Transsexualität - Marseille Verlag

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WINAND, S., U. H. ENGELMANN und E. ÖZGÜR:
Transsexualität. Ein Tabuthema?
gynäkol. prax. 37, 509–518 (2013)
Hans Marseille Verlag GmbH München
Transsexualität
Ein Tabuthema?
S. WINAND, U. H. ENGELMANN und E. ÖZGÜR
Klinik und Poliklinik für Urologie
(Direktor: Prof. Dr. U. H. ENGELMANN)
der Universität Köln
Einleitung
Mit der zunehmenden gesellschaftlichen
Akzeptanz und der Abnahme einer Ausgrenzung von Menschen mit von der Norm
abweichender sexueller Orientierung werden die Störungen der Geschlechtsidentität gleichsam häufiger erkannt. Das klassische M a n n - F r a u - P r i n z i p gerät immer
mehr in den Hintergrund.
Die Tr a n s s e x u a l i t ä t charakterisiert
eine Diskrepanz zwischen dem angeborenen körperlichen Geschlecht und dem
seelischen Geschlecht. Sie wird auch als
psychogene Intersexualität bezeichnet
und beschreibt keine Störung der Sexualität an sich, sondern der sexuellen Identität
(1). Seit 1979 wird die Transsexualität im
damaligen ICD-9 aufgeführt. Heute zählt
sie im ICD-10 zu den Störungen der Geschlechtsidentität (F64) und ist unter dem
Überbegriff »Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F6)« zu finden.
Erstbeschreiber der Transsexualität war im
Jahr 1954 HARRY BENJAMIN (2). Geschlechtsdysphorische Personen sind jedoch schon
viel früher in zahlreichen Mythologien
zu finden (Tiresias bei OVID, Enarees bei
HERODOT). Ferner findet sich Transsexualität in zahlreichen alten Kulturen weltweit.
Als Synonyme können Transidentität,
Transgender, Gender Dysphoria oder Gender Disorder verwendet werden.
Tanssexualität – geschlechtsangleichende
Operation – operative Methoden
Abzugrenzen ist das Krankheitsbild der
Transsexualität von anderen Geschlechtsidentitätsstörungen, wie der jugendlichen
vorübergehenden Störung der Identitätsentwicklung, der Intersexualität und des
Transvestitismus. Vor der Diagnosestellung »Tr a n s s e x u a l i t ä t « müssen andere psychische Störungen, wie z. B. Schizophrenie, bipolare Störung, genetische,
chromosomale oder intersexuelle Störungen, ausgeschlossen werden. Der Wunsch,
dem anderen Geschlecht zugehörig zu
sein, muss mindestens 2 Jahre kontinuierlich bestehen. Aufgrund der Irreversibilität
509
Sexualmedizin
Psychosomatik
Diagnostik
nach Beginn der Therapie sollte die Diagnose Transsexualität besonders streng
und korrekt gestellt werden.
In der Realität findet häufig eine Selbstdiagnose durch die Betroffenen statt. Ratsuchenden bietet das Internet eine große
Plattform für den Austausch mit Gleichgesinnten in zahlreichen Foren und Selbsthilfegruppen. Der Selbstdiagnose schließen sich nicht selten, vor allem bei Mannzu-Frau-Transsexuellen, erste Versuche
einer hormonellen Selbstmedikation an.
Die Präparate sind heutzutage relativ problemlos über das Internet zu beziehen.
Durch die psychotrope Wirkung der Steroide wird eine korrekte psychologische
Diagnosefindung und Abgrenzung gegenüber anderen Störungen erschwert.
Die medizinische Diagnose und die Indikation zur weiteren Therapie werden durch
einen Facharzt für Psychiatrie gestellt. Es
wird eine biographische Anamnese mit
Schwerpunkt auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität und der psychosexuellen Entwicklung erhoben (Tab. 1). Erst das
psychiatrische Gutachten ermöglicht eine
Fortsetzung der Geschlechtsangleichung –
juristisch, hormonell und operativ.
Ätiologie
Sexualmedizin
Psychosomatik
Die Ursache von Transsexualität ist weiterhin Gegenstand vieler Untersuchungen, jedoch heute
noch ungeklärt. Es wurden viele Theorien über
die Entstehung veröffentlicht, die einer kritischen
Überprüfung nicht standhielten. Ob es überhaupt
eine fassbare und einheitliche Ursache für Transsexualität gibt, ist bislang nicht nachgewiesen.
Man vermutet einen Einfluss auf die kindliche
Entwicklung während der pränatalen Phase (4).
Symptome
Die diagnostische M e t h o d e d e r W a h l
ist das Gespräch und die Aufarbeitung der
Geschlechtsentwicklung mit besonderem
Augenmerk auf die Kindheit. Erste Züge
transsexuellen Verhaltens zeigen sich
meist schon im frühen Kindesalter. Beschrieben werden vor allem Verhaltens510
weisen, die dem konträren Geschlecht zugeordnet werden. Früh findet sich ein gegengeschlechtliches Spielverhalten, das
Tragen von gegengeschlechtlichen Kleidern in der Kindheit oder Pubertät, sowie
die Ablehnung der eigenen angeborenen
Geschlechterrolle. Häufig wird von den
betroffenen Kindern der Wunsch geäußert ein Junge bzw. Mädchen zu sein. Vor
der Pubertät beschützt die Hoffnung auf
ein verspätetes Wachstum der gewünschten Genitalien die Betroffenen vor größeren psychosozialen und emotionalen Krisen. Die pubertäre Entwicklung der Geschlechtsmerkmale wird mit Ekel und Abscheu betrachtet und häufig versteckt.
Selten sind diese auch Ziel autoaggressiven Verhaltens.
Oftmals werden die Betroffenen von ihrer
Familie und der Gesellschaft in die ungewollte angeborene Geschlechterrolle und
zu »geschlechter-typischen« Aktivitäten
(Fußball für Jungs, Ballett bzw. Tanzen für
Mädchen) gedrängt. Dies bewirkt eine mit
den Jahren größer werdende Verzweiflung
und fördert die Entwicklung psychiatrischer Erkrankungen, wie Depressionen,
Angststörungen und weiteren psychiatrischen Auffälligkeiten. Gleichsam wird die
Persönlichkeitsentwicklung und soziale
Eingliederung durch die geringe gesellschaftliche Akzeptanz beeinträchtigt.
Nach erfolgreicher juristischer und vor
allem operativer Geschlechtsangleichung
fühlen die Betroffenen eine tiefe Dankbarkeit und beschreiben ein Gefühl der Zufriedenheit und ein Wohlfühlen im eigenen Körper. Ein vollständiges Zugehörigkeitsgefühl in die Gesellschaft ist erstmals
möglich. Diese Erfahrungen machen wir
in unserer klinischen Tätigkeit häufig. Die
Zufriedenheit und das Maß an Lebensqualität der Betroffenen korreliert direkt
mit dem operativen Ergebnis (5).
Häufigkeit
Über die Häufigkeit der Transsexualität in
der Allgemeinbevölkerung gibt es wenig
repräsentative Studien. Die ersten systematischen Untersuchungen stammen aus
den 1960er-Jahren. Aufgrund der Tabuisierung der Sexualität in dieser Zeit ist die
Prävalenz der Transsexualität sehr gering.
Erst der offene Umgang mit der Sexualität
hat das Outing und damit die repräsentative Erhebung der Prävalenz ermöglicht.
Obwohl die Dunkelziffer auch heutzutage
noch beträchtlich ist.
OSBURG und WEIZE (6) berichteten 1993 die Anzahl
von etwa 150 geschlechtsangleichenden Operationen pro Jahr in Deutschland. Davon sind etwa
50–75 Operationen Frau-zu-Mann-Angleichungen und 75–100 Mann-zu-Frau. Insgesamt ist die
Prävalenz der Transsexualität mit 1: 42 000 bis
1: 48 000 anzugeben. Das Verhältnis von männlichen Transsexuellen zu Weiblichen beträgt 1,5 :1
(7). Die Anzahl geschlechtsangleichender Operationen in Deutschland nimmt seit 1992 stetig zu.
Verfahren der Anerkennung
䡩 Gefühl der Zugehörigkeit zum
konträren biologischen Geschlecht seit
mindestens 2 Jahren
䡩 Anhaltendes Unbehagen mit dem
eigenen biologischen Geschlecht bzw.
fehlende Identifikation mit der
angeborenen Geschlechterrolle
䡩 Starker Wunsch nach hormoneller
und/oder chirurgischer Anpassung des
eigenen Körpers an das seelische
Geschlecht
䡩 Ausschluss angeborener
Geschlechtsanomalien (z. B.
Intersexualität oder chromosomale
Anomalien)
䡩 Ausschluss einer anderen
psychiatrischen Störung (z. B.
Schizophrenie)
Tab. 1
Diagnosekriterien der Transsexualität
Die ersten Schritte nach Diagnose- und Indikationsstellung durch einen Psychiater
sind meist die gegengeschlechtliche
h o r m o n e l l e T h e r a p i e und die sog.
A l l t a g s t e s t s.
Manche Krankenversicherungen verweigern die Übernahme der Kosten für die
hormonelle Therapie in dieser Zeit. Dies
ist eine zusätzliche Belastung der Betroffenen während des Alltagstests. Bisweilen wird eine gutachterliche Stellungnahme durch den medizinischen Dienst ver-
langt, obwohl alle benötigten psychiatrischen Gutachten vorliegen. Diese Überprüfungen empfinden die Patienten als
unangenehm.
Wenn die Betroffenen finanziell nicht in
der Lage sind die anfallenden Kosten für
die Psychotherapie oder die Einleitung der
hormonellen Therapie zu übernehmen,
kann die Verzögerung durch die Krankenkassen u. U. mehrere Jahre dauern. Dies
hat gelegentlich die Entwicklung einer
psychiatrischen Erkrankung (Depression,
Suizidalität etc.) zur Folge und verursacht
weitere Kosten für das Gesundheitssystem.
Rechtliche Grundlage
Seit 1980 gibt es in der Bundesrepublik
Deutschland die Möglichkeit einer juristischen Geschlechtsangleichung – das sog.
511
Sexualmedizin
Psychosomatik
Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und
die meisten Operateure verlangen von den
Betroffenen vor der geschlechtsangleichenden Operation einen »Probelauf« im
angestrebten Geschlecht. Die Transsexuellen treten im Alltagstest in der Öffentlichkeit im gewünschten Geschlecht auf
und erfahren so wie der Alltag als Mann
bzw. Frau verläuft, ob ihre Vorstellungen
erfüllt werden und ob dieses Leben für sie
dauerhaft gewünscht wird. Parallel zum
Alltagstest wird von der GKV eine begleitende Psychotherapie zum Ausschluss tiefgreifender psychischer Störungen (Neurosen, suizidale Tendenzen, Abhängigkeiten bzw. Süchte, Paraphilien, Psychosen,
hirnorganische Störungen) gefordert.
Tr a n s s e x u e l l e n g e s e t z (8, 9). Das ermöglicht den Patienten durch die Vorlage
zweier unabhängiger psychiatrischer Gutachten beim zuständigen Amtsgericht
eine Anpassung des Vornamens (Personenstandsänderung nach § 1–7 TSG oder
»kleine Lösung«) oder des eingetragenen
Geschlechts (Geschlechtsänderung nach
§ 8–12 TSG oder »große Lösung«).
Bei Letzterem wird bereits eine weitestgehende operative Geschlechtsangleichung
gefordert. Des Weiteren müssen die Personen unverheiratet und fortpflanzungsunfähig (eine ärztliche Bescheinigung muss
vorgelegt werden) sein. Bei Frau-zu-MannTranssexuellen reicht, aufgrund der Komplexität der Penisrekonstruktion (Phalloplastik) eine Hysterektomie und Ovarektomie zur Geschlechtsänderung aus.
Bei beiden Lösungen wird eine korrigierte
Geburtsurkunde ausgestellt und es besteht laut Gesetz ein Offenbarungsverbot.
Die Gerichtskosten für die juristische Geschlechtsangleichung liegen im 4-stelligen Bereich und müssen von den Betroffenen getragen werden.
Hormontherapie
Tab. 2
Kontraindikationen für gegengeschlechtliche
Hormontherapie
Absolute Kontraindikationen
䡩 Ischämische Herzkreislauferkrankungen
– Koronare Herzkrankheit
– Herzfehler
– Kardiomyopathien
䡩 Zerebrovaskuläre Erkrankungen
䡩 Migräne
䡩 Epilepsie
䡩 BRCA1 und BRCA2 positiv
Sexualmedizin
Psychosomatik
䡩 Leberinsuffizienz
– Suchterkrankungen
– Hepatitis
Relative Kontraindikationen
䡩 M. MEULENGRACHT
䡩 Lipidstoffwechselstörungen
– Hypercholesterinämie
– Hypertriglyzeridämie
䡩 Diabetes mellitus
䡩 Adipositas
䡩 Niereninsuffizienz
䡩 Hyperprolaktinämie
512
Nach der psychiatrischen Indikationsstellung kann die medizinische bzw. somatische Therapie mit der gegengeschlechtlichen H o r m o n t h e r a p i e beginnen (10).
Die Behandlung wird meist von Allgemeinmedizinern oder endokrinologisch
erfahrenen Psychiatern eingeleitet. Aufgrund fehlender Daten über die möglichen Folgen einer gegengeschlechtlichen
Langzeithormontherapie sollte sie nur
von erfahrenen Ärzten durchgeführt und
engmaschig klinisch überwacht werden.
Vor Einleitung der Therapie müssen Kontraindikationen (Tab. 2) ausgeschlossen
werden, da innerhalb kurzer Zeit irreversible körperliche Veränderungen auftreten.
Je höher das Alter bei Therapiebeginn,
desto langsamer kommt es zu körperlichen Veränderungen. Die körperlichen
Veränderungen sind bei Mann-zu-FrauTranssexuellen nach etwa 1,5 Jahren, bei
Frau-zu-Mann-Transsexuellen nach etwa
1 Jahr abgeschlossen.
Bei Frauen beginnt die Behandlung häufig
mit einer Verabreichung von Gestagenen,
um die Menstruation zu unterdrücken.
Die antiandrogene Therapie erfolgt meist
durch ein intramuskuläres Depot von
Testosteronenantat alle 3 Wochen. Bei
Frauen bewirkt die Hormonsubstitution
bereits innerhalb von 4–6 Wochen eine
Zunahme des Körpergewichts um etwa
Lübeck
Berlin
Osnabrück
Köln
Hannover
Essen
Bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen wird die
h o r m o n e l l e Behandlung präoperativ
häufig als 2fach-Therapie durchgeführt.
Es werden gegengeschlechtliche Hormone (Ethylestradiol mit bis zu 100 ␮g/d)
sowie Antiandrogene (Cyproteronacetat
10–100 mg/d) eingesetzt. Postoperativ erfolgt meist eine Umstellung auf parenteral verabreichte natürliche Östrogene, um
das Risiko therapiespezifischer Nebenwirkungen (thrombembolische Ereignisse, Osteopenie) zu minimieren. Sollten Risikofaktoren vorliegen, kann auch bereits
präoperativ die Therapie mit natürlichen
Östrogenen begonnen werden.
Unter der H o r m o n t h e r a p i e kommt
es bei Männern rasch zu einem Libidoverlust durch den die ungeliebten morgendlichen Erektionen ausbleiben sowie zu einer Gewichtszunahme und den Abbau von
Muskelmasse. Nach etwa 6–8 Wochen
kommt es zu einer Gynäkomastie und einer Sensibilitätssteigerung der Brustwarzen. Trotz hormonell induzierter Brustbildung entscheiden sich 50–60% der Mannzu-Frau-Transsexuellen für eine operative
Brustvergrößerung. Der Bartwuchs wird
durch die hormonelle Therapie reduziert,
eine Epilation ist aber meist erforderlich.
Nach 2–3 Monaten setzt eine Fettumverteilung von abdominal nach gluteal-femoral ein.
Die H o r m o n s u b s t i t u t i o n muss aufgrund der operativen Kastration lebenslang fortgesetzt werden. Bei dieser dauerhaften gegengeschlechtlichen Hormontherapie gibt es bei beiden Geschlechtern
unerwünschte Nebenwirkungen (Thromboserisiko, Osteoporose, Leberwerterhö-
Potsdam
Düsseldorf
Aachen
Frankfurt
München
Tübingen
Abb. 1
Vertragskliniken für die Mann-zu-FrauAngleichung (weiß) und die Mann-zu-Frau/
Frau-zu-Mann-Angleichung (grau)
hung, Cholelithiasis, Mamma- bzw. Prostatakarzinom), die aber durch die Betroffenen in Kauf genommen werden (12).
Die Mortalität dieser Patientengruppe entspricht jener der Normalbevölkerung. Allerdings zeigt sich bei Frau-zu-MannTranssexuellen eine 9fach, bei Mann-zuFrau-Transsexuellen eine 14fach erhöhte
Suizidrate. Dies wird durch die gesellschaftliche und soziale Isolation vieler
Transsexueller erklärt.
513
Sexualmedizin
Psychosomatik
4,5 kg durch gesteigerten Muskelaufbau.
Die virilisierenden Effekte beginnen, wie
in der Pubertät, mit einer tiefer werdenden Stimme und dem männlichen Behaarungsmuster (11). Nach 6 Monaten zeigen
sich sonographisch polyzystische Ovarien. Von besonderer Bedeutung ist das
hormonell induzierte Wachstum der Klitoris. Sie kann zur operativen Geschlechtsangleichung mit Bildung eines Klitorispenoids verwendet werden. Psychologisch
zeigt sich eine verstärkte Libido.
Sexualmedizin
Psychosomatik
Abb. 2
Operationssitus bei geschlechtsangleichender Mann-zu-Frau-Operation
nach chirurgischer Entfernung beider
Hoden durch einen medialen skrotalen
Zugang. Aus der skrotalen Haut werden
in einem späteren Schritt die großen und
kleinen Labien geformt
Abb. 3
Situs nach Separation der Urethra mit
einliegendem Harnblasenkatheter (unten),
des Nerven-Gefäßbundels (rechts) und
der Penishaut (oben)
Operative Therapie: Mann-zu-Frau
In Deutschland ist die Gruppe der operativ tätigen Fachabteilungen sehr heterogen. Geschlechtsangleichende Operationen werden von plastischen Chirurgen,
Urologen, Gynäkologen oder allgemeinen
Chirurgen durchgeführt. Aufgrund der
Komplexität des chirurgischen Eingriffs
ist immer eine interdisziplinäre Betreuung
der Patienten erforderlich. Die Auswahl
an Vertragskliniken für eine Mann-zu-FrauAngleichung ist mit etwa 20 Kliniken versus 3–5 Kliniken weitaus größer als die
der Frau-zu-Mann-Angleichungen (Abb. 1).
Trotz der Häufigkeit dieses Eingriffes weltweit gibt es keine operative Standardmethode für die geschlechtsangleichende
Operation (13, 14). Dies erschwert für die
Betroffenen folglich die Auswahl der für
Für die Einleitung einer operativen Geschlechtsangleichung ist die gegengeschlechtliche Hormontherapie obligat.
Diese sollte jedoch 4 Tage vor bis 10 Tage
nach der Operation pausiert werden, um
thombembolische Komplikationen zu vermeiden. Die o p e r a t i v e T h e r a p i e hat
das Ziel der weitest möglichen körperlichen Angleichung an das angestrebte Geschlecht. Nach erfolgreich absolviertem
1-jährigen Alltagstest, der Vorlage zweier
unabhängiger psychiatrischer Gutachten
und der Kostenübernahmeerklärung der
GKV, kann die operative Therapie in mehreren Kliniken deutschlandweit durchgeführt werden.
514
sie geeigneten Klinik. Der Großteil des Informationsflusses findet im Internet statt,
wo in zahlreichen Foren Kliniken und Operateure empfohlen, wie auch einer schlechten Bewertung unterzogen werden.
Die geschlechtsangleichende Operation
von Mann-zu-Frau besteht aus folgenden
Schritten: Orchiektomie, Penektomie, Vaginoplastik und Neoklitorisplastik. Das Vorgehen schwankt stark unter den Operateuren. Die Bildung einer Neovagina wurde
erstmals von DUPUYTREN 1817 beschrieben.
In unserer Klinik wird mit der Auskleidung
der Neovagina mit Penishaut eine häufig
von Urologen durchgeführte Methode der
Mann-zu-Frau-Angleichung praktiziert. Sie
wurde erstmals 1957 von GILLIES und MILLARD beschrieben und wird heute modifiziert durchgeführt.
Die Komplikationen dieses Eingriffs sind
vor allem intra- und postoperative Blutung, Infektion, Meatusstenose, Rektumperforation mit vorübergehender Anlage
eines protektiven Anus praeters, Nekrose
der Neovagina oder Atrophie im weiteren
Verlauf. In unserer Klinik wurden bislang
Abb. 4
Ergebnis der geschlechtsangleichenden
Mann-zu-Frau-Operation durch Bildung einer
Neovagina aus der invertierten Penishaut
(mit intravaginalem Platzhalter), Rekonstruktion
einer Neoklitoris und der großen Labien sowie
Anlage einer Neourethra (mit einliegendem
Harnblasenkatheter)
50 Mann-zu-Frau-Angleichungen durchgeführt. Hier zeigte sich 1 Rektumperforation sowie 1 Prolaps der Neovagina. Bei
3% aller Patientinnen kam es zu einer
Meatusstenose bzw. zur Bildung einer hypospaden Harnröhre. Intra- oder postoperative Blutungen traten bei etwa 10% aller
Patientinnen auf.
Die Patientinnen nach geschlechtsangleichender Operation sind durchschnittlich
etwa 7 Tage in stationärer Behandlung
(Uniklinik Köln). Eine Entlassung in das
häusliche Umfeld und die ambulante
Nachbehandlung ist möglich, sobald die
515
Sexualmedizin
Psychosomatik
Es werden zunächst beide Hoden durch
einen skrotalen Zugang entfernt und die
Corpora cavernosa sowie das Corpus
spongiosum reseziert (Abb. 2 und 3). Letzteres könnte, falls unvollständig reseziert,
zu obstruktiven Miktionsstörungen durch
eine Kompression der Urethra bei sexueller Erregung führen. Die Urethra wird gekürzt und später an typischer Position
oberhalb der Neovagina ausgeleitet. Die
Bildung der Neovagina erfolgt ventral des
Rektums. Die Neovagina wird ausgekleidet durch die haarlose Penisschafthaut,
welche invertiert und durch einen intravaginalen Platzhalter fixiert wird. Die Tiefe
der Neovagina ist folglich abhängig von
der ehemaligen Länge des Penis. Aus einem Teil der Glans penis wird eine Neoklitoris gebildet. Durch Schonung des
neurovaskulären Gefäßbündels bleibt die
Sensibilität und Orgasmusfähigkeit erhalten. Aus der skrotalen Haut werden abschließend die großen und kleinen Labien
konstruiert (Abb. 4).
obligate Reinigung und der Wechsel des
intravaginalen Kunststoffplatzhalters durch
die Patientinnen selbst durchgeführt werden kann. Diese Maßnahme ist unerlässlich, um einer Atrophie der Neovagina
entgegenzuwirken und vaginalen Geschlechtsverkehr zu ermöglichen. Sollte
es trotz aller Bemühungen zu einer vaginalen Atrophie kommen, ist die Möglichkeit der Bildung einer Neovagina aus ausgeschalteten Dünn- oder Dickdarmanteilen eine Option. Diese Operation sollte in
Zusammenarbeit mit einer viszeralchirurgischen Fachabteilung stattfinden. Nach
2–3 Monaten werden bei manchen Patientinnen kleine Korrekturoperationen (Introitusweitung, Klitorisverkleinerung oder
Labienkorrektur) durchgeführt.
Eine weitere weltweit durchgeführte Methode ist die Auskleidung der Neovagina
mit Spalthaut, die an den Innenseiten der
Oberschenkel oder der Oberarme entnommen wird. Dieses Verfahren ist mit einem erhöhten Risiko für Nekrosen behaftet. Gleichsam muss an den Spalthautentnahmestellen weitere Narbenbildung
in Kauf genommen werden. Bei dieser
Methode kann jedoch eine Neovagina mit
nahezu beliebiger Tiefe konstruiert werden. Einige Operateure verfolgen die Methode der vaginalen Auskleidung mit Skrotalhaut. Dies führt gelegentlich zu Problemen aufgrund der naturgemäßen Behaarung der skrotalen Haut, sodass der Operation eine Epilation vorangehen sollte.
pisch-assistiert oder als totale laparoskopische Hysterektomie durchgeführt.
Die Phalloplastik oder Penisrekonstruktion
wird aufgrund ihrer Komplikationsträchtigkeit nicht vorausgesetzt. Der Wunsch
nach einer Phalloplastik ist jedoch trotz
der Risiken bei den Betroffenen ungebrochen. Wobei weniger die Sexualität, als
vielmehr die soziale Integration (Miktion
im Stehen, auch in der Öffentlichkeit, Saunagänge etc.) im Vordergrund steht.
In Deutschland gibt es mehrere Vertragskliniken, die diese aufwändige und mehrschrittige Operation durchführen (Abb. 1).
Die Patientenzahlen unterscheiden sich
beträchtlich – ebenso die operativen Ergebnisse. Die meisten geschlechtsangleichenden Operationen von Frau-zu-Mann
werden durch Dr. PAUL J. DAVERIO (15) in
der privaten Sanssouci-Klinik in Potsdam
durchgeführt. Dort erfolgt einzeitig in einer 7–9-stündigen Operation die Mastektomie, Ovar- und Hysterektomie, Kolpektomie sowie die Konstruktion eines Rolllappenpenoids.
Sexualmedizin
Psychosomatik
Operative Therapie: Frau-zu-MannAngleichung
STEINMETZ (16) berichtet, dass dort, im Vergleich zu den anderen Vertragskliniken, die
Rate an postoperativen Komplikationen
und Revisionseingriffen mit 5% am geringsten ist. Wir werden aufgrund dessen
im Detail nur auf diese operative Methode
eingehen. In der Literatur sind etwa 16 verschiedene Lappenplastiken und zahlreiche
weitere Operationsverfahren zur Phalloplastik erwähnt. Die Ziele der Phalloplastik sind die optische Anpassung an das
gewünschte Geschlecht, die Schaffung
einer Neourethra, um vor allem eine Miktion im Stehen zu ermöglichen, und die
Möglichkeit einer Erektion sowie erhaltener Sensibilität (17). Wegen der Komplexität des Eingriffs gibt es häufig eine erhebliche Diskrepanz zwischen den hohen Erwartungen der Betroffenen und der operativen Möglichkeiten.
Für die Änderung des Personenstandes
ist lediglich die Ovar- und Hysterektomie
und die damit verbundene Zeugungsunfähigkeit erforderlich. Die Operation wird
heute in den meisten Kliniken laparosko-
Bei der Methode nach DAVERIO wird mikrochirurgisch ein freier Vorderarmlappen
mit sensibler Versorgung und einem langen Gefäßstiel entnommen. Dann werden
in der sog. Tube-in-tube-Technik die Neo-
Häufig folgen eine Mamma-Augmentationsplastik, eine Cricothyroidopexie zur
Anhebung der Stimmlage und weitere
kosmetische Korrekturen, wie ein sog.
»thyroid shave«, zur Größenreduktion des
Kehlkopfes sowie eine Kinn- und/oder
Rhinoplastik.
516
Andere operative Methoden sind z. B. die
Bildung eines Klitorispenoids, das zwar
keine sexuelle Funktion aufweist, jedoch
die Miktion im Stehen und damit die gewünschte soziale Integration ermöglicht.
Bei dieser Methode sind lediglich die Verlängerung der weiblichen Harnröhre und
die Mobilisation der, durch die gegengeschlechtliche Hormontherapie hypertrophierten, Klitoris erforderlich. Das Klitorispenoid erreicht eine maximale Länge von
etwa 4–5 cm.
dichtemessung alle 3 Jahre sowie eine
jährliche allgemeine körperliche und Blutuntersuchung erfolgen. Bei Mann-zuFrau-Transsexuellen sollte die Tastuntersuchung der Prostata fortgesetzt werden.
Weiterhin sind eine jährliche gynäkologische Untersuchung mit zytologischem Vaginalabstrich, Brustkrebsvorsorge sowie
eine Kontrolle der regelmäßigen Bougierung der Neovagina zu empfehlen.
Bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen sollte
ebenfalls eine regelmäßige Brustkrebsvorsorge (Cave: axilläres Restgewebe nach
Mastektomie), eine gynäkologische Untersuchung des Scheidenstumpfs sowie eine
Kontrolle der intramuskulären Testosteroninjektionsstellen durchgeführt werden.
Fazit für die Praxis
䡩 Durch den offeneren Umgang mit Sexualität im Allgemeinen, sind die Transsexualität und der Umgang mit Betroffenen in
den letzten Jahren in der Gesellschaft und
auch in den Medien präsenter geworden.
䡩 Für die Betroffenen ist die Integration in
die angestrebte Geschlechterrolle das erklärte Ziel. Dies versuchen sie durch langwierige juristische, psychologische und
schmerzhafte operative Eingriffe zu erreichen.
䡩 Die Gesellschaft sollte versuchen die
seelische Qual und die Mühe anzuerkennen und die Betroffenen als den Mann
bzw. die Frau zu sehen, die sie sind, ohne
vor allem auf den Weg zu schauen den sie
gegangen sind, um dies zu erreichen.
Postoperative Nachsorge
Unabdingbar für eine erfolgreiche Geschlechtsangleichung ist die Sicherstellung
einer optimalen postoperativen Nachsorge. Denn ein optimales operatives Ergebnis ist entscheidend für eine zufriedenstellende soziale Integration. Leider existieren
keine standardisierten Empfehlungen.
Aus medizinischer Sicht sollte bei beiden
Geschlechtern eine regelmäßige Bestimmung des Hormonspiegels, eine Knochen-
Zusammenfassung
Transsexualität beschreibt eine angeborene Störung der Geschlechtsidentität
(ICD-10, F64.0) mit Ablehnung des angeborenen Geschlechts und der damit verbundenen Geschlechterrolle. Die Betroffenen streben die Angleichung des körperlichen an das psychische Geschlecht an.
Die Angleichung verläuft juristisch, hormonell sowie operativ. In Deutschland
517
Sexualmedizin
Psychosomatik
urethra und das Penoid geformt. Die weibliche Harnröhre wird mit den Labia minora verlängert. Das Penoid wird in der
pubischen Region positioniert, der Gefäßund Nervenstiel des Penoids an die Venen
und Arterien des Oberschenkels und die
Nervenenden an die inguinalen Nerven angeschlossen. Aus den Labia majora wird
das Skrotum konstruiert. Der Hebedefekt
des Unterarms wird durch eine Vollhauttransplantation aus Gewebe der Leistenregion oder der Mammareduktionsplastik
gedeckt und hat kein sensibles oder motorisches Defizit zur Folge. Nach durchschnittlich 12 Tagen ist eine Miktion im
Stehen und nach 2 Wochen eine Entlassung in die häusliche Umgebung möglich.
Die postoperative Komplikationsrate wird
mit 5% angegeben. Die häufigsten Komplikationen sind Harnröhrenstenosen oder
Harnröhrenfisteln. Ein kompletter Verlust
des Penoids geschieht selten. Nach 8–10
Monaten werden, wenn dies von den Patienten gewünscht wird, eine hydraulische Schwellkörperprothese und Hodenprothesen aus Silikon implantiert.
werden pro Jahr etwa 150 geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt.
Die Prävalenz der Transsexualität liegt bei
etwa 1: 42 000, das Verhältnis Männer zu
Frauen bei etwa 1,5 :1. Die optimale Betreuung der Patienten ist nur durch eine
enge interdisziplinäre ärztliche Zusammenarbeit zu gewährleisten.
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physical to the psychological gender. The alignment takes place legally, hormonally and surgically. In Germany approximately 150 sex change
operations are performed per year. The prevalence of transsexualism is at about 1: 42 000, the
male to female ratio at about 1.5 :1. The optimal
care of patients can only be assured by a close
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Sexualmedizin
Psychosomatik
This article provides an overview of transsexualism in general, about the diagnosis, treatment
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K e y w o r d s : Transsexuality – operative
therapy – gender reassignment – surgery
I n t e r e s s e n k o n f l i k t : Die Autoren erklären,
dass bei der Erstellung des Beitrags keine
Interessenkonflikte im Sinne der Empfehlungen
des International Committee of Medical Journal
Editors bestanden.
Literatur
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2. Eicher W. Transsexualität – standards of care. Zentralbl Gynakol 1995; 2; 61–66.
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SABINE WINAND
Klinik und Poliklinik für Urologie
Universitätsklinikum
Kerpener Straße 62
50937 Köln
[email protected]
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