a d n a w R Hügel 0 0 0 1 r e Land d Arbeitshilfe zur Rwandapartnerschaft der PSG Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG) www.pfadfinderinnen.de Inhalt / Impressum Inhalt Vorwort Die Partnerschaft zwischen AGR und PSG Das Land der tausend Hügel Leben und Alltag in Rwanda Pfadfinderinnen in Rwanda Gesundheit, Aufklärung und HIV Armutsbekämpfung weltweit CD mit Informationen und Aktionstipps Impressum Herausgeben im Dezember 2008 von der Bundesleitung der Pfadfinderinnenschaft St. Georg, Unstrutstr. 10, 51371 Leverkusen, info@pfadfinderinnen.de, www.pfadfinderinnen.de Redaktion: Tina Dietz, Sigrid Hofmann, Renate Lammerding, Kathrin Moosdorf, Tine Ott, Conny Wolf Artwork: Sabrina Gielessen, Köln www.mein-liebes-fraeulein.de Diese Arbeitshilfe sowie der vorausgegangene Workshop „UN-GERECHT- Armutsbekämpfung in Rwanda“ wurde im Rahmen des Aktionsprogramms für mehr Jugendbeteiligung aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes gefördert. Das Aktionsprogramm ist eine Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Deutschen Bundesjugendrings. 2 3 4 5 8 12 16 19 23 “Vergesst auch nicht, dass der Pfadfinder nicht nur ein Freund der Mitmenschen seiner engsten Umgebung ist, sondern ein Freund zu allen Menschen auf der Welt. Freunde bekämpfen einander nicht. Wenn wir mit unseren Nachbarn in fremden Ländern und Übersee Freundschaft schließen und wenn sie unsere Freundschaft erwidern, so werden wir nicht das Verlangen haben, gegen sie zu kämpfen. Das ist bei weitem die beste Methode, um künftige Kriege zu verhindern und einen dauerhaften Frieden zu sichern.” BiPi Vorwort Liebe Leiterinnen, liebe Pfadfinderinnen! „Allzeit bereit“ bzw. „Guides toujours prêtes“ Dieser Auftrag ist ein grundlegendes Prinzip der Pfadfinderinnen und Pfadfinder weltweit. Dazu gehört auch Neues zu entdecken, sich für eine bessere Welt zu engagieren, Ungerechtigkeiten aufzudecken und allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Diese Bemühungen beginnen im Kleinen und gehen, wie die Partnerschaft der PSG mit der Association des Guides du Rwanda (AGR) auch über Länder-, Kontinentale- und kulturelle Grenzen hinaus. Uns reicht es nicht „nur“ in unserem unmittelbaren Umfeld zu schauen. Wir wollen im pfadfinderischen Sinne auch international was bewegen, Partnerschaften knüpfen und uns gemeinsam mit anderen Pfadfinderinnen für eine gerechtere Welt zusammenschließen. Internationale Vernetzung bedeutet voneinander Wissen, sich austauschen und den Alltag der anderen kennen lernen. Gemeinsam Aktionen zu machen und sich gegenseitig zu helfen sind pfadfinderische Grundgedanken! Sichtwechsel! Manches für uns Alltägliche wird in anderen Ländern unterschiedlich gehandhabt und so manche Weltanschauung wurde deshalb schon auf den Kopf gestellt. Miteinander unterwegs sein, leben, singen, tanzen, essen, reden,…. machen Spaß und tragen zu einem friedlichen Miteinander bei. auseinander zu setzen und in Aktion zu treten, haben wir mit Hilfe des Aktionsprogramms für mehr Jugendbeteiligung („Armut geht uns alle an“) bei einer Auftaktveranstaltung beim Bundescaravelle- und Rangerhajk im Herbst 2008 erstes Interesse geweckt und Ideen für diese Arbeitshilfe gesammelt. Diese Arbeitshilfe zur Rwandapartnerschaft und die dazu gehörige CD sollen als Handwerkszeug dienen, um euch und eure Gruppenkinder mit dem Thema Rwanda vertraut zu machen, Informationen zu vertiefen, Aktionen zu planen und Gruppenstunden oder Projekte durchzuführen. Zu jedem Kapitel der Arbeitshilfe findet ihr zusätzliches Datenmaterial auf der CD. Wir, der Arbeitskreis Rwanda, stehen euch gerne für weitere Auskünfte, Hilfestellungen und Co zur Verfügung. Erreichen könnt ihr uns unter ak.rwanda@pfadfinderinnen.de. Wir wünschen euch viel Spaß beim Eintauchen in die rwandische Welt! Euer AK Rwanda Tina Dietz, Sigrid Hofmann, Renate Lammerding, Kathrin Moosdorf, Tine Ott und Conny Wolf Partnerschaftsarbeit mit Pfadfinderinnen aus Ländern wie Rwanda, in denen die kulturellen und materiellen Unterschiede im Vergleich zu Deutschland sehr groß sind, bietet vielfältige Möglichkeiten. Durch die Beschäftigung mit der Andersartigkeit können wir Pfadfinderinnen in Deutschland die Augen für weltweite Unterschiede öffnen, manche Ansicht ändern und uns aktiv gegen Ungerechtigkeiten einsetzten. Armut geht alle was an! Was Politiker weltweit erstmals im Jahr 2000 in den so genannten Millenniumentwicklungszielen als Probleme der Welt festhalten und in einem 15-Jahres-Plan bekämpfen wollen, ist den Pfadfinderinnen auf der ganzen Welt schon längst eine Herzensangelegenheit und ist auch in unserer Partnerschaft mit der AGR schon seit Jahren ein wichtiges Thema. Um die Mitglieder der PSG erneut zu ermuntern sich mit diesem Thema 3 Die Partnerschaft zwischen AGR und PSG Die Association des Guides du Rwanda (AGR) ist der Partnerverband der Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG) in Afrika. Wie die PSG, ist die AGR ein reiner Mädchenund Frauenverband und Mitglied im Weltverband der Pfadfinderinnen (WAGGGS). Seit 1980 besteht zwischen den beiden Verbänden ein intensiver Austausch in Form einer Partnerschaft. Dies bedeutet für uns, das pfadfinderische Leben der AGR, ihre Aktivitäten und Projekte kennenzulernen und den rwandischen Pfadfinderinnen unsere Grundsätze und Aktionen näher zu bringen. Darüber hinaus bietet die Partnerschaft Mädchen und Frauen in beiden Ländern die Möglichkeit, Einblicke in eine fremde Kultur zu bekommen und über das jeweilige Alltagsleben etwas zu erfahren. Persönliche Begegnungen sind die beste Gelegenheit, sich ein eigenes Bild zu machen und einen tiefen Einblick in die andere Lebenswelt zu bekommen. In den langen Jahren der Partnerschaft haben viele Begegnungen zwischen Pfadfinderinnen der PSG und der AGR stattgefunden. 1982 reisten PSGlerinnen das erste Mal nach Rwanda. Vier Jahre später durften wir die ersten rwandischen Pfad-finderinnen in Deutschland begrüßen. Auch während des Genozids brach der Kontakt zwischen den beiden Verbänden nicht ab und einige Jahre später konnte das nächste Wiedersehen stattfinden. 2005 besuchten die Frauen aus dem Arbeitskreis Rwanda die AGR und lernten das Land, viele Stämme, Projekte und den pfadfinderischen Alltag kennen. Die PSG konnte sich 2007 gleich über zwei Besuche von Rwanderinnen freuen. Im Juni feierten sie mit uns bei „100 % PSG“ in Ahrhütte das 60jährige Jubiläum der PSG und auf einer kleinen Deutschlandreise besuchten sie mehrere Partnerstämme. Anlass für den Besuch einer weiteren Gruppe im September war die internationale Begegnung zu „Scouting 100“ und das damit verbundene Camp im Garten des Bundespräsidenten in Schloss Bellevue in Berlin. Der Bundespräsident war von dem Engagement der Pfadfinderinnen und Pfadfinder so beeindruckt, dass ihn zwei deutsche Pfadfinderinnen auf seiner Reise nach Rwanda und Uganda im Februar 2008 begleiten durften. 4 All diese Begegnungen lassen Freundschaften entstehen, die ein wichtiger Aspekt der Partnerschaft sind und welche die Pfadfinderinnen der PSG und der AGR verbinden. Der Arbeitskreis (AK) Rwanda besteht aus jungen PSGlerinnen und steht in regem Kontakt mit der AGR, plant Begegnungen in beiden Ländern, führt Aktionen zum Thema Rwanda und AGR durch und tauscht aktuelle Informationen mit den rwandischen Pfadfinderinnen aus. Außerdem dient der AK Rwanda als Bindeglied zwischen der AGR und dem Bundesverband der PSG. AK TIONSTIPP! · Informiert euch über die Partnerschaftsarbeit eures PSG-Stammes oder eurer PSG-Diözese mit der AGR. Hat es schon Begegnungen gegeben? Gibt es Brieffreundschaften? · Ladet eine PSGlerin, die schon mal in Rwanda war, zu eurer nächsten Aktion ein und lasst sie von ihren Erlebnissen berichten. Gemeinsames Tanzen und Singen mit den Pfadfinderinnen beim Stamm Byumba Das Land der tausend Hügel Rwanda gehört zu Subsaharaafrika, genauer zum östlichen Zentralafrika. Es liegt knapp südlich des Äquators in der „Region der großen Seen“ und grenzt im Norden an Uganda, im Osten an Tansania, im Süden an Burundi und im Westen an die Demokratische Republik Kongo. Rwanda ist 26.340 km² groß (und damit ungefähr so groß wie Brandenburg) und hat etwa 10,2 Millionen Einwohner. Dies entspricht einer Bevölkerungsdichte von 387 Einwohnern/ km². Damit gehört Rwanda zu den am dichtesten besiedelten Ländern Afrikas. Zugleich ist es einer der kleinsten Staaten des Kontinents. Wie viele andere Entwicklungsländer auch weist Rwanda seit Jahrzehnten eine sehr hohe Wachstumsrate von ca. 2,3 - 3% auf. In der Altersstruktur fallen starke Gegensätze im Vergleich zu Industrieländern wie Deutschland (mit seiner „überalterten Gesellschaft“) auf. In Rwanda ist jede zweite Person unter 15 Jahre alt, jünger als 25 Jahre sind ungefähr 70 % der Bevölkerung. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, u.a. spielen ein Mangel an Aufklärungsarbeit und Verhütungsmitteln eine Rolle. Doch besonders der Genozid trägt zu dieser Situation bei. „Das Land der tausend Hügel“ wird Rwanda auch genannt, denn der größte Teil besteht aus hügeliger Hochebene, besonders im Westen. Doch Rwanda ist ein sehr vielfältiges Land. Im Norden des Landes werden aus den kleinen Hügeln hohe Vulkane. Der höchste Gipfel Karisimbi erreicht 4507m. In dichten Nebelwäldern der Vulkan-Region findet sich eine Besonderheit Rwandas, die Berggorillas. Die Gebiete, in denen Gorillas leben, sind zugänglich und abgesichert. Besuchergruppen können die Gorillas hautnah erleben. Doch es gibt strikte Auflagen, um den Fortbestand der Gorillas zu sichern, der dem Tourismus einen Aufschwung beschert und zu einer wichtigen Einnahmequelle wurde. Im Osten findet sich eher trockene Savanne, mit ausgedehnter Sumpffläche. Giraffen, Elefanten, Impalas, Warzenschweine, Kafferbüffel, Zebras, Nilpferde und Affen sind nur einige Tiere, die nur noch in den Nationalparks anzutreffen sind. Das Land der tausend Hügel Das ganze Jahr über herrscht in Rwanda aufgrund der Verbindung von Höhen- und Tropenlage ein gemäßigtes Klima, die Temperaturen sind meistens zwischen 15°-30°C. Der Jahreszyklus lässt sich in vier Phasen einteilen, jeweils eine große und kleine Trocken- und Regenzeit. 5 Das Land der tausend Hügel Zwischen April und Juli 1994 herrschte in Rwanda zwischen den Volksstämmen der Hutu, Tutsi und Twa ein grausamer Völkermord (Genozid), indem sich die Unzufriedenheiten und gezielte Hetzkampagnen innerhalb der rwandischen Bevölkerungen entluden. Diesem Völkermord fielen innerhalb von drei Monaten ca. 800 000 - 1 000 000 Menschen zum Opfer. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit und der vor Ort stationierten Friedenstruppen der Vereinten Nationen spielten sich unbeschreibliche Szenen zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi ab. Der anschließende Bürgerkrieg dauerte in einigen Regionen noch bis 1998 an und stürzte das Land in großes Chaos und Leid. Fast 2/3 der rwandischen Bevölkerung war auf der Flucht in Flüchtlingslager, die in angrenzenden Ländern notdürftig errichtet wurden. Als Reaktion auf diese Flüchtlingsströme, auf die Ausbreitung von Seuchen und die damit verbundene sehr hohe Sterblichkeit in den Flüchtlingslagern setzte eine große internationale Hilfsaktion ein. Der Bürgerkrieg hat vieles in Rwanda verändert und die Folgen sind noch heute sichtbar. Rwanda wurde nicht nur wirtschaftlich weit zurück geworfen, viele Menschen sind von den schrecklichen Ereignissen so traumatisiert, dass sie ihr Leben nicht mehr alleine meistern können. Hinzu kommt, dass vor allem Männer während des Völkermords umgekommen sind oder deswegen im Gefängnis sitzen. Deshalb müssen viele Familien heute ohne das männliche Oberhaupt zurecht kommen. Das hat die rwandische Gesellschaft grundlegend verändert. Viele Mädchen und Frauen wurden während des Völkermords gezielt vergewaltigt. Nach Angaben von UNICEF wird die Zahl der vergewaltigten Mädchen und Frauen auf 250 000 bis 500 000 geschätzt. Die betroffenen Frauen leiden häufig unter sozialer Ächtung, denn auch in Rwanda gelten solche Taten zugleich als persönliche Schande der Opfer. Hinzu kommt, dass viele Frauen durch die Vergewaltigung mit HIV infiziert wurden, da gezielt HIV infizierte Männer eingesetzt wurden, um die Frauen während des Völkermords zu vergewaltigen. Die Regierung Rwandas steht seitdem vor der großen Herausforderung mit Hilfe von internationale Organisationen das Land nach dem Genozid wieder aufzubauen und die Menschen miteinander zu versöhnen. 6 Seit 2006 ist Rwanda in fünf Provinzen aufgeteilt: Nord, Ost, Süd, West und Kigali, die Hauptstadt. Kigali ist seit 1962 Hauptstadt und mit ca. 900 000 Einwohnern größte Stadt des Landes. Benannt ist die Hauptstadt nach dem Berg Kigali, der sich am westlichen Stadtrand befindet. Der Großteil der rwandischen Bevölkerung lebt auf dem Land. Doch in den letzten Jahren ist die städtische Bevölkerung von 5 % auf 17 % angestiegen. Immer mehr Leute wandern in die Stadt, in der Hoffnung auf ein besseres Leben und Arbeit. Neben Kigali sind es die großen Städte Muhanga, Huye, Ruhengeri und Rubavu, die besonders viele Leute anziehen. Diese Städte haben alle weniger als 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner. AK TIONSTIPP! · Auf der beigefügten CD findet ihr ein 1, 2 oder 3-Ratequiz, in dem ihr Fragen für jede Altersstufe findet. Falls ihr euch nicht mehr ganz genau an das Spiel erinnern könnt, findet ihr auch noch eine Beschreibung auf der CD. Wenn Euch die Fragen zu langweilig sind oder ihr besonders kreativ seid, wie wäre es mit folgendem Vorschlag: Teilt eure Gruppe in zwei oder drei Kleingruppen ein und überlegt euch in diesen einige Fragen. Hinterher stellt ihr Euch gegenseitig eure Fragen. Wer weiß am meisten über Rwanda? · Ihr interessiert euch für fremde Kulturen und Sprachen? Dann macht doch mal einen kleinen Kinyarwanda-Sprachkurs. Auf der CD findet ihr einige Wörter, Ausdrücke und auch Zahlen dieser, für uns so fremd klingenden Sprache. Das Land der tausend Hügel Als Lebensgrundlage gilt für die meisten Menschen in Rwanda die Landwirtschaft, ca. 90% arbeiten in diesem Sektor und nutzen insgesamt ca. 2/3 der Gesamtfläche des Landes. Meistens dienen die Erzeugnisse aus eigenem Anbau der Versorgung der eigenen Familie. Doch Ackerland wird knapp und die Böden sind erschöpft. Die wachsende Bevölkerung ist auf eine steigende Produktion angewiesen, die Selbstversorgung vieler Haushalte ist jetzt schon nicht mehr garantiert und wird in den nächsten Jahren zu großen Problemen führen. Typisches Wohngebiet der ärmeren Bevölkerung in Kigali Wichtigste Produkte, die in Rwanda angebaut werden, sind Bananen, Bohnen, Hirse, Maniok, Mais, Kartoffeln, Süßkartoffeln und Papaya, Avocado, Maracuja, Ananas und Mango. In westliche Länder werden vor allem Kaffee und Tee sowie Zinn und Coltan exportiert. Neben unzureichender Nahrung sind es vor allem Engpässe in der Versorgung mit Strom und Wasser, die das alltägliche Leben erschweren. Nur 5% der Bevölkerung hat Zugang zu Strom. Der Bedarf in den Städten wächst schnell und der Wasserspiegel in den Seen ist stark gefallen. Da der gesamte Strom aus Wasserkraft gewonnen wird, führt dies zu unzureichender Versorgung; regelmäßig wird deshalb der Strom in den Stadtteilen abgeschaltet. Das Problem in der Trinkwasserversorgung liegt vor allem in der hügeligen Landschaft, die den Bau von Wasserleitungen zusätzlich zu den finanziellen Faktoren erschwert. Amtssprache sind neben Kinyarrwanda, einer Bantusprache, Französisch und Englisch. Besonders die Rolle des Englischen nimmt in letzter Zeit stark zu und verdrängt zunehmend das Französische, ein Erbe der belgischen Zeit. Ebenfalls belgisches Erbe ist der weit verbreitete Katholizismus, dem heute etwa 55% der Bevölkerung angehören. Ca. 38% sind protestantisch und 5% islamisch, besonders in großen Städten. Doch auch viele Freikirchen gewinnen an Bedeutung. Von der ursprünglichen Religion Rwandas, dem Ahnenkult, ist heutzutage sehr wenig übergeblieben. Die aktuelle Flagge Rwandas wurde 2001 eingeführt. Grün steht für Hoffnung auf Wohlstand, Gelb für wirtschaftliche Entwicklung und Blau für Glück und Frieden. Auf dem blauen Balken ist eine goldenfarbene Sonne zu sehen. Mit ihren 24 Strahlen symbolisiert sie Licht, welches das Volk allmählich beleuchten soll. 7 Leben und Alltag in Rwanda Da Feldarbeit und Viehzucht mehr als 90 % der rwandischen Bevölkerung als Lebensgrundlage dient, prägen sie auch das gesellschaftliche Bild Rwandas. Der Großteil der Bevölkerung lebt auf dem Land, in kleinen Hütten aus luftgetrockneten Ziegeln oder in traditionellen Rundhütten aus Lehm. Oftmals leben Kleintiere, wie Ziegen, Schafe und Hühner zusammen mit den Menschen in den Rundhütten. Nur die Rinder, deren Zucht eine lange Tradition in Rwanda hat und die als ein Zeichen des Reichtums und Wohlstands gelten, werden im Freien gehalten. Leider reicht die Viehzucht bis heute nicht aus, um den Nahrungsbedarf der Bevölkerung zu decken und so kommt es vor allem bei Kindern zu Mangelerscheinungen, Krankheiten und Wachstumsstörungen. Feldarbeit ist in Rwanda noch Handarbeit. Traktoren findet man hier nicht. Meistens sind Frauen und Kinder für die Bestellung der Felder zuständig. Dörfer sind im traditionellen Rwanda unbekannt, meist beginnt direkt hinter der Hütte das eigene Feld und die einzelnen „Höfe“ liegen weiter auseinander und sind nur über kleine Trampelpfade miteinander verbunden. Das hat den Vorteil, dass man immer schnell beim eigenen Feld sein kann. Diese Streusiedelung macht es jedoch schwer eine gute Infrastruktur zu schaffen, d.h. es ist fast unmöglich all die Hütten mit Strom und Trinkwasser zu versorgen und die Menschen müssen weite Wege gehen, um an sauberes Wasser zu gelangen. Der Staat hat in den letzten Jahren versucht die Bildung von Dörfern zu fördern und die Infrastruktur auszubauen, aber es haben nach wie vor nur 5% der Rwanderinnen und Rwander Strom und kaum jemand Trinkwasser im Haus. 8 Viele Menschen in Rwanda träumen von einem geregelten Job mit sicherem Gehalt in der Industrie oder im Dienstleistungssektor, deshalb zieht es sie vom Land in die Stadt, um dort so eine Arbeit zu finden. Dieser Traum endet für viele jedoch in Notunterkünften in den städtischen Randbezirken, getrennt von ihren Familien und sozialem Rückhalt. Die wenigen Jobs die es gibt, sind vor allem bei Behörden, oder in Banken zu finden. Einige wenige auch in der Industrie, die sich im Wesentlichen auf die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten und Gerätschaften, sowie auf die Herstellung von Ziegeln, Baumaterial, Möbeln und Kleidung beschränkt. Der größte Arbeitgeber in der Industrie ist eine Bierbrauerei, die das traditionelle Bananenbier braut und verkauft. Daneben wächst die Mobilfunkindustrie immer schneller und Handys und Internet nehmen einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Das rwandische Straßennetz ist schlecht ausgebaut. Nur die Provinzhauptstädte und wichtigsten Knotenpunkte sind über Teerstraßen gut erreichbar, aber alles was darüber hinausgeht, ist mit Fahr zeugen oftmals nur mühsam zu erreichen. Zudem können es sich nur die wenigsten Menschen in Rwanda leisten, eine Busfahrkarte oder ein Taxi zu bezahlen. Deshalb müssen die meisten von ihnen zu Fuß gehen. Dabei wird von Einkäufen, über Wasserkanister bis hin zum Brennholz so gut wie alles auf dem Kopf transportiert. Reichen die Tragekapazitäten mal nicht mehr aus, dann wird alles auf ein Fahrrad geladen. Damit werden auf abenteuerliche Weise Personen und Güter gleichermaßen und oftmals gleichzeitig über mittlere Entfernungen transportiert. Weite Entfernungen werden mit Kleinlastern, oder Minibus-Taxis zurückgelegt, wobei erst losgefahren wird, wenn das Taxi doppelt so voll ist wie eigentlich erlaubt. Wer es sich leisten kann, kann in der Stadt auch Motorrad- oder Autotaxis mieten. Das Straßensystem abseits der Hauptstraßen ist sehr schlecht. Die Nebenstraßen sind oftmals auch nicht asphaltiert. Leben und Alltag in Rwanda SCHULE UND BILDUNGSCHANCEN Angesichts all dieser Schwierigkeiten, denen viele Kinder ausgesetzt sind, ist es umso erstaunlicher, dass es eine Schulpflicht für alle Kinder zwischen 7 und 15 Jahren gibt und dass die Einschulungsrate dank Regierungsprogrammen bei über 90% liegt. Angelehnt an das europäische Schulsystem gibt es Vorschulen, Primarschulen (für die die Schulpflicht besteht) und weiterführende Sekundarschulen, sowie Hochschulen für alle, die es sich leisten können. Das Schulgeld für weiterführende Schule ist jedoch sehr hoch und kann von den meisten Familien nicht bezahlt werden. Außerdem wird die zusätzliche Arbeitskraft der Kinder auf dem Feld benötigt. Es ist kein Vorurteil - In Rwanda wird fast alles auf dem Kopf transportiert Rwanda ist eines der ärmsten Länder der Erde. Mehr als 60% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, d.h. diese Menschen müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag (das ist etwas mehr als 0,80 €) leben. Diese extreme Armut zeigt sich zum einen in einem sehr schlechten Ernährungszustand großer Teile der Bevölkerung, ist aber auch einer von vielen Gründen für die hohe Rate an Kinderarbeit. 36% der Kinder in Rwanda müssen in der ein oder anderen Form arbeiten, um sich und ihre Familien zu ernähren. Das reicht von Feldarbeit für die Familie, über Arbeit auf Plantagen, in Steinbrüchen und Ziegeleien bis hin zur Prostitution und dem Dasein als Kindersoldatin bzw. Kindersoldat. Die Gründe für die Kinderarbeit sind vielfältig. Durch den Krieg und Völkermord 1994 und durch Krankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose ist jedes dritte Kind in Rwanda Halb- oder Vollwaise. Davon müssen 40 000 bis 80 000 selbst einen Haushalt führen und sich und ihre Geschwister „durchbringen“. Solange die Kinder in die Schule gehen, müssen sie ihre Haare kurz tragen und es ist den Mädchen verboten sich Zöpfe flechten zu lassen. Dies und die Schuluniform soll dazu beitragen, dass die Unterschiede zwischen arm und reich nicht so stark hervortreten und zu Konflikten führen. Leider kommen die Schulbaumaßnahmen dem Bevölkerungswachstum nicht hinterher. Überfüllte Klassenzimmer, Zwei-Schicht-Betrieb und ein Mangel an gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern sind die Folge. Dies ist auch als Ursache für den oft eher geringen Bildungserfolg, schwache Schulabschlüsse und eine weiterhin hohe Analphabetenrate von 29% (Männer) und 40% (Frauen) zu sehen. Eine typische Streusiedlung im ländlichen Raum Rwandas 9 Leben und Alltag in Rwanda FRAUEN IN RWANDA TANZ, GESANG UND TROMMELN Es ist kein Zufall, dass die Analphabetenrate von Frauen mehr als 10 % höher liegt als die der Männer. Dies erschließt sich aus dem traditionellen Bild der Rolle der Frau in der Gesellschaft Rwandas. Im traditionellen Rollenverständnis war die Frau, außer in Ausnahmefällen, ihrem Mann oder Vater unterstellt und durfte sich nicht in Anwesenheit von Männern zu Wort melden. Sie ging nicht in die Öffentlichkeit und ihre Stellung in Familie und Gesellschaft war und ist sehr stark von Traditionen geprägt. Zum Ansehen der Frau tragen vor allem ihre Kinder bei. Sie gelten als Segen, sind aber auch als Arbeitshilfe auf dem Feld und im Haushalt unverzichtbar. Zudem gelten sie als eine Art Altersvorsorge, denn in Rwanda gibt es keine zuverlässigen Rentenversicherungen oder Ähnliches und so ist der Rückhalt der Großfamilie das wichtigste soziale Netzwerk. Im Durchschnitt hat die rwandische Frau sechs Kinder. Für deren Erziehung, sowie für Arbeiten in Haus und Hof ist sie zuständig. Somit fällt die Hauptlast der Arbeit auf die Frau. Das kulturelle Leben Rwandas wird vor allem von Musik, Gesang, Tanz und Poesie geprägt. Tanzgruppen treten bei Familienfesten genauso auf wie bei offiziellen Staatsempfängen, immer begleitet von Gesang, Klatschen, Trommeln und Schellen. Der Höhepunkt solcher Darbietungen endet meist mit dem berühmten Tanz der Krieger („Itore“). Professionelle Tanzgruppen, die auch bei offiziellen Anlässen tanzen genießen großes Ansehen. Und auch in der modernen rwandischen Popmusik finden sich traditionelle Elemente wieder. Neben Tanz und Gesang sind die Rwanderinnen und Rwander vor allem auch berühmt für ihre Flechtarbeiten aus Sisal und getrockneten Bananenblättern. Solche Kunsthandwerksprodukte werden auch in den Projekten der AGR hergestellt und von den Frauen verkauft, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die traditionelle Kleidung in Rwanda ist sehr bunt und farbenfroh mit großen Druckmotiven und Perlenschmuck. Die Frauen tragen dazu meist eine farblich passende Kopfbedeckung. Heutzutage wird diese traditionelle Kleidung mehr und mehr durch den „westlichen“ Kleidungsstil verdrängt. T-Shirt und Hosen werden vor allem zur Feldarbeit getragen. Seit dem Völkermord 1994 hat sich jedoch einiges geändert. Der Genozid hinterließ hunderttausende Witwen und Waisen. Das führte dazu, dass sich die Rolle der Frau in der rwandischen Gesellschaft grundlegend geändert hat. Frauen mussten nun die Funktion des Familienoberhaupts übernehmen (da ihre Männer tot oder im Gefängnis waren). Das hat auch zwangsläufig dazu geführt, dass sich ihre rechtliche Situation verbessert hat. Früher war es rwandischen Frauen weder erlaubt als Oberhaupt der Familie Entscheidungen zu treffen, noch im Falle des Todes ihres Ehemannes Hof oder Vermögen zu erben. Dadurch war die rwandische Frau finanziell immer abhängig von Männern und in ihren Rechten eingeschränkt. Dies wurde mittlerweile gesetzlich geändert und der Staat bemüht sich den Frauen gleiche Rechte einzuräumen. Durch diese fortschrittliche Gesetzgebung ist es Rwanda gelungen mit knapp 50 % die weltweit höchsten Frauenvertretungsquote im Parlament zu erreichen. 10 Das in Ehren gehaltene „Festtags-Outfit“ ist meist weiterhin traditionell und wird nur bei festlichen Anlässen getragen. Dank der guten Bewegungsfreiheit steht einem Fest mit ausgiebigem Tanzen und Singen nichts mehr im Wege. Leben und Alltag in Rwanda AK TIONSTIPP! Solch ein Festmahl können sich nur wenigste Menschen in Rwanda leisten. Auch das Festessen nimmt einen hohen Stellenwert ein. Zu besonderen Anlässen gibt es Fleisch, wobei vor allem Innereinen wie Magen als besondere Delikatesse zählen. Die Ernährung der ärmeren Menschen ist meistens sehr einseitig und besteht aus Hirsebrei, Maniok und Süßkartoffeln. Oft verkaufen die Familien ihr selbst angebautes Obst und Gemüse, um nahrhafte Lebensmittel wie Hirse, Reis und Maniok zu kaufen. Besitzen die Menschen etwas mehr Geld, so können sie sich eine abwechslungsreichere Ernährung bestehend aus Süßkartoffeln, Reis, Maniok, Auberginen, Erdnusssoße und diversem Obst und Gemüse leisten. „Luxus“-Lebensmittel wie Schokolade, Käse und Wein sind zum Teil sogar teurer als bei uns in Deutschland, deshalb können sich das die wenigsten leisten. Die meisten Lebensmittel bauen die Menschen selbst an, oder kaufen es auf dem Markt. Supermärkte wie bei uns in Deutschland sind selten und sehr teuer und eigentlich nur für „umuzungus“ (Weiße, oder auch Reiche). · Maniokbrei mit einer Sauce von Banane und Aubergine. Maniok und Kochbananen sind zwei grundlegende Lebensmittel in Rwanda. Bei uns sind sie jedoch fast unbekannt. Um die kulinarischen Genüsse Rwandas besser kennen zu lernen probiert doch mal das Rezept „Maniokbrei“ und „Soße aus Bananen und Auberginen“ (findet ihr auf der CD) aus. Solltet ihr einige Lebensmittel so nicht bekommen, dann probiert doch einfach mal andere Lebensmittel aus, die in dieser Arbeitshilfe erwähnt werden und sucht dazu Informationen im Internet. Ihr könnt z.B. auch Kochbananen frittieren oder einen Hirsebrei zur Soße machen. · Macht eine Gruppenstunden zum Thema: „Alltag, Leben und Arbeiten in Rwanda“: Überlegt euch zunächst wie wohl das Leben in Rwanda Tag für Tag aussieht. Was müssen die Menschen jeden Tag erledigen? Wie sehen ihre täglichen Gänge und Arbeiten aus? Sammelt eure Ideen auf Plakaten und überlegt euch einmal, was das im Vergleich zu eurem Alltag und Leben bedeutet. 11 Pfadfinderinnen in Rwanda Der Stolz eine Pfadfinderin zu sein ist in Rwanda noch größer als in Deutschland. Dies liegt zum einen daran, dass es für Kinder- und Jugendliche nur wenig Freizeitmöglichkeiten gibt, zum anderen hat die Pfadfinderei in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert und Bekanntheitsgrad. Bei der Reise von deutschen Pfadfinderinnen nach Rwanda, wurden die PSGlerinnen z.B. immer wieder von fremden Leuten auf der Straße mit dem Pfadfindergruß begrüßt. Die AGR ist ein reiner Mädchen und Frauenverband. Neben der AGR gibt es noch die „Association des Scouts du Rwanda“ (ASR), die nur männliche Mitglieder hat. In den Gruppenstunden wird entsprechend der rwandischen Kultur viel getanzt, gesungen und getrommelt. Dazu gehören Körbe, Karten und Seife. Außerdem leisten die Mädchen und Frauen gemeinnützige Arbeit in sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Schulen. In der AGR sind viele Pfadfinderinnengruppen an Internate angeschlossen. Die meisten weiterführenden Schulen in Rwanda sind gleichzeitig Internate, denn viele Schülerinnen und Schüler haben einen sehr weiten Schulweg. Die Schul-Pfadfinderinnen treffen sich nach dem Unterricht zur Gruppenstunde. Außerdem gibt es viele Stämme und Gruppen auf dem Land, denn dort lebt der Großteil der Bevölkerung Rwandas. Auf dem Land gibt es auch besonders viele erwachsene Pfadfinderinnen. Bis ins hohe Alter wirken die Frauen bei den Aktivitäten der AGR mit. Zwischen der AGR und der PSG gibt es viele Gemeinsamkeiten: Verband Pfadfinderinnenschaft St. Georg Association des Guides du (PSG) Rwanda (AGR) Mitglieder Struktur/ Ebenen Mädchen und Frauen Bundesleitung Diözesanleitung Stammesleitung Altersstufen (die Farben sind den Altersstufen zugeordnet) Konfession Motto Wichtel 7 – 10 Jahre blaues Tuch mit Pfadis 10 – 13 Jahre blaues Tuch mit Caravelles 13 – 16 Jahre blaues Tuch mit Ranger ab 16 blaues Tuch mit gelbem Streifen blauem Streifen grünem Streifen rotem Streifen Katholisch „Allzeit bereit“ Mädchen und Frauen Comité National Comité Regional Conseil d`Unitè Bergeronnettes 6 – 12 Jahre rotes Tuch mit weißem Streifen Guides und Eclaireuses 13 – 17 Jahre grünes Tuch mit weißem Streifen Guides Aînées 17 – 25 Jahre grünes Tuch mit weißem Streifen Cadres ab 25 Jahre blaues Tuch mit weißem Streifen Katholisch «Guides toujours prêtes» Am Ende der Gruppenstunde oder eines Treffens wird wie bei uns ein Abschiedskreis gebildet und mit gekreuzten Armen das Abschiedslied auf Französisch gesungen. Zu den Aktivitäten der Pfadfinderinnen zählen aber auch der Anbau von landwirtschaftlichen Produkten, Viehzucht und die Anfertigung von zahlreichen Handwerksprodukten. 12 Auch die rwandischen Pfadfinderinnen machen zum Abschluss einen Abschiedskreis Pfadfinderinnen in Rwanda Als rein weiblicher Verband setzt sich die AGR natürlich besonders für die Rechte von Mädchen und Frauen ein. Die Pädagogik der AGR zielt darauf die Pfadfinderinnen zu verantwortungsvollen und selbstbewussten Frauen zu erziehen. Die durch die pfadfinderische Arbeit vermittelten Fähigkeiten und Kompetenzen sollen die Frauen befähigen ihr Leben selbstständig gestalten zu können. Nach dem Völkermord 1994 ist Versöhnungsarbeit und Friedenserziehung zu einem weiteren Schwerpunkt der AGR geworden. Die Folgen des Genozids sind auch heute noch im Land und in der Gesellschaft spürbar. Der Krieg hat viel Tod und Leid über Rwanda gebracht und viel Wut und Misstrauen in der Bevölkerung hinterlassen. Heute leben Mörder und Opfer oft nebeneinander und müssen miteinander auskommen. Durch den Krieg sind viele Frauen zu Witwen geworden, unter ihnen natürlich auch viele Pfadfinderinnen. Bei den „Witwen“ handelt es sich sowohl um Frauen deren Männer getötet haben und nun im Gefängnis sitzen, als auch um Frauen deren Männer umgebracht wurden. In Folge dessen herrschte auch unter den Pfadfinderinnen in den Stämmen und Gruppen viel Hass und Misstrauen. Die AGR hat den Frauen geholfen sich anzunähern und über das Geschehene zu sprechen. Durch die gemeinsamen Gespräche haben sich die Frauen vielfach versöhnt und einander verziehen. Die Frauen haben verstanden, dass sie zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen müssen um den anstrengenden Alltag ohne ihre Männer meistern zu können. Nun arbeiten sie in den Stämmen und Gruppen wieder miteinander. Um den Vorurteilen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen dauerhaft entgegenzuwirken wird auch in der jüngeren Generation, die den Krieg nur aus Erzählungen kennt, viel Aufklärungsarbeit und Friedenserziehung von der AGR geleistet. In den Stämmen und Projekten der AGR waren und sind Hutus und Tutsis schon immer gemeinsam aktiv. Die Ethnie spielt im Pfadfinderinnenalltag keine Rolle. In den Gruppenzimmern der Pfadfinderinnen hängen Infoposter die hygienische Grundregeln zeigen. Die anschaulichen Darstellungen garantieren, dass auch Analphabeten die Inhalte verstehen können. Ein besonderer Fokus ist auch auf HIV/Aids gerichtet, denn wie in vielen anderen Ländern ist die Krankheit auch in Rwanda ein sehr brisantes Thema. In den Projekten klärt die AGR Mädchen und Frauen über die Hintergründe, Risiken und Schutzmaßnahmen auf. Dadurch werden auch Vorurteile gegenüber Infizierten abgebaut und der Stigmatisierung entgegengewirkt. In ihren „Gruppenzimmern“ trauen sich die Pfadfinderinnen auch über „pikante“ Themen wie Sexualität, Verhütung und HIV/Aids zu reden. Von Zeit zu Zeit kommen Mitglieder der Nationalleitung vorbei um mit den Frauen zu diskutieren, Fragen zu beantworten und Kurse zu verschiedenen Themen der Gesundheitserziehung durchzuführen. Die erlangten Tipps geben die Frauen an ihre Kinder und Enkelkinder weiter. Die Mädchen und Frauen in Rwanda gehen also nicht nur zu den Pfadfinderinnen um zu singen und tanzen, sondern auch, weil die AGR sie dabei unterstützt ihr Leben zu verbessern. Darüber hinaus leistet die AGR auch einen hohen Beitrag zur Änderung der Lebensbedingungen und der Gesellschaft in Rwanda. Kinder in einer Vorschule, die von der AGR finanziert wird Ebenso werden durch die AGR in allen Stämmen und Projekten Inhalte in Gesundheitserziehung, Hygiene und HIV/Aids vermittelt. Da es in vielen Dörfern an Infrastruktur mangelt und z.B. kaum Strom oder fließendes Wasser gibt, besteht besonders auf dem Land noch viel Aufklärungsbedarf. 13 Pfadfinderinnen in Rwanda PROJEKTE DER AGR Projekt: Nähatelier Teilnehmerinnen: Frauen mit schwierigem sozialem Hintergrund Ziel: Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten, Selbstständigkeit der Frauen In dem Projekt erhalten junge Frauen eine Ausbildung zur Näherin. Die Ausbildung dauert sechs Monate und ist kostenlos. Ein Großteil der Auszubildenden hat eine problematische Vergangenheit und steckt in einer schwierigen sozialen und finanziellen Situation. Die Frauen sind zum Beispiel Exprostituierte, Witwen, Alleinerziehende und/oder HIV positiv. In der Gesellschaft stoßen sie deshalb oft auf Missachtung und werden ausgegrenzt. Die AGR gibt ihnen mit der Ausbildung die Chance ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. In dem Projekt lernen die Frauen zunächst mit der Nähmaschine umzugehen bis hin zur Fertigung von Taschen, Puppen und Kleidung. Die hergestellten Nähartikel können die Frauen verkaufen oder für sich behalten. Ein Teil der genähten Produkte wird von der AGR verkauft. Der Erlös fließt zurück ins Projekt und wird beispielsweise für die Anschaffung von Stoffen und Nähmaschinen genutzt. Neben handwerklichen Fähigkeiten werden in dem Projekt auch Inhalte in den Bereichen Allgemeinbildung, Gesundheitserziehung, Familienplanung, Verhütung und HIV/Aids vermittelt. Durch das Zusammenarbeiten von HIV-Infizierten und Nicht-Infizierten werden Vorurteile abgebaut. Zudem erhalten die Frauen ein Grundwissen in wirtschaftlichem Arbeiten. Zum Beispiel wird ihnen bei der Einrichtung eines eigenen Kontos geholfen. Am Ende der Ausbildung bekommen die Frauen ein kleines Startkapital, das zur Hälfte auf dem Konto angelegt wird. Die AGR motiviert die Absolventinnen sich zusammen zu schließen um sich gemeinsam eine Nähmaschine zu kaufen. So können sie sich ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Außerdem vermitteln die Frauen ihr Wissen an andere Frauen und Pfadfinderinnen weiter. In der Stadt Ruhengeri wurde von einer Absolventin aus Kigali ein weiteres Nähprojekt ins Leben gerufen. 14 Projekt: Bananenblatt Kunsthandwerk Teilnehmerinnen: Frauen mit schwierigem sozialen Hintergrund Ziel: Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten, Selbstständigkeit der Frauen In diesem Projekt erhalten Frauen, die ebenfalls einen schwierigen sozialen Hintergrund haben, eine Ausbildung in den verschiedenen Techniken zum Gestalten mit Bananenblättern. Mit spitzen Messern schneiden die Frauen in Millimeterarbeit Motive aus den getrockneten Bananenblättern aus und kleben damit verschiedene Motive auf Postkarten und Wandbildern. Außerdem lernen sie aus den Bananenblättern Tisch-Sets, Taschen und Schalen zu flechten und Mobiles aus Bananenblatt herzustellen. Nach der Ausbildung können sie durch den Verkauf der Produkte ihren Lebensunterhalt finanzieren. All diese Kunsthandwerkprodukte aus Bananenblatt können ebenfalls über die PSG erworben werden. Projekt: Vorschule TeilnehmerInnen: Mädchen und Jungen aus dem Stadtteil Gikondo in Kigali Ziel: Schulische Bildung auch für Kinder aus armen Familienverhältnissen In zwei kleinen Klassenzimmern betreibt die AGR im Pfadfinderinnenzentrum in Kigali eine kleine Vorschule für Kinder zwischen 3 - 6 Jahren. Das Gehalt der beiden Lehrerinnen und viele Unterrichtsmaterialien werden von der AGR finanziert. Die Schulkinder stammen bewusst aus verschiedenen „gesellschaftlichen Schichten“. Beim gemeinsamen Lernen und Spielen sollen Vorurteile zwischen arm und reich abgebaut werden bzw. gar nicht erst entstehen. Im Gegensatz zu Deutschland muss in Rwanda für die Schule bezahlt werden. Das Schulgeld von umgerechnet ca. 50$ pro Trimester können sich jedoch viele Familien nicht leisten. In der Grundschule der AGR zahlen deshalb nur die Kinder von wohlhabenden Familien und finanzieren somit auch das Schulgeld für die ärmeren Klassenkameraden. Schulbildung ist der erste Schritt der Armut zu entfliehen. In Rwanda ist Schulbildung nicht so selbstverständlich wie in Deutschland, deshalb sind die Kinder sehr stolz in die Schule gehen zu können. Die Nachfrage nach den Schulplätzen der AGR ist so groß, dass am Vormittag und Nachmittag Unterricht für verschiedene Klassen stattfindet. Hier sieht man Frauen beim Erlernen des Bastelns der Bananenblattkarten im Projekt Nähatelier Pfadfinderinnen in Rwanda Projekt: Kooperation Landwirtschaft Teilnehmerinnen: Erwachsene Pfadfinderinnen auf dem Land Ziel: Vermittlung von landwirtschaftlichen Techniken und Methoden, Gewinnsteigerung und mehr Sicherheit Projekt: Dorfkiosk und Cafe Teilnehmerinnen: Pfadfinderinnen aus dem Stamm Nyagahanga Ziel: Menschen mit den Pfadfinderinnen und miteinander in Kontakt bringen, Lebensmittel verkaufen Die Dörfer sind oft sehr abgelegen und nur nach langer Fahrt über Sandpisten zu erreichen. Im Gegensatz zur Stadt ist das Leben auf dem Dorf primitiv und der Alltag sehr anstrengend. Da viele Männer im Bürgerkrieg ums Leben gekommen sind oder im Gefängnis sitzen, müssen die Frauen die Felder alleine bewirtschaften. Um die Lebensverhältnisse der Pfadfinderinnen zu verbessern, motiviert die AGR die Frauen sich zu landwirtschaftlichen Gemeinschaften zusammen zu schließen. Die Pfadfinderinnen bewirtschaften Gemeinschaftsfelder auf denen u.a. Reis, Maniok oder Süßkartoffeln angebaut werden. Die Erträge dienen zur Ernährung der eigenen Familien oder werden auf dem Markt verkauft. Den Frauen werden Methoden und Techniken beigebracht, die das Bewirtschaften der Felder und das Halten von Tieren einfacher machen und helfen bessere Erträge zu erzielen. In guten Erntezeiten werden die Überschüsse auf dem Markt verkauft. Das verdiente Geld wird auf ein Gemeinschaftskonto eingezahlt und zur Anschaffung von Tieren, Saatgut oder Werkzeugen verwendet. In dem weit abgelegenen Dorf Nyagahanga betreiben die Pfadfinderinnen einen Kiosk und ein Cafe. In den Gruppenstunden flechten sie Strohmatten und Taschen, die dann anschließend im Kiosk zum Verkauf stehen. Einige Felder sind im Besitz der Pfadfinderinnen, dort werden Bohnen und Kartoffeln angebaut und Kaffeepflanzen gezüchtet. Das angebaute Gemüse wird zum Teil im Kiosk verkauft oder zum Kochen im Cafe verwendet. In dem Cafe das „Chez les Guides“, das übersetzt „Bei den Pfadfinderinnen“, heißt, werden jeden Tag köstliche afrikanische Gerichte und kalte Getränkte angeboten. Kiosk und Cafe dienen zusätzlich als Treffpunkt im Dorf. Das verdiente Geld wird für Anschaffungen des Stamms verwendet. So konnten bereits einige Nähmaschinen finanziert werden, mit denen die Frauen nun ihre Pfadfinderinnentücher, Kleidung und Taschen nähen können. Besonders stolz sind die Pfadfinderinnen in Nyagahanga auf ihre Partnerschaft mit dem Stamm Düsseldorf-Hamm. Die Wände des Dorfkiosk schmücken ein Banner und ein Kalender, alles Geschenke des Partnerstammes der PSG. Da es im Dorf kaum Läden gibt wird das Angebot der Pfadfinderinnen von den Dorfbewohnern dankend angenommen. AGRlerinnen auf dem Kartoffelfeld 15 Gesundheit, Aufklärung und HIV GESUNDHEIT & GESUNDHEITLICHE AUFKLÄRUNG Gesundheitserziehung ist in Deutschland und der „westlichen Welt“ generell etwas ganz Alltägliches, das wir bereits von frühester Kindheit an lernen. Von den Eltern, in der Schule, durch andere öffentliche Einrichtungen und durch die Medien (Radio, Fernsehen, Zeitungen) lernen wir, wie man sich vor ansteckenden Krankheiten schützt. In Rwanda ist es leider nicht Gang und Gäbe, dass man bereits im Kindesalter weiß, sich z. B. nach dem Klogang die Hände zu waschen, da sich Bakterien auf den Handflächen befinden. Es wird oft angenommen, dass solange man keinen Schmutz sehen kann, die Flächen auch sauber und dementsprechend keimfrei sind. Hinter diesem Irrglauben verbergen sich viele Gefahren, so z. B. erkennen viele Menschen die Gefahr von unsauberem Trinkwasser aus Wasserlöchern nicht. Inzwischen gibt es in Rwanda einige Regierungskampagnen, aber vor allem viele Projekte von Hilfsorganisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Bevölkerung über richtiges Hygieneverhalten aufzuklären. Die AGR unterrichtet dieses Thema in ihren Projekten ebenfalls und zeigt Möglichkeiten zur Krankheitsvermeidung auf. Ein großes Hindernis zur Umsetzung dieser Tipps ist die oftmals vorherrschende Wasserknappheit. Im Krankheitsfall können sich die Menschen in Rwanda oft keine medizinische Behandlung leisten, da sie sehr arm sind. Auch die gesundheitliche Grundversorgung, wie Impfungen, können sie deshalb nicht in Anspruch nehmen. Viele Menschen, vor allem aber Kinder, erkranken häufig an Durchfall, was in der folgenden Tabelle mit Magen-Darm-Entzündungen aufgeführt ist. Nicht selten sterben die Kinder an dieser, in westlichen Augen „harmlosen“, Erkrankung. Zu dieser Problematik kommt das überwiegend schlechte Straßennetz in den ländlichen Regionen hinzu, welches einen Arztbesuch für diesen Teil der Bevölkerung oft unmöglich macht. 16 In Rwanda gibt es jedoch seit kurzer Zeit eine verpflichtende Krankenversicherung, die pro Person im Jahr ca. 1,50 Euro kostet. Die rwandische Regierung gewährt für die Ärmsten und Waisen eine volle Kostenübernahme. Rwanda nimmt als Entwicklungsland damit eine Vorreiterstellung ein. Mehr als 80% der Bevölkerung sind jetzt krankenversichert, können sich somit den Gang zum Arzt leisten und erhalten in den meisten Fällen auch die entsprechenden Medikamente. Der Standard der Gesundheitsversorgung in Rwanda ist jedoch sehr niedrig. Viele Ärztinnen und Ärzte werden aus dem Ausland durch Hilfsorganisationen nach Rwanda entsendet, um ihre rwandischen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, das Pflegepersonal zu schulen und die Grundversorgung für die Bevölkerung zu gewährleisten. Durch diese Hilfsprogramme werden häufig auch lebenswichtige Medikamente, Impfungen und medizinische Geräte finanziert. Ein großes Problem ist die geringe Anzahl einheimischer Ärztinnen und Ärzte. Auf einen eine Ärztin bzw. einen Arzt kommen 50 000 Menschen in Rwanda - in Deutschland sind es nur 283. Viele Menschen in Rwanda vertrauen der Schulmedizin nicht und suchen im Krankheitsfall ausschließlich traditionelle Heilerinnen und Heiler auf. Bei Krankheiten wie Malaria, Krebs oder Lungenentzündung können diese aber nicht helfen und die Menschen sterben oft an den schlimmen Erkrankungen. Gesundheit, Aufklärung und HIV HIV/AIDS Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) und die dadurch ausgelöste Immunschwächekrankheit Aids stellen weltweit ein großes gesellschaftliches Problem dar; die Länder in Schwarzafrika sind besonders stark betroffen. In Rwanda sind ca. 150.000 Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Das sind ungefähr 3 % der Bevölkerung. Es ist schwierig verlässliche Zahlen über die tatsächlich HIV-Infizierten zu erhalten, da sich nicht alle Menschen testen lassen können oder wollen. Deshalb beruhen die Zahlen häufig auf realitätsnahen Schätzungen. Auch Rwanda berührt diese Problematik. Die Ansteckungsrate war bis vor einigen Jahren noch sehr hoch, doch in den letzten Jahren konnte diese durch Aufklärungskampagnen deutlich gesenkt werden. Ein schwerwiegendes Problem ist, dass überwiegend Menschen zwischen 15 und 45 Jahren erkranken. Sie stellen einen Großteil der gesellschaftlichen Wirtschaftskraft. Sterben diese Leute oder fallen wegen Krankheiten aus, müssen weniger Menschen mehr Arbeit verrichten, um das gleiche zu produzieren und die Wirtschaft aufrecht zu erhalten. 17 Gesundheit, Aufklärung und HIV AK TIONSTIPP! · Schaut mal nach wie viele Ärztinnen und Ärzte bei euch im Telefonbuch stehen. Wie viele Menschen muss diese bzw. dieser bei Euch ungefähr betreuen? Wie sind die Zahlen im Vergleich zu Rwanda? Was könnte das für eine Bedeutung für die Menschen dort haben? · Welche Hygiene-Regel befolgt ihr täglich (und schon automatisch)? Was denkt ihr wird davon in Rwanda befolgt ? Mit welchen Auswirkungen? (Hände waschen, duschen, Obst abwaschen, verderbliche Lebensmit tel kühlen, keine verdorbenen Lebensmittel essen, nur Trinkwasser trinken,…). Wie viel Wasser, Möglichkeiten zur Reinigung,… gibt es bei uns im Vergleich zu Rwanda? · Überlegt euch ein Theaterstück zum Thema Ausgrenzung von HIV-Infizierten und führt das einem Publikum vor, z. B. euren Eltern, in der Pfarrgemeinde o.ä. Viele Kinder verlieren zum Teil beide Elternteile durch Aids. In Rwanda schätzt man die Zahl der Waisen auf 220 000. Diese Kinder haben oft kein Zuhause, erhalten keine schulische Ausbildung und finden, sofern sie nicht selbst infiziert sind, im Erwachsenenalter keinen Job. Mittlerweile gibt es viele Hilfsorganisationen, die sich um Aids-Waisen kümmern und einen Schulbesuch, Kleidung, Nahrung etc. finanzieren. 18 Lange Zeit wurde HIV in den subsaharischen Staaten als keine offizielle Krankheit anerkannt, so auch in Rwanda. Das erschwert(e) den Kampf gegen HIV/Aids besonders. Ferner verstärkte das die immer schon da gewesene Stigmatisierung und Ausgrenzung von HIV-Infizierten Menschen, denn viele sehen die Krankheit als eine Strafe Gottes für schlechtes Verhalten in der Vergangenheit. Oft werden HIV-positive Personen bei Bekanntgabe ihrer Krankheit aus der Gesellschaft ausgestoßen, verlieren fast alle sozialen Kontakte und oft auch ihr Zuhause. Inzwischen erkennt die Regierung Rwandas HIV/Aids als offizielle Krankheit an, betreibt Aufklärungskampagnen und kämpft gegen die Stigmatisierung und Ausgrenzung. Die AGR betreibt in ihren Projekten und der pfadfinderischen Verbandsarbeit ebenfalls HIVAufklärung und zeigt Verhütungsmethoden und Schutzmaßnahmen auf. In ihrem Projekt „Nähatelier“ bietet die AGR HIV-infizierten Frauen, die oft auch in der Prostitution tätig waren, eine Nähausbildung, um sich selbst und ihre Familien als Schneiderin versorgen zu können. Die Kampagnen und Projekte zeigen eine positive Wirkung: Die Ansteckungsrate von HIV sinkt, die Krankheit wird inzwischen auch in der Gesellschaft größtenteils akzeptiert und die Stigmatisierung lässt dadurch spürbar nach. Menschen, die wissen, dass sie HIV-positiv sind und es nicht bekannt geben, können ihre Medikament oft nicht regelmäßig mit Mahlzeiten einnehmen. Die soziale Kontrolle ist sehr stark. Die Viren werden durch die nicht regelmäßige Einnahme der Medikamente resistent – die Arzneimittel verlieren dadurch ihre Wirksamkeit. Durch die obligatorische Krankenkasse und aufgrund des Umdenkens in der Gesellschaft unterziehen sich mehr Menschen HIV-Tests. Somit können die infizierten Personen betreut und mit Medikamenten versorgt werden. Wir sollten bei diesem Thema allerdings Deutschland nicht aus den Augen verlieren. Auch hier ist HIV/ Aids präsent. In den letzten Jahren ist die HIV-Rate wieder stark angestiegen. Viele Jugendliche sind betroffen. Insgesamt sind ca. 59 000 Menschen HIVpositiv. Das sind zwar „nur“ 0,1 % der Bevölkerung, aber die Krankheit ist vorhanden und durch nicht entsprechende Schutzmaßnahmen können wir uns ebenfalls mit dem Virus infizieren. Armutsbekämpfung weltweit Überall auf der Welt, in allen Gesellschaften, gibt es von Armut betroffene Menschen. Aber wenn von Armut die Rede ist, dann macht es zunächst einen Unterschied, ob wir von Armut in einem Entwicklungsland oder von Armut in Deutschland sprechen. Armut in Deutschland hat in der Regel einen anderen Charakter, als dies u. a. für Rwanda gilt. Absolute Armut: Armut in einem armen Land kann absolut, existenziell und lebensbedrohlich sein. Beispielsweise durch Mangelernährung, den fehlenden Zugang zu sauberem Wasser, kein Dach über dem Kopf, ausbleibende Versorgung bei Krankheit – Aspekte, die mitunter sehr eng zusammenhängen und sich verstärken. Relative Armut: Armut „bei uns“ unterscheidet sich insofern nicht so sehr von dieser absoluten Armut in Entwicklungsländern, als sie sich auch als eine Mangelsituation ausdrückt. Allerdings auf einem anderen Niveau, und als relative Armut ergibt sie sich durch die Relation zu einem bestimmten „durchschnittlichen“ Standard. Die Bestimmung von relativer Armut ist dabei gar nicht so einfach: Denn was beispielsweise soll als Standard und damit als Maßstab gelten? Und welches Ausmaß an Mangel macht dann Armut aus? Und in welchen Dimensionen kann jemand überhaupt arm sein? Nur in materiellen? Oder auch in immateriellen? Für viele Produzentinnen und Produzenten z.B. von Kaffee, Kakao oder Kleidung ist es überlebenswichtig ihrer Arbeit weiter nachzugehen, auch wenn die Arbeitsbedingungen extrem schlecht sind und die Entlohnung kaum zum Überleben reicht. Die Armut in Rwanda hat viele Gesichter. In dieser Arbeitshilfe wurden bereits viele Auswirkungen der Armut in Rwanda aufgezeigt. Dazu gehört u.a. dass mehr als 60% der rwandischen Bevölkerung weniger als 1 US$ täglich zur Verfügung hat um sich selbst und zum Teil weitere Familienmitglieder zu versorgen. Die Folgen der finanziellen Armut sind z.B. eine schlechte Ernährung, daraus folgt schlechte Gesundheit, die Menschen sterben früher. Um Geld zu bekommen, enden einige Frauen in der Prostitution. Darüber wird häufig das HI-Virus übertragen. Zu den gesundheitlichen Problemen trägt auch bei, dass rund ein Viertel der Bevölkerung keinen gesicherten Zugang zu Trinkwasser hat. Nach der Grundschule besuchen über 90% Kinder in Rwanda keine weiterführende Schule, da sie bei der Feldarbeit helfen müssen um sich und ihre Familie zu ernähren. Die fehlende Schulbildung führt zu einer hohen Analphabetenrate. Keine Schulbildung bedeutet in der Regel auch keinen guten Job, d.h. wiederum kein ausreichendes Geld um sich gesund zu ernähren oder die Kinder in die Schule zu schicken,… damit schließt sich der Teufelskreis, aus dem viele Menschen nicht wieder heraus kommen. Gemessen am Volkseinkommen pro Kopf liegt der Lebensstandard in Industriestaaten mehr als 25 Mal so hoch wie in Entwicklungsländern. Doch auch innerhalb der Entwicklungsländer verschärft sich die soziale Polarisierung zwischen armen und reichen Menschen. Der Welthandel trägt zur Armut in Entwicklungsländern bei. Armut und Umweltzerstörung in Entwicklungsländern ist vielfach auch eine Folge der Lebens- und Konsumstile in Industriestaaten. Viele Produkte die in Afrika angebaut werden, sind für den Konsum in Europa und Nordamerika bestimmt. Für viele Rohwaren, wie beispielsweise Kaffee, Kakao oder Zucker, gibt es einen Weltmarktpreis. Das ist der Preis, der für diese Waren weltweit gilt, weil er zentral an der Börse ausgehandelt wird. Die Weltmarktpreise ändern sich aber ständig und letztlich entscheidet sich darüber das Einkommen der Menschen, die anbauen und ernten. Sie können sich auf die Weltmarktpreise nicht verlassen und ihr Einkommen wird dadurch unsicher. 19 Armutsbekämpfung weltweit WAS TUN GEGEN ARMUT? Die Millenniumsziele – Herausforderungen für die Zukunft Im September 2000 kamen Vertreterinnen und Vertreter von 189 Ländern, die meisten von ihnen Staats- und Regierungschefs, zu dem bis dahin größten Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in New York zusammen. Als Ergebnis des Treffens verabschiedeten sie die so genannte Millenniumserklärung. Sie beschreibt die Agenda für die internationale Politik im 21. Jahrhundert. Aus der Erklärung wurden später acht internationale Entwicklungsziele abgeleitet, die Millenniumsentwicklungsziele: Ziel 1: den Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet, halbieren Ziel 2: allen Kindern eine Grundschulausbildung ermöglichen Ziel 3: die Gleichstellung der Geschlechter fördern und die Rechte von Frauen stärken Ziel 4: die Kindersterblichkeit verringern Ziel 5: die Gesundheit der Mütter verbessern Ziel 6: HIV/Aids, Malaria und andere übertragbare Krankheiten bekämpfen Ziel 7: den Schutz der Umwelt verbessern Ziel 8: eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen Mit vereinten Kräften will die internationale Gemeinschaft diese Ziele bis zum Jahr 2015 erreichen. UN-GERECHT. PFADFINDERINNEN FÜR GERECHTIGKEIT Als Pfadfinderinnen wollen wir uns einsetzten für die Idee einer gerechter solidarischeren Welt. Als PSGlerinnen unterstützen wir die Arbeit der AGR und bieten auch in Deutschland von Armut betroffenen Kindern die Möglichkeit Pfadfinderin zu werden und sich ihren Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln. Wir wollen es „im Kleinen“ vorleben, was man für eine gerechtere Welt tun kann und auch die Politikerinnen und Politiker an ihre Versprechen erinnern. Im Rahmen des Jahresthema „un-gerecht. Pfadfinderinnen für Gerechtigkeit“ haben viele Pfadfinderinnen in den Stämmen, Diözesen und auf Bundesebene bereits einiges geleistet. Einen ersten Auftakt zur Verknüpfung des Jahresthemas mit der Rwandapartnerschaft haben die Teilnehmenden des Bundescaravelle- und Rangerhajk 2008 gemacht. Die Staatengemeinschaft hat verabredet, die Umsetzung der Millenniumserklärung regelmäßig zu überprüfen. Bei der letzten Überprüfung kam heraus, dass die Ziele in den meisten Ländern der Welt nur sehr schwer bis 2015 umgesetzt werden können. In manchen Ländern sind die Entwicklungen in einigen Bereichen sogar ins Gegenteil verkehrt. Das WAGGGS„Global Action Theme“ der Jahre 2009-2011 basiert auf den Milleniumszielen. Gemeinsam sollen sich alle Pfadfinderinnen weltweit für die Einhaltung der Milleniumsziele einsetzen. 20 Armutsbekämpfung weltweit Eine Weltreise der etwas anderen Art: Von Deutschland nach Rwanda! Die weltweite Einkommensund Bevölkerungsverteilung, die Definition und Auswirkung von Armut und die pfadfinderischen Aktivitäten und Projekte der AGR waren Schwerpunkte bei einem Workshop im Oktober 2008, der vom Ak Rwanda vorbereitet und durchgeführt wurde. Der Workshop startete mit einer kleinen Vorstellungsrunde, in der der eigene Name und etwas Typisches aus Schwarzafrika miteinander verbunden wurden. Dabei sollte das „typisch afrikanische” mit dem gleichen Buchstaben beginnen, wie der eigene Vorname, z. B. „Ich heiße Sigrid und ich weiß, dass in Afrika südlich der Sahara Süßkartoffeln angebaut werden.” Wir betrachteten auch die durchschnittlichen Lebensmittelpreise in Rwanda, um zu verstehen, wie wenig sich eine Familie bei einem Einkommen von weniger als 1 US$ pro Tag leisten kann. Die Teilnehmenden des Workshops sollten erst mit Wissen oder Schätzungen herausfinden, wie viele Menschen in den verschiedenen Kontinenten leben und daran anknüpfend deren Anteil am Welteinkommen. Im nächsten Teil beschäftigten wir uns mit der weltweiten Verteilung der Bevölkerung und in Relation dazu der weltweiten Verteilung des Einkommens. Diese Einheit war sehr aufschlussreich und überraschend für Viele, da sie sich vorher nie bewusst mit diesen Themen bzw. der unterschiedlich hohen Verteilung von Bevölkerungsanteil zu Welteinkommensanteil beschäftigt hatten. Im Anschluss an das Spiel fand eine rege Diskussion über die ungerechte Einkommensverteilung und möglichen Ursachen dafür statt. Anschließend setzten wir uns mit dem Thema Armut auseinander. Zuerst wurde der Unterschied zwischen relativer und absoluter Armut definiert und die Teilnehmenden suchten zu den jeweiligen Definitionen alltägliche Beispiele. Des Weiteren thematisierte wir, dass Armut sehr oft Frauen und Kinder betrifft, sowohl in den Industrienationen als auch in den Entwicklungsländern. Um zu verdeutlichen wie wenig Geld eine Jugendliche bzw. ein Jugendlicher aus einer Arbeitslosengeld II-Familie monatlich zu Verfügung hat, um alle Kosten zu decken (Schulbücher, Kleidung, Freizeitaktivitäten, Mitgliedsbeiträge etc.), stellten die Workshopteilnehmenden ihre durchschnittlichen Monatsausgaben in einer Liste zusammen. Für alle war es sehr überraschend, wie hoch ihre tatsächlichen Ausgaben sind. Außerdem fiel es allen durchaus sehr schwer, Einsparungsmöglichkeiten zu finden, um auf einen Monatsbetrag von 278 Euro zu kommen. Denn ein Betrag dieser Höhe steht einer bzw. einem Jugendlichen aus einer Arbeitslosengeld II-Familie monatlich zur Verfügung. 21 Armutsbekämpfung weltweit Daran anschließend wurde die Partnerschaft zwischen der AGR und der PSG vorgestellt. Der AK Rwanda berichtete über die pfadfinderischen Aktivitäten der ruandesischen Pfadfinderinnen und über das Alltagsleben in Rwanda. Auch die Projekte der AGR wurden vorgestellt. In allen Projekten bekämpft die AGR vor allem die Armut von Frauen und Kindern, neben einer Reihe weiterer Ziele. Um die ruandesische Lebensart noch näher zu bringen und authentischer zu machen sangen wir zum Abschluss das traditionell pfadfinderische Lied „Jambere” und tanzten dazu. Im Anschluss an den Workshop wurde seitens der Teilnehmenden erneut der Wunsch deutlich gemacht, eine gut ausgearbeitete Arbeitshilfe zu erhalten. Viele wollen gerne Afrika und die AGR ihren Kindern und Jugendlichen im Stamm/der Diözese näher bringen, wissen aber nicht genau wie und mit welchen Informationen und würden sich über Gruppenstunden- bzw. Aktionsvorschläge und kompakte Infos sehr freuen. Und hier ist sie … die Arbeitshilfe. Bildung ist besonders wichtig um dem Teufelskreis der Armut zu entfliehen. 22 AK TIONSTIPP! · Sucht Beispiele für absolute und für relative Armut. Beschäftigt euch mit Menschen, die in Deutschland in Armut leben. Stellt eure monatlichen Ausgaben zusammen und vergleicht sie mit dem Geld, dass eine Jugendliche aus einer Arbeitslosengeld II-Familie monatlich zu Verfügung hat (Materialien hierzu findet ihr auf der CD). · Betrachtet nun die durchschnittlichen Lebensmittelpreise in Rwanda, um zu verstehen, wie viel/wenig sich eine Familie bei einem Einkommen von weniger als 1 US� pro Tag leisten kann (die Lebensmittelpreise in Rwanda findet ihr ebenfalls auf der CD). · Spielt das Weltverteilungsspiel. Wie ist die weltweite Verteilung der Bevölkerung und in Relation dazu die weltweiten Verteilung des Einkommens? (Anleitung siehe CD) Informations CD-ROM Wer die Arbeit der AGR unterstützen will, kann dies auch in Form einer finanziellen Unterstützung tun! Spendenkonto: Pfadfinderinnenwerk St. Georg e.V. Bank für Sozialwirtschaft, Köln Konto 10 500 01 BLZ 370 205 00 Stichwort: Rwanda Auf dieser CD befinden sich Informationen, Gruppenstunden- und Aktionstipps zu folgenden Bereichen: > > > > > > > Die Partnerschaft zwischen AGR und PSG Das Land der tausend Hügel Leben und Alltag in Rwanda Pfadfinderinnen in Rwanda Gesundheit, Aufklärung und HIV Armutsbekämpfung weltweit Sonstiges Material 23 Die Partnerschaft zwischen PSG und AGR! 1980: Auf der PSG-Bundesversammlung wird eine dauerhafte Kooperation mit der AGR beschlossen. Der AK Rwanda wird gegründet. 1982: Die erste Reise deutscher Pfadfinderinnen nach Rwanda. 1986: Der erste Besuch rwandischer Pfadfinderinnen in Deutschland. Von da an kommt es zu regelmäßigen Besuchen in Deutschland und Rwanda. 1987: Die Idee der Stammespartnerschaften wird geboren. Die Partnerschaft wird durch Aktionen und Brieffreundschaften der Stämme unterstützt. 1994: Bürgerkrieg und Völkermord in Rwanda. Die Partnerschaft steht vor großen Herausforderungen. 1996: Jambere Rwanda, Jahresaktion der PSG. Unsere Partnerschaft geht weiter. 1997-2007: Viele weitere Begegnungen in Deutschland und Rwanda finden statt. 2008: Die PSG Bundesversammlung beschließt, dass die Rwandapartnerschaft nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Bundesverbandes ist. www.pfadfinderinnen.de