m-Tyrosin, eine neue Aminosäure aus dem Milchsaft von Euphorbia

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m -T yrosin, eine neue Am inosäure aus dem
Milchsaft von E u p h o r b i a M y r s i n i t e s L. 1
Von K. M o t h e s , H. R. S c h ü t t e , P. M ü l l e r ,
M. v. A r d e n n e und R. T ü m m l e r
Deutsche A kadem ie der W issenschaften zu Berlin
Institut für Biochemie der Pflanzen, Halle/Saale und
Forschungsinstitut M anfred v. Ardenne, Dresden —
W eißer Hirsch
(Z. Naturforsdig. 19 b, 1161—1162 [1964] ; eingeg. am 8. Oktober 1964)
In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, daß
Milchsäfte von Pflanzen verschiedenster systematischer
Stellung häufig ein ungewöhnliches Aminosäurespek­
trum aufw eisen2~ 7. Neben den bekannten Aminosäu­
ren finden sich oft latexspezifische ungewöhnlicher
Struktur. In vielen Fällen stellen sie die Hauptaminoverbindung des jeweiligen Milchsaftes dar, während die
üblichen Aminosäuren mengenmäßig stark zurücktre­
ten. Diese Verbindungen gehören keinem bestimmten
G rundtyp an, sondern der Charakter wechselt meist von
A rt zu Art. In unserem Arbeitskreis wurde eine Reihe
von Milchsäften papierchromatographisch auf ihre
Aminosäure-Zusammensetzung geprüft 8’ 9. Dabei sind
u. a. auf den Chromatogrammen ninhydringelbe Flecke
gefunden worden, die nicht bekannten Strukturen zuzu­
ordnen waren. Das Auftreten der diesen Flecken zu
Grunde liegenden Verbindungen scheint auf den Milch­
saft von E u ph orbia- Arten beschränkt zu sein, jedoch
kommen sie auch bei diesen nicht überall vor.
W ir waren an der K lärung der Struktur dieser Ver­
bindungen interessiert und verwendeten als Ausgangs­
m aterial für die Isolierung die mediterrane E u ph orbia
m y rsin its L., die bei uns auch bei Anbau im Freiland
reichlich Milchsaft liefert, in dem diese Verbindungen
in einer für die Isolierung aussichtsreichen Konzentra­
tion Vorkommen.
170 Pflanzen wurden kurz unter der Sproßspitze ab­
geschnitten und der freigesetzte Milchsaft (etwa 0,5 l)
in 96-proz. Äthanol aufgefangen. Nach Abtrennen der
koagulierten Polyterpene und Proteine wurde der alko­
holische E xtrakt über eine mit dem Kationenaustau­
scher W ofatit K PS gefüllte Säule geschickt. Die Elution
der Aminosäuren vom Austauscher erfolgte mit 3 -n.
N H 3 in 70-proz. Äthanol. Der nach Vertreiben des Lö­
sungsm ittel im Vakuum verbleibende Rückstand wurde
in wenig n-Propanol/W asser = 3 : 1 aufgenommen.
Nach weiterer Reinigung und Fraktionierung an Zellulosepulver-Säulen (Schleicher & Schüll Nr. 123 a) er­
1 9. M itt. der R eihe „Zur Biochemie des Milchsaftes“ ;
8. M itt. K. M o t h e s u . L. M e i s s n e r , Forschungen und F ort­
schritte 1964 (im D ruck).
2 I . L i s s , Flora [Jena] 151,351 [1961],
3 I. L i s s , N aturwissenschaften 48, 304 [1961].
4 I. L i s s , Phytochem istry 1, 87 [1962].
5 W. S c h e n k u . H. R. S c h ü t t e , Naturwissenschaften 48, 223
[1961].
6 Ch. M o n t a n t , Compt. Rend. Soc. biol. 150, 440 [1956].
7 C h . M o n t a n t u . I . M . T o u z e - S o u l e t , E xperientia [Basel]
19, 624 [1963].
1161
hielten wir schließlich 120 mg einer einheitlichen, farb­
losen Verbindung (Schmp. 272 —274 °C, Zersetzung).
Papierchromatographisch läßt sich die Verbindung
nur mit Ninhydrin und auf Phenole ansprechenden
Reagenzien mit Ausnahme von FeCl3 nachweisen, was
auf eine phenolische Aminosäure hindeutete. Auf­
fällig ist besonders die intensive O rangefärbung nach
Kupplung mit diazotierter Sulfanilsäure und nach dem
Alkalisieren. Die Lage auf dem Chromatogramm
zeigt große Ähnlichkeit mit Tyrosin. Das UV-Absorptionsspektrum (Hilger-Uvispec) in Wasser stimmt eben­
falls weitgehend mit dem von Tyrosin überein: i max. =
273 mju. In 0,1-n. NaOH tritt eine bathochrome Ver­
schiebung des Maximums um 18 m/u ein, während sich
dieses bei Messung in 0,1-ra. HCl nicht verändert. Die
Verbindung ist in Wasser schwer, in Äthanol mäßig
und in Alkali leicht löslich. Ionophoretisch erwies sie
sich als neutrale Aminosäure. Das IR-Spektrum (in
KBr) weist OH- und NH2-Banden aus, zeigt das Vor­
liegen eines aromatischen Ringes und deutet darauf
hin, daß die Verbindung stark assoziiert vorliegt *. Bei
Behandlung mit Säure oder Alkali erweist sich die
Substanz als relativ stabil. Nach Umsetzung mit sal­
petriger Säure 10 läßt sich die Verbindung papierchro­
matographisch nicht mehr nachweisen, so daß die Struk­
tur eines prim ären Amins angenommen werden muß.
Die Elementaranalyse ergab folgende W erte:
C9H u 0 3N
Gef.
Ber.
C 59,7/59,8
C 59,66
H 6,4/6,7
H 6,07
N 7 31,
N 7,73.
Das Massenspektrum wurde nach einer neu entwickel­
ten Methode aufgenom m enn , wobei an die Moleküle
der Substanz in der Ionenquelle des Massenspektrographen negative Ladungsträger (Elektronen, Ionen)
geringer kinetischer Energien angelagert werden. Das
auf eine Photoplatte aufgenommene Spektrum, von dem
eine mikrophotometrische Registrierung (Abb. 1) wie­
dergegeben wird, weist eine intensive Massenlinie bei
180 auf, die mit dem für C9H 110 3N berechneten Mol.Gew. von 181,2 gut übereinstimmt. W eitere schwächere
Massenlinien liegen u .a . bei 155, 134, 119, 106 und
93 und lassen sich Fragmenten, die durch thermische
Zersetzung des m-Tyrosins entstanden sein können, zu­
ordnen.
Alkalischmelze im Mikromaßstab führte zu einer
Verbindung, die papierchromatographisch in mehreren
Laufmitteln und im Nachweis mit verschiedenen Phe­
nolreagenzien mit m-Hydroxybenzoesäure überein­
stimmt. Zur K lärung der S truktur der Seitenkette
S c h e n k , Diplom arbeit, U niversität Halle, M ath.-Nat.
Fak. 1959.
9 I. L i s s , D issertation, U niversität Halle, M ath.-Nat. Fak.
1962.
* H errn Dr. K o l b e , Chemische Institute der Universität
Halle, danken wir für Aufnahm e und Diskussion des IRSpektrums.
10 B. W i t k o p u . C. M. F o l t z , J. Amer. chem. Soc. 79, 192
[1957].
11 M. v. A r d e n n e , K . S t e i n f e l d e r u . R. T ü m m l e r , Experientia
[Basel] 19, 178 [1963].
8 W.
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NOTIZEN
1162
Abb. 1. Mikrophotometrische R egistrie­
rung des M assenspektrum s der negativen
Ionen von m-Tyrosin. V erdam pfungs­
tem peratur Cv = 200 °C ; fe = I0 Sekun­
den. Die eingeklam m erten M assenzah­
len gehören zu Linien aus dem U nter­
grundspektrum .
Substanz Xf aus I VpA. myrstrutss
93
I
100
I
>06
I
(127)
I I
13*
1M(W)
IM
163
ISO
191
II
I
I
I
i
205
wurde die Substanz mit K M n0 4 in Schwefelsäure oxy­
diert 12. Nach Aufarbeitung des Reaktionsgemisches fiel
ein Produkt an, das papierchromatographisch und ionophoretisch eindeutig als Asparaginsäure identifiziert
werden konnte. Tyrosin liefert unter gleichen Bedin­
gungen ebenfalls Asparaginsäure. Die Vermutung lag
nahe, daß die Verbindung m-Hydroxyphenylalanin (mTyrosin) ist.
Die Substanz ist optisch aktiv: [a] d = —14,5°
(70-proz. Äthanol), M d = - 2 6 ° ; [ct] d = + 8 ,9 °
(70-proz. Äthanol, 2-n. an HCl), M d = + 1 6 ° . Nach
der Regel von L u t z und J i r g e n s o n 13 zeigen Aminosäu­
ren der L-Reihe in saurem Milieu Abnahme der negati­
ven bzw. Zunahme der positiven Rotation. Danach sollte
die Verbindung der L-Reihe angehören und die voll­
ständige Bezeichnung l - ( —) -m-Tyrosin lauten.
Synthetisches m -Tyrosin* (Schmp. 267 —270 °C,
Zersetzung) zeigt papierchromatographisch völlige
Übereinstimmung mit der von uns isolierten Verbin­
dung. Die UV-Absorptionsspektren sind ebenfalls iden­
tisch. Acetylierung auf dem Papier 14 führte zu einem
iV-Acetylderivat, das für beide Verbindungen gleiches
chromatographisches Verhalten zeigt. Bei Papierchro­
matographie erweist sich m-Tyrosin als recht variabel
und reagiert mit Ninhydrin einmal zu einem rötlich­
violetten, zum anderen zu einem gelben Farbstoff. Der
Ausfall der Reaktion scheint stark vom Laufmittel ab­
hängig zu sein; ähnlich verhält es sich mit der
Fluoreszenz im UV-Licht, die in einigen Laufmitteln
gelöscht ist. fm Zusammenhang damit sind besonders
in phenolhaltigen Laufmitteln gelegentlich starke RfWert-Verschiebungen zu beobachten. Wir führen dieses
unnormale Verhalten auf die m-ständige OH-Gruppe
zurück, die oxydativen Angriffen leichter zugänglich ist
als eine p-ständige. Möglicherweise ist auch mit der
Ausbildung von Wasserstoffbrücken zwischen OH- und
NH2-Gruppe zu rechnen.
Im Milchsaft von Euphorbia myrsinites L. findet sich
neben m-Tyrosin in geringerer Menge eine zweite Ver­
bindung (Schmp. 270 —271 °C, Zersetzung), die nicht
mit Ninhydrin reagiert und für die wir auf Grund der
bisher vorliegenden Befunde die Struktur eines /V-substituierten m-Tyrosins annehmen. Dem m-Tyrosin nahe­
stehende Verbindungen mit wenigstens gleicher Ring­
substitution fanden wir auch in den Milchsäften von
Euphorbia helioscopia L. und Euphorbia tirucalli L.
Über das Vorkommen von m-Tyrosin in freier Form
in der N atur ist unseres Wissens noch nichts berichtet
worden. Die Verbindung scheint aber für die Biosyn­
these des V iridicatols 15 aus Penicillium viridicatum
und des Gliotoxins 16 aus Aspergillus-Arten von Bedeu­
tung zu sein.
In letzter Zeit wurden mehrere ungewöhnliche aro­
matische Aminosäuren aus Pflanzen isoliert, so das 2.4Dihydroxy-6-methyl-phenylalanin aus den Samen von
Agrostemma githago12, das m-Carboxy-phenylglycin
und das m-Carboxy-phenylalanin aus dem Rhizom von
Iris tingitana 17, zu denen jetzt m-Tyrosin hinzukommt.
* H errn Dr. M. L u c k n e r , Pharm akognostisches In stitut der
Universität Halle, danken wir für Ü berlassung einer klei­
nen Probe m-Tyrosin.
12 G. S c h n e id e r , Biochem. Z. 330, 428 [1958].
13 O . L u t z u . B. J i r g e n s o n , Ber. dtsch. chem. Ges. 63, 448
[1930] ; 64, 1221 [1931] ; 65, 784 [1932].
14 F. K u f f n e r u . T. K i r c h e n m a y e r , Mh. Chem. 92, 701 [1961].
15 J. H. B ir k in s h a w , M . L u c k n e r , Y. S . M o h a m m e d , K . M o t h e s
u . C. E. S t i c k i n g s , Biochem. J. 89, 196 [1963].
16 M . R. B e l l , J. R. J o h n s o n , B . S. W i l d i u . R. B . W o o d w a r d ,
J. Amer. chem. Soc. 80. 1001 [1958].
17 C. J. M o r r i s , J. F. T h o m p s o n , S. Ä s e n u . F. I r r e v e r r e - , J.
Amer. chem. Soc. 81, 6069 [1959] : J. biol. Chemistry 236.
1181 [1961],
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