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Einige Tierarten produzieren mit großem Aufwand Spermien, die länger als das Männchen sind. Unklar war, wie lange
dieses Phänomen bereits existiert. Eine neuartige High-Tech-Untersuchung erlaubt nun den Blick in das Innere von Fossilien.
In Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam gelang der Paläontologin Dr. Renate Matzke-Karasz auf diese
Weise der Nachweis, dass sich winzige Muschelkrebse schon vor 100 Millionen Jahren mit Riesenspermien fortpflanzten.
Susanne Wedlich
wenn goliath gewinnt
D
er Pfau schießt wirklich den Vogel ab: Die bunt schillernden Schwanzfedern der Männchen sind so lang, dass
die Tiere nur kurze Strecken in geringer Höhe fliegen können. Und für ihre Fressfeinde, die großen Raubkat-
zen ihres Heimatlandes Indien, sind die prachtvollen Tiere nahezu unübersehbare Leckerbissen. Ein Nutzen aber
scheint diese Risiken aufzuwiegen: In der Balz können Pfauenmännchen ein Rad aus Federn schlagen und so die
Hennen beeindrucken. Der Kampf um einen Partner geht im Tierreich fast ausnahmslos in eine Richtung. Es sind
die Männchen, die um ein Weibchen buhlen müssen. Ob sie dafür ein mächtiges Geweih auf dem Kopf tragen oder
die Schöne mit Gesang umgarnen wollen: Männchen setzen eine Vielzahl von Strategien ein, um sich gegenseitig zu
überbieten und so eine Chance zur Fortpflanzung zu bekommen – bis hin zum Kampf mit tödlichen Waffen.
In manchen Fällen aber ist der Sieg über die Rivalen nur die erste Runde. Denn dann verspricht die Begattung
nicht zwangsläufig den gewünschten Erfolg. Um die Nachkommenschaft sicher zu stellen, paaren sich Weibchen
mancher Gattungen deshalb mit mehreren Männchen. In diesen Fällen setzt sich also der Konkurrenzkampf auf der
Ebene der Spermien fort. So groß scheint der Druck in dieser Situation zu sein, dass sogar die wichtigste Theorie
zur sexuellen Selektion ausgehebelt wird: Danach investieren die Weibchen in einige wenige, dafür aber große
Eizellen. Männchen haben dagegen die größten Chancen auf Nachwuchs, wenn sie schnell und unter möglichst
geringem Aufwand eine große Anzahl an Spermien produzieren können. Dies gilt vor allem dann, wenn die Rivalität
der Männchen vor der Begattung endet. Liefern sich dagegen die Spermien verschiedener Männchen im Körper des
Weibchens einen Wettkampf, scheint Qualität manches Mal Quantität zu übertrumpfen.
Giganten unter den Spermien
Noch ist unklar, welche Mechanismen hier zum Tragen kommen. Sicher ist aber, dass große Spermien unter
­bestimmten Umständen die Chancen auf eine Befruchtung erhöhen. Selbst bei einzelnen Individuen lässt sich diese Phänomen beobachten: Häufig kommen hier die größten Spermien zum Zuge. Aber auch beim Wettlauf von
Spermien verschiedener Männchen im weiblichen Körper setzen sich oft die größten Exemplare durch. So erstaunt
es nicht, dass Spezies mit dieser Art von Rivalität tendenziell größere Spermien produzieren. Bei einigen Motten,
Wanzen und auch Fröschen etwa sind vereinzelt wahre Riesenzellen entstanden. Diese können im Extremfall das
zugehörige Männchen um ein Vielfaches an Länge übertreffen. Den Weltrekord hält hier Drosophila bifurca. Die nur
wenige Millimeter großen Männchen dieser Taufliegen-Art b
­ ilden Riesenzellen von rund sechs Zentimetern Länge.
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Ostrakoden sind kleine aquatische Muschelkrebse. Ihre zweiklappige Kalkschale fossilisiert
leicht, und manche Funde reichen fast 500 Millionen Jahre zurück. Diese Süßwasserart Eucypris
virens lebt in temporären Gewässern.
Im Vergleich dazu müsste ein menschliches Spermium bis zu 40 Meter messen. Bislang allerdings ist noch unklar,
welchen Vorteil die extremen Ausmaße der Zellen den Tieren bringen. Eine Theorie besagt, dass Riesenspermien
der Eizelle Energie oder Nährstoffe beisteuern. Im Experiment konnte dies allerdings nicht bestätigt werden: Nur
der Kopf eines Taufliegen-Spermiums dringt tatsächlich in die Eizelle ein. Der Schwanz der Zelle, der ausschlaggebend für die Länge ist, wird dagegen abgeworfen und ausgeschieden. Dennoch muss der Nutzen beträchtlich sein,
weil der Aufwand der Tiere – und zwar beiderlei Geschlechts – für die Herstellung und den Transport der Riesenzellen ungleich höher ist als bei Arten mit kleinen Spermien.
B i o l og i s c h e L u x u s a r t i k e l
Denn mit der Produktion der Giganten ist es nicht getan, obwohl hier die Kosten bereits enorm sind. Bei Drosophila
bifurca etwa brauchen auch die überdimensionierten Hoden der Männchen mehr als zwei Wochen, um die Riesenspermien herzustellen. Diese werden dann zu Knäuel aufgewickelt und sind in dieser Form sogar mit bloßem Auge
erkennbar. In den Körper der Weibchen werden sie einzeln übertragen – und dort von entsprechend großen Reproduktionsorganen aufgenommen. Ähnliches gilt auch für Ostrakoden, deren Spermien bei manchen Arten immerhin
zehnmal so lang sind wie sie selbst. Diese Muschelkrebse erreichen nur eine Körpergröße von Millimetern bis zu
wenigen Zentimetern. Sie besiedeln alle aquatischen Lebensräume von Flüssen bis zur Tiefsee und spielen zum Teil
eine wichtige Rolle in ihren Ökosystemen.
Ähnlich wie Muscheln sind die Krebse von einer zweiklappigen, verkalkten Schale umgeben. Dieser Schutzpanzer
versteinert besonders gut, so dass Ostrakoden mit zu den häufigsten Fossilien gehören. Die Funde reichen bis zu
450 Millionen Jahre zurück. Wichtig für die Wissenschaft ist, dass Organismen in ihren Überresten Informationen
über die Umwelt, in der sie lebten, speichern. „Das ist ein Zusammenhang, den wir Paläontologen für unsere Arbeit
nutzen“, sagt Dr. Renate Matzke-Karasz. „ Weil sie so zahlreich und außerordentlich gut erhalten sind, bilden die
fossilen Schalen der Ostrakoden sogar so etwas wie ein Archiv der Erdgeschichte. Sie liefern uns Informationen
zum Klima, der Ökologie und der Geologie vor Tausenden und Millionen von Jahren.“ Nur in seltenen Fällen aber
überdauern die weichen Körperteile und Körperanhänge zusammen mit den kalkhaltigen Schalen.
Gerade diese Fossilien bieten aber noch viel weiter reichende Einblicke in die Tierwelt vor Jahrmillionen und sind
deshalb für Evolutionsbiologen besonders interessant. Ein internationales Team um Renate Matzke-Karasz unter-
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100 µm
suchte deshalb gezielt Fossilien von Harbinia micropapillosa aus der Kreidezeit, die intakte Reste des weichen
Körpers enthalten. Das Besondere daran: Diese extrem seltenen Versteinerungen aus den Sammlungen des Natural
History Museums in London gehören derselben Gruppe von Ostrakoden an, die auch heute noch Riesenspermien
produzieren. Das gab den Forschern die einzigartige Möglichkeit, nach Hinweisen auf diese großen Zellen in der
Vergangenheit zu suchen.
Ermöglicht wurde der Blick in das Innere der Fossilien durch eine neuartige hochkomplexe High-Tech-Untersuchung. Die Holotomografie ist ein bildgebendes Verfahren ähnlich der Computertomografie. Bei der Holotomografie kommen sehr starke, kohärente Synchrotron-Röntgenstrahlen zum Einsatz, die das Untersuchungsobjekt
durchleuchten, ohne das Material zu beschädigen. Dank ausgefeilter Computertechnik können selbst Strukturen
von mikroskopisch kleinen Objekten dreidimensional und bis in Details reproduziert werden. Der Kontrast und
die Präzision der Abbildung sind unerreicht. Durchgeführt wurde die Untersuchung am European Synchrotron
Radiation Facility (ESRF) in Grenoble, Frankreich, wo die Holotomografie erst seit Kurzem zur Untersuchung von
Fossilien eingesetzt wird. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass dank dieser Methode bahnbrechende Ergebnisse
in der Paläontologie zu erwarten sind. Denn bei den Ostrakoden gelang ein Durchbruch. Die Forscher konnten das
Fortpflanzungssystem der Tiere im Detail abbilden – und stießen dabei auf eine große Überraschung. Die Resultate
lassen keinen Zweifel daran, dass sich auch diese 100 Millionen Jahre alten Ostrakoden aus der Kreidezeit schon mit
Riesenspermien fortpflanzten. Heutige Muschelkrebse verfügen über komplexe Fortpflanzungsorgane, die etwa ein
Drittel des Körpervolumens ausmachen. Bei beiden Geschlechtern sind die Anlagen in zwei getrennt funktionierende Einheiten auf die Körperseiten verteilt. Bei den Männchen gehören dazu die Zenker-Organe, das sind zwei große
Spermienpumpen. Passend dazu führen in den weiblichen Ostrakoden zwei lange Gänge zu den beiden vaginalen
Öffnungen. Diese charakteristischen Strukturen sind eine perfekte Anpassung an den Transport von Riesenspermien. Die Röntgen-Untersuchung der fossilen Ostrakoden zeigte paarige hohle Röhren in den Männchen, die den
Zenker-Organen entsprechen.
nach der Begattung versteinert
Bei den Weibchen wiesen die Forscher zwei langgestreckte Hohlräume im Bauchraum nach, die auch von heutigen
Arten bekannt sind. Diese Hohlräume sind Speicher für die Spermien. Sie treten nur in Ostrakoden auf, deren Weibchen Riesenspermien in ihrem Körper bis zum Zeitpunkt der Eiablage aufbewahren, wenn jedes Ei von einem Spermium befruchtet wird. Von den heute lebenden Arten weiß man, dass diese Spermienbeutel nur dann ihre typische
Form erhalten, wenn sie mit Riesenspermien gefüllt sind. Daraus lässt sich schließen, dass die Weibchen kurz vor
ihrer Einbettung in Sediment – und nachfolgenden Fossilierung – begattet worden sein müssen. Die Holotomogra-
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7 links: Die Röntgen-Untersuchung der 100 Millionen Jahre alten Ostrakoden zeigte bei diesem
Weibchen zwei langgestreckte Hohlräume (roter Pfeil), die auch von heutigen Arten als Speicher für
Riesenspermien bekannt sind.
7 rechts: Weibliche Süßwasserostrakoden speichern Riesenspermien, bis diese benötigt werden,
um Eier zu befruchten. Diese Speicherorgane machen bis zu einem Drittel der Körperlänge des
Weibchens aus. Das hier gezeigte angefärbte Organ ist ungefähr bis zur Hälfte mit Spermien
angefüllt.
fien haben damit eine fossile Besamung enthüllt. Die Fortpflanzung mit Riesenspermien hat sich in dieser Gruppe
der Ostrakoden also bereits vor rund 100 Millionen Jahren entwickelt. „Bis jetzt war unbekannt, ob Riesenspermien
im Lauf der Evolution mehrfach aufgetreten sind, wie man es etwa für Drosophila annimmt, oder ob sie in manchen
Arten über Millionen Jahre stabil waren“, sagt Renate Matzke-Karasz. „Diese Frage lässt sich jetzt wohl eindeutig
beantworten: Die Riesenspermien sind zumindest in einigen Arten über lange Zeiträume hinweg produziert worden,
obwohl sie für Männchen und Weibchen extrem kostspielig sind.“
Privatdozentin Dr. Renate Matzke-Karasz forscht und lehrt seit 1999 an der Sektion Paläontologie und
Geobiologie des Departments für Geo- und Umweltwissenschaften. Von 2004 bis 2008 war sie ist sie
assoziierter Partner des EU Marie-Curie RTF Projekts „From Sex to Asex: a case study on interactions
between sexual and asexual reproduction (SexAsex)”.
[email protected]
http://www.palaeontologie.geowissenschaften.uni-muenchen.de
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