Abschlussbericht: Innovationsfonds 2013 Projekt „Interdisziplinäre Lehrveranstaltung im SS 2014: Friedens- und Konfliktforschung“ 25.11.2016 Dr. Marcel M. Baumann Seminar für Wissenschaftliche Politik Lehrstuhl Prof. Dr. Jürgen Rüland Rempartstr. 15 79085 Freiburg Telefon: 0761/203-3465 Fax: 0761/203-9185 [email protected] Aktuell (bis 24. Januar 2017): DAAD Gastdozent Universitas Atma Jaya Yogyakarta Kampus 4 – Gedung Theresa Address: Jl. Babarsari No. 44, Depok, Sleman Daerah Istimewa Yogyakarta 55281, Indonesia Phone: +62 274 487711 1 1. Projektbeschreibung Die Grundlage des Projektes war eine Lehrveranstaltung, die im Sommersemester 2014 am Seminar für Wissenschaftliche Politik angeboten wurde. Die Lehrveranstaltung trug den Titel „Friedensund Konfliktforschung“. Die Lehrveranstaltung stieß auf großes Interesse, sodass es 30 Studierende am Seminar teilnahmen. Alle Seminarplätze wurden damit komplett ausgeschöpft. Das Hauptseminar hatte den innovativen Charakter eines Lehrforschungsprojektes. Das bedeutet konkret, dass das zentrale Ziel verfolgt wurde, gemeinsam mit den Studierenden sich ein Thema in allen seinen Komplexitäten zu erarbeiten. Nach langen und intensiven Diskussionen wurde die Entscheidung getroffen, sich auf das Thema Indien zu fokussieren. Diese Entscheidung wurde zur Grundlage für die Konzeption des studentischen Sammelbandes (siehe unten). Die Lehrveranstaltung war in verschiedene, aufeinander aufbauende Blöcke unterteilt. Der erste Block beschäftigte sich mit den Grundlagen des Fachs „Friedens- und Konfliktforschung“. Es ist eine relativ neue Disziplin, die mittlerweile zahlreiche Master-Studiengänge an deutschen Universitäten institutionalisiert hat. Entsprechend stand die ersten Seminarsitzungen unter der Fragestellung: Was ist Friedens- und Konfliktforschung? Diese Frage wurde in Arbeitsgruppen sehr kritisch durchleuchtet. Diskutiert wurden die historischen Grundlagen der Disziplin und verschiedene Debatten, die geführt wurden bzw. immer noch geführt werden: z.B. zwischen kritischer Friedensforschung und konstruktivistischer Friedens- und Konfliktforschung. Der zweite Block der Lehrveranstaltung war der Theorieblog. Er setzte sich mit den zentralen theoretischen Konzepten und Ansätzen der Friedens- und Konfliktforschung auseinander: Gewaltbegriffe (direkte versus strukturelle Gewalt), Friedensbegriffe (negativer versus positiver Frieden), Demokratischer Frieden usw. In diesem Block wurden auch verschiedene Interventionsansätze und Mechanismen diskutiert: Friedenskonsolidierung, Friedensbildung, Post-Conflict-Peacebuilding, Peacekeeping, Mediation, Konflikttransformation usw. Nach dem Theorieblock kam der wichtigste Block der Lehrveranstaltung, nämlich die konkrete Auseinandersetzung mit Einzelfallstudien: Nordirland, Bosnien-Herzegowina, Ruanda und Indien. In allen Sitzungen wurden dabei auch moderne, methodische Zugänge diskutiert und angewendet. Die Vielfalt der methodischen Ansätze verlieh der Lehrveranstaltung einen interdisziplinären Charakter: Neben empirischen Zugängen, wie z.B. Fragebogenerhebungen in Ruanda oder Nordirland, 2 wurden auch literarische Quellen und historische Romane eingesetzt, vor allem im Fallbeispiel Bosnien-Herzegowina. Für den bosnischen Fall eigenen sich vor allem der mit dem Literaturnobelpreis gekrönte Roman „Die Brücke über die Drina“ von Ivo Andrić und der relativ neue Roman von Saša Stanišić mit dem Titel „Wie der Soldat das Grammophon repariert“ für eine reflektierte Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Bosnienkonfliktes. Das Fallbeispiel Indien wurde nach verschiedenen Gesichtspunkten und unter Einbezug vielfältiger Perspektiven betrachtet. In den Sitzungen als Gast präsent war auch der Freiburger Indologe Clemens Jürgenmeyer, der seine jahrzehntelangen Indienerfahrungen mit uns teilte. Ein besonderer Fokus wurde auf die beiden Themen Kastenwesen und Hindu-Muslim-Konflikte gelegt. Denn in der Indologie sind diese beiden die am meisten umstrittenen Themen überhaupt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entwickelte sich daraus die Entscheidung, den geplanten studentischen Sammelband auf Indien zu konzentrieren. Zusammenfassend bestand die Lehrforschung aus zwei Teilen: Zum einen wurde die innovative Lehrveranstaltung angeboten. Zum anderen haben im Rahmen dieser Lehrveranstaltung fünfzehn Master- und Bachelor-Studierende zu vielfältigen Themenfeldern und Aspekten Indiens recherchiert und auf dieser Grundlage Hausarbeiten verfasst. Die anderen 15 Hausarbeiten, die im Rahmen der Anforderungen an das Hauptseminar verfasst wurden, beschäftigen sich mit anderen Themen aus der Friedens- und Konfliktforschung, z.B. mit Nordirland oder Bosnien-Herzegowina. Die zentrale Aufgabe des studentischen Sammelbandes bestand schließlich darin, aus ausgewählten Hausarbeiten publikationsfähige Artikel machen. Dies war die Hauptarbeit und erstreckte sich über mehrere Monate. Ein positiver Effekt des studentischen Sammelbandes aus der Sicht der Studierenden besteht darin, dass sich die Chancen für die Studierenden auf erfolgreiche Bewerbungen, z.B. auf Plätze in Masterstudiengänge im Fachbereich Friedens- und Konfliktforschung, erheblich erhöhen. Denn aus Studierenden wurden somit (wissenschaftliche) Autorinnen und Autoren. Insofern kann das Gesamtprojekt als Win-Win-Projekt eingestuft werden: Es produzierte nur Gewinner. Die am Projekt beteiligten Personen waren: Gabriela Manea, M.A.: allgemeines Projektmanagement, wissenschaftliche Betreuung und Koordination. Dr. Arndt Michael: Beratung der Studierenden, Lektorat der Beiträge und Autor. 3 Dr. Marcel Baumann: Leitung des Hauptseminars, Beratung der Studierenden, Lektorat der Beiträge und Autor. 2. Teresa Merz: wissenschaftliche Hilfskraft. Projektergebnisse Die Lehrveranstaltung konnte erfolgreich abgeschlossen werden, das Feedback der Studierenden war durchweg positiv. Außerdem habe ich fünf Bachelorarbeiten im Themenbereich „Friedensund Konfliktforschung“ betreut. Alle fünf Studierende hatten zuvor an meinem Hauptseminar teilgenommen. Das zentrale Ergebnis des Projektes war die erfolgreiche Publikation des studentischen Sammelbandes: „Indien verstehen“. Der Sammelband richtet sich an ein breites Publikum: an Wissenschaftler, Forscher, Lehrende, Journalisten, zivilgesellschaftliche Akteure und Indienexperten und an alle an Indien – und insbesondere an neuen Perspektiven auf Indien – interessierten Personen. Das Buch wurde im November 2015 fertiggestellt und als kompletter Satz dem Verlag übersandt. Das Buch erschien schließlich am 12. Mai 2016. Die zentrale inhaltliche und auch erkenntnistheoretische Frage, die wir uns gemeinsam mit den Studierenden gestellt haben, lautete: Kann man Indien verstehen? Diese Frage ist umso relevanter, wenn man sich vergewissert, dass man sich beim Versuch, die mannigfaltigen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Phänomene, die man in Indien beobachten kann, nachzuvollziehen, man mit Klischees und Vorurteilen konfrontiert wird, die widersprüchlich und nur schwer miteinander zu vereinbaren sind: Indien ist das zweitgrößte Land der Erde und die weltgrößte Demokratie. Das Land wird seit Jahren als potenzielle außenpolitische Weltmacht betrachtet, denn nicht zuletzt ist Indien eine der wenigen Atommächte der Welt. Indien, das ist natürlich auch das Land Gandhis und der Bewegung der Gewaltfreiheit, ebenso wie von Ayurveda, Bollywood und berühmten Festivals wie Holi oder Diwali. Mit Indien verbindet man gleichzeitig den Hinduismus, das Kastenwesen und den Geburtsort von Siddhartha Gautama, der im Allgemeinen „Buddha“ genannt wird und dessen Lehre den Buddhismus begründete. Negativ 4 wird Indien assoziiert mit dem Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne, mit weitverbreiteter Armut, den größten Slums der Welt, der Missachtung von Frauenrechten, einer maroden Infrastruktur, Luftverschmutzung oder allgegenwärtiger Korruption. Kurzum: Indiens Kultur und Gesellschaft sind gekennzeichnet von großer Mannigfaltigkeit und Widersprüchlichkeit, die verschiedenen Akteure und Prozesse seiner Innen- und Außenpolitik sind für viele nur schwer oder gar nicht zugänglich oder nachvollziehbar. „Einheit in der Vielfalt“, so beschrieb Jawaharlal Nehru, Indiens erster Premierminister, das zentrale Kennzeichen Indiens und gleichzeitig seinen eigenen Anspruch an das unabhängige Indien. Mit dem studentischen Sammelband „Indien verstehen: Thesen, Reflektionen und Annäherungen an Religion, Gesellschaft und Politik“ wurde ein Versuch unternommen, sich dieser beeindruckenden Vielfalt Indiens aus unterschiedlichen und teils neuen Perspektiven zu nähern. Gleichzeitig sollen gerade der Mythos Indien und zahlreiche, damit zusammenhängende Vorstellungen kritisch hinterfragt werden. Warum aber ist Indien ein Mythos? Ein Mythos kann als Phänomen verstanden werden, das auf der Basis bestimmter Vorstellungen glorifiziert wird und einen legendären Charakter zugesprochen bekommt. Dass Indien seit Jahrhunderten eine große Faszination ausübt und viele seiner Facetten, seine Geschichte und seine Leistungen bisweilen glorifiziert werden, ist unbestritten. Gleichzeitig hat diese Faszination zu einem hohen Maß an Verklärung geführt. Begriffe wie „Kaste“, Personen wie Mahatma Gandhi oder die Ausprägungen des Hinduismus werden sehr oft mit falschen Assoziationen verbunden. Gleiches gilt für die Charakterisierung Indiens als politischer oder wirtschaftlicher Weltmacht. Die Autoren dieses Buches hinterfragen genau jene Vorstellungen, auf denen der Mythos gründet: Warum halten sich hartnäckig bestimmte Interpretationen und Wahrnehmungen über das Kastenwesen, obwohl sie in der Realität so nicht existieren? Warum wird Indien häufig zu einer politischen und wirtschaftlichen Weltmacht stilisiert, obwohl die meisten Voraussetzungen, die eine Weltmacht ausmachen, bis auf Weiteres nicht erfüllt sind? Oder warum wird Gandhi häufig wie ein Heiliger verehrt, womit gleichzeitig Teile seiner Biografie und seiner kontroversen Aussagen zu bestimmten Themen ignoriert werden? Gleichzeitig hinterfragen wir den gegenwärtigen Trend, Gandhi zu kritisieren, der von der bekannten indischen Autorin und Aktivistin Arundhati Roy angestoßen wurde: Geht es in der Fundamentalkritik an Gandhi, die darauf hinausläuft, Gandhi sogar als „Rassisten“ zu diskreditieren, wirklich um die Substanz seines Denkens, oder geht diese Kritik in einer unreflektierten, beinah populistischen Art und Weise zu weit? 5 Es war unser Ziel, gemeinsam mit den Studierenden nach Antworten auf diese Fragen zu suchen. Hierzu bedurfte zusätzlich zu den langen und intensiven Diskussionen im Seminar einer reflektierten Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen, politischen und sozialen Aspekten eines schier unendlich facettenreichen Landes. Um einen ersten Zugang auf dem schwierigen Weg, Indien „verstehen“ zu können, haben wir für unsere Analysen fünf zugespitzten Thesen ausgewählt: Es gibt kein Kastensystem. Es gibt keinen Hinduismus. Indien ist kein Beispiel für friedliche, inter-religiöse Koexistenz. Indien ist keine Weltmacht. Gandhi war kein Heiliger und kein Rassist. Aufbauend auf diesen Thesen wurden in fünf Themenblöcken 17 Einzelbeiträge verfasst: 15 aus studentischen Hausarbeiten plus jeweils ein Beitrag von Dr. Arndt Michael und Dr. Marcel Baumann. In jedem der fünf Themenblöcke befindet sich ein spezieller Beitrag unter der Rubrik „Querdenken“, in dem die Studierenden zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Mythos Indien aufrufen und herrschende Vorstellungen über Indien kritisch hinterfragen. Im ersten Themenblock – Homo hierarchicus: Das Kastenwesen – stellt Raphael Steinhilber zunächst das Kastenwesen vor. Die zentrale These des Beitrags wird bereits im Titel formuliert: „Es gibt kein Kastensystem!“ In der Indienforschung ist dieses Thema das wohl umstrittenste Thema überhaupt. Das zentrale Plädoyer des Beitrags lautet, dass bereits der Begriff „Kastensystem“ fragwürdig ist und nicht verwendet werden sollte. Stattdessen sollte man eher den Plural „Kastensysteme“ gebrauchen oder vom „Kastenwesen“ sprechen. Im folgenden Beitrag bringt Philipp Rack die Kritik an gängigen Vorstellungen, die sich mit dem Begriff „Kaste“ verbinden, auf den Punkt. Er stellt die Frage, ob Deutschland selbst als Kastengesellschaft verstanden werden kann (QUERDENKEN: Ist Deutschland eine Kastengesellschaft?). Die zentrale These seines Beitrags lautet also: Wenn man überhaupt den umstrittenen Begriff „Kaste“ verwenden möchte, finden sich dann nicht auch in Deutschland bestimmte Charakteristika eines „Kastenwesens“? 6 Der zweite Themenblock – Die Religionen des Hinduismus versus Hindu-Nationalismus – beschäftigt sich in vier Beiträgen näher mit dem Hinduismus. Vergleichbar mit der Infragestellung des Begriffs „Kastensystem“ durch Raphael Steinhilber hinterfragen Julian Etspüler, Daniel Schröder und Bernadette Wilke populäre Vorstellungen, auf denen die Verwendung des Begriffs „Hinduismus“ aufbaut. Erneut wird hier die zentrale These bereits im Titel formuliert: „Es gibt keinen Hinduismus.“ Die wesentliche Aussage des Beitrags besteht darin, auch hier den Plural anzuwenden und von „Hindu-Religionen“ zu sprechen. „Hinduismus“ ist eine „im Westen“ entstandene Fremdbezeichnung für ein großes Kollektiv an verschiedenen Religionsausprägungen und Ritualformen. Ausgehend von dieser reflektierten Hinduismus-Analyse setzen sich die folgenden drei Beiträge mit dem Hindu-Nationalismus auseinander. In der Rubrik „Querdenken“ übt Lisa Janz sehr heftige Kritik an den politischen Ausprägungen des Hindu-Nationalismus. Sie vergleicht diesen mit westlichen Faschismustheorien (QUERDENKEN: Hindu-Nationalismus gleich Hindu-Faschismus?). Im vierten Beitrag des zweiten Themenblocks untersucht Sonja Grässle den Wahlsieg der Bharatiya Janata Party (BJP) bei den Wahlen zur Lok Sabha im Mai 2014 (Die indischen Parlamentswahlen 2014 und mögliche Konsequenzen des Sieges der Hindu-Nationalisten). Der Beitrag analysiert die besonderen Bedingungen des indischen Wahlsystems und des Wählerverhaltens sowie die Konsequenzen des BJP-Wahlsieges. In diesem Kontext betrachtet der Beitrag jedoch auch die herbe Wahlniederlage, die die BJP im Februar 2015 bei den Landtagswahlen in Delhi – nach nur neun Monaten im Amt – erfahren musste. Aufbauend darauf analysiert Marcel M. Baumann im letzten Beitrag des Themenblocks das erste Amtsjahr Narendra Modis (Narendra Modis Dilemma: Zwischen Hindu-Nationalismus, Regierungsalltag und politischem Pragmatismus). Dabei zeichnet er das Dilemma auf, mit dem sich Modi konfrontiert sieht. Auf der einen Seite muss Modi die Bedürfnisse der hindu-nationalistischen Hardliner befriedigen, auf der anderen Seite stehen die säkularen Interessen der indischen Wirtschaft nach effektiven Reformen, die Modi im Wahlkampf in großem Stil finanziell unterstützt haben. Der dritte Themenblock –Vielfalt und Toleranz der größten Demokratie der Welt versus ethnische, religiöse und soziale Konflikte – widmet sich einem sehr kontroversen Thema, das gemeinsam mit den Stereotypen, die sich mit dem Begriff „Kaste“ verbinden, zu der am heftigsten diskutierten Problematik in der Indienforschung gehört. Um zu verstehen, warum es in Indien zu Konflikten zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften kommt, muss man sich von der Vor- 7 stellung verabschieden, der „Hinduismus“ als polytheistisches Religionssystem (nicht als „Religion“, siehe oben) sei toleranter und weniger gewaltanfällig als monotheistische Religionen wie das Christentum oder der Islam. Dass auch Hindus im Namen ihrer Götter zur Gewalt greifen können, zeigt der erste Beitrag von Stephan Lutzenberger, in dem er die jahrhundertelange Genese und die Folgen des Ayodhya-Konflikts betrachtet (Hinduismus und Gewalt: Der Ayodhya-Konflikt aus historischer Perspektive). Der vorläufige Höhepunkt des Konflikts war die Zerstörung der BabriMoschee durch fanatisierte Hindus am 6. Dezember 1992. Um zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass ein aus Stein erbauter Tempel innerhalb weniger Stunden mit bloßen Händen zerstört wurde, wählt der Beitrag eine weit zurückreichende historische Perspektive. Im anschließenden Artikel von Felix Ettensperger und Florian Hagenbeck liegt der Fokus auf dem Bundesstaat Gujarat und der konfliktbehafteten Koexistenz von Hindus und Muslimen (Der Hindu-Nationalismus und religiöse Konflikte in Gujarat). In Gujarat ereignete sich der vorläufige Tiefpunkt der religiösen Auseinandersetzungen im Februar und März 2002, als mehrere Tausend Muslime ums Leben kamen. In diesem Beitrag wird versucht, den Verlauf der Gewaltakte von 2002 strukturiert nachzuzeichnen und anhand verschiedener Erklärungsansätze die Entwicklung des Gewaltausbruchs plausibel zu machen. Im folgenden Beitrag beschäftigen sich Sebastian Wirtz und Moritz Niyoman von Feilitzsch in der Rubrik „Querdenken“ mit der Situation der Christen in Indien (QUERDENKEN: Christenverfolgung in Indien: Werden Christen nur verfolgt, gerade weil sie Christen sind?). Der Beitrag untersucht vor allem die Gewaltereignisse, die im Sommer 2008 im Bundestaat Odisha beobachtet wurden. Bei diesen Gewaltausbrüchen kamen mehr als 100 Christen ums Leben, mehr als 50.000 wurden aus ihren Häusern vertrieben. Der Beitrag lädt ein zum Querdenken: Wie kann es sein, dass in der größten Demokratie der Welt Christen verfolgt werden? Der Themenblock endet mit einem Blick von Teresa Merz auf die Situation der Frauen und häusliche Gewalt am Beispiel des südindischen Bundestaates Tamil Nadu (Frauen und häusliche Gewalt in Indien: Beispiele und Beobachtungen aus Tamil Nadu). Der Beitrag greift damit eine besonders heikle Thematik auf, die weltweit seit der Massenvergewaltigung einer jungen indischen Studentin in Delhi im Dezember 2012 thematisiert wird. Der Beitrag erläutert, dass in einem traditionellen Gesellschaftssystem, das in hierarchische Strukturen eingebettet ist, es mehr als unwahrscheinlich ist, dass sich das Problem von häuslicher Gewalt schnell lösen wird. Der vierte Themenblock – Quo vadis, Weltmacht Indien? – beschäftigt sich mit der indischen Außenpolitik und der Rolle Indiens als potenzieller Weltmacht. Im ersten Beitrag analysiert Arndt 8 Michael die indische Außenpolitik von 1947 bis 2015, unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen indischen Außenpolitik seit Mai 2014 (Zwischen Blockfreiheit, Panchsheel und Hindutva: Die Paradoxien indischer Außenpolitik von 1947 bis 2015). Die indische Außenpolitik ist seit 1947 durch starke Kontinuität, aber auch große Brüche charakterisiert. Diese Brüche und die Konturen einer „neuen“ BJP-Außenpolitik werden intensiv diskutiert. Daran schließt sich der Artikel von Jonas Hirt an, der der Frage nachgeht, welche Art von „Macht“ Indien außenpolitisch eigentlich darstellt (Ist Indien Regionalmacht, Großmacht oder Weltmacht? Stationen indischer Außenpolitik). In der Rubrik „Querdenken“ geht Astrid Kentischer noch einen Schritt weiter und setzt sich mit der kritischen These auseinander, ob die Bewertung Indiens als globale Wirtschaftsmacht lediglich auf bestimmte ökonomische Interessen außerhalb Indiens zurückzuführen ist (QUERDENKEN: Wie man eine Weltmacht konstruiert: Die Rolle des Think Tanks Deutsche Bank Research). Ihre Ausführungen zeigen auf, wie stark die Arbeiten eines Think Tanks aus dem Bankensektor Stoßrichtung und Perspektive von journalistischen und politischen Analysen beeinflussen können. Der letzte Beitrag dieses Themenblocks von Fedor Unterlöhner betrachtet die Bedeutung der Regionalorganisation South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) für Südasien (Die SAARC und die regionale Integration in Südasien: Eine Bestandsaufnahme und die zentrale Rolle des indisch-pakistanischen Konflikts). Der Beitrag zeigt deutlich, in welch hohem Ausmaß der indisch-pakistanische Konflikt Fortschritte in der regionalen Integration und Kooperation in Südasien seit Gründung der SAARC im Jahr 1985 verhindert hat. Der fünfte und letzte Themenblock – Mohandas Gandhi zwischen Glorifizierung und Fundamentalkritik – stellt die Person des Mohandas Gandhi, genannt Mahatma, in den Fokus der Analyse. Der erste Beitrag von Christopher Rüchardt beschreibt und reflektiert die kritische Debatte um die Rolle und Bedeutung von Gandhi, die von Arundhati Roy neu entfacht wurde (Mythos versus Wirklichkeit: Mohandas Gandhi im Lichte der Kritik von Arundhati Roy). Diese Debatte ist allerdings nicht neu, sondern wurde von Roy lediglich neu belebt und bezieht sich auf die historische Kontroverse zwischen Bhimrao Ramji Ambedkar und Gandhi. Im Kontext dieser Debatte setzt sich der letzte Beitrag von Timothy Schlegel mit der Fundamentalkritik von Ambedkar und Roy an Gandhi auseinander (Gandhi und Ambedkar: Der „Heilige des Status quo“ und der Dalit-Professor). 9 In diesem Abschlussbericht soll schließlich besonders betont werden, dass der Prozess – von der Hausarbeit zum wissenschaftlichen Artikel – ein sehr schwieriger, langwieriger und intensiver Prozess war. Er verlief über verschiedene Stationen: Zuerst wurden die ersten Hausarbeiten intensiv gelesen und den Studierenden Feedback gegeben. Nach der erneuten Überarbeitung wurde ein „author-to-author-review“ organisiert. Das bedeutet, dass am Sammelband beteiligte Studierende die Entwürfe der anderen Studierenden so kritisch wie möglich lesen mussten – und eine schriftliche Stellungnahme verfassen. Danach wurden die Beiträge erneut überarbeitet. Vor dem letzten Schritt, dem professionellen Lektorat durch VS Springer, wurden bei Bedarf noch Gruppendiskussionen über bestimmte Artikel organisiert und durchgeführt. 3. Aufbau des studentischen Sammelbandes: Einleitung: Indien zwischen Mythos, Widerspruch und Realität (Arndt Michael und Marcel Baumann) Homo hierarchicus: Das Kastenwesen „Es gibt kein Kastensystem!“ (Raphael Steinhilber) QUERDENKEN: Ist Deutschland eine Kastengesellschaft? (Philipp Rack) Die Religionen des Hinduismus versus Hindu-Nationalismus 10 „Es gibt keinen Hinduismus“: Reflektionen über Hindu-Religionen (Julian Etspüler, Daniel Schröder und Bernadette Wilke) QUERDENKEN: Hindu-Nationalismus gleich Hindu-Faschismus? (Lisa Janz) Die indischen Parlamentswahlen 2014 und mögliche Konsequenzen des Sieges der HinduNationalisten (Sonja Grässle) Narendra Modis Dilemma: Zwischen Hindu-Nationalismus, Regierungsalltag und politischem Pragmatismus (Marcel M. Baumann) Vielfalt und Toleranz in der größten Demokratie der Welt versus ethnische, religiöse und soziale Konflikte Hinduismus und Gewalt: Der Ayodhya-Konflikt aus historischer Perspektive (Stephan Lutzenberger) Der Hindu-Nationalismus und religiöse Konflikte in Gujarat (Felix Ettensperger und Florian Hagenbeck) QUERDENKEN: Christenverfolgung in Indien: Werden Christen nur verfolgt, gerade weil sie Christen sind? (Sebastian Wirtz und Moritz Niyoman von Feilitzsch) Frauen und häusliche Gewalt in Indien: Beispiele und Beobachtungen aus Tamil Nadu (Teresa Merz) Quo vadis, Weltmacht Indien? Zwischen Blockfreiheit, Panchsheel und Hindutva: Die Paradoxien indischer Außenpolitik von 1947 bis 2015 (Arndt Michael) Ist Indien Regionalmacht, Großmacht oder Weltmacht? Stationen indischer Außenpolitik (Jonas Hirt) QUERDENKEN: Wie man eine Weltmacht konstruiert: Die Rolle des Think Tanks Deutsche Bank Research (Astrid Kentischer) Die SAARC und die regionale Integration in Südasien: Eine Bestandsaufnahme und die zentrale Rolle des indisch-pakistanischen Konflikts (Fedor Unterlöhner) Mohandas Gandhi zwischen Glorifizierung und Fundamentalkritik 11 Mythos versus Wirklichkeit: Mohandas Gandhi im Lichte der Kritik von Arundhati Roy (Christopher Rüchardt) Gandhi und Ambedkar: Der „Heilige des Status quo“ und der Dalit-Professor (Timothy Schlegel) 12