Pollinosis: (Heuschnupfen) Diagnostik und Therapie einer Volkskrankheit Bereits vor 190 Jahren beschrieb der amerikanische Arzt John Bostock die allergische Reaktion gegen Pollenkörper, die er damals als „ Hayfever“ oder „ Sommerkatarrh“ bezeichnete. Er beobachtete, dass die Schleimhaut der Augen, der Nase oder der Atemwege mit Augentränen, Niesen, vermehrter Schleimbildung oder Bronchialasthma reagiert, wenn sie mit Pollenkörnern in Kontakt kommt. Heute wissen wir, dass spezifische Proteine der Pollenkörner die allergische Reaktion auslösen. Theoretisch kann jedes Pollenkorn zu einem Allergen werden. Um aber eine Sensibilisierung und in deren Folge eine allergische Reaktion auslösen zu können, müssen die Pollenkörner in ausreichender Menge in der Atemluft vorhanden sein. Es müssen fünf Voraussetzungen erfüllt werden: - Das Pollenkorn muss ein sensibilisierendes Antigen enthalten, - -die Pollen müssen keimfähig sein, - die Pflanze muss windbestäubt und weit verbreitet sein, - und sie muss in ihrer Blühperiode viele Pollen aus stäuben, um eine für den sensibilisierten Patienten pathologische Konzentration in der Umgebungsluft zu erreichen. Diese Voraussetzungen erfüllen für den Berliner Raum folgende windbestäubte Pflanzen: - Haselnuss mit einer Blühperiode im Januar/Februar. Ist der Winter sehr mild, kann die Hasel bereits im Dezember blühen, - Erle mit einer Blühperiode im Februar/März, - Birke mit einer Blühperiode im April/Mai, - Gräser mit einer Blühperiode im Mai/Juli, - Roggen mit einer Blühperiode Anfang Juni, - Beifuß mit einer Blühperiode im Juli/August, © Dr.Michael Silbermann - Ambrosia (Ragweed) mit einer Blühperiode von August bis Oktober In den 190 Jahren seit der Erstbeschreibung hat sich an der Erkrankung nichts geändert. Inzwischen leiden allerdings ca. 25 Millionen Menschen bundesweit an einer Pollinosis. Diagnostik Wesentliches Instrument der allergologischen Diagnostik ist und bleibt die Anamnese. Die ungezielte Testung, sei es in Form des Hauttestes (Pricktest) und/oder der Bestimmung des spezifischen IgE ist falsch und teuer. Die alleinige Bestimmung des Gesamt-IgE als Suchtest ist für die allergologische Diagnostik ungeeignet. Durch gezieltes Befragen des Patienten bzw. der Eltern kann das in Frage kommende Allergen eingegrenzt werden: - Treten die Beschwerden ganzjährig oder saisonal auf, wenn saisonal, in welchem Monat? - Bei ganzjährigen Beschwerden ist die Frage nach einer saisonalen Verstärkung wichtig - Raucht der Patient oder wird in seiner Umgebung geraucht? - Hat der Patient eigene Haustiere, hat er regelmäßig Kontakt zu Haustieren, z.B. bei Freunden, in der Kindertagesstätte? Frisst das Haustier Heu, können die allergischen Beschwerden zum Teil auf eine Pollinosis und nicht auf eine Tierallergie zurückgeführt werden. Als nächster diagnostischer Schritt folgt die Hauttestung (Pricktest), der aufgrund der guten Anamnese gezielt eingesetzt werden kann. Kein Kind ist zu jung für einen Pricktest. Der Pricktest wird auf den Innenseiten der Unterarmen angelegt. Die Reaktion, Quaddel und Hautrötung, wird ausgemessen und der Durchmesser in mm angegeben. Histamin und physiologische Kochsalzlösung werden als Kontrolle mit getestet . Jetzt erfolgt die Bestätigung der gefundenen kutanen Sensibilisierung durch die Bestimmung des spezifischen IgE. Sollten Differenzen bei der Diagnostik aufgetreten sein oder gibt es Zweifel an der klinischen Wichtigkeit der gefundenen Allergene, kann eine spezifische Provokation notwendig werden. Mit handelsüblichen Extrakten, die z.B. als Dosierspray in die Nase gesprüht werden, wird die allergische Reaktion ausgelöst: das Laufen der Nase, die Schwellung und Rötung der Nasenschleimhaut werden bei der Beurteilung genauso herangezogen wie die Zunahmen des gemessen nasalen Atemwiderstandes. Therapie Bei der Therapie allergischer Erkrankungen stehen zwei wesentliche Punkte im Vordergrund. Der erste ist die Expositionsprophylaxe (das Vermeiden des auslösenden Allergens), der zweite ist die antientzündliche Therapie. Die Expositionsprophylaxe bei bestehender Pollinosis ist allerdings vielfach sehr schwierig, da es ja eben Merkmal allergologisch relevanter Pollen ist, in hoher Zahl in der Umgebungsluft und damit in der Atemluft des Patienten vorzukommen. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, dem Pollenflug auszuweichen: - Der Patient muss darauf achten, dass sein Wohnbereich nicht mit Pollenkörper kontaminiert wird. Wir wissen, dass hochsensible Patienten bereits bei einer Pollenkonzentration von 35-50 Pollen/m3 Luft Beschwerden entwickeln. Dazu gehören folgende Maßnahmen: - Tagsüber die Fenster geschlossen halten. - Tageskleidung, die außerhalb der Wohnung getragen wird, beim Betreten der Wohnung wechseln. - Vor dem Schlafengehen die Haare mit klarem Wasser ausspülen. - Pollenundurchlässige Bespannung vor den Fenstern. Sollte der Patient zu der Zeit seiner Beschwerden Urlaub machen können, muss er in ein Gebiet fahren, in dem die Blühperiode entweder noch nicht begonnen hat oder bereits abgeschlossen ist. Hilfreich bei dieser Art der Prophylaxe sind die regionalen Polleninformationsdienste. Da der Pollenflug stark von den meteorologischen Gegebenheiten abhängig ist, sind pauschale Pollenflugkalender für eine gezielte Beratung und Prophylaxe wenig nützlich. Bei der medikamentösen Therapie steht die Behandlung der allergischen Entzündung im Vordergrund. Es stehen dafür unterschiedliche Substanzen zur Verfügung. Am wirksamsten sind die so genannten Glukokortikoide (Kortison), die die Entzündungsreaktion reduzieren bzw. verhindern. Sie werden als Nasenspray, Augentropfen oder zur Inhalation verordnet. Bei ausgeprägten Beschwerden kann Kortison auch über einen begrenzten Zeitraum als Tabletten notwendig werden. Die intramuskuläre Gabe von Kortison ist heute nicht mehr angezeigt. Eine weitere Substanzgruppe sind die Antihistaminika, die antiallergisch wirken. Sie werden als Nasenspray oder Augentropfen gegeben. Bei der Verordnung von Antihistaminika als Tabletten oder Saft muss darauf geachtet werden, dass sie nicht müde machen. Eine dritte Medikamentengruppe sind die sogenannten Leukotrienrezeptorantagonisten. Die Leukotriene sind an der allergischen Entzündungsreaktion beteiligt, das Medikament soll ihre Wirkung verhindern. Diese Medikamente sind als Tablette oder Granulat erhältlich. Eine weitere Behandlungsoption ist das sog. Anti-IgE, ein Antikörper, der das für die allergische Reaktion verantwortliche Immunglobulin E abfängt. Allerdings gibt es für diese Behandlung strenge Richtlinien und Einschränkungen. Zu den älteren, z.T. aber beim Patienten gut wirksamen Medikamenten gehört die Cromoglycinsäure (DNCG) als Nasenspray und Augentropfen. Die antientzündliche und antiallergische Therapie sollte auch beim Heuschnupfen zur Beschwerdefreiheit führen. Wir wissen, dass diese Patienten bei mangelhafter Behandlung mit zunehmender Krankheitsdauer ein Asthma bronchiale entwickeln können. Die o.g. Behandlungen sind symptomatische Behandlungen. Die einzige kausale Behandlungsmöglichkeit ist die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung). Die Standardmethode ist nach wie vor die subkutane Spritze. Diese wird - nach individueller Steigerungsphase - über mindestens drei Jahre ohne Unterbrechung einmal im Monat gegeben. © Dr.Michael Silbermann Während der Pollenflugzeit muss die Dosis evtl. den Beschwerden angepasst werden. Nach jeder Spritze muss der Patient 30 min. zur Beobachtung in der Praxis bleiben. Eine weitere Möglichkeit ist die sublinguale (unter die Zunge) spezifische Immuntherapie. Bei dieser Form sollte man heute ausschließlich hochdosierte Präparate verwenden, die als Tablette oder Tropfen erhältlich sind. Diese Präparate werden über mindestens drei Jahre täglich eingenommen. Bei der Auswahl der Allergene sind die Schwere der Erkrankung maßgeblich, es soll nur ein Allergen in dem verordneten Präparat sein. Je jünger der Patient bei Beginn der Behandlung ist, um so erfolgsversprechender ist der Verlauf.