Programmheftes

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»Bei Beethoven haben wir alles –
Klassik, Romantik und 20. Jahrhundert.«
Dmitrij Schostakowitsch
Do, 29.10.2015 | Fr, 30.10.2015 | Hamburg, Laeiszhalle
DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE
In Hamburg auf 99,2
Weitere Frequenzen unter
ndr.de/ndrkultur
Das Konzert wird am 23.11.2015 um 20 Uhr
auf NDR Kultur gesendet.
Donnerstag, 29. Oktober 2015, 20 Uhr
Freitag, 30. Oktober 2015, 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
Dirigent:
Solist:
Alan Gilbert
Frank Peter Zimmermann Violine
Dmitrij Schostakowitsch
(1906 – 1975)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 cis-Moll op. 129
(1967)
I. Moderato
II. Adagio
III. Adagio – Allegro
Pause
Foto: Nicolajj Lund | NDR
Ludwig van Beethoven
(1770 – 1827)
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“
(1803/04)
I.
II.
III.
IV.
Allegro con brio
Marcia funebre. Adagio assai
Scherzo. Allegro vivace
Finale. Allegro molto
Ende des Konzerts gegen 22 Uhr
Das NDR Sinfonieorchester auf NDR Kultur
Informationsveranstaltungen für Abonnenten und Interessenten des
NDR Sinfonieorchesters zum Umzug in die Elbphilharmonie
am 29.10. und 30.10.2015 um 18.45 Uhr im Großen Saal der Laeiszhalle
Regelmäßige Sendetermine:
NDR Sinfonieorchester | montags | 20.00 Uhr
Das Sonntagskonzert | sonntags | 11.00 Uhr
Hören und genießen
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Alan Gilbert
Frank Peter Zimmermann
Dirigent
Violine
Alan Gilbert ist seit 2009 Music Director des
New York Philharmonic Orchestra. Daneben
steht er regelmäßig am Pult so berühmter Orchester wie der Berliner Philharmoniker, des
Concertgebouworkest, Philadelphia und Boston
Symphony Orchestra oder des Orchestra
dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Für
mehr als zehn Jahre war er Erster Gastdirigent
des NDR Sinfonieorchesters; außerdem ist er
Ehrendirigent des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dessen Chefdirigent er achteinhalb Jahre war. Als Operndirigent gastiert er an
den Häusern von New York, Los Angeles, Zürich,
Stockholm und Santa Fe, wo er als erster Music
Director wirkte. Im August 2015 leitete er das
Mahler Chamber Orchestra in der US-Bühnenpremiere von George Benjamins „Written on
Skin“. 2015/16 gibt Gilbert seine Debüts bei
der Staatskapelle Dresden, dem London Symphony Orchestra, der Mailänder Scala sowie der
Academy of St. Martin in the Fields. Außerdem
kehrt er zum Metropolitan Symphony Orchestra
Tokyo, Orchestra Philharmonique de Radio
France, Gewandhausorchester Leipzig und
Cleveland Orchestra zurück.
Geboren 1965 in Duisburg, begann Frank Peter
Zimmermann als Fünfjähriger mit dem Geigenspiel und gab bereits im Alter von zehn Jahren
sein erstes Konzert mit Orchester. Nach Studien
bei Valery Gradow, Saschko Gawriloff und
Herman Krebbers begann 1983 sein kontinuierlicher Aufstieg zur Weltelite. Zimmermann
gastiert bei allen wichtigen Festivals und musiziert mit allen berühmten Orchestern und
Dirigenten rund um den Globus. Den Auftakt
der Spielzeit 2015/16 bildeten Konzerte mit
seinem Streichtrio, dem Trio Zimmermann,
bei den Salzburger Festspielen, dem Edinburgh
Festival und auf Schloss Elmau. Außerdem unternimmt das Trio in dieser Saison eine große
Europa-Tournee mit Auftritten in Wien, München,
Amsterdam, Madrid, Barcelona und Hamburg.
Im Dezember 2015 spielt Zimmermann die Uraufführung von Magnus Lindbergs Violinkonzert
Nr. 2 mit dem London Philharmonic Orchestra
unter Jaap van Zweden. Weitere Aufführungen
dieses Werks führen ihn zu den Berliner Philharmonikern und dem Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding sowie zum
New York Philharmonic und Orchestre Philharmonique de Radio France unter Alan Gilbert.
Zu weiteren Höhepunkten zählen Engagements
beim Concertgebouworkest Amsterdam, Cleveland Orchestra, Bayerischen Staatsorchester
und bei der Tschechischen Philharmonie. Im
März/April 2016 ist er Solist der Ostertournee
des Gustav Mahler Jugendorchesters.
Das künstlerische Profil des New York Philharmonic hat Gilbert durch zahlreiche Initiativen
bereichert. So besetzte er die Positionen eines
Composer und Artist in Residence, die gegenwärtig von Esa-Pekka Salonen bzw. Eric Owens
und Inon Barnatan eingenommen werden.
Außerdem entwickelte er mit „CONTACT!“ und
„NY PHIL BIENNIAL“ zwei der zeitgenössischen
Musik gewidmete Konzertreihen. In der aktuellen Spielzeit dirigiert er in New York u. a. die
Opening Night der Carnegie Hall, Urauffüh4
rungen u. a. von Salonen und Lindberg sowie
Werke von Strauss, Sibelius, Mahler, Wagner
und Mozart. Für Messiaens „Quatuor pour la
fin du temps“ tauscht er seinen Taktstock gegen die Geige. In der letzten Spielzeit wurde
Gilberts „Nielsen Project“ abgeschlossen, das
Aufnahmen der gesamten Sinfonien und Konzerte des dänischen Komponisten umfasst.
Alan Gilbert ist Director of Conducting and Orchestral Studies an der Juilliard School, deren
William Schuman-Lehrstuhl er seit 2009 besetzt.
Vom Curtis Institute wurde er 2010 zum Ehrendoktor ernannt. 2015 erhielt er eine Foreign
Policy Association Medal und ist für den Emmy
Award für seine herausragende Dirigierleistung
in „Sweeney Todd“ beim New York Philharmonic nominiert. Die Aufzeichnung seines MetDebüts mit John Adams’ „Doctor Atomic“ (2008)
sowie das Album „Poèmes“ mit Renée Fleming
wurden mit dem Grammy Award ausgezeichnet.
Neben seinen Auftritten als Solist ist Zimmermann regelmäßig als Kammermusiker auf den
bedeutenden Podien der Welt zu hören. Zu
seinen ständigen Kammermusikpartnern zäh-
len die Pianisten Piotr Anderszewski, Enrico
Pace and Emanuel Ax sowie seine Trio-Kollegen
Antoine Tamestit und Christian Poltéra.
Zimmermann kann auf eine eindrucksvolle,
vielfach preisgekrönte Diskographie mit Werken
von Bach bis Ligeti zurückblicken. Zu den jüngeren CDs gehören seine 2013 erschienene
Hindemith-Einspielung oder die Aufnahme
des von ihm uraufgeführten Violinkonzerts
„The Lost Art of Letter Writing“ von Brett Dean.
Der erste Teil seiner Aufnahme sämtlicher
Mozart-Violinkonzerte mit dem Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks wurde
im Februar 2015 veröffentlicht.
Zimmermann erhielt zahlreiche Preise und
Ehrungen, darunter der Premio del Accademia
Musicale Chigiana in Siena, der Rheinische
Kulturpreis, der Musikpreis der Stadt Duisburg
oder das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der
Bundesrepublik Deutschland.
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„Welch großes Glück es ist, Interpreten wie Sie zu haben!“
Dmitrij Schostakowitschs Zweites Violinkonzert
„Ein Leben lang hat mich die Partei gelehrt,
nach vorn zu schauen, ich aber hätte vor meine
Füße blicken sollen!“ Mit gewohntem Sarkasmus
kommentierte Dmitrij Schostakowitsch den
eigenen Sturz im Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes Maxim im Herbst 1960,
bei dem er sich ein Bein brach, was eine langwierige Krankenhausbehandlung nach sich zog.
Dabei erwies sich der Unfall als Folge einer
Poliomyelitis (Kinderlähmung), die bei Erwachsenen selten vorkommt und unheilbar ist – schon
lange quälten den Komponisten Lähmungserscheinungen und Muskelzittern, was ihm das
öffentliche Auftreten als Pianist schließlich
unmöglich machte und bisweilen so weit ging,
dass er beim Essen die Gabel nicht halten
konnte. Ungeachtet zahlreicher Behandlungsversuche war keine Besserung in Sicht. Zudem
erlitt Schostakowitsch im Herbst 1966 einen
Herzinfarkt, in dessen Folge seine schöpferischen Energien zeitweilig vollständig zum erliegen kamen. Die Zeit der Rekonvaleszenz nutzte
er zum intensiven Literaturstudium, wobei er
sich im Winter 1966 einmal mehr den von ihm
so geschätzten Gedichten von Alexander Blok
zuwandte, dessen Poem „Die Zwölf“ zu seinen
Lieblingswerken zählte. Wie so oft inspirierte
ihn auch diesmal die Dichtung, und es entstanden in kurzer Zeit „Sieben Romanzen nach
Worten von A. Blok“ für Sopran, Violine, Violoncello und Klavier – ein um die Todesthematik
kreisendes, düsteres Meisterwerk der Vokallyrik. Die Premiere des originellen Liederzyklus’,
in dem jedes der sieben Lieder eine andere
Instrumentenkombination aufweist, fand am
25. Oktober mit Galina Wischnewskaja, David
Oistrach, Mstislaw Rostropowitsch und dem
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mit Schostakowitsch befreundeten Mieczysław
Weinberg als Pianisten statt. „Das war eine
unvergessliche Uraufführung“, erinnerte sich
Oistrach. „Die Auseinandersetzung mit dieser
Musik war für mich ein ungeheuer großes Erlebnis, und mir schien, dass auch der Komponist selbst unter dem Eindruck seines eigenen
Werkes stand.“
Die herzliche Freundschaft zwischen dem
Komponisten und dem Virtuosen Oistrach hatte
ihren Anfang in den 1930er Jahren genommen,
als beide gemeinsam mit der sowjetischen
Delegation zu Konzerten in die Türkei gefahren
waren. Oistrach hatte auch das ihm gewidmete
Erste Violinkonzert von Schostakowitsch am
29. Oktober 1955 in Leningrad aus der Taufe
gehoben und es kurz darauf unter der Leitung
von Dimitri Mitropoulos in der New Yorker
Carnegie Hall gespielt und auf Schallplatte
aufgezeichnet – ein packendes sinfonisches
Werk, das mit einer Burleske von verwegener
Ausgelassenheit ausklingt. (Oistrachs mustergültige Ersteinspielung wurde übrigens mehrfach, auch „digitally remastered“, auf CD veröffentlicht.) Als sich die sowjetische Musikwelt
dem Stück gegenüber eher zurückhaltend verhielt, ergriff der Geiger die Initiative und schrieb
in der Zeitschrift „Sowjetskaja Musyka“ einen
analytischen Essay, in dem er feststellte, dass
das allgemeine Schweigen eine Form der Kritik
sei, welche das Konzert nicht verdient habe.
Im Mai 1967, also noch vor der Premiere der
„Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok“,
kündigte Schostakowitsch Oistrach ein weiteres Konzert an: „Lieber Dodik! Ich habe ein
Dmitrij Schostakowitsch (zweiter von links) mit Mstislaw Rostropowitsch, Galina Wischnewskaja
und David Oistrach (ganz rechts)
neues Violinkonzert beendet. Beim Komponieren dachte ich an Sie. […] Obwohl es mir furchtbar schwerfällt zu spielen, möchte ich Ihnen
allzu gern das Konzert vorführen. Wenn das Werk
bei Ihnen keinen Protest hervorriefe, wäre ich
sehr glücklich. Und wenn Sie es spielen würden,
wäre mein Glück so groß, dass es weder im
Märchen zu erzählen noch mit der Feder zu
beschreiben wäre. Wenn Sie nichts dagegen
haben, dann möchte ich Ihnen das Konzert sehr
gerne widmen.“ Oistrach reagierte begeistert
und fing umgehend mit der Einstudierung
des Soloparts an; die Uraufführung fand am
26. Oktober 1967 mit dem Sinfonieorchester
der Moskauer Philharmonie unter der Leitung
von Kyrill Kondraschin statt. Schostakowitsch,
der dem Ereignis aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben musste, schrieb anschließend
an den Geiger: „Am 19. November wurde das
ganze Konzert [der Uraufführung] im Rundfunk
übertragen. Der Klang war sehr gut. […] Mein
Konzert klang in Ihrer Darbietung wunderbar.
Ich hatte sehr viel Freude daran. Ihnen meinen
herzlichen Dank!“ Und weiter: „Oft spiele ich
die Aufnahmen meiner Blok-Romanzen und
des 2. Konzerts ab. Und ich denke viel daran,
welch großes Glück es für mich ist, solche
Interpreten wie Sie zu haben!“
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Prometheus, Bonaparte und andere
Beethovens „Sinfonia Eroica“
Wie sehr Schostakowitsch sein Zweites Violinkonzert Oistrach „in den Bogen“ komponiert
hat, zeigt sich schon im Kopfsatz – zielt die
Solopartie hier doch bewusst darauf ab, jene
spannungsreich nuancierte Eloquenz in tiefer
Lage zu erzeugen, die für Oistrachs Spiel so
typisch war. Zudem weist das Werk in der für
ein Violinkonzert recht untypischen Tonart
cis-Moll aufgrund seiner hochkonzentrierten
Anlage charakteristische Momente von
Schostakowitschs Spätstil auf, wobei es nach
klassischem Vorbild dreisätzig gebaut ist:
Das einleitende Moderato wird von einer
dunkel timbrierten Musik eingeleitet, in der
zwei vor dem Hörer allmählich ausgebreitete
Hauptcharaktere (von denen das zweite an
Schostakowitschs „Die Hinrichtung des Stepan
Rasin“ für Bass, Chor und Orchester op. 119
nach Jewgeni Jewtuschenko erinnert) auf einen
impulsiven Höhepunkt zulaufen. Nach einer
unbegleiteten Zwischenkadenz der Violine – wie
im Ersten Violinkonzert deutet sich bereits hier
die Reprise an – wird unter Streicherbegleitung
das Hauptthema vom Solo-Horn wieder aufgegriffen, bevor der nächtliche Satz mit einer
Wiederaufnahme des dialogischen zweiten
Themas offen und fragmentarisch ausklingt.
Emotionales Zentrum des Werks ist das vom
Soloinstrument in tiefer Lage eingeleitete
melodiegesättigte Adagio in g-Moll, dessen
musikalischer Ausdruck zwischen verzweifelter
Schwermut und Einsamkeit zu changieren
scheint. Die Musik dieses dreiteiligen Satzes
breitet sich in kontinuierlichem Dreivierteltakt
aus, wobei eine begleitete Kadenz den zentralen Mittelabschnitt bildet. Gegen Ende scheint
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sich die Stimmung mit dem Wechsel von SoloHorn und Streichern nach Des-Dur aufzuhellen,
was allerdings durch einen skurril anmutenden
Dialog von Solo-Violine und „kicherndem“ gedämpften Horn vereitelt wird. Den Abschluss
des Werks bildet schließlich ein sarkastisches
Final-Rondo mit pseudo-klassischem Hauptthema, wilden Ausbrüchen des Tomtoms und
einer Persiflage der aus dem Kopfsatz bekannten Motive. In der Coda bahnt eine ausgedehnte
Solo-Kadenz der Violine den Weg für eine
letzte Wiederkehr des Hauptthemas, das trotz
seines Auftretens in der Grundtonart nicht
für Entspannung sorgen kann.
Harald Hodeige
Nachdem Ludwig van Beethoven mit seinen
ersten beiden Sinfonien noch weitgehend an
den traditionellen Konventionen der Gattung
festgehalten hatte, überraschte er im Jahr 1805
seine Zeitgenossen mit einer „Sinfonia Eroica“,
die mit allen bisherigen Normerwartungen
radikal brach. Die Neuerungen – der Rezensent
der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ bezeichnete das Stück im Februar 1805
als „eine sehr weit ausgeführte, kühne und
wilde Phantasie“, die sich oftmals „ganz ins
Regellose“ verliere – betrafen neben der gewaltigen Länge die gesamte Werkkonzeption,
da auf einen noch weitgehend dem Sonatenschema entsprechenden Kopfsatz ein Trauermarsch, ein Scherzo und ein rondohaft verknüpfter Variationssatz folgen, wofür es in der
sinfonischen Tradition kaum Vorläufer gab.
Zudem sprengte die erweiterte Orchesterbesetzung den Rahmen aller erwarteter Gefälligkeit, da an die Stelle von Wohlklang und Zerstreuung metallische Bläserhärten, gewaltige
Paukenschläge und stampfende Marschrhythmen rückten. Beethoven überschritt, dem von
ihm so bezeichneten „neuen Weg“ folgend,
in bisher ungekannter Deutlichkeit die Grenzen
der Konvention – mit einer Musik, die ihren
aus der Klangwelt der französischen Revolution
und der napoleonischen Siege gespeisten
Intonationsschatz an keiner Stelle verleugnete;
bereits die beiden Es-Dur-Akkorde, die im
Kopfsatz dem Hauptthema vorangehen, kündigen das Bedeutsame dieses Werks an. Dabei
steht die „Eroica“ nicht in der Tradition der
Battaglia- und Schlachtensinfonien, jenem
Genre, zu dem Beethoven später mit dem Klanggemälde „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht
Ludwig van Beethoven (Gemälde um 1804 von
Willibrord Joseph Mähler)
von Vittoria“ op. 91 ebenfalls seinen Betrag
leistete. Vielmehr zielt der heroische Tonfall
dieser Musik, ähnlich wie die 1797 entstandene
„Grande Sinfonie caractéristique pour la paix
avec la République française“ des MozartZeitgenossen Paul Wranitzky, auf ein weltanschauliches Bekenntnis, das, losgelöst vom
konkreten politischen Kontext der Zeit,
Universalität erlangt.
Beethoven, der sich als Rheinländer und Anhänger des jakobinisch gesinnten Universitätsprofessors Eulogius Schneider schon in Bonner
Jahren den Liberté-, Egalité- und FraternitéParolen der radikalen Aufklärung angeschlossen hatte, war mit der „Eroica“ seinem erklär9
Blick aus Beethovens Wohnung am Pfarrplatz in Heiligenstadt/
Wien, wo er die „Eroica“ komponierte
ten Ziel, „poetische Ideen“ in Musik zu setzen,
ein gutes Stück näher gekommen – ohne dabei
jedoch den autonomen Kunstcharakter der
Musik zu verletzen. Zu den musikalischen Mitteln, auf die er hierfür zurückgriff, gehört eine
Wendung aus der Ballettmusik „Die Geschöpfe
des Prometheus“ op. 43, die im Finale der
„Eroica“ zum Hauptmotiv des triumphalen
Jubels wird. Die avisierte Widmung bzw. der
ursprünglich für das Werk vorgesehene Titel
„intitolata Bonaparte“ bzw. „Geschrieben auf
Bonaparte“, steht hierzu in direktem Zusam10
menhang, galt Napoleon doch als die zentrale
Prometheus-Figur seiner Zeit. Vor diesem
Hintergrund lässt sich der an zweiter Stelle
stehende Trauermarsch als Reverenz an Bonaparte auffassen, in dem Beethoven (ähnlich wie
Hölderlin und Hegel) lange einen konsequenten
Republikaner und Befreier sah – nicht umsonst
bietet die Musik zahllose Anklänge an Motive
aus offiziellen Festhymnen und Trauermärschen
der ersten französischen Republik. Im selben
Kontext lässt sich auch das Trio des dritten
Satzes betrachten, dessen Rahmenteile ungewöhnlicherweise als Solo für drei Hörner angelegt sind, die in Gestik und Tonfall an traditionelle Caccia-Modelle erinnern. Das Jagd-Genre
hatte im Zuge der Umwälzungen nach 1789
seinen feudalen Charakter verloren und war zu
einer Sache des Citoyen geworden, weshalb
kein Geringerer als Étienne-Nicolas Méhul, der
neben François Joseph Gossec als berühmtester Komponist der Revolution galt, u. a. eine
„Jagdsinfonie“ sowie die Ouvertüre „La chasse
du jeune Henri“ komponierte, welche als Allegorie auf die revolutionären Ereignisse aufgefasst
wurde. Das bewegte Finale endet schließlich
mit einem wahren „Eclat triomphal“, dem nicht
weniger als 21 Takte in „strahlendem“ Es-Dur
die Krone aufsetzen.
Zweifellos hat Beethovens „Eroica“ (wie auch die
Fünfte und Siebte Sinfonie) jenen revolutionären Zeitgeist in sich aufgesogen, von dem die
Jahre zwischen 1800 und 1815 mit Napoleons
Siegen und den späteren Befreiungskriegen geprägt waren. Dass die Zeitgenossen die „prophetische Botschaft“ dieser Musik, die in ihr
zum Ausdruck kommende Idee von Humanität,
Titelseite einer Partiturabschrift der „Eroica“ mit handschriftlichen Korrekturen Beethovens, u. a. Tilgung der
Widmung an Napoleon Bonaparte
politischem Freiheitsdrang und Hoffnung, erfasst haben, ist durch zeitgenössische Berichte
und Rezensionen belegt. Nicht umsonst wurde,
wie die Feuilletons der seinerzeit tonangebenden Kultur- und Tageszeitungen belegen, erstmals ein Instrumentalkomponist zum breiten
Gesprächs- und Diskussionsgegenstand, was
bis dahin nur Philosophen, Dichtern oder bildenden Künstlern vorbehalten war. In Alexander
Wheelock Thayers ab 1866 in deutscher Übersetzung erschienener Beethoven-Biografie
findet sich zudem die „hübsche Erzählung von
dem napoleonischen Gardisten, der bei einer
Aufführung der [Fünften] Symphonie im Pa-
Titelblatt der Erstausgabe der „Eroica“ (Wien 1805) mit dem
Zusatz „composta per festeggiare il sovvenire di un grand’
Uomo” und Widmung an Franz Joseph Max Fürst Lobkowitz
riser Konservatoriumskonzert zu Beginn des
Finales in die Ausrufe ‚C’est l’Empereur! Vive
l’Empereur!‘ ausgebrochen sein soll.“ Nachdem
sich Bonaparte 1804 in der Kathedrale Notre
Dame de Paris selbst zum Kaiser gekrönt hatte,
nahm Beethoven bekanntlich von der Widmung
Abstand und ließ die „Eroica“ mit dem Zusatz
„composta per festeggiare il sovvenire di un
grand’ Uomo“ drucken – wenngleich er in einem
später verfassten Brief an seinen Verleger
Breitkopf und Härtel auch noch nach Ausradie11
Trotz der Beeinträchtigung durch das zunehmende Gehörleiden gehören die Jahre nach dem Verfassen des berühmten
„Heiligenstädter Testaments“ (1802) zu Beethovens produktivster Schaffensphase. Die Fotografie zeigt Beethovens
Hörrohr auf dem Manuskript der Dritten Sinfonie
rung der Widmung auf dem Titelblatt unterstrich,
dass das Werk „eigentlich“ Bonaparte heiße.
Die sich aufdrängende Frage, wer denn nun der
in dieser Sinfonie besungene „grand’ Uomo“
sei – es wurde u. a vermutet, Beethoven habe
nicht auf Napoleon, sondern auf den im Befreiungskampf gegen die Franzosen gefallenen
preußischen Prinzen Louis Ferdinand anspielen
wollen –, löste Richard Wagner in seiner Novelle
„Ein glücklicher Abend“ von 1841 (hinter der
sich eine ästhetische Abhandlung verbirgt) auf
12
salomonische Weise, indem er eine abstrakte,
ethische und emotionale „Idee des Heroischen“
ins Spiel brachte, zu deren musikalischer Darstellung Beethoven durch Bonaparte inspiriert
worden sei: „Er [Beethoven] war nicht Feldherr, –
er war Musiker, und so sah er in seinem Reiche
das Gebiet vor sich, in dem er dasselbe verrichten konnte, was Bonaparte in den Gefilden
Italiens vollbracht hatte. Die in ihm auf’s
Höchste gespannte musikalische Thatkraft ließ
ihn ein Werk konzipieren, wie es vorher noch
nie gedacht, noch nie ausgeführt worden war:
er führte seine ‚Sinfonia eroica‘ aus, und wohl
fühlend, wem er den Impetus zu dem Riesenwerke verdankte, schrieb er den Namen
‚Bonaparte‘ auf das Titelblatt. Und in der That,
ist diese Symphonie nicht ein ebenso großes
Zeugniß menschlicher Schöpfungskraft, als
Bonaparte’s glorreicher Sieg? Dennoch frage
ich, beurkundet irgend ein Markenzeichen in
der Art der Ausführung dieser Komposition
einen unmittelbaren äußeren Zusammenhang
mit dem Schicksale des Helden, der damals
noch nicht einmal auf der höchsten Stufe des
ihm bestimmten Ruhmes angelangt war?
Ich bin so glücklich, in ihr nur ein gigantisches
Denkmal der Kunst zu bewundern, mich in der
Kraft und der wohllüstig erhebenden Empfindung, die mir beim Anhören derselben die
Brust schwellt, zu stärken, und überlasse anderen Leuten, aus den geheimnißvollen Hieroglyphen dieser Partitur die Schlachten bei
Rivoli und Marengo herauszubuchstabieren.“
Harald Hodeige
Konzertvorschau
Impressum
NDR Sinfonieorchester
Saison 2015 / 2016
B3 | Do, 12.11.2015 | 20 Uhr
A3 | So, 15.11.2015 | 11 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle
Christoph Eschenbach Dirigent
Arcadi Volodos Klavier
Johannes Brahms
· Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83
· Klavierquartett g-Moll op. 25
in der Orchesterfassung von
Arnold Schönberg
12.11.2015 | 18.45 Uhr
15.11.2015 | 9.45 Uhr
Infoveranstaltungen zum Umzug in die Elbphilharmonie
für Abonnenten und Interessenten des NDR Sinfonieorchesters (die ursprünglich vorgesehenen Einführungsveranstaltungen entfallen)
C2 | Do, 26.11.2015 | 20 Uhr
D3 | Fr, 27.11.2015 | 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle
Thomas Hengelbrock Dirigent
Camilla Tilling Sopran
Christina Landshamer Sopran
Lothar Odinius Tenor
Christian Gerhaher Bariton
Albert Dohmen Bassbariton
Yorck Felix Speer Bass
RIAS Kammerchor
NDR Chor
Robert Schumann
Szenen aus Goethes „Faust“
Einführungsveranstaltungen
mit Thomas Hengelbrock:
26.11.2015 | 19 Uhr
27.11.2015 | 19 Uhr
STARS DER ZUKUNFT
Do, 05.11.2015 | 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle
Aziz Shokhakimov Dirigent
Julia Kociuban Klavier
Roman Kim Violine
Gioachino Rossini
Ouvertüre zu „La gazza ladra“
Niccolò Paganini
Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 6
Sergej Rachmaninow
Rhapsodie über ein Thema von
Paganini op. 43
Dmitrij Schostakowitsch
Suite aus „Das goldene Zeitalter“
op. 22a
Arcadis Volodos
Aziz Shokhakimov Julia Kociuban
Roman kim
Herausgegeben vom
NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK
PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK
BEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTE
Leitung: Andrea Zietzschmann
Redaktion Sinfonieorchester:
Achim Dobschall
Redaktion des Programmheftes:
Julius Heile
Die Einführungstexte von Dr. Harald Hodeige
sind Originalbeiträge für den NDR.
Fotos:
Chris Lee (S. 4); Harald Hoffmann | Haenssler
Classic (S. 5); culture-images (S. 7); akg-images
(S. 9, S. 11 rechts); akg-images / Album (S. 10);
akg-images / Erich Lessing (S. 11 links, S. 12);
Francesco Fratto (S. 13); Uwe Arens | Sony
Classical (S. 14 links); Philipp von Hessen
(S. 14 rechts); Bruno Fydrich (S. 15 mitte);
Ira Weihrauch (S. 15 rechts)
NDR | Markendesign
Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH
Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.
Nachdruck, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung des NDR gestattet.
Thomas Hengelbrock
Das NDR Sinfonieorchester im Internet
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Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus,
Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de
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