YOUR History - Mehr Wissen über den Holocaust für Jugendliche. Ein multimediales Geschichtsprogramm des Hallischen Instituts für Medien (HIM) e.V. © 2015 Kontakt: Hallisches Institut für Medien e.V. YOUR HISTORY Mansfelder Straße 56 / MMZ 06108 Halle (Saale) !gefördert!von:! ! Website: http://yourhistory.de/Your_History/Startseite.html Mail: [email protected] Telefon: 0345-77891140 Texte aller Clips: Einführungsclip Hilfeclips (1-4) History Clips (75) S. 2 S. 5 S. 10 - 102 Seite 2 von 102 YOUR HISTORY – Einführungsclip: Die NS-Filmpropaganda Text: H = Sprecher André Hüttner / A = Sprecherin Lisa Adler H Dokumentarische Filmbilder zeigen, was sie darstellen. Das ist richtig, und doch reicht diese Beschreibung nicht aus, das Filmbild und seine Wirkung vollständig zu erfassen. A Diese Bilder zum Beispiel zeigen eine Übung der Berliner Feuerwehr aus dem Jahre 1912. Hier wurde ein Kamerastandpunkt und eine Kameraperspektive gewählt, durch die der Zuschauer der Rettungsaktion gut folgen kann. Die Kamerabewegung, ein Schwenk, unterstreicht die Dynamik und Dramatik des Geschehens. Dies kann im Schnitt der bewegten Bilder, in der sogenannten „Montage“ noch verstärkt werden. Filmbilder stellen vielmehr ein eigenes Leben auf der Leinwand her. Sie schaffen eine „gemachte“ Wirklichkeit, die so nur im Medium der bewegten Bilder entstehen kann. H Auch die Filmbilder, die uns aus der Zeit der Nazidiktatur 1933 bis 1945 erhalten geblieben sind, stellen nicht nur dar, was sie abbilden. Sie sind in ganz besonderer Weise eine „gemachte Wirklichkeit“. A Alle Filme, das Fernsehen, Zeitungen und Radio unterlagen in der Naziherrschaft einer strikten Zensur. Das heißt: Geschrieben, gedreht und gesendet durfte nur werden, was die politischen Machthaber darstellen wollten. Dabei benutzten sie besonders das Medium Film auch dazu, die Wirklichkeit zu verfälschen und ausschließlich in ihrem Sinne darzustellen. Sie wollten die Masse der Bevölkerung dadurch beeinflussen. Diese einseitige und verfälschende Verwendung von Medien für politische Zwecke nennt man Propaganda. H Die von den Nazis betriebene Film-Propaganda verfolgte drei große Ziele: Schrifttafel: Parteipropaganda Der Jude als Feind Kriegspropaganda Diese Bilder zeigen den Triumphzug der Nationalsozialisten durch das Brandenburger Tor am 30. Januar 1933, nachdem ihr Anführer Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Falsch. Diese Bilder wurden ein halbes Jahr nach der NS-Machtübernahme gedreht. Mit großem filmischen Aufwand auf hochwertigem Farbmaterial in damals bester Qualität. A Diese Filmbilder zeigen also nicht, was am 30. Januar am Brandenburger Tor wirklich geschah. Sie dienen vielmehr dazu, die Nazipartei größer, wichtiger und pompöser erscheinen zu lassen, als sie es am Beginn ihrer Schreckensherrschaft zunächst wirklich war. H Diese Bilder dienen einem ähnlichen Zweck: Sie behaupten: Die Staatspartei ist eine Volkspartei der Massen. Sie sollen die enge Verbindung zwischen dem Volk, besonders den Jungen, und dem „Führer“ Adolf Hitler zeigen. A Hitler ragt stets aus der Masse heraus. Mal wirkt er als der einsame Führer, mal soll er als der Magnet der Massen erscheinen, auf den alle Menschen ausgerichtet sind. Dann wieder als väterlicher Herrscher, ganz privat ein netter Onkel. Ein Volk, ein Reich, ein Führer – die Menschen in Deutschland sollten sich mit Hitler und seiner Partei voll und ganz identifizieren. Seite 3 von 102 O-Ton Heß H Hitler-Vertrauter Rudolf Heß bringt auf den Punkt, was die zuvor gezeigten Propagandabilder behaupten. Die Absicht, Hitler, Nazipartei und Volk als eine Einheit erscheinen zu lassen, war eng mit einem zweiten Ziel der NS-Propaganda verbunden: Schrifttafel: DER JUDE ALS FEIND A Die Juden wurden auf Plakaten, in Schulbüchern und Filmen als hinterlistige und niederträchtige Feinde der Volksgemeinschaft zwischen dem Führer und dem deutschen Volk verächtlich gemacht. Die Judenfeindlichkeit war radikal, zeigte jüdische Figuren immer wieder mit denselben Attributen: unrasiert, gebogene Nase, stechende Augen. H Den Höhepunkt dieser Verfälschung des wirklichen jüdischen Lebens stellte der Film „Der ewige Jude“ dar. In diesem von den Nazis so genannten „Dokumentarfilm“ sind Bilder aus den polnischen Ghettos zu sehen. Unter Zwang waren die polnischen Juden von den Nazis seit Kriegsbeginn 1939 in diese Ghettos deportiert worden. Hier mussten sie unter menschenunwürdigen und lebensbedrohenden Bedingungen leben. Diese Verfälschung der wahren Umstände in Polen geht schließlich so weit, dass die Juden im Ghetto durch Montageüberblendungen direkt mit Ratten verglichen werden. Und der Kommentar gibt vor, wie der Zuschauer diesen Schnitt verstehen soll: O-Ton „Der ewige Jude“ Film als Verbrechen. Den NS-Machthabern sollte der Film „Der ewige Jude“ als Legitimation für Massenmord dienen, der an den Juden in Osteuropa schon begonnen hatte. A Filmpropaganda der Nazis sind aber auch diese Bilder. Sie zeigen anscheinend das genaue Gegenteil: jüdische Bewohner im Ghetto Theresienstadt. Die SS hat diesen Film 1944 drehen lassen. Der Film war für Zuschauer im Ausland gemacht. Er sollte beweisen: Den Juden in den Konzen-trationslagern und Ghettos geht es nicht schlecht. Die massenhafte Ermordung von Juden in Vernichtungslagern sei nur Gräuelpropaganda. Doch die Lagerwirklichkeit im KZ Theresienstadt sah gleichfalls anders aus. Nur: Bewegte Bilder von den wahren Verhältnissen, durch die mehr als 33.000 Häftlinge in Theresienstadt umkamen, sind nicht überliefert. Schrifttafel: KRIEGSPROPAGANDA Mit ihrem verfälschenden Film über Theresienstadt verfolgte die SS schließlich auch ein weiteres Ziel der NS-Propaganda: Falschund Fehlinformationen ihrer Kriegsgegner. Eine Form der Kriegspropaganda. H So wie diese Bilder hier. Vorrückende Panzerverbände, anfliegende Bomberstaffeln. Zu Beginn des 2. Weltkriegs verkünden diese Bilder von den Fronten des Krieges, dass die deutsche Armee unbesiegbar sei. Dann die vielen Toten in der Schlacht von El Alamein in Nordafrika im Herbst 1942, schließlich die Katastrophe in Stalingrad im Winter 1942/43. Die Propaganda kann die Kriegsniederlagen nicht mehr leugnen. Also versucht sie, sie zu beschönigen. A Nach der verheerenden Niederlage in der Schlacht um Stalingrad läßt Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast diese Jubelveranstaltung inszenieren. Goebbels selbst gibt den Hauptredner und erklärt unter dem frenetischen Beifall des handverlesenen Publikums dem Ausland den „totalen Krieg“. Wieder sollen diese Bilder die Seite 4 von 102 unverbrüchliche Einheit von Volk und Nazipartei verbriefen, diesmal allerdings schon vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Kriegsniederlage. H Doch bis zur totalen Niederlage zeigt die NS-Filmpropaganda immer jünger werdende Kriegshelden, berichtet von tapferen Taten, frischen Heerestruppen und bereitstehenden Wunderwaffen. Nichts von alledem ist wahr. A Die Mehrzahl der Filmaufnahmen aus Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 sind nichts weiter als Bilder-Lügen. Rolltitel H In 75 Clips werden auf diesem Webportal die Vorgeschichte und die Geschichte des Holocaust mit dokumentarischen Filmaufnahmen nacherzählt, auch mit sehr vielen Bildern, die in der Nazizeit zum Zwecke der beschriebenen Propaganda hergestellt wurden. Die in den Clips verwendeten Bilder stehen auch im Archiv dem Nutzer des Portals für den Schnitt eigener Clips zur Verfügung. A Viele dieser Bilder sind Propagandaaufnahmen. Sie können große Gefühle beim Zuschauer hervorrufen und geben verfälschende und verzerrende Sichtweisen auf die historische Wirklichkeit wieder. In den Clips wird durch den Kommentar versucht, die propagandistischen Zwecke der Bilder zu brechen, sie einzuordnen und dem Zuschauer verständlich zu machen. H So sollte sich auch jeder Betrachter und jeder Nutzer von Archivmaterialien dieses Webportals der Verführungskraft der Film-Propaganda stets bewusst bleiben. Die Aufnahmen, die hier zu sehen sind, müssen mit kritischem Blick betrachtet werden. Seite 5 von 102 YOUR HISTORY – Hilfeclips (vier Teile) Teil 1: Allgemeine Funktionen Die Anwendung von YOUR HISTORY bietet Dir die Möglichkeit, Dich über die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust in Form von Filmaufnahmen zu informieren. Du kannst die Informationen sammeln, speichern und auch selbst Videoclips aus den Materialien herstellen und anderen zeigen. In vier Teilen kannst Du hier erfahren, wie das funktioniert. Die Anwendung ist in sechs Bereiche unterteilt: • Eine perspektivische Karte von Europa mit den wichtigsten größeren Städten. • Ein Band mit Videos befindet sich am oberen Bildschirmrand, die sog. HISTORY CLIPS. • Videomaterial, welches sich im Raum über der Karte anordnet, das HISTORY FOOTAGE. • Eine Zeitleiste am linken Bildrand. • Ein Menü mit Sortierungswörtern am rechten Bildrand. • Und eine Werkzeugleiste mit unterschiedlichen Symbolen am unteren Bildschirmrand. Dies sind die wichtigsten Elemente, um in der Anwendung zu navigieren und Inhalte auszuwählen. Um Dich in der Anwendung zu bewegen, hast Du mehrere Möglichkeiten: • Bei gedrückter Maustaste kannst Du dich durch Ziehen nach links, rechts, vor und zurück bewegen. • Bewegst Du bei gedrückter Maustaste die Zeitleiste nach oben oder unten, so erhältst Du anderes, zeitbezogenes FOOTAGE. • Führst Du im Himmelsbereich, über der Karte, die gedrückte Maustaste nach rechts oder links, dreht sich die Ansicht, als würdest Du Dich über der Karte umsehen. Seite 6 von 102 • Mit dem Scrollrad der Maus bedienst Du die Zoom-Funktion, mit der Du den Zeitleistenbereich verkleinern oder vergrößern bzw. näher an die Karte heran oder weiter weg gelangen kannst. Wenn Du ein Trackpad oder Touchpad benutzt, sind die Funktionen entsprechend der jeweiligen Gestensteuerung verfügbar. Teil 2: Verwendung der HISTORY CLIPS Die Videos in dem Band am oberen Bildschirmrand sind die HISTORY CLIPS. Hier findest Du insgesamt 75 aus historischen Filmarchiven montierte Kurzfilme, mit einer durchschnittlichen Länge von fünf Minuten. Die HISTORY CLIPS sind von Historikern, Medienwissenschaftlern und Medienpädagogen geprüft worden, und sie zeigen und kommentieren verschiedene Aspekte der Themengebiete. Die Leiste am oberen Rand kann durch Drücken und Ziehen der Maus nach links oder rechts bewegt werden, damit die gesamten 75 HISTORY CLIPS angesehen werden können. Die übergeordneten Kapitel können jedoch auch gezielt im HISTORY CLIPS-Menü angesteuert werden, indem Du auf den darüber liegenden Schriftzug klickst. In dem Menü werden die Hauptkapitel angezeigt, zu denen die Filme zusammengestellt wurden. Entsprechend der Auswahl springt die gesamte Leiste zu dem gewünschten Kapitel. Sobald Du mit der Maus auf einen HISTORY CLIP gehst, wird der entsprechende Filmtitel angezeigt. Klickst Du nun auf das Vorschaubild des Clips, öffnet sich der Player, und der HISTORY CLIP wird abgespielt. • Der Player hat neben den gängigen Funktionen wie Play/Pause, Bewegen in der Zeitleiste, Lautstärkenregler und Vollbildmodus noch weitere Funktionen. So kannst Du zwischen Vollbildund Textmodus wählen. Im Textmodus wird das Video kleiner dargestellt, und Du siehst den Text der Sprecher. So kannst Du die Informationen genauer nachlesen. Die Texte findest Du auch als Textdatei im pdf-Format auf dem Datenträger (YH-Cliptexte), um sie z.B. am Stück zu lesen, für eigene Videos zusammenzustellen oder auszudrucken. • Darüber hinaus kannst Du den HISTORY CLIP auch zu Deinen Favoriten hinzufügen (er erscheint dann unter dem Favoriten-Symbol in der unteren Werkzeugleiste). Außerdem hast Du die Möglichkeit, nur einen Teil der HISTORY CLIP mithilfe der Inund Out-Punkte auszuwählen und in die Favoriten zu speichern. Hierzu setzt Du die Anfangsund End-Punkte in der Zeitleiste des Videos und überweist diese dann mithilfe des Favoriten-Symbols in die Favoritensammlung. Teil 3: Verwendung des HISTORY FOOTAGE Wie in der allgemeinen Einführung erwähnt, findest Du im Raum über der Karte eine Vielzahl von HISTORY FOOTAGE. Es besteht aus unzähligen Archiv-Schnipseln, die das YOUR HISTORY-Team ausgewählt, aber nicht montiert oder kommentiert hat. In einigen Fällen sind in diesem Material auch O-Töne enthalten. Seite 7 von 102 Das HISTORY FOOTAGE ist räumlich und zeitlich dem Entstehungsort zugeordnet. Es schwebt sozusagen über der Stadt zu der Zeit, in der es aufgezeichnet wurde. Es gibt nun mehrere Möglichkeiten, in dem FOOTAGE-Material zu recherchieren. Du kannst Dir das Material aus einer Stadt anzeigen lassen, indem Du auf der Karte eine Stadt deiner Wahl anklickst. Das gefundene FOOTAGE ist zusätzlich noch durch eine Linie mit der ausgewählten Stadt verbunden. Möchtest Du die Auswahl rückgängig machen, dann klicke erneut auf die ausgewählte Stadt. Mit einem Klick auf das jeweilige Vorschaubild startet der Videoplayer. Wählst Du in der Zeitleiste am linken Bildschirmrand eine bestimmte Jahreszahl an, so wird alles FOOTAGE-Material, das in diese Zeit gehört, hervorgehoben. Die Kamera nimmt automatisch eine Perspektive ein, in der Du das komplette Material überblicken kannst. Über das Menü am rechten Bildschirmrand hast Du die Möglichkeit, bestimmte Ereignisse, Personen oder Organisationen auszuwählen. Klickst Du auf eine Kategorie, öffnen sich deren Einträge. Fährst Du mit der Maus über einen Eintrag, so wird das dazu verknüpfte FOOTAGE-Material hervorgehoben. Klickst Du einen Eintrag an, so wird alles Material, was dazu passt, aktiviert. Die Auswahl kann durch weitere Klicks erweitert werden. Klickst Du auf einen bereits aktivierten Eintrag, so wird dieser deaktiviert. Seite 8 von 102 Der Player für das FOOTAGE-Material hat die gleichen Funktionen wie der HISTORY CLIPPlayer. Du kannst den Film anhalten, in der Zeitleiste hinund herspringen, die Lautstärke verändern, in den Vollbildmodus wechseln und mit den Inund Out-Marken bestimmte Ausschnitte aus dem Material zu den Favoriten hinzufügen. Dieser FavoritenOrdner enthält dann alle Ausschnitte, aus denen Du Deine Playliste herstellst. Des Weiteren findest Du im HISTORY FOOTAGE-Material Informationen darüber, ob das Material schwarz/weiß oder farbig ist, ob es O-Töne enthält, wo und von wem es aufgenommen wurde – ob es z.B. Propagandamaterial enthält –, und Du kannst den Player schließen. Diese Informationen blenden sich automatisch bei inaktiver Maus aus. Teil 4: Funktionen der Werkzeugleiste Die Werkzeugleiste am unteren Bildschirmrand zeigt Dir verschiedene Symbole: • Das Info-Symbol zeigt Dir Informationen über das Projekt YOUR HISTORY. • HISTORY CLIPSund HISTORY FOOTAGE-Materialien kannst Du als Favoriten markieren und in Playlisten zusammenstellen. Die Favoriten können aus der Liste wieder entfernt oder durch Klicken auf das Plus-Symbol zur Play-Liste im Fenster daneben hinzugefügt werden. Die komplette Favoriten-Liste kannst Du auch auf einmal löschen. Den Clip kannst Du durch Klicken auf das Vorschaubild ansehen. Aus den Favoriten erstellst Du Playlisten, die Du speichern, importieren, löschen und abspielen kannst. Einzelne Clips können über das Minus-Symbol wieder aus der Liste gelöscht werden oder über die Pfeile in ihrer Reihenfolge verändert werden. Auch hier gilt: Klickst Du auf das Vorschaubild, kannst Du Dir das Material ansehen und im Player In und Out-Marken setzen, welche abgespielt werden. Klickst Du auf die Filmrolle, kannst Du die einzelnen Playlisten abspielen. • In der Anwendung kannst Du zwischen der „Weltansicht“ und der „Galerieansicht“ wechseln. In der Galerie erhältst Du eine gute Übersicht über alle HISTORY FOOTAGE-Materialien – aufgerastert nach Zeit und Ort. Die Leisten können durch Ziehen der Maus bewegt werden. • Hast Du Dich einmal in der Anwendung verloren oder fühlst Du Dich mit der Auswahl der Materialien überfordert, hast Du die Möglichkeit, über die Symbole „Position zurücksetzen“ und „Daten/Filter zurücksetzen“ wieder zum Ausgangspunkt der Anwendung zurückzukommen. Seite 9 von 102 • In der Hilfe kannst Du nochmal den Clip, der Dir zu Beginn der Anwendung angeboten wird, abspielen. Er zeigt, wie die Anwendung aufgebaut ist und wie sie funktioniert. Wie in einem Tutorial kannst Du hier also lernen, Dich in der Anwendung besser zurechtzufinden. • Das Ausrufungszeichen im „Warndreieck“ kennzeichnet gegebenenfalls propagandistisches Material im HISTORY FOOTAGE-Player. Über die Werkzeugleiste kannst Du mit dem „Warndreieck“ einen Clip aufrufen, der sich im Detail mit dieser Problematik beschäftigt. Viele dieser Bilder sind Propagandaaufnahmen. Sie können große Gefühle beim Zuschauer hervorrufen und geben verfälschende und verzerrende Sichtweisen auf die historische Wirklichkeit wieder. In den Clips wird durch den Kommentar versucht, die propagandistischen Zwecke der Bilder zu brechen, sie einzuordnen und dem Zuschauer verständlich zu machen. So sollte sich auch jeder Betrachter und jeder Nutzer von Archivmaterialien dieses Webportals der Verführungskraft der Film-Propaganda stets bewusst bleiben. Die Aufnahmen, die hier zu sehen sind, müssen mit kritischem Blick betrachtet werden. Seite 10 von 102 YOUR HISTORY – HISTORY CLIPS Die HISTORY CLIPS sind 75 aus historischen Filmarchiven montierte Kurzfilme mit einer durchschnittlichen Länge von fünf Minuten. Die HISTORY CLIPS sind von Historikern, Medienwissenschaftlern und Medienpädagogen geprüft worden, und sie zeigen und kommentieren verschiedene Aspekte der Themengebiete. Die Historyclips haben folgende thematische Schwerpunkte: A. Jüdisches Leben in Deutschland bis zur Machtübernahme der NSDAP in Deutschland. B. Die Emigration C. Stationen der Judenverfolgung und –vernichtung in Deutschland und Europa (1933 – 1945) D. Die juristische und moralische Aufarbeitung der Holocaust-Verbrechen nach 1945 E. Das System von Verfolgung und Vernichtung im NS-Staat F. Protagonisten des Terrors G. Widerstandsbewegungen gegen die NS-Gewaltherrschaft H. Jugend unterm Hakenkreuz – Erziehung zu Rassenhass und Völkermord I. Die Mediathek der Verfolgten Die Inhalte der Filmclips im Einzelnen: A. 01. Jüdisches Leben in Deutschland (1900 – 1933) 02. Judenhass in Deutschland: Von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“ 03. Jüdische Reaktionen nach der „Machtergreifung“ 1933 04. Haltung der christlichen Kirchen zur Judenverfolgung nach 1933 B. 05. Beginn der Emigration 06. Exil in Paris 07. Exil in Moskau 08. Exil in GB und in den USA 09. Fluchtpunkt Palästina C. 10. Judenhass als Programm – der Aufstieg der NSDAP 11. Die „Machtergreifung“ 1933 12. Ausgrenzung der Juden (1933-1939): Boykott, Stigmatisierung, Ausweisung 13. „Nürnberger Gesetze“ 1935 14. Novemberpogrome 1938 15. „Arisierung“ – Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden 16. Judenverfolgung in Polen nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 17. Beginn der systematischen NS-Vernichtungspolitik in Polen und in der Sowjetunion 18. Die Wannseekonferenz 1942 – „Die Endlösung der Judenfrage“ 19. Aufbau der Vernichtungslager in Polen 20. Judenverfolgung in Deutschland nach Beginn des Zweiten Weltkriegs 21. Judenverfolgung in Westeuropa (1940-1944) 22. Judenverfolgung in Osteuropa (1940-1945) 23. „Todesmärsche“ 1944/45 24. Befreiung der Konzentrationslager 1945 Seite 11 von 102 D. 25. 26. 27. 28. 29. 30. E. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. F. 43. 44. 45. 46. 47. 48. G. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. H. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. Deutsche und Juden nach 1945 Nürnberger Prozesse: Hauptkriegsverbrecherprozess Nürnberger Prozesse: Nachfolgeprozesse/Ärzteprozess Nürnberger Prozesse: Juristenprozess Nürnberger Prozesse: Einsatzgruppenprozess Holocaust vor Gericht (1944-1963) Administration des Terrors: Die SA Administration des Terrors: Gestapo und Schutzpolizei Administration des Terrors: Die SS Administration des Terrors: Das Reichssicherheitshauptamt Die „Aktion Reinhardt“ Der Terror beginnt – Aufbau der NS-Konzentrationslager 1933/34 Das Konzentrationslager Dachau Das Konzentrationslager Buchenwald Das Konzentrationslager Bergen-Belsen Das Konzentrationslager Ravensbrück Das Ghetto-KZ Theresienstadt Das Konzentrationsund Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau Protagonisten des NS-Terrors: Adolf Hitler Protagonisten des NS-Terrors: Joseph Goebbels Protagonisten des NS-Terrors: Hermann Göring Protagonisten des NS-Terrors: Heinrich Himmler Protagonisten des NS-Terrors: Reinhard Heydrich Protagonisten des NS-Terrors: Adolf Eichmann Attentate auf Adolf Hitler Widerstandsgruppen: Kommunisten und Sozialdemokraten Widerstandsgruppen: Christen und Konservative Widerstandsgruppen: Militärischer Widerstand Widerstandsgruppen: Jugendopposition Jüdischer Widerstand: Ghettoaufstände und Partisanenkämpfe Jüdischer Widerstand: Jüdische Soldaten in den Armeen der Alliierten Jugend in der NS-Diktatur „Jungvolk“ und „Spielschar“ Die Erziehung zum Kriege Die Verführungstricks der Hitlerjugend Von Kriegern und Müttern Rollenbilder in der HJ und im BDM Die Faszination der „Blitzkriege“ – Soldaten als Kriegshelden Heldenmythos und Kriegsrealität Die jungen Toten von Stalingrad Kinder und Jugendliche an der „Heimatfront“ Kinder-Soldaten im „Volkssturm“ Kindheit in Trümmern 1945 Seite 12 von 102 I. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. Anne Frank (1929-1945) Janusz Korczak (1878-1942) Leo Baeck (1873-1956) Erich Fried (1921-1988) Max Liebermann (1847-1935) Albert Einstein (1879-1955) Carl v. Ossietzky (1889-1938) Ernst Thälmann (1886-1944) Kurt Schumacher (1895-1952) Martin Niemöller (1892-1984) Seite 13 von 102 Clip 01: Jüdisches Leben in Deutschland (1900 – 1933) 560.000 Bürger jüdischen Glaubens lebten 1925 in Deutschland, zwei Drittel von ihnen in Großstädten, wie hier im Berliner Scheunenviertel. Jahrhundertealte Vorurteile hatten dafür gesorgt, dass Juden überall in Europa stets Bürger Zweiter Klasse blieben. Erst die Reichsverfassung, die Reichskanzler Otto v. Bismarck 1871 aus der Taufe hob, machte die Juden in Deutschland zu gleichberechtigten Staatsbürgern mit allen Rechten und Pflichten. Das war einmalig in Europa. Im Wirtschaftswachstum der Kaiserzeit um 1900 fanden die Juden schnell Zugang zu unabhängigen Berufen als Ladenbesitzer. Sie gründeten Kaufhäuser, wurden Industrieunternehmer, engagierten sich im Bankwesen. Jüdische Unternehmer wagten sich auf neue, besonders risikoreiche Geschäftsfelder wie die damals noch junge Filmindustrie. Hier Aufnahmen von den Berliner Dreharbeiten zu dem Film „Anna Boleyn“ von Ernst Lubitsch. Der jüdische Filmregisseur ging 1922 nach Hollywood. Neben dem Film prägten viele Juden die Theaterlandschaft in der Weimarer Republik maßgeblich mit. Kritiker Alfred Kerr war federführend, Regisseur Max Reinhardt eine bestimmende Größe im Kulturleben Berlins. Berlin war das geistige Zentrum Deutschlands. Hier wirkten Juden als Philosophen wie Ernst Bloch, als Kunstkritiker wie Walter Benjamin oder als Soziologen wie Max Horkheimer und Siegfried Kracauer. Der jüdische Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky schrieb hier seine kritischen Kommentare zur Zeit. Er arbeitete u.a. an der linken Wochenzeitschrift "Die Weltbühne" mit. Herausgeber war der jüdische Publizist Carl v. Ossietzky. Unter seiner Leitung vertrat die Zeitschrift schon ab 1927 eine stritt pazifistische Tendenz. Früh warnten die Autoren der „Weltbühne“ vor dem Niedergang der jungen deutschen Demokratie. Doch noch tanzte Berlin auf dem Vulkan, und jüdische Komponisten und Texter wie Fritz Rotter, Walter Jurmann und Werner Richard Reimann lieferten mit ihren frechen Schlagern voll jüdischem Witz den passenden Rhythmus dazu. Bildende Künstler wie der jüdische Maler und Graphiker Max Liebermann engagierten sich in den Kunstbewegungen der Zeit. 1932 wurde Liebermann Ehrenpräsident der Preußischen Akademie der Künste. Unter den 15 deutschen Nobelpreisträgern in der Zeit von 1918 bis 1933 waren fünf jüdische Naturwissenschaftler. Der bekannteste: Albert Einstein. Er erhielt die Auszeichnung für seine Forschungen zur Quantenphysik. Schon 1919 gründete sich der „Vaterländische Bund jüdischer Frontsoldaten“. Ihre Mitglieder traten der Lüge entgegen, Juden hätten im 1. Weltkrieg nicht genauso tapfer gekämpft wie alle anderen Deutschen. Trotz alledem blieb die Judenfeindlichkeit in Wort und Tat eine bestimmende Größe in der Weimarer Republik. Dies zeigte sich u.a. im Sommer 1922 als der deutsche Außenminister Walther Rathenau, ein Jude, durch die rechtsextreme Organisation "Consul" ermordet wurde. Die Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung bewegte viele deutsche Juden schon früh, ihrem Heimatland den Rücken zu kehren. Bereits nach dem 1. Weltkrieg wanderten viele nach Palästina aus. Seite 14 von 102 Clip 02: Judenhass in Deutschland: Von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“ Weniger als ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland waren jüdischen Glaubens, als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam. Dennoch erklärten die Nationalsozialisten das Judentum zum Staatsfeind Nr. 1. Im III. Reich erreicht der Antisemitismus, ein anderes Wort für Judenhass, seinen grausamen Höhepunkt. O-Ton „Der ewige Jude“ In dem Hetzfilm „Der ewige Jude“ von 1940 ging die Propaganda der Nationalsozialisten sogar soweit , den Juden jede Menschlichkeit abzusprechen. Das Judentum wird mit Rudeln von Ratten verglichen. Antisemiten wie Adolf Hitler und sein Propagandaminister Joseph Goebbels trieben den Judenhass in Wort, Bild und Tat auf die Spitze ... O-Ton Goebbels ... erfunden haben sie den Antisemitismus freilich nicht. Woher kam dieser fanatische Hass auf ein friedfertiges Volk, diese irrationale Angst vor den Juden, die auch in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet war? 1918: Der Weltkrieg ist verloren, die alte Ordnung des Kaiserreichs bricht in den Wirren der Novemberrevolution zusammen. Rechtsgerichtete Freikorpskämpfer und linke Revolutionäre stehen sich auf der Straße unversöhnlich gegenüber. Die Mehrheit der Deutschen versteht die Welt nicht mehr: zuerst die Niederlage im Kriege, dann die Abdankung des Kaisers und nun die Wirren der Revolution. Schließlich die harten Bedingungen des Versailler Vertrags. Viele fühlen sich in ihrem Nationalstolz verletzt. Das harte Diktat der Sieger wiegt schwer. Die Zahlungen für den verlorenen Krieg sind hoch, zu hoch. Die junge deutsche Republik stürzt in die Armut, droht an der Inflation 1923 zu zerbrechen. Deutschnationale Kreise machen für jede Unordnung und alles Leid die Juden verantwortlich. Die Siegermächte des 1. Weltkriegs, die den Deutschen nun alles diktieren würden, sehen sie als Werkzeuge des internationalen Judentums. Dessen Ziel sei es, Deutschland zu zerstören. Viele Menschen in Deutschland nehmen solche einfachen Erklärungen für die Wirren der Zeit gerne an. Sie haben den Boden unter ihren Füssen verloren. Sie suchen nach Orientierung. Judenfeindliche Organisationen wie die „Thule-Gesellschaft“ haben in den Nachkriegsjahren großen Zulauf, vor allem aus dem Mittelstand und aus dem Bildungsbürgertum. Viele Kleinhändler, Ärzte und Anwälte wollen ihre jüdischen Konkurrenten los werden. Auch deshalb unterstützen sie politische Vereine, die die Juden zu Sündenböcken machen. In dieser Stimmung kann die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) mit dem fanatischen Antisemiten Adolf Hitler an der Spitze von einer Splitterpartei 1920 bis zur Staatspartei 1933 aufsteigen. Die Nationalsozialisten knüpfen in ihrer Propaganda gegen die Juden an ganz alte bösartige Feindbilder an. Schon die Kinder in der Schule erleben den Juden nun als Feind – ein Bild, das tief in die Geschichte unseres Christentums zurückreicht. Judas habe Jesus verraten, verbreiten seine Jünger nach der Kreuzigung Christi. Die Juden gelten als „Christusmörder“. Von den Römern aus Palästina vertrieben, lebten die Juden als Minderheit in vielen Ländern der Welt. Viele Einheimische empfanden die Fremden als Bedrohung. Sie übertrugen ihre Ängste auf die Juden. Sie behaupteten, die Juden seien Schuld an Seuchen wie der Pest. Die Juden würden die Brunnen vergiften. An solchen Lügen ist nichts dran. Doch in den meisten Ländern bleiben die Juden außen vor. Unter der Herrschaft der Nazis wird der Judenhass nun zu einer Art Religion des Staates. Seite 15 von 102 Clip 03: Jüdische Reaktionen nach der „Machtergreifung“ 1933 O-Ton Hitler Jetzt erst recht! sagen sich einige. Sie bekennen sich selbstbewusst und stolz zu ihrem Judentum. Max Liebermann, der berühmte Maler und Graphiker, erklärte öffentlich seinen Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste. Sie wollte keine Werke jüdischer Künstler mehr auszustellen. 1933 legte auch der jüdische Philosoph Martin Buber seine Professur nieder. Er engagierte sich gemeinsam mit dem Berliner Rabbiner Leo Baeck beim Aufbau der „Reichsvertretung der Deutschen Juden“. Leo Baeck wird ihr Präsident. Sie entstand im September 1933 als Reaktion auf die judenfeindlichen Maßnahmen des NS-Staates. Die Reichsvertretung koordinierte die jüdische Selbsthilfe gegen Übergriffe der Nationalsozialisten. Ab 1935 organisierte sie auch die finanzielle Unterstützung für Gemeindemitglieder. Viele Juden begannen durch staatliche Enteignungsmaßnahmen, durch die sogenannte „Arisierung“, in Not und Armut zu geraten. Die Bewahrung der gemeinsamen jüdischen Kultur war eine weitere wichtige Aufgabe der „Reichsvertretung.“ Sie förderte den Zusammenhalt der Juden in Deutschland. Denn: Die jüdischen Mitbürger wurden immer stärker aus der sogenannten „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt, wie diese jüdischen Schüler und Studenten. Sie verloren wegen des „Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ 1933 ihren Platz in Ausbildung und Studium. Zur Überbrückung schickte sie das Regime in die Landarbeit. Viele Juden sahen in dem staatlich verordneten „Praktikum“ eine Chance: Es war eine gute Vorbereitung für die Auswanderung nach Palästina. Dort würden sie als jüdische Pioniere und Siedler daran gehen, ihr „Gelobtes Land“ urbar zu machen. Auch Martin Buber, dem seit 1935 jede Lehrtätigkeit in Deutschland untersagt war, ging 1938 noch vor den „Novemberpogromen“ nach Jerusalem. O-Ton Buber Allein Rabbiner Leo Baeck blieb als letzter hoher Repräsentant des Judentums in Deutschland zurück, auch dann noch, als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die SA fast alle Synagogen in Berlin in Brand steckte und so auch Leo Baeck seiner geistlichen Wirkungsstätte beraubt wurde. Seite 16 von 102 Clip 04: Haltung der christlichen Kirche zur Judenverfolgung nach 1933 Am Beginn der Dreißiger Jahre ist die politische Lage in Deutschland verwirrend. Rechtsgerichtete Nationalsozialisten und Anhänger der Kommunistischen Partei liefern sich Straßenschlachten. Auch für die Christen in Deutschland ist es schwer, in dieser Situation eine klare Haltung zum politischen Geschehen zu entwickeln. Die Mehrheit der katholischen Kirche lehnt die NS-Bewegung zunächst völlig ab. Doch direkt nach der Machtergreifung schwenkt der Vatikan um. Im Sommer 1933 schließt der Papst eine Art Waffenstillstand mit dem neuen Regime: Das „Reichskonkordat“. Es sichert der Katholischen Kirche freie religiöse Betätigung zu; aus allen politischen und weltlichen Dingen in Deutschland hat sich die Kirche allerdings herauszuhalten. Das „Reichskonkordat“ schmiedet die katholische Kirchenobrigkeit in Deutschland bis zur bitteren Neige unverbrüchlich an den NS-Staat. Kritische Stimmen an der katholischen Basis zu diesem Pakt mit dem Teufel bleiben ungehört. Erst 1937 äußert sich Papst Pius XI. „mit brennender Sorge“ zum Terror der Nazis. Die staatlich organisierte Judenverfolgung, die die meisten Menschen, auch die Mehrzahl der Christen in Deutschland tatenlos hinnehmen, kritisiert auch der Papst nicht. Selbst als Hitler 1939 den Befehl zur Euthanasie, zur Ermordung unheilbar Kranker und Behinderter gibt, schweigt ein Großteil der Kirchengemeinden. Und das, obwohl die Kirche als größter Träger von Pflegeheimen den Abtransport der kranken und behinderten Menschen unmittelbar mitbekommt. Einzig Bischof von Galen in Münster kritisiert und verurteilt die Rassenpolitik der Nationalsozialisten. Die Nazis wollen den „Burgfrieden“ mit der Katholischen Kirche nicht gefährden. Sie stellen die Euthanasieprogramme offiziell ein. „Der Löwe von Münster“, wie Bischof von Galen bald im Ausland genannt wird, zeigt, dass Mut zu einer eigenen Meinung und Zivilcourage selbst in einer totalen Diktatur wie dem NS-Staat möglich war.Doch auch aus der evangelischen Kirche hört man während der Nazi-Zeit nur wenig Kritisches zum Thema Judenverfolgung. Adolf Hitler findet schon vor der Machtergreifung unter den evangelischen Christen viele Unterstützer. Sie hoffen durch die Nationalsozialisten auf eine Eindämmung der Kommunisten, weil die gegen die Kirche eingestellt sind. Sammelbecken der christlichen Nazis ist die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“. Sie gewinnt schon 1932 in Preußen 33% der Gemeindesitze. Nach der Machtergreifung gelingt es der Nazi-Partei zunächst schnell mithilfe der „Deutschen Christen“ die evangelische Kirche im Sinne ihrer Vorstellungen „gleichzuschalten“. Im Juli 1933 erzwingt die NSDAP eine neue Kirchenwahl. Die „Deutschen Christen“ erhalten 2/3 der Stimmen. Sofort setzen sie einen Paragraphen durch, der besagt, dass nicht-arische Priester fortan vom Dienst in der Kirche ausgeschlossen werden. Noch 1933 wird Ludwig Müller, der führende Kopf der „Deutschen Christen“ zum Evangelischen Reichsbischof gewählt. 1934 zelebriert er den Evangelischen Kirchentag am Völkerschlachtsdenkmal bei Leipzig ganz im Sinne der Nazis: Rassenlehre und Judenfeindlichkeit sollen zur neuen Religion in Deutschland werden. Der Wahn geht soweit, dass die „Deutschen Christen“ das Alte Testament ganz abschaffen wollen. Es erzählt die Geschichte des alten Volks der Juden. Deshalb soll es weg. Stattdessen sollen Vorstellungen von einem „germanischen Jesus“ im Gottesdienst gepredigt werden. Es hagelt Proteste. Doch kaum ein Kirchenmitglied wagt den offenen Bruch mit dem Staat. Dennoch gründen schon im September 1933 einige wenige evangelische Geistliche den Pfarrernotbund. Sie bekennen sich zu einem friedlichen Ungehorsam gegen eine verbrecherische Obrigkeit. Diese „Bekennende Kirche“ findet unter den Pastoren schnell Zuspruch. Doch die „Bekennende Kirche“ versteht sich in erster Linie als Bewahrer religiöser Freiheiten. Sie sieht sich nicht als politische Seite 17 von 102 Opposition. Gegenüber dem beginnenden Terror gegen Juden bleibt die evangelische Kirche unentschieden und unentschlossen. Nur wenige helfen den Juden. Die kritische Denkschrift, die der radikale Flügel der „Bekennenden Kirche“ 1936 an Hitler schreibt, bleibt ein eher einmaliges Ereignis. O-Ton: Niemöller Die Köpfe der Kirchenopposition, unter ihnen Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer, werden verhaftet und gefoltert. Bonhoeffer wird von den Nazis ermordet. Niemöller überlebt die KZ-Haft durch glückliche Fügung. In der Bundesrepublik wird er zu einer Symbolfigur des kirchlichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Seite 18 von 102 Clip 5: Beginn der Emigration Im April 1933 beginnen gleich nach der Machtergreifung Hitlers erste Kampagnen gegen die Juden in Deutschland. Noch 1933 verlassen fast 40.000 jüdische Bürger ihre Heimat. Sie ahnen, was der braune Mob mit ihnen vorhat. In einer ersten Ausbürgerungswelle werden im August 1933 der jüdische Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der jüdische Theaterkritiker Alfred Kerr, der jüdische Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky, der Kommunist Wilhelm Pieck und der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann aus ihrem eigenen Land ausgeschlossen. Scheidemann war nach Drohungen der Nationalsozialisten gegen seine Person schon im März 1933 nach Prag emigriert. Später flüchtet er über die Schweiz und Frankreich bis in die USA. Schließlich geht er noch vor Kriegsbeginn nach Dänemark. Im November 1939 stirbt er in Kopenhagen. Die Odyssee des Mannes, der einst die erste deutsche Republik vom Balkon des Reichstags verkündete und nun von den Nazis durch Europa gejagt wird, ist symptomatisch für das Schicksal der Emigranten. Solange die NS-Diktatur herrscht, sind sie nie sicher, nirgends. Doch noch ist der Terror am schlimmsten in Deutschland selbst. Deshalb verlassen bis 1937 jährlich 20 – 25.000 Juden ihre deutsche Heimat. Viele der deutschen Juden gehen zunächst in unmittelbare Nachbarländer wie Frankreich, die Tschechoslowakei oder die Niederlande. Sie hoffen auf eine baldige Besserung der politischen Lage in Deutschland, ersehnen die Rückkehr herbei. Doch als sie sehen, dass das Hitler-Regime sich in Deutschland etabliert und mit seinen Verbündeten wie dem italienischen Faschistenführer Benito Mussolini den Krieg gegen die Welt und gegen die Juden vorbereitet, da fliehen sie weiter. Viele versuchen von Amsterdam und Antwerpen aus in die „Neue Welt“ zu gelangen, in die USA zu emigrieren wie Albert Einstein. Palästina ist ein weiterer Fluchtort vieler Juden. Ungefähr 80.000 jüdische Flüchtlinge emigrieren nach Lateinamerika. Doch viele Länder haben kein Interesse an dem Exodus der überwiegend mittellosen Emigranten. Viele werden zurückgeschickt wie diese Flüchtlinge auf der „St. Louis“, die von Kuba zurückgewiesen, nach Antwerpen zurückfahren muss. Seite 19 von 102 Clip 06: Exil in Paris Am 10. Mai 1933 fallen die Werke von Heinrich Heine, Karl Marx und anderen deutschen Dichtern und Denkern den Flammen der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen zum Opfer – wie hier auf dem Opernplatz in Berlin. Gleichzeitig entwickelt sich nun Paris, die einstige Zufluchtsstätte von Marx und Heine schnell wieder zum Zentrum des politischen und kulturellen Exils für viele Deutsche. Sie denken anders als die neuen Machthaber in Berlin. Deshalb müssen sie aus Deutschland fliehen. Frankreich, das Land der Revolution von 1789, das Geburtsland von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, ist vielen Deutschen nahe liegende Zuflucht. In der pulsierenden Seine-Metropole hoffen sie darauf, dass der „braune Spuk“ in Deutschland bald vorüber ist. Sie wünschen sich nichts sehnlicher, als in ihre Heimat zurückzukehren. Im Exil sind die meisten Emigranten weitgehend mittellos. Der Nazistaat lässt sich besonders die Emigration von Juden gut bezahlen. Er erhebt eine „Reichsfluchtsteuer“. Bei der Ankunft wie hier in einem französischen Asylbewerberheim, heißt es erst einmal warten, warten, warten. Nervige Einreiseformalitäten müssen überwunden werden. Anschließend leben die meisten jüdischen Exilanten zunächst in Heimen. Der Schriftsteller Klaus Mann beschreibt die Lage der Emigranten folgendermaßen: „Die Emigration war nicht gut. In dieser Welt der Nationalstaaten und des Nationalismus ist ein Mann ohne Nation, ein Staatenloser, übel dran. Er hat „nichts hinter sich“, keine Organisation, keine Macht, keine Gruppe. Wer zu keiner Gemeinschaft gehört, ist allein.“ Geldsorgen, die Jagd nach schlecht bezahlten Jobs, Sprachschwierigkeiten, Heimweh und kulturelle Entwurzelung prägen ihr Leben in Paris. Lion Feuchtwanger hat es in seinem Schlüsselroman „Exil“ beschrieben. Und die Autorin Anna Seghers, die acht Jahre mit ihrer Familie in einem Vorort von Paris zur Untermiete wohnte, appelliert 1940 an einen Freund, den Verleger Wieland Herzfelde: „Lieber Freund, man muss mir unbedingt Geld schicken. Ich finde keinen Ausweg mehr.“ Im Juni 1940 marschiert die Wehrmacht in Paris ein. Manche Emigranten verzweifeln, einige nehmen sich das Leben. Schnell schließen die Deutschen einen Burgfrieden mit dem konservativen französischen Marshall Pétain. Der Norden Frankreichs und Paris bleiben bis zur Befreiung 1944 von den Deutschen besetzt. Im Süden etabliert Pétain, ein gefeierter Kriegsheld des 1. Weltkriegs, das Vichy-Regime. Das ist eine konservativ-autoritäre Diktatur. Sie betreibt eine judenfeindliche Politik, die ganz im Sinne der Nationalsozialisten ist. Dies vorausahnend, fliehen beim Einmarsch der Deutschen in Paris viele Emigranten panisch gen Süden. Ihr Ziel: die spanische Grenze und schließlich sogar darüber hinaus bis nach Lissabon. Dort lockt die Hoffnung auf eine Passage nach Übersee, in die USA oder nach Lateinamerika. Seite 20 von 102 Clip 07: Exil in Moskau Während des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in Deutschland am Beginn der 1930er Jahre gewannen auch die Kommunisten viele neue Anhänger. 1932 wählte jeder sechste Bürger in Deutschland kommunistisch. Diese Menschen glaubten, dass eine Gemeinwirtschaft besser sei und allen Menschen eine größere Arbeitsund Lebensperspektive geben könnte als der Kapitalismus. Dessen schlimme Seiten bekamen sie durch die eigene Armut und den Verlust ihrer Arbeit gerade zu spüren. Zu recht prangerten die Kommunisten den Judenhass als Bestandteil des rechtsradikalen Gedankenguts, besonders auch in Hitlers NSDAP an. Die Kommunistische Partei wurde u.a. von der Jüdin Rosa Luxemburg mitbegründet. Trotzdem gab es auch unter den Kommunisten Judenfeinde. 1924 warnte die kommunistische Reichstagsabgeordnete Clara Zetkin, eine Mitstreiterin Rosa Luxemburgs: Die Kommunisten dürfen sich nicht dazu verleiten lassen, Judentum und Kapitalismus in einen Topf zu werfen wie das Nationalsozialisten etwa Otto Strasser vom linksradikalen Flügel der NSDAP machen würden. Hitler drängte Strasser u.a. aus seiner Partei. Er wollte Rassenkampf, keinen Klassenkampf. Für Hitler blieben Kommunisten und Sozialdemokraten stets die größten politischen Feinde. Gleich nachdem die Nationalsozialisten in Deutschland am 30. Januar 1933 an die Regierung kamen, wurden politische Gegner, besonders Kommunisten und Sozialdemokraten, gnadenlos gejagt, vertrieben, ins Gefängnis geworfen, gequält und ermordet. Einige begannen Widerstandsgruppen in Deutschland aufzubauen, andere gingen ins Exil. Die meisten Kommunisten nach Moskau. Sie sahen in dem Sowjetstaat, der nach der Oktoberrevolution in Russland 1917 entstanden war, ihr politisches Vorbild. Die Juden unter ihnen mussten schnell erleben, dass die Sowjetunion den Judenhass nach der Revolution keineswegs abgeschafft hatte. Dabei hatten viele Juden bei dieser Revolution mitgeholfen. Leo Trotzki zum Beispiel baute die „Rote Armee“ auf. Auch Revolutionsführer Lenin selbst hatte jüdische Wurzeln. Nach Lenins Tod kam ein neuer Führer: Josef Stalin. Er wollte – ähnlich wie Adolf Hitler – nun alles allein bestimmen. Deshalb fing er an, alle, die ihm gefährlich werden könnten, verfolgen und beseitigen zu lassen. Seinen Widersacher Leo Trotzki ließ er zuerst nach Sibirien verbannen, trieb ihn dann ins Exil, wo er ihn schließlich 1940 in Mexiko durch den sowjetischen Geheimdienst ermorden ließ. Die deutschen Emigranten kamen zu einer Zeit nach Moskau, als Stalins Geheimpolizei und Justiz die sogenannten „Moskauer Prozesse“ vorbereiteten. Das waren öffentliche Gerichtsverfahren, sogenannte „Schauprozesse“. Insgesamt standen 54 hohe und verdiente Politiker der Kommunistischen Partei vor Gericht, darunter viele jüdische Kommunisten. Ihnen wurde vorgeworfen, ihr Land verraten, Spionage getrieben und terroristische Anschläge vorbereitet zu haben. Stalin erzeugte eine antijüdische Stimmung in der Bevölkerung. Er wollte die Anklagen gegen seine ehemaligen Mitstreiter glaubwürdiger machen. Auch im russischen Volk waren judenfeindliche Vorurteile über Jahrhunderte gewachsen und hatten sich auch über die Revolution hinaus erhalten. Doch in Wirklichkeit war nichts dran an den Anklagen. Die Beweise waren gefälscht; die Geständnisse der Angeklagten waren in der Ljublanka, dem berüchtigten Foltergefängnis des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, mit Gewalt erzwungen worden. Dennoch mussten sieben Angeklagte für viele Jahre ins Gefängnis. Und die weiteren 47 erhielten Todesurteile. Sie wurden hingerichtet. Für viele Kommunisten in der Welt verlor das Vorbild Sowjetunion an Strahlkraft. Leo Trotzki brachte Stalins Verbrechen kurz vor seinem Tod in einem flammenden Appell auf den Punkt: O-Ton: Trotzki (in englischer Sprache, deutsche UT) Seite 21 von 102 Die deutschen Emigranten in Moskau, gerade die jüdischen, mussten erkennen, sie waren vom Regen in die Traufe gekommen, hatten von einer grausamen Führer-Diktatur in eine andere gewechselt. Dieser Eindruck bestätigte sich am 23. August 1939. An diesem Tag unterzeichneten der deutsche Außenminister von Ribbentrop und sein sowjetischer Kollege Molotow den deutschsowjetischen Nichtangriffspakt. Stalin gab Hitler damit einen Freibrief, mit dem der nun sehr bald seine Eroberungskriege in Europa beginnen konnte. In einem Geheimprotokoll verabredeten die beiden Diktatoren, Polen von ihren jeweiligen Landesgrenzen aus zu besetzen und unter sich aufzuteilen. Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg; am 17. September zog die Rote Armee nach und besetzte Ostpolen. Stalin erhoffte sich durch die Zusammenarbeit mit Hitler einen zeitlichen Aufschub des Überfalls auf die Sowjetunion durch die Deutschen. Er nutzte diese Zeit für die Aufrüstung der eigenen Armee. So standen den rund 3,6 Millionen Soldaten, die die deutsche Wehrmacht beim Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 zur Verfügung hatte, ca. 4,7 Millionen sowjetische Soldaten gegenüber. Für die Rote Armee kam der deutsche Einmarsch überraschend. Knapp die Hälfte der Soldaten befand sich nicht im Westteil der Sowjetunion. So konnten die deutschen Panzerverbände über Sommer 1941 Schlacht um Schlacht gewinnen. Sie drangen weit ins Landesinnere vor, machten Hunderttausende sowjetische Kriegsgefangene. Moskau, der Fluchtpunkt deutscher Emigranten, war im Herbst 1941 bedroht, von den deutschen Truppen überrannt zu werden. Doch Ende des Jahres blieb der deutsche Vormarsch im Eis, Schnee und Schlamm Russlands stecken. Der vermeintliche „Blitzkrieg“ wurde zur Katastrophe für die deutschen Soldaten. Das Blatt des Krieges wendete sich. Im Winter 1942/43 gewann die Rote Armee die Schlacht um Stalingrad. Sie drängte mit ihren Panzerverbänden nun ihrerseits die Truppen Hitlers zurück, machte Hunderttausende deutsche Kriegsgefangene. Als die Niederlage von Hitlers Deutschland näher rückte, gründeten einige der in der Sowjetunion gebliebenen deutschen Kommunisten wieder politisch aktiv. Auf Geheiß Stalins gründeten deutsche Kommunisten unter Führung des Schriftstellers Erich Weinert, des KPD-Vorsitzenden im Exil, Wilhelm Pieck, das Nationalkomitee „Freies Deutschland“. Im Heer der deutschen Kriegsgefangenen sahen die Kommunisten ein Reservoir, um Parteigänger für ihr neues, kommunistisches Deutschland zu finden. Seite 22 von 102 Clip 08: Exil in Großbritannien und in den USA Die Möglichkeiten, auf die britischen Inseln einzuwandern, waren für Juden, die aus NaziDeutschland und ab 1938 auch aus dem besetzten Österreich flüchten mussten, sehr eingeschränkt. Nur wenige schafften es – wie Sigmund Freud, der Erfinder der Psychoanalyse. Freud floh in letzter Sekunde nach London. Seine Bücher hatten die Nazis schon 1933 verbrennen lassen. Nach den verheerenden November-Progromen in Deutschland am 9. November 1938 entschlossen sich jüdische Hilfsorganisationen in Großbritannien zu einer bis dahin einmaligen Aktion: Sie fanden zahllose Gastfamilien in ihrem Land, die bereit waren, jüdische Kinder aufzunehmen. Freiwillige Helfer organisierten die „Kindertransporte“. In der Zeit von Dezember 1938 bis zum Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 konnten 10.000 jüdische Kinder zwischen 14 und 17 Jahren nach England gerettet werden. Sie kamen aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei. Sie durften nur einen Koffer mitnehmen. Viele konnten die Trennung von den Eltern kaum ertragen. Die meisten sahen Vater und Mutter nie wieder. Auch die USA erlaubten den jüdischen Flüchtlingen aus Europa zunächst nur sehr zögerlich die Einreise. Das Land litt noch stark unter den Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise. Es gab große Armut und viele Menschen waren ohne Arbeit. Die Angst, dass zu viele Einwanderer den Einheimischen die wenigen Jobs streitig machen könnten, war groß. Erst Ende der Dreißiger Jahre und während des 2. Weltkrieges wurden die USA ein Sammelbecken für Emigranten aus Deutschland und Europa – für Juden wie für NichtJuden. Der jüdische Theatermacher Max Reinhardt fand hier ebenso eine neue Heimstatt wie der linke Berliner Theatermann Erwin Piscator. In seinem 1939 in New York gegründeten Dramatic Workshop besuchten u.a. Marlon Brando und Tennessee Williams Piscators Kurse. Der Dramatiker Bert Brecht und der Komponist Kurt Weill, sowie Schriftsteller Leon Feuchtwanger kamen über diverse Stationen des Exils schließlich in die USA. Auch Thomas Mann emigrierte 1938 nach Amerika und wurde Gastprofessor an der Universität Princeton. Hier lehrte seit 1933 schon ein anderer großer Deutscher, der Physiker Albert Einstein. Aus Protest gegen die Machtergreifung der Nazis hatte er 1933 sofort sein Amt an der Akademie der Wissenschaften niedergelegt und war in die USA übergesiedelt. Hier engagierte sich Einstein gegen die Nazis, plädierte für die Zerschlagung ihrer Herrschaft, um Zivilisation und Kultur der Menschheit zu retten. O-Ton: Einstein 1941 gehörte Albert Einstein zu den Wissenschaftlern, die in einem Brief an US-Präsident Roosevelt ihre Sorge darüber zum Ausdruck brachten, dass die Nazis bald eine Superwaffe, eine Atombombe, haben könnten. Am 6. Dezember unterzeichnete der Präsident tatsächlich die Anordnung zum Bau einer eigenen US-Atombombe. Ihre Entwicklung begann wenig später in der Wüste von Los Alamos im streng geheimen „Manhattan Project“ unter Leitung von Robert Oppenheimer. Der US-Atomwissenschaftler deutsch-jüdischer Abstammung konnte den Rüstungswettlauf gegen die Nazis gewinnen. 1945 erlebte Oppenheimer mit, dass der Abwurf der Atombombe über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki hunderttausende Tote forderte und verheerende Zerstörungen auslöste. Oppenheimer bezeichnete die Entwicklung der Atombombe daraufhin als einen „Fehler“. Er setzte sich ebenso wie nun auch Albert Einstein für eine ausschließlich friedliche Nutzung der Kernenergie ein. Seite 23 von 102 Clip 09: Fluchtpunkt Palästina Paris 1894: Der Militärprozess gegen den jüdischen Offizier Alfred Dreyfuß löst wütende judenfeindliche Reaktionen der Bevölkerung aus. Dreyfuß wird wegen Spionage für die Deutschen verurteilt und auf die Teufelsinseln verbannt. Doch Dreyfuß ist unschuldig, wurde – wie sich später herausstellt – aufgrund gefälschter Beweise verurteilt. Der Schriftsteller und Politiker Theodor Herzl ist schockiert über den Judenhass, der in der Presse, in Teilen der Justiz und des Militärs angesichts der Affäre Dreyfuß zutage tritt. Erstmals entwickelt er eine Idee, die er wenig später in seinem Buch „Der Judenstaat“ niederlegt und ausspinnt: die organisierte Emigration der Juden in einen eigenständigen Staat. Palästina, das gelobte Land der Juden, sollte Heimstatt des jüdischen Volkes werden. Unabhängig von Herzls Traum hatte sich in Osteuropa als Reaktion auf die zunehmenden Pogrome seit 1882 eine fluchtartige Auswanderung von Juden nach Palästina entwickelt. Herzls Schrift liefert nun die theoretische Grundlage für diese zionistische Bewegung. Sie wurde also aus der Not der Verfolgung geboren. Bis zu seinem Tode im Jahre 1904 arbeitet Herzl an der Verwirklichung seines politischen Traums. Mehrmals reist er nach Palästina, sucht politische Unterstützung beim Osmanischen Reich. Doch auch bei dessen Verbündeten, dem deutschen Kaiser Wilhelm II., findet er nur wenig Zuspruch für ein autonomes Gebiet, in dem die Juden siedeln können. 1899 beschreitet Herzl einen neuen Weg. Er gründet eine Organisation, um Land für jüdische Siedler zu kaufen – der Beginn der jüdischen Siedlungspolitik in Palästina. In der Zeit von 1904 bis 1914 wandern 40.000 Juden illegal nach Palästina ein. Der Bevölkerungsanteil der Juden wächst kontinuierlich. Die Juden fordern Autonomie, manche sogar die Vertreibung der Araber aus Palästina. Die Lage spitzt sich zu. Auch die Araber machen Front gegen die Juden. 1917/18 besetzen die Briten das Land. Zuvor hatte der britische Außenminister Balfour in einem Schreiben an den britischen Zionisten Lord Rothschild die Absicht Großbritanniens bestätigt, die Schaffung einer „Heimstätte für das jüdische Volk“ in Palästina zu unterstützen. Die Rechte nicht-jüdischer Gemeinschaften sollten aber nicht beeinträchtigt werden. Die „BalfourDeclaration“ legte den Grundstein für die spätere Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Teil. 1922 gründen jüdische Siedler aus Osteuropa eine Enklave in Palästina mit Unterstützung der britischen Schutzmacht. Bis zum Ende der 20er Jahre kommen mehr als 100.000 Juden, hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion nach Palästina. Nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland steigt die Zahl der jüdischen Einwanderer stark an. Von 1932 – 1938 sind es mehr als 200.000, jetzt überwiegend deutsche Juden, die Palästina als Ziel ihrer Flucht wählen. Arabische Aufstände – wie hier 1936 – sind die Folge. Die Briten reagieren mit Einwanderungsbeschränkungen, schließlich mit einer Seeblockade. Viele Flüchtlinge werden nicht an Land gelassen, müssen in Auffanglager wie hier auf Zypern Unterkunft finden. Viele der Juden, die in Palästina sind, schließen sich nach Kriegsbeginn als Freiwillige der Britischen Armee an, einige gehen aber auch in den Untergrund. Sie schließen sich der Haganah, der militanten jüdischen Untergrundbewegung an. Sie beginnen einen Guerillakampf gegen die Briten. Sie wollen die Autonomie eines jüdischen Staates mit Gewalt erzwingen. Dabei bleibt Palästina, die Zufluchtsstätte der Juden, stets von außen bedroht. Nach dem Motto: „Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde“ verbünden sich Teile der arabischen Welt mit den Nazis wie der Grossmufti von Jerusalem, hier auf Staatsbesuch bei Adolf Hitler am 28. November 1941. Doch auch nach dem Kriegsende 1945 hat das Flüchtlingsdrama um Palästina kein Ende. Immer wieder werden Schiffe voller Emigranten von der britischen Kriegsmarine aufgebracht und an einer Weiterfahrt nach Palästina gehindert. Seite 24 von 102 Erst die Gründung des Staates Israel im Jahre 1949 löst die Einwanderungsfragen weitestgehend, schafft aber neue kriegerische Probleme mit den arabischen Nachbarn, die bis heute ungelöst sind. Seite 25 von 102 Clip 10: Judenhass als Programm – der Aufstieg der NSDAP Die Judenfeindlichkeit in Deutschland machten sich schnell rechtsradikale Parteien wie die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) zunutze. Der DAP tritt 1919 der Kriegsheimkehrer Adolf Hitler bei. Er ist voller Hass auf die Juden. Er unterstellt ihnen eine Weltverschwörung gegen Deutschland. Hitler kann gut reden. Schnell wird er zum Führer der Partei. 1920 lässt er sie in NSDAP, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenennen. 1921 wird er ihr erster und einziger Parteivorsitzender. Er sieht sich als Alleinherrscher. Hitler und seine wenigen Getreuen lehnten die Gleichheit aller Menschen und jede Demokratie ab. Für sie galt nur das Recht des Stärkeren, alles Schwache wollten sie vernichten. Von Anfang an machte Hitler den Deutschen weis, sie seien ein ausgewähltes Volk, eine höhere Rasse, die arische Herrenrasse, die minderwertige Rassen wie die Slawen in Osteuropa, wie Sinti und Roma, besonders aber wie alle Juden zu vernichten habe. Zuerst folgten nur wenige Menschen den Wahnvorstellungen der paar Nationalsozialisten. Hitlers Versuch, die Republik zu stürzen, ging am 9. November 1923 nach wenigen Metern vor der Münchener Feldherrenhalle im Sperrfeuer von Polizei und Reichswehr unter. Die NSDAP wurde verboten, Hitler kam ins Gefängnis. Dort schrieb er ein Buch. In ihm schreibt er seine Wahnvorstellungen über eine jüdische Weltverschwörung und den Kampf der Rassen nieder. Es hieß „Mein Kampf“. Doch auch nachdem sich Hitlers Partei nach der Neugründung an Wahlen beteiligt, finden seine wirren Gedanken kaum Zuspruch. Gerade einmal 2,6 Prozent der Stimmen bekam die NSDAP 1928. Doch der plötzliche Zusammenbruch der New Yorker Börse im Jahre 1929 stürzte die Welt in ihre schwerste wirtschaftliche Krise. Viele Menschen verloren ihre Arbeit. Sie wurden mittellos, verarmten. Wieder suchten die Deutschen nach Erklärungen, wie es soweit kommen konnte. Wieder boten die Nazis „das internationale Finanzjudentum“ als Sündenbock an. Diesmal sprang der Funke über. Alle, die gegen die Demokratie und die Republik waren, sammelten sich nun in der NSDAP. Gemeinsam arbeiteten sie auf die Zerstörung der Demokratie und die Errichtung der Führer-Diktatur hin. Seite 26 von 102 Clip 11: Die „Machtergreifung“ 1933 Deutschland ist von der Weltwirtschaftskrise 1929/30 massiver betroffen als andere Länder. Wegen der Rückzahlung der Kriegsschulden des 1. Weltkriegs wird das Geld knapp. Im Juli 1931 kommt es zu einer massiven Bankenkrise im Deutschen Reich. Kunden fordern ihr Geld zurück. Banken müssen schließen. Durch seine Politik, Staatsschulden abzubauen und staatliche Ausgaben zu kürzen, verschärft Reichskanzler Heinrich Brüning die Lage. Schon im Wahlkampf 1930 zeichnet sich ab, dass sich die Bevölkerung angesichts schwindender Zukunftschancen und wachsender Perspektivlosigkeit verstärkt rechtswie linksradikalen Ideen zuwendet. Die NSDAP wird mit 18,3 Prozent zweitstärkste Partei, die SPD erreicht nur noch 24,5 Prozent. Rechtsradikale Organisationen wie die „Harzburger Front“, ein lockerer Verbund von Deutschnationaler Partei, Nationalsozialisten, dem reaktionären Frontsoldaten-Bund „Stahlhelm“ und dem völkischen „Alldeutschen Verband“, sowie die NSDAP selbst haben enormen Zulauf. 1932 erreicht die Weltwirtschaftskrise in Deutschland ihren Höhepunkt. Die KPD erzielt in den Reichstagswahlen im November mit mehr als 16 Prozent ihr bestes Ergebnis; die NSDAP kommt auf 33 Prozent, verliert Stimmen, kann aber die Position als stärkte Partei behaupten. Nach der Reichstagswahl tritt Reichskanzler Franz von Papen zurück, betreibt aber hinter dem Rücken seines Nachfolgers Kurt von Schleicher eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Da die Regierungen seit dem Kabinett Brüning hofften, die wirtschaftliche und politische Krise Deutschlands durch Notverordnungen in den Griff bekommen zu können, fällt es von Papen und Hitler nun leicht, sich in ihren Geheimverhandlungen auf eine Regierung zu einigen, die mit Notverordnungen als erstes und wichtigstes Ziel „die Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden von führenden Stellungen in Deutschland“ erreichen will. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler tatsächlich zum Reichskanzler. Die Nationalsozialisten zelebrieren die Machtergreifung als mystisches Ereignis, sehen ihren Messias am Ziel seiner Träume. Als am Abend des 27. Februar der Reichstag in Flammen aufgeht, haben die Nationalsozialisten den Vorwand selbst geschaffen, sich von Reichspräsident Hindenburg eine „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ zu holen. Damit konnten sie die parlamentarische Demokratie auf legalem Wege abschaffen. In der Schlussphase des Wahlkampfes 1933 kann die NSDAP ihre politischen Gegner nun massiv unter Druck setzen und erreicht – wohl auch, weil sich Sozialdemokraten und Kommunisten nicht zu gemeinsamen Aktionen zusammenfinden können – mit 17,3 Millionen Stimmen knapp 44 Prozent. Der Weg in den Führerstaat ist vorgezeichnet. Schnell übernehmen die Nazis im ganzen Land die Macht. Mit Ausnahme der NSDAP werden alle politischen Parteien in Deutschland verboten. Seite 27 von 102 Clip 12: Ausgrenzung der Juden (1933-1939): Boykott, Stigmatisierung, Ausgrenzung O-Ton Goebbels: „Boykott-Aufruf am 1. April 1933“ Mit hohlem Pathos verkündete Propagandaminister Joseph Goebbels am 1. April 1933 die Durchführung des sogenannten „Judenboykotts“. Er war die erste flächendeckende, zentral koordinierte judenfeindliche Aktion der Nazis nach ihrer Machtergreifung in Deutschland. Mit der Parole „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ besetzten SAund SSMänner in allen deutschen Großstädten die Eingänge von jüdischen Kaufhäusern und Geschäften. Sie hinderten Kunden und Patienten auch am Betreten von Arztpraxen und Kanzleien jüdischer Ärzte und Rechtsanwälte. Die Mehrheit der Bevölkerung nahm den Boykott tatenlos hin, einzelne beteiligten sich aktiv. Doch besonders in katholischen Gemeinden regte sich Widerstand gegen den Boykott. Die Bürger ließen sich durch die Nazis, die Gewalt androhten, nicht beirren und an ihrem Besuch von Läden und Praxen nicht hindern. Abends musste die Nazi-Führung den Boykott „aussetzen“. Auch das Ausland, besonders die USA hatten protestiert und drohten dem Dritten Reich, nun dann auch Waren aus Deutschland weltweit zu boykottieren. Nach drei Tagen wurde der Boykott für beendet erklärt. Doch nun begannen die Nazis still und leise zunächst alle Juden aus dem deutschen Staatsapparat hinauszuwerfen. Schon am 7. April setzten sie ein Gesetz in Kraft, das alle „nichtarischen“ Beamte in den Ruhestand beförderte. Jüdische Lehrer und Professoren verloren über Nacht ihre Arbeit. Auch wer jüdische Eltern oder Großeltern hatte, galt nach dem Gesetz fortan in Deutschland als „nichtarisch“. Dieser sogenannte „Arier-Paragraph“ wurde bald auf den gesamten öffentlichen Dienst, schließlich schnell auch auf fast alle anderen Berufsgruppen in Deutschland ausgedehnt. Die Nationalsozialisten missbrauchten ihre politische Macht, um Gesetze zu machen, mit denen sie dann „legal“ die deutschen Juden aus dem öffentlichen Leben verbannen konnten. Hierzu diente auch das „Gesetz gegen die nichtarische Überfüllung von Hochschulen“. Es trat am 25. April 1933 in Kraft. Es legte fest, dass nur eine Quote von 1,5% Nicht-Ariern pro Schule, Fakultät, Universität zugelassen wurde. Diese Gesetzgebung zielte auf ein totales Ausbildungsund Berufsverbot für Juden. Das Gesetz zur Reichskulturkammer schließlich grenzte ab dem 22. September 1933 alle jüdischen Künstler von jeglicher Tätigkeit in nichtjüdischen Kultureinrichtungen aus. Wie hier in der Reichsfilmkammer konnten nur noch deutsche Künstler ihren Beruf ausüben, die sich mit dem Gedankengut und den Taten der Nationalsozialisten arrangierten oder sogar ihre Parteigänger waren. Die quasi „legalisierte“ Judenfeindlichkeit des Nazi-Staates führte dazu, dass schon 1933 rund 37.000 Juden Deutschland verließen, vornehmlich die Jungen, die Talentierten, die Intelligenten. Deutschland war zunehmend von allen guten Geistern verlassen. O-Ton Goebbels: Bücherverbrennungen Seite 28 von 102 Clip 13: „Nürnberger Gesetze“ 1935 In der Mitte der 1930er Jahre wurde das Leben für die deutschen Juden in ihrem Heimatland immer gefährlicher. Die Nationalsozialisten, die 1933 an die Macht gekommen waren, hatten Deutschland in eine Diktatur verwandelt. Alle, die anders dachten als Hitler und die Nazis, saßen im Gefängnis, waren mit dem Tode bedroht oder bereits ermordet. Viele waren ins Ausland geflohen oder waren von der Nazi-Regierung sogar ausgewiesen worden. Auch viele Juden waren bereits emigriert. Nach fast 40.000 im Jahr 1933 waren es in den folgenden Jahren bis zu 25.000 pro Jahr. Doch manche Juden hofften noch immer auf bessere Zeiten. Aber sie kamen nicht. Im Gegenteil – hatten am Beginn der Nazi-Herrschaft noch viele Menschen geglaubt, Hitler habe die weit verbreitete Judenfeindlichkeit bloß genutzt, um möglichst viele Menschen dazu zu bringen, ihn zu wählen, so wurden sie 1935 endgültig eines Besseren belehrt: O-Ton: Göring verliest Nürnberger Gesetze Die Ausschnitte zeigen den hohen Nazi-Funktionär Hermann Göring 1935 beim Verkünden des sogenannten „Reichsbürgergesetzes“ und des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Mit diesen „Nürnberger Gesetzen“ erreichte der Plan der Nationalsozialisten seinen Höhepunkt, den deutschen Staatsbürgern jüdischer Abstammung alle Rechte zu nehmen. Nur wer „deutschen oder artverwandten Blutes“ war, heißt es im „Reichsbürgergesetz“, behielt alle Rechte in der deutschen Volksgemeinschaft. So hatten zukünftig nur „Deutsche“ mit „Ariernachweis“ noch das Recht, um nicht zu sagen, die Pflicht, den „Führer“ zu wählen, wie hier bei der sogenannten Reichstagswahl 1936: O-Ton Goebbels u.a. Wer aber jüdisch war oder auch nur jüdische Vorfahren hatte, verlor alle politischen Rechte. Juden durften nicht einmal mehr die Staatsflagge des Deutschen Reiches, die mittlerweile die Hakenkreuzfahne war, vor ihrem Haus oder Fenster hissen. Die „Nürnberger Gesetze“ löschten endgültig jede Rechtsstaatlichkeit in Deutschland aus; öffneten Denunziation und Willkür alle Türen. Brutaler als zuvor griff die Diktatur in das Privatleben der Menschen ein. Liebe zwischen Juden und Nichtjuden war nun in Deutschland nach dem sogenannten „Blutschutzgesetz“ verboten. Wer es trotzdem tat, beging „Rassenschande“. Liebe und Sex als Straftatbestand. Wie mögen diese beiden sich gefühlt haben? Nur weil sie sich liebten, waren sie plötzlich mitten in Deutschland mit dem Tode bedroht. Seite 29 von 102 Clip 14: Novemberpogrome 1938 Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 nahm die Judenverfolgung im nun großdeutschen Reich stark zu. Auch aus Wien flohen viele Juden. Der Flüchtlingsstrom schwoll an. Doch je mehr deutsche Juden aus Deutschland fort wollten, desto weniger waren die Länder Europas bereit, sie aufzunehmen. Die polnische Regierung beispielsweise – hier der polnische Außenminister Józef Beck – erließ ein neues Gesetz. Es machte die Pässe der polnischen Juden, die länger als fünf Jahre in Deutschland gelebt hatten, ab dem 30. Oktober 1938 ungültig. Nach diesem Datum konnten sie also nicht in ihr Heimatland zurückkehren. Die Nazis nahmen dieses Gesetz zum Anlass für die erste größere Deportation von Juden aus Deutschland. Rund 15.000 Juden polnischer Herkunft wurden am 28. und 29. Oktober von der Gestapo aus ihren Wohnungen und Häusern geholt, von ihren Arbeitsplätzen weggerissen, abgeschoben und einfach hinter der „grünen Grenze“ auf polnischem Gebiet ausgesetzt. Unter den Deportierten war auch die Familie Grynszpan. Der 17-jährige Sohn, Herschel Grynspan, erfuhr am 3. November 1938 in Paris vom brutalen Vorgehen der Gestapo gegen seine Familie. Vier Tage später erschoss er den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath. Mittlerweile haben Historiker herausgefunden, dass beide im Homosexuellenmilieu verkehrten. Ob Grynspan vom Rath aus privaten oder politischen Gründen erschoss, ist nicht endgültig geklärt. Doch die Nazis nahmen den Tod des Diplomaten am 9. November 1938 sofort zum Anlass, eine großangelegte Trauerzeremonie zu starten. Vom Rath bekam ein Staatsbegräbnis. Hitler hatte den eher unbedeutenden Gesandtschaftsrat nach dem Attentat noch schnell um drei Stufen nach oben befördert zum Botschaftssekretär 1. Klasse. Propagandaminister Joseph Goebbels stellte das Attentat auf den Diplomaten als Komplott des internationalen Judentums dar. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fanden überall in Deutschland brutale Überfälle auf deutsche Juden statt. Sie setzten sich am 10. November tagsüber besonders in Österreich fort. Es waren überwiegend SAund SS-Leute, die gezielt jüdische Geschäfte stürmten und zertrümmerten, Juden in ihren Wohnungen überfielen, misshandelten, vergewaltigten, Wertgegenstände stahlen, alles kurz und klein schlugen und männliche Juden verhafteten. Solche grausamen Übergriffe auf Juden wurden als Pogrome bezeichnet. Die NovemberPogrome in Deutschland 1938 fanden mit dem Niederbrennen von über 1400 Betstuben und Synagogen ihren Höhepunkt. Kein einziges nicht-jüdisches Geschäft wurde beschädigt; die Feuerwehr hatte klare Anweisung, nur nicht-jüdische Häuser zu schützen und die Synagogen ausbrennen zu lassen. Die November-Pogrome waren von der Nazi-Partei zu perfekt geplant, um tatsächlich als „spontaner Volkszorn“ erscheinen zu können, wie es Joseph Goebbels tags darauf behauptete. Was in dieser Nacht des zerbrochenen Glases, in der sogenannten „Reichskristallnacht“, in Deutschland geschah, waren die schlimmsten Pogrome seit dem Mittelalter. Über 30.000 männliche deutsche Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt nur, weil sie Juden waren. Nach neuesten Schätzungen kamen insgesamt 1.500 Juden bei den November-Pogromen in Deutschland ums Leben. Seite 30 von 102 Clip 15: „Arisierung“ – die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 war der Vorbote einer wirtschaftlichen Ausgrenzung und Ausplünderung aller Juden und aller Andersdenkenden in Deutschland. 1938 waren knapp 60 Prozent aller jüdischen Geschäfte und Unternehmen enteignet und in Staatsbesitz übergegangen oder weit unter Preis an sogenannte „Volksdeutsche“ verkauft worden. So stammten 1938/39 immerhin fast 9 Prozent aller Staatseinnahmen aus der „Arisierung“. Das nationalsozialistische „Wirtschaftswunder“, das die Massenarbeitslosigkeit seit der Weltwirtschaftskrise in Deutschland beseitigte, gründete sich zu einem Gutteil also auf eine räuberische Umverteilung von jüdischem Eigentum und Besitz zugunsten des Staates und einzelner Deutscher. Der Wirtschaftsaufschwung diente nur einem Ziel. Er führte geradewegs in den Krieg. Auch Privatfirmen wie die „Deutsche Bank“ oder der Chemiekonzern „IG Farben“ bereicherten sich durch „Arisierung“ an jüdischem Eigentum. Nach dem „Anschluss Österreichs“ übernahmen die IG Farben unter Wert die Skoda-Werke Wetzler. Sie gehörten der Familie Rothschild. Sie musste 1938 emigrieren. Die Diktatur, die nun auch über Österreich kam, wurde den neuen „Volkdeutschen“ z.B. durch die Möglichkeit versüßt, einfach die Wohnungen der geflohenen oder später dann deportierten Juden zu übernehmen. So wechselten allein in Wien bis zum Kriegsbeginn mehr als 60.000 Wohnungen in guter Lage ihre Besitzer. Und über das Winterhilfswerk konnten sich Volksdeutsche sogar mit geraubten jüdischen Kleidern neu eindecken. Nach Kriegsbeginn ging die Ausplünderung der Juden nun in ganz Europa weiter. Allein aus dem besetzten Frankreich fuhren ab 1940 zehntausende Güterwaggons voll mit geraubten Möbeln, Kleidern, Gemälden und Kunstgegenständen „heim ins Reich“. Sie wurden in Deutschland versteigert und verkauft. Der Erlös floss in die Kassen des NS-Staates. Seite 31 von 102 Clip 16: Judenverfolgung in Polen nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs Polen in den 30er Jahren: Hier leben fast 3 Millionen Juden – wie in anderen osteuropäischen Ländern sind sie eine bedeutende Minderheit in der Gesellschaft. Sie gehören überwiegend der Mittelschicht an, leben mehrheitlich in Städten und sind wie in Deutschland wichtige Stützen des wirtschaftlichen und geistigen Lebens. Oft stärker als in Westeuropa leben die osteuropäischen Juden ihren Glauben sehr traditionell. Nach der Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre versuchte die Mehrheit der nichtjüdischen polnischen Bevölkerung ihren sozialen Status zu halten und drängte auch durch eine judenfeindliche Gesetzgebung viele Juden aus ihren wirtschaftlichen Positionen. Viele Juden verarmten und lebten am Rande des Existenzminimums. Am 1. September 1939 überfallen deutsche Truppen Polen. Der 2. Weltkrieg beginnt. Die vorrückenden Soldaten treffen auf viele Juden und jüdische Gemeinden, die viel ärmer und traditioneller sind als sie es aus Deutschland kannten. Viele Soldaten schreiben in ihren Briefen in die Heimat, wie fremd ihnen die Welt der polnischen Juden ist, wie abscheulich und abstoßend sie deren Leben finden und wie recht der Führer doch habe, sie verfolgen zu lassen. Die jahrelange Propaganda wirkt. Und die Kameraleute der „Deutschen Wochenschau“ fügen auf ihrem Vormarsch durch Polen täglich neue Aufnahmen armer Juden hinzu. Sie dienen als Feindbilder, die belegen sollen, wie „minderwertig“ das Judentum doch sei. Gemeinsam mit den Sondereinheiten von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst, den sogenannten „Einsatzgruppen“, demütigen, verprügeln und quälen auch viele Wehrmachtssoldaten polnische Juden in aller Öffentlichkeit. Die „Einsatzgruppen“ machen regelrechte Hetzjagden auf Juden, aber auch auf Sinti und Roma, Kommunisten und Sozialdemokraten. Es kommt zu Massenhinrichtungen und Massakern. Das besetzte Polen, das die Deutschen nunmehr als „Generalgouvernement“ bezeichnen, wird zu einem rechtsfreien Raum. Misshandlung, Vergewaltigung und Mord an Juden wie an der polnischen Bevölkerung, die die Nazis gleichfalls als „minderwertig“ ansehen, ist an der Tagesordnung. Im Herbst 1939 beginnen erste Deportationen. Die Juden vom Lande werden in die nächstgelegenen Städte umgesiedelt, später in neu von den Nazis eingerichteten Ghettos der größeren Städte konzentriert, etwa in Krakau, Lodz und Warschau. Die polnischen Juden müssen ab Dezember 1939 eine Binde tragen und sind so für jedermann äußerlich kenntlich gemacht. Im November 1940 wird das jüdische Armenviertel Warschaus zum größten Ghetto Polens. Über 350.000 Menschen müssen hier auf engstem Raum zusammenleben. Die Zwangsquartiere, die auf etwa 70 Straßenzüge begrenzt sind, werden von den Besatzern mit hohen Mauern umgeben. Niemand darf das Warschauer Ghetto unerlaubt verlassen. Wer es dennoch tut, um Lebensmittel oder lebenswichtige Arzneien zu besorgen, wird mit dem Tode bestraft. Für die innere Organisation des Ghettos setzen die Deutschen einen sogenannten „Judenrat“ ein. Er wurde gezwungen, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten und die Anordnungen den Deutschen umzusetzen. So übertragen die Deutschen sehr perfide einen Teil der Verantwortung für die Ausführung der eigenen judenfeindlichen Maßnahmen auf die Juden selbst. Um zu überleben, müssen die arbeitsfähigen Juden Zwangsarbeit verrichten. Sie arbeiten entweder im Ghetto oder in ca. 50 Warschauer Betrieben, die vornehmlich für die Rüstungsindustrie des Dritten Reiches tätig sind. Anfang 1941 verschlechtern sich die Lebensbedingungen im Warschauer wie in den anderen Ghettos zusehends. Immer mehr Juden aus den verschiedenen Regionen Polens werden in die Ghettos gesperrt, in Warschau allein sind es fast 60.000 Menschen zusätzlich. Seuchen brechen aus. Viele Kinder und alte Seite 32 von 102 Menschen sterben an Unterernährung, Auszehrung, Epidemien. Der Judenrat verwaltet nur mehr den Tod. Das Ghetto ist zu einer Hölle auf Erden geworden. Seite 33 von 102 Clip 17: Beginn der systematischen NS-Vernichtungspolitik in Polen und in der Sowjetunion Der 23. August 1939 in Moskau. An diesem Tag unterzeichneten der deutsche Außenminister von Ribbentrop und sein sowjetischer Kollege Molotow den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Stalin gab Hitler damit einen Freibrief, mit den Eroberungskriegen in Europa beginnen zu können. Polen wurde Hitlers erstes Ziel. In einem Geheimprotokoll verabredeten die beiden Diktatoren, Polen unter sich aufzuteilen. Am 17. September 1939 besetzt die Rote Armee Ostpolen. Stalin wollte schon damals seinen eigenen Einfluss in Europa vergrößern. Er sah auch klar, dass Hitler in naher Zukunft auch die Sowjetunion überfallen würde. Stalin erhoffte sich einen zeitlichen Aufschub durch die Zusammenarbeit mit Hitler. Die Sowjets nutzten diese Zeit für die Aufrüstung der eigenen Armee. Am 22. Juni 1941 trat ein, was Stalin befürchtet hatte: Die deutsche Wehrmacht überfiel die Sowjetunion. Doch nun stand den 3,6 Millionen deutschen Soldaten eine Überzahl von ca. 4,7 Millionen sowjetischen Soldaten gegenüber. Aber für die Rote Armee kam der deutsche Einmarsch überraschend. Nur knapp die Hälfte der Soldaten befand sich im Westteil des riesigen Landes. Über den Sommer 1941 gewannen die deutschen Panzerverbände Schlacht um Schlacht. Sie drangen weit ins Landesinnere vor und machten Hunderttausende Kriegsgefangene. Für die Deutschen schien alles nach Plan zu laufen, nach „Generalplan Ost“. Dieser Plan zur Gewinnung von „Lebensraum im Osten“ war von der SS im Auftrage von Heinrich Himmler 1941 ausgearbeitet worden. Er sah vor: Ganz Osteuropa bis zum Ural sollte zum Siedlungsgebiet der Deutschen werden. Nahezu 30 Millionen Menschen aus Polen, Tschechien, der Slowakei, der Ukraine und aus Russland sollten in die Weiten Sibiriens umgesiedelt werden. Hinter der vorrückenden deutschen Armee verfolgten ca. 3.000 Männer ein weiteres, noch grausameres Kriegsziel der Nazis: die Ermordung aller Juden in Osteuropa. Die Männer waren überwiegend Angehörige der Polizei, des Sicherheitsdienstes (SD) und der SS. Sie waren in den sogenannten „Einsatzgruppen“ organisiert. Die Männer der Einsatzgruppen töteten aber auch die geistige Elite Polens. Sie ermordeten Intellektuelle, katholische Priester und kommunistische Funktionäre. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion waren die Einsatzgruppen den Heeresgruppen Nord, Mitte und Süd zugeordnet. Im Einsatzgebiet der 11. Armee operierte die Einsatzgruppe D. 1941 beging die Einsatzgruppe A in Litauen unter Mithilfe der dortigen Bevölkerung mörderische Pogrome. In Lettland führte sie Massenexekutionen durch. In der Ukraine verübten die Leute der Einsatzgruppe C den wohl bis dato größten Massenmord am Volk der Juden. An nur zwei Tagen, am 29. und 30. September, erschossen sie mehr als 30.000 Juden in der Schlucht von Babi Jar. Doch der Reichsführung und Adolf Hitler waren die herkömmlichen Tötungsmethoden nicht effektiv genug. Für die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ suchten und fanden sie Verfahren des Massentötens, die in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel sind. Seite 34 von 102 Clip 18: Die Wannseekonferenz 1942 – „Die Endlösung der Judenfrage“ „Am Großen Wannsee 56-58“ lautet die Adresse dieser Berliner Villa. Hier trafen sich am 20. Januar 1942 wichtige Reichsführer des NS-Staates zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“. Eine Verabredung zum Massenmord, denn besprochen wurden Maßnahmen zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“. Schon im Sommer 1941 hatte die Naziführung beschlossen, alle Juden in ihrem Herrschaftsgebiet ermorden zu lassen. Der Chef von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst, Reinhard Heydrich, wurde von Reichsmarschall Hermann Göring beauftragt, ihm „in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“ Zu diesem Zwecke lud Heydrich seine Experten für Deportation und Judenmord, darunter neun promovierte Juristen, in die Wannsee-Villa. Adolf Eichmann, Leiter des Referats „Judenangelegenheiten“, führte das Protokoll der „Wannsee-Konferenz“. Minutiös listete er auf, wie viele Juden noch in den einzelnen europäischen Ländern leben und deportiert werden sollen. Kühl kalkuliert er durch: „Im Zuge dieser Endlösung der Judenfrage kommen rund elf Millionen Juden in Betracht.“ Das Ergebnis der Besprechung, also das, was nun mit den Juden in Europa geschehen soll, formulierte Eichmann in seinem Protokoll in unnachahmlichem Beamtenund Behördendeutsch: „Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt.“ Und weiter: „Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden.“ Schließlich: „Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise zum Arbeitseinsatz kommen [...], wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.“ „Natürliche Verminderung“ – Selten wurde Massenmord juristisch und bürokratisch so verklausuliert wie auf jener Konferenz der Nazi-Größen am Wannsee im Januar 1942. Eichmanns Protokoll endete mit dem Hinweis auf die Bitte Heydrichs, „ihm bei der Durchführung der Lösungsarbeiten entsprechende Unterstützung zu gewähren“. Bedeutet: Wer hat die beste Idee, so viele Juden wie möglich in der kürzesten Zeit wie möglich umzubringen? Wenige Monate nach der Wannsee-Konferenz, Ende Mai 1942, wurde Heydrich von tschechischen Widerstandskämpfern in Prag getötet. Doch das Morden des NS-Staates an den Juden ging unvermindert weiter. Der Holocaust hing schon lange nicht mehr an einzelnen Personen, sondern war zu einer bürokratisch organisierten Maschine des Tötens geworden. Sie wurde von vielen bedient, damit nur wenige sich verantwortlich fühlen mussten für das, was wirklich geschah: gemeiner Massenmord. Seite 35 von 102 Clip 19: Aufbau der Vernichtungslager in Polen Die Schlucht von Babi Jar. Mehr als 30.000 Juden wurden hier allein an zwei Tagen im September 1941 erschossen. Mit nüchternem Zynismus stellte die Führung der Einsatzgruppen, die die Exekutionen durchführte, fest, dass die physische und psychische Belastung für die Tötenden auf Dauer zu hoch sei. Experimente zum Massenmord mithilfe der Einleitung von tödlichem Kohlenmonoxid in Gaswagen führte nicht zu den gewünschten Resultaten, um die von den Nazis beschlossene Ermordung aller europäischen Juden so schnell wie möglich zu bewerkstelligen. In Polen hatten die Nazis alle Juden in Ghettos konzentriert. Waren die Lebensbedingungen dort für die Menschen schon lebensbedrohend, so begann die Nazi-Führung 1942 mit der „Aktion Reinhardt“. Ihr Ziel: Die Ermordung aller Juden im sogenannten „Generalgourvenement“, wie das damalige Polen im Amtsdeutsch hieß. Ab November 1941 entstanden erste Vernichtungslager: Belzec, Sobibor, Treblinka. Auf Befehl Himmlers rollten nun Tag für Tag „Judentransporte“ aus den polnischen Ghettos in die Vernichtungslager. Im März 1942 wurden die ersten Juden in Treblinka und den anderen Lagern ermordet, ab Juli begann deren systematische Ermordung in den Vernichtungslagern. Anfang 1943 lebten von den einstmals 2 Millionen polnischen Juden nur noch etwa 30.000. Nach dem Massenmord im „Generalgourvenement“ konzentrierte sich die Nazi-Führung bei der Verwirklichung der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ nun auf ihr größtes Vernichtungslager: Seit Mai 1940 war im östlichen Teil Oberschlesiens nahe der Stadt Auschwitz ein riesiges Lager entstanden. 1941 entstand nahe Auschwitz das Außenlager Monowitz, ein Industriewerk der IG Farben. Die IG Farben war ein Zusammenschluss großer deutscher Chemiebetriebe. Sie bediente sich der KZ-Insassen als Zwangsarbeiter. Allein 1944 mussten hier 42.000 Auschwitz-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit für die deutsche Chemieindustrie leisten. Viele kamen während der mörderischen Arbeitseinsätze ums Leben. Die toten Häftlinge wurden durch neue, arbeitsfähige KZ-Insassen ersetzt. Wer nicht mehr weiterarbeiten konnte, wurde als „arbeitsunfähig“ eingestuft und in den sicheren Tod der Gaskammer geschickt. Im Oktober 1941 wurde auf Befehl Himmlers im nahen Birkenau ein zweites Lager errichtet. Hier ließ Lagerkommandant Höß Anfang 1942 zunächst zwei Häuser in Gaskammern umbauen. In ihnen wurden die überwiegend jüdischen Häftlinge mit dem Giftgas Zyklon B ermordet. Es strömte statt Wasser aus den Duschen. Höß ließ nun das Mordverfahren an den Häftlingen perfektionieren. Bis 1945 wurden 1,3 Millionen Juden aus ganz Europa in das Vernichtungslager AuschwitzBirkenau deportiert. 900.000 wurden direkt von der Rampe weg in die Gaskammern geführt und getötet oder sogar unmittelbar nach Ankunft gleich erschossen. Ca. 200.000 Häftlinge starben an Unterernährung, Epidemien, Misshandlungen und den Folgen der schweren Zwangsarbeit, die sie in den naheliegenden Fabriken der IG Farben verrichten mussten. Die Leichen der Getöteten wurden verbrannt, ihre Habseligkeiten in einer Sortierstelle fein säuberlich getrennt und aufbewahrt. Seite 36 von 102 Clip 20: Judenverfolgung in Deutschland nach Beginn des Zweiten Weltkriegs Deutschland im Krieg. Ab Herbst 1940 schlägt der Zerstörungsund Eroberungsfeldzug der deutschen Truppen in Europa immer stärker gegen die eigene Bevölkerung zurück. Nacht für Nacht fallen die Bomben der britischen und amerikanischen Kampfgeschwader auf deutsche Städte. Sie richten große Verwüstungen an. Die Volksdeutschen können sich in Luftschutzräume retten. Juden ist der Zutritt verboten. Schutzlos sind sie dem Bombenhagel und den Feuerstürmen ausgesetzt. Viele sterben. Im Herbst 1941 verbietet der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, den Juden, die nun noch in Deutschland leben, die Auswanderung. Das letzte Kapitel des Holocaust beginnt. Rund 151.000 Menschen jüdischen Glaubens, viele Frauen und Alte darunter, sind betroffen. 75.000 von ihnen leisten harte Zwangsarbeit in wichtigen Betrieben der Kriegswirtschaft. Doch die Juden sind völlig rechtlos, verarmt. Sie werden von den Nazis gebrandmarkt wie Vieh. Seit September 1941 müssen auch alle Juden in Deutschland einen gelben Stern auf der Kleidung tragen. Die Ausgrenzung der Juden aus der Gesellschaft wird nun für jedermann auch äußerlich sichtbar. Die männlichen Juden müssen den Beinamen „Israel“; die Frauen den Beinamen „Sarah“ tragen. Man nimmt ihnen jedes Recht auf eine eigene Persönlichkeit, erklärt sie zur verfügbaren Masse von namenlosen Männern, Frauen, Kindern und Alten. Wenig später beginnen die Massendeportationen in die Vernichtungslager, die mittlerweile von den Nazis in Osteuropa errichtet wurden. Allein aus Hamburg lässt Gauleiter Kaufmann zwischen 1940 und 1945 mehr als 7.000 Juden in die Ghettos und Lager in Osteuropa verschleppen. Offiziell heißt es, die Juden würden zum Arbeitseinsatz nach Osten fahren. Dort werden die meisten Juden, aber auch der Großteil der deportierten Sinti und Roma, von den Nazis ermordet. Ende 1942 leben nur noch rund 75.000 Juden in Deutschland. Sie arbeiten in kriegswichtigen Betrieben. Doch Hitler will sie so schnell wie möglich durch andere Zwangsarbeiter ersetzen lassen und gleichfalls in die Vernichtung treiben. In der sogenannten „Fabrik-Aktion“ wird besonders in Berlin im März 1943 offene Jagd auf Juden gemacht. Der Berliner Gauleiter Joseph Goebbels will die Reichshauptstadt „judenrein“ machen. Er lässt viele Juden direkt aus den Fabriken verhaften. Sie werden in Deportationszügen, die vornehmlich in Berlin-Grunewald zusammengestellt werden, gen Osten abtransportiert. Insgesamt sind es 165.000 Juden aus Deutschland, die bis 1945 dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer fallen. Trotz der mörderischen Hetzjagd auf Juden schaffen es bis zu 12.000, im Gebiet des sogenannten „Altreiches“ unterzutauchen. Diese sogenannten „U-Boote“ werden von Deutschen in Kellern und Gartenlauben versteckt und versorgt oder sie leben mit falschen Papieren in Deutschland, immer in der Furcht, entdeckt zu werden. Seite 37 von 102 Clip 21: Judenverfolgung in Westeuropa (1940-1944) Nach der sogenannten „Reichskristallnacht“ waren 1938 ca. 14.000 Juden aus Deutschland in die Niederlande geflohen. Zentraler Ankunftsort der Flüchtlinge war der Bahnhof von Zevenaar. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Mai 1940 begann auch in den Niederlanden sofort die Verfolgung der Juden nach deutschem Muster: Ausgrenzung, Ächtung, Arisierung jüdischen Eigentums, schließlich Deportation. Trotz des teilweise offenen Widerstands der holländischen Bevölkerung konnten die deutschen Besatzer 110.000 der 140.000 Juden aus den Niederlanden in die Konzentrationsund Vernichtungslager nach Deutschland und Osteuropa deportieren. Die Deportationen begannen im Sommer 1942 und liefen über das Durchgangslager Westerbork in der Nähe der deutschen Grenze. Schon 1943 galten die Niederlande – im Sprachgebrauch der Nazis – als „judenrein“. Im europäischen Vergleich ist die Zahl von 73 Prozent deportierter holländischer Juden erschreckend hoch. In Dänemark beispielsweise war es nach dem Überfall durch die deutschen Truppen am 9. April 1940 lange friedlich geblieben. Den Nazis in Berlin erschien Dänemark als eine Art „Musterprotektorat“, die Dänen als „germanisch-nordisches Volk“ idealer Bündnispartner. Doch der Schein trog – zum Glück. Als im Oktober 1943 auch in Dänemark die „Endlösung“ beginnen sollte, konnte die Bevölkerung in einer beispiellosen Rettungsaktion fast alle der 8.000 dänischen Juden in Sicherheit bringen. Viele wurden ins neutrale Schweden gebracht. Polizei und Küstenwache in Dänemark waren nicht bereit, sich an einer Menschenjagd auf Juden zu beteiligen. Ganz anders sah die Situation der Juden in Frankreich aus. Hier begannen die Deportationen im März 1942. Mehr als 70.000 Juden aus dem besetzten Teil Frankreichs, später aus der sogenannten „freien Zone“ der Vichy-Regierung im Süden des Landes, wurden abtransportiert. Die französische Polizei war aktiv beteiligt, Behörden halfen bei Registrierung und Internierung der französischen Juden. Besonders die Vichy-Regierung hatte die Illusion, sich durch diese Form der „Kollaboration“ ein gewisses Maß an politischer Selbständigkeit bewahren zu können. Das war ein Trugschluss. Für die Deutschen war die „Kollaboration“ reine Taktik, um zumindest die Loyalität von einem Teil der Franzosen zu gewinnen. Ab Mai 1942 verstärkte der SSund Polizeiführer Carl Oberg den Terror gegen die französische Zivilbevölkerung. Er gab den Befehl zu Geiselerschießungen. Die Maßnahmen gegen die Juden wurden bösartiger, die Deportationen massiv. Immer mehr Franzosen wurden als Zwangsarbeiter für die deutsche Wirtschaft rekrutiert. Die Résistance, die französische Widerstandsbewegung, wuchs daraufhin stark an. Viele Kämpfer der Résistance halfen mit, Frankreich nach der Invasion der Alliierten in der Normandie von der deutschen Besatzung zu befreien. Seite 38 von 102 Clip 22: Judenverfolgung in Osteuropa (1940 – 1945) Ungarn nahm zwischen 1933 und 1945 eine besondere Haltung gegenüber dem faschistischen Deutschland ein. Unter dem „Reichsverweser“ Horthy verbündete sich Ungarn schon früh mit dem „Dritten Reich“. Beim Angriff auf die Sowjetunion unterstützten ungarische Truppen die Deutschen. Als Ungarn sich jedoch Anfang 1944 aus dem Bündnis mit Deutschland befreien wollte, besetzte die deutsche Wehrmacht das Land am 19. März 1944. Nun gerieten die bis dato weitgehend unbehelligt lebenden ungarischen Juden in Gefahr. Adolf Eichmann, der Organisator der „Endlösung der Judenfrage“, war nach Budapest gereist, um die Deportation ungarischer Juden in Rüstungsbetriebe nach Deutschland zu überwachen. Die SS ließ im Zusammenspiel mit den ungarischen Faschisten, den sogenannten „Pfeilkreuzlern“, in kürzester Zeit, von März bis Juli 1944, mehr als 200.000 Juden deportieren. Sie wurden größtenteils in Auschwitz ermordet. Die Anzahl der jüdischen Opfer des NS-Völkermords war auch in den anderen osteuropäischen Ländern sehr hoch. Insgesamt fielen allein in Osteuropa ca. fünf Millionen Juden dem Holocaust der Nationalsozialisten zum Opfer. Seite 39 von 102 Clip 23: „Todesmärsche“ 1944/45 Die Kriegsgegner Deutschlands ahnten, dass das, was in den Konzentrationslagern geschah, das Schlimmste war, das der ganzen Menschheit je angetan wurde. Auf der Konferenz von Teheran am 28. November 1943 trafen sich der britische Premierminister Winston Churchill und der US-Präsident Franklyn D. Roosevelt zum ersten Mal mit ihrem Verbündeten im Osten, dem sowjetischen Diktatur Josef Stalin. Sie hatten unterschiedliche politische Weltanschauungen. Doch in einem Punkt waren sie sich einig. Sie wollten Deutschland gemeinsam besiegen. Sie wollten zusammen den Völkermord der Nazis so schnell wie möglich beenden. Sie wussten: Die deutsche Wehrmacht war geschwächt. Der Schock der Deutschen saß tief. Mit der verheerenden Niederlage in der Schlacht um Stalingrad im Januar 1943 hatte in Deutschland wohl kaum jemand gerechnet. Briten, Amerikaner und Russen verabredeten, sowohl im Westen wie im Osten mit Gegenoffensiven zu beginnen. Nazi-Deutschland sollte durch einen Zweifronten-Krieg in die Knie gezwungen werden. Am 6. Juni 1944, dem sogenannten D-Day, begann die Landung der alliierten Streitkräfte in der Normandie. 150.000 Amerikaner, Briten, Polen, Kanadier und Soldaten anderer Bündnisländer eroberten verlustreich fünf Strandabschnitte. Für die deutsche Armeeführung kam die Landung an diesem Punkt der französischen Atlantikküste überraschend. Dank dieser Überraschungstaktik und der großen Kampfkraft ihrer Truppen konnten die alliierten Streitkräfte in nur wenigen Tagen eine zusammenhängende Front von 100 Kilometern Länge auf dem französischen Festland aufbauen. Systematisch begannen sie nun, die deutschen Truppen gegen die eigenen Grenzen und darüber hinaus zurückzudrängen. Zwei Wochen nach der Landung ihrer westlichen Verbündeten in der Normandie startete die Rote Armee ihre großangelegte Sommeroffensive gegen die deutsche „Heeresgruppe Mitte“ inmitten der Sowjetunion. Die deutschen Truppen wurden nun auch an der Ostfront entscheidend geschlagen und waren auf dem Rückzug. Als die Front näherrückte, gab SS-Führer Heinrich Himmler den Befehl aus: Kein KZHäftling dürfe in die Hände des Gegners fallen. Alle Spuren des Holocaust sollten so schnell wie möglich beseitigt werden. Im Spätsommer 1944 begann die SS mit der Evakuierung des Vernichtungslagers Auschwitz in Ostoberschlesien. Ca. 65.000 Häftlinge, die im Sinne der Nazis noch als „arbeitsfähig“ galten, wurden in Rüstungsbetriebe nach Deutschland transportiert. Ende 1944 begannen die SS-Männer, die Vernichtungsanlagen zu demontieren und einen Großteil der Geheimakten zu verbrennen. Im Januar 1945 setzte die SS 56.000 Häftlinge in Richtung Westen in Marsch. Die entkräfteten, ausgemergelten Menschen trugen bloß ihre dünne, zerfetzte Häftlingskleidung. Historiker schätzen, dass allein bei dieser SSAktion 9.000 bis 15.000 Häftlinge, überwiegend Juden, ums Leben kamen. Deshalb wurden diese Aktionen der SS später als „Todesmärsche“ bezeichnet. Im April 1945 trieb die SS 28.000 der insgesamt 47.000 Häftlinge des KZ Buchenwald bei Weimar auf „Todesmärsche“. Tausende starben in den letzten Kriegstagen. Auch beim „Todesmarsch“ von Häftlingen aus dem KZ Mittelbau Dora bei Nordhausen in Thüringen kamen viele um. In diesem Außenlager des KZ Buchenwald mussten die Gefangenen in Bergwerksstollen unter mörderischen Arbeitsbedingungen die Produktion von NS-Raketenwaffen vorantreiben. Auch als sich die USArmee dem KZ Flossenbürg in der Oberpfalz näherte, wurden Mitte April 1945 25.000 – 30.000 Gefangene auf „Todesmärsche“ nach Dachau getrieben. Auf diesem „Todesmarsch“ kamen mindestens 5.000 Häftlinge ums Leben. Auch vom KZ Dachau starteten die SSWachmannschaften noch Ende April 1945 für ca. 7.000 Häftlinge „Todesmärsche“ Richtung Alpen. Die Wachleute jagten sie durch Eis und Schnee, hetzten sie teilweise mit Hunden zu Seite 40 von 102 Tode. Insgesamt trieb die SS in den letzten Kriegstagen in Deutschland etwa eine Viertel Million kranker und entkräfteter Häftlinge auf „Todesmärsche“. Warum, ist nicht endgültig geklärt. Ging es den Nazis darum, die Gefangenen durch die Strapazen umkommen zu lassen? Oder glaubte die SS-Führung, Gefangene als Geiseln für die Verhandlungen mit den Siegermächten behalten zu müssen? Immerhin wurden prominente „Sonderhäftlinge“ wie Pfarrer Martin Niemöller oder der österreichische Ex-Kanzler Kurt von Schuschnigg für den Dachauer „Todesmarsch“ ausgewählt. Seite 41 von 102 Clip 24: Befreiung der Konzentrationslager 1945 Am 27. Januar 1945 befreite die sowjetische Armee das Konzentrationsund Vernichtungslager Auschwitz in Ostoberschlesien. Im tiefsten Winter lagen das Stammlager und die Nebenlager fast verlassen da. Die Wachmannschaften der SS waren geflohen. Nur ca. 7.500 kranke und erschöpfte Häftlinge hatte die SS in Auschwitz zurückgelassen. Den Befreiern boten sich Bilder des Grauens. Die Kameraleute der sowjetischen Wochenschau haben sie für die Nachwelt festgehalten. Das ganze Ausmaß des nationalsozialistischen Massenmordens wurde schlagartig deutlich, der Völkermord an den Juden, an den Sinti und Roma, an allen Andersdenkenden und an allen, die die Nazis in ihrem Rassenwahn für minderwertig hielten. Wenig später, im April 1945, sahen auch die Soldaten der westlichen Alliierten die Berge von Leichen der gestorbenen, getöteten Häftlinge, der vor Hunger und Erschöpfung ausgezehrten Gefangenen in den Konzentrationslagern. Hier Bilder aus dem KZ Bergen-Belsen bei Celle, kurz nach der Befreiung durch die britische Armee am 15. April 1945. Das KZ Dachau bei München. Nach der Befreiung am 29. April 1945 fanden US-Soldaten auch hier Leichenberge vor und Häftlinge, die vom Tod gezeichnet waren. Angesichts solcher Eindrücke konnten einige US-Soldaten ihre Rachegefühle nicht beherrschen. Sie übten Selbstjustiz und erschossen 39 SS-Wachleute. Sie handelten gegen das Völkerrecht. Eine Untersuchungskommission der USArmee kam zu dem Schluss, fünf Beschuldigte müssten wegen Mordes angeklagt werden. Doch die Armeeführung folgte dieser Empfehlung nicht. Die Konzentrationslager wurden für die Bevölkerung geöffnet. Die Menschen mussten sich nun mit den Gräueltaten beschäftigen, die in ihrem, im Namen des deutschen Volkes begangen worden waren. Nicht wenige waren in den NS-Völkermord mittelbar oder unmittelbar verstrickt. Die, die nicht direkt beteiligt waren, konnten sich vor 1945 unwissend geben. Doch neuere Forschung bestätigt: „Die meisten Deutschen wussten genug, um sich darüber im klaren zu sein, dass sie nicht mehr wissen wollten.“ So ein Fazit des Zeithistorikers Bernward Dörner in seinem Buch „Die Deutschen und der Holocaust“ von 2007. Seite 42 von 102 Clip 25: Deutsche und Juden nach 1945 Die Tatsache, dass – mit Ausnahme der wenigen Widerstandskämpfer – die Mehrheit der Menschen in Deutschland in den Nationalsozialismus verstrickt waren, wollen die meisten Deutschen nicht wahrhaben. Nur wenige wie diese Kirchenvertreter bekennen sich noch 1945 zu ihrer Mitschuld. Am 18. und 19. Oktober 1945 treffen sie sich im vom Krieg gezeichneten Stuttgart. Sie ziehen Bilanz über die Verstrickungen der Kirche in den Nationalsozialismus. Am 19. Oktober verabschieden sie das sogenannte Stuttgarter Schuldbekenntnis, in dem es u.a. heißt: O-Ton Schuldbekenntnis Im eigenen Land löst die Erklärung der Kirchen zunächst eine heftige Debatte aus. Weltweit wird die Schulderklärung positiv aufgenommen. Sie trägt in Deutschland wie international dazu bei, in den Kirchen christliche Judenfeindlichkeit aufzuarbeiten und abzubauen. In Deutschland siedeln sich wieder jüdische Gemeinden an wie hier in Berlin in den Fünfziger Jahren. Deutsche Juden bauen ihre Synagogen wieder auf wie hier in den Sechziger Jahren in Essen. Ein neuer christlich-jüdischer Dialog entsteht, der bis heute andauert. Auf der politischen Ebene gestaltet sich eine Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden ungleich noch schwieriger. 1949 waren unter der Regie der mittlerweile verfeindeten Siegermächte des 2. Weltkrieges zwei Teilstaaten auf deutschem Boden entstanden. Im Mai bildete sich aus den Zonen der westlichen Alliierten die Bundesrepublik Deutschland. Konrad Adenauer wurde ihr erster Bundeskanzler. Im Oktober 1949 wurde aus der sowjetisch besetzten Zone die Deutsche Demokratische Republik. Wilhelm Pieck wurde ihr erster Staatspräsident. Die DDR erhob sogleich den moralischen Anspruch, das bessere Deutschland zu sein. Sie sah sich als antifaschistischer Staat. Jede Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches wurde abgelehnt und propagandistisch dem westdeutschen „AdenauerStaat“ zugeschoben. Konrad Adenauer, ein katholischer und konservativer Politiker, war während der Nazizeit in die sogenannte „Innere Emigration“ gegangen. Das heißt, er hatte sich nicht in das NS-System verstrickt, hielt Kontakt zu christlichen Widerstandsgruppen, wurde sogar mehrfach verhaftet, war aber gegen den NS-Staat nicht politisch aktiv geworden. Als langjähriger Vorsitzender einer Partei, in der viele alte Nazis Unterschlupf finden und mit deren Hilfe sie in der Bundesrepublik Karriere machen können, gerät aber auch Konrad Adenauer ins Zwielicht. Nach zähen Verhandlungen verabschieden im März 1953 die Parlamente der Bundesrepublik und des Staates Israel ein Wiedergutmachungsabkommen der Deutschen an die Juden. Nur eine Minderheit der Bevölkerung hält zu jener Zeit in Deutschland diese Wiedergutmachung für gerechtfertigt; die Mehrheit ist dagegen. Die westdeutsche Politik folgt dieser Stimmung. Erst 1960 kommt es zu einem ersten Treffen zwischen Adenauer und David Ben Gurion, dem israelischen Ministerpräsidenten. Die DDR-Führung orientiert sich dagegen ganz an der Linie der Sowjetunion, sieht Israel als „Instrument des amerikanischen Imperialismus im Mittleren Osten“ und baut – wie hier der sowjetische Staatsund Parteichef Chruschtschow beim ägyptischen Präsidenten Gamal Abdal Nasser die Beziehungen zu den arabischen Staaten aus. In Westdeutschland beginnen führende Politiker erst in den 60er Jahren, 15 Jahre nach Kriegsende, ernsthafter in der Öffentlichkeit dem Holocaust zu gedenken – wie hier Bundeskanzler Adenauer im Jahr 1960 bei einer Kranzniederlegung für die Opfer im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen. Zehn Jahre später wird Willy Brandts stummer Kniefall am Ghettodenkmal in Warschau legendär. Schon zuvor hatten immer häufiger nun Kinder in Westdeutschland von ihren Eltern Rechenschaft darüber gefordert, was in der Nazizeit wirklich los war. Der Wunsch nach Aufklärung über den Nationalsozialismus und Seite 43 von 102 die NS-Verbrechen wird immer dringlicher. Ab 1967/68 wird er zu einer der kräftig sprudelnden Quellen, aus denen sich der Protest der jungen Generation gegen die Gesellschaft der Eltern in der Bundesrepublik speist. Die sogenannte 68er-Bewegung führt auch dazu, dass seit den Siebziger Jahren in der Bundesrepublik die Zeit des Nationalsozialismus und die Geschichte des Holocaust verstärkt aufgearbeitet wird. Seite 44 von 102 Clip 26: Nürnberger Prozesse: Hauptkriegsverbrecherprozess Deutschland im Jahre 1945. Die Nationalsozialisten haben das Land erst in den totalen Krieg, schließlich in die totale Niederlage geführt. Die Mehrheit der Deutschen folgt ihrer politischen Führung bis in den Untergang. Manche handeln unter Druck, viele folgen „ihrem Führer“ allerdings aus tiefer Überzeugung. Selbst nachdem Adolf Hitler sich gemeinsam mit Eva Braun am 30. April 1945 im Führerbunker umgebracht hat und am 1. Mai auch sein Propagandaminister Joseph Goebbels zusammen mit seiner Familie Selbstmord begeht, gehen die Kämpfe wie hier in Berlin unerbittlich weiter. Erst am 8. Mai 1945 erfolgt die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Hunderttausende deutsche Soldaten gehen in die Gefangenschaft oder sind auf der Flucht. Sie mischen sich mit einem Millionenheer von Flüchtlingen überall im zerstörten Deutschland. In den Menschenströmen versuchen einige Hauptkriegsverbrecher unterzutauchen. SS-Chef Heinrich Himmler flieht unter falschem Namen. Bei Lüneburg gerät er zunächst unerkannt in britische Gefangenschaft. Als seine Tarnung auffliegt, schluckt er am 23. Mai 1945 eine Giftpille. Anderen Kriegsverbrechern wie SS-Mann Adolf Eichmann, dem logistischen Planer der Judendeportationen, gelingt dagegen zunächst die Flucht. Manche bleiben unentdeckt wie SS-Arzt Josef Mengele oder verschwunden wie HitlerStellvertreter Martin Bormann. Die Alliierten in Ost und West hatten diese Situation kommen sehen. Schon 1943 verabredeten sie in Moskau, später auf der Konferenz von Teheran, Kriegsverbrecher zu fangen und in den Ländern verurteilen zu lassen, in denen sie ihre Verbrechen begangen hatten. So fanden schon während des Krieges Kriegsverbrecherprozesse wie hier in der Sowjetunion nach dem geltendem Recht des jeweiligen Landes statt. Die Alliierten waren sich aber einig, die Hauptkriegsverbrecher in einem gemeinsamen Verfahren bestrafen zu wollen. Auf Grundlage des Londoner Viermächteabkommens vom 8. August 1945 wurden die deutschen Kriegsverbrecher gejagt und – soweit möglich – gefangen genommen wie hier Generalfeldmarschall Hermann Göring. Er wurde zusammen mit 23 weiteren hochrangigen NS-Funktionären und Militärs einem Internationalen Gerichtshof überstellt. Neben Göring saßen u.a. Hitler-Vertrauter Rudolf Heß und Ex-Außenminister Joachim von Ribbentrop auf der Anklagebank in Nürnberg. Nürnberg war gewählt worden, weil Gefängnisanlagen wie Gerichtsgebäude dort vom Krieg verschont geblieben waren. Die Wahl des Ortes für die „Nürnberger Prozesse“ hatte aber auch symbolische Bedeutung. Die Stadt Nürnberg war Ort der Reichsparteitage der NSDAP; der Name „Nürnberg“ war mit Bekanntgabe der antijüdischen „Nürnberger Gesetze“ 1935 verbunden. O-Ton: Göring 1935 Am Internationalen Gerichtshof in Nürnberg waren Ankläger aller Siegermächte beteiligt. Die sowjetische Seite hatte sich einen Schauprozess gewünscht. Doch US-Chefankläger Robert Jackson konnte Präsident Truman davon überzeugen, in Nürnberg einen internationalen Strafprozess auf Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien führen zu wollen. Nur so könne der Demokratisierung eines „neuen Deutschlands“ Vorschub geleistet werden. Stalin akzeptierte. O-Ton Jackson Zu Prozeßbeginn am 20. November 1945 hatte der US-Chefankläger Jackson die vier Anklagepunkte gegen die Hauptkriegsverbrecher in einem grandiosen Eröffnungsplädoyer vorgetragen: - Verschwörung gegen den Weltfrieden, - Planung und Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges, Seite 45 von 102 - Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht, - Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das gesamte Prozess-Geschehen wurde durch Simultanübersetzung allen Beteiligten sofort übermittelt; den Angeklagten standen Psychologen zur Seite. In der Beweisaufnahme wurden die Verbrechen des NS-Systems, besonders die Verbrechen gegen die europäischen Juden, in Filmen, Dokumenten und Zeugenaussagen systematisch dargelegt und für die Nachwelt dokumentiert. Der Prozess wurde zum ersten großen Medienereignis nach dem 2. Weltkrieg. Reporter und Kameraleute hielten das Prozessgeschehen in Wort und Bild für ihre Leser und Zuschauer in aller Welt fest. O-Ton: Taten der Einsatzgruppe A Dieter von Wisliceny, Mitarbeiter von Adolf Eichmann, bestätigt die Deportationen und den Massenmord an den europäischen Juden. Zeugenaussage im ON Eine französische Zeugin spricht über die Deportation in das Konzentrationslager Auschwitz, schildert Ankunft und Procedere in Auschwitz, Tätowierung und Scheren des Kopfes, spricht über medizinische Versuche: Zeugenaussage im ON Im Prozess wurden die Angeklagten von Anwälten vertreten, die eine „echte“ Verteidigung aufbauten, um die Vorwürfe gegen ihre Mandanten zu entkräftigen. O-Töne Den Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, sich persönlich zur Anklage zu äußern. Im Kreuzverhör mit der sowjetischen Anklage schiebt Göring alle Schuld auf Adolf Hitler. O-Ton Göring Göring verweigert jede Verantwortung aus seinen Ämtern für die Millionen Opfer. O-Ton Göring Auch andere, wie Ex-Wehrminister Albert Speer, sehen im toten „Führer“ den Hauptschuldigen O-Ton Speer Wenige wie General Wilhelm Keitel bekennen sich zu ihrer persönlichen Schuld. O-Ton Keitel Doch am Ende des Prozesses bekennt auch er sich wie alle Hauptkriegsverbrecher für „Nicht schuldig“ im Sinne der Anklage: O-Ton Keitel u.a. Nach über 250 Prozesstagen fällte der Internationale Gerichtshof von Nürnberg am 1. Oktober 1946 zwölf Todesurteile, u.a. gegen Ex-Außenminister Joachim von Ribbentrop, SSAnführer Ernst Kaltenbrunner und die Generäle Alfred Jodl und Wilhelm Keitel. Auch Hermann Göring wurde zum Tod durch den Strang verurteilt, beging aber am Vorabend der Hinrichtung Selbstmord. Sieben Angeklagte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, darunter der HitlerVertraute Rudolf Heß. Er erhielt lebenslänglich. Ex-Reichsjugendführer Baldur von Schirach und Ex-Wehrminister Albert Speer wurden zu je 20 Jahren Haft verurteilt. Franz von Papen und zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen, mussten sich aber wenig später in Entnazifizierungsverfahren verantworten. Dabei wurde Franz von Papen zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Urteile von Nürnberg bestätigten die Absicht der Siegermächte, an den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrechern keine Rache zu üben, sondern ihre Taten in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu bewerten und zu beurteilen. Kritik am Verfahren, die „Siegerjustiz“ unterstellt, wie sie später besonders in den Kreisen konservativer deutscher Politiker geäußert wurde, ist daher gänzlich unhaltbar. Vielmehr setzten die „Nürnberger Seite 46 von 102 Prozesse“, der Hauptkriegsverbrecherprozess wie seine zwölf weiteren Nachfolgeprozesse, Maßstäbe für die Verfolgung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Prozesse von Nürnberg bestimmten die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag mit. Er ahndet bis heute international Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seite 47 von 102 Clip 27: Nürnberger Prozesse: Nachfolgeprozesse / Ärzteprozess Noch während in Nürnberg gegen die Hauptkriegsverbrecher verhandelt wurde, begannen die Vorbereitungen für insgesamt zwölf Nachfolgeprozesse. In ihnen mussten sich 185 Personen, Ärzte, Juristen, Militärs und führende Regierungsbeamte, wie hier im Prozess Nr. 11 der ehemalige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker vor Gericht verantworten. Sie waren angeklagt, einen Angriffskrieg geplant und durchgeführt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Auch Industrielle standen in den Nachfolgeprozessen vor Gericht. So wurde etwa Alfred Krupp von Bohlen und Halbach im Prozess Nr. 10 zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde dem Inhaber des damals größten deutschen Industriekonzerns die „systematische Ausplünderung ausländischen Eigentums“ und die „menschenunwürdige Behandlung“ von Zwangsarbeitern zur Last gelegt. 1944 beschäftigte Hitlers wichtigster Rüstungslieferant ca. 100.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Chefankläger in den Nachfolgeprozessen war Telford Taylor. O-Ton Taylor Am 9. Dezember 1946 beginnt vor dem Ersten Amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg der erste Nachfolgeprozess: 20 Ärzten und drei Nicht-Ärzten wird die Organisation und Durchführung von Medizinverbrechen während der Nazi-Zeit zur Last gelegt. Es geht um Menschenversuche, in denen z.B. durch Röntgenbestrahlung Juden massenhaft unfruchtbar gemacht werden sollten. Den Ärzten wird weiterhin zur Last gelegt, in Konzentrationslagern etwa in Ravensbrück, Buchenwald oder in Dachau Unterkühlungsund Unterdruck-Experimente an Häftlingen durchgeführt zu haben. Die zumeist tödlichen Menschenversuche dienten militärischen Zwecken. Karl Brandt, hier links in SS-Uniform privat mit Eva Braun, war einer der Privatärzte Hitlers. Zusammen mit Hitlers Leibarzt Karl Gebhardt steht er nun als Hauptbeschuldigter vor dem Militärtribunal. Beide beteuern ihre Unschuld. O-Töne Brandt, Gebhardt Brandt und Gebhardt geben an, wie die anderen Angeklagten auch stets nach medizinischer Notwendigkeit gehandelt zu haben. O-Ton Oberhäuser Überlebende von Gasbrand-Versuchen im KZ Ravensbrück treten auf. Die Zeugen identifizieren Angeklagte, die an den Versuchen beteiligt waren. Die Versuche wurden auf direkte Anweisung Gebhardts durchgeführt. O-Ton Gebhardt Der Ärzteprozess widerlegt die These, die Medizinverbrechen seien alleinige Taten der SS gewesen. Vielmehr hatten Wehrmacht, Pharmaproduzenten und Universitäten gleichermaßen Interesse daran, ohne jede ethische Hemmung Menschenstatt Tierversuche zu machen. Der Ärzteprozess endet im August 1947 mit acht Todesurteilen; darunter für Karl Gebhardt und Karl Brandt. O-Ton Gericht In seinem Fall sah es das Gericht zudem als erwiesen an, dass er als Reichskommissar für das Sanitärund Gesundheitswesen die Durchführung der NS-Euthanasie-Programme verantwortet hatte. Sieben Angeklagte werden zu lebenslanger Haft verurteilt, sechs zu mehrjährigen Haftstrafen. Herta Oberhäuser erhält eine Haftstrafe von 20 Jahren. O-Ton Gericht Zwei Angeklagte werden freigesprochen. Seite 48 von 102 Clip 28: Nürnberger Prozesse: Juristenprozess In der Zeit vom 17. Februar bis 4. Dezember 1947 standen im 3. Nachfolgeprozess von Nürnberg 16 Richter, Staatsanwälte und Ministerialbeamte der NS-Justiz vor Gericht. Der ranghöchste Angeklagte war Franz Schlegelberger, während der Nazi-Zeit Staatssekretär im Reichsministerium der Justiz. Ihm und den restlichen 14 Juristen warf die Anklage „Justizmord und andere Gräueltaten vor, die sie dadurch begingen, dass sie Recht und Gerechtigkeit in Deutschland zerstörten und dann die leeren Hüllen von Rechtsformen zur Verfolgung, Versklavung und Ausrottung von Menschen in einem Riesenausmaß benützten. „Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.“ So formulierte es Telford Taylor, der US-Chefankläger, in seiner Anklageschrift. Sie richtete sich konkret zum Beispiel auch gegen Ernst Lautz. Er war in der Schlussphase des „Dritten Reiches“ Oberreichsanwalt am Volksgerichtshof. In dieser Funktion führte Lautz die Anklagen gegen zahlreiche vermeintliche „Volksverräter“. Roland Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofes, versuchte die Angeklagten im Verfahren schon verbal zu vernichten, bevor er mehr als 50% von ihnen zum Tode verurteilte. O-Ton Freisler Auch bei den vier regimekritischen Lübecker Geistlichen, dem evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink und den katholischen Kaplänen Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek, unterschrieb Ernst Lautz die Anklageschriften. Das spätere Gnadengesuch lehnt Lautz ab. Ernst Lautz wurde zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, während ExStaatssekretär Franz Schlegelberger lebenslänglich bekam. Ebenfalls zu lebenslangem Zuchthaus wurde Oswald Rothaug verurteilt. Rothaug galt während der NS-Zeit als der „Scharfrichter von Nürnberg“. Er pflegte engen Kontakt zum Gauleiter Julius Streicher, einem eingefleischten Antisemiten. Im Sinne Streichers wurde Rothaug Experte für sogenannte „Rassenschande“-Verfahren. 1935 hatte die NSJustiz mit den „Nürnberger Gesetzen“ sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden in Deutschland unter Strafe gestellt. Genau dieser Tatbestand der „Rassenschande“ wurde nun 1941 dem Juden Leo Katzenberger, Kaufmann und angesehener Bürger der Stadt Nürnberg, „angedichtet“. Er wurde denunziert, eine Affäre mit der Fotografin Irene Scheffler zu haben. Die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos. Der Strafrichter wollte das Verfahren gegen den 68-Jährigen einstellen. Da zog Landgerichtsdirektor Oswald Rothaug den Fall an sich. Er legte keine weiteren Beweise vor, verurteilte Katzenberger dennoch als sogenannten „Volksschädling“ am 14. März 1942 zum Tode. Trotz solch nachgewiesener Fälle von „Terror-Justiz“ bekannten sich die angeklagten Juristen durchweg für „Nicht schuldig!“ Sie beriefen sich im Chor mit ihren Anwälten auf das sogenannte „Rückwirkungsverbot“. Sie hätten sich ja nach geltendem Recht des „Dritten Reiches“ verhalten und könnten dafür nun nicht bestraft werden. O-Ton Peschel-Gutzeit Die verurteilten Juristen wurden durchweg nach fünf bis sechs Jahren begnadigt – wie Ernst Lautz. Er kam 1951 frei. Selbst Oswald Rothaugs lebenslängliche Zuchthausstrafe wurde zuerst auf 20 Jahre reduziert. Schließlich kam auch er 1956 frei. Seite 49 von 102 Clip 29: Nürnberger Prozesse: Einsatzgruppenprozess Beobachter nannten ihn den „größten Mordprozess der Geschichte“. Vom 15. September 1947 bis zum 10. April 1948 fand der 9. Nachfolgeprozess in Nürnberg statt. Es war der Einsatzgruppenprozess. Schon im Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46 hatten die alliierten Richter und Anwälte den Massenmord der „Einsatzgruppen“ an den Juden in Osteuropa, hauptsächlich in Polen und in der Sowjetunion während des 2. Weltkrieges, aufzuhellen versucht. Einer der Zeugen war Otto Ohlendorf, der Chef der Einsatzgruppe D. Nun stand er im Prozess Nr. 9 als Angeklagter selbst vor Gericht. Auch seine 22 Mitangeklagten waren Befehlshaber und Offiziere dieses Todeskommandos gewesen. Allesamt hochgebildete Männer. Sie befehligten an die 3000 Angehörige von Sicherheitsdienst, SS und Polizei. USChefankläger Farencz bilanziert in seiner Anklageschrift die Taten der Einsatzgruppen. Sie betrieben ihr Mordhandwerk hinter den Linien der deutschen Wehrmacht. Sie töteten nach Schätzungen von Historikern durch Einzelwie Massenerschießungen etwa 560.000 Menschen, zuerst überwiegend männliche Juden und kommunistische Aktivisten, später ganze jüdische Gemeinden, Frauen, Kinder und alte Menschen. Im Prozess beriefen sich die Angeklagten auf Führerbefehle, wiesen jede Verantwortung von sich und bekannten sich alle für „Nicht schuldig“ – wie hier Paul Blobel. Als Chef eines Sonderkommandos in der Einsatzgruppe C war er maßgeblich am Massaker von Babi Jar beteiligt. Im Prozess äußerte er mehr Mitleid für seine Männer als für deren Opfer. Seine Männer seien angeblich durch die Erschießungen mehr nervlich runter gewesen als die Opfer, die sich oft still in ihr Schicksal ergeben hätten. Der Vorsitzende Richter Michael Musmanno entgegnete den Angeklagten: „Ein Soldat ist ein denkendes Wesen, er reagiert nicht wie eine Maschine.“ Wer dennoch „verbrecherische Befehle“ und die sogar „mit eigener böser Absicht“ ausführt, könne mit Milde nicht rechnen. Der Amerikanische Militärgerichtshof verhängte so viele Todesurteile wie in keinem anderen Nachfolgeprozess: 14. Zwei weitere Angeklagte erhielten lebenslänglich, fünf Freiheitsstrafen zwischen 10 und 20 Jahren. 1951 wurden Blobel und Ohlendorf hingerichtet. Alle anderen Kriegsverbrecher wurden begnadigt und bis 1958 freigelassen. Im restaurativen Klima der Adenauer-Ära war in der Bundesrepublik eine Stimmung entstanden, in der ihre Freilassung möglich wurde. Seite 50 von 102 Clip 30: Holocaust vor Gericht (1944-1963) Mit der Verfolgung und Ahndung von Holocaust-Verbrechen begannen die alliierten Siegermächte gleich nach der Befreiung der ersten Konzentrationslager, also lange bevor die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg vor Gericht gestellt werden konnten. So gelang es der sowjetischen Armee nach der Befreiung des KZ Majdanek in Polen im Juli 1944 sechs KZAufseher zu fassen. Sie standen Ende 1944 vor einem polnischen Militärtribunal. Ein Angeklagter berichtet von den Gräueltaten des Kommandanten: O-Ton Die Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen im April 1945 durch die britische Armee wurde die KZ-Mannschaft im September in Lüneburg vor Gericht gestellt. Der Prozess endete mit elf Todesurteilen und 14 Freisprüchen. Zwischen September 1945 und Dezember 1949 standen allein in der Britischen Besatzungszone 900 Angeklagte in 250 Kriegsverbrecherprozessen vor Militärgerichten, hier Bilder vom Prozess gegen 16 Angeklagte im KZ Ravensbrück. Auch in der Sowjetunion fanden direkt nach dem Krieg große Kriegsverbrecherprozesse statt u.a. 1946 in Minsk und in Kiew. In Kiew standen 15 Angeklagte vor Gericht, die unmittelbar an der Ermordung von mehr als 30.000 Juden in der Schlucht von Babi Jar im Jahre 1942 beteiligt gewesen sein sollen. Ohne Zweifel hatten die stalinistischen Militärtribunale den Charakter von Schauprozessen. Die Urteile für die Angeklagten standen in den meisten Fällen schon am Beginn des Verfahrens fest. Dennoch bleiben die Selbstaussagen von Zeugen und Angeklagten im Babi-JarProzeß erschütternde Dokumente des Holocaust: O-Ton Trotz der Verfolgung durch Militärgerichte in Ost und West konnten viele NS-Verbrecher untertauchen und sogar unerkannt neue Karrieren in Deutschland und überall in der Welt beginnen – wie Adolf Eichmann. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer war im Reichssicherheitshauptamt, der Zentrale des Nazi-Terrors, für die Deportation der europäischen Juden zuständig gewesen. In den 1950er Jahren lebte er in Argentinien. Unentdeckt. Denn: Argentinien war während der Herrschaft von Juan und Evita Peron ein wichtiger Fluchtpunkt für Nazi-Verbrecher in Lateinamerika, pflegten die Perons doch freundschaftlichen Umgang mit dem spanischen Diktator Franco. Doch am 11. Mai 1960 wird Eichmann von israelischen Agenten aufgespürt und nach Israel entführt. Wenige Tage später verkündet der israelische Ministerpräsident David Ben Gurion vor der jubelnden Knesset, einer der größten Naziverbrecher sei gefasst worden. Die Umstände seiner Entführung aus Argentinien lösen schwerwiegende diplomatische Verwicklungen zwischen Israel und Argentinien aus. Der Streit zwischen beiden Ländern kann schließlich nur durch die UN geschlichtet werden. Adolf Eichmann wird in Israel vor Gericht gestellt und am 15. Dezember 1961 zum Tode verurteilt. Der Eichmann-Prozess löst auch in der Bundesrepublik eine neue Debatte um die Aufarbeitung der Holocaust-Verbrechen aus. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Er gab den Israelis einen entscheidenden Tipp zum Aufenthaltsort von Adolf Eichmann. Nun treibt er die Durchführung des ersten Auschwitz-Prozesses in Frankfurt voran. Der beginnt am 20. Dezember 1963. 22 Angeklagte stehen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im KZ Auschwitz vor Gericht. Nach einer Prozessdauer von 20 Monaten erhalten sechs Angeklagte lebenslänglich, für alle anderen fallen die Strafen milde aus. Opferund Opferverbände protestieren heftig. Seite 51 von 102 Clip 31: Administration des Terrors: Die SA Deutschland 1918/19: Unter den heimkehrenden Frontsoldaten herrscht große politische Orientierungslosigkeit. Der Kaiser hat abgedankt; linke Arbeiter und Soldaten rebellieren. Konservativ bis rechtsradikal gesinnte Soldaten schließen sich den paramilitärischen Freicorps an. Sie bekämpfen die revolutionären Arbeiterund Soldatenräte. Hier das Freicorps Werdenfels nach der Zerschlagung der Münchener Räterepublik 1919. Auch an dem rechtsgerichteten Lüttwitz-Kapp-Putsch gegen die Reichsregierung im Jahre 1920 sind Freicorps-Verbände stark beteiligt. Nach dem gescheiterten Staatsstreich werden die Freicorps weitgehend aufgelöst. Viele Mitglieder finden in der jungen NSDAP und dort in der paramilitärischen Kampftruppe der Partei ein neues Sammelbecken. Zunächst als Turnund Sporttruppe getarnt, erhält die Kampftruppe 1921 den Namen „Sturmabteilung“, kurz: SA. Die SA hat auch Zulauf von vielen Arbeitslosen und sozial Schwachen in der von Krisen geschüttelten jungen Weimarer Republik. Die SA verspricht Gemeinschaftsgefühl, die Teilhabe an Musikund Sportveranstaltungen. Sie gibt den gesellschaftlich Deklassierten das Gefühl, doch dazu zu gehören. Geschickt nutzt die NSDAP die politischen und sozialen Frustrationen der breiten Masse, um sie für ihre Partei zu interessieren und sie dort besonders in der SA mit antisemitischem und völkisch-rassistischem Gedankengut vertraut zu machen. Die von Hass geprägte Atmosphäre der SA zeigt schnell Wirkung; unzählige gewalttätige Angriffe auf Juden und politisch Andersdenkende zeichnet das Tun der SA aus. Im Hitler-Putsch 1923 in München findet diese paramilitärische Strategie ihren Höhepunkt. Nach dessen Scheitern werden NSDAP und mit ihr die SA verboten. Doch nach der Neugründung der Partei 1925 wird die SA erst recht zu einer aggressiven paramilitärischen Schlägertruppe ausgebaut. Die SA-Leute, jetzt in braunem Tuch, einheitlich uniformiert und mit Hakenkreuz-Armbinde kenntlich gemacht, treten geschlossen auf. Sie beherrschen die „Gewalt der Straße“, liefern sich besonders in der Spätphase der Republik ab 1929 blutige Straßenschlachten mit ihren politischen Gegnern. Die SA überzieht das ganze Land mit Bombenund Mordanschlägen, treibt die taumelnde Republik an den Rand des Bürgerkriegs. Hitlers Kurs, parallel zum blutigen SA-Terror legal an die Macht zu gelangen, wird von der Mehrheit der SA-Leute kritisch gesehen. Sie wollen den gewaltsamen Umsturz. Die NSMachtergreifung im Januar 1933 entschärft kurzzeitig diesen Konflikt. Und für den nun beginnenden, gewaltsamen Aufbau der Diktatur werden die Schlägertrupps der SA ja auch noch gebraucht: O-Ton Göring Schnell macht Hermann Göring als preußischer Innenminister ernst mit seinen Ankündigungen. In Preußen wird die SA zur „Hilfspolizei“ eingesetzt. Der „Reichstagsbrand“ am 28. Februar gibt den Nazi-Schlägertrupps den Vorwand, im Vorfeld der Reichstagswahl am 5. März 1933 systematisch Jagd auf Kommunisten und Sozialdemokraten machen zu können. Diese werden in frühe KZs, sogenannte SchutzhaftLager, gesperrt. Die SA stellt einen Großteil des Wachpersonals, wie hier im KZ Lichtenburg bei Halle, foltert und tötet politische Gefangene. Dem Sozialdemokraten Gerhart Seger gelingt 1933 die Flucht aus dem KZ Oranienburg. 1934 schreibt er im Karlsbader Exil seine KZ-Erfahrungen nieder. Darin heißt es: „Wie viele SA-Leute haben überhaupt erst durch die Berührung mit uns politischen Gefangenen einen blassen Schimmer davon bekommen, dass es außer Gewehr [...], Gummiknüppel, Skatkarten, Bier und Geschlechtsverkehr noch andere Welten gibt“. Der Nazi-Mob war durchweg dumm und gewalttätig. Der braune Bodensatz der Gesellschaft war ideale Staffage für die Massenkundgebungen der Partei. Und prädestiniert dafür, im Mai 1933 die anti-intellektuelle Kampagne der Bücherverbrennungen Seite 52 von 102 zusammen mit NS-begeisterten Studenten in vielen Universitätsstädten zu organisieren und durchzuführen. Auch die erste zentral koordinierte antisemitische Maßnahme der NSRegierung, der sogenannte „Judenboykott“ am 1. April 1933, wurde maßgeblich von SA-Leuten umgesetzt. Dafür bedankte sich Hitler 1934 bei seinen gewalttätigen „Männern“ im Berliner Sportpalast O-Ton Hitler Ein bigottes Bekenntnis, denn die Zerschlagung der SA unter Hitlers Befehl stand kurz bevor. Zählte die SA am Beginn 1933 noch 400.000 Mann, so war sie nach der Machtergreifung bis 1934 zu einer vier Millionen Mitglieder umfassenden Privatarmee angewachsen. Für die Naziführung selbst war die SA zu einem unkalkulierbaren Machtfaktor geworden. SA-Chef Röhm wollte sie zu einer Volksmiliz mit eigenem Waffenmonopol umbauen. Eine Konkurrenz zur Reichswehr, die Hitler nicht zulassen konnte. Er brauchte die Militärs für seine kriegerischen Expansionspläne. Im Juni 1934 spitzte sich der innerparteiliche Konflikt zu. In Folge des sogenannten „RöhmPutsches“ ließ Hitler die führenden SA-Leute liquidieren. Im Schatten der SS, der Partei-Elitetruppe Sturm-Staffel, fristete die SA fortan ein Nischendasein in politischer Bedeutungslosigkeit. Seite 53 von 102 Clip 32: Administration des Terrors: Gestapo und Schutzpolizei O-Ton Göring, Nürnberger Prozesse 1945 Die Aussage des Hauptangeklagten Hermann Göring im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1945 macht deutlich, wie stark und schnell sich der NS-Staat ab 1933 den deutschen Polizeiapparat einverleibt und für den gewaltsamen Aufbau der Diktatur und die Beseitigung missliebiger, auch innerparteilicher Gegner benutzt hatte. Gleich nach der Machtergreifung marschierten die deutschen Polizisten unter der Hakenkreuzflagge, hier in Bayern, dort in Berlin. Hermann Göring war als preußischer Innenminister für die Polizei zuständig. Gemeinsam mit der SA stellten nun Schutzpolizisten das Wachpersonal der frühen Konzentrationslager; waren bei der Hatz auf Andersdenkende mit dabei. 1936 übernahm SSChef Heinrich Himmler die Leitung der deutschen Polizei. Die Gleichschaltung des Polizeiapparates im NS-Staat wurde endgültig vollzogen. Während der Gewalttaten gegen Juden in der „Reichspogromnacht“ 1938 schauten deutsche Polizisten bloß zu, verhielten sich passiv, ließen den Mob gewähren. Auch die Pflicht zum Tragen des Judensterns im Deutschen Reich ab September 1941 ging auf eine Polizeiverordnung zurück. Und in den besetzten Ländern waren es gleichfalls auch deutsche Polizeieinheiten, hier Bilder aus einem Lehrfilm über eine Polizeikontrolle auf einem osteuropäischen Markt, die bei der Jagd auf Juden und Feinde des NS-Regimes in den Kriegsjahren eingesetzt wurden. Da hatten es offensichtlich viele Polizisten nach Kriegsende schwer, sich in ihren zivilen Aufgaben als „Freund und Helfer“ wieder zurecht zu finden, wie dieser Verkehrspolizist nach Kriegsende in Berlin. In jenen Tagen arbeiteten sich US-Soldaten in einer anderen deutschen Stadt, in Düsseldorf, im dortigen Polizeipräsidium durch alte Gestapo-Akten. Sie lernten exemplarisch die „Geheime Staatspolizei“ als zentrales Herrschaftsinstrument der Nazi-Diktatur kennen. Hermann Göring gründete die Gestapo im April 1933 in Berlin. 1934 kam die NSGeheimpolizei unter den Einfluss Himmlers und der SS. Reinhard Heydrich, Himmlers rechte Hand, legte die Gestapo ab 1936 mit der Kriminalpolizei und dem parteiinternen SSSicherheitsdienst, dem SD, zu einer „Sicherheitspolizei“ zusammen. Als SD-Chef hatte Heydrich bereits einen parteiinternen Spitzelapparat mit mehr als 30.000 so genannten „Vertrauensleuten“ im ganzen Reich aufgebaut. Dieses System aus Überwachung und Denunziation stellte er nun der Gestapo für die Jagd auf Regimegegner zur Verfügung. Beim Aufspüren von Widerstandskämpfern, der Diskreditierung von Juden und während des Krieges auch bei der Jagd auf sogenannte „Wehrkraftzersetzer“ ging die Gestapo grausam und verbrecherisch vor. Ihre Beamten erpressten Geständnisse mit Nötigung und Folter. Auch vor der Tötung ihrer Gefangenen schreckten sie nicht zurück. Seite 54 von 102 Clip 33: Administration des Terrors: Die SS Nach der Machtergreifung 1933 marschieren überall in Deutschland die paramilitärischen Hilfstruppen der NSDAP auf. Hier beim sogenannten „Gautag“ in Leipzig. Noch stehen die Führer von SA und SS Seite an Seite nah bei Hitler. Doch die SS sollte schon bald zur entscheidenden Parteitruppe werden. Nach ihrer Gründung 1925 war die sogenannte “SchutzStaffel” (SS) als „Stabswache“ Hitlers noch der SA, der „Sturmabteilung“, unterstellt. Nach dem sogenannten „Röhm-Putsch“ im Jahre 1934 wurde die SA zerschlagen. Nun begann der Aufstieg der SS als „Elitetruppe“ des NS-Staates. Rassenwahn, Ariertum und Rassenmystik bestimmten die Gedankenwelten der SS-Kader. Reichsführer SS Heinrich Himmler führte die „Schutz-Staffel“ kompromisslos als eine Art nationalsozialistischer „Orden“. Die „reinrassigen“ Mitglieder dieses „Ordens“ sollten ohne Wenn und Aber die Vernichtung des jüdischen Volkes in Europa durchführen. Die Männer der SS waren es, die die berüchtigten „Einsatzgruppen“ befehligten. In den besetzten osteuropäischen Ländern begingen sie unvorstellbare Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Die Wachmannschaften in den Konzentrationsund Vernichtungslagern waren mehrheitlich Mitglieder der SS. Diejenigen, die an der Rampe von Auschwitz die ankommenden Menschen danach auswählten, ob sie sofort in der Gaskammer umkommen sollten oder erst Schwerstarbeit leisten mussten, um anschließend ermordet zu werden, entstammten der SS. Gleichfalls die sadistischen Aufseher und Aufseherinnen in den KZs wie Irma Grese, berühmt-berüchtigt als „Hyäne von Auschwitz“. Die Frau mit dem Engelsgesicht soll sadistischen Spaß beim Quälen der Häftlinge empfunden haben. Aber die SS tötete und quälte nicht nur, sie war auch für die wirtschaftliche Ausbeutung der Lagerhäftlinge verantwortlich. Die KZ-Häftlinge mussten in Wirtschaftsbetrieben schwerste, todbringende Zwangsarbeit verrichten, wie hier in den Buna-Werken in der Nähe von Auschwitz. Ab 1942 waren solche Betriebe direkt dem Wirtschaftsund Verwaltungsamt der SS unterstellt. Ein Teil der SS, die sogenannte „Waffen-SS“, gehörte der kämpfenden Truppe an. Sie ging aus den 1934 gegründeten „SSVerfügungstruppen“ hervor. Ihre Soldaten und Generäle erwiesen sich im Untergang des Dritten Reiches als besonders fanatisch. So wollte WaffenSS-General Reinfahrt im Januar 1945 die historische Festungsstadt Küstrin um jeden Preis halten. Die Rote Armee zerstörte daraufhin die Oderstadt völlig. Seite 55 von 102 Clip 34: Administration des Terrors: Das Reichssicherheitshauptamt SS-Chef Heinrich Himmler wollte die deutschen Polizeibehörden und parteiinterne NSOrganisationen mehr und mehr verschmelzen. Diese Bemühungen gipfelten am 27. September 1939 in der Gründung des sogenannten „Reichssicherheitshauptamtes“. Kurz nach Kriegsbeginn war die Entstehung dieser Superbehörde zentraler Bestandteil der nun beginnenden europaweiten NS-Verfolgungsund Vernichtungspolitik gegen rassische und politische Regimegegner. Ein weitverzweigtes Netz von “Einsatzgruppen” in den besetzten Ländern führte die Befehle aus Berlin vor Ort aus. O-Ton Ohlendorf „Der Einsatz eigener sicherheitspolizeilicher Verbände im Operationsraum“ was Otto Ohlendorf im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess in nüchternem Amtsdeutsch umschreibt, meint die Ermordung von mehr als einer halben Million Menschen in Polen und in der Sowjetunion. Vor allem Juden, Sinti und Roma, aber auch politische Gegner, kommunistische Funktionäre und oppositionelle Priester wurden von den Einsatzgruppen durch planmäßige Massaker und Massenerschießungen systematisch liquidiert. Die Aktionen der NS-Todeskommandos wurden im Berliner Reichssicherheitshauptamt zentral koordiniert. SS-Führer wie Reinhard Heydrich und dessen Nachfolger Ernst Kaltenbrunner, hier als Angeklagter vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, sowie Adolf Eichmann koordinierten von hier aus auch die Deportation von Millionen europäischer Juden in die NSTodeslager, wie etwa vom niederländischen Bahnhof Westerbork aus. Das Reichssicherheitshauptamt war die zentrale Schaltstelle eines perfiden Systems von Schreibtischtätern und Befehlsempfängern vor Ort. Massenmord wurde zum Verwaltungsakt heruntergespielt. Zum Beispiel auch durch den zentral erteilten Befehl an alle Einsatzgruppen, die Verhafteten per Genickschuss zu töten. O-Ton Ohlendorf Dadurch glaubten viele Täter, trotz verbrecherischer Taten, jede Schuld und Verantwortung von sich weisen zu können. Seite 56 von 102 Clip 35: Die „Aktion Reinhardt“ Im Juni 1942 wird der hohe SS-Führer Reinhard Heydrich in Prag von Widerstandskämpfern ermordet. Die SS reagiert unmittelbar mit dem „Massaker von Lidice“.SS-Männer machen das kleine tschechische Dorf dem Erdboden gleich, töten alle männlichen Bewohner, verschleppen alle Frauen und Kinder in Konzentrationslager. In Polen, von den Nazis „Generalgouvernement“ genannt, leben mittlerweile fast alle Juden in Ghettos wie hier in Warschau. Im Juli 1942 gibt SS-Reichsführer Heinrich Himmler den Befehl, alle Juden in den polnischen Distrikten Warschau, Lublin, Radom, Krakau und Lemberg systematisch ermorden zu lassen. Himmler nennt die Aktion „Reinhardt“. Er bezieht sich auf einen Finanzstaatssekretär dieses Namens. Die SS-Leute sehen die Aktion aber als Vergeltung für Reinhard Heydrich. Sie gehen brutal und gnadenlos vor. Planmäßig werden die Juden aus den Ghettos in die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka abtransportiert. Die Vernichtungslager liegen an Bahnlinien und doch abgeschieden genug, um Augenzeugen für das dortige Geschehen zu vermeiden. Tag für Tag werden nun allein in Treblinka 1.200 bis 4.000 Menschen ermordet. Zur Jahreswende 1942/43 leben nur noch 30.000 Menschen als Zwangsarbeiter in den Ghettos. So fielen der sogenannten „Aktion Reinhardt“ von Sommer 1942 bis Herbst 1943 mehr als 2 Millionen Juden und ca. 50.000 Sinti und Roma zum Opfer. Ein Drittel aller Opfer des Holocaust wurde von deutschen SS-Leuten in weniger als einem Jahr ermordet. Seite 57 von 102 Clip 36: Der Terror beginnt Aufbau der NS-Konzentrationslager 1933/34 Die Konzentrationslager waren wesentliche Bestandteile des Terrorsystems, das die Nationalsozialisten in ihrer Diktatur errichteten. O-Ton Hitler Gleich nach der Ergreifung der politischen Macht 1933 nutzten die Nazis diese, um sich legale Grundlagen für die Verfolgung und Inhaftierung aller missliebigen Gegner zu verschaffen. In der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933 wurde u.a. die Polizei ermächtigt, Personen in sogenannte „Schutzhaft“ nehmen zu dürfen. Sofort wurden Juden und exponierte Mitglieder der Arbeiterbewegung ohne triftigen juristischen Grund inhaftiert und in „Schutzhaftlager“ oder „Sammellager“ gesperrt. Schon in den frühen KZs, die die Nazis bezeichnenderweise selbst „Erziehungsoder Umerziehungslager“ nannten, wurde das grausame Prinzip der autoritären „schwarzen Pädagogik“ radikalisiert, den Widerstand von sogenannten „Schwererziehbaren“ durch harte Strafen und schwere Arbeit brechen zu wollen. In den Konzentrationslagern wurde hieraus „Vernichtung durch Arbeit“. Die Häftlinge wurden in mörderischen Arbeitsdiensten geschunden bis zum Tod. Jeder Individualität beraubt, kahlgeschoren, etikettiert und nummeriert waren sie der Willkür sadistischer Aufseher gnadenlos ausgeliefert. Sie wurden verprügelt und gefoltert, schließlich zu Tode gequält. Die ersten Konzentrationslager entstanden um die deutschen Großstädte herum, besonders in und um Berlin. Das Columbia-Haus in Berlin-Tempelhof zählte ebenso wie das Gefängnis in Oranienburg zu den ersten Sammelund Internierungslagern von SS und Gestapo. Auch das ehemalige Zuchthaus Lichtenburg bei Halle wurde bereits ab April 1933 als Sammellager genutzt. Diese Propagandabilder zeigen nicht, wie mies die Bausubstanz in Lichtenburg war, dass es für die Häftlinge kaum sanitäre Anlagen und Heizung gab. Und dass dieses frühe KZ schon bis September 1933 mit knapp 1.700 Gefangenen völlig überbelegt wurde. Sie zeigen nicht die wahren Verhältnisse: Menschen durch unmenschliche Lebensbedingungen zu vernichten, das war das Prinzip der Konzentrationslager. Seite 58 von 102 Clip 37: Das Konzentrationslager Dachau Heinrich Himmler, 1933 noch Leiter der politischen Polizei in Bayern und Polizeipräsident von München, ordnete im März 1933 an, in der Nähe der Stadt Dachau ein Konzentrationslager für männliche Insassen zu errichten. Hier ließ der Nazi-Führer politische Gegner inhaftieren, vornehmlich Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter. Sie wurden zuvor aus ihren Büros, Parteihäusern und Redaktionen vertrieben, wie hier bei der linken Zeitung Münchener Post. Ihr Verlagsgebäude wurde in ein S.A.-Heim umgewandelt. Besonders nach der Reichspogromnacht 1938 kamen viele jüdische Gefangene hinzu. Sie wurden auf Befehl Himmlers ab dem 5. Oktober 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Während der Kriegsjahre wurde das KZ Dachau wegen der Erschießung von tausenden sowjetischen Kriegsgefangenen im Oktober 1941 sowie für bestialische Menschenversuche seiner Lagerärzte berüchtigt. Die unmenschlichen Höhenflug-, Unterdruck- und Unterkühlungsexperimente sowie die Erprobung von Medikamenten an Häftlingen begannen im Winter 1942. Gleichfalls ab 1942 wurden die Häftlinge zudem verstärkt in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Insgesamt waren von 1933 bis 1945 200.000 Menschen im KZ Dachau inhaftiert. Historiker schätzen, dass mindestens 30.000 Gefangene ums Leben kamen. Nach der Befreiung durch die US-Armee musste sich die Zivilbevölkerung mit den Gräueltaten im Lager vor ihrer Haustür konfrontieren. Hieraus erwuchs die Frage nach der Schuld für das, was im einstigen „Modell- und Musterlager“ der Nazis zwölf Jahre lang in der Nähe von Dachau bei München geschehen war – eine Frage, die seither und bis heute noch immer diskutiert wird. Seite 59 von 102 Clip 38: Das Konzentrationslager Buchenwald Während der Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher im Jahre 1945/46 präsentierte die Anklage auch Filmaufnahmen, die nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald von US-Kameraleuten aufgenommen wurden. Erstmals klärten diese Aufnahmen die Welt öffentlich über die unmenschlichen Bedingungen der Lagerhaft auf. Die ausgemergelten Überlebenden legten beredtes Zeugnis ab über den Terror, den sie im Konzentrationslager durchlitten hatten. Wenig später wurden die Beweisfilme über Konzentrationslager wie Buchenwald auch in regulären deutschen Kinos gezeigt, um die Menschen im Rahmen sogenannter „ReEducation“-Programme mit den Verbrechen der NSMachthaber zu konfrontieren. Nun sahen sie die Gräuel im KZ Buchenwald, die die SSWachmannschaften hinterlassen hatten, mussten sich mit dem größten Verbrechen, das je an der Menschheit begangen wurde, auseinandersetzen. Das KZ Buchenwald war 1937 auf dem Ettersberg bei Weimar entstanden. Es wurde errichtet von Häftlingen aus dem KZ Sachsenhausen und aus dem KZ Lichtenburg bei Halle, das nach Eröffnung von Buchenwald von der SS aufgegeben wurde. Das KZ Buchenwald gehörte zu einer neuen Generation von Lagern. Im Unterschied zu den frühen KZ’s, die in erster Linie der Internierung politischer Gegner diente, war Buchenwald wie Sachsenhausen oder Flossenbürg bereits Bestandteil der Kriegsvorbereitung und der Pläne der Nazis zur Vernichtung aller derjenigen in Europa, die anders dachten als die Nazis oder die von ihnen als „rassisch minderwertig“ eingestuft wurden. Während der Naziherrschaft waren mehr als 200.000 Menschen im KZ Buchenwald inhaftiert. Mehr als 50.000 Häftlinge starben in der Lagerhaft. KPD-Chef Ernst Thälmann wurde hier von den Nazis in Isolierhaft gefangen gehalten und 1944 ermordet. Auch der Sozialdemokrat Rudolf Breitscheid wurde im KZ Buchenwald getötet. Ab 1941 wurden Häftlinge für medizinische Versuche missbraucht, speziell für Versuche mit Fleckfieber-Infektionen, wie diese Dokumente belegen. Mit den deutschen Kriegsniederlagen wuchs ab 1942 die wirtschaftliche Ausnutzung der KZHäftlinge. Im KZ Buchenwald wurden sie nun nicht nur im Steinbruch und im Lagerbau eingesetzt sondern mussten im nahegelegenen Mittelbau-Dora unter mörderischen Bedingungen Zwangsarbeit leisten für die Kriegsproduktion, besonders für das Raketenund Flugzeugprogramm der Nazis. Wie wichtig der SS und der Wehrmacht diese Produktion unter Tage war, belegt die Tatsache, dass im April 1944 Juden und Sinti und Roma aus dem Vernichtungslager Auschwitz zurück nach Buchenwald verlegt wurden, um sich in MittelbauDora zu Tode zu schuften. Am Morgen des 11. April 1945 standen die US-Truppen nur noch 20 km vom KZ Buchenwald entfernt. Die SS-Wachmannschaften flohen in Panik. Widerstandsgruppen der Häftlinge befreiten das Lager selbst kurz vor dem Eintreffen der USArmee. Nach 1945 wurde das KZ Buchenwald wie diese Dokumente zeigen vom sowjetischen Geheimdienst als Internierungslager für ehemalige NS-Funktionäre und Soldaten, aber auch für Opfer erster politischer Säuberungsaktionen in der sowjetisch besetzten Zone genutzt. Von den etwa 28.000 Inhaftierten starben mehr als 7.000 Menschen an den Folgen der Lagerhaft. In Buchenwald entstand 1958 die erste „Nationale Mahnund Gedenkstätte“ der DDR zum Andenken an die Opfer des Nationalsozialismus durch Vernichtung und Krieg. Seite 60 von 102 Clip 39: Das Konzentrationslager Bergen-Belsen Im September 1945 beginnt in Lüneburg der Bergen-Belsen-Prozess. 45 Personen, darunter 21 Frauen, stehen vor Gericht. Sie gehören zum Lagerpersonal des KZ Bergen-Belsen. Die britische Armee hatte sie festgenommen. Ein knappes halbes Jahr zuvor. Damals befreite die Armee das Konzentrationslager. Die Briten fanden ausgemergelte Häftlinge und Berge von Leichen. Das KZ-Gelände bot ein Bild des Grauens. Lagerkommandant Kramer und die KZAufseherinnen und Aufseher mussten sich wegen tausendfachen Mords, der Anstiftung zum Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem britischen Militärgericht in Lüneburg verantworten. Das KZ-Personal hatte unvorstellbare Grausamkeiten an den ohnehin geschwächten Häftlingen begangen. Seit Anfang 1944 war das KZ auf dem Gelände eines früheren Truppenübungsplatzes nordöstlich von Hannover von der SS vollständig überbelegt worden. Aufgrund der vorrückenden Roten Armee wurden im August 1944 zehntausende Frauen aus den Lagern im Osten nach Bergen-Belsen evakuiert. Doch schon durch die Strapazen des unmenschlichen Transports starben viele. Im KZ BergenBelsen angekommen, blieben die Häftlinge ohne ärztliche Hilfe, ohne hinreichende Nahrung und Unterkunft. Ca. 50.000 Häftlinge, darunter viele polnische Juden, und etwa 20.000 sowjetische Kriegsgefangene, starben im KZ Bergen-Belsen. Und selbst von den Überlebenden starben Mitte 1945 nochmals 14.000 Häftlinge an den Folgen der bestialischen Behandlung im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Seite 61 von 102 Clip 40: Das Konzentrationslager Ravensbrück Das KZ Ravensbrück war ein Konzentrationslager für Frauen. Es wurde von Häftlingen aus dem KZ Sachsenhausen errichtet und am 15. Mai 1939 eröffnet. Die ersten weiblichen Gefangenen, etwa 1000, waren Zeugen Jehovas, Roma und Sinti. Nach Kriegsbeginn 1939 wurden zunächst Gefangene aus Polen eingeliefert. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion brachte die SS ab 1941 auch Kriegsgefangene der Roten Armee hinzu. Die Frauen mussten in bis zu 70 Außenlagern des KZs schwere Zwangsarbeit leisten, u.a. im Gartenbau und für den Elektrokonzern Siemens & Halske sowie die Rüstungsfirma Heinkel. Ab 1942 führten SS-Ärzte wie Herta Oberhäuser, hier als Angeklagte 1946/47 während des Nürnberger Ärzteprozesses, medizinische Versuche an Menschen durch. Häftlinge, wie diese Zeugin des Ärzteprozesses, wurden an Gliedmaßen operiert, mit Bakterien infiziert, zwangsterilisiert. Unerprobte Heilmethoden wurden an ihnen ausprobiert. 1946 begann im Hamburger CurioHaus auch der britische Militärprozess gegen einen Teil des Wachpersonals von Ravensbrück. Von 1939 bis 1945 waren etwa 132.000 Frauen und Kinder im Hauptlager inhaftiert. Ca. 20.000 Männer kamen ab 1941 in einem kleineren, abgetrennten Männerlager hinzu. 1.000 weibliche Jugendliche waren ab 1942 im sogenannten „Jugendschutzlager Uckermark“ inhaftiert. 20.000 bis 30.000 Häftlinge aus über 20 Nationen überlebten das KZ Ravensbrück nicht. Die Angeklagten im ersten Ravensbrück-Prozess hatten sich für die Ermordung und bestialische Behandlung der Gefangenen zu verantworten. O-Ton Urteilsverkündung Seite 62 von 102 Clip 41: Das Ghetto-KZ Theresienstadt Theresienstadt, eine alte Festungsanlage in Nordböhmen, wurde von der SS ab November 1941 als ein ghettoähnliches Konzentrationslager genetzt. Die Stadt wurde bis Juli 1943 mit knapp 74.000 Juden, vornehmlich aus der besetzten Tschechoslowakei, komplett überbelegt. Vielen Juden, die hierher transportiert wurden, hatten die Nazis suggeriert, sie kämen in ein „Vorzeigelager“, ein ruhiges Altersdomizil, ja einen Freizeit-Ort. Doch diese Filmbilder zeigen ein Theresienstadt, das es unter der Naziherrschaft in Wirklichkeit nicht gab. Es sind Propagandabilder aus dem Film „Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Die SS selbst hatte diesen Film in Auftrag gegeben. Die jüdischen Häftlinge, die mitspielen mussten, haben ihm wohl selbst den ironischen Titel: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ gegeben. Hitler hätte den Juden niemals eine Stadt geschenkt. Und das wahre Gesicht von Theresienstadt sah dann auch ganz anders aus, als diese Bilder es behaupten: überfüllte Massenunterkünfte, Kälte, Enge, minimale Ausstattung, Mangel an Nahrung. Mehr als 33.000 Menschen starben in diesem KZ. Für mehr als 75.000 Häftlinge – vieler dieser Häftlinge, die man hier sieht – war das vermeintliche „Ruhedomizil“ schließlich nicht mehr als eine Durchgangsstation in das KZ und die Gaskammern von AuschwitzBirkenau. Auch für Kurt Gerron. Der Berliner Schauspieler und Regisseur drehte diese Bilder für die SS mit einem Kamerateam der Prager Wochenschaufirma Aktualita. Gerron wusste genau, dass die Bilder dieses Films reine Propaganda waren. Sie hatten mit einer Dokumentation rein gar nichts zu tun. Die Nazis wollten damit dem Ausland, besonders humanitären Organisationen, zeigen, dass ihre tatsächlichen Gräueltaten angeblich bloß Gräuelmärchen wären. Gerron spielte mit, hoffte durch die Erfüllung des SS-Auftrags sein Leben retten zu können. Vor dem offenen Waggon eines Auschwitz-Transports wurde er im Herbst 1944 in Theresienstadt zuletzt gesehen. Die Komplettkopie des Films ist verschollen. Nur Fragmente wie diese sind erhalten geblieben; bewegte Bilder von den wirklichen Zuständen in Theresienstadt sind nicht überliefert. Seite 63 von 102 Clip 42: Das Konzentrationsund Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau 1940 ordnet Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, die Errichtung des KZ Auschwitz in Oberschlesien an. Anfangs werden dort noch überwiegend politische Gefangene aus Polen festgehalten. 1941 weist Reichsmarshall Hermann Göring, hier mit Heinrich Himmler, vorn im Bild, bei einer Lagebesprechung mit Adolf Hitler, die SS an, KZ-Häftlinge aus Auschwitz an die Industrie, den Chemiekonzern IG. Farben, zu überstellen. Sie sollen nahe Auschwitz die BunaWerke im KZ-Außenlager Monowitz errichten und dort harte Zwangsarbeit leisten. Kurz darauf besucht Himmler das KZ Auschwitz. Er ordnet die Überstellung von 10.000 Häftlingen an die IG Farben und den Ausbau des Lagers an. Nach Aussage von Lagerkommandant Rudolf Höß, hier nach Kriegsende während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses, habe er im Juli 1941 von Himmler den Befehl zum Aufbau von Vernichtungsanlagen in Auschwitz erhalten. Höß lässt daraufhin im Januar und im Juni 1942 die Räume von zwei Bauernhäusern in Birkenau zu insgesamt sechs Gaskammern umbauen. Das ist der Beginn des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Bis 1945 werden ca. 1,3 Millionen Juden aus ganz Europa in Güterzügen allein in dieses Vernichtungslager deportiert. Ungefähr 900.000 werden direkt an der „Rampe“ vom Wachpersonal „selektiert“ und in die Gaskammern geführt. Dort werden sie mit dem Giftgas Zyklon B ermordet. Die Leichen werden anschließend in den nahegelegenen Krematorien verbrannt. Mehr als 200.000 Gefangene, darunter auch viele sowjetische Kriegsgefangene, sterben im KZ Auschwitz-Birkenau an den Folgen der Zwangsarbeit – infolge von Unterernährung und wegen der katastrophalen Hygienezustände an Krankheiten, durch grausame Misshandlungen oder bei unmenschlichen medizinischen Experimenten. Im Januar 1945 kann die Rote Armee nur noch 7.500 Häftlinge im KZ Auschwitz-Birkenau und seinen Nebenlagern lebend befreien. Seite 64 von 102 Clip 43: Protagonisten des NS-Terrors: Adolf Hitler Adolf Hitler mit seiner Schäferhündin Blondie. Der „Führer“ als „netter Onkel“. Bilder vom Landsitz Berghof bei Berchtesgarden. Als tierund kinderlieb präsentierte die Propaganda den Diktator und als einsamen „Führer“, der sich aufopfert für Volk und Vaterland. Lebensgefährtin Eva Braun passte da nicht so recht ins Bild. Eva Braun – nah bei Hitler: Diese Aufnahmen blieben privat. Offizielle Auftritte absolvierte Hitler stets allein, ließ sich vom Volk umjubeln und von seinen Anhängerinnen und Anhängern anhimmeln. Eva Braun, die gerne Filmemacherin geworden wäre, durfte allenfalls die Triumphe „ihres“ Führers mit der Kamera festhalten wie hier Hitlers Rückkehr nach Berlin nach dem Sieg über Frankreich 1940. Die Propaganda vom netten volksnahen Führer des deutschen Volkes wollte verwischen, dass der Rassist und Antisemit Adolf Hitler der Initiator des größten Verbrechens gegen die Menschlichkeit war, das die Geschichte je gesehen hat: Die Verfolgung und Ermordung aller Juden und aller Menschen, die Hitler für „minderwertig“ hielt, wie alle Sinti und Roma oder die slawischen Völker in Osteuropa. Seinem Rassenwahn fielen in der Zeit von 1933 bis 1945 fast sechs Millionen Juden zum Opfer. Am Tag des Kriegsbeginns, am 1. September 1939, gab Hitler persönlich den sogenannten „Gnadentoderlass“ heraus, ein Freibrief zur Euthanasie, zur Tötung aller psychisch kranker und behinderter Menschen, die im Nazireich als „unheilbar“ galten. Und die – wie Hitler sich ausdrückte – „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ hatte der Rassenwahnsinnige nicht nur schon in seiner Kampfschrift „Mein Kampf“ zum politischen Programm erhoben sondern auch kurz vor Kriegsbeginn nochmals eindeutig als sein Kriegsziel benannt: O-Ton Hitler In einem Atemzug verbindet Hitler hier das Judentum mit dem Finanzkapitalismus und zugleich mit dem Gegenteil: dem sowjetischen System des Bolschewismus – eine Verbindung, die in sich völlig konfus und unlogisch ist wie die gesamte Ideologie des Nationalsozialismus, eine Mischung verschiedenster antisemitischer und antidemokratischer Gesellschaftstheorien, die die Weltanschauungen des jungen Adolf Hitler vor dem ersten Weltkrieg in Wien prägten und seinen Rassenwahn begründeten. Hitler kam nach Wien, um Maler werden, hier Bilder von ihm, die die Rote Armee 1945 im Führerbunker fand. Für die Aufnahme an der Wiener Kunstakademie reichte sein Talent nicht. Doch nicht seinem künstlerischen Unvermögen, sondern allen Liberalen, Marxisten und allen Juden gab er die Schuld für seinen sozialen Absturz, der ihn als Gelegenheitsarbeiter schließlich im Wiener Obdachlosenlager landen ließ. Dem Wehrdienst in der Armee Kaiser Josephs entzog sich Hitler und entfloh nach München. Hier allerdings meldete er sich nach Ausbruch des Krieges freiwillig zur Armee. Kurz vor dem Kriegsende 1918 überlebte er einen Gasangriff nur schwer verletzt und war zeitweilig erblindet. Hitler entschloss sich, nach dem Krieg „Politiker“ zu werden. Er erwies sich als talentierter „Propagandaredner“; schon 1919 benannte er die „Entfernung der Juden überhaupt“ als sein politisches Ziel. Noch 1919 trat Hitler der rechtsextremen „Deutschen Arbeiterpartei“ bei. Er war deren 5. Mitglied. 1921 wurde Hitler zum Vorsitzenden der NSDAP. Sie war aus der DAP hervorgegangen und stattete Hitler nun mit diktatorischen Vollmachten aus. Diese übte er nach der Machtübernahme der NSDAP ab 1933 als sogenannter „Führer“ nicht nur über die Partei, sondern über das gesamte deutsche Volk aus. Den gesamten Staatsapparat schaltete er im Sinne seiner Gewaltherrschaft gleich. Seine politischen Gegner ließ er mit deutscher Gründlichkeit verfolgen, ermorden, außer Landes treiben. Rigoros setzte er mit seinen Hilfstruppen SA und SS seine antijüdische Politik in Deutschland durch. Die Bevölkerung sah tatenlos zu, beugte sich dem Terror und ließ sich mit sozialpolitischen Maßnahmen beruhigen. Seite 65 von 102 Nach dem Tode Hindenburgs übernahm Hitler auch das Amt des Reichspräsidenten. Damit wurde er Oberbefehlshaber der Armee. Alle Soldaten schworen einen persönlichen Eid auf ihn, auf den Führer. Ganz Deutschland wurde nun auf Adolf Hitler ausgerichtet. O-Ton Heß Gigantische Rüstungsund Infrastrukturprogramme ließ Hitler auf Pump finanzieren. Sie brachten viele Menschen kurzzeitig wieder in Lohn und Brot. Die Mehrheit der Volksdeutschen dankte es ihrem Führer und seinen Helfershelfern durch bedingungslosen Gehorsam bis in den Krieg. Für Hitler war der 2. Weltkrieg logische Konsequenz seiner vom Wahnsinn geprägten Rassentheorie, ein „Vernichtungskrieg“ besonders gegen die Völker in Osteuropa und gegen alle Juden. Schließlich trieb er selbst das eigene Volk, das ihm willfährig folgte oder sich dem Terrorsystem beugte, in den Untergang. Am 25. September 1944 ordnete er persönlich den „Volkssturm“ an. Alle „wehrfähigen“ Kinder und alten Männer wurden bewaffnet, um gegen die hochgerüsteten Armeen der Alliierten zu kämpfen. In seinem Fanatismus phantasierte Hitler sogar im Januar 1945 noch von einem „Endsieg“ und gab im März einen Befehl heraus, ganz Deutschland vor dem Rückzug gänzlich zu verwüsten, um dem Feind nur „verbrannte Erde“ zu hinterlassen. Am 30. April 1945 starb Adolf Hitler im Berliner Führerbunker. Er beging Selbstmord gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Eva Braun, die er am Tag zuvor geheiratet hatte. Die Bilanz seiner Schreckensherrschaft: Bei Kriegsende 1945 hatte Deutschland als politische Einheit aufgehört zu existieren. Das Land war verwüstet und wurde von den alliierten Siegermächten regiert und neu geordnet. Deutschland nach Hitler brauchte mehr als 40 Jahre, um wieder eins zu werden. Seite 66 von 102 Clip 44: Protagonisten des NS-Terrors: Joseph Goebbels Am Beginn der 1920er Jahre versucht der promovierte Germanist Joseph Goebbels vergeblich, eine Anstellung als Journalist und Dramaturg zu finden. Ab 1924 hat er Kontakt zu nationalsozialistischen Kreisen, gehört aber zunächst dem linken, antikapitalistischen Flügel an. Ab 1926 wird Goebbels zum bedingungslosen Parteigänger und Unterstützer des Parteivorsitzenden Adolf Hitler. Der ernennt ihn noch 1926 zum Gauleiter von Berlin und Brandenburg. Dort hatte die NSDAP zu dieser Zeit gerade einmal 500 Mitglieder. Goebbels macht sich als antijüdischer Demagoge in Reden und Schriften schon früh einen Namen. 1930 nimmt er das Begräbnis des 23-jährigen SA-Führers Horst Wessel zum Anlass, in einer pathetischen Rede den Verstorbenen zum Märtyrer der NS-Bewegung hoch zu stilisieren. Hitler macht Goebbels daraufhin zum Reichspropagandaleiter. Goebbels organisiert nun die überaus aggressiven Wahlkämpfe der NSDAP wie hier 1930. 1933 organisiert Goebbels den sogenannten „Tag von Potsdam“. Eine Propagandashow. Der Schulterschluss zwischen dem neuen Reichskanzler Hitler und dem greisen Reichspräsidenten Hindenburg soll die Versöhnung der Vertreter der alten Ordnung mit den Nationalsozialisten zeigen. Schon direkt nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten war Dr. Goebbels Reichspropagandaminister geworden. Im Zuge der sogenannten „Gleichschaltung“ kontrolliert sein Ministerium für „Volksaufklärung und Propaganda“ nun bald alle Massenmedien. Besonders den Rundfunk nutzt Goebbels zur Beeinflussung der Massen im Sinne des NS-Gedankenguts. Bald wird jeder Haushalt mit einem preisgünstigen „Volksempfänger“ ausgestattet sein. Er übermittelt nur Nachrichten und Informationen, die vom Propagandaministerium kontrolliert wurden. Im Volksmund heißt der „Volksempfänger“ deshalb nur „Goebbels-Schnauze“. Die Entwicklung des Fernsehens und des Films als Propagandamittel treibt Goebbels gleichfalls voran. Er fördert die Propagandafilme von Leni Riefenstahl wie „Sieg des Glaubens“ oder kontrolliert die „Deutsche Wochenschau“, deren Beiträge als Vorprogramm in den Kinos bis auf eine Stunde ausgedehnt werden. Goebbels Ministerium zeichnet verantwortlich für antijüdische Hetzfilme wie „Der ewige Jude“ oder „Jud Süß“. Auch in der Realpolitik zeigt Goebbels sich als klarer Antisemit. Vom 1. bis 4. April 1933 organisiert er den Boykott jüdischer Geschäfte, die erste zentral koordinierte antijüdische Großaktion des NS-Staates. Wenig später, am 10. Mai, erklärt er anlässlich deutschlandweiter Bücherverbrennungen: O-Ton Goebbels Seine Rede macht klar, was die Machthaber nun von der jungen Generation erwarten. Sie sollen Kämpfernaturen werden in zukünftigen Kriegen, in denen nur Ehre oder Tod zählen. In der Kulturpolitik geht Goebbels ebenfalls strikt antisemitisch vor. Alle jüdischen Mitarbeiter im Rundfunk und bei Zeitungen lässt er entlassen. Aus der Reichskulturkammer werden auf seinen Befehl hin sogar jene Personen ausgeschlossen, deren einer Elternoder Großelternteil als jüdisch eingestuft wird. Damit geht Goebbels sogar noch über die Bestimmungen der Nürnberger Rassegesetze von 1935 hinaus. Die von den Nazis so genannte „Entartete Kunst“, Meisterwerke u.a. von George Grosz, Max Ernst, Paul Klee oder Ernst Barlach, werden auf Initiative Goebbels hin in einer groß angekündigten Ausstellung in München 1937 noch einmal gezeigt. Direkt danach beginnen die „Säuberungen“. Mehr als 16.000 Werke lässt der Reichspropagandaminister beschlagnahmen, zerstören oder ins Ausland verkaufen. Parallel zur Ausstellung „Entartete Kunst“ lässt Goebbels in München die neue „Deutsche Kunst“ zeigen: Propagandagemälde, die dem Führerkult und dem Mythos der NS-Bewegung pathetisch Seite 67 von 102 huldigen. Im Vorfeld des Kriegsbeginns 1939 verschleiert Goebbels die wahren Absichten der NSFührung: O-Ton Goebbels plädiert für Frieden in Europa, 1939 Während des Krieges ist Goebbels als Gauleiter von Berlin ab August 1940 mit dem sich ständig verstärkenden Luftkrieg der Alliierten gegen deutsche Städte konfrontiert. Er reagiert mit verstärkter Propaganda, einer strikten Kontrolle aller Kriegsnachrichten und mit Durchhalteparolen. Im Juni 1941 proklamiert Goebbels Hitlers Kriegserklärung an die Sowjetunion. Geschickt choreographiert die Filmpropaganda seinen Auftritt im Rundfunk. Als Berliner Gauleiter zeichnet Goebbels ab Herbst 1941 auch für den Beginn der Deportation von noch rund 60.000 Berliner Juden in die Vernichtungslager verantwortlich. Nach der Niederlage der deutschen Truppen gegen die Rote Armee in der Schlacht von Stalingrad verkündet Goebbels am 18. Februar 1943 in einer filmisch wiederum perfekt choreographierten Propagandaveranstaltung den „Totalen Krieg“. Goebbels’ Propaganda wirkt. Die Mehrzahl der Deutschen folgt der NS-Führung bis in den Untergang. Viele schließen sich dem „Volkssturm“ an. Goebbels reist durchs Land, hält Durchhaltereden wie hier in der Westfalenhalle in Dortmund 1944 oder wie hier in Köln noch Anfang 1945. Am 22. April 1945 begibt sich Goebbels in den Berliner Führerbunker, zusammen mit Frau Magda und seinen sechs Kindern. Hier Bilder mit Generalfeldmarschall Erwin Rommel bei der Goebbels-Familie Anfang der 1940er Jahre. Nach dem 8. Mai 1945 finden sowjetische Soldaten die tote Familie Goebbels. Magda Goebbels hatte am 1. Mai veranlasst, ihre sechs Kinder durch einen SS-Arzt töten zu lassen. Anschließend beging sie mit Joseph Goebbels gemeinschaftlichen Selbstmord. Seite 68 von 102 Clip 45: Protagonisten des NS-Terrors: Hermann Göring Hermann Göring war – wie die Mehrzahl der NS-Führer – durch das militärische Milieu geprägt. Eigentlich Leutnant der Infanterie, hatte sich Göring 1914 freiwillig zur Fliegertruppe gemeldet. Er liebt es, in den Lüften zu schweben, herausgehoben aus der anonymen Masse an Infanteristen, wie etwa auch Adolf Hitler, unter ihm in den Schützengräben eines schmutzigen Krieges. Göring will zur Elite gehören, er ist exaltiert, will ein Kriegsheld werden, zu den Popstars des Kaiserreichs gehören wie der „Rote Baron“, Görings legendärer KampffliegerKollege Manfred von Richthofen. Nach Richthofens Tod übernimmt Göring 1918 tatsächlich dessen Geschwader. 1933 beschreibt er in seinem Vorwort zu Richthofens Buch „Der rote Kampfflieger“ den Krieg in der Luft als „ritterlichen Kampf“, zu dem die Flieger-Asse „aufstiegen aus ihren Lagern zum Gefecht Mann gegen Mann, er oder ich“. Göring selbst – nach einem Abschuss 1915/16 ein Jahr außer Gefecht gesetzt – heroisiert den mörderischen Kampf, verschweigt die blutige Brutalität der Luftkämpfe, die fiebrige Suche nach der besten Schussposition, um den gegnerischen Piloten direkt in den Kopf zu treffen und dessen Flugzeug auf die Schussfahrt gen Erde zu schicken. Die Frustration über den verlorenen Krieg und die harten Bedingungen des Versailler Vertrags bringen Göring schnell in Kontakt mit rechtsradikalen Kreisen um Adolf Hitler. Göring, der Mann des Kampfes, ist 1923 beim HitlerPutsch, hier neben Heinrich Himmler, mit dabei. Bei der Niederschlagung des Hitler-Aufstandes durch Regierungstruppen schwer verletzt, flieht Göring nach Österreich, dann nach Italien. Er findet Trost im Morphium, die Sucht wird ihn nun zeitlebens begleiten. Nach Deutschland zurückgekehrt, nutzt Göring seine guten Beziehungen zur Industrie, um Ende der 1920er Jahre Spendengelder für die neugegründete Nazi-Partei einzuwerben. Hitler dankt es Göring nach der Machtergreifung: Im Kabinett 1933 wie später im NS-Staat wird Göring zum zweiten Mann hinter dem „Führer“. Göring wiederum ist Hitler bis kurz vor Kriegsende treu ergeben. Er führt willfährig aus, was Hitler will. Als Chef der preußischen Polizei geht er rücksichtslos gegen Oppositionelle vor. Er etabliert Terror und Denunziantentum mit der Gründung der „Geheimen Staatspolizei“, der Gestapo. 1935 schließlich verkündet er die so genannten „Nürnberger Gesetze“ und verleiht damit der NS-Rassenlehre juristische Kraft im Deutschen Reich. Später, 1941, wird er den SD-Chef Reinhard Heydrich mit der Ausarbeitung von Plänen zur „Endlösung der Judenfrage“ beauftragen. Göring, hier bei einer Geburtstagsfeier, gilt als ebenso jovial und tatkräftig wie brutal und rücksichtslos. Klaus Mann hat in seinem Roman „Mephisto“ Görings zwiespältigen Charakter präzise beschrieben. Einerseits gibt er den egomanen Barockfürsten, andererseits lässt er 1937 als Chef der Luftwaffe die „Legion Condor“ ohne Gnade Frauen, Kinder und Alte während des Spanischen Bürgerkriegs in der Stadt Guernica bombardieren. Nach der verlorenen Luftschlacht um England 1940/41 sinkt Görings Ansehen als Reichsfeldmarschall. Er bleibt zwar Hitlers Mann für Industrie und Wirtschaftsplanung, zieht sich aber mehr und mehr auf sein gigantomanisches Jagdschloss „Carinhall“ zurück. Im April 1945 kommt es zum Bruch zwischen Hitler und Göring. Göring hatte Hitlers Führungsanspruch angezweifelt. Im Mai 1945 stöbert die US-Armee Hermann Göring in einem Schloss am Zeller See auf. Als führender Nationalsozialist steht er wenig später vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal. Der Vollstreckung seines Todesurteils entzieht sich Göring durch Selbstmord im Nürnberger Gefängnis. Seite 69 von 102 Clip 46: Protagonisten des NS-Terrors: Heinrich Himmler Heinrich Himmler, der Reichsführer der SS, hier bei einer Lagebesprechung nah bei Hitler, ist einer der Hauptverantwortlichen für die Umsetzung der NS-Vernichtungspläne gegen die europäischen Juden während des 2. Weltkrieges. Ursprünglich als Leibgarde Hitlers konzipiert, baute Himmler die SS schon seit 1929 zu einer Art nationalsozialistischem Führungsorden aus. Okkulte Theorien, rassistische „Herrenmenschen“-Ideologie, „biologische Auslese“ – das sind die Stichworte, auf denen Himmler sein eigenes und das Weltbild der SS aufbaut. Auf diesem ideologischen Fundament werden die SS-Leute ausgebildet. Sie begehen während des 2. Weltkrieges als Elite der NSDAP unvorstellbare Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten. 1942 verabschiedet Himmler den „Generalplan Ost“. Er sieht die Vertreibung von Millionen von Menschen in Polen, Weißrussland und anderen Ländern nach Sibirien vor. In Himmlers Vorstellung sollen diese sogenannten „Untermenschen“ dem NS-Staat zukünftig als Arbeitssklaven dienen. Auch für den Bau des Vernichtungslagers AuschwitzBirkenau gibt Himmler den Befehl und ist damit verantwortlich für die fabrikmäßige Ermordung von über einer Million Menschen allein in diesem „Todeslager“. Angesichts der Massenmorde, die die SS begeht, beschwört Himmler, hier bei einem Besuch eigener Truppen sowie eines Lagers mit sowjetischen Kriegsgefangenen in der Nähe von Minsk, in Reden vor den eigenen Leuten die „Anständigkeit“ der SS-Männer und befeuert dadurch deren Sendungsbewusstsein und deren Elitedenken: O-Ton Himmler Im Mai 1945 gerät Himmler bei Lüneburg in britische Kriegsgefangenschaft. Er wird entdeckt und begeht daraufhin Selbstmord mit einer versteckten Giftpille. Seite 70 von 102 Clip 47: Protagonisten des NS-Terrors: Reinhard Heydrich SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, dem politischen Nachrichtendienst der NSDAP, hier mit Heinrich Himmler auf Hitlers Berghof, ist einer der wesentlichen Organisatoren des Holocaust, 1939 werden Geheime Staatspolizei, Kriminalpolizei und der Sicherheitsdienst (SD) im sogenannten Reichssicherheitshauptamt zusammengelegt. Heydrich wird Leiter dieser SuperÜberwachungsbehörde. Nach Beginn des 2. Weltkrieges koordiniert er von hier aus die Aktionen der sogenannten „Einsatzgruppen“. Auch für die Verschleppung der jüdischen polnischen Bevölkerung in Ghettos zeichnet Heydrich verantwortlich. Am 31. Juli 1941 beauftragt ihn Hermann Göring mit der Ausarbeitung eines Plans zur „Endlösung der Judenfrage“. Der überzeugte Rassist und Antisemit macht sich an die Ausarbeitung der Pläne zur Vernichtung der europäischen Juden. In dieser Villa am Wannsee ruft Heydrich am 20. Januar 1942 hohe NS-Funktionäre zusammen. Auf dieser sogenannten „Wannsee-Konferenz“ beschließen sie, die Pläne zur „Endlösung der Judenfrage“ durch Deportation und systematische Ermordung aller Juden in den Vernichtungslagern in Osteuropa in die Tat umzusetzen. Wenige Monate später, im Mai 1942 fällt Heydrich, seit 1941 auch stellvertretender Statthalter für das „Protektorat Böhmen und Mähren“, in Prag einem Attentat der tschechischen Widerstandsbewegung zum Opfer. Als Vergeltung für Heydrichs Ermordung macht die SS am 10. Juni 1942 ein kleines tschechisches Dorf dem Erdboden gleicht. Alle erwachsenen männlichen Einwohner werden von den SS-Männern getötet, alle Frauen und Kinder ins KZ verschleppt. Das grausame Geschehen geht als „Massaker von Lidice“ in die Geschichte des 2. Weltkrieges ein. Seite 71 von 102 Clip 48: Protagonisten des NS-Terrors: Adolf Eichmann Auf der Wannseekonferenz protokolliert der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann die Beschlüsse der NS-Führer zur „Endlösung der Judenfrage“. Eichmann sollte für deren Umsetzung zur maßgeblichen Figur werden. Schon seit Dezember 1939 leitet Eichmann die Abteilung „Auswanderung und Räumung“ im Reichssicherheitshauptamt. Vom Schreibtisch aus koordiniert der Bürokrat die Deportation von Millionen Juden in die Ghettos und in die Konzentrationsund Vernichtungslager. 1944 leitet er selbst als Führer eines Sonderkommandos in Budapest die Deportation ungarischer Juden nach Auschwitz. Nach Kriegsende gelingt Eichmann die Flucht nach Argentinien, unter der Herrschaft von Juan und Evita Peron Zufluchtsort vieler Nazi-Verbrecher. 1960 spürt der israelische Geheimdienst Eichmann auf und verhaftet ihn. Argentinien und Israel sind sich uneins über die Bedingungen von Eichmanns Auslieferung. David Ben Gurion, Israels Ministerpräsident, lässt Eichmann daraufhin entführen. In Jerusalem steht Eichmann 1961 vor Gericht. Die Philosophin Hanna Arendt beobachtet das Prozessgeschehen. In dem Durchschnittsbeamten Eichmann, der sich auf Befehle von Vorgesetzten beruft, erkennt sie die „Banalität des Bösen“. Diese These und ihre kritischen Anmerkungen zu den „Judenräten“ lösen besonders in der jüdisch-zionistischen Community eine heftige Debatte aus. Die Judenräte waren wie hier im Warschauer Ghetto – von den Nazis als jüdische Zwangskörperschaften eingesetzt worden. Adolf Eichmann wird zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet. Seite 72 von 102 Clip 49: Attentate auf Adolf Hitler „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“. So stellten die Nationalsozialisten das „Dritte Reich“ dar. Als eine Einheit des Volkes mit dem Führer Adolf Hitler. Doch nicht alle waren Nazis in den Zeiten der Diktatur 1933 bis 1945. Es gab einige, wenngleich zu wenige, die sich vom Terror der NaziPartei gegen alle Juden und politisch Andersdenkenden nicht einschüchtern ließen; es waren Menschen, die trotz Verfolgung und Verrat den Widerstand in Deutschland planten und durchführten. Ihr Hauptziel: Adolf Hitler selbst. Ihre Überlegung: Die Nazi-Diktatur war nach dem Führerprinzip organisiert. Alle Beamte und Soldaten leisteten ihren Eid auf Adolf Hitler persönlich. Also galt es den Tyrannen zu ermorden, dann würde die Diktatur zusammenbrechen. Historiker schätzen, dass von 1921 bis zum 20. Juli 1944 ca. 40 Anschläge auf Hitlers Leben durchgeführt wurden. Bereits im November 1921 Hitlers Nazi-Partei steckte noch in den Anfängen – gab es den ersten Attentatversuch auf Hitler. Während einer seiner Hetzreden kam es zu einer Saalschlacht. Aus dem Tumult heraus fielen Schüsse auf Hitler. Er blieb unverletzt; die Täter konnten unerkannt entkommen. Kurz nach der Machtergreifung 1933 beschossen Attentäter den Dienstwagen Hitlers auf dem Weg zu dessen Feriendomizil auf dem Obersalzberg. Die Täter blieben unerkannt; Hitler wieder unverletzt. Wenig später schlich sich eine fremde Person mit geladener Waffe in Hitlers Berghof ein. Die Person trug eine SAUniform. Sie wurde verhaftet. Wer sie war und was aus ihr wurde, ist nicht bekannt. Im März 1933 organisierte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels den „Tag von Potsdam“. Die Begegnung zwischen dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und dem Führer Adolf Hitler sollte die Aussöhnung zwischen dem alten und dem neuen Deutschland symbolisieren. Attentäter wollten Hindenburg und Hitler in der Potsdamer Garnisonskirche in die Luft jagen. Zu diesem Zweck hatten sie einen Tunnel unter die Kirche gegraben. Doch der Tunnel wurde vorher entdeckt; die Attentäter bliesen ihr Vorhaben ab. Nicht dagegen Johann Georg Elser. Er sah seit 1938 den Krieg kommen und entschloss sich, Hitler im Alleingang zu beseitigen: Einen Monat lang versteckte er sich im Herbst 1939 jede Nacht im Münchener Bürgerbräukeller. Er präparierte eine Säule mit Sprengstoff. Doch am 8. November 1939 verließ Hitler nach seiner alljährlichen Rede die Veranstaltung im Bräukeller zum Gedenken an den Hitlerputsch von 1923 schneller als erwartet. Als Elsers Bombe explodierte, war Hitler schon weg. Die NS-Propaganda sprach von der „Vorsehung“. Sie habe den Führer gerettet. So kurz nach Kriegsbeginn, behauptete die Propaganda weiter, könne nur der britische Geheimdienst hinter dem Anschlag stecken. Widerstandskreise vermuteten, die Nazis hätten den Anschlag selbst inszeniert, um die Unantastbarkeit Hitlers vorzuführen. Elsers Alleintäterschaft wurde bestritten. Beim Grenzübertritt in die Schweiz wurde Elser noch am Tag des Attentats in Konstanz verhaftet. Nachdem er von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Berlin gefoltert wurde, kam er zunächst ins KZ Sachsenhausen, später ins KZ Dachau, wo er am 9. April 1945 ermordet wurde. Nach dem Kriegsbeginn 1939 kamen Zivilisten kaum noch an Adolf Hitler heran. Erfolgversprechende Attentatspläne konnten also nur noch in den Kreisen des militärischen Widerstands entwickelt werden. Ab Herbst 1943 formierte sich um Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine Gruppe von Offizieren neu, die Hitler durch ein Attentat beseitigen wollten. Zahlreiche Anschläge, die die Gruppe um Ludwig Beck, den ehemaligen Generalstabschefs des Heeres, geplant hatte, waren fehlgeschlagen. Nun deponierte Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Bombe bei der Lagebesprechung mit Hitler im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“. Doch auch dieses Attentat schlug fehl. Hitler erteilte Major Remer, dem Kommandeur des Berliner Wachbataillons, Vollmacht, den Aufstand innerhalb der Seite 73 von 102 Wehrmacht niederzuschlagen. Stauffenberg und einige seiner Mitstreiter wurden verhaftet und noch in der Nacht im Berliner Bendlerblock hingerichtet. Auch General Beck wurde erschossen.Remer unterdes hielt flammende Reden mit Durchhalteparolen an die Soldaten: O-Ton Remer Wenige Monate später war der 2. Weltkrieg beendet – um den Preis noch unzähliger sinnloser Opfer im „Totalen Krieg“ der Nationalsozialisten. Adolf Hitler hatte sich zusammen mit Eva Braun am 30. April 1945 im Berliner Führerbunker selbst getötet. Das NS-Regime hinterließ ein gänzlich zerstörtes Deutschland. Hunderttausende Soldaten gingen in die Kriegsgefangenschaft. Seite 74 von 102 Clip 50: Widerstandsgruppen: Kommunisten und Sozialdemokraten Adolf Hitler war ein Alleinherrscher, ein Diktator, der keine andere Meinung gelten ließ. Seine Vertrauten und er bauten nach der Machtergreifung im Jahre 1933 eine Gewaltherrschaft auf. In Deutschland waren es zunächst besonders Kommunisten und Sozialdemokraten, die ein Widerstandsnetz gegen die NS-Diktatur aufzubauen versuchten. Sie druckten und verbreiteten Flugblätter, schrieben Wandparolen. Doch die Gestapo, die Geheime Staatspolizei, war allgegenwärtig, ihre Spitzel verrieten viele Widerstandskämpfer. Die deutsche Justiz folgte dem Hakenkreuz, Gerechtigkeit gab es in der Diktatur nicht. Die Widerstandskämpfer wurden in KZs verschleppt oder direkt hingerichtet. So auch die Journalistin Ilse Stöbe. Sie war 1942 zusammen mit dem Diplomaten Rudolf von Scheliha verhaftet worden. Beide wurden wegen angeblicher Spionage für die Sowjetunion hingerichtet. Ilse Stöbe gehörte zur Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Seit 1933 hatten Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack eine Gruppe von Ministerialbeamten, Wehrmachtsangehörigen, Künstlern und Arbeitern um sich versammeln können. Sie klebten Plakate gegen das Regime. Sie forderten in Flugblättern ein schnelles Ende des Krieges und eine Verständigung mit der Sowjetunion. Deutschland sollte als unabhängiger Nationalstaat erhalten bleiben als Mittler zwischen Ost und West. Ein Funkkontakt mit der Sowjetunion brachte die Gestapo 1942 auf die Spur der Widerstandsgruppe. Im Winter 1942/43 gewann die Rote Armee die Schlacht um Stalingrad. Sie drängte mit ihren Panzerverbänden nun ihrerseits die Truppen Hitlers zurück, machte Hunderttausende deutsche Kriegsgefangene. Als die Niederlage von Hitlers Deutschland näher rückte, wurden auch in Moskau einige der in der Sowjetunion gebliebenen deutschen Kommunisten wieder politisch aktiv. Auf Geheiß Stalins gründeten sie unter Führung des Schriftstellers Erich Weinert und des KPD-Vorsitzenden im Exil, Wilhelm Pieck, das sogenannte „Nationalkomitee Freies Deutschland“. Im Heer der deutschen Kriegsgefangenen – hier zu Propagandazwecken in Moskau vorgeführt – sahen die Kommunisten ein Reservoir. Sie suchten Parteigänger für ihr neues, kommunistisches Deutschland. Nach dem Kriegsende 1945 betrieben die aus Moskau zurückgekehrten Kommunisten um Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck eine Vereinigung von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Die West-SPD unter Führung ihres späteren Vorsitzenden Kurt Schumacher warnte vor einer „Zwangsvereinigung“ mit der KPD und unterstützte den Aufbau einer parlamentarischen Demokratie. Unter dem Druck der Sowjets gründete sich die SED bei einem so genannten „Vereinigungsparteitag“ in Berlin 1946 daher nur für den Ostteil Deutschlands, für die sowjetisch besetzte Zone. Seite 75 von 102 Clip 51: Widerstandsgruppen: Christen und Konservative Im September 1933 gründen einige mutige Pastoren den „Pfarrernotbund“. Ihm schließen sich bis Anfang 1934 7.000 Pfarrer an. Sie verstehen sich als die „bekennende Kirche“. Sie verweigert sich der NS-Reichskirche, prangert den Terror der Geheimen Staatspolizei ein, wehrt sich gegen den völkischen Rassismus des NS-Staates. Die „Bekennende Kirche“ sieht sich als die wahre Hüterin des evangelischen Glaubens. Sie versteht sich nicht als politische Opposition. Dennoch werden wichtige ihrer Mitglieder wie Martin Niemöller, Theophil Wurm, Dietrich Bonhoeffer oder Otto Delius verfolgt, in Haft genommen, schließlich ermordet. Bonhoeffer, der nach Kriegsbeginn enge Kontakte auch zum militärischen Widerstand um Abwehrchef Wilhelm Canaris unterhält, wird – ebenso wie Canaris – kurz vor Kriegsende am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet. In der Katholischen Kirche ist es u.a. besonders Clemens August Graf von Galen, der Widerstand gegen den NS-Staat leistet. 1941 verurteilte der Bischof von Münster öffentlich in seinen Predigten die sogenannte „Euthanasie“, die Ermordung von mindestens 70.000 Insassen von Heilund Pflegeanstalten in Deutschland durch die Nazis. Offiziell stellen sie die Euthanasie-Programme ein. Und auch vor einer Verhaftung des populären Bischofs, dessen Reden auch im Ausland bekannt waren, schrecken die Machthaber zurück. Ganz anders ergeht es Bernhard Lichtenberg. Der Berliner Dompropst bezahlt seine öffentliche Kritik an den NS-Judenverfolgungen mit dem Leben. Auch im konservativen Lager formiert sich nach 1933 schnell Widerstand gegen die NSDiktatur. 1937 tritt Carl Friedrich Goerdeler von seinem Amt als Leipziger Oberbürgermeister zurück. Der nationalkonservative Goerdeler, von Hitler als Finanzexperte geschätzt, protestiert mit diesem Schritt gegen den Antisemitismus in Deutschland. Um Goerdeler bildet sich ein Widerstandskreis, der von der Rückkehr zur Monarchie träumt. Generaloberst Ludwig Beck, der selbst 1938 wegen Hitlers Kriegsplänen als Chef des Heeres zurücktrat, hält den Kontakt zwischen dem Goerdeler-Kreis und militärischen Widerstandsgruppen. Ab 1940 formiert sich der zivile Widerstand um Helmuth James Graf von Moltke neu. In seinem Gut Kreisau in Niederschlesien findet er einen abgeschiedenen Ort, an dem in regelmäßigen Zusammenkünften die führenden Köpfe der Gruppe wie Peter Yorck Graf von Wartenburg, Adam von Trott zu Solz oder der Sozialdemokrat Julius Leber eine politische Neuordnung Deutschlands diskutieren. Als Moltke im Januar 1944 verhaftet wird und der „Kreisauer Kreis“ zerfällt, schließen sich manche seiner Mitstreiter dem Widerstand um Claus Schenk Graf von Stauffenberg an. Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 werden Trott, Goerdeler u.a. in einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. O-Ton: Freisler Carl Friedrich Goerdeler und andere Widerstandskämpfer werden im Berliner Gefängnis Plötzensee hingerichtet. Seite 76 von 102 Clip 52: Widerstandsgruppen: Militärischer Widerstand 1938 trat Generaloberst Ludwig Beck wegen der Kriegspläne Hitlers als Chef des Heeres zurück. Zusammen mit Admiral Wilhelm Canaris, dem Chef des Abwehrdienstes, wurde Beck einer der führenden Köpfe des militärischen Widerstands gegen Hitler im Dritten Reich. 1938 plante Canaris’ Stabschef Hans Oster zusammen mit Beck und Hans von Dohnanyi, einem Mitarbeiter im Justizministerium, einen Militärputsch gegen Hitler. Der Grund für die Rebellion der Offiziere: Hitlers Expansionspolitik in Europa hatte sich spürbar zugespitzt und lief auf Krieg zu. Nach dem Einmarsch in Österreich provozierte Hitler nun die Tschechoslowakei mit seiner Forderung nach einer Autonomie für die 3 Millionen Sudetendeutschen. Hitler drohte, ins Sudetenland einzumarschieren. Für diesen Fall rechneten die Militärs um Beck und Canaris mit einer Kriegserklärung der westlichen Alliierten. Dann hätten sie eine Legitimation für den Umsturz. Doch es kam anders. Hitler und Benito Mussolini, Italiens Faschisten-Führer, einigten sich am 29. September 1938 mit dem französischen und dem britischen Premierminister auf das „Münchner Abkommen“. Es bewahrte Europa nochmals kurzzeitig vor dem drohenden Krieg. Der Preis: Das Sudetenland. Freudig begrüßten die Sudetendeutschen die Wehrmachtstruppen beim Einmarsch am 1. Oktober 1938. Hitler stand als „Friedensstifter“ da. Gegen ihn zu putschen, hätte in diesem Augenblick einen Bürgerkrieg ausgelöst. Das wussten auch die rebellischen Militärs in Hitlers Nähe, wie General von Witzleben, hier 1938. Sie begruben ihre Umsturzpläne, vorerst. Ein Jahr später plante Hans Oster erneut den Umsturz. Erich Kordt, ein Mitarbeiter von Außenminister Ribbentrop, sollte sich zusammen mit Hitler in die Luft sprengen. Das Attentat kam nicht zustande. Wenige Tage vorher, am 8. November 1939, hatte Georg Elser den Münchener Bürgerbräukeller während einer NS-Veranstaltung in die Luft gesprengt, Adolf Hitler aber verfehlt. Nach der Katastrophe von Stalingrad, schließlich nach der Niederlage des legendären „Afrikakorps“ von General Erwin Rommel sahen viele Mitglieder des militärischen Widerstands im Tyrannenmord eine letzte Chance, die totale Niederlage Deutschlands zu verhindern. In enger Abstimmung mit General Olbricht plante eine Gruppe von jüngeren Offizieren um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Henning von Treskow den Anschlag. Doch auch das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 verfehlte sein Ziel. Hitler überlebte den Bombenanschlag während einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ nur leicht verletzt. Seite 77 von 102 Clip 53: Widerstandsgruppen: Jugendopposition Die Nazibewegung nahm während des Dritten Reiches Kinder und Jugendliche schon früh bei der Hand. Die Jungs wurden in der „Hitler-Jugend“, die Mädchen im „Bund Deutscher Mädel“ in Uniformen gesteckt. Sie sollten willfährige Anhänger des Regimes werden. Die Jungs wurden früh auf Krieg gedrillt. Doch es gab auch Jugendliche, die sich Freiräume für die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit bewahren und erkämpfen wollten. Diese Jugendopposition im Dritten Reich ist weniger bekannt und kann auch hier – wie viele andere Widerstandsgruppen – nur in Fotos dokumentiert werden. Zur Jugendopposition zählten die sogenannten „Edelweisspiraten“, Jugendgruppen im Rheinland, Ruhrgebiet und Sachsen. Sie nannten sich „Fahrtenjungs“ in Düsseldorf, „Navajos“ in Köln oder „Meuten“ in Leipzig. Ihr Erkennungszeichen war ein EdelweissSticker. Sie knüpften an die Traditionen der „Bündischen Jugend“ und linken „Wandervogelbewegung“ an. Sie war 1933 von den Nazis verboten worden. Durch Wanderungen auf Wochenendausflügen unternahmen die „Edelweisspiraten“, meist Kinder der Arbeiterklasse, ab 1939 kleine Fluchten aus dem Kriegsalltag; sie suchten unbeobachtete Momente, sich ohne Bespitzelung, Drill und Propaganda auszutauschen oder auch das andere Geschlecht näher kennen zu lernen. Im Unterschied zur Geschlechtertrennung bei „Hitler-Jugend“ und „Bund Deutscher Mädel“ gingen Mädchen und Jungen bei den „Edelweisspiraten“ gemeinsam auf Freizeitfahrt und ins Zeltlager. Freiräume verschaffen – das wollten sich auch die Cliquen von jungen Leuten aus dem Bürgertum in Hamburg und Berlin. Sie hörten heimlich amerikanische Swingmusik, tanzten in Clubs und Cafés und pflegten einen weltoffenen Lebensstil. Doch: Swingmusik und eine weltoffene Gesellschaft waren im Nazi-Reich verboten. Brutal ging die Geheime Staatspolizei gegen die Jugendlichen vor, die sie verächtlich „Swingjugend“ nannte. Im Grunde unpolitisch, löste die massive staatliche Verfolgung bei den „Edelweisspiraten“ wie bei der „Swingjugend“ Protesthaltungen aus, die letztlich, etwa bei der „Ehrenfelder Gruppe“ in Köln, zu Widerstandsaktionen gegen die Gewaltherrschaft führten. Widerstandskämpfer Bartholomäus Schink und die anderen versteckten geflohene Zwangsarbeiter und lieferten sich Schießereien mit der Gestapo und der Polizei. Demgegenüber waren es bei den jungen Studenten um die Geschwister Scholl von Beginn an christlich-humanitäre und politische Motive gewesen, die sie veranlasst hatten, die Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ zu gründen. Neben Hans und Sophie Scholl gehörten der Gruppe im Umkreis der Münchner Universität weitere Studenten, Lehrer und Professoren an. Sie unternahmen Flugblattaktionen, schrieben Parolen wie „Nieder mit Hitler“ an Häuserfassaden. Bei einer Flugblattaktion in der Universität am 18. Februar 1943 wurde die Gruppe beobachtet und verraten. Schon wenige Tage später wurden die Geschwister Scholl vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seite 78 von 102 Clip 54: Jüdischer Widerstand: Ghettoaufstände und Partisanenkämpfe Die Bilder haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt: Mitglieder der Nazi-Todeskommandos, der sogenannten „Einsatzgruppen“, töten wie am Fließband die jüdische Zivilbevölkerung in Osteuropa, hier Aufnahmen aus Lettland während des 2. Weltkriegs. Die Opfer der NS-Judenvernichtung erscheinen willfährig und wehrlos. Später werden die angeklagten Täter vor Gericht berichten, die Opfer hätten sich „wie Schlachtvieh“ zur Hinrichtung führen lassen. Auch um sich zu entlasten und ihre grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor sich selbst und der Welt zu rechtfertigen, verbreiteten die angeklagten Nationalsozialisten den Eindruck, es habe keinen jüdischen Widerstand gegeben. Richtig ist – wie es Antisemitismusforscher Wolfgang Benz formuliert – dass „die Mehrheit der Juden keine Chance (hatte), sich gegen den Holocaust aufzulehnen. Das war nicht die Schuld der Juden. Gewalt, Arglist, Täuschung und Terror waren stärker, und Solidarität mit den Opfern gab es kaum. Ohne Solidarität, d. h. Rückhalt aus der Bevölkerung war erfolgreicher Widerstand nicht möglich“, so Benz. Ohne die massenhafte Zivilcourage der Bevölkerung hatten die Nazis und ihre Kollaborateure in Deutschland und Europa leichtes Spiel, alle Juden zu verfolgen und sechs Millionen von ihnen zu ermorden. Dennoch verstellt das weitverbreitete Vorurteil, die Juden hätten sich „wie Lämmer zur Schlachtbank“ führen lassen, den Blick auf die historische Wirklichkeit. Stets bekannt war der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943. Unter dem Motto „Wenigstens wählen, wie wir sterben“ setzten sich ab dem 19. April um die 1.000 Kämpfer und Kämpferinnen, darunter viele Jugendliche, gegen die deutschen Truppen zur Wehr. Diese sollten im Auftrag von SS-Chef Heinrich Himmler das Ghetto endgültig räumen und ihre Bewohner in die Vernichtungslager deportieren. Himmler wollte am 20. April, dem Geburtstag Hitlers, dem Führer die polnische Hauptstadt als „judenrein“ melden. Doch daraus wurde nichts. 10 Wochen lang schlugen sich die schlecht ausgerüsteten und im Kampf kaum erfahrenen Kampverbände der jüdischen Untergrundorganisation ZOB tapfer mit den deutschen Truppen, die in den zähen Straßenkämpfen hohe Verluste hatten. Erst am 16. Mai konnten SS und Wehrmacht den jüdischen Widerstand brechen und das Warschauer Ghetto dem Erdboden gleich machen. Der Warschauer Widerstandskampf der ZOB machte schnell Schule. In mehr als 100 Ghettos in Polen, Litauen, Weißrussland und in der Ukraine bildeten sich jüdische Kampfgruppen. Es kam zu Revolten zum Beispiel in Wilna und Bialystok. Im August 1943 überwältigten KZ-Häftlinge in Treblinka einen Teil des Wachpersonals, steckten Gaskammern und Baracken in Brand. Am 14. Oktober 1943 erhoben sich jüdisch-russische Kriegsgefangenen im Vernichtungslager Sobibor gegen ihre Häscher. Der Aufruhr wurde zum Massenaufstand. Die Juden von Sobibor stürmten die Lagertore. 320 jüdischen KZ-Insassen gelang die Flucht. Im KZ Auschwitz-Birkenau versuchten 250 Gefangene ein Jahr später gleichfalls eine Massenflucht. Zuvor am 7. Oktober 1944 war ein Aufstand des Personals der Krematorien von Auschwitz losgebrochen. Die KZ-Häftlinge, die zum fabrikmäßigen Verbrennen der Leichen aus den Gaskammern abkommandiert waren, zündeten eingeschmuggelten Sprengstoff. Ein Krematorium wurde teilweise zerstört. Der Aufstand wurde von den SSWachmannschaften brutal niedergeschlagen; die flüchtigen KZ-Insassen wurden gefasst und ermordet. Viele Juden in Osteuropa, die dem Ghetto und dem Vernichtungslager durch Flucht entkommen konnten, schlossen sich den Partisanen an. Allein in Weißrussland zählte die Partisanenbewegung 1944 ca. 400.000 Menschen. Sie organisierten Anschläge gegen die deutschen Besatzer und Sabotageaktionen gegen Militärtransporte der Wehrmacht im sogenannten „Schienenkrieg“. In Osteuropa kämpften rund 40.000 Juden in Partisanengruppen Seite 79 von 102 mit. Die bekannteste Gruppe waren die „Bielski-Partisanen“ der Brüder Tuvia, Zusja, Asael und Aron Bielski. Sie befehligten bis zu 1.200 Kämpfer, die sich teilweise mit ihren Familien, Älteren und Kindern in den Wäldern versteckten. Während der Kriegsjahre lieferten sie sich ab 1942 Gefechte mit den deutschen Truppen und retteten bis Kriegsende unzähligen Juden das Leben. Jüdische Kämpfer waren ab dem 1. August 1944 auch am Aufstand der polnischen Heimatarmee in Warschau beteiligt. Die Exilregierung wollte die polnische Hauptstadt noch vor der anrückenden Roten Armee befreien. Dies misslang. Der Aufstand brach am 2. Oktober 1944 zusammen. Die Rote Armee half nicht; die deutschen Truppen machten Warschau dem Erdboden gleich. Auch in Westeuropa kämpften viele Juden in Untergrundbewegungen gegen die Nazis mit, wie hier, in der französischen Résistance bei der Befreiung von Paris 1944. Seite 80 von 102 Clip 55: Jüdischer Widerstand: Jüdische Soldaten in den Armeen der Alliierten Bislang ist kaum bekannt, dass jüdische Soldaten und Offiziere am militärischen Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland und seine Verbündeten während des 2. Weltkriegs einen wesentlichen Anteil hatten. Die Begegnung zwischen den jüdischen Soldaten und KZHäftlingen, die den Holocaust überlebten, wie hier nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau 1945, gehört zu den bewegensten Momenten der neueren jüdischen Geschichte. Während des II. Weltkriegs dienten in der US-Armee mit 550.000 jüdischen Soldaten, davon 36.000 Offiziere, die meisten Juden. 11.000 fielen – wie Stanley Caplan, Leutnant zur See, der beim Überraschungsangriff der Japaner auf Pearl Harbor 1941 umkam. Es war der jüdische US-General Maurice Rose, der als Befehlshaber der 3. Panzerdivision an den alliierten Erfolgen gegen das deutsche Afrika-Korps beteiligt war und die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in Tunesien entgegen nehmen konnte. Auch bei der alliierten Landung auf Sizilien am 10. Juli 1943 erwarb sich Roses Division einen legendären Ruf. Sie war es schließlich, die als erste US-Einheit im Winter 1944 den Westwall überwinden konnte. Als erster US-General betrat Maurice Rose am 12. Dezember 1944 deutschen Boden, bevor er wenig später von einem Heckenschützen erschossen wurde. Die britische Armee zählte 1939 62.000 jüdische Soldaten. Als sich die deutschen Panzerverbände von General Erwin Rommel 1942 bedrohlich nah auf Palästina zubewegten, gab das Oberkommando der britischen Armee seine Vorbehalte gegen jüdische Freiwillige aus Palästina auf. Rund 30.000 Juden aus dem „Gelobten Land“, darunter etwa 4.500 Frauen, überwiegend Flüchtlinge aus Europa, traten den britischen Truppen bei. Viele von ihnen wurden Pioniere der Kommandoeinheiten, u.a. auch der sogenannten „Deutschen Einheit“. Das war eine Spezialeinheit der „Special Air Services“. Ihre Mitglieder sprachen Deutsch und hatten deutsche Papiere. Sie mischten sich in deutschen Uniformen unter die Truppen der Wehrmacht, verübten Anschläge und Sabotageaktionen, erledigten Spionageund Geheimaufträge. Sie waren maßgeblich am Sieg der Alliierten in Nordafrika beteiligt. Als der Genozid an den europäischen Juden immer offensichtlicher wurde, stimmte das britische Verteidigungsministerium im September 1944 der Aufstellung der „Jüdischen Brigade“ zu. Sie kam als Teil der 8. Britischen Armee ab November 1944 in Italien zum Einsatz. Unter dem Banner der Trikolore kämpften ab 1940 46.000 Juden, darunter viele Emigranten aus Deutschland, Österreich und Osteuropa. Sie waren Soldaten der „Free French“ – Einheiten unter General de Gaulle, kämpften in der Fremdenlegion sowie als Kampfpiloten in der Einheit „Normandie“ unter dem Kommando der „Roten Armee“. Die zählte 500.000 jüdische Soldaten in ihren Reihen; mehr als 150.000 von ihnen erhielten sowjetische Tapferkeitsauszeichnungen. Die jüdischen Rotarmisten waren an allen Schlachten des 2. Weltkriegs bis hin zur Eroberung Berlins im Mai 1945 beteiligt. Insgesamt standen während des 2. Weltkriegs fast 1,5 Millionen Juden unter Waffen und kämpften in den Armeen der Alliierten besonders einsatzfreudig für die Befreiung Europas vom Joch des Nazismus. Seite 81 von 102 Clip 56: Jugend in der NS-Diktatur Während der Weimarer Republik unterhielten die Kirchen wie hier die Katholiken ebenso wie Sozialdemokraten und Kommunisten eigene Jugendorganisationen. Hinzu kamen Gruppen wie die Wandervogeloder Naturfreundejugend. Auch die NSDAP begründete früh eine eigene Jugendbewegung,. Doch nur „Deutsche und Arier“ wurden in den „Jugendbund der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ aufgenommen; Juden und Ausländer blieben ausgeschlossen. Hier Bilder aus den Anfängen der rassistischen Jugendorganisation. 1926 wurde hieraus die „Hitlerjugend“, begründet auf dem Reichsparteitag der Nationalsozialisten. Auch wenn diese Bilder Stärke vermitteln, die HJ war in der Weimarer Republik eine ganz unbedeutsame Jugendorganisation. Statement Prof. Klönne: Antidemokratisches Denken, NS-Jugendbewegung O-Ton Hitler „Sie sollen nie wieder frei sein ...“ Ganz im Sinne Hitlers nahm der diktatorische NS-Staat nun also „seine“ Kinder vom Babybis zum Erwachsenenalter an die Hand, beeinflusste und formte sie erzieherisch einzig und allein im Sinne des nationalsozialistischen Gedankenguts. Nach 1933 wurden von den neuen Machthabern zunächst alle konkurrierenden Jugendorganisationen ausoder – wie hier die Evangelische Jugend – gleichgeschaltet und in die Hitlerjugend integriert. Durch das „Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 1. Dezember 1936 wurde die NSJugendorganisation zur gleichrangigen Erziehungsinstanz neben Schule und Elternhaus. Die Erziehungsrechte der Eltern wurden zugunsten des NS-Staates zurückgedrängt. Durch die Einführung der Jugenddienstpflicht am 25. März 1939 wurden faktisch nunmehr alle Jugendlichen Mitglieder der HJ. Alle 14-18-jährigen Jungen und Mädchen mussten in der HJ und im Bund Deutscher Mädel sein. Der BDM war im Juni 1930 als Unterorganisation der Hitlerjugend gegründet worden. Wer die Jugend hat, hat die Zukunft. Das wusste auch Adolf Hitler. O-Ton Hitler Doch wie sieht die Zukunft dieser Jugendlichen aus? Die Zukunft der Nazis war der Krieg. Das war Hitlers Plan. Und so wurden alle Mitglieder der HJ, Mädchen wie Jungen, in Uniformen gesteckt, nach militärischen Regeln und Ritualen organisiert und im Sinne der nationalsozialistischen Rollenbilder systematisch zu „Kriegern“ die Jungen und zu „Müttern und Hausfrauen“ die Mädchen erzogen. Die Jugend Hitlers wurde anlässlich des „FührerGeburtstages“ alljährlich am 20. April sowie auf NSDAP-Parteitagen in feierlichen Verpflichtungen direkt auf den „Führer“ eingeschworen. Sie sollten „ihren Führer“ anhimmeln, seine getreuesten Getreuen werden, ihm bedingungslos folgen. Die HJ’ler wurden zu Wesen in der Masse gedrillt. Zugunsten des Führerprinzips sollten sie ihre eigene Individualität aufgeben, sich aufopfern für die „Volksgemeinschaft“. Körperertüchtigung und Wehrbereitschaft waren den Nazis wichtigere Erziehungsideale als die intellektuelle Ausbildung des Geistes. Letztere wurde in der Schulausbildung zurückgedrängt, die Sportstunden im Unterricht der Schulen dagegen erhöht. Fächer wie Deutsch und Geschichte galten als „gesinnungsbildend“ und dienten dazu, deutsches Heldenpathos und „vaterländische Größe“ zu vermitteln. In Geschichte und Biologie wurden die Kinder und Jugendlichen auf die Rassenlehre der Nazis getrimmt; der Unterricht verbreitete offen antisemitische Feindbilder. Dennoch trauten die Nazis der traditionellen Institution Schule mit ihren Berufsbeamten nicht so recht über den Weg. Hier Hitler beim Besuch seiner alten Schule nach dem sogenannten „Anschluss Österreichs“ 1938. Die Nazis bauten lieber ein System eigener Erziehungseinrichtungen auf. Zu diesen „NSEliteschulen“ Seite 82 von 102 gehörten die „Adolf-Hitler-Schulen“, die sogenannten „Ordensburgen“ und die „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“ (Napola). Statement Napola Wurden die Jungen in den Eliteschulen im Sinne der kriegerischen Ideologie zu hundertfünfzigprozentigen Parteigängern der Nazis erzogen, so erfüllte das BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ die Funktion, die 1721-jährigen Frauen nach Verlassen des BDM auf ihre Rolle in der Welt der NS-Diktatur vorzubereiten: Sie sollten als körperlich vollkommene „deutsche Mutter arischer Kinder“ der „Volksgemeinschaft“ dienen. Während des Krieges kamen viele dieser jungen Frauen zu Einsätzen beim Roten Kreuz, in Lazaretten und bei der Ernte. Einige gingen sogar zur SS und zählten später zum Wachpersonal der Konzentrationsund Vernichtungslager. Seite 83 von 102 Clip 57: „Jungvolk“ und „Spielschar“ Bereits im Alter von zehn Jahren wurden die Jungen in das Deutsche Jungvolk (DJ), die Mädchen in den Jungmädelbund (JM) eingegliedert. Das waren Unterorganisationen der HitlerJugend, die die Jugendlichen ab 14 Jahren übernahmen und einer weiteren und vertiefenden Erziehung im Sinne der NS-Weltanschauung unterzogen. Der bekannte Schauspieler Joachim Fuchsberger erinnert sich an seine Jugend unterm Hakenkreuz und bekannte 2011 auf „Spiegel Online“: „Hitler hat mir die Kindheit gestohlen“. „Beim Jungvolk sollten wir lernen, unseren Vorgesetzten zu gehorchen und uns der Partei unterzuordnen. Wir wurden regelrecht dressiert. Jeden Mittwoch und Samstag mussten wir in Uniform antreten. Wir wurden gezwungen, in Sechserreihen im Gleichschritt durch die Stadt zu marschieren und bescheuerte Lieder wie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ zu singen. Es wurde auch viel Sport gemacht, vor allem Leichtathletik, laufen, springen, werfen. Oft gab es politische Schulungsabende, an denen uns die Lehren der Nationalsozialisten eingebläut wurden: dass unser Führer Adolf Hitler alle Feinde vernichten und mit unserer Hilfe das Deutsche Reich errichten würde. So ein Blödsinn.“ Schon Kinderbücher und Kinderspielzeug förderten die Erziehung zum Antisemitismus, verbreiteten offen antijüdische Feindbilder und Vorurteile. Auch andere Zeitzeugen berichten vom militärischen Drill im Deutschen Jungvolk, von der Einübung von Befehl und Gehorsam als Grundregeln des NS-Führerstaats. Für die „Pimpfe“ so wurden die jüngsten HJ’ler genannt allerdings geschickt verpackt als großes kindliches „Abenteuer“: Fahrradausflüge, Wanderungen, Zeltlager, Spiele, Sport und Lagerfeuer. Auch für die Einübung zukünftiger NSFrauenrollen hielt der „Jungmädelbund“ bereits attraktive Freizeitangebote parat. Sie reichten von einschlägigen Bastelstunden für die Jüngeren über breit angelegte Sportkurse bis hin zu den „Spielscharen“. Sie waren Sonderformationen der HJ, in der das musische Interesse und Talent von Mädchen und Jungen angesprochen wurden. In Chören, Fanfarenzügen und Orchestern wurden völkische Lieder gesungen, traditionelles Brauchtum in Tänzen und Ritualen gepflegt und wiedererweckt. Die „Spielscharen“ sollten gemeinschaftsbildende Funktionen erfüllen. Sie sollten die Kinder über Gesang und Instrument gefühlsmäßig und nicht intellektuell an den Nationalsozialismus und seine völkisch-rassistischen Ideen binden. Seite 84 von 102 Clip 58: Die Erziehung zum Kriege – Die Verführungstricks der Hitlerjugend Autorität und autoritäres Verhalten waren die Kinder und Jugendlichen aus der Schule und dem Elternhaus gewohnt. Deutschland im Kaiserreich, wie auch später in der Weimarer Republik war eine autoritär geprägte Gesellschaft, beherrscht von Disziplin und Gehorsam. Kein Wunder also, dass vielen Kindern und Jugendlichen die Hierarchie, das Strammstehen, das Marschieren im „Deutschen Jungvolk“ und später in der HJ gut gefiel, zumal die Autorität nicht – wie sonst in der Gesellschaft – von Erwachsenen ausging, sondern hier Kinder und Jugendliche Gleichaltrige befehligten. Aus dem Prinzip der Hitlerjugend: „Jugend wird von Jugend geführt“, erwuchs – wie Zeitzeuge Werner Mork im „Forum Kollektives Gedächtnis“ berichtet –, das Gefühl einer Befreiung von Bevormundung. „Aus diesem Geist heraus“, schreibt Mork, „fühlten wir uns auch frei, trotz des Gehorsamsprinzips, das wir aber nicht als belastend oder als Unterdrückung ansahen.“ Jugendforscher Prof. Arno Klönne hat die Attraktivität der Hitlerjugend eingehend untersucht: Statement Klönne, Teil I Hinzu kam, dass die HJ den Jugendlichen half, „große Gefühle“ in Massenveranstaltungen, feierlichen Umzügen und Paraden, geselligem Lagerleben und Propagandamärschen auszuleben. Trotz Drill und Disziplinierung: Manchen war die HJ Befreiung aus bürgerlicher Enge, versprach Abenteuer und bediente damit auch die Sehnsucht von Jugendlichen, eine Antihaltung zur Welt der Erwachsenen zu entwickeln. Statement Klönne, Teil II Wie die anderen Parteiformationen, SA und SS, nutzte auch die HJ perfekt inszenierte Ritualfeiern, um ihre Mitglieder gefühlsmäßig an die völkischen Ideale der Nationalsozialisten zu binden. Jugendliche Sinnsuche fand Erfüllung in der Begegnung mit der mythischen Welt der Germanen. Abenteuerlust wurde in Geländespielen ausgetobt, der Wissensdurst in militärischtechnischen Kursen. Nur – die jugendliche Sehnsucht nach Gemeinschaft und Identität wurde von den Nazis brutal ausgenutzt, um die ihnen zum Schutz befohlenen Kinder und Jugendlichen für den Krieg zu erziehen – für eine Welt, in der Pflichterfüllung und Willensstärke, Kameradschaft und Gefolgschaftstreue, körperliche Leistungsfähigkeit und militärtechnisches Wissen über Leben und Tod entscheiden sollten – Tugenden, die die Heranwachsenden tatsächlich schon sehr bald brauchen. Denn schnell machten die Nazis aus Spiel Ernst, und die Hitlerjungen von gestern wurden zu den jungen Soldaten von 1939, die Hitlers Angriffskrieg in ganz Europa zu führen hatten. Ihrem „Führer“ bedingungslos folgend, taten sie dies überwiegend begeistert. Seite 85 von 102 Clip 59: Von Kriegern und Müttern – Rollenbilder in der HJ und im BDM O-Ton Propagandafilm Ganz nebenbei wird in diesem Propagandastreifen aus der Reise junger HJ’ler nach Ostpreußen ein Truppenbesuch. Eingliederung in eine militärische Hierarchie, das Akzeptieren und Befolgen von Befehl und Gehorsam, der Erwerb militärisch-technischer Kenntnisse – das waren die eigentlichen Ziele der „Hitler-Jugend“. Sport, Spiel, vormilitärische Übungen und militärische Ausbildung begannen sich in der HJ ab1936 systematisch zu vermischen und zu verbinden. Ab diesem Jahr war die Parteiorganisation durch das „Gesetz über die Hitlerjugend“ Elternhaus und Schule gleichgestellt worden. Die Militarisierung der Jugend konnte vollzogen werden. Dass die NS-Führung keinen Hehl daraus machte, dass aus Spiel nun sehr bald Ernst würde, zeigen diese Ausschnitte aus einem Propagandafilm, der offen für die Erziehung zum Kriege wirbt. In den für Jugendliche durchaus attraktiven Freizeitangeboten der Untereinheiten der HitlerJugend, wie beispielsweise der Marineoder der Flieger-HJ, üben die Jungs – das zeigen die Bilder deutlich – militärische Techniken ein. Solche Filme wurden den Jugendlichen in der HJ in den sogenannten „Jugendfilmstunden“ präsentiert. Diese Propaganda verfehlte ihre Wirkung nicht. Bilder von 1938. Sie zeigen, wie es den Machthabern in Deutschland in wenigen Jahren gelang, durch Zwang, aber auch durch eine geschickte Jugendpolitik, eine männliche „Staatsjugend“ zu formieren. Sie war nun bereit, für „Führer, Volk und Vaterland“ alles zu geben. Und schon ein Jahr später würden diese Jungen als junge Landser und Offiziere geradewegs in den II. Weltkrieg hineinmarschieren. Begleitet wurden die jungen Krieger von Mädchen und Frauen, denen die Nazis gleichfalls klare Rollen in Staat und Gesellschaft zugewiesen hatten. Der Körperkult im Sinne des nationalsozialistischen Sozialdarwinismus zielte auch bei den Mädchen und jungen Frauen auf das Heranzüchten kerngesunder Körper ab. Damit sie ihre von staatswegen vorgegebenen Aufgaben für die „Volksgemeinschaft“ erfüllen, sahen sich junge Frauen im NS-Reich mit einem regelrechten „Mutter-Kult“ konfrontiert. Im öffentlichen Leben, in Kunstausstellungen und Filmen wurden die biologischen Funktionen der Frau verehrt und sie auf die Rolle als Mutter reduziert und besonders dann in den Kriegsjahren – als Kameradin für den Mann angesehen, der an der Front kämpft. Während des Krieges kamen daher weitere Rollen für die Frauen hinzu: BDM’ler wurden als Schwesternhelferinnen und Krankenschwestern bei der Verpflegung von Verwundeten während des Luftkrieges eingesetzt, mussten Fabrikarbeit leisten oder waren als Funkerin im militärischen Einsatz. So übernahmen Frauen zunehmend Tätigkeiten, die zuvor den Männern vorbehalten waren. Doch subjektives Empfinden, eigene Gedanken, Wünsche und Gefühle waren bei Frauen wie bei Männern in der NS-Kriegsgesellschaft nicht gefragt. In der deutschen „Volksgemeinschaft“ ließ der Staat nur die heterosexuelle Partnerschaft „arischer“ Deutscher zu. Als „sittlich“ galt, wer in seiner Ehe so viele Kinder wie möglich zeugte. Bei Eheschließung gewährte der Staat einen finanziellen Anreiz von 1.000 Reichsmark, umgerechnet heute ca. 4.000 €. Für jedes Kind gab es 25 Prozent Rabatt, nach vier Kindern war der Staatskredit „zurückgezeugt“, doch die Kinder sollten auch fortan dem Staat „gehören“. Wenn Jugendliche dagegen opponierten, und sei es nur durch einen individuellen Kleidungsstil, gar durch freiere Formen der Sexualität oder durch einen eigenen Musikgeschmack, wie etwa die „Swing-Jugend“, so wurden sie von der Geheimen Staatspolizei gnadenlos verfolgt. Seite 86 von 102 Clip 60: Die Faszination der „Blitzsiege“ – Soldaten als Kriegshelden Im Dritten Reich sahen die Helden so aus. Da die Ausbildung der „Staatsjugend“ im Dritten Reich auf eine Erziehung zum Kriege abzielte, war es für die Nazis durchaus folgerichtig, nach Beginn des deutschen Angriffskrieges ab dem 1. September 1939 besonders Soldaten und Offiziere der Wehrmacht zu Kriegshelden für die jungen Leute aufzubauen. Die schnellen Anfangserfolge der deutschen Armee am Beginn des Zweiten Weltkriegs – Polen wurde in 37 Tagen, Frankreich 1940 in 42 Tagen besetzt – nährte den, unter Historikern mittlerweile höchst umstrittenen Mythos von den „Blitzsiegen“ der Deutschen. Die Wehrmacht hatte durch den Sieg über Frankreich den „Versailler Vertrag“ und damit das seit 1918 schwelende nationale Trauma vieler Deutscher revidiert. Geschickt nutzte Hitler, der während des Westfeldzugs zauderte, die Euphorie des Sieges für die eigene Person und ließ sich nach seiner Rückkehr aus dem besetzen Paris im Juni 1940 in Berlin von Hunderttausenden als „Größten Feldherrn aller Zeiten“ feiern. Nach siebeneinhalb Jahren Gewaltherrschaft und wenigen Monaten Weltkrieg war der Diktator auf dem Höhepunkt seiner Popularität in Deutschland angekommen. Die euphorische Kriegsstimmung verfehlte auch ihre Wirkung auf Jugendliche in Deutschland nicht. Besonders Soldaten und Offiziere der Luftwaffe wie der schnellen Panzerverbände wurden ihnen nun von den Machthabern als Heldenfiguren präsentiert. Kommandeur Erwin Rommel schaffte mit seiner 7. Panzerdivision während des Westfeldzugs bis zu 120 Kilometer an einem Tag: militärischer Weltrekord. Dadurch wurde der spätere „Wüstenfuchs“ kurzzeitig zu Hitlers Lieblingsgeneral. Adolf Galland, jüngster Wehrmachtsgeneral und berühmter Jagdflieger, gehörte gleichfalls zu Hitlers Kriegs-Ikonen. Er war schon 1937 beim verbrecherischen Luftangriff auf die Stadt Guernica während des Spanischen Bürgerkriegs auf Seiten der deutschen „Legion Condor“dabei. Später schoss er in mehr als 100 Luftkämpfen die gegnerischen Piloten Aug’ in Aug’ ab. Galland wurde von nicht wenigen jungen Leute in jenen Tagen bewundert, wie heute PopStars gefeiert und bewundert werden. Von den Hitlerjungen und BDM’lern begeistert aufgenommen, wird in diesen Propagandaaufnahmen auch die Flugkapitänin Hanna Reitsch. Sie kämpfte als einzige weibliche Testpilotin an der Front und wurde dafür von Adolf Hitler mit dem „Eisernen Kreuz“ dekoriert. In diesen Propagandabildern befragt Großadmiral Dönitz bei einem Besuch der Marine-HJ, was die Hitlerjungen denn später werden wollen. O-Ton Propagandafilm Die NS-Propaganda wollte, dass alle Jungen es ihren Idolen gleichtun sollten. In der Tat begeisterten sich viele für den Kriegseinsatz und meldeten sich freiwillig z.B. zur Waffen-SS. O-Ton Klönne Und als schließlich der selbst angezettelte Krieg gegen Deutschland zurückzuschlagen begann, schreckte die NS-Propaganda nicht davor zurück, sogar Kinder als Helden des Kampfes vorzuführen, um selbst die Jüngsten noch für den mörderischen „Endsieg“ zu begeistern. O-Ton Propaganda Seite 87 von 102 Clip 61: Heldenmythos und Kriegsrealität 1940 in Deutschland: Es herrschte allgemein „Heldenverehrung“. Hitler wurde von der Mehrheit der Bevölkerung nach den schnellen Siegen zu Beginn des 2. Weltkriegs als Kriegsheld gefeiert. Viele Jugendliche begeisterten sich für Kriegsidole, für U-Boot-Fahrer und Kampfflieger. Die Stimmung begann zu kippen, als sich der Versuch der Wehrmacht, Großbritannien aus der Luft zu besiegen, ab Sommer 1940 hinzog und die Luftwaffe schließlich im Frühjahr 1941 die Luftschlacht um England verloren geben musste. Die deutschen Kampfflieger, noch vor wenigen Monaten Kriegshelden, waren entzaubert, der Krieg begann nun auch für die Deutschen sein grausames Gesicht zu zeigen. Nach dem Überfall der deutschen Armee auf die Sowjetunion im Sommer 1941 sahen sich immer mehr junge Soldaten mit der brutalen Kriegsrealität konfrontiert. Sie hatte nichts gemein mit den propagandistischen Heldenmythen, mit denen die jungen Soldaten im Nazireich aufgewachsen waren. „Es war grauenhaft, und so bleibt es“, beschreibt der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einem SPIEGEL-Gespräch 2009 seine Erlebnisse als junger Soldat an der Ostfront. Seine Einheit kämpfte im Winter 1941 vor Moskau und gehörte später zu den deutschen Belagerungstruppen vor Leningrad. Im November 1942 wurde ein weiterer Kriegsheld der Nazipropaganda seiner Aura beraubt: Erwin Rommel, mittlerweile Befehlshaber des Afrikakorps und von Hitler wegen seiner Anfangserfolge in Nordafrika zum Generalfeldmarschall ernannt, konnte mit seinen Panzerverbänden den Durchbruch der Alliierten bei El Alamein nicht verhindern. Im Mai 1943 kapitulierte das Afrikakorps. 130.000 deutsche Soldaten wanderten in die Kriegsgefangenschaft. Allein auf deutscher Seite hatten 18.400 Soldaten während der Schlacht im Wüstensand El Alameins ihr Leben gelassen. Allmählich wurde den jungen Soldaten und Offizieren an den Fronten des Krieges klar, was die eigentliche Botschaft der NSHeldenverehrung war: der Tod. Statement Scheunemann Seite 88 von 102 Clip 62: Die jungen Toten von Stalingrad Am 2. Februar 1943 kapitulierten die deutschen Truppen im Nordkessel Stalingrads. Zwei Tage zuvor war Generalfeldmarschall Friedrich Paulus im Südkessel verhaftet worden und hatte die Schlacht mit seinen Truppen für verloren erklärt. Das war der 31. Januar 1943, 10 Jahre nach Hitlers Machtergreifung. Die Schlacht um die Wolgastadt, die Stalins Namen trug, und die für beide Gewaltherrscher, in Berlin wie in Moskau, kriegsentscheidend werden sollte, markierte einen tragischen Höhepunkt jener Erziehung zum Kriege, die die jungen Soldaten in Hitlers Deutschland 10 Jahre lang erfahren hatten. Sie sollten im Sommer 1942 einfach nur durchmarschieren bis zu den kriegswichtigen Ölfeldern im Kaukasus. Auf dem Weg dorthin wollte Paulus’ 6. Armee in acht Tagen ganz nebenbei Stalingrad erobern, damals die wichtigste Metropole der russischen Rüstungsindustrie. Ab 23. August 1943 begannen die Deutschen mit Flächenbombardements. Sie forderten 40.000 Tote unter der Zivilbevölkerung in nur einer Woche. Doch den sowjetischen Widerstand konnten die Deutschen nicht brechen. Stalin wollte die Stadt nicht preisgeben. Schließlich stimmte er den Evakuierungsplänen seines zuständigen Politkommissars Nikita Chruschtschow doch noch zu. Die deutschen Truppen besetzten eine zerstörte, fast menschenleere Stadt und – saßen in der Falle. Die sowjetischen Truppen begannen einen zermürbenden Häuserkampf und spielten auf Zeit. Stalin ahnte, Hitler würde schon aus Prestigegründen auf die Eroberung der Stadt bestehen, die den Namen seines „Erzfeindes“ trug. Hitlers Starrsinn wurde den überwiegend jungen deutschen Soldaten in Stalingrad zum Verhängnis. Ende November 1942 schloss die Rote Armee ihren Belagerungsring um die Stadt. Die deutschen Soldaten der 6. Armee waren eingekesselt. Nachschub aus der Luft kam trotz vollmundiger Ankündigungen des Naziführers Hermann Göring kaum durch. Obwohl Hitler die 6. Armee im russischen Winter 1942/43 gegenüber seinem Vertrauten Joseph Goebbels schon für verloren erklärte, befahl er dennoch, Stalingrad bis zum letzten Mann zu halten. Bis auf wenige Ausnahmen gehorchten die Offiziere und Mannschaften dem Führerbefehl: Wer sich der Roten Armee zu ergeben versucht, würde erschossen, hieß die Parole. Und auch auf russischer Seite standen Erschießungskommandos hinter der kämpfenden Truppe. Sie hatten Befehl, jeden zu erschießen, der von der Front zu desertieren versuchte. Die sowjetische Militärführung hatte sich erklärtermaßen an der deutschen ein Beispiel genommen. So begann der massenhafte Soldatentod in der Schneewüste von Stalingrad. Rund 150.000 deutsche Soldaten wurden in den Häuserkämpfen getötet, erfroren vor Kälte oder erlagen Hunger und Krankheiten. Historiker schätzen die Zahl der Toten auf sowjetischer Seite sogar auf mehr als 300.000. Nach der Kapitulation in Stalingrad gingen 91.000 deutsche Soldaten in eine mörderische Kriegsgefangenschaft der Sowjets. Nur ca. 6.000 überlebten; 85.000 Soldaten bezahlten den Glauben an den Führer selbst nach dem Krieg mit ihrem Leben. Seite 89 von 102 Clip 63: Kinder und Jugendliche an der „Heimatfront“ Deutschland 1943: Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad war die Stimmung unter der Bevölkerung schlecht. Die Propaganda redete die Niederlage schön, doch viele ahnten: der Krieg wird verloren gehen. Dennoch folgte die Mehrheit weiterhin den Befehlen der NaziFührung. Propagandaminister Joseph Goebbels beschwor in einer inszenierten Veranstaltung im Berliner Sportpalast vor handverlesenem Publikum im Februar 1943 den Kampfgeist und den Siegeswillen der Deutschen. Doch die Alliierten ließen sich von solchen Propagandashows der Nazis nicht beeindrucken. An allen Fronten rückten sie vor und schlugen die Deutschen zurück wie hier bei der Landung von Briten und Amerikanern im Juli 1943 auf Sizilien. Nacht für Nacht bombardierte die Royal Air Force deutsche Städte. Am Beginn des Krieges hatten deutsche Stukas und Heinkel-Bomber Großstädte in Polen, den BeneluxStaaten, Frankreich, schließlich in England in Schutt und Asche gelegt, wie hier die britische Stadt Coventry 1940. Der deutsche Luftkrieg forderte nach Schätzungen von Historikern allein in Großbritannien mehr als 60.000 Todesopfer unter der Zivilbevölkerung. Die Männer, die diese Luftangriffe ins Werk setzten, die Piloten der deutschen Luftwaffe, wurden von nicht wenigen jungen Leuten in Deutschland als Kriegshelden verehrt. Doch nun war der Bombenkrieg umgeschlagen, nun schlugen die alliierten Luftstreitkräfte gegen die deutsche Zivilbevölkerung zurück, konnten aber deren Kampfmoral nicht brechen. Auch in anderer Hinsicht spielte der gnadenlose alliierte Luftkrieg, dem bis 1945 mehr als 600.000 Zivilisten in Deutschland zum Opfer fielen, den Nazis eher in die Hände: Vor dem Hintergrund wachsender Luftangriffe und größer werdender Versorgungsprobleme in den Städten ließ die Naziführung vornehmlich durch HJ und BDM die sogenannte „Kinderlandverschickung“ organisieren. Bis zum Ende des Krieges wurden ca. 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche zumeist mit dem Zug aus den Städten in ländliche Gebiete evakuiert. Der Staat trennte sie von den Eltern. Die Kinder und Jugendlichen lebten monatelang, manchmal mehr als ein Jahr in ehemaligen Schullandheimen, Zeltlagern oder Jugendherbergen. Iinsgesamt gab es ca. 9.000 Lager. Hier konnten die Nazis den Nachwuchs – ungestört von jedem elterlichen Einfluss – ganz in ihrem Sinne erziehen. Den Kindern wurde die „Kinderlandverschickung“ von der NS-Propaganda wieder einmal als „großes Abenteuer“ angepriesen und ihren Eltern als „gesundheitsfördernde Maßnahme für Stadtkinder“ präsentiert. Doch viele Kinder überkam schnell Heimweh und Sehnsucht nach den Eltern. Sie litten unter der langen Zeit der Trennung, ja, wussten in den gefährlichen Zeiten des Krieges nicht einmal, ob sie Mutter und Vater überhaupt je wiedersehen würden. Die Jungen und Mädchen der HJ und des BDM, die an der sogenannten „Heimatfront“ blieben, wurden derweil immer stärker in den Krieg hineingezogen. Erst halfen die Hitlerjungen, die Trümmer der Luftangriffe zu beseitigen, waren als AushilfsFeuerwehrleute an der Brandbekämpfung beteiligt oder waren zur Arbeit in Rüstungsbetrieben dienstverpflichtet. Ab 1944 wurden die Hitlerjungen schließlich auch im Abwehrkampf als Flakhelfer gegen die anfliegenden alliierten Bomberflotten eingesetzt. Die BDM’lerinnen halfen an der „Heimatfront“ als Kindergärtnerinnen oder Schwesternhelferinnen aus. Ab 1944 wurden sie auch als „Wehrmachtshelferinnen“ eingesetzt. Die gemeinsamen Aktivitäten von Mädchen und Jungen in den HJ-„Spielscharen“ wurden bis zum Kriegsende aufrechterhalten. Das Singen und Musizieren sollte die Jugendlichen ablenken und ihnen Normalität vorgaukeln jenseits des bedrohlichen Kriegsalltags. Gemeinsam wurden Jungen und Mädchen der „Staatsjugend“ schließlich auch in der Landarbeit eingesetzt, was die Filmpropaganda in idyllischen Farbbildern auszuschlachten wusste. Nicht weit entfernt von den saftigen Almen fiel Deutschland derweil Stück für Stück in Trümmer. Seite 90 von 102 Clip 64: Kinder-Soldaten im „Volkssturm“ Nach Einführung der Pflichtmitgliedschaft in der HJ 1939 forcierte die Nazi-Elitetruppe SS unter Leitung Heinrich Himmlers die militärische Ausbildung der Hitlerjungen. Noch vor und dann während des Krieges wurden die Jungen in sogenannten „Wehrertüchtigungslagern“ auf ihre zukünftigen Aufgaben in der SS und Waffen-SS vorbereitet. Schnell ging die Saat der militärischen und ideologischen Beeinflussung seitens der NaziMachthaber während des Krieges auf. Viele Jungen traten freiwillig den „Sturm-Staffeln“ bei. Sie waren es, die federführend Kriegsund Holocaust-Verbrechen in den besetzten Gebieten wie auch in Deutschland selbst begingen. Die jüngsten Soldaten zu Kriegsbeginn 1939 waren noch 19 Jahre alt, 1941/42 nur noch 18, ab 1943 stellte die HJ schon Freiwilligen-Divisionen mit 17Jährigen auf, am Ende des Krieges wurden von der Naziführung sogar 12und 13-Jährige ins Feuer des Krieges geschickt. Die Indoktrination hatte gewirkt, die Propaganda gegriffen. Die Jungen und Jüngsten liebten „ihren Führer“, schrieben wie dieser Pimpf zu Führers Geburtstag 1944 begeistert Grüsse an den „lieben Onkel Hitler“. Sie hoben Schützengräben aus, bauten Barrikaden und Panzersperren. Sie glaubten an den von Hitler beschworenen „Endsieg“. Sie waren bereit, hierfür bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. „Wir sind geboren, um für Deutschland zu sterben“, lautete ein Wandspruch in einem HJ-Heim. Es war das letzte Aufgebot, das im sogenannten „Volkssturm“ im September 1944 von der Naziführung in ganz Deutschland zusammengezogen wurde. Vornehmlich alte Männer und Hitlerjungen, alle zwischen 16 und 60 wurden von den Nazis zwangsrekrutiert. Schlecht ausgebildet und nur mit Karabinern, Maschinengewehren und Panzerfäusten bewaffnet, sollten sie den hochgerüsteten und kampferprobten Armeen der Alliierten auf deutschem Boden Paroli bieten – ein hoffnungsloses, oft tödliches Unterfangen für die „Volksstürmer“ und eine verbrecherische Tat all derjenigen, die sich diesen absurden „Volkssturm“ ausgedacht hatten. Den zivilen Kampf bis zur letzten Patrone und bis zum totalen Untergang flankierten die Nazis, indem sie selbst Anfang 1945 noch, hier HJ-Führer Arthur Axmann mit Adolf Hitler, Kinder-Soldaten propagandistisch als Kriegshelden präsentierten und den Glauben an frische Heerestruppen und vermeintliche Wunderwaffen in der Bevölkerung nährten. Doch die Kriegsrealität in Deutschland hatte nichts Heroisches, war zum blanken Horror auch für Kinder und Jugendliche geworden, wie der im Jahre 2011 verstorbene Fernsehjournalist Reinhard Appel in diesem Interview aus den 1980er Jahren zu berichten weiß. O-Ton Appel Seite 91 von 102 Clip 65: Kindheit in Trümmern 1945 Sommer 1945 in Berlin. Kinder spielten auf zerstörten Geschützen und ausgebrannten Panzern. Vor wenigen Wochen noch tödliche Waffen waren die Kriegsgeräte nun zu pittoresk anmutenden Spielplätzen für eine Kindheit in Trümmern geworden. Was heute wie ein riesiger Abenteuerspielplatz anmuten mag, war bei Kriegsende eine grausame und harte Realität für Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland. Schon das Spielen in den Trümmern war nicht ungefährlich. Überall lag scharfe Munition herum. Es kam zu Verletzungen und tödlichen Unfällen. Der mörderische Krieg, den die Deutschen begonnen hatten, hatte ihnen nun ein gänzlich zerstörtes Land beschert. Amerikaner, Russen, Briten und Franzosen hatten die NaziDiktatur besiegt und das Land besetzt. Deutschland als souveräner Staat war aufgelöst. Hunderttausende Soldaten waren in Kriegsgefangenschaft ebenso wie die alten Männer und Hitlerjungen, die den „Volkssturm“ überlebt hatten. Dafür kamen endlich wieder diejenigen frei, die die Nazis lange Jahre in den Konzentrationslagern eingesperrt und gequält hatten. Diese Kinder hatten die Tortur im KZ Bergen-Belsen überlebt. Sie wurden von der britischen Armee befreit. Nun waren mehr als sechs Millionen Deutsche auf der Flucht oder wurden aus den Ostgebieten vertrieben. Darunter waren fast eine Million Kinder. Viele hatten ihre Eltern und Familienangehörigen auf der Flucht verloren. Das Deutsche Rote Kreuz und andere humanitäre Organisationen richteten Suchdienste ein, damit die Kinder ihre Eltern oder wenigstens einen Angehörigen wieder finden konnten. In Deutschland herrschte bittere Armut, Hunger, Verelendung. Besonders die Kinder waren betroffen. Kinder marodierten hungernd durch die Straßen, immer auf der Suche nach Essbarem, nach Brennholz, dem Lebensnotwendigen. Die hygienischen Verhältnisse in den ausgebombten Wohnquartieren waren katastrophal; Hautausschläge, Krätze und Läuse waren die Folge. Immer wieder mussten selbst Kleinkinder die Prozedur der Desinfektion über sich ergehen lassen. Schlechte Kleidung, fehlendes und kaputtes Schuhwerk führte bei vielen Kindern zu Erkältungen und Rheumatismus, ließ sie an Blase und Nieren erkranken; nur wer Schwarzmarktware hatte, konnte seinen Kindern auch neues Schuhwerk besorgen. Auch die Schulen waren weitgehend zerstört, ohne Fenster, mit nur noch wenig brauchbarem Mobilar. Bis Herbst 1945 wurden aber zum Beispiel in 290 Berliner Schulen ca. 3.000 Schulräume von den ursprünglich 13.000 Klassenräumen soweit wieder hergestellt, dass das Schuljahr am 1. Oktober beginnen konnte. Die Einführung der Schulspeisung, in Berlin ab November 1945, half erste Not lindern. Vereinzelt öffneten wieder Kindergärten – wie hier in Köln; Erzieherinnen halfen, durch Spiel und Tanz den Kindern über die harten Alltagsprobleme hinweg zu kommen. Die Embleme der Naziherrschaft waren schnell beseitigt, die HJ wie alle anderen NaziOrganisationen sofort verboten. Doch in den Köpfen manch fanatisierter Jugendlicher spukte der Traum vom „Endsieg“ noch immer herum. Ehemalige Hitler-Jungen begannen nach der Waffenruhe als so genannte „Wehrwölfe“ eine Art Guerillakampf besonders gegen die US-Armee. Die sah sich daraufhin veranlasst, die standrechtliche Erschießung solch eines „Werwolfs“ in Wochenschauen im Kino zu zeigen zur Abschreckung für das vornehmlich jugendliche Publikum. Andere Jugendliche, nicht minder orientierungslos, arm und verwahrlost, wurden vom illegalen Handel auf dem Schwarzmarkt magisch angezogen. Sie begannen kriminelle Karrieren, wurden von den Behörden verfolgt, hatten große Schwierigkeiten, sich in einer Welt ohne Krieg und Gewalt zurechtzufinden und sich in der beginnenden neuen Zivilgesellschaft auf deutschem Boden zu orientieren. Doch es gab auch solche Szenen im ersten Nachkriegssommer in Deutschland. Momente des Friedens, Seite 92 von 102 Augenblicke, auch für Kinder und Jugendliche, die ihnen Hoffnung gaben auf eine bessere Zukunft. Seite 93 von 102 Clip 66: Anne Frank (1929 – 1945) Anne Frank wird 1929 als jüdische Kaufmannstochter in Frankfurt am Main geboren. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 emigriert die Familie nach Amsterdam. Im Mai 1940 marschieren die deutschen Truppen in die Niederlande ein. Unter der deutschen Besatzung dürfen Juden nun nicht mehr ausreisen. Auch Anne Frank und ihre Familie haben unter den antijüdischen Gesetzen wie etwa der Einführung des „Judensterns“ zu leiden. Am 14. Juni 1942 beginnt Anne Frank ihre Erlebnisse in einem Tagebuch festzuhalten. Wenig später, am 6. Juli, beginnen die Deportationen der mehr als 100.000 Juden in den Niederlanden. Sie werden verhaftet und im Konzentrationslager Westerbork interniert. Von dort transportieren sie die Deutschen in Eisenbahnwaggons in die Vernichtungslager in Osteuropa, vornehmlich nach Auschwitz-Birkenau. Dort werden die Juden massenweise ermordet. Anne Frank, ihre Familie und vier weitere Personen verstecken sich im Hinterhaus der Prinsengracht 263, dem Geschäft des Vaters. Angestellte versorgen die Versteckten. Anne Frank beschreibt die Konflikte und Krisen, die sie und die anderen sieben Menschen auf engstem Raum in ihrem Versteck durchleben müssen. Am 4. August 1944 werden Anne Frank und die anderen Versteckten verhaftet. Ihr Versteck wurde verraten. Anne Franks Tagebuch finden die Sicherheitspolizisten nicht. Im März 1945 stirbt Anne Frank im KZ Bergen-Belsen an Typhus. 1947 gibt ihr Vater Anne Franks Tagebuch heraus. Otto Frank hat als einziger in der Familie den Holocaust überlebt. Das Buch wird in 55 Sprachen übersetzt und gilt bis heute als wichtiges Zeitdokument. Es ist zum Symbol und zur Anklage gegen den Rassenwahn der Nationalsozialisten geworden. Seite 94 von 102 Clip 67: Janusz Korczak (1878 – 1942) Der polnische Arzt Janusz Korczak gründete 1911 ein Waisenhaus für jüdische und katholische Kinder. Aus dem praktischen Umgang mit den Kindern heraus entwickelte er eine Erziehungstheorie, die die Achtung des Kindes betont und sich aus demokratischen Grundüberzeugungen speist. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen 1939 sind Korczak und sein Waisenhaus in Gefahr. Doch der Arzt und Pädagoge bleibt in Warschau. Sein Waisenhaus wird von den Nazis ins Warschauer Ghetto verlegt. Dort müssen die Kinder unter schwierigsten Bedingungen ums Überleben kämpfen. Doch Korczak bleibt an ihrer Seite. Auch dann noch als am 22. Juli 1942 die Deportationen der Juden aus dem Ghetto in die Vernichtungslager beginnen. Wieder hat der Arzt die Möglichkeit, dem Tod zu entrinnen. Doch Korzcak begleitet seine Kinder nach Treblinka. Dort wurde er wahrscheinlich am 5. August 1942 zusammen mit den Kindern ermordet. Seite 95 von 102 Clip 68: Leo Baeck (1878 – 1956) Im ersten Weltkrieg wirkten an den Kriegsfronten nicht nur Feldpfarrer der christlichen Kirchen, wie hier der russisch-orthodoxen Kirche auf Seiten der zaristischen Armee an der Ostfront. Es gab auch Feldrabbiner. Einer von ihnen war Leo Baeck. Nach dem Krieg kehrte Baeck nach Berlin zurück. Als führender Vertreter eines jüdischen Liberalismus bemühte sich Baeck von der Jüdischen Gemeinde Berlin aus um eine Verständigung zwischen Juden und Christen. Auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verließ der Rabbiner seine Heimat nicht. Als sich die jüdischen Verbände und Gemeinden 1934 in der „Reichsvertretung der Deutschen Juden“ zusammenschlossen, wurde Leo Baeck ihr Präsident. Gemeinsam mit dem Philosophen Martin Buber kämpfte Baeck um eine aufrechte selbstbewusste Haltung der deutschen Juden gegenüber dem Antisemitismus der neuen Machthaber. Baeck und Buber organisierten unter dem Dach des „Jüdischen Kulturbundes“ Vorträge und kulturelle Veranstaltungen, die dem Zusammenhalt der deutschen Juden dienten, identitätsstiftend und -stärkend waren. Unter dem Schutz Leo Baecks gründete der Theatermacher Kurt Singer ein Jüdisches Theater in Berlin. Während der Novemberpogrome am 9. und 10. November 1938 zerstörten die Sturmtruppen der Nationalsozialisten auch Leo Baecks Wirkungsstätte, die Synagoge in der Fasanenstraße. Kurz zuvor, am 1. November, war Martin Buber aus Deutschland emigriert. Baeck organisierte zwar die Emigration von Juden, er selbst blieb aber mit seiner Familie in Deutschland. Noch bis 1941 konnte der Theologe trotz aller Schikanen den „Jüdischen Kulturbund“ mit zahlreichen Veranstaltungen aufrechterhalten. 1943 wurde Baeck mit seiner Familie in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Dort überlebte er schwerverletzt. Nach der Befreiung 1945 ging der Rabbiner nach London. Von hier aus unternahm er bis zu seinem Tode im Jahre 1956 neue Bemühungen um die Verständigung zwischen den Glaubensrichtungen in Deutschland. Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, in dem sich im Oktober 1945 Vertreter der christlichen Kirchen in Deutschland zu einer Mitschuld an den NS-Verbrechen bekannt hatten, kam hierbei Baecks Initiativen zum Dialog und zur Begegnung zwischen Juden und Christen entgegen. Seite 96 von 102 Clip 69: Erich Fried (1921 – 1988) Mit 17 wird der junge Erich Fried mit der NS-Judenverfolgung konfrontiert. Fried lebt mit seinen Eltern in Wien, als nach der Besetzung Österreichs durch die Deutschen Adolf Hitler im März 1938 triumphal in der österreichischen Metropole empfangen wird. Hitler kehrte zurück in die Stadt, in der er vor dem 1. Weltkrieg zum Antisemiten wurde. Nun ließ er seinen Hass auch an allen österreichischen Juden aus. Im April werden Erich Frieds Eltern verhaftet, die Gestapo foltert seinen Vater zu Tode. Erich Fried flieht quer über den Kontinent nach Großbritannien. In London arbeitet er bei einer jüdischen Fluchthilfe-Organisation mit. Es gelingt ihm, seiner Mutter Nellie und weiteren 70 Personen zur Flucht zu verhelfen. Fried gründet die „Emigrantenjugend“, beginnt mit der schriftstellerischen Arbeit. 1943 stirbt Frieds Großmutter Malvine im KZ Auschwitz. Er widmet ihr das folgende Gedicht: Großmutter Beim ersten und zweiten Mal wenn du niesen musstest sagtest du „Helf Gott!“ zu dir beim dritten Mal nur noch „Zerspring!“ Unsinn sagtest du wenn du deine Hoffnung meintest und Tanz statt Liebe und elende Laune statt Trauer Wie du deinen Tod genannt hast im Lager das weiß ich nicht Nach 1945 bleibt Erich Fried in London, kehrt aber immer wieder in die Bundesrepublik zurück und wird zu einem kritischen Mahner ihrer Geschichte. 1968 steht er auf Seiten der rebellierenden Studenten. Fried nimmt im Februar am „VietnamKongress“ des SDS in Berlin teil und ist einer der Hauptredner bei der Kundgebung gegen die Notstandsgesetze in Bonn im Mai 1968. Mit Rudi Dutschke ist Fried befreundet. Als der Studentenführer bei einem Attentat 1968 schwer verletzt wird und sich in der Bundesrepublik nicht mehr sicher fühlt, gelingt es Fried, Dutschke und seiner Familie eine Einreisegenehmigung nach Großbritannien zu besorgen. Obwohl kein Anhänger terroristischer Gewalt, verteidigt Fried Mitte der 1970er Jahre die Beweggründe der Anführer der „Baader-Meinhof-Gruppe“. Ulrike Meinhof bezeichnet er sogar „als größte deutsche Frau seit Rosa Luxemburg“. Auch an der Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Deutschland ist Fried in den 1980er Jahren aktiv beteiligt. 1988 muss Erich Fried die Dreharbeiten für eine ARD-Fernsehdokumentation über die November-Pogrome 1938 abbrechen. Er wird operiert und erliegt am 22. November 1988 in Baden-Baden den Folgen einer langjährigen Krebserkrankung. Seite 97 von 102 Clip 70: Max Liebermann (1847 – 1935) O-Ton Liebermann 1920 wird der Maler und Graphiker Max Liebermann, der hier von seiner Kindheit in Berlin berichtete, zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste berufen. Zu jener Zeit hatte sich Liebermann durch sein Werk bereits den Ruf erworben, einer der Hauptvertreter des Impressionismus in Deutschland zu sein. Seine frühen Arbeiten wie die „Gänserupferinnen“, die 1871 entstanden, waren stark inspiriert durch die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts und die französische Kunst des 19. Jahrhunderts, etwa durch die realistischen Milieudarstellungen Gustave Courbets wie hier in dem Bild „Steinklopfer“ von 1849. Auch Liebermanns Bilder zeichnen sich durch einen zügigen Pinselstrich und dramatischbewegende Motive aus. Nach 1895 wandte sich Liebermann stärker dem Impressionismus zu, die Themen der Bilder rückten in den Hintergrund. Klare Konturen verschwammen zugunsten von Fläche und Atmosphäre. In den 1920er Jahren ließen sich viele Größen aus Wirtschaft, Kultur, Politik und Wissenschaft von dem Berliner Künstler porträtieren, darunter auch Reichspräsident Paul von Hindenburg. Laut Protokoll sollte Liebermann von Hindenburg beim ersten Treffen mit den folgenden Worten ansprechen: „Eure Exzellenz, es ist für mich eine Ehre, Eure Exzellenz malen zu dürfen“. Doch Hindenburg kam dem Maler zuvor. Er begrüßte Liebermann mit den Worten: „Eure Exzellenz, es ist für mich eine Ehre, von Eurer Exzellenz gemalt zu werden.“ 1933 erteilten die nunmehr diktatorisch regierenden Nationalsozialisten dem berühmten Maler und Graphiker Arbeitsverbot. Grund: Liebermann ist Jude, entstammt einer alteingesessenen jüdischen Familie in Berlin. Als die Preußische Akademie der Künste wenig später zudem beschloss, keine Werke jüdischer Künstler mehr auszustellen, erklärte Liebermann seinen Austritt aus der Akademie. Nach Jahren der Präsidentschaft war er seit 1932 ihr Ehrenpräsident. Liebermanns Traum, als assimilierter Jude in Deutschland unbehelligt leben zu können, war zerstoben. Die beginnende Judenverfolgung der Nazis kommentierte Liebermann mit beißendem Sarkasmus: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen könnte!“ Liebermanns Ausspruch machte Furore. Von den Nazis aus allen öffentlichen Ämtern gedrängt und in die „innere Emigration“ getrieben, starb Max Liebermann 1935 in Berlin. Das Bild eines Freundes, des berühmten Arztes Ferdinand Sauerbruch, wurde Liebermanns letzte Porträtarbeit. Auch hierzu gibt es eine Anekdote: Während Sauerbruch Liebermann Modell saß, fragte er den Maler: „Können Sie sich nicht ein bisschen beeilen? Bei Ihrer Arbeit kommt es doch nicht so drauf an!“ Liebermann entgegnete trocken: O-Ton Liebermann: „Wissen Sie ...“ Seite 98 von 102 Clip 71: Albert Einstein (1879 – 1955) 1921 wird in Potsdam der „Einsteinturm“ eingeweiht. Das Observatorium wurde von dem Architekten Erich Mendelssohn konzipiert. Der Turm trug den Namen Einstein, weil sich im Zentrum des Turms ein starkes Teleskop befand. Mit seiner Hilfe wollten die Wissenschaftler die Relativitätstheorie von Albert Einstein nun empirisch erforschen. Für seine revolutionären Forschungen im Bereich der theoretischen Physik erhält Einstein gleichfalls 1921 den Nobelpreis. Doch Einstein, seit 1914 an die Preußische Akademie der Wissenschaften berufen, fühlt sich in Berlin nicht mehr sicher. 1922 fällt Außenminister Walther Rathenau dem antisemitischen Anschlag einer rechtsradikalen Terrorgruppe zum Opfer; 1923 putscht der Rechtsextremist Adolf Hitler mit einigen Anhängern in München. Der Putsch wird zwar niedergeschlagen, doch Albert Einstein wird in Deutschland wegen seiner jüdischen Herkunft immer stärker angefeindet. Er verlässt häufig Berlin und kehrt 1933 nach Hitlers Machtergreifung von einem Aufenthalt in Pasadena (USA) nicht nach Deutschland zurück. Einstein legt alle Ämter nieder und emigriert in die USA, wo er im „Institute for Advanced Studies“ an der Princeton University eine neue Wirkungsstätte findet. Von hier aus engagiert sich Einstein gegen die Diktatur in Deutschland. Ende der Dreißiger Jahre haben die Nazis die Entwicklung der Raketentechnik soweit vorantreiben, dass die Gefahr besteht, Hitler könnte in den Besitz der Atombombe gelangen. Einstein unterstützt daraufhin eine Petition an USPräsident Roosevelt, den Bau einer USAtombombe zu forcieren. Als Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman 1945 tatsächlich den Abwurf von Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki befahl, um den Krieg der USA gegen Japan zu beenden, ist Einstein über das Ausmaß an Toten und Verwüstungen durch die Atombomben-Explosionen sehr erschüttert. Er engagiert sich fortan für eine ausschließlich friedliche Nutzung der Atomenergie. Albert Einstein stirbt am 18. April 1955 in Princeton. Seite 99 von 102 Clip 72: Carl von Ossietzky (1889 – 1938) In der Schlacht von Verdun lernt er das Grauen des 1. Weltkriegs kennen: Carl von Ossietzky. Nach Kriegsende kämpft er zunächst während der Novemberrevolution auf Seiten des Arbeiterund Soldatenrates in Hamburg für Frieden und Demokratie. Als Journalist und ab 1927 als Chefredakteur der politischen Zeitschrift „Weltbühne“ schreibt er flammende Artikel gegen Wiederaufrüstung und die Zerstörung der Republik durch antidemokratische Kräfte. Damit zieht er den Zorn rechtsradikaler Kreise besonders der Nationalsozialisten auf sich. Sie sehen in ihm eine Art „Staatsfeind Nr. 1“ und lassen ihn nach der Machtergreifung noch in der Nacht des Reichstagsbrandes am 28. Februar 1933 verhaften und foltern. 1936 liegt Carl von Ossietzky als Folge der KZ-Haft mit schwerer Tuberkulose in einem Berliner Krankenhaus. Da wird ihm überraschend der Friedensnobelpreis zuerkannt. Doch auch die internationale Würdigung seiner Arbeit schützt ihn nicht vor der brutalen Willkür der Machthaber – im Gegenteil, Hitler verbietet jedem Deutschen jemals wieder einen Nobelpreis anzunehmen. Nach einem mehrjährigen Martyrium in verschiedenen Folterund Konzentrationslagern stirbt Carl von Ossietzky 1938 an den Folgen der grausamen Haft. Seite 100 von 102 Clip 73: Ernst Thälmann (1886 – 1944) Ernst Thälmann zählte zu den prominentesten Kommunisten der Weimarer Republik. 1920 schloss sich der Hamburger Arbeiter, damals Mitglied der linken USPD, mit Teilen seiner Partei der KPD, der Kommunistischen Partei Deutschlands an. Als es gleichfalls 1920 zum Lüttwitz-Kapp-Putsch rechtsgerichteter Militärs und Beamten kommt, unterstützt Thälmann die Forderung nach einem Generalstreik, deren tatsächliche Durchführung dann den Putsch maßgeblich zum Scheitern bringt. Ab 1924 Reichstagsabgeordneter, wurde Ernst Thälmann 1925 KPD-Vorsitzender. In der Schlussphase der Weimarer Republik bekämpfte die KPD unter Thälmanns Führung die sozialdemokratischen Konkurrenten fast stärker als die rechtsradikale NSDAP. Thälmann, der nach einer parteiinternen Affäre 1928 bereits aller Ämter enthoben war, wurde wenig später auf Weisung Stalins als Parteivorsitzender wieder eingesetzt. Nun handelte er noch stärker auf Stalins Anweisung. Die Sozialdemokraten verunglimpfte er als „Sozialfaschisten“ und nahm damit direkt ein Wort von Stalin auf. Diese Haltung der KPD führte zur Spaltung der Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik. Im Wahlkampf um das Amt des Reichspräsidenten 1932 standen sich der Sozialdemokrat Otto Braun und der Kommunist Ernst Thälmann gegenüber. Am Ende gewann wieder der konservative und mittlerweile greise Paul von Hindenburg. Die Spaltung der Arbeiterschaft war schließlich ein nicht unwesentlicher Faktor für die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Als in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 der Reichstag in Flammen aufging, behaupteten die neuen Machthaber, der Reichstagsbrand sei das Signal zum kommunistischen Aufstand. Wenige Tage später, am 3. März 1933, wurde Ernst Thälmann verhaftet. Man klagte ihn des Hochverrats an. Doch der Prozess zog sich hin. Auf Weisung Hitlers wurde der Thälmann-Prozess 1935 eingestellt. Der prominente Kommunist wurde in Schutzhaft genommen, wodurch bezüglich der Behandlung des Gefangenen jede Willkür möglich war. O-Ton Göring Als Deutschland und die Sowjetunion 1939 einen Nichtangriffspakt abschlossen, bat Thälmanns Ehefrau Rosa den großen Führer in Moskau um Fürsprache für ihren Mann. Doch Stalin half nicht. 1944 ordnete Hitler die Ermordung Thälmanns an. In der Nacht des 18. August wurde Ernst Thälmann im Konzentrationslager Buchenwald erschossen und sofort verbrannt. In der Deutschen Demokratischen Republik wurde Ernst Thälmann als Martyrer des Widerstands und Volksheld im Widerstand gegen Hitler gefeiert. 1952 wurde die kommunistische Kinderorganisation „Junge Pioniere“ in „Pionierorganisation Ernst Thälmann“ umbenannt. Thälmanns politische Fehleinschätzungen wurden in der offiziellen DDRGeschichtsschreibung nicht aufgearbeitet. Seite 101 von 102 Clip 74: Kurt Schumacher (1895 1952) Die Nationalsozialisten sind nur wenige Tage an der Macht, da hält der SPD-Abgeordnete Kurt Schumacher im Februar 1933 im Reichstag eine aufwühlende Rede: O-Ton Kurt Schumacher Sozialdemokrat Schumacher bringt das wahre Wesen der Nazis hier wortgewandt auf den Punkt und zieht damit ihren Hass auf sich. Nach dem Verbot der SPD am 23. Juni 1933 wird Kurt Schumacher am 6. Juli inhaftiert. In verschiedenen Konzentrationslagern, u.a. in Dachau und in Flossenbürg, erleidet er zehn Jahre lang schwerste Grausamkeiten, Folter, Dunkelhaft und Zwangsarbeit. Durch einen Hungerstreik gelingt es dem Kriegsinvaliden Schumacher, dem im 1. Weltkrieg nach einem Fronteinsatz 1914 ein Arm amputiert werden musste, der weiteren mörderischen Schufterei im Steinbruch zu entgehen. Schwerkrank wird Schumacher 1943 aus dem KZ entlassen. Die Machthaber vermuten, dass Schumacher bald sterben würde. Doch Schumacher überlebt den Krieg sowie auch eine neuerliche kurze KZ-Haft, die ihm nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 angetan wird. Von Krieg und Verfolgung gezeichnet, baut Schumacher nach 1945 die SPD maßgeblich wieder mit auf. Lautstark kämpft er gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der sowjetisch besetzten Zone: O-Ton Schumacher 1946 macht die SPD Schumacher zu ihrem ersten Nachkriegsvorsitzenden; 1949 übernimmt er die Rolle des Oppositionsführers im ersten frei gewählten Deutschen Bundestag nach dem Wahlsieg der CDU und ihres Spitzenkandidaten Konrad Adenauer, der erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird. Schumacher kämpft erbittert gegen Adenauers Politik der Westintegration. Er sieht die Bundesrepublik in der Verantwortung für Gesamtdeutschland: O-Ton Schumacher So wird er auch bis zu seinem Tode im Jahre 1952 nicht müde, die undemokratischen Verhältnisse im anderen Teil Deutschlands zu kritisieren. Er sieht die DDR als Vasallenstaat der Sowjetunion. O-Ton Schumacher Seite 102 von 102 Clip 75: Martin Niemöller (1892 1984) Der evangelische Pfarrer Martin Niemöller in den 1930er Jahren. Gegen die nationalsozialistischen „Deutschen Christen“ hat er 1933 den „Pfarrernotbund“ gegründet. Aus ihm geht 1934 mit maßgeblicher Unterstützung Niemöllers die „Bekennende Kirche“ hervor. Niemöller kämpft in der „Bekennenden Kirche“ gegen die Gleichschaltung der Kirchen durch die NS-Machthaber und gegen den sogenannten Arierparagraphen, der auch Christen jüdischer Herkunft aus dem kirchlichen Leben ausgrenzt. Erklärung „Deutsche Christen“ (stumm) Niemöller setzt sich für ein Miteinander der Religionen ein. 1937 wird der regimekritische Pfarrer verhaftet und bis 1945 ins Konzentrationslager gesperrt. Und das, obwohl Niemöller anfänglich 1931 als er Pfarrer in Berlin-Dahlem wurde die NSDAP noch unterstützt hatte. Das kam daher, weil Martin Niemöller in einer soldatischen Tradition stand. Von 1910 bis 1919 diente er in der Kaiserlichen Marine, war 1918 U-Boot-Kommandant. 1919 verließ er unter Protest die Armee, weil er sich weigerte, U-Boote als Reparationszahlung an Großbritannien zu überführen. 1920, schon während seines Theologiestudiums in Münster, kommandierte Niemöller eine FreicorpsEinheit, die gegen aufständische Arbeiter im Ruhrgebiet kämpfte. Angesichts der brutalen Gewaltherrschaft, die die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung als Basis ihrer Diktatur in Deutschland etablierten, wandte sich Niemöller gegen die Nazis. 1945 wird Martin Niemöller von US-Truppen nach achtjähriger KZ-Haft aus dem Konzentrationslager Dachau befreit. Noch im Oktober 1945 beteiligt sich Niemöller an der Ausformulierung des sogenannten „Stuttgarter Schuldbekenntnisses“, in der die evangelische Kirche eine Mitschuld am Nationalsozialismus auf sich nimmt. 1947 wird Martin Niemöller Präsident der evangelischen Landeskirche HessenNassau, hier 1956 auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am Main. Niemöller bleibt streitbar und kritisch. Er kämpft gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in den 1950er Jahren. Auch bei der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre ist er noch mit dabei. Als Mitunterzeichner des „Krefelder Appells“ wendet er sich 1980 gegen den NATODoppelbeschluss und die Stationierung von US-Atomraketen in Europa. Er setzt sich bis zu seinem Tode 1984 für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit ein.