Mittelrhein. - Enrico Santifaller

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Mittelrhein | 01
Andernach
Pfarrkirche St. Albertus Magnus
Beethovenstraße, 56626 Andernach
Rudolf Schwarz
1954
Rudolf Schwarz ist der Architekt, der ohne
Zweifel die wichtigsten – theoretischen wie
praktischen – Beiträge für die Neuformulierung des Kirchenbaus im 20. Jahrhundert
geleistet hat. Seine Aachener Fronleichnamskirche aus dem Jahre 1930 ist in erster Linie
zu nennen, aber auch seine 39 wiederaufgebauten, umgestalteten oder neu errichteten
Gotteshäuser nach 1945, die nach Wolfgang
Pehnt größtenteils Exempel setzten. Eines
davon ist die St. Albertkirche in Andernach.
Bereits 1937 war ein Kirchenbauverein aus
der Rheinstadt an den Architekten herantreten, der Entwurf konnte aber nicht realisiert
werden, weil man keine Genehmigung
bekommen hatte. 1952 wurden die Entwurfsarbeiten – allerdings für ein anderes
Grundstück – fortgesetzt. Die in Bruchsteinen errichtete Kirche ruht auf den Resten
des Äbtissinnenhauses eines ehemaligen
Augustinerinnenklosters, das eine französische Revolutionsarmee bereits 1794 zerstört
hatte. Das Barockportal des alten Gebäudes
wurde unverändert als dritter Eingang in die
neue Kirche eingebaut. Der einfache, trotz
schiefergedecktem Satteldach kubisch
wirkende Baukörper mit seinen insgesamt
fünf raumhohen Fenstern ist lang und
schmal (51,8 × 14,5 Meter). Im Innenraum
dominiert der siebenstufige Altarberg mit
seinem mächtigen, geradezu monumentalen
Altar. Auf der gegenüberliegenden Seite
befindet sich ein Sängerpodest, im Zwischenraum sammelt sich die Gemeinde.
St. Albert ist für Schwarz’ sakrales Œuvre
typischer als die von ihm umgestaltete
Liebfrauenkirche in Trier. Eine Wegkirche, die
400 Personen Platz bietet. Einfach, bescheiden, asketisch. Die Wände sind verputzt und
weiß gestrichen, der Boden ist aus Schieferplatten, einziger Schmuck sind die sakralen
Geräte wie Tabernakel und Kreuz – oder die
stählernen Türen. Eine Kirche, die eher an
eine religiöse Vernunft denn an das Gefühl
appelliert. Die von Wilhelm Geyer verantwortete Gestaltung der Fenster kam erst
später hinzu. Weil sich im Zeichen des
allgemeinen Rückgangs der Gottesdienstbesucher die Gemeinde nicht mehr wohl in
ihrer Kirche fühlte, wurde das Gebäude nach
einem lange währenden Diskussionsprozess –
mit der Beratung von Rudolf Schwarz’
Witwe Maria und des Bonner Liturgikers
Albert Gerhards – in den Jahren 2001 und
2002 umgebaut. Ergebnis der Arbeiten ist
ein „orientierte Versammlung“ benannter
Raum, in dem sich die Gemeinde – in zwei
Halbovale geteilt – um Altar und Ambo
sammelt. (en)
Literatur:
Johannes Krämer: Gemeinschaftlich orientiert, in:
Communio-Räume, hrsg. von Albert Gerhards,
Thomas Sternberg und Walter Zahner, Regensburg
2003, S. 191–196.
Lutz Schultz: Dem Glauben Raum geben –
Erfahrungen eines Gemeindeweges, in: ebd.,
S. 197–199.
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Mittelrhein | 02
Bad Neuenahr-Ahrweiler
Sonderschulzentrum Bad Neuenahr
(heute: Don-Bosco-Schule bzw.
Levana-Schule)
St.-Pius-Straße 23
53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
Reinhard Voss mit Armin Marschner, Koblenz
1965
„Diese aus einem Architektenwettbewerb
hervorgegangene Sonderschule verdient
eine Auszeichnung aufgrund der einfühlsamen Sorgfalt, mit der die Planung auf die
spezifischen Probleme behinderter Kinder
eingeht und diesen ein Gesamtmilieu der
Geborgenheit und der Identifikation gibt,
welches den pädagogischen Erfolg mit den
Mitteln der Architektur unterstützt.“ Mit
diesen Worten begründete 1976 eine von
Max Bächer geleitete Jury ihre Entscheidung,
dem Bad Neuenahrer Sonderschulzentrum
eine Auszeichnung in der Konkurrenz
„Vorbildliche Bauten in Rheinland-Pfalz“
zuzuerkennen. Die „einfühlsame Sorgfalt“
der Planung ist auch heute noch zu spüren,
auch wenn sich die Kenntnisse über eine
behindertengerechte Architektur inzwischen
vielfach erweiterten. Reinhard Voss, der
Entwurfsverfasser, hat auch Einfühlsamkeit
gegenüber dem Ort und dem baulichen
Umfeld bewiesen, indem er nicht einen
großen, alles unterbringenden Riegel plante,
sondern das Schulzentrum in eine Reihe von
gestaffelten Pavillons auflöste, die sich,
höchstens zweigeschossig, mit der grünen
Parklandschaft längs des Ahrufers vielfältig
und vieleckig verzahnen. Damit nahm er die
kleinteilige, eher niedrige Bebauung auf, die
im Bad Neuenahrer Stadtteil Bachem ortsbildprägend ist, und schuf darüber hinaus
mit Veranden, Arkaden und überdeckten
Terrassen den Schülern ebenso großzügige
wie geschützte Räume im Freien. Die Betonung der Horizontalen – etwa durch die
kupfernen Attiken der Flachdächer – verstärkt den Eindruck der breiten Lagerung des
Gebäudes in kleine, überschaubare Einheiten.
Die Backsteinwände – Voss: „Ziegel erzieht
zu Einfachheit“ – geben zusammen mit den
Holzdecken auch in den Klassenräumen und
den breiten Fluren bei aller orthogonalen
Strenge ein Gefühl von Geborgenheit und
Wärme. Die Gestaltung der Details – Oberlichter über den Türen und in den Eingangshallen, geräumige Wandschränke, Nischen
als Ruhepunkte in den Gängen – und der
disziplinierte Materialeinsatz erhärten den
Eindruck der eingangs zitierten Sorgfalt und
darüber hinaus auch Sorgsamkeit. Besagte
Jury lobte denn auch die „wohltuende
Häuslichkeit“ des Schulzentrums und empfahl, dass diese „als künftige Forderung
an die Planung von Bauaufgaben dieser Art
verstanden werden“ sollte. (en)
Hinweis:
Das ebenfalls preisgekrönte Altenheim des
Evangelischen St. Martin-Stifts (Mittelrhein 36) in
Koblenz integrierte Reinhard Voss in einem mit
alten Bäumen gesäumten Park – auf ähnliche
Weise wie in Bad Neuenahr. Breite Balkone und
tiefe Loggien unterstützen eine wohnliche,
kommunikative Atmosphäre. Der Fortschritt der
Medizin und die Änderungen der Sozialgesetzgebung haben freilich eher negative Spuren auch an
diesem Gebäude hinterlassen.
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Mittelrhein | 03
Bad Neuenahr-Ahrweiler
Wohngruppe am Eichenweg
Eichenweg, 53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
Architekturwerkstatt AC, Bad Neuenahr
1987 (1. Bauabschnitt)
1989 (2. Bauabschnitt)
Die Wohnanlage am Eichenweg in der
grünen Parklandschaft der Ahraue vermittelt
den Eindruck von verträumter Idylle und
wilder Romantik. Die Siedlung kündet vom
Aufbruchsgeist einer sich etablierenden
Alternativ- und Ökologiebewegung, die neue
Wege auch in der Architektur beschritten
hatte: partizipative Bauherrengemeinschaften, kostensparende, ressourcen- und
energieschonende Bauweisen, baubiologisch
unbedenkliche und recyclingfähige Baustoffe,
Sammlung von Regenwasser, vielfältige
Bepflanzungen und eine betont individualistische Ästhetik, die sich schon äußerlich vom
naturzerstörenden Bauwirtschaftsfunktionalismus des Massenwohnungsbaus als auch
vom flächenfressenden Einfamilienhausbau
unterscheidet. Die insgesamt neun zweigeschossigen Wohnhäuser der Anlage sind
U-förmig um eine Jugendstilvilla angeordnet,
die man in ein Mehrfamilienhaus umwandelte. Weil sich Parkplätze und Garagen
außerhalb des U befinden, ist die gemeinsame Verkehrs- und Erschließungsfläche mit
einem mittigen, kommunikationsfördernden
Platz weitgehend autofrei. Um die Bauherrengemeinschaft auch mit jungen und kinderreichen Familien zu erweitern, die wegen
geringen Einkommens Mittel des öffentlich
geförderten Wohnungsbaues beantragen
konnten, beschloss man eine ganze Reihe
von kostensenkenden Maßnahmen: Verwendung eines vorgefertigten Holzbausystems,
Einsatz standardisierter Bauteile, Verzicht
auf Kellerräume und einen hohen Anteil an
Eigenleistung, der allein die Kosten um bis zu
18 Prozent reduzierte. Trotz dieser Maßnahmen wurde mit vorgehängten Erkern und
Balkonen, Vor- und Rücksprüngen, verschie-
denen Fensterformaten und Farben, Nischen
und Wintergärten eine äußere Formenvielfalt
mit hoher architektonischer Qualität erzielt,
die der inneren Vielfalt an Räumen und
Grundrissen – jedes Einzelhaus wurde nach
den Bedürfnissen der Bewohner individuell
geplant – entspricht. „Es entstand ein
kleinteilig gestalteter Bereich, der eine
heitere Wohnatmosphäre vermittelt,“ urteilte 1988 eine vom Finanzministerium Rheinland-Pfalz eingesetzte Jury und zeichnete die
Wohngruppe mit dem Staatspreis aus. (en)
Hinweis:
Mit dem Staatspreis für Architektur und Wohnungsbau 2000 wurde die „Siedlung an der alten Ziegelei“ (Mittelrhein 31) ausgezeichnet. Die insgesamt
65 Doppel- und Reihenhäuser des vom Architekturbüro hks nach ökonomischen und ökologischen
Gesichtspunkten geplanten Wohngebiets zeichnen
sich durch hohe Nutzungsflexibilität und gestalterische Qualität aus.
Literatur:
Ursula Baus: Holz auf Steinen, in: db (deutsche
bauzeitung), 8/1992, S. 54–57.
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Mittelrhein | 06
Bad Neuenahr-Ahrweiler
Ausstellungsraum für einen Floristen
Nordstraße oder Heerstraße
53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
Hans-Jürgen Mertens,
Bad Neuenahr-Ahrweiler
2000
Der Behälter, schreibt der Stadttheoretiker
Dieter Hoffmann-Axthelm, ist der Rationalisierungslogik kapitalistischer Ökonomie
geschuldet, ist deren Erfindung, ist deren
bauliches Vokabular: kompatibel zu jeder
Nutzung, eigenschaftslos, teil- und stapelbar.
Seriell, repetitiv und industriell herstellbar.
Und doch sind einige Architekten – HansJürgen Mertens beispielsweise – begabt, mit
einer nüchternen, aber durchdachten Box so
etwas wie Poesie zu zaubern. Seinem
Bauherrn, dem international renommierten
Floristen Gregor Lersch, wollte Mertens kein
X für ein U vormachen. In seinem Entwurf
jedoch teilte der Architekt die sechs Flächen
des Ausstellungsbehälters in zwei Hälften:
Boden, Rückwand und Decke aus Brettstapelholz bilden das erste liegende U, die
beiden Stirnseiten und die Fassade aus Glas
das zweite, wobei die Schenkel dieses Us ein
wenig kürzer sind. Beide Hälften, ineinander
geschoben, formen das minimalistische
Gebäude, das Mertens mit einem niedrigen
Betonkubus ergänzte, in dem sich Abstellraum, eine Teeküche und Toiletten befinden.
Schon ein paar Jahre vorher baute Mertens
für Lersch in unmittelbarer Nähe ein Werkstatt- und Seminargebäude aus – inzwischen
ziemlich verwitterter – Seekiefer: eine
Holzkiste ohne jeden Schnörkel, die ihre
Entstehungsbedingungen – gerade mal
40.000 Euro Baukosten – mit Ruppigkeit und
einfachen Details unmissverständlich zeigt.
Und dennoch mit einem durchgehenden,
etwas hervorstehenden, zerbrechlich wirkenden Fensterband – gedacht als Ausstellungsvitrine für Seminarteilnehmer – dem Behälter
jenes architektonische Surplus gibt, das ihn
vom bloßem Container unterscheidet. Die
4 mal 2 Meter großen Glasscheiben des
Schauraumes, dessen Entstehungskosten
unwesentlich höher waren, stecken in
verzinkten Stahlrahmen, von denen jeder
zweite verschiebbar ist. Dass die auf vier
Punktfundamenten lagernde Ausstellungshalle den Eindruck erweckt, als ob sie einen
halben Meter über dem Boden schwebt,
macht sie zur Bühne, zum zurückhaltend
nüchternen Hintergrund einer Inszenierung,
bei der sich die floralen Kompositionen
Lerschs mit ihrem eher schwelgerischen
Charakter umso wirkungsvoller darstellen
können. Der Behälter erhält Charakter, wird
damit selbst Teil einer größeren Komposition
– und bietet freien Ausblick und Zugang zu
Lerschs herrlichem Garten. Das Gebäude
wurde mit dem Architekturpreis RheinlandPfalz 2001 ausgezeichnet. (en)
Hinweis:
Ziegel, Holz, weißer Putz: Die unprätentiöse Schönheit von großen Flächen mit diesen Materialien
zeigt Hans Jürgen Mertens bei seinem Wohnhausanbau (Mittelrhein 29) in der Kreuzstraße 45 in
Bad Neuenahr.
Literatur:
Christof Bodenbach: Wer im Glashaus sitzt,
in: db, 8/2001, S. 34–37.
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Mittelrhein | 09
Boppard
Kirchenzentrum Buchholz
Heidestraße 53, 56154 Boppard
Walter Maria Förderer, Schaffhausen
1975
„Die Kirche ist mehr als nur Kirche: Kristallisationspunkt von allerhand dörflichen
Tätigkeiten und Notwendigkeiten.“ Dies
schrieb Walter Maria Förderer zu der Kirche
von Hérémence, mit der der Architekt auf
einen Schlag berühmt wurde. Das Kirchenzentrum in der Gemeinde Buchholz, die zur
Stadt Boppard gehört, ähnelt nicht nur seiner
Architektur wegen ein bisschen dem Gotteshaus in dem Gebirgsort im Wallis. Das
Wohngebiet Buchholz-Mitte, das den Ortsteil Bahnhof mit dem alten Dorfkern verbindet, wurde Anfang der 70er Jahre gleichsam
über Nacht aus dem Boden gestampft. In
25 Jahren verdreifachte sich die Einwohnerschaft Buchholz’, nur dem Ortsteil Mitte
fehlte eine Mitte, ein städtebauliches Zentrum. Da kam Förderer ins Spiel. Beim bereits
1969 ausgelobten Wettbewerb zum Bau
einer neuen Kirche wurde sein Entwurf mit
dem 1. Preis bedacht. Und wenn dieser nur
bald genug ausgeführt worden wäre, dann
könnte sich Buchholz mit dem Titel schmücken, das erste ökumenische Pfarrzentrum
Deutschlands in seiner Gemarkung zu
wissen. Doch erst im Juli 1974 konnte der
Grundstein gelegt, die erste Messe zu Weihnachten 1975 gefeiert werden (und der
Titel ging an Lüneburg, wo das ökumenische
Gemeindezentrum St. Stefanus im neuen
Stadtteil Kaltenmoor im September 1974
eingeweiht wurde.) Zwar sind in Buchholz
die katholische Pfarrkirche St. Sebastian und
die evangelische Kirche rechtlich und räumlich getrennt, doch verbindet sie ein gemeinsames Holzdach, das Sammelbecken und
Vorbereitungszone zugleich und, so der
Besucher von der Heidestraße kommt, auch
das dominierende Element ist. Das Kirchen-
zentrum selbst ist ein typischer Förderer: eine
Großplastik mit zahllosen Winkeln, Schrägen,
Kanten, Stufen, Hohlräumen, Durchbrechungen und Durchdringungen, wobei die
unzähligen Öffnungen scheinbar spielerisch
aus der Fassade heraus gebrochen wurden.
Der Autodidakt Förderer, der seine Bauten
stets am Modell entwickelte (der Kalifornier
Frank O. Gehry hat es mit einer ähnlichen
Methode ein paar Jahre später zu Weltruhm
gebracht), schuf für das sonst eher gesichtslose Buchholz ein Wahrzeichen. Die skulpturale Figur scheint freilich mit dem Grundstück
zu verschmelzen. Den Räumen, die den
katholischen Kirchenraum wie ein Ring umgeben, gab Förderer teilweise ganz pragmatische Funktionen: ein Raum, in dem Druckereiarbeiten verrichtet werden konnten, ein
Jugendraum, eine Bibliothek etc. Und so
konnte auch das ökumenische Zentrum in
Buchholz Kristallisationspunkt für allerhand
dörfliche Tätigkeiten werden. (en)
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Mittelrhein | 10
Cochem
Pfarrkirche St. Remaclus
Valwigerstraße 5, 56812 Cochem
Emil Steffann mit Heinz Bienefeld
1968
Wolfgang Pehnt, Nestor der deutschen
Architekturkritik, beschreibt Emil Steffann
als den „Essenzialisten“ unter den Kirchenbaumeistern hierzulande. Wie kein zweiter
suchte der nahe Bielefeld als Sohn eines
Arztes geborene Protestant, der 1926
während eines längeren Aufenthaltes in
Assisi und unter dem Eindruck franziskanischer Theologie zum Katholizismus konvertierte, nach der archetypisch gültigen Form
des Sakralbaus. Armut und Anmut waren
ihm, der sich stets als Suchender begriff,
gerade nach dem Trauma des 2. Weltkrieges
eins. Obwohl Steffann sich im Einklang mit
der Tradition verstand und die Vorbilder
seiner Architektur in den baulichen Formen
des Frühchristentums und der mittelalterlichen Stadt fand, war er es, der erstmals in
Deutschland den Gedanken umgesetzt hatte,
die Gemeinde um den zentral positionierten
Altar zu versammeln. Die schwierige topographische Situation des Baugrundstücks
im Cochemer Stadtteil Cond nutzte der
Architekt geschickt aus, indem er mit einem
Mauerwerk aus ortsüblichen rötlich-braunen
Bruchsteinen erst den Steilhang abfing und
dann den kompakten, sich über einem
griechischen Kreuz erhebenden Baukörper
der Kirche formte. Diese Glaubensburg
setzte Steffann als Kontrapunkt zur gotischen Reichsburg am anderen Moselufer.
Den Vorhof, die 47 Treppen zum Gotteshaus,
weitere Vor- und Zwischenplätze, von denen
Wege zur Sakristei, zum Pfarrhaus und zur
Werktagskirche abgehen, kommen einem
allmählichen Aufsteigen in die Sphäre des
Glaubens gleich. Das von drei großen Rundfenstern beleuchtete Kircheninnere mit
seinen weiß geschlämmten Ziegelmauern,
der ungezierten Stahlkonstruktion für die
Empore und den simplen, an Kabeln hängenden Glühlampen ist schmucklos und kontemplativ. Von der gleichen spröden Schlichtheit ist der auf einer dreistufigen Insel
ruhende Altar, der im Zentrum der Kirche
steht. Um ihn versammelt sich die Gemeinde
in sechs Gestühlsblöcken, der stählerne
Lichtkranz betont die Mitte und die Gemeinschaft der Gläubigen um den Opfertisch.
Es war die besondere Gabe Steffanns, durch
die asketische Bescheidenheit seiner Kirchenräume spirituellen Reichtum zu vermitteln.
Wobei St. Remaclus sein letztes Werk war:
Zwei Monate nach der Konsekrierung des
Gotteshauses starb der Architekt im Juli
1968 an den Folgen eines Autounfalls. (en)
Hinweis:
Steffanns einstiger Mitarbeiter Heinz Bienefeld
schritt konsequent den Weg seines Meisters fort,
verband aber dessen herbe Strenge – wie in
Pfarrkirche St. Willibrord in Mandern-Waldweiler
(Trier – Eifel – Hunsrück 29) zu sehen – mit ornamentalen Wandstrukturen und Materialfarbigkeit.
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Mittelrhein | 13
Freirachdorf
Umbau einer Scheune zu einem Wohnhaus
Hauptstraße 3, 56244 Freirachdorf
Christoph V. Wissmann, Wuppertal
(Planung),
Hans H. Heydorn, Dierdorf
(Ausschreibung und Bauleitung)
1996
Dass sie diese Scheune in ihrer ursprünglichen Gestalt weitgehend erhalten haben,
dafür, erzählen Andreas Poenitsch und
Irmgard Oehry, seien die meisten Einwohner
von Freirachdorf dankbar. Hatte doch der
Bau, der als Remise, als Abstellraum, in den
letzten Weltkriegstagen sogar als Kerker
diente, seit Jahren leer gestanden und wurde
nur – erzählt man sich – bisweilen als
geheimes Liebesnest genutzt. 1995 erwarben Poenitsch und Oehry das schlichte
Wirtschaftsgebäude und bauten es – geplant
von Christoph V. Wissmann – zum Wohnhaus um. Die Eingriffe sind knapp, aber
kalkuliert und – wie die Fensterschlitze an
der Giebelseite – deutlich erkennbar. Das
Eingangstor für landwirtschaftliche Fahrzeuge auf der Straßenseite blieb, obwohl mit
Wandscheibe, Glasfugen und Kamin geschlossen, im Charakter weitgehend unverändert. Auf der Hofseite dagegen wurde der
Ausschnitt zitiert und das Haus mit einem
großformatigen Fenster zur herben Landschaft hin geöffnet. Die Bruchsteine der bis
zu 60 Zentimeter dicken Mauern – aus
blaugrauem Westerwälder Trachyt – blieben
unverputzt. Die Stürze der alten Öffnungen
wurden mit Sichtziegeln ausgemauert, für
die neuen Öffnungen wurde dagegen
Industriestahl verwendet. Die verzinkten
Rohre der Installationen sind sichtbar verlegt.
Sie markieren ebenso wie die ganz in weiß
gehaltenen neuen Gipskarton-Wände die
Umnutzung. Deren Höhepunkt ist der
Wohnraum: lichtdurchfluchtet, mit offenem
Dachstuhl und Firstoberlicht. 4 Meter breit,
10 Meter lang und 10 Meter hoch. Der
zwischen Alt und Neu changierende Raum,
in dem sich auch Treppen und Galerien der
Obergeschosse befinden, bildet das architektonische und atmosphärische Zentrum des
Hauses und erreicht eine geradezu sakrale
Anmutung. Alles in allem wurde ein Stück
Heimat, an das sich vielfältige Erinnerungen
knüpfen, das aber ohne die Intervention der
Bauherrn wohl einem dieser typischen
Fertighäuser samt Vorgarten gewichen wäre,
gerettet und mit bedachter und gestalterischer Raffinesse in die Gegenwart transformiert. (en)
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Hasselbach
Haus für die Kunst
57635 Hasselbach
Georg A. Schütz, Bad Neuenahr,
mit Stephanie Diederichs, Bad Breisig,
und Erwin Wortelkamp, Hasselbach
1997
Nach Worten seines Architekten Georg A.
Schütz lebt das „Haus für die Kunst“ genannte Gebäude „von dem, was nicht da ist.“
Dieses Nicht-Existente bedeutet vor allem
das Weglassen alles Überflüssigen, die radikale Reduktion auf das unbedingt Notwendige: vier bloße Mauern aus Sichtbeton, ein
Pultdach aus Blech mit Oberlichtern, eine Tür
je Langseite des Gebäudes, eine kleine, als
Sitzbank dienende Leiste an der Straßen-, ein
horizontaler Fensterschlitz in Hüfthöhe an
der Gartenseite. Wobei diese scharfkantigpräzise Öffnung wirkt, als hätte man sie mit
dem Laser aus dem Beton herausgeschnitten.
Schließlich: ein Raum. Kein Fassadenschmuck,
keine Gliederung – bis auf diesen wild
wuchernden Wein, der langsam über das
Gebäude wächst –, keine Perspektiven,
Enfiladen, räumlichen Verschränkungen und
keine Details. Das Gebäude ist eine Gebrauchskiste, roh, ruppig und rau – ähnlich
den Bauernschuppen, die allenthalben die
Felder des Westerwaldes säumen. Das Haus
für die Kunst ist ein Haus, das der Kunst
dient – und sich nicht selbst darstellt. Es wird
– 170 Quadratmeter groß und bei Veranstaltungen Platz für 100 Personen bietend – als
Ausstellungs- und Seminarraum sowie als
Atelier benutzt. Und bildet gleichzeitig
einleitendes Entree für die Skulpturenlandschaft „Im TAL“, die Erwin Wortelkamp seit
1986 auf einem 10 Hektar großen Areal
realisiert. Der mehrfach preisgekrönte Bildhauer hat nach und nach den Bauern der
Umgebung Land abgerungen und Künstler,
Architekten, Landschaftsarchitekten sowie
Literaten eingeladen, um Landschaft zu
gestalten, neu zu schaffen. Einen behutsamen Dialog zwischen Kunst und Landschaft
zu ermöglichen. Ein einzigartiges Projekt in
Europa, wobei Wortelkamp keinen Freizeitpark, sondern einen Ort der Stille schaffen
will. Unter den bisher 40 Skulpturen, Installationen und Environments befindet sich
beispielsweise die „Eremitage“ der Künstlerin Gloria Friedmann, eine innen blutrot
gestrichene Erdkammer, in der man, Schweigsamkeit vorausgesetzt, einen pochenden
Puls hören kann. Für das Werk des Fotografen August Sander, der gute 20 Jahre im
Westerwalddorf Kuchhausen lebte, errichtete der Südtiroler Architekt Hanspeter Demetz
im TAL ein kleines Museum. „Wir müssen
wieder lernen mehr zu schauen und weniger
zu reden“, sagte Sander einmal – ein Satz,
der für das ganze Projekt gelten kann. (en)
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Koblenz
Wohn- und Geschäftshaus
Mainzer Straße 75, 56068 Koblenz
Wolfgang Schumacher
1965
Einer Überlieferung nach soll sogar der
entlang des Rheins reisende Richard Neutra
von dem Gebäude in Koblenz’ Mainzer
Straße so begeistert gewesen sein, dass er
dessem Architekten prompt einen Besuch
abstattete. Atmete doch das von Wolfgang
Schumacher entworfene Haus jenen konstruktiv-rationalistischen Geist, mit dem der
1923 in die USA ausgewanderte Österreicher
Neutra in die Architekturgeschichte einging:
eine streng gerasterte, blau lackierte Stahlkonstruktion, bei der die Fassadenfelder mit
Bimsbeton ausgefacht sind, geschosshohe
Fenster, vorgesetzte Balkone aus StahlbetonFertigteilen, gläserne, fast zarte Brüstungen
und raumgreifende horizontale Überstände,
die bei dem hohen Sonnenstand im Sommer
die Räume vor allzu starker Einstrahlung
schützen. Ein purifiziertes Gebäude, präzise,
klar und schnörkellos – und in der Mitte der
60er Jahre im rechtschaffen-biederen
Koblenz ein avantgardistisch-funktionalistischer Fremdkörper mit Details – etwa die
statt Regenrohren verwendeten, die Adhäsionskraft nutzenden Eisenketten –, die
Jahrzehnte später von ökologisch engagierten Architekten wieder entdeckt wurden.
Zu viel der Avantgarde für die Bauaufsicht:
Schumacher hatte etwa des Flachdaches
halber einige Konflikte durchzustehen.
Und doch ist das viergeschossige, später um
ein Staffelgeschoss erhöhte Wohn- und
Geschäftshaus ein früher Vertreter eines
reflektierten Regionalismus: Die das Erscheinungsbild mitbestimmenden Materialien
stammen aus der Region. Der Architekt
verkleidete die geschlossenen Fassadenfelder
mit großformatigem Moselschiefer aus dem
nahen Mayen, die Stirnseiten mit einer
vertikalen Verschalung, deren Holz aus dem
Westerwald kommt. (en)
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Mittelrhein | 19
Koblenz
Verwaltungsgebäude AWK
August-Horch-Straße 10a, 56070 Koblenz
Kersten Martinoff Struhk, Braunschweig,
Raimund Herms (Landschaftsarchitekt)
1982
Das Verwaltungsgebäude der AWK Aussenwerbung stellt einen äußerst wichtigen
Beitrag in der Geschichte des deutschen
Bürobaus dar. Denn in diesem Gebäude
wurden nicht nur neue Wege in der Organisation von Büros beschritten, sondern auch
nach neuen Lösungen hinsichtlich des
Raumklimas, des Energiesparens und der
Haustechnik gesucht. Beides mit Erfolg.
Beides ist inzwischen Standard, obgleich
leider nicht überall verwirklicht – wie man
auch im Industrie- und Gewerbegebiet an
der Bundesstraße B9 bei Koblenz-Kesselheim
sehen kann. Dort, einst Rübenacker und
Streuobstwiesen, hat Hans Struhk mit
Raimund Herms eine Oase – einen grünen
Entspannungs- und Erlebnisraum – geschaffen, die das Gebäude wie ein Schutzwall
gegen den Lärm, den Staub und die ästhetischen Grausamkeiten der Umgebung
abschirmt. Die dicht an den zweigeschossigen Bau gesetzten Bäume, Sträucher und
Rankgerüste mit Kletterpflanzen machen
zusätzlich Sinn, indem sie im Sommer
Schatten spenden (im Winter Sonneneinstrahlung zulassen) und die Luft filtern. Das
Gebäude selbst bietet ein ebenso differenziertes wie vielfältiges Raumgefüge, wobei
auf individuelle Zellen- und Großraumbüros
zugunsten von Gruppenbüros verzichtet
wurde. Wobei diese auf zueinander versetzten und mit Halbgeschosstreppen verzahnten Ebenen locker verteilt wurden. Ein räumlicher Zusammenhang ist dennoch spürbar,
was durch die zweigeschossige Halle mit
großzügigem Oberlicht und einer muldenförmigen Absenkung betont wird. Interessant
ist die Konstruktion: Das Gebäude setzt sich
aus einer Addition von Konstruktionseinhei-
ten zusammen, die aus einem Wandscheibenpaar – alternativ eine Gruppe von vier
Stützen – und einer darauf ruhenden Stahlbetonkassettendecke besteht und deren
Rastermaß 1,20 Meter beträgt. Das Tragwerk
ist höchst flexibel, auch Zellenbüros können,
so gewünscht, eingerichtet werden. Alle
Büroflächen sind mit Ausnahme der klimatisierten EDV-Abteilung natürlich belüftet, die
abgeschirmten Arbeitsplätze über Fenster,
Oberlichter und Lichtschächte natürlich
belichtet. Die Decken wurden nicht abgehängt und können damit als Temperaturspeichermasse benutzt werden. Besonderen
Charme besitzt das Gebäude durch die
unprätentiös-freundliche Gestaltung, wobei
die Originalgemälde und -zeichnungen von
berühmten Künstlern an den Wänden ihm
zusätzlichen Reiz geben. Das AWK-Gebäude
wurde als vorbildlicher Bau in RheinlandPfalz 1983 ausgezeichnet. (en)
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Mittelrhein | 24
Neuwied
Landesschule für Blinde
Feldkirchener Straße 100, 56567 Neuwied
Otto Buhr
1980
Das der Gesundheit förderliche Gebäude,
das seinen Bewohnern Luft, Licht und Sonne
bietet, war eine der großen Forderungen des
Neuen Bauens der 1920er Jahre. Auf die
Verknüpfung von Architektur und gesundem
Körper berief man sich nach Beatriz Colomina, Professor für Architekturgeschichte
und -theorie in Princeton, das ganze 20.
Jahrhundert hindurch. Und so nimmt es kein
Wunder, dass moderne Architektur auch für
auf den ersten Blick so schwierige Bauaufgaben wie einem Gebäude für Behinderte
kluge Lösungen findet. Wobei Otto Buhr für
seine Schule für Blinde und Sehbehinderte
nach seinem Wettbewerbsgewinn 1971, so
wird berichtet, „unzählige Gespräche mit
Blindenlehrern“ geführt hatte und deren
Erfahrungen in die Planung einbrachte. Da ist
zum Beispiel die Frage, wie der Ersatz für die
visuelle Orientierung beschaffen sein muss.
Buhr, der nicht nur sensibler Architekt,
sondern auch renommierter Maler war,
setzte auf klare Strukturen, Orthogonalität
der Erschließungswege sowie auf taktile,
akustische und sogar olfaktorische Wahrnehmung. Ein leise plätschernder Brunnen
markiert zum Beispiel den Schuleingang.
Vor Beginn einer Treppe und an deren Ende
verändert sich der Bodenbelag: Das Linoleum
der Gänge, der Kunststein der Stufen wechselt sich mit einer weichen Gummimatte
ab. Das Mittel kontrastreicher Farbgebung
wurde zusätzlich für sehbehinderte Schüler
eingesetzt: Das Linoleum ist wie der Kunststein hellbeige, die Gummimatte schwarz,
die Treppenkanten wurden mit schwarzen
Streifen beklebt. Auch bei Türen und ihren
Rahmen wurde auf starke Kontraste großen
Wert gelegt. Die Wege auf dem insgesamt
12 Hektar großen Areal vor den Toren des
Neuwieder Stadtteils Feldkirchen sind an den
Kreuzungspunkten oder vor Eingängen
anders gepflastert, vor den Bäumen im Schulhof steigt das Pflaster leicht an. Auf dem
weitläufigen, parkähnlichen Gelände, in das
Buhr seine höchstens dreigeschossigen
Bauten gesetzt hat – neben der Schule auch
Kindergarten, Turnhalle, Schwimmhalle,
große Aula, Wirtschaftsgebäude, Kantine
und insgesamt sechs Internatsgebäude –
wird selbst der Geruchssinn zur Ortsbestimmung eingesetzt. Duftende Beete mit Rosen,
Flieder oder anderen Sträuchern kennzeichnen Partien der Freiräume und umgeben die
Gebäude. Die mit schwarzem Kunstschiefer
gedeckten, stets vertikal überstehenden
Treppentürme gliedern die Gebäudegruppen
zusätzlich. Die Blindenschule wurde 1985 mit
dem Staatspreis für Architektur und Kunst
des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet.
(en)
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Trier-Eifel-Hunsrück | 09
Lorscheid
Dorfsaal
Hauptstraße, 54317 Lorscheid
Architektur 9+, Trier
2002
Der Dorfsaal auf dem Lorscheider Festplatz
ist eine dieser kleinen Erfolgsgeschichten,
welche Architektur trotz jahrelanger Bauflaute dann doch zu schreiben in der Lage ist.
Und dies trotz sehr bescheidener Finanzmittel. Das etwas von der Straße zurückgesetzte
Gemeindehaus besteht aus drei Baukörpern,
die mit einem umlaufenden, kräftig roten
Bretterband zusammengefasst werden: der
eigentliche, lichtdurchflutete Dorfsaal, der
sich in Volumen und Satteldachneigung in
etwa den traditionellen Häusern des Dorfes
anpasst, trotzdem in Konstruktion, Material
und Detaillierung ein unmissverständlich
modernes Gebäude ist, eine Einheit mit
Funktionsräumen wie Küche, Garderobe und
Sanitärzellen sowie eine verbindende, als
Foyer dienende Glasfuge mit Theke, Anrichte
und ebenso schön gestalteten wie praktischen Wandschränken. Vor Fuge und
Funktionseinheit befindet sich ein einladender Innenhof, darunter die Gemeindebibliothek und ein Jugendraum, deren StahlbetonKonstruktion – eigentlich handelt es sich um
eine schlichte, die Hanglage ausnutzende
Unterkellerung – auch sichtbar ist. Die
Breitseite des Dorfsaales, der bei Konzerten
etwa 150 Personen Platz bietet, aber auch
als Gymnastiksaal und Turnhalle fungiert,
öffnet sich mit drei doppelflügligen Fenstertüren zum Festplatz, eine Holzterrasse
schafft eine Übergangszone. Bei der Kirmes
oder anderen Gemeindefesten kann damit
der ganze Dorfsaal einbezogen werden, bei
Familienfesten im Gemeindehaus lässt sich
auch der Festplatz benutzen. Holz ist nicht
nur der vorherrschende Baustoff und das
dominierende Gestaltungselement, sondern
auch das Heizmaterial: Von einer Holzhack-
schnitzelanlage werden sowohl der Dorfsaal
als auch der benachbarte Kindergarten und
das Feuerwehrhaus beheizt. (Jährlich betragen die Heizkosten für alle drei Gebäude
1000 Euro.) Schon an der Entstehung des
Gebäudes nahmen die Dorfbewohner regen
Anteil, ihre Eigenleistungen – Verschalung,
Elektroarbeiten, Anstrich, Verfliesen –
senkten die Baukosten um etwa 140.000
Euro. Seit der Fertigstellung des Dorfsaales
ist er fast ununterbrochen mit Aktivitäten
besetzt, neue Gruppen – Chor, Theater- und
Gymnastikgruppen – haben sich gebildet.
Obwohl am Rand von Lorscheid gelegen, ist
der 2002 als vorbildlicher Bau im Landkreis
Trier-Saarburg ausgezeichnete Dorfsaal zur
neuen Mitte geworden. (en)
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Trier-Eifel-Hunsrück | 13
Trier
Synagoge
Kaiserstraße 25, 54290 Trier
Alfons Leitl
1957
Der Neubau der Trierer Synagoge zwölf Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und
der Shoah ist primär eine Symbol der Versöhnung. Eine Geste der ausgestreckten Hand
trotz aller Opfer – von Seiten der Opfer. Dass
der – retrospektiv wohl heikle – Auftrag an
Alfons Leitl vergeben wurde, kann damit
erklärt werden, dass Leitl als ebenso äußerst
kenntnisreicher wie diskurswilliger Herausgeber der renommierten Zeitschrift „Baukunst
und Werkform“ und gefragter Architekt über
allen architekturtheoretischen Fronten stand
und Tradition und Moderne mit einigem
Erfolg verband. Obwohl Autodidakt, arbeitete er als verantwortlicher Stadtplaner in
Rheydt und Wesel, später als Stadtbaurat in
Trier und hinterließ nach seinem Tode 1975
ein vielfältiges Œuvre von über 100 realisierten Bauten und Wettbewerbsprojekten. Leitl
konzipierte die Synagoge als von der Umwelt
abschottenden, kargen und konzentrierenden Versammlungsraum einer sich um und
für Gott sammelnden Gemeinde – unabhängig von der konkreten Religionszugehörigkeit. Entsprechend stattete Leitl den Bau
bewusst mit jüdischen und christlichen
Elementen aus. Die Eingangssituation der
Synagoge etwa – eine Freitreppe sowie das
halbrund gebogene Vordach – hatte Leitl
schon zuvor bei christlichen Sakralbauten
geplant. Ähnlich wie für seine Dorfkirchen
wählte Leitl für den jüdischen Betsaal eine
sehr klare und stereometrisch einfache Form:
ein längsrechteckiger Kubus mit einer Außenhaut aus behauenem Eifeler Sandstein und
Fenstergewänden aus Betonwerkstein.
Unterhalb des Flachdaches gliedert ein Fries
die geschlossene Fassade an den Längsseiten,
wobei die alternierend nach oben und unten
gerichteten Fensterdreiecke als Teilformen
des Davidsternes wahrgenommen werden
können. Auch die kupfergedeckte, „sarazenische“ Lichtkuppel über dem Thoraschrein
oder die Assoziationen als assyrische Ornamente weckende Reihung von Dreieckselementen mit kleinen Rundöffnungen an den
Querseiten rufen den historistischen Synagogenbau des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ins Gedächtnis. Mit Synagogen im
maurischen Stil erinnerte das selbstbewusst
gewordene deutsche Judentum an eine
Epoche, in der Juden und Christen friedlich
und zu gegenseitigen Frommen und Nutzen
zusammenlebten. (en)
Hinweis:
Von den vielen Kirchen, die Leitl in Rheinland-Pfalz,
aber auch in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Wien
gebaut hat, sei auf die Pfarrkirche Heilig Kreuz in
Neuwied (Mittelrhein 40) verwiesen, die auf einen
Viertelkreis aufgebaut ist und mit einem nadelförmigen Turm im Stadtbild für Aufmerksamkeit sorgt.
Zu Leitls größten Profanbauten gehört der fünfgeschossige Kubus der Trierer Stadtbibliothek
(Trier-Eifel-Hunsrück 37) mit seinen quadratischen
Betonornamentfeldern. Der Bau wurde später
verändert und entstellt.
Literatur:
Johannes Busmann: Die revidierte Moderne –
Der Architekt Alfons Leitl 1909–1975,
Wuppertal 1995.
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Trier-Eifel-Hunsrück | 16
Trier
Wohn- und Geschäftshaus
Sternstraße 1, 54290 Trier
Heinrich Otto Vogel
1960
Als der Bund Deutscher Baumeister im Juni
1951 in Trier tagte, hielt auch der ehemalige
Trierer Stadtbaumeister Heinrich Otto Vogel
einen Vortrag. Darin findet sich die kryptische Forderung: „Wir sollten uns hüten, im
Wiederaufbau unserer Altstadt Architekturdogmen zu frönen, sondern das Primat des
Einanderdienens anerkennen.“ Vogel war
weder Anhänger der umfassenden Rekonstruktion der im Krieg zerstörten Altstädte,
noch eines Neubaus auf Grundlage der
gegliederten, aufgelockerten Stadt. Was er
unter „Einanderdienen“ verstand, lässt sich
an dem Beispiel eines Eckhauses in einer sehr
prominenten Lage demonstrieren: an seiner
Ostseite am Domfreihof gelegen, die Nordseite an einer der Hauptmagistralen der
Trierer Altstadt, versuchte Vogel bei diesem
Neubau traditionelle und zeitgenössische
Motive zu verschmelzen, indem er sich bei
der Fassadengestaltung in die jeweiligen
Straßenfluchten einordnet. Der vorspringende, fünfachsige Mittelrisalit an der Sternstraße mit seinem breiten Giebel und seiner
reichen Gliederung erinnert bewusst an das
Fachwerkhaus in der Nachbarschaft. Und
doch ist die streng orthogonale, auf das
Tragwerk hinweisende, in hellem Grau
gehaltene Betonstruktur lange nicht so
kleinteilig wie die des Fachwerkes, wo dem
mit Ochsenblut gestrichenen Holz eine
Schmuckfunktion zukommt. Auch Vogel
dekorierte seine Brüstungsfelder – mit zwar
figürlichen, aber in der Technik modernen
Bildern des Malers Werner Persy, die die
Karfreitagsprozession durch die Sternstraße
darstellen. Deutlich schlichter zeigt sich das
Haus dagegen zum Dom hin gewandt: Die
fast geschlossene Wand aus gelblichen
Tuffplatten gliederte Vogel mit nur drei
schmucklosen Fenstern und einem ebenso
einfachen Hauseingang. Vis-à-vis der Domwestfassade hielt Vogel sich zurück, nur die
fast spielerisch verteilten Bossensteine
wecken Assoziationen an historische Fundstücke. Typisch für die 50er Jahre indes ist
die Asymmetrie des Baukörpers, mit der
Vogel sehr elegant gleich mehrere Aufgaben
erfüllte. Zum einen konnte er das Haus in die
Platzflucht des Domfreihofes stellen, zum
zweiten ein deutliches Zeichen gegen die
unter den Nazis bevorzugten Achsensymmetrie setzen – und zum dritten die Nutzfläche
vergrößern. (en)
Literatur:
Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz
(Hrsg.): Architektur und Städtebau der 50er Jahre,
Mainz 1992, S. 96–97.
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Trier-Eifel-Hunsrück | 24
Trier
Klosterkirche St. Maximin
Maximinstraße, 54292 Trier
Dieter G. Baumewerd, Münster,
Gottfried Böhm, Köln,
Alois Peitz, Trier
1995
Das Verhalten, das der neudeutsche Begriff
Recycling umschreibt, ist keine moderne,
auf die Umweltbewegung zurückgehende
Erfindung. Gebrauchte Dinge, ob nun
Gebäude oder Materialien, haben bereits
unsere Vorfahren wieder verwendet. Das
wird spätestens klar, wenn man das unter
der ehemaligen Klosterkirche St. Maximin
liegende Grabfeld besucht – der größten
frühchristlichen Nekropole nördlich der
Alpen. In die Fundamente wurden Basen von
antiken Säulen, korinthische Kapitelle, mit
Arabesken dekorierte Schlusssteine vermauert – ohne große Umschweife, mit wenig
Respekt vor dem Historischen. Das Gotteshaus selbst wurde mehrmals zerstört, immer
wieder aufgebaut, diente als Werkstatt und
Handwerksschule, den Preußen dann ab
1815 als Kaserne. Nur ein paar Jahrzehnte
später hatten die Preußen eine Hälfte des
Baus wieder zur Garnisonskirche umfunktioniert (die andere diente weiter als Kaserne).
Nach 1945 hatte St. Maximin die Aufgabe
als Ausweichquartier für Gymnasien zu
erfüllen. Heute, nach einem weiteren
Umbau, dient das Gebäude vor allem als
Sporthalle einer nahen Haupt- und Realschule und als Konzertsaal – und bisweilen auch
als Raum für Gottesdienste. Der Umbau ging
in zwei Abschnitten vor sich: Zuerst stand
die statische Grundsicherung, der Abbruch
der Kaserneneinbauten sowie die Rekonstruktion der barocken Fenster zur Gewinnung
eines einheitlichen Erscheinungsbildes auf
dem Programm. 1988 dann lobte das Bistum
einen beschränkten Wettbewerb aus, um die
Gestaltungsideen für die weitere Nutzung
zu klären. Die punktuellen Eingriffe, die die
nach dem Wettbewerb sich bildende Arbeits-
gemeinschaft Baumewerd, Böhm und Peitz
geplant hatten, sind reversibel. Die Kirchenraum in seinen monumentalen Dimensionen
ist jetzt wieder erlebbar, kann aber mit
seitlichen Schienen einer Fahrbrücke und
aufrollbaren Textilien je nach Bedarf geteilt
werden. In der Apsis befindet sich nun eine
Bühne, die durch ein großes Schaufenster
den Blick auf das Grabfeld freigibt. Als
Bodenbelag wurde ein Schwingboden aus
Eiche und Fußbodenheizung ausgewählt,
wobei die Anschlüsse für Sportgeräte ebenso
wie die für Elektrogeräte versenkt sind. Die
Spuren der wechselvollen Nutzungen von
St. Maximin blieben erhalten, ein ottonischer
Torbogen etwa, neogotische Maßwerke oder
die barocke Polychromie an den Schlusssteinen. Wegen und trotz seiner neuen Nutzung
kann sich diese eindrucksvolle Kirche nach
dem sensiblen Umbau als dreidimensionale
Geschichtscollage präsentieren. (en)
Literatur:
Bauwelt 11/1990, S. 503–511.
Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier:
Die ehemalige Abteikirche St. Maximin in Trier,
Geschichte Renovierung Umnutzung, Trier 1995.
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Trier-Eifel-Hunsrück | 29
Mandern-Waldweiler
Pfarrkirche St. Willibrord
Hauptstraße/Ringstraße
54429 Mandern-Waldweiler
Heinz Bienefeld
1968
Architektur beginnt da, wo zwei Backsteine
aufeinander gesetzt werden, sagte Ludwig
Mies van der Rohe einmal. Heinz Bienefeld
hat viele Backsteine auf- und nebeneinander
gesetzt. Er hat sie auf die Stirn-, auf die
Flach- und auf die Längsseite gestellt, sie
vertikal, diagonal, horizontal im Fischgrätmuster oder im wilden Verband geschichtet
und gefügt, sie heraus gedreht, gekippt,
gestuft. Und nicht aus industriell gefertigten,
ebenso genormten wie perfekten, aber
optisch leblosen Klinkern, sondern solchen
aus ausgesuchten Ziegeleien, die noch nach
altem Verfahren ihre Steine backen. Und
auch nicht als Dekor, als vorgeblendetes
Mauerwerk vor gedämmter Betonwand,
sondern als sinnlich-körperhafte Mauern.
Die Mauern, die in Waldweiler die Kirche
St. Willibrord über polygonalem Grundriss
formen, sind einen ganzen Meter dick.
Außen wirken sie wie Stadtmauern, im
dämmrigen Inneren des Gotteshaus wie
Fassaden, die einen steinernen Platz umschließen, in dessen Mittelpunkt der durch
eine quadratische Laternenöffnung im Dach
beleuchtete Altar steht. Asketisch und
gleichzeitig vertraut wie eine franziskanische
Basilika aus dem Mittelalter, stark und
standfest wie ein vernarbter Aquädukt aus
der Antike, und doch durch das ornamentale
Mauerwerk verspielt, zart und verletzlich
und gleichzeitig wie eine Höhle bergend,
ist diese Kirche eines der Schmuckstücke
moderner Architektur in Rheinland-Pfalz.
Sie rührt die Seele, und ist doch Ehrfurcht
gebietend monumental. Und erfüllt wie
selbstverständlich sowohl die Ansprüche der
veränderten Liturgie nach dem zweiten
Vatikanum wie die in den späten 60er Jahren
aufkommenden Forderungen nach Gemeinderäumen. Darüber hinaus wies Bienefeld
einen Weg, wie der Bestand zu integrieren
ist: Zwischen dem zentralen Altar und einer
angedeuteten Apsis platzierte der Architekt
den Rest eines gotischen Chores der Vorgängerkirche, der nun – freistehend und selbst
wie eine Reliquie wirkend – als Sakramentskapelle dient. Das Gotteshaus wurde 1977
als vorbildlicher Bau in Rheinland-Pfalz
ausgezeichnet. (en)
Hinweis:
Der posthum mit dem großen BDA-Preis geehrte
Heinz Bienefeld baute seine erste, dem heiligen
Remaclus geweihte Kirche als Mitarbeiter von Emil
Steffann in Cochem (Mittelrhein 10).
Literatur:
Manfred Speidel: Die heilige Stadt unter den
Menschen, in: Heinz Bienefeld 1926–1995,
hrsg. von Wolfgang Voigt, Ernst Wasmuth Verlag,
Tübingen 1999.
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Rheinhessen-Nahe | 12
Klein-Winterheim
Büro-Atriumhaus Sysgo
Am Pfaffenstein 14, 55270 Klein-Winterheim
INDEX Architekten, Ulrich Exner und
Sigrun Musa, Frankfurt am Main
2000
Gemessen an der Zahl der Patentanmeldungen ist Rheinhessen, schreibt die Zeitschrift
„Chip“, eines der kreativen Zentren europäischer Softwareindustrie. Leider verstecken
sich allzu viele dieser Unternehmen – von
Spiele-Programmierern bis zu Webdesignern
– in biederen Bauten. In der im wahrsten
Sinnes des Wortes abgehobenen Holzkiste
der Firma Sysgo klingt dagegen das Provisorische und Temporäre an. Sie erinnert an die
kalifornische Leichtigkeit des Seins, an ideenreiche Garagenfirmen, die der Entwicklung
der EDV enormen Aufschub gegeben hatten.
„Work on the wilde side“ war das Motto der
Architekten, und die diese Idee erläuternde
Fotomontage zeigt eine Wiese, um die fünf
Jungs sitzen und ihre Laptops bearbeiten. In
Architektur umgesetzt hieß dies, einen
grünen Innenhof zu schaffen, um den über
breite Galerien erschlossene Büros angeordnet werden, die durch gläserne Schiebetüren
stets Blickkontakt zu diesen haben. Der mit
Sträuchern und Bäumen bepflanzte und von
einem abgewinkelten Glasdach gekrönte
Innenhof zitiert das antike Atrium, dient aber
gleichzeitig als klimatischer Puffer und reguliert den Temperatur- und Feuchtehaushalt
des Gebäudes. Er stellt sich damit in den
Dienst einer minimierten Haustechnik, die
durch Regenwassernutzung zur Atriumbewässerung und Niedrigenergie-Standard
konsequent auf Ressourcenschonung und
Energieeinsparung ausgerichtet ist. Der
innere Hausgarten ist darüber hinaus kontemplatives Zentrum, in dem angestrengte
Augen – und Seelen – Ruhe finden. Wie
dieser ruht auch die zweigeschossige Kiste
mit ihrer Hauptlast auf einem 2,25 Meter
hohen Betonsockel, der sich aus einer
künstlichen Mulde erhebt, die als Parkebene
fungiert. Von außen wirkt die Glasfassade
mit ihrem signalrot lackierten Rahmen wie
ein Monitor, im Inneren bewirkt sie, dass die
Mitarbeiter, weil der Blick nicht durch Autos
verstellt ist, gleichsam mitten im Grünen
sitzen. Die Holzlamellen geben den Bildschirmarbeitsplätzen den notwendigen Blendschutz. Farben und Material, Pflanzen und
Transparenz befördern eine entspannte,
kommunikative, aber auch produktive Atmosphäre. Insgesamt hat eine neue, postfordistische Ökonomie einen angemessenen Ausdruck in einer anspielungsreichen Architektur
gefunden, die – siehe das Atrium – Tradition
ins 21. Jahrhundert transformiert. (en)
Literatur:
Hans-Peter Schwanke: Ressourcensparen zwischen
Rezeption und Progression, Büro-Atriumgebäude,
Klein-Winternheim bei Mainz in: DAM Architektur
Jahrbuch 2001, München 2001, S. 52–55.
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Rheinhessen-Nahe | 13
Mainz / Oppenheim
MAN-Stahlhäuser
An der Goldgrube 33, 35, 41, 43
55131 Mainz;
Friedrich-Ebert-Straße 75
55276 Oppenheim
Heinz Bauer
1951–53
Dornier, Messerschmitt und MAN, im
3. Reich vielbeschäftigte Rüstungsbetriebe,
mussten sich nach 1945 nach anderen
Betätigungsfeldern umsehen. Die Unternehmen, erfahren in Großserienanfertigung,
Leichtbau und Montage, produzierten
Fertighäuser, die wegen der riesigen Wohnungsnot in den Nachkriegsjahren einen
reißenden Absatz versprachen. Das MANStahlhaus wurde auf Anregung des Ingenieurs Heinz Bauer im Stammwerk Augsburg
entwickelt und im Werk Mainz-Gustavsburg
von 1948 an in Serie produziert. Der Grundtyp hatte eine Fläche von 8 mal 8 Metern,
konnte aber bis zu 8 mal 16 Metern auf
Kundenwunsch ausgebaut werden. Die lichte
Höhe der Räume betrug 2,45 Meter, das mit
Asbestzementplatten gedeckte Satteldach
sorgte für ein in Teilen begehbares Dachgeschoss. Eine Variante mit ausgebautem
Dachgeschoss mit weiteren Schlafräumen
und einem Bad wurde zusätzlich angeboten.
Auch Doppelhäuser waren im MAN-Angebot. Doppelschalige, vertikal kannelierte
Stahlplatten bildeten die Außenwände und
zusammen mit einem Unter- und einem
Obergurtrahmen sowie dem als Scheibe
wirkenden Dach eine selbsttragende Konstruktion. Zur Dämmung wurde Glaswolle
eingesetzt, die Innenwände bestanden aus
Einbauschränken, die mit Holzfaserplatten
gefertigt wurden und von den Bewohnern
auch heute noch geschätzt werden. Die
Räume waren mit Schiebefenstern, die
Küchen mit Hängeschränken ausgestattet.
Für den Bodenbelag konnten die Käufer
zwischen Gasbetonplatten und Steinholz
wählen, die Decken bestanden aus Holzplatten. Zwar konnte das Stahlhaus nach einem
Baukastensystem von ungelernten Arbeitskräften an einem Tag errichtet werden, der
Preis mit umgerechnet 7.500 Euro war für
damalige Verhältnisse dennoch hoch. Und
nicht viel günstiger als konventionelle
Mauerwerkhäuser, wovon sich in der Anmutung die Stahlhäuser nicht viel unterschieden.
1953 stellte MAN die Produktion aufgrund
von Nachfragemangel ein. Nach RheinlandPfalz wurden etwa 120 dieser Fertighäuser
verkauft. Viele davon sind inzwischen
demontiert, zur Unkenntlichkeit verändert
oder mit Erkern, Aufbauten oder Vordächern
erweitert. Über die Wohnbauten hinaus
wurden in Mainz ein Geschäfts- und ein
Ausstellungshaus aus Stahl, letzteres am
Theater, errichtet. (en)
Hinweis:
Der Mangel an Baumaterialien in der Nachkriegsepoche war ein Nährboden für Experimente in
der Architektur. Ein Beispiel ist die Lutherkirche
(Rheinhessen-Nahe 41) in der Mainzer Wilhelmiterstraße aus dem Jahre 1949, die dem von Otto
Bartning entwickelten Notkirchenprogramm entstammt. Eine typisierte, in Serie fabrizierte Holzkonstruktion in Kombination mit Mauern aus
Trümmersteinen verknüpft industrielle Produktionsweisen mit dem Ort.
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Rheinhessen-Nahe | 15
Mainz
Heilig-Kreuz-Kirche
55131 Mainz, Schlesische Straße 23
Richard Jörg mit Bernhard Schmitz, Mainz
1954
Richard Jörg hat den Wiederaufbau des ursprünglich von Georg Moller 1833 als Zweckbau errichteten, im 2. Weltkrieg schwer
beschädigten Theaters in Mainz geleitet.
Ob er sich von diesem Gebäude bei seinem
Entwurf für die Heilig-Kreuz-Kirche inspirieren ließ, ist nicht bekannt. Doch die Ähnlichkeiten sind frappant. Beide Architekten
beschritten mit diesen Bauten neue Wege,
und für beide brauchte es mutige Verantwortliche – wie der Mainzer Bischof Albert
Stohr, der Heilig-Kreuz genehmigte.
Während der Mollerbau mit seinem eher
schmucklosen Halbrund als einer der wichtigsten Theaterbauten des 19. Jahrhunderts
gilt, so ist das Gotteshaus der erste katholische Zentralbau in Deutschland in der
Neuzeit. Dominierendes Element ist die
kreisrunde, dreistufige Altarinsel, die von
einer dreifach gestuften Schale – ein Baldachin in Jörgs Intention – überspannt wird.
Die Gemeinde schart sich in einem Halbkreis
um den Altar. In den Freiraum hineinragend
komplettiert das Kreisrund eine Wand mit
hochformatigen, schlanken Fenstertüren, auf
denen zwölf Engel eingraviert sind und
symbolisch die Gemeinde vervollständigen.
Jörg wagte freilich nicht nur in der Form
Neues, sondern auch in der Konstruktion.
Zwei Paare von Betonstützen tragen den
obersten Ring dieser lichtdurchfluteten
Betonkuppel, die Paul Meyer-Speer in leuchtenden, der Bauidee dienenden Farben
kongenial ausgemalt hatte. Die nächsten
beiden, breiter werdenden Ringe mit Glasbausteinen sind vom obersten Ring abgehängt. Der sich anschmiegende Gemeinderaum wird mit einem flachen Pultdach
gedeckt, wobei die tragenden Binder außen
sichtbar sind. Die Umfassungswände des
Gemeinderaums laufen in den Freiraum und
bilden eine trapezförmige beruhigte Vorzone. Besagte Fenstertüren konnten früher
ganz geöffnet werden, so dass – etwa an
Kirchenfesten – ein Gottesdienst in großer
Gemeinschaft auch im Freien gefeiert
werden konnte. 2004 erfolgte durch die
Mainzer Architekten Welschof + Schneberger
die komplette Sanierung und Restaurierung
des Gotteshauses mit dem Ziel, das durch
Ingenieureinbauten und Übermalungen
entstellte Erscheinungsbild des Sanktuariums
wiederherzustellen. Entscheidend dabei war
der Wiesbadener Künstler Eberhard Münch
mit einer Interpretation der ursprünglichen
Ausmalung von Schale und Ringen. Im
Herbst 2005 wird der seit den 60ern offenliegende Bitumenestrich im Gemeinderaum
mit bruchrauem Schiefer belegt, darüber hinaus soll die Beleuchtung entwurfsgerecht
optimiert werden. Der Heilig-Kreuz-Kirche
wohnt trotz leichter Veränderungen nach
wie vor ein klare Ordnung und eine große
Harmonie inne. Sie zeugt darüber hinaus
vom Mut der 50er Jahre. (en)
Literatur:
Hugo Schnell: Die neue Kirche Hl. Kreuz in Mainz
von Richard Jörg, in: Das Münster 1955, Heft 1/2.
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Rheinhessen-Nahe | 17
Mainz
Gutenberg-Museum
Liebfrauenplatz 5, 55116 Mainz
Rainer Schell, Wiesbaden
Erweiterung: Rossmann + Partner, Karlsruhe
1962
(Erweiterung: 2000)
Am Anfang standen zwei RenaissanceGebäude in der Nachbarschaft zum Mainzer
Dom: der „Römische Kaiser“, der seit 1930
das Gutenberg-Museum beherbergte, und
der „König von England“. Beide Häuser
wurden im Krieg erheblich zerstört. Rainer
Schell gewann mit einem additiven Konzept
den Wettbewerb um den Wiederaufbau des
Gutenberg-Museums. Die zerbombten Teile
des „Römischen Kaisers“ baute er wieder
auf. Den „König von England“ ersetzte er
mit einem schmalen Trakt, wobei er den
neuen Mauern noch verbliebene Relikte wie
rotsandsteinerne Konsolen und Säulenportale vorblendete. Rechtwinklig zum Verbindungstrakt positionierte der Architekt einen
kompromisslos modernen, freilich in Volumen und Höhe gegenüber den Altbauten
sich zurückhaltenden Neubau. Ein Sockel aus
grobkörnigem Beton, ein gläsernes Zwischengeschoss sowie weiß geäderte graue
Marmorplatten in den beiden oberen Etagen
verhüllten ein damals revolutionäres EinraumMuseum: Statt für übereinander gestellte
Ausstellungsgeschosse entschied sich Schell
für drei gegeneinander versetzte Ebenen. Mit
dem Ergebnis eines unerwartet großzügigen
Raumes und milder Übergänge zwischen
den einzelnen Ausstellungsbereichen.
Darüber hinaus erhielten auf diese Weise
Empfangshalle und Vortragssaal eine angemessene Höhe. Wegen des Mangels an
Ausstellungs- und Depotflächen lobte die
Stadt 1989 einen Wettbewerb um einen
Erweiterungsbau aus, den das Büro Rossmann + Partner gewann. Dem projektleitenden Partner Bernhard Schorpp gelang es
dabei, mit seinem Entwurf – einem zweischiffigen Baukörper – ein städtebauliches
Problem zu lösen und gleichzeitig die Modernität des Schellbaues sensibel, aber eigenständig weiterzuführen. Das eine gedeckte
Schiff schließt den Baublock – bis dato ein
ungestalteter Hinterhof, der sich mit Brandwänden und Rückwänden dem Liebfrauenplatz und dem Dom öffnete – und ordnet
sich mit einem äußerst steilen Satteldach in
die Umgebung ein. Das zweite Schiff dagegen setzt die Konturen und die Trauflinie des
Schellbaus fort, mit dem es über die Seilerpassage durch eine Brücke verbunden ist.
Auch im Material, in den zurückhaltenden
Farben sowie in der Dachform ist dieses
Schiff dem „Altbau“ verbunden, wobei es –
klar ablesbar durch einen Holzlamellenvorhang – mit neuen Ausstellungsflächen in den
Obergeschossen und einem Druckladen im
Erdgeschoss verschiedene Nutzungen erfährt. Darüber hinaus optimierte Schorpp mit
neuen Toren den Innenhof und setzte dem
Schell’schen Verbindungstrakt eine gläserne
Schicht vor, die nun dessen Nutzung als Café
möglich macht. Die Erweiterung heilt eine
städtebauliche Wunde, macht öffentlichen
Raum erlebbar und zudem die Geschichte
der Stadt als Abfolge und Überlagerung von
Schichten sichtbar. Ein „Glücksfall“ schrieb
die FAZ dazu. Zu Recht. (en)
Literatur:
Rainer Schell: Gutenberg Weltmuseum der
Druckkunst, Mainz, in: Baumeister 11/1965.
Edda Kurz: Erweiterung des Gutenbergmuseums,
in: Bauwelt 24/2000.
Dieter Bartetzko: Seid umschlungen, Ruinen, in:
FAZ 17. 04. 2000.
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Rheinhessen-Nahe | 18
Mainz
Evangelische Auferstehungsgemeinde
Ecke Am Fort Gonsenheim/Wallstraße
55122 Mainz
Hans-Joachim Lenz, Mainz
1962
„Die Kirche ist Herzstück der Anlage sowohl
in der grundrisslichen Funktion wie gegenüber den Gebäuden für die außer-gottesdienstlichen Aufgaben, wie auch in der
äußeren Erscheinung.“ So lautete 1959 das –
sprachlich etwas bemühte – Urteil einer von
der Auferstehungsgemeinde eingesetzten
Jury zu dem Entwurf von Hans-Joachim Lenz
und sprach diesem den 1. Preis zu. Lenz
hatte die angesprochene Anlage aus insgesamt acht Teilen arrangiert: dem Pfarrhaus,
dem Gemeindehaus, dem Kinderhaus, einem
frei stehenden Kirchturm, einer breiten
Freitreppe, einer Glasfassade und einem
Dach. „Kirche“, erläuterte der Architekt,
„ist kein Gehäuse neben Gehäusen, Kirche
als Gebäude ist nicht existent“. Und so baute
Lenz auch keine Kirche, sondern formte
einen Kirchenraum aus Teilen der Anlage:
Jeweils eine Wand der längsrechteckigen
Häuser (Pfarrhaus usw.) dient als Wand für
die Kirche; wo massive Wände fehlen,
werden sie durch solche als Glas ersetzt,
und über allem thront ein auf vier Stahlbeton-Pfeilern ruhendes Dach: „Das weitausladende Dach“, so Lenz, „schwebt wie
der göttliche Wille über dem menschlichen
Bereich und fügt alle Dinge in gottgewollte
Ordnung.“ Eine formvollendete Komposition:
nüchtern, sachlich, sehr rational und doch
mit einem Händchen für die Wirkungen von
Geometrie, von Symmetrie und Topographie.
Das jeweils vier Meter auskragende Stahlbeton-Dach ist quadratisch, was durch quadratische Deckenfelder betont wird. Auch
der Grundriss des Kirchenraumes ist quadratisch, die querrechteckige Altarinsel dagegen
hat der Architekt nicht symmetrisch an die
Nordwand gestellt, sondern um genau ein
Deckenfeld in Richtung des Gemeindehauses
verschoben. Die sich vor dem Altar versammelnden Gläubigen stehen deshalb im
geometrischen Zentrum der gesamten
Anlage, die Freitreppe führt – mit Absätzen
zum Sich-Sammeln unterbrochen – axial auf
die Gemeinde hin. Wobei sich auch die
Kunst vortrefflich in die Komposition fügt –
der umlaufende, das spätmittelalterliche
Motiv der Bilderbibel aufnehmende Betonfries von Heinz Hemrich und die Glaswände
von Robert Seyfried, die mit eher kühlen,
aber fein abgestimmten Farben dem Raum
Leben und Licht geben. Lenz hat einen
kleinen Tempelberg geschaffen, ein zur
Entstehungszeit vielbeachtetes, heute allerdings hinter Gesträuch verstecktes und
deshalb meist links liegen gelassenes Kleinod. (en)
Literatur:
Kunst und Kirche, 4/63, S. 159–162.
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Rheinhessen-Nahe | 24
Mainz
Frankfurter Hof
Augustinerstrasse 55, 55116 Mainz
Funk + Schröder, Darmstadt
1991
„Ein ähnliches, dem geselligen Vergnügen
gewidmetes Lokal besitzt Mainz noch nicht,
es übertrifft an Ausdehnung alle hier vorhandenen, und was man von der inneren
Einrichtung jetzt und künftig zu erwarten
hat, dafür sprechen die geschmackvollen
Verzierungen der Decke, die geräumige,
rings um den Saal laufende Galerie und die
höchst zweckmäßige Einteilung des ganzen.“
Dies schrieben die Mainzer Unterhaltungsblätter am 10. November 1841 über den
Frankfurter Hof. Doch schon bald sollte der
Saal nicht mehr nur als „Unterhaltungstempel“, sondern auch als politisches Veranstaltungslokal fungieren. Im März 1848 traf sich
hier ein revolutionäres „Bürgercomité“, einen
Monat später zum ersten Mal der Arbeiterbildungsverein, kurz darauf wurde der
„Demokratische Verein“ gegründet – natürlich im Frankfurter Hof. 1863 hielt Ferdinand
Lassalle eine Rede, die in der Gründung des
Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins
münden sollte, und wieder kurze Zeit später
geriet das Gebäude unter den Einfluss des
Mainzer Bischofs Wilhelm Emanuel von
Ketteler, wo er zum Hort des deutschen
Sozial- und Vereinskatholizismus wurde. Der
Saalbau sollte sich als Ort, an dem die
Mainzer Demokratie praktizierten, in den
1980er Jahren noch mal bewähren. Die
Stadtverwaltung hatte beschlossen, das
„desolate Gemäuer“ abzureißen, da konstituierte sich eine Bürgerbewegung, um den
Frankfurter Hof zu retten – mit Erfolg. Alois
Funk und Paul Schröder, deren Entwurf
den Wettbewerb gewann, hatten also nicht
nur baufälliges Gemäuer zu modernisieren,
sondern einen Traditionsort, den Mainzer
stolz Rheinhessische Paulskirche nennen. Das
Konzept war, den Altbau an der Augustinerstraße und den eigentlichen Saalbau zu
erhalten, den Verbindungstrakt abzureißen
und ihn durch einen neuen zu ersetzen,
wobei Alt und Neu deutlich sichtbar zu
trennen waren. Die neobarocke Schaufront,
eine Zutat von 1885, wurde sorgfältig
restauriert. Der gerahmte Zugang zum
neuen Kulturzentrum fügt sich in die wiederhergestellten Arkaden sensibel ein. Das neue
Foyer ist außen durch eine gelb-grau gestreifte Natursteinfassade und ein Rundfenster ablesbar, im Inneren wirkt es seiner edlen
Materialien, der Galerie und der freischwingenden Treppe sowie des dreischiffigen
Grundriss’ wegen etwas sakral. Das Konzept,
den Verbindungstrakt als einen durch eine
Glashülle geschützten Außenraum erscheinen zu lassen, ist aufgegangen. Die „geschmackvollen Verzierungen“ des alten
Saalbaus haben die Architekten mit Kristallkapitellen und opulenten Deckenleuchten
zeitgenössisch zitiert. Durch die Eingriffe hat
der Frankfurter Hof, wie Dieter Bartetzko
schrieb, „die ihm gemäße architektonische
Gestalt“ bekommen. Er ist zugleich einer der
wenigen wirklichen gelungenen Beispiele der
Postmoderne in Rheinland-Pfalz. (en)
Literatur:
Dieter Bartetzko: Der Frankfurter Hof in Mainz, in:
Bauwelt 40/1991.
Kulturdezernat der Stadt Mainz in Zusammenarbeit
mit dem Bürgerverein Frankfurter Hof:
Der Frankfurter Hof 1841–1991. Mainz 1991.
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Rheinhessen-Nahe | 27
Mainz
Wohnsiedlung
Gustav-Mahler-Straße, 55127 Mainz
Steidle + Partner, München,
Klaus Bierbaum, Mainz
(Landschaftsarchitekt)
1997
„Die Anlage stellt einen zeitgemäßen und
positiven, in die Zukunft weisenden Beitrag
für eine umweltgerechte Wohnumfeldgestaltung und für die Entwicklung des Wohnungsund Städtebaus im urbanen Kontext dar.“
So urteilte eine Jury, welche die allgemein als
Papageiensiedlung bekannte Wohnanlage
auf dem Mainzer Lerchenberg 1995 mit dem
Staatspreis Architektur und Städtebau
auszeichnete. Die vom 2004 verstorbenen
Otto Steidle unter Mitarbeit seiner Architekturklasse an der Kunstakademie München
geplante Wohnsiedlung ist in der Tat eines
der wenigen gelungenen Mainzer Beispiele
im sozialen Wohnungsbau, obwohl der die
Westzeile und das angrenzende Verwaltungsgebäude einbeziehende Entwurf, mit
dem Steidles Büro in einem Gutachterverfahren den 1. Preis errang, eine städtebaulich
weitaus schlüssigere Gesamtlösung vorsah.
Unterschiedliche, zu insgesamt vier Wohnzeilen geformte Haustypen umfassen ein
quadratisches Feld, wobei zwei achtgeschossige Wohntürme mit ihren kräftigen Farben
einerseits als Erkennungszeichen dienen,
zum anderen die Siedlung in die von Wohnhochhäusern geprägte nähere Umgebung
eingliedern. Im funktionalen Zentrum der
Siedlung formulieren die beiden Mittelzeilen
einen gepflasterten, mit einer strengen
Baumallee aufgewerteten Platz, der durch
Verbindungsbrücken im 2. Obergeschoss
gerahmt wird. Neben eher öffentlichen
Wegen gibt es auch Grünräume, die mit
vorgelagerten Mietergärten verbunden sind.
Während die viergeschossigen Mittelzeilen in
zwei, auch von außen sichtbare Zonen mit
Familienmaisonetten aufgeteilt sind, wurde
in der fünfgeschossigen Nordzeile zwischen
diese Zonen eine Etage mit Zwei-ZimmerWohnungen geschoben. Im Osten wurden
die aus Nord- und Mittelzeile bekannten
Haustypen zu einer Doppelzeile mit Innenhof
kombiniert. Beeindruckend ist der gelungene
Versuch, den Bewohnern trotz der hohen
Bebauungsdichte ein hohes Maß an Individualisierung zu bieten. Dazu tragen stimmige
Details wie Oberlichter in den Eingangsnischen, eine reiche, aber niemals aufdringliche Materialvielfalt und die sensible Farbgestaltung des Berliner Künstlers Erich
Wiesner bei. Das Mainzer Büro Infra, einer
der 2. Preisträger beim genannten Verfahren,
plante die Westzeile mit behindertengerechten Altenwohnungen. Der Entwurf für das
erwähnte Verwaltungsgebäude für den
Pharmakonzern Novo Nordisk im Osten der
Siedlung stammt von den Kopenhagener
Architekten Dissing + Weitling. (en)
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Rheinhessen-Nahe | 32
Mainz
Hotel Quartier 65
Wormser Straße 65, 55130 Mainz
Max Dudler, Berlin
2001
„Assimilierter Exot“ hat Dieter Bartetzko in
der FAZ das Quartier 65 genannt, „mediterrane Skulptur“ und ein seltenes „Juwel jenes
Bauens im Bestand, das die vornehmste,
dabei fortwährend missachtete Aufgabe
unserer Tage ist“. Ein hohes Lob, das freilich
in der Fachwelt auf Resonanz stieß. Die
Architekturzeitschriften berichteten positiv
über das Gebäude, und beim BDA Architekturpreis Rheinland-Pfalz 2003 erhielt es eine
Auszeichnung. Anwohner dagegen kritisierten den Bau, eine Lokalzeitung schrieb gar
von einer „ultramodernen Hütte“. Nun ist
der Bau, der alles Überflüssige gleichsam
abgestreift, alles Unnötige verbannt hat,
alles andere als gewöhnlich und ragt in
der historischen Rheinfront der ehemaligen,
denkmalgeschützten Schifferhäuser im
Mainzer Stadtteil Weisenau durch seine
Gestaltung heraus. Wobei sich das giebelständige Haus mit seinen stehenden Fenstern, wie eine vom BDA eingesetzte Jury
urteilte, „rücksichtsvoll zu seiner Umgebung“
verhält. Das mit weißgrauem portugiesischen
Granit verkleidete Gebäude – auch das Dach
ist mit diesem Material bedeckt – ist die
Essenz eines Hauses. Max Dudler hat auf
einer gerade 6 Meter breiten Parzelle eine
Art Urhütte entworfen und diese erinnert ein
wenig an das Haus im Haus, das sein ehemaliger Lehrer Oswald Mathias Ungers im
Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt
gebaut hat. Dieses wie jenes erhält durch die
radikale Abstraktion etwas Erhabenes, eine
fast sakrale Stimmung, die in Weisenau
durch den pathetischen Vorplatz betont wird.
Das Innere – Frühstückscafé und Bar, die
gleichzeitig als Rezeption dient, jeweils zwei
Zimmer in den insgesamt drei Obergeschos-
sen sowie ein meditativer Innenhof – ist ähnlich reduziert. Aber in seiner Askese perfekt
bis ins Detail. Die Fugenschnitte stimmen,
Türzargen und Fußleisten sind wandbündig
und Armaturen präzise platziert. Im Großen
wie im Kleinen: Das Haus ist schlüssig – in
einer Konsequenz, wie es sie sowohl in
Rheinland-Pfalz als auch im Hotelgewerbe
äußerst selten gibt. (en)
Literatur:
Dieter Bartetzko: Winzling mit Riesenkraft, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 07. 2003, S. 38.
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Rheinpfalz | 18
Ludwigshafen
Café Laul
Ludwigsplatz 13a, 67059 Ludwigshafen
Stadtbauamt Ludwigshafen
1952
Allein schon diese Schrift über dem Dach:
geschwungen und gekurvt, fein, fast filigran
und fließend – wie von zarter Mädchenhand
geschrieben. Die Schrift drückt wie das
Gebäude und das Mobiliar jenes Lebensgefühl der „swinging fifties“ aus, das unter der
politischen Formel „Keine Experimente“
nach neuen Wegen und ästhetischen Experimenten suchte. Nach der tief finstren Nacht
des 3. Reiches das Morgenrot des bundesdeutschen Wirtschaftswunders, nach den
monumentalen, streng symmetrischen
Klötzen des Nationalsozialismus das Leichte
und Organische einer internationalen Architektur. 1952 wurde das Café Laul gebaut –
als eleganter Höhepunkt und Abschluss der
parkartigen Anlage des Ludwigsplatzes mit
seinen mächtigen Platanen und mit freiem
Ausblick auf den Winterhafen. Zwischen
elegantem Strandpavillon und provisorischem Kiosk changierend – ein Stückchen
Rimini am Rhein. Auf der Nordseite des leicht
und organisch anmutenden Gebäudes befand sich ein Verkehrsbüro, in dem nicht nur
Billets für Straßenbahn und Bus, sondern
auch Eintrittskarten für Konzerte und Fastnachtsveranstaltungen erhältlich waren.
Die Südseite nahm ein kleines Café auf, das
sich mit einer Terrasse in die Gartenanlage
integrierte. Der freistehende Baukörper, das
weit überstehende Dach, die bleistiftdünnen
Stützen, die schlanken Profile bei Fenstern
und Türen, das umlaufende Fensterband mit
den nach außen kippbaren Oberlichtern,
all das stellt Bezüge nach draußen her.
Die äußere Ovalhälfte des Cafés findet seine
Entsprechung in einer elliptischen Wand
im Inneren, wobei auch die Sitzbänke, die
Tische wie die Schränke und der Tresen ge-
bogen sind. Seit 1992, in diesem Jahr wurde
auch der Ludwigsplatz neu gestaltet, steht
das „Laul“ unter Denkmalschutz. Seit 1998
wird es nach einer vom Innenarchitekten
Ulrich Jarczyk, Grünstadt, geleiteten Sanierung nur noch als Café (heute Bistro) genutzt. Der vorher winzig kleine Gastraum
wurde sensibel erweitert, in den Räumen
des Verkehrsbüros – die zwischenzeitlich als
Geschäftsstelle der örtlichen FDP dienten –
wurde eine Küche und eine Toilettenanlage
eingebaut und die Haustechnik auf neuesten
Stand gebracht. Die herrliche Aussicht auf
den Rhein allerdings – heute wäre das Standortqualität – ist lange verschwunden. Bereits
1957 hatte man den Winterhafen zugeschüttet und in der Folge den östlichen Platzrand –
nicht immer sehr gelungen – bebaut. (en)
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Rheinpfalz | 21
Ludwigshafen
Friedrich-Engelhorn-Haus
Carl-Bosch-Straße 44, 67063 Ludwigshafen
Helmut Hentrich und Hubert Petschnigg
1957
„Symbol des Aufbauwillens“, „höchstes Haus
Deutschlands“, „Industrie-Walhall in Ludwigshafen“: So tönten die Zeitungen am
22. März 1957, nachdem einen Tag zuvor das
Friedrich-Engelhorn-Haus im Beisein allerlei
Prominenz eingeweiht wurde. Während
Werner Bockelmann, damals Oberbürgermeister Ludwighafens, die BASF zum „ersten
richtigen Hochhaus der Bundesrepublik“
beglückwünschte, blieb die putzigste
Schlagzeile der in Innsbruck erscheinenden,
geographisch wenig kundigen „Tiroler
Tageszeitung“ vorbehalten. Ihrem Bericht
über das BASF-intern „E 100“ genannte
Gebäude gab sie den Titel: „moderne
bauten als zeugen kultureller schöpferkraft
in baden-württemberg“. Nun, Schöpferkraft
haben die Architekten Helmut Hentrich,
Hubert Petschnigg und ihre Partner, Gewinner eines eingeladenen Wettbewerbs,
wirklich benötigt: War doch in Deutschland
solch ein Haus in damals gigantisch erscheinenden Dimensionen – 101,60 Meter hoch,
27 Meter breit, 55 Meter lang – ohne Vorbild.
Die Düsseldorfer Architekten verarbeiteten
Anregungen vom 1954 fertiggestellten LeverHouse in New York und Mailands kurz darauf
folgendem Pirelli-Hochhaus zu einem originären Beitrag. Der Grundriss zum Beispiel –
jeweils an den Fassaden die Bürozeilen und
in der Mitte zwei Flure, acht Aufzugsschächte plus Nebenräume – galt zu jener Zeit in
Deutschland geradezu als revolutionär.
Ebenso die durchgehende Klimatisierung
und Lüftung der Räume (die Klimaanlagen
wurden erst 2004 ausgewechselt). Oder die
Fassaden, die an den Längsseiten statt des
zeittypisch vorstehenden Betonrasters ein
einheitliches, violett schimmerndes Kleid
aus venezianischem Glasmosaik aufwiesen
(bevor es 1996, nachdem der Untergrund
schadhaft wurde, von einer mit KeramikSiebdruck beschichteten Alu-Glas-Vorhangfassade ersetzt wurde). Indes, die größte Tat
von Hentrich und Petschnigg war das
immerhin 68.000 Tonnen schwere Gebäude
leicht, beinahe fragil aussehen zu lassen.
Die gläserne Cafeteria im 21. Stockwerk mit
ihrem auskragenden Flugdach trägt zu
diesem Eindruck bei, auch die teilverglasten
Giebelseiten, die den Bürofluren natürliches
Licht geben, sowie die von einem verwegen
geschwungenen Dach gekrönte Eingangshalle, die im spitzen Winkel zum Gebäude
steht. Hauptursache für die fast schwebende
Anmutung jedoch sind die schräg abgewinkelten Stahlbetonstützen, die ein vollverglastes Erdgeschoss ermöglichten. Eine politische Geste, gerichtet gegen die steinstarre
Monumentalität des Nationalsozialismus –
wichtig gerade bei einem wieder aus dem IGFarben-Verbund entlassenen Unternehmen.
Werner Bockelmann übrigens vertauschte
noch 1957 den Ludwighafener Oberbürgermeister-Sessel mit dem von Frankfurt, wo er
entscheidende Weichen stellte, damit aus
Hessens größtem Dorf „Mainhattan“ werden sollte. (en)
Literatur:
BASF (Hrsg.): Das Hochhaus der BASF. Planung –
Ausführung – Erfahrungen, Stuttgart 1958.
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