrag
Bruce Clark, Journalist und Schriftsteller
Podiumsgespräch
Bruce Clark, Journalist und Schriftsteller
Moderation: Angie Saltampasi, Journalistin
5
Führungen
Öffentliche Führungen
DO + SA, 14 Uhr
Sonderführungen
DI, 11. November, 16 Uhr: Kriegsende ― Waffenstillstand und Friede?
MI, 10. Dezember, 16 Uhr: Internationaler Tag der Menschenrechte
Führungen für Gruppen
mit Voranmeldung
T +49 30 20304-750
[email protected]
75 € zzgl. Eintritt
Führungen für Schulklassen
1 € pro Schüler, Eintritt frei
6
Ausstellungstexte
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Die Vertreibung der Balkanmuslime 1912/1913
Die beiden Balkankriege der Jahre 1912/1913 markieren den Beginn extrem
gewalttätiger ethnischer „Säuberungen“ im 20. Jahrhundert. Mit gezielten
Aktionen gegen die Zivilbevölkerung wie Plünderungen, Vergewaltigungen,
Massakern und Repressalien verschiedenster Art lösten die kriegführenden
Parteien umfangreiche Fluchtbewegungen aus und setzten Vertreibungen in
Gang. Ihre Absicht war ethnische und religiöse Homogenität in den eroberten
Gebieten herzustellen. Von diesen Maßnahmen waren fast alle Völker auf dem
Balkan betroffen, am stärksten trafen sie jedoch die muslimische Bevölkerung. Bis
zu 400.000 Muslime mussten ihre angestammte Heimat auf dem Balkan verlassen.
Die Ansiedlung dieser Flüchtlinge und Vertriebenen in gemischtbesiedelten
Gebieten des Osmanischen Reiches führte häufig zu neuen Spannungen und
beförderte spätere Vertreibungen und Gewalttaten.
Die Deportation der Osmanischen Armenier 1915/1916
Seit 1913 bestimmte die Diktatur der İttihat ve Terakki Cemiyeti (Bewegung der
„Jungtürken“) die Politik des Osmanischen Reiches. Sie setzte sich die
Umwandlung des osmanischen Vielvölkerstaats in einen türkischen Nationalstaat
mit Anatolien als dessen Zentrum zum Ziel und bediente sich dazu auch ethnischer
„Säuberungen“. Unter dem Vorwand, die armenische Bevölkerung unterstütze den
russischen Kriegsgegner, begann im Frühjahr 1915 die Verschleppung der
politischen und intellektuellen armenischen Elite in Istanbul sowie die Deportation
der armenischen Landbevölkerung. Aufgrund der großen Entfernungen und
mangels Unterkunft und Verpflegung kamen die zentral angeordneten
Deportationen in die syrische Wüste vielfach einem Todesurteil gleich. Sowohl
während der Deportationen als auch in den Deportationslagern kam es zu
Überfällen und Massakern. Schätzungen schwanken zwischen 600.000 und 1,5
Millionen Todesopfern unter der armenischen Bevölkerung. Was als Deportation
begann, endete im ersten europäischen Genozid des 20. Jahrhunderts.
Der Griechisch-Türkische Bevölkerungsaustausch 1922/1923
Nach dem Ersten Weltkrieg nutzte die griechische Regierung die Schwäche des
Osmanischen Reiches, um die „Megali Idea“ – ein Großgriechenland unter
Einschluss der griechisch besiedelten Gebiete Kleinasiens – in die Tat umzusetzen.
Im griechisch-türkischen Krieg der Jahre 1919 – 1922 gelang es der griechischen
Armee anfangs weite Teile Anatoliens zu erobern, bevor sie von der türkischen
Gegenoffensive 1922 zurückgedrängt wurde. Der Krieg war auf beiden Seiten von
Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung geprägt und hatte Züge einer ethnischen
„Säuberung“. Gemeinsam mit der griechischen Armee flohen schließlich über eine
Million Griechen aus Kleinasien. Der griechisch-türkische Friedensvertrag von
7
Lausanne (1923) sanktionierte die vorangegangenen Vertreibungsmaßnahmen. Er
bestätigte darüber hinaus einen Zwangsaustausch von türkischen Staatsbürgern
griechisch-orthodoxen Glaubens, die auf türkischem Territorium lebten, und
griechischen Staatsbürgern muslimischen Glaubens auf griechischem Territorium.
Vor allem in Griechenland litten die Flüchtlinge und Vertriebenen lange unter sehr
schlechten Lebensverhältnissen.
Gebietsabtretungen und Volksabstimmungen 1919/1921
Am Ende des Ersten Weltkriegs sollte das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“
die territoriale Zugehörigkeit umstrittener Grenzregionen auf friedlichem Wege
regeln. Jedoch gewährten es die Siegermächte nicht in jedem Fall. So wurden mit
dem Versailler Friedensvertrag 1919 auch Gebiete mit fast ausschließlich
deutscher Bevölkerung – wie etwa Danzig – vom Deutschen Reich abgetrennt. In
einigen Teilen Ost- und Westpreußens wurde am 11. Juli 1920 eine Volksabstimmung durchgeführt, in deren Folge die Abstimmungsgebiete Allenstein und
Marienwerder beim Deutschen Reich verblieben. In anderen Teilen der Provinz
Westpreußen, in denen Deutsche, Polen und Andere seit Jahrhunderten
nebeneinander lebten, kam es zu Gebietsabtretungen ohne Volksabstimmungen.
Wer hier oder auch in der ehemaligen Provinz Posen von der laut Versailler Vertrag
möglichen Option für die deutsche Staatsangehörigkeit Gebrauch machte, wurde
vom polnischen Staat als Ausländer eingestuft und gedrängt, das Land zu
verlassen.
Minderheiten in der Zwischenkriegszeit 1919/1939
Viele der 1919 neu oder wieder begründeten Staaten waren keine echten
Nationalstaaten. Um eine Unterdrückung oder Verdrängung ihrer nationalen
Minderheiten auszuschließen, wurden ihnen im Rahmen der Pariser Friedensverträge Minderheitenschutzverpflichtungen auferlegt, die aber zahlreiche
Benachteiligungen nicht verhinderten. Im Fall der deutschen Minderheit in Polen
bildete auch die Schulpolitik eines der Hauptkonfliktfelder. So ging infolge der von
der polnischen Partei der Nationaldemokraten betriebenen Politik der
„Entdeutschung“ die Zahl der deutschen Schulen in den 1920er Jahren stark
zurück. Von dem 1926 an die Macht gekommenen Marschall Józef Piłsudski, der
anders als die National-Demokraten eher von den vornationalen Traditionen der
polnisch-litauischen Adelsrepublik geprägt war, erhoffte sich die deutsche
Minderheit eine Verbesserung ihrer Lage.
8
Verfolgung und Emigration deutscher Juden 1933/1939
Mit Beginn der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933
waren die deutschen Juden umfassenden Ausgrenzungs-, Diskriminierungs- und
Verfolgungserfahrungen ausgesetzt. Zwischen 1933 und 1937 verließen deshalb
etwa 130.000 Juden ihre Heimat. Weitere 120.000 flohen in den Jahren 1938 und
1939 vor der eskalierenden antisemitischen Gewalt aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Die restriktiven Aufnahmebedingungen möglicher
Zufluchtsländer erschwerten jedoch die Versuche der jüdischen Bevölkerung, dem
deutschen Machtbereich zu entkommen. Unter dem Eindruck des Novemberpogroms des Jahres 1938 erklärte sich Großbritannien zu einer Liberalisierung
bereit und nahm bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs mit den sogenannten
„Kindertransporten“ etwa 10.000 jüdische Kinder auf. Die meisten von ihnen
verloren ihre Familien im Holocaust.
Umsiedlung von „Volksdeutschen“ 1939/1940
Infolge des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. August 1939 gerieten die baltischen
Staaten sowie große Teile Polens und Rumäniens in den sowjetischen Machtbereich. Die dort lebenden Deutschen forderte Hitler im Sinne der von ihm
gewünschten Beseitigung „nichthaltbarer Splitter des deutschen Volkstums“ in
Ost- und Südosteuropa dazu auf, ihre Heimat zu verlassen und in das
„Großdeutsche Reich“ überzusiedeln. Von den vertraglich geregelten
Umsiedlungen, denen sich der Einzelne kaum entziehen konnte, waren
Deutschbalten, Deutsche aus Bessarabien, der Nordbukowina, Galizien,
Wolhynien und dem Narewgebiet betroffen. Ihnen schlossen sich in einer
gesonderten deutsch-rumänischen Vereinbarung auch Deutsche aus der
Südbukowina und der nördlichen Dobrudscha an, obwohl diese Gebiete bei
Rumänien verblieben. Von den über eine Million angekommenen
„Volksdeutschen“ wurden etwa 400.000 in den von Deutschland annektierten
Gebieten Polens angesiedelt. Andere kamen in das „Protektorat Böhmen und
Mähren“, das „Generalgouvernement“, die annektierte Untersteiermark oder das
„Altreich“.
Vertreibung der polnischen Bevölkerung 1939/1945
Ziel der nationalsozialistischen Politik war die vollständige „Germanisierung“ der
1939 von Deutschland annektierten Gebiete Polens. Neben der Neuansiedlung von
„Volksdeutschen“, der Deportation und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
und der Einführung der „Deutschen Volksliste“ fanden vor allem im „Warthegau“
zahlreiche gewaltsame Vertreibungsaktionen gegen die polnische Bevölkerung
statt. Die Vertreibungen wurden in der Regel unangekündigt kurz vor dem
Eintreffen neuer „volksdeutscher“ Siedler durchgeführt, damit die Höfe nicht
längere Zeit leer standen und die Bauernfamilien keine Gelegenheit zur Flucht
9
hatten. Die vertriebene polnische Bevölkerung wurde in Auffanglagern gesammelt
und entweder zur Zwangsarbeit nach Deutschland oder in das „Generalgouvernement“ deportiert. Im „Generalgouvernement“ übte die deutsche
Besatzungsmacht ein Terrorregime aus, zu dem die Ermordung polnischer Eliten
ebenso gehörte wie die Auslöschung ganzer Dörfer.
Die Deportation der Russlanddeutschen 1941/1956
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts warb das russische Zarenreich für die Ansiedlung
deutscher Bauern und Handwerker. Bis in das 19. Jahrhundert zogen deutsche
Kolonisten in das Wolgagebiet, an das Schwarze Meer und in die westlichen
Grenzgebiete des Russischen Reichs. Das größte Siedlungsgebiet Russlanddeutscher befand sich im Wolgagebiet, wo nach der Gründung der Sowjetunion
1924 die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) der Wolgadeutschen
entstand. Drei Monate nach dem Überfall des Deutschen Reichs auf die
Sowjetunion im Juni 1941 stellte die sowjetische Regierung alle deutschstämmigen
Sowjetbürger unter den Generalverdacht der Kollaboration. Mehr als 800.000
Menschen wurden daraufhin nach Kasachstan und Sibirien deportiert, wo sie auch
nach Kriegsende bis 1956 in bewachten Sondersiedlungen leben mussten. Darüber
hinaus wurden 350.000 Russlanddeutsche von 1941 bis 1945 zum Dienst in der
sogenannten Arbeitsarmee („Trudarmee“) gezwungen und leisteten unter Aufsicht
des sowjetischen Geheimdienstes Zwangsarbeit. Viele starben an den Folgen der
Arbeits- und Haftbedingungen.
Das Ghetto Lodz 1940/1944
Nach dem Angriff auf Polen im September 1939 annektierten die deutschen
Besatzer die westlichen Landesteile. Die mittelpolnische Stadt Lodz wurde dabei
in den „Reichsgau Wartheland“ eingegliedert. In den folgenden Jahren machten
die Nationalsozialisten Lodz zu einer Zentrale ihrer Bevölkerungs- und
Vernichtungspolitik. Die Vertreibung der polnischen Zivilbevölkerung und die
„Einwanderung“ neuer deutscher Siedler wurden dort in die Wege geleitet. Für die
jüdische Bevölkerung war Lodz ein Ort, an dem sie Deportationen, Zwangsarbeit
und Massenmord ausgesetzt war. Neben der Ghettoisierung der örtlichen Juden
bildete Lodz ab Oktober 1941 auch das Ziel von Massendeportationen der
jüdischen Bevölkerung aus deutschen Großstädten. Im Rahmen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden seit dem 8. Dezember 1941 mehr als
150.000 Juden aus dem Lodzer Ghetto in das nahe Vernichtungslager Chełmno
(Kulmhof) deportiert und durch Giftgas ermordet. Neben der Sowjetunion war das
besetzte Polen ein zentraler Platz der Shoah, der systematischen Ermordung von 6
Millionen europäischen Juden.
10
Flucht der deutschen Zivilbevölkerung 1944/1945
Nach dem Zusammenbruch der deutschen Front kämpfte die sowjetische Armee
Mitte Oktober 1944 in Ostpreußen erstmals auf Reichsgebiet. In Nemmersdorf
(heute Majakowskoje) verübte die Rote Armee ein Massaker an der Zivilbevölkerung. Nach der Rückeroberung des Ortes durch die Wehrmacht
missbrauchte die NS-Führung dieses Ereignis für unverantwortliche Durchhalteparolen. Eine rechtzeitige Evakuierung unterblieb. Unter der deutschen
Zivilbevölkerung brach Panik aus. Millionen Deutsche verließen ihre Heimat, viele
von ihnen starben nach Gewalttaten sowjetischer Truppen, durch Kriegseinwirkungen oder an den Strapazen der Flucht. Wochenlang bildete für die
flüchtende Bevölkerung der Weg über das vereiste Frische Haff auf die Frische
Nehrung die einzig verbliebene Verbindung nach Westen. Bis zu zwei Millionen
Flüchtlinge wurden auf dem Seeweg in den Westen evakuiert. Dabei starben
Zehntausende, etwa bei der Versenkung der „Goya“ oder „Gustloff“.
Der Prager Aufstand 1945
Wenige Tage vor Kriegsende begann in Prag am 5. Mai 1945 ein Aufstand
tschechischer Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung. Einheiten der
Waffen-SS starteten eine Gegenoffensive, bei der sie auch Gräueltaten an
Zivilisten verübten. Nach der Kapitulation und dem Abzug der deutschen
Streitkräfte am 8. Mai fanden flächendeckend Ausschreitungen gegen die
deutsche Zivilbevölkerung in Prag statt, die bis zu willkürlichen Folterungen und
Tötungen reichten. Alle Deutschen wurden interniert und in den kommenden
Tagen vielfach zu Aufräumarbeiten in den Straßen Prags gezwungen, wo sie
erneut Demütigungen und Misshandlungen ausgesetzt waren.
Die „wilden Vertreibungen“ 1945
Im Frühsommer 1945 begannen sowohl in der Tschechoslowakei als auch in den
bis dahin preußischen Ostprovinzen die sogenannten „wilden Vertreibungen“ der
deutschen Bevölkerung. Diese waren aber keine Folge spontaner Gewalt, sondern
beruhten auf zentralen politischen Anweisungen und wurden meist von Militär und
Polizei durchgeführt. Noch bevor die Potsdamer Konferenz über ihr endgültiges
Schicksal entschied, sollten möglichst viele Deutsche ihre Heimat bereits verlassen
haben. Im Zeitraum von Mai bis Ende Juli 1945 wurden schätzungsweise 450.000
Deutsche aus der Tschechoslowakei und 400.000 Deutsche aus den später Polen
angegliederten Gebieten gewaltsam ausgesiedelt. Während der „wilden
Vertreibungen“ kam es häufig zu Misshandlungen, Vergewaltigungen und Morden.
Gewaltmärsche forderten ebenfalls zahlreiche Menschenleben.
11
Die „organisierten Vertreibungen“ 1946/1947
Der Phase der „wilden Vertreibungen“ folgten „organisierte Vertreibungen“ auf
der Grundlage der Potsdamer Beschlüsse der Siegermächte vom August 1945.
Danach sollten Millionen Deutsche aus dem östlichen Europa „ordnungsgemäß
und human“ in den Westen „überführt“ werden. Tatsächlich kam es aber auch bei
den planmäßig durchgeführten Zwangsaussiedlungen infolge chaotischer
Transporte in Viehwaggons, unzureichender medizinischer Versorgung, Kälte und
Hunger zu zahlreichen Todesfällen. Bei den im Westen Angekommenen lag die
Sterblichkeit noch längere Zeit höher als bei den Einheimischen. Alte, Frauen,
Kinder und Arbeitsunfähige wurden zuerst ausgesiedelt, dringend benötigte
Fachkräfte häufig erst später. Die meisten Vertriebenen erreichten ihre
Bestimmungsorte in den alliierten Besatzungszonen praktisch mittellos. Viele
Familien wurden durch Flucht und Vertreibung auseinandergerissen; oft konnten
sie sich erst nach Jahren wiederfinden.
Um- und Ansiedlung der polnischen Bevölkerung 1944/1946
Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 hatte die Ostgebiete der Zweiten
Polnischen Republik der Sowjetunion zugeschlagen. Neben einer starken
polnischen Minderheit lebten in den sogenannten „Kresy“ vor allem Ukrainer,
Weißrussen, Litauer und Juden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs billigten die
Westalliierten Stalins Forderung, diese Gebiete endgültig der Sowjetunion
einzuverleiben. Im Gegenzug erhielt Polen einen Großteil der bis dahin
preußischen Ostprovinzen, wo bis 1945 etwa 10 Millionen Menschen gelebt
hatten. Nach Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung wurden
1945/1946 etwa eineinhalb Millionen Ostpolen in Danzig, im südlichen
Ostpreußen, in Ostbrandenburg, Hinterpommern und Schlesien angesiedelt. Sie
hatten ihre Heimat aufgrund von bereits 1944 geschlossenen Umsiedlungsverträgen zwischen dem Polnischen Komitee der Nationalen Befreiung und der
Sowjetunion verlassen müssen. Die größte Gruppe in den neuen polnischen
Westgebieten bildeten neben Rückkehrern aus Kriegsemigration oder
Zwangsarbeit Siedler aus Zentralpolen.
Neubeginn im Westen 1945/1949
In den ersten Nachkriegsjahren waren die 8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen
in den westlichen Besatzungszonen noch weit stärker als die übrigen Menschen
von materieller Not betroffen. In ländlichen Regionen erschwerten mentale und
soziale Unterschiede das Zusammenleben von Einheimischen und Neuankömmlingen. Durch den Zuzug der Flüchtlinge und Vertriebenen hatten sich
zudem in früher rein protestantischen oder katholischen Gebieten die
Konfessionen gemischt. Kirchliche Initiativen wie das 1947 gegründete katholische
Hilfswerk „Kirche in Not“ halfen mit der Verteilung von Nahrungsmitteln und
12
Kleidung und kümmerten sich um die Seelsorge. Bis Ende der 1950er Jahre fuhren
sogenannte Rucksack- oder Flüchtlingspriester über Land und hielten
Gottesdienste in der heimatlichen Liturgie der Flüchtlinge und Vertriebenen ab.
Sie improvisierten dabei mit mobilem Messgeschirr und umgebauten Fahrzeugen.
In der religiösen Gemeinschaft erlebten viele Menschen Verständnis und ein
vertrautes Miteinander.
„Umsiedler“ in der SBZ / DDR 1945/1949
Mit 24 % war der Anteil von Flüchtlingen und Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung in der Sowjetische Besatzungszone (SBZ) noch höher als in
Westdeutschland. In vielen ländlichen Regionen stellten sie fast die Hälfte der
Bevölkerung. Die sowjetische Militäradministration hatte das Ziel, die vollständige
Eingliederung und Assimilation dieser Gruppe in kürzester Zeit umzusetzen. Im
Zuge der ab September 1945 durchgeführten Bodenreform wurde etwa 350.000
Personen ein Teil des zuvor enteigneten Großgrundbesitzes zugeteilt. Diese
„Neubauern“ galten als Vorzeigeobjekt sozialistischer Eingliederungspolitik.
Offiziell galt die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen bereits in der
Gründungsphase der DDR als abgeschlossen. Herkunft und Kultur der 4,3 Millionen
Flüchtlinge und Vertriebenen, die beschönigend nur „Umsiedler“ genannt werden
durften, wurden in der DDR-Gesellschaft ignoriert.
Ankunft und Eingliederung in der Bundesrepublik 1945/1953
Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern nahmen die meisten Flüchtlinge
und Vertriebenen auf. Die Unterbringung und Versorgung einer so großen Anzahl
von Menschen stellte für die damit betrauten Verwaltungen eine große
Herausforderung mit zunächst unabsehbarem Ausgang dar. Die ortsansässige
Bevölkerung begegnete den Vertriebenen zunächst oft mit großem Misstrauen
und teilweise offener Ablehnung. Nach einer Umfrage von 1948 wünschten sich
90 % der Flüchtlinge und Vertriebenen eine Rückkehr in ihre Heimat. In der
Gründungsphase der Bundesrepublik war die „Flüchtlingsfrage“ daher ein
zentrales Thema. Mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 und dem ein Jahr
später verabschiedeten Bundesvertriebenengesetz sorgten wirtschaftliche und
soziale Hilfsmaßnahmen dafür, die materielle Schlechterstellung der Vertriebenen
gegenüber den Einheimischen abzumildern. Der zu Beginn der 1950er Jahre
einsetzende Wirtschaftsaufschwung sowie die Förderung des kulturellen Lebens
der Vertriebenen trugen zusätzlich zu ihrer Integration bei. Die psychologische
Dimension von Eingliederung und Anpassung an die Mehrheitsbevölkerung
bewerten die Erlebnisgeneration und ihre Nachkommen jedoch oft
unterschiedlich. Nicht selten wird dieser Prozess bis heute als sehr belastend
wahrgenommen.
13
Aussiedler und Spätaussiedler 1957/1993
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verblieben aus unterschiedlichsten
Gründen Millionen Deutsche in ihren Heimatgebieten in Mittel-, Südost- und
Osteuropa sowie in den sowjetischen Verbannungsregionen Zentralasiens und
Sibiriens. Gemäß Artikel 116 Grundgesetz und Bundesvertriebenengesetz vom
19. Mai 1953 galten sie für die Bundesrepublik Deutschland als „deutsche Volkszugehörige“ und hatten damit Anspruch auf die deutsche Staats-angehörigkeit.
Der Ausreiseprozess begann unmittelbar nach Abschluss der Vertreibungen im
Jahre 1950. Im Zuge der Entstalinisierung nach 1956 sowie der Entspannungspolitik in den 1970er Jahren verstärkte sich der Zustrom der Aussiedler. Bis zum
1. Januar 1993 kamen als Aussiedler und seitdem als Spätaussiedler knapp 1,5
Millionen Menschen aus Polen, 430.000 aus Rumänien und über 2,3 Millionen aus
der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten in die Bundesrepublik Deutschland.
Ethnische Konflikte in Jugoslawien 1991/1999
Der Zusammenbruch Jugoslawiens löste im Zeitraum von 1991 bis 1999 zwischen
Serbien und den nach Unabhängigkeit strebenden Teilrepubliken eine Reihe von
Kriegen aus. Dabei fanden zahlreiche ethnisch und religiös motivierte Gewalt- und
Racheakte statt. Hunderttausende mussten fliehen oder wurden aus ihren
Heimatorten vertrieben. Auch nach dem Eingreifen der internationalen
Staatengemeinschaft gingen die Kämpfe weiter. Die gezielte Ermordung von über
8.000 muslimischen Jungen und Männern in der bosnischen Stadt Srebrenica
durch serbisches Militär und Paramilitär in einer UN-Schutzzone wurde von den
Vereinten Nationen als Völkermord-Delikt anerkannt und steht stellvertretend für
die vielen Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverletzungen während der
Jugoslawienkriege. Mit dem „Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige
Jugoslawien“ errichtete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1993 in Den
Haag zum ersten Mal seit den Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher des
Zweiten Weltkrieges wieder eine Instanz für die gerichtliche Verfolgung und
Bestrafung von Einzelpersonen. Bis heute werden in Den Haag
hauptverantwortliche Akteure der Konfliktparteien für ihre Straftaten gegen das
Völkerrecht im Zeitraum der Jugoslawienkriege vor Gericht gestellt.
Gemeinsames Gedenken 2011
Bis heute beschäftigen sich viele Deutsche mit den Leiderfahrungen von Flucht
und Vertreibung in ihrer Familie. Ihre Trauer um den Verlust von Angehörigen
findet meist im privaten Raum statt. Gleichzeitig wurde und wird in ihren
Herkunftsgebieten die Vertreibung der ehemaligen Bewohner vermehrt
thematisiert. Auch ein öffentliches Gedenken an die deutschen Opfer von Gewalt
und Willkür am Ende des Zweiten Weltkrieges ist inzwischen an mehreren Orten in
Europa möglich geworden. 2011 weihten Serben und Deutsche gemeinsam einen
14
Gedenkstein auf einem Gräberfeld bei Bački Gračac (früher Filipowa) in der
serbischen Provinz Vojvodina ein. Dieser erinnert an 212 ermordete Männer und
Jungen des donauschwäbischen Dorfes im November 1944. Von dessen rund 5.300
Einwohnern kamen zwischen 1944 und 1948 etwa 1.400 Menschen durch
Gewaltakte und als Folge von Deportationen in Arbeitslager ums Leben. Die
übrigen Dorfbewohner wurden bis Ende 1946 nahezu vollständig vertrieben.
Versöhnung und Verständigung seit 1965
Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ sind
Begegnungen zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn mittlerweile
Normalität. Ihnen gingen jahrzehntelange Bemühungen um Annäherung und
Aussöhnung auf privater und politischer Ebene voraus. Einen wichtigen Schritt
unternahmen 1965 die polnischen Bischöfe mit einem Brief an ihre deutschen
Amtsbrüder. Sein zentraler Satz lautet: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“.
Bald darauf schuf die neue Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland weitere
Voraussetzungen, um menschliche Begegnungen zu erleichtern. Viele deutsche
Vertriebene suchten in der Folgezeit verstärkt Kontakt zu ihrer alten Heimat und
deren heutigen Bewohnern. Aus diesen Begegnungen entwickelten sich Städtepatenschaften und Austauschprogramme zwischen Deutschen, Polen, Tschechen
und anderen Nationen.
15
Ausstellungstexte zu den beiden fotografischen
Arbeiten
Wolfskinder
Als „Wolfskinder“ werden Kinder und Jugendliche aus dem nördlichen Ostpreußen
bezeichnet, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von ihrer Familie getrennt
und ganz auf sich alleine gestellt waren. Viele von ihnen versuchten dem
drohenden Hungertod zu entgehen, in dem sie nach Litauen flohen. Dort
arbeiteten sie meist bei der bäuerlichen Bevölkerung, von der sie zum Teil auch
adoptiert wurden. Ihre deutsche Herkunft mussten die „Wolfskinder“ allerdings in
der Öffentlichkeit stets verschweigen oder mit Hilfe einer neuen Identität
verschleiern. Erst nach dem Untergang der Sowjetunion war es ihnen möglich, sich
auf ihre Wurzeln zu besinnen oder nach Familienangehörigen zu suchen.
Gemeinsam mit der Journalistin Sonya Winterberg besuchte die Fotografin
Claudia Heinermann 2011 die letzten „Wolfskinder“ in Litauen, um deren
Geschichte zu dokumentieren.
„The Sorrows of the Refugees“
Die als Tanz- und Porträtfotografin berühmt gewordene Nelly (Elli
Souyoultzoglou) stammt aus einer wohlhabenden, ursprünglich in Aydın in
Kleinasien ansässigen griechischen Kaufmannsfamilie. Während ihre Familie 1919
aufgrund des beginnenden griechisch-türkischen Krieges nach Smyrna
übersiedelte, ging Nelly 1920 nach Dresden, um dort Malerei zu studieren. Nach
dem Brand von Smyrna und der Eroberung der Stadt durch türkische Truppen,
entschloss sich Nelly jedoch zu einer Ausbildung als Fotografin, um ihrer Familie
materiell besser beistehen zu können. 1924 ließ sich Nelly in Athen nieder,
etablierte sich dort als Porträtfotografin und sorgte zudem mit Aktfotografien für
Aufsehen. Unter dem Titel „The Sorrows of the Refugees“ stellte sie 1926 in ihrem
Studio eine Serie von Porträts griechischer Flüchtlinge aus Kleinasien aus und hielt
deren erbärmliche Lebensumstände fest.
16
Texte zur Ausstellung
Twice a Stranger
Einführung
„Twice a Stranger“ ist eine bahnbrechende Multimedia-Ausstellung, die sich mit
Zwangsumsiedlungen und Bevölkerungsaustauschen des 20. Jahrhunderts
auseinandersetzt. Millionen Menschen wurden entwurzelt und gezwungen, in eine
neue Heimat zu ziehen. Durch das Zusammenwirken von Berichten griechischer,
türkischer, indischer, pakistanischer und zyprischer Augenzeugen lernen die
Besucher Menschen kennen, die „an dem einen Ort geboren wurden, an dem
anderen alt wurden und sich an beiden Orten als Fremde fühlen“.
Augenzeugenberichte und seltene Archivfilmaufnahmen werden in MultimediaVideoinstallationen eingebunden, so dass der Besucher den von diesen
traumatischen Ereignissen Betroffenen von Angesicht zu Angesicht
gegenübersteht. Mithilfe von vier Themenbereichen (Geschichte, Reise, Heimat
und Trauma) spannt die Ausstellung den Bogen von den griechisch-türkischen
Vertreibungen in den Jahren 1922 bis 1924 bis zur Teilung Indiens und der
Gründung Pakistans 1947 und weiter bis zur Zypern-Krise in den 1960er und 1970er
Jahren.
Die Ausstellung beinhaltet:
• 9 Videoinstallationen, untergebracht in extra gefertigten
Ausstellungsständen,
• einen Café-ähnlichen Raum für Diskussion und Reflektion,
• den Baum der Erinnerung, an dem die Besucher Notizen mit ihren in
der Ausstellung gewonnenen Eindrücken hinterlassen können oder
auch ihre eigene Erfahrung des Fremdseins mitteilen können,
• parallel laufende, themenübergreifende Dokumentationsfilme
Der Baum der Erinnerung
Der Baum der Erinnerung ist eine Installation, an der der Besucher Notizen mit
seinen Erinnerungen, Erfahrungen und persönliche Fotos anbringen kann. Der
Baum befindet sich in der Mitte der Ausstellung. Die Besucher werden ermuntert,
sich an bereitstehende Tische zu setzen, Notizen zu machen, Kopien von
Familienfotografien mitzubringen und diese am Baum mit Metallclips zu
befestigen. Um den Dialog zu fördern, werden ebenfalls Stempel zur Verfügung
gestellt mit Sätzen wie „Ich fühlte mich zweifach fremd, als…“, „Jemand in meiner
Familie wurde vertrieben“, „Das ist, was ich weiß“ und „Was bedeutet mir
Heimat?“.
17
Historischer Überblick
Vom Niedergang und Zerfall der europäischen Vielvölkerstaaten nach dem Ersten
Weltkrieg über die Bildung postkolonialer Staaten in der zweiten
Jahrhunderthälfte bis zum Untergang der kommunistischen Staaten im letzten
Jahrzehnt: Die Entstehung moderner Nationen war häufig ein mit Gewalt
verbundener Vorgang. Millionen Menschen auf der ganzen Welt wurden
gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Viele konnten nie wieder zurückkehren.
Die menschlichen Verluste der Vertreibungen sind in den Berichten derer
enthalten, die überlebten, um ihre Geschichte zu erzählen. Diese Geschichten – ob
aus Griechenland, der Türkei, Indien, Pakistan oder Zypern – eint die gemeinsame
menschliche Erfahrung „zweifach fremd“ zu sein.
Griechenland und die Türkei in den 1920ern
Der Vertrag von Lausanne im Jahr 1923 sanktionierte die erzwungene Umsiedlung
von über zwei Millionen Menschen griechischer und türkischer Herkunft. Zum
Zeitpunkt des Vertrages wurden über 190.000 in der Türkei lebende christlichorthodoxe „griechische“ Einwohner unter Zwang nach Griechenland umgesiedelt,
während rund 355.000 in Griechenland lebende Muslime gezwungen wurden, in
die Türkei auszuwandern. Rückblickend wurde mit den in Lausanne beschlossenen
Zwangsumsiedlungen das Schicksal von erheblich mehr Menschen besiegelt.
Bereits im vorangegangenen Jahrzehnt, verbunden mit gewalttätigen Übergriffen,
waren zwischen 1,1 und 1,3 Millionen orthodoxe Griechen und 150.00 Muslime
entweder nach Griechenland oder in die Türkei geflohen. Die beiden
Bevölkerungsgruppen waren „entmischt“: es sollte keine Rückkehr geben.
Indien und Pakistan 1947
Im August 1947 wurde das Kaiserreich Indien – das britische „raj“ – in zwei
unabhängige souveräne Staaten geteilt, Indien und Pakistan. Diese Ereignisse
mündeten in enorme gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Muslimen,
Hindus und Sikhs. Dabei kam es zu einem Bevölkerungsaustausch von bis dahin nie
da gewesenen und auch nachher nie wieder vorgekommenen Ausmaßes.
„Indien“ war ein imperiales Staatenkonstrukt, das einen Subkontinent mit diversen
ethnischen, religiösen und politischen Gruppen einte. Die nun folgende
„Unabhängigkeit“ und „Teilung“ führte zum gewaltsamen Tod von wahrscheinlich
18
mehr als einer Million Menschen und dem Bevölkerungsaustausch von bis zu 14,5
Millionen Menschen.
Zypern 1963 bis 1974
Bald nach der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1960 brach das
komplexe, bikommunale und auf Machtteilung basierende Regierungsgefüge der
griechischen und türkischen Zyprer zusammen. Da die verantwortlichen Politiker
sich nicht auf eine neue Verfassung einigen konnten, kam es zu
Gewaltausschreitungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, die letztlich dem bis
dahin gemischten Zusammenleben auf der Insel ein Ende setzten. Im Zuge eines
von der Militärjunta in Athen unterstützten fehlgeschlagenen Militärputsches
gegen den zyprischen Präsidenten fiel die Türkei – eine der drei Garantiemächte
der Unabhängigkeit und Neutralität Zyperns – ein Jahrzehnt später, im Juli 1974, in
Zypern ein und besetzte 40% der Insel. In einer kurzen Zeitspanne wurden
ungefähr 40% der Inselbevölkerung gewaltsam vertrieben. Rund 50.000 türkische
Zyprer und etwa 180.000 griechische Zyprer wurden gezwungen, ihre Heimat zu
verlassen.
19
Pressebilder
GEWALTMIGRATION ERINNERN
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
6. November 2014 bis 18. Januar 2015
01
Nelly (Elli Souyoultzoglou, 1899–1998):
„Ohne tägliches Brot“. Aus der Serie „The
Sorrows of the Refugees“, Athen 1925/1926.
Die als Tanz- und Porträtfotografin berühmt
gewordene Nelly stammt selbst aus
Kleinasien. 1926 stellte sie in ihrem Athener
Studio eine Serie von Porträts griechischer
Flüchtlinge aus Kleinasien aus und hielt deren
erbärmliche Lebensumstände fest.
© Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung
02
Plakat „Nad Odrę“ – „An die Oder“
Polen, 1946.
Noch während der Vertreibung der deutschen
Bevölkerung warb ein eigens gegründetes
„Ministerium für die wiedergewonnenen
Gebiete“ in Polen für die Neubesiedlung
ehemals deutscher Gebiete. Etwa ein Viertel
der polnischen Siedler kam aus Gebieten, die
Polen seinerseits an die Sowjetunion abtreten
musste. © Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung
03
Notgeschirr
Deutschland, ca. 1946–1950
Die allermeisten Vertriebenen durften nur
wenig persönliche Habe mitführen. Die
Aufnahmegebiete hatten ebenfalls mit Mangel
zu kämpfen. Die notdürftig gefertigten
Geschirrutensilien sudetendeutscher
Vertriebener stammen aus der AltvaterHeimatstube (Gärtringen), die 2013 komplett
übernommen wurde. © Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung
Download Pressefotos: www.dhm.de/presse. Die Pressefotos dürfen ausschließlich im Rahmen der
Berichterstattung zur Ausstellung „Gewaltmigration erinnern“ und nur unter der vollständigen
Angabe des Quellennachweises verwendet werden.
20
Pressebilder
GEWALTMIGRATION ERINNERN
Twice a Stranger
6. November 2014 bis 18. Januar 2015
04
Hanife Şen wurde in der Nähe der Stadt
Drama (heute Nordgriechenland) geboren und
lebte seit der Umsiedlung am Rande von
Istanbul. Hanife Şen berichtet in einem
Zeitzeugeninterview, wie ihre
türkischstämmige Familie zwar die griechische
Heimat verlassen musste, aber dennoch
Griechisch als Muttersprache beibehielt.
05
Eine griechische Familie aus Kappadokien
(Kleinasien) vor ihrer Zwangsumsiedlung.
© Familienarchiv K. Terkenidis
Die Familie stammte aus dem von
Landwirtschaft geprägten Dorf Teney, in der
Nähe von Niğde in Kappadokien. Hier betrieb
sie Ackerbau und züchtete Vieh. Obwohl das
Dorf weitab der griechisch-türkischen Grenze
lag und überwiegend Türkisch gesprochen
wurde, erhielt die Familie eine Frist von einem
Monat, um ihre Habseligkeiten zu packen und
nach Griechenland aufzubrechen. Sie ließ sich
in der Nähe von Piräus nieder. An ihrer Stelle
siedelten Muslime aus Kreta und Grevena im
Dorf, das heute Yeşilburç heißt.
06
Margaret Bourke-White (1904–1971):
Flüchtlinge aus Pakistan auf ihrem Weg nach
Indien auf der Suche nach Sicherheit.
Flüchtlinge aus Pakistan auf dem Weg nach
Indien, um 1947. © Time & Life Pictures/Getty
Images
Download Pressefotos: www.dhm.de/presse. Die Pressefotos dürfen ausschließlich im Rahmen der
Berichterstattung zur Ausstellung „Gewaltmigration erinnern“ und nur unter der vollständigen
Angabe des Quellennachweises verwendet werden.
21
Herunterladen