Borsäure und Kühlschmierstoffe Borsäure ist eine schwache Säure, deren Salze in Form von Boraten in großer Menge in der Erdkruste vorkommen. Das Element Bor ist lebensnotwendig (essentiell) und kommt in vielen Lebensmitteln (z.B. Milch, Milchprodukten, Obst, Nüssen und Gemüse) sowie im Trinkwasser vor; Äpfel Kaffee und Wein enthalten vergleichsweise große Mengen an Borverbindungen. Borate werden seit über 100 Jahren gefördert und verarbeitet. Borsäure und Borate werden in sehr großen Mengen in einer Vielzahl von Anwendungen wie z. B. Arzneimittel, Keramik, Glas, Waschmittel und - als Düngerhilfsmittel - in der Landwirtschaft verwendet. Sie wurden sehr lange als kaum gefährlich betrachtet und seit Generationen sicher eingesetzt. Borsäure wird u. a. auch als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Korrosionsinhibitoren verwendet, die häufig in wassermischbaren Kühlschmierstoffen (KSS) zum Einsatz kommen. Einstufung der Borsäure und Borate Trotz erheblicher Bedenken von Industrie und Anwendern, basierend auf jahrzehntelanger Erfahrungen und sicheren Verwendung von Borsäure, beschlossen die EU-Behörden, Borsäure und Natriumborat einzustufen als „Reproduktionstoxisch, Kategorie 2“ (bzw. Kategorie 1B nach der neuen CLP-Verordnung (GHS) auf der Basis nicht unumstrittener Tierversuche (Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 790/2009) Die Kennzeichnungsvorschriften für Borsäure ab dem 1. Dezember 2010 sind nachfolgend zusammengefasst: • • • • Einstufung: Kennzeichnung: Signalwort: Gefahrenhinweise: Reproduktionstoxisch 1B; H360FD Piktogramm GHS08 Gefahr Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Kann das Kind im Mutterleib schädigen Diese neue Einstufung gilt für Borsäure; Boroxid und mehrere Natriumborate. Wenn diese Stoffe in Zubereitungen (z. B. KSS) verwendet werden, müssen die Zubereitung in gleicher Weise gekennzeichnet werden, wenn bestimmte Konzentrationsgrenzwerte überschritten werden. Für Borsäure ist der Grenzwert 5,5% (Masse), was bedeutet, dass nur solche Zubereitungen, die 5,5% oder mehr freie Borsäure enthalten, wie oben angegeben einzustufen sind. Andere als die oben genannten Borverbindungen und Reaktionsprodukte der Borsäure sind nicht neu eingestuft worden. Die Grenzwerte für freie Borsäure sind viel höher als die Grenzwerte, die bei einer Einstufung als „Reproduktionstoxisch“ üblich sind, denn diese liegen üblicherweise bei 0,5%. Die neue Einstufung hat keine Auswirkung auf Transportvorschriften. Borsäure und Borate sind nicht als Gefahrgut für den Transport eingestuft. 1 Folgen der Einstufung: Die Kandidatenliste Die neue Einstufung der Borsäure und Borate rückt diese in den Fokus der REACH Verordnung, die es sich zum Ziel gemacht hat, Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu schützen. Ein Ziel, dem sich der VSI klar anschließt. Um diesen Schutz zu erreichen, gibt es in REACH ein Verfahren, das Stoffe, die als ein unvertretbar hohes Risiko für die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt angesehen werden („Substances of Very High Concern“, SVHC), vom Markt zu entfernen, es sei denn, diese Stoffe sind unverzichtbar. Es gibt quasi einen Automatismus, der Stoffe in dieses Verfahren bringt. Stoffe, die • als Reproduktionstoxisch eingestuft sind und • in großen Mengen hergestellt werden und/oder • weite Verbreitung haben, werden genauer betrachtet und aus diesem Grund in eine sogenannte „Kandidatenliste“ aufgenommen. Diese Aufnahme erfolgt vor allem aus den oben genannten Gründen, ob eine tatsächliche Gefährdung für Mensch und Umwelt existiert, ist damit nicht gesagt. Alle drei o.g. Kriterien sind für die Borsäure erfüllt: • sie wird als Reproduktionstoxisch eingestuft, • in der EU werden einige hunderttausend Tonnen jährlich verwendet und • sie wird weit verbreitet (u. a. in Keramik, Glas, Waschmittel, Dünger und KSS) verwendet. Trotz all dieser Voraussetzungen gibt es nach unserem Wissen keinen einzigen dokumentierten Vorfall, der die Einstufung als Reproduktionstoxisch gerechtfertigt hätte. Der weitere Gang des Verfahrens ist in Kürze: 1. 2. 3. 4. Die Identifizierung als SVHC (bereits geschehen), der Eintrag auf der Kandidatenliste (seit Juni 2010) Prioritisierung für die Zulassung (noch offen) Aufnahme in den Anhang XIV: Liste der Stoffe, die Genehmigung zur weiteren Verwendung benötigen (noch offen). In jeder Phase kann dieser Prozess gestoppt werden, es gibt keine Gewissheit darüber, ob der betreffende Stoff tatsächlich in die nächste Stufe kommt. Das Autorisierungsverfahren könnte z. B. auch ergeben, dass der Stoff doch nicht so bedenklich ist und wieder von der Liste verschwindet. Wenn der Stoff letztlich doch in den Anhang XIV aufgenommen wird, wird er möglicherweise vom Markt genommen werden müssen bzw. nur noch für bestimmte Anwendungen zugelassen. Ob und wann das für die Borsäure geschehen wird, kann z.Zt. niemand sagen. Borsäure - Ausgangsmaterial für Korrosionsinhibitoren Borsäure wird als Ausgangsstoff für die Herstellung einer Reihe von Korrosionsinhibitoren verwendet, die in KSS eingesetzt werden. Diese Additive werden meist durch eine chemische Reaktion von Borsäure mit Alkanolaminen hergestellt. Korrosionsinhibitoren 2 werden von darauf spezialisierten Herstellern produziert, gelegentlich aber auch von den KSS Herstellern selbst. Reine Borsäure als solche wird als Additiv zur Kühlschmierstoffproduktion nur sehr selten verwendet. Es gibt eine große Zahl solcher Korrosionsschutzadditive im Markt, je nachdem, welche weiteren Ausgangsmaterialien neben der Borsäure zur Herstellung verwendet wurden. Diese können ggf. kleine Mengen an freier Borsäure enthalten. Letzlich kann nur der Kühlschmierstoffhersteller genaue Auskunft darüber geben, ob und welche Borsäureverbindungen er verwendet bzw. ob überhaupt nennenswerte Mengen an freier Borsäure im Kühlschmierstoff vorhanden sind. Besondere Situation in Deutschland Seit März 2007 ist in Deutschland ein gesundheitsbasierter Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) in Höhe von 2,6 mg Borsäure / m³ (entspricht 0,5 mg Bor / m³ = Messkomponente) in Kraft, dieser ist in der TRGS 900 enthalten. Die Definition eines AGW bedeutet, dass bei Einhaltung akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit in der Regel nicht zu erwarten sind. Die Bemerkung „Y“ in der TRGS 900 bedeutet außerdem, dass bei Einhaltung des AGW ein Risiko der Fruchtschädigung nicht befürchtet zu werden braucht. Freie Borsäure in Kühlschmierstoffen – was zu tun ist Die Gefahrstoffverordnung ordnet Tätigkeiten gemäß ihrer Gefährdungshöhe ein. Je höher die Gefährdung z. B. durch Chemikalien, desto umfangreicher die Schutzmaßnahmen. Für Borsäure sind die umfangreichsten Schutzmaßnahmen dann umzusetzen, wenn eine Zubereitung ≥ 5,5% an freier Borsäure enthält. Bei Unterschreitung dieser Konzentration sind die üblichen Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Kühlschmierstoffen gemäß den Berufgenossenschaftlichen Regeln (BGR-GUV-R 143) einzuhalten. Die Frage ist also, wie viel freie Borsäure üblicherweise im Kühlschmierstoff vorhanden ist. Bestimmung freier Borsäure mittels 11B-NMR-Spektroskopie Die quantitative Bestimmung freier Borsäure im üblichen, alkalisch abgepufferten Kühlschmierstoffkonzentrat ist schwierig, weil chemische Methoden das Gleichgewicht stören und zu falschen Ergebnissen führen. Deshalb wurde - basierend auf bereits vorliegenden Ergebnissen von zwei KSS-Herstellern - die 11Bor-NMR-Spektroskopie ausgewählt. Diese Methode dient seit Jahrzehnten der Strukturaufklärung organischer wie anorganischer Verbindungen, und es gibt eine Vielzahl von Veröffentlichungen, in denen der Gehalt freier Borsäure neben den unterschiedlichsten Borsäureverbindungen (Ester, Salze, Komplexe) in Abhängigkeit verschiedener Rahmenbedingungen bestimmt wurde. In einer repräsentativen Untersuchung wurden 52 Proben von KSS Konzentraten von 5 verschiedenen Herstellern untersucht. Von den Herstellern wurden folgende Daten als relevant angegeben bzw. ermittelt: 1. Eingesetzte Menge Borsäure, rezepturtechnisch 2. Eingesetzte Menge Alkanolamin 3. Eingesetzte Menge Mineralöl/Esteröl 3 4. pH-Wert Konzentrat Aus den Spektren wurde die Menge an freier Borsäure ermittelt. Es konnte festgestellt werden, dass nur in einer der 52 KSS Konzentratproben der Gehalt an freier Borsäure mit 5,6 % knapp oberhalb des Grenzwertes von 5,5 % lag. Diese Probe liegt mit 18 % Borsäure (rezepturtechnisch) oberhalb typischer Gehalte. Für alle 52 Proben wurde der „Index“ = Quotient aus freier geteilt durch rezepturtechnisch eingesetzter Borsäure ermittelt. Dieser liegt produkt- und herstellungsspezifisch zwischen 0,08 und 0,5. Eine prognostizierte Abhängigkeit allein vom pH-Wert des Konzentrates ist nicht feststellbar. Befund: In 51 KSS-Konzentratproben liegen die Gehalte an freier Borsäure unterhalb der Grenze von 5,5 % und führen somit nicht zu einer Kennzeichnung. Die rezepturtechnischen Borsäuregehalte lagen dabei zwischen ca. 6 und 18 %. Tätigkeiten mit KSS Für die Einzelfälle, bei denen die verwendeten KSS-Konzentrate mehr als 5,5 % freie Borsäure enthalten, greift die Kennzeichnungspflicht für die Borsäure wie oben angegeben. Für diesen Fall sind als Ergebnis der Diskussion die KSS-Anwender der einhelligen Meinung, dass solche Produkte substituiert werden sollen. Verwendet der KSS Hersteller Korrosionsschutzadditive für die KSS Produktion (welche ggf. geringe Mengen an freier Borsäure enthalten können) und ist der Borsäuregehalt < 5,5 % (Masseprozente), wie in den meisten der getesteten Produkten, so wird die Borsäure zwar im SDB angegeben, aber es kann unter diesen Bedingungen keine Verpflichtung zur Kennzeichnung erfolgen. Es sind nur die üblichen Schutzmaßnahmen nach Gefahrstoffverordnung notwendig (auch dokumentiert z. B. in der BGR-GUV-R 143), wie auch bei den borfreien KSS. Bei Tätigkeiten mit einer wassergemischten KSS-Emulsion oder –Lösung ist aufgrund der Verdünnung mit Wasser auszuschließen (selbst bei 30%igen Emulsionen oder Lösungen), dass für den wassergemischten KSS 5,5 % Borsäure überschritten werden. Die Schutzmaßnahmen nach § 9 der Gefahrstoffverordnung können je nach Tätigkeit der BGRGUV-R 143 entnommen werden. Die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen kann z. B. durch Einhaltung des AGW nachgewiesen werden. Hamburg, im Juli 2010 4