DIALOGMARKETING & SOCIAL MEDIA _ Call-Center Mehr Freiheit, weniger Kontrolle? Was muss Führung in Contact-Centern heute leisten? Eine Frage, mit der sich Verantwortliche für Marketing und Markenführung beschäftigen sollten. Schließlich wirkt sich gute Führung auf die Leistung der Mitarbeiter aus. Text _ Manfred Stockmann Unbestritten ist, dass Kundenerwartungen und Kundendialog einem stetigen und immer schnelleren Wandel unterliegen. Um die damit verbundenen Anforderungen erfüllen zu können, müssen sich Mitarbeiter aller Ebenen diesem stellen und ebenso mitentwickeln. Die Erkenntnis an sich ist nicht neu, und doch fällt vielen Unternehmen und ihren Führungskräften die kontinuierliche Umsetzung immer wieder schwer. Verantwortliche für Markenwahrnehmung können anhand bestimmter Ansatzpunkte erkenn, wie die passende Ausrichtung aussieht. Wenn wir hier von Führung sprechen, dann adressieren wir zwei Ebenen: Zum einen die für das Contact-Center oder ein größeres Projekt gesamtverantwortliche Position, beispielsweise die Center-Leitung, und dann die operativ ausführende Position, etwa die Teamleitung. Mein Vorstandskollege im CCV und hauptberuf licher Personalleiter bei AUTOR Manfred Stockmann ist Inhaber der C.M.B.S. Change Management Bera­tung & Coaching. Im Ehrenamt ist er Präsident des Call Center Verbandes Deutschland e.V. (CCV) und VicePresident des europäischen Dach­ verbandes ECCCO. p www.callcenter-verband.de 42 ­ apita, Leo Staub-Marx, hat die KompleC xität sehr anschaulich beschrieben: »Ein Begriff wie Führung ist sehr mächtig. Er muss in einzelne Begriffe unterteilt und operationalisiert werden. Begriffe wie entscheiden, informieren, durchsetzen, Verantwortung übernehmen, ins Ungewisse handeln und das Fördern anvertrauter Mitarbeiter werden hier zu Schlüsselbegriffen. Jeder dieser Schlüsselbegriffe hat es in sich, bedarf einer inhaltlichen Auseinandersetzung und muss gelebt werden.« tun, die Erwartungen der Kunden selbst nur über die langjährig geübten und bisher dominierenden Kanäle Telefon und E-Mail zu erfüllen, erfahren wir tagtäglich. Doch werden im Zuge aktueller Entwicklungen wie Digitalisierung und Omnichannel weitere Anforderungen an die Strukturen, Prozesse und Mitarbeiter in den Unternehmen gestellt. Die Kunden erwarten schnelle, situativflexible Lösungen und dazu kompetente und entscheidungsfähige Ansprechpartner. Sie werden anspruchsvoller und »FÜHRUNG MISSLINGT LEIDER IMMER WIEDER. ABER SCHEITERN IST EIN WESENTLICHES, NICHT ZU NEGIERENDES ELEMENT VON FÜHRUNG.« Dass hier eine ganze Reihe von Fähigkeiten einer Führungskraft abverlangt werden, zeigt auch, welche Vielfalt an Verhaltens- und Handlungskompetenzen erforderlich sind, um die Rolle erfolgreich ausfüllen zu können. Dann brauchen wir noch eine gemeinsame Vorstellung von »mehr Freiheit« und »weniger Kontrolle«. »Mehr« und »weniger« stehen ja in einer Relation zu …? Ja, zu was überhaupt? Zu heute? Zu früher? Zu anderen Unternehmensteilen? Da wird wohl jeder seine eigene Erfahrung einbringen. Also gehen wir es einmal anders herum an und betrachten wir, was Führung in Contact-Centern heute leisten sollte. Dies müsste sich nun an den Anforderungen für mögliche Kontakt- und Dialogszenarien orientieren. Diese sollen ein definiertes Markenerlebnis gewährleisten und werden dabei mehr und mehr vom Kunden bestimmt. Wie schwer wir uns heute noch immer ungeduldiger. Manche behaupten provokativ: »Kunden würden am liebsten sowieso gleich mit intelligenten Applikationen ohne lästige Kommunikation und Warteschleifen ihre Anliegen lösen wollen.« Und so weit hergeholt ist das nicht, wie beispielsweise die Apps der Fluggesellschaften beweisen. Führung im Contact-Center Ändert sich von den Anforderungen her wirklich so viel? Oder erhöhen nur die wachsende Dynamik und andere gefragte Mitarbeitertypen den Leidensdruck? Rächt sich nun die jahrelang vernachlässigte Führungskräfteentwicklung und ideenlose Rekrutierungssystematik? »Moment einmal«, höre ich da schon. »Führungskräfte wie Mitarbeiter werden regelmäßig geschult und man mache auch Assessmentcenter für die Personalauswahl.« Mag sein, doch www.acquisa.de 06/2016 p NEUES AUS DEM VERBAND 16. Juni 2016 CCV-Regionaltreffen West (Nord) in Düsseldorf 22. Juni 2016 CCV-Regionaltreffen Süd und Mitteldeutschland in Erlangen 07. September 2016 CCV-Regionaltreffen Nord Zu allen Veranstaltungen finden Sie weitere Informationen unter: p https://callcenter-verband.de/ termine was hat sich da wirklich zeitgemäß mitentwickelt? Inhaltlich, methodisch und von der inneren Haltung zu moderner Unternehmensführung? Sind die Ansätze wirklich die, mit denen wir das Personal für die Zukunft ansprechen? Mit den Konzepten der vergangenen 20 Jahre sind heute keine Rennen mehr zu gewinnen. Da können Sie nur noch eine kurze Weile mitlaufen und sich der Illusion hingeben, im Rennen zu sein. Angefangen bei einem verifizierbaren Aufgabenprofil über den dazu abgestimmten Rekrutierungsprozess, moderne evaluierte Persönlichkeitsdiagnostik bis hin zu interaktiven Weiterentwicklungsprogrammen für Fach-, Methoden-, Dialog- und Handlungskompetenz wird es in vielen Bereichen zukünftig nicht mehr weitergehen. Und da fängt Führung bereits an. Wenn hier nicht schon das künftig erforderliche Potenzial identifiziert werden kann, wo soll es denn später herkommen? Damit werden wir künftig einfach noch ein paar mehr Profile in unseren Contact-Centern vorfinden. Und wir werden zunehmend Mitarbeiter haben, die teils oder ganz von zu Hause oder sonst wo arbeiten werden. Wir werden ihnen dies ermöglichen, weil wir sie sonst gar nicht bekommen würden. Und alle diese sehr unterschiedlichen Charaktere brauchen dann auch unterschiedliche Arten der Führung. Das 06/2016 www.acquisa.de ist, genau betrachtet, bereits bisher der Fall. Diejenigen, die Optionen haben und sich nicht entsprechend geführt, gefördert und wertgeschätzt fühlen, werden gehen. Die anderen bleiben, machen Dienst nach Vorschrift oder haben innerlich gekündigt. Die Gallup-Studie zeigt dies seit Jahren immer wieder deutlich auf. Dies mag in Zeiten des Arbeitskräfte­ überschusses bedauerlich doch letztlich heilbar sein. Doch da wir uns nun um Qualifikationen im Mitarbeitermarkt bemühen, auf die auch andere Branchen ein Auge geworfen haben, sieht das schon etwas anders aus. Da sind beispielsweise die Mitarbeiter, die wir für die Social-Media-Kommunikation brauchen, die in Video oder Chat unterwegs sind, die aber auch die Fähigkeit besitzen, mehr als einen Kontaktkanal zu betreuen. Und das wissen wir auch heute schon: Je mehr Skills in einer Person vereint sein sollen, desto schwieriger ist es, sie zu finden, zu bekommen und zu behalten. Menschen, denen wir zur Erfüllung ihrer Aufgaben mehr Kompetenzen zugestehen, um im Interesse der Markenwirkung zu agieren, fordern eine ­andere Art der Führung ein als Mitarbeiter, die »nur« eine eng definierte Serviceleistung (beispielsweise Auskunft oder einfache Bestellannahme) ausführen. ­Erstere fordern in der Tat mehr Freiheiten. Freiheiten, die sie auch brauchen, da wir bei steigender Dynamik nicht mehr jede Einzelheit vordefinieren können. Ergebnisse erreichen Auch die Kontrolle sieht anders aus. Nicht die Erreichung einzelner Ziele wie Average Handling Time oder Servicelevel entscheidet, sondern das Gesamtergebnis des wahrgenommenen Markenerlebnisses. Dazu werden Prozess- und Qualitätsfaktoren wie Verfügbarkeit von Informationen, Durchgriff auf die Lieferkette, direkter Austausch mit der Produktentwicklung oder Rahmen für Kulanzentscheidungen relevant. Ganz zu schweigen davon, dass vieles davon nun öffentlich nachvoll- ziehbare Außenkommunikation des Unternehmens darstellt – Realtime ohne interne Eskalationsstufen und hierarchische Abstimmungsschleifen. Diese Mitarbeiter werden leichter gehen, wenn ihr Arbeitsumfeld sie nicht bei ihren Aufgaben unterstützt, denn sie haben vielfältige Chancen. »Bei allen Betrachtungen und idealen Annahmen zum Thema Führung ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Führung leider immer wieder misslingt und Scheitern ein wesentliches, nicht zu negierendes Element von Führung ist«, betont Leo Staub-Marx . Es sei entscheidend, dass sich der Vorgesetzte immer der Verantwortung für seine anvertrauten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bewusst ist. »So sind wir in unserer Personalentwicklung bestrebt, > xing.de Auf unserer Xing News-Seite versorgen wir Sie mit Trends, Zahlen und Tipps aus Marketing und E-Commerce. das Verständnis eines Vorgesetzten als Begleiter immer mehr herauszubilden«, meint Staub-Marx. Solange die Basis stimmt und sich beide Seiten der gegenseitigen Wertschätzung gewiss sind, werden gelegentliche Führungs- und Verhaltensfehler toleriert. Nur das Gesamtsystem muss eben ­stimmen – für die Mitarbeiter in den Unternehmen ebenso wie für den ­Kunden. Denn auch in Zukunft gilt: Mitarbeiter kommen zu Marken, verlassen aber ihre Vorgesetzten. •] [email protected] SUMMARY p MITARBEITERFÜHRUNG Angesichts einer durch Multichannel komplexer werdenden Beratung am Telefon bei gleichzeitigem Anstieg der Kunden­ ansprüche brauchen Mitarbeiter im Customer Care mehr Freiräume für eigene Entscheidungen. 43