diskutiert

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Donald Trump mit Frau Melania und Sohn Barron zu Hause: Trumps Flair fürs Cä
wohl schon erkennen lassen, bevor er in die Politik einstieg. (New York, April 2010
/ GeTTY IMAGES)
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Trump ante portas
Wäre die amerikanische Verfassung stark
genug, um einen Präsidenten Trump zu zähmen? Oder wiederholt sich die Geschichte
des antiken Roms?
Von Benjamin Straumann
Handelt es sich bei Donald Trump um einen Cäsar? Könnte er, einmal
gewählt und gestützt auf den vermeintlichen Volkswillen, die
bestehenden Institutionen beseitigen und sich der durch die
Verfassung vorgesehenen rechtlichen Hemmungen mit autoritärer
Geste entledigen? Winken unter Trump der Zusammenbruch der
verfassungsmässigen Rechtsordnung und Despotismus?
Diese Fragen werden derzeit in den USA heftig diskutiert. Dabei geht
es nicht darum, die Frage zu klären, ob Trumps politische Ideen
stichhaltig, lächerlich, paranoid oder gefährlich sind, sondern vielmehr
darum, ob ein Präsident Trump der Verfassungsordnung, also dem
Fundament der politischen Ordnung der Vereinigten Staaten, zur
Gefahr werden könnte.
Trump wird sowohl von seinen Anhängern als auch seinen Gegnern als
begabter Demagoge und autoritärer Machtpolitiker wahrgenommen.
Seinen Anhängern hat er unter anderem versprochen, seine
Kontrahentin Clinton im Fall seiner Wahl ins Gefängnis zu stecken.
Während ihm seine offen zur Schau getragene Ungeduld mit den
prozeduralen Feinheiten der amerikanischen Verfassung in den Augen
seiner Anhänger nur zum Vorteil gereicht, ruft sie bei seinen Gegnern
Ängste hervor. Und diese Ängste werden von den verschwindend
wenigen Intellektuellen, die Trump unterstützen, mit Enthusiasmus
geschürt.
Ein unter dem römischen Pseudonym «Decius» in einer weit zitierten
Internet-Zeitschrift schreibender Trump-Apologet etwa würde einen
Umsturz des Systems durch Trump begrüssen, da er die bestehenden
Institutionen für illegitim hält. Trump als dem Volkswillen
verpflichteter «Retter», als mit revolutionärer Autorität ausgestatteter
«Cäsar» sei geeignet, die verrotteten Institutionen zu ersetzen.
Degenerierte Republik
Sowohl die pseudogelehrten römischen Anspielungen als auch die
Behauptung, die politische Ordnung der USA sei schon seit geraumer
Zeit illegitim, sind typisch für die Auseinandersetzungen, die seit der
Kandidatur Trumps geführt werden. Viele seiner Anhänger stellen sich
auf den nostalgischen Standpunkt, die Institutionen der Republik
seien degeneriert. Spätestens seit den 1930er Jahren und Präsident
Roosevelts «New Deal» sei das politische System nicht mehr länger
von der ursprünglichen Vision der Verfassungsväter gedeckt – die
Elite regiere somit ohne Autorität.
Auch das Operieren mit römischen Beispielen und insbesondere mit
dem warnenden Beispiel Cäsars als Totengräber der Republik ist
typisch und hat in den Vereinigten Staaten Tradition. «Decius» scheint
sich auf Publius Decius Mus beziehen zu wollen, der sich – wie
nachmals sein Sohn und Enkel – auf dem Schlachtfeld für die
römische Republik geopfert haben soll (wenn man Livius Glauben
schenken darf). Während es sich beim heutigen «Decius» um ein
Leichtgewicht handelt, haben bereits die Verfassungsväter Madison,
Hamilton und Jay die Ratifizierung der eben erst in Philadelphia
verabschiedeten Verfassung 1787–88 unter einem römischen
Pseudonym, «Publius», empfohlen. Mit diesem Namen spielten sie auf
den sagenhaften Gründer der römischen Republik, Publius Valerius
Publicola, an. Die damaligen Gegner der Bundesverfassung, die
sogenannten «Anti-Federalists», hantierten ebenfalls mit römischen
Pseudonymen: «Cato» und «Brutus», Namen, die geeignet waren, die
neue Verfassung als tyrannisch zu brandmarken.
Doch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der römischen
Republik ist nicht bei den Pseudonymen stehengeblieben, sondern hat
die Gründung der Vereinigten Staaten und die Diskussionen um den
Verfassungsentwurf von 1787 tiefgreifend beeinflusst. Dies ist
hinsichtlich der Frage, ob Trump der Verfassung gefährlich werden
könnte, sehr relevant.
Die Väter der Verfassung haben sich direkt an der frühen römischen
Republik orientiert. Sie galt als tugendhaft und kernig. Vor allem
Plutarchs Biografien sowie Joseph Addisons Drama «Cato» hätten
dieser Tugendnostalgie Vorschub geleistet und ein Staatsverständnis
gefördert, das sich in Opposition zum korrumpierenden Kommerz
definierte und einen freien bäuerlichen Bürgerstaat vor Augen hatte.
Näher besehen zeigt sich allerdings, dass das römische Tugendideal
vor allem von den «Anti-Federalists» – also gerade von den Gegnern
der neuen zentralistischen Bundesverfassung – beschworen wurde,
um diese Verfassung als antirepublikanisch und tyrannisch zu
diskreditieren. Für die Befürworter der Verfassung hingegen, die
«Federalists», war ein anderer Aspekt der römischen Republik
ungleich wichtiger.
«Federalists» wie John Adams, Alexander Hamilton und James
Madison konzentrierten sich auf die Krisen und den Kollaps der
römischen Republik. Sie betrachteten den Untergang der römischen
Republik als historisches Laboratorium. In einer Welt monarchischer
Territorialstaaten waren die Verfassungsväter daran interessiert, zu
garantieren, dass ein republikanisch verfasster, also nichtmonarchischer Staat das Schicksal der römischen Republik nicht
unbedingt teilen und nicht zwangsläufig im Despotismus enden
müsse.
Als Antwort auf die Verfassungskrisen der späten Republik hatte
bereits Cicero (106–43 v. Chr.) eine Verfassungslösung entwickelt.
Ohne sich auf die Tugend der Bürger oder der Elite zu verlassen,
konzentrierte er sich sowohl in seinen Reden als auch in seiner
politischen Theorie auf eine institutionelle Antwort auf den
Zusammenbruch der Republik. Diese Antwort beruhte auf der
Ausarbeitung eines Verfassungsbegriffs, der zwischen Gesetzen und
höherrangigem Recht unterscheidet und Letzteres als Grundlage der
politischen Ordnung bestimmte. Zu retten vermochte dieser genuin
römische Ansatz des Verfassungsdenkens die Republik bekanntlich
nicht. Er lebte aber im Rechtsdenken der Kaiserzeit fort und
begründete eine Tradition, die seit der Renaissance von Autoren wie
dem oft als Absolutisten missverstandenen Jean Bodin und später
auch von Montesquieu aufgegriffen worden ist.
Politik als Wissenschaft
Die amerikanischen «Federalists» betonten zu Recht die Originalität
ihrer Bundesverfassung, in der sie eine «neue Wissenschaft der
Politik» verwirklicht sahen. Für diese Leistung griffen sie allerdings
explizit auf die römische Tradition zurück. Ihr Denken kreist immer
um die Verfassungskrisen der späten Republik, und der von ihnen auf
dem römischen Fundament errichtete Konstitutionalismus darf als
Antwort auf den Fall der römischen Republik verstanden werden.
Der militärische Despotismus eines Cäsar wurde in dieser Tradition als
Konsequenz einer Republik ohne verbindliche Verfassungsordnung
gesehen und von den Gründervätern der USA als Gefahr für ihr
eigenes republikanisches Projekt erkannt, der sie ganz bewusst mit
den in der Bundesverfassung von 1787 vorgeschriebenen
Verfassungsmechanismen entgegenzutreten trachteten.
John Adams, zweiter Präsident der Vereinigten Staaten und einer der
einflussreichsten Gründerväter, hat die Ursachen für den Kollaps der
römischen Republik in einem Mangel an expliziten, unabänderlichen
Verfassungsgrundsätzen gesehen. Dieser Mangel habe dazu geführt,
dass die römischen Volksversammlungen, die Komitien, sich als
hemmungsloser Souverän etabliert hätten. Cäsar mit den ihm
anvertrauten Sondergewalten sei eine typische, unverhüllte Kreatur
der Komitien gewesen – woraus Adams den Schluss zieht, dass es
einer Verfassungsordnung bedürfe, die der Kompetenz der Komitien
Grenzen auferlegt und damit einen Cäsar und die Selbstzerstörung der
Republik verunmöglicht.
Eine solche Ordnung hatte Adams selbst mit der – nach wie vor in
Kraft stehenden – Verfassung des Teilstaates Massachusetts von 1780
mitgeschaffen. Die zentralen Elemente dieser Rechtsordnung, die für
die spätere amerikanische Bundesverfassung Modellcharakter hatte,
bestanden in einem Zweikammerparlament, verfassungsmässigen
Rechten, einer unabhängigen Judikative und einer starken Exekutive.
Der amerikanischen Verfassung wurde die Auseinandersetzung mit
dem Fall der römischen Republik also eingebaut, der Cäsarismus
antizipiert.
Die heute verbreiteten Ängste vor dem Cäsarismus sind in aller Regel
Ängste vor einer zu stark erscheinenden Exekutive. Die stete
Ausdehnung der exekutiven Gewalt im Zuge einer zusehenden
Zentralisierung seit der industriellen Revolution hat zu starken
Bedenken gegenüber einer «imperialen Präsidentschaft» (Arthur
Schlesinger Jr.) geführt. Es sind diese Bedenken, die die Furcht vor
dem Cäsarismus heute nähren. Und sie sind nicht unberechtigt. Die
Kompetenzen des Präsidenten haben infolge zahlreicher Delegationen
vom Kongress und einer vor allem im 20. Jahrhundert
expandierenden Bürokratie sehr stark zugenommen.
Relativ freie Hand
Ein Präsident Trump hätte relativ freie Hand, so der an der Universität
Chicago lehrende Eric Posner, staatsvertragliche Verpflichtungen der
Vereinigten Staaten im Alleingang aufzukündigen, was im Bereich des
Freihandels oder der Klimaabkommen weitreichende Folgen hätte.
Desgleichen wird die Inanspruchnahme exekutiver
Ausnahmegewalten im Rahmen des «Kriegs gegen den Terror» von
der Judikative, zumindest kurzfristig, respektiert. Trump wäre es auch
gegeben, auf die künftige Verfassungsinterpretation mittels der
Nominierung freundlich gesinnter Richter für den Obersten
Gerichtshof Einfluss zu nehmen.
Die starke Stellung der Exekutive ist aber bereits im
Verfassungsentwurf angelegt und lässt sich nicht zuletzt darauf
zurückführen, dass die Verfassungsväter unter dem Eindruck des
römischen Beispiels die Notstandsgewalt des römischen Diktators in
die Kompetenzen der Exekutive integriert wissen wollten. Spezielle
Ausnahmezustandsgewalten, die auf eine Suspendierung der
Verfassung hinauslaufen, sind nicht vorgesehen. Zugespitzt gesagt: Wo
immer der amerikanische Präsident die Freiheiten eines «Diktators»
geniesst, geniesst er sie als Diktator von Verfassungs Gnaden.
Allerdings sind diese exekutiven Befugnisse längerfristig vielerlei
Kontrollen unterworfen. Einerseits insofern, als sowohl finanzielle
Aufwendungen (wie etwa die von Trump geforderte Mauer entlang der
mexikanischen Grenze) als auch Notstandsgewalten die Zustimmung
des Kongresses erfordern; andererseits werden grundrechtliche
Garantien von der Judikative aufrechterhalten.
Insbesondere eine Unterminierung der Pressefreiheit, wie sie Trump
verschiedentlich angedroht hat, würde mit Sicherheit an den Gerichten
scheitern. Eingriffe in die ordentlichen Haftprüfungsverfahren (habeas
corpus), seien sie auch demokratisch legitimiert, würden mit grosser
Wahrscheinlichkeit vom Obersten Gerichtshof als verfassungswidrige
Suspendierung eines Grundrechts interpretiert, selbst im Fall von
Ausländern.
Doch die stärkste Kontrolle wird wohl durch die Bürokratie der
Bundesbehörden ausgeübt, die ironischerweise oft als Indiz einer
imperialen Präsidentschaft gilt; verfassungswidrige Anordnungen des
Präsidenten würden gar nicht oder widerwillig ausgeführt, und die
Exekutive könnte schnell zur Zielscheibe beabsichtigter Indiskretionen
gegenüber der Presse werden.
Anders als in der späten römischen Republik sind Krisen hier also
nicht «ohne Alternative». Ihnen kann aufgrund der in die Verfassung
integrierten römischen Erfahrung begegnet werden. Diese Ordnung
stellt auf lange Sicht einen rechtlichen Massstab der auf die Krisen
gegebenen politischen Antworten dar. Die Internierung
amerikanischer Bürger japanischer Abstammung während des Zweiten
Weltkriegs, die Verweigerung von Verfahrensrechten an GuantánamoHäftlinge durch die Bush-Regierung, selbst die Suspendierung von
habeas corpus durch Präsident Lincoln im amerikanischen
Bürgerkrieg: Keiner dieser Versuche, die Grenzen der exekutiven
Gewalt zu testen, vermochte längerfristig der Überprüfung auf
Verfassungsmässigkeit standzuhalten.
Schlechte Chancen
Gerade die von Trump geringgeachteten Verfahrensgarantien haben
sich sowohl in der römischen Republik als auch im amerikanischen
Verfassungsrecht (habeas corpus) immer wieder als der zentrale Punkt
der Auseinandersetzungen erwiesen; das von den «Federalists»
gewählte Pseudonym, «Publius», referiert auf Publius Valerius
Publicola nicht bloss als den Gründer der Republik, sondern auch als
den legendären Urheber des römischen Verfahrensgrundrechts, der
provocatio.
Trump hat eben nicht zuletzt darum schlechte Chancen, weil er zu
offenkundig mit der Verfassung auf Kriegsfuss steht. Diese
Verfassungsfeindlichkeit gereicht ihm selbst bei vielen sonst
rechtsgesinnten Wahlbürgern zum Nachteil und lässt seine Wahl
zusehends unwahrscheinlich erscheinen. Die parareligiöse Verehrung,
die der Verfassung in der amerikanischen politischen Kultur zuteil
wird, ist Trumps Chancen abträglich.
Eine Verfassungsordnung, die aus dem Kollaps der römischen
Republik ihre Lehren gezogen hat, würde eine Präsidentschaft Trumps
wohl aushalten – selbst wenn man dem grotesken Geschäftsmann eine
Kombination der Fähigkeiten Cäsars mit der Gerissenheit und
Umsicht eines Augustus zu unterstellen gewillt wäre.
Es ist ein durchaus krisenfester Konstitutionalismus, der nicht bloss
Richard Nixons kriminelle Energie, sondern auch den amerikanischen
Bürgerkrieg überdauert hat. Fast wünschte man sich, die Probe aufs
Exempel zu machen und dem historischen Laboratorium ein weiteres
Fallbeispiel hinzufügen zu können – Trumps politische Vorschläge
sind jedoch zu unappetitlich, um den Erkenntniswert, den ein
Experiment mit dem Möchtegern-Cäsar im Weissen Haus bringen
würde, tatsächlich zu rechtfertigen.
Benjamin Straumann ist Althistoriker und Senior Fellow an der New
York University School of Law und Autor. Zuletzt erschien von ihm
«Crisis and Constitutionalism. Roman Political Thought from the Fall
of the Republic to the Age of Revolution» (Oxford University Press,
2016).
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