das mädl aus der vorstadt

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Johann Nepomuk Nestroy
DAS MÄDL AUS DER VORSTADT
oder EHRLICH WÄHRT AM LÄNGSTEN
Posse in drei Akten
DAS STÜCK
Herr von Gigl findet keine Ruhe mehr: Kurz vor seiner
langersehnten Hochzeit mit der jungen und reichen
Witwe von Erbsenstein verliebt er sich in die geheimnisvolle Thekla, eine arme Stickerin, die ihm allerdings
sogleich wieder entwischt. Als er dem Mädl aus der
Vorstadt anlässlich seiner Trauung wiederbegegnet,
lässt er die Braut vor versammelter Festgesellschaft sitzen und verschwindet. Aus Freundschaft stellt nun
Winkelagent Schnoferl Nachforschungen an und entdeckt dabei erstaunliches über Theklas flüchtigen
Vater sowie über Spekulant Kauz, den umtriebigen
Onkel der Erbsenstein.
Nestroy brauchte 1841 nur die Vorlage von CharlesVictor Varin "La Jolie Fille du Faubourg" nach einem
Roman des vielgelesenen Paul de Kock aus dem Pariser
Vaudeville ins Wienerische Volkstheater zu übertragen
und diese mit der ihm eigenen berührend-komischen
Panik vor Armut und Einsamkeit zu füllen und in seinem unverwechselbar bissigen Sprachwitz auszugestalten, um eine seiner erfolgreichsten Gesangspossen
zu schaffen, die nach ihrer Uraufführung am 24.
November 1841 im Theater an der Wien bis zu seinem
Todesjahr 1862 noch 81 Aufführungen erlebte.
Noch 1890 und 1891 ließ sich übrigens Arthur
Schnitzler durch zwei Aufführungen der Nestroyschen
Posse zu seiner zunächst auch als "Volksstück" konzipierten Tragikomödie "Liebelei" anregen.
Ein Kritiker der Uraufführung urteilte damals über
"Das Mädl aus der Vorstadt": "Der Inhalt ist für
Nestroy nichts als ein Kleiderstock. Er hängt all seinen
feinen und groben Spaß, alle seine reichen
Sonntagskleider, und darunter ein unappetitliches
Inexpressible, alle seine gallonierten, bebrämten, glänzenden Einfälle und all seinen rohen Stoff darauf, und
es ist am Ende ein Berg von bunten Gewändern, von
reichen, strotzenden Kleidern mit denen man eine
ganze Schar gewöhnlicher Possen ausstatten könnte."
WO TUT’s EIGENTLICH WIRKLICH WEH?
Anlässlich der Premiere von "Mädl aus der Vorstadt"
am Schauspielhaus Graz trafen sich Regisseur
Gottfried Breitfuß und Hauptdarsteller Franz Solar
exklusiv für "80" zu einem Gespräch mit dem
Dramaturgen Marc Steinbach.
STEINBACH: Lieber Gottfried Breitfuß, das ist nach
"Frühere Verhältnisse" schon dein zweiter Nestroy in
Graz. Während dort jedoch in nur vier Figuren schon
ein Riesenchaos auslösen, schöpfst du für "Mädl aus
der Vorstadt" aus dem Vollen des Ensembles und
bedienst dich auch eines viel aufwändigeren
Bühnenbilds. Welchen Weg habt ihr da gewählt?
BREITFUß: Im Grunde fangen wir bühnenästhetisch,
ein bissl wie bei "Frühere Verhältnisse" an: der
Mensch im Raum mit wenig Anhaltmomenten, wenig
Hinlehnungsmöglichkeiten, also sehr trocken eingeführt, und dann geht's ins doch eher Schmutzigere,
und das Ganze wird ein bissl chaotischer im Laufe des
Stückes. Also vom Sauberen ins Schmutzigere.
STEINBACH: Wie es im Stück ja auch passiert: aus dem
Zentrum durch die Vorstadt ins Umland: In Wien, um
Wien und um Wien herum.
BREITFUß: So ist es. Wir folgen im Grunde dem Stück,
mit Mitteln, die denke ich, nicht so weit von Nestroy
sind, aber auch nicht so weit von uns weg. Wenn du
das Stück 'zerhauen' willst, dann kommst du dem
nicht bei, weil Nestroy dafür viel zu komplex ist. Aber
das interessiert mich nicht. Der ist einfach größer als
ich. Das habe ich schon bei der Leseprobe gesagt: "Ich
will einen Nestroy machen, keinen Breitfuß."
STEINBACH: Wie hast du zu Nestroy gefunden?
BREITFUß: Lange gar nicht, weil ich ihn nicht verstanden habe. Dann, immer mal wieder hingehört; da
kriegt man mal ein Zipfelchen Wirklichkeit mit, die sich
mit dem, was er meint, vielleicht trifft. Das heißt,
Umgang mit den Möglichkeiten des Humors, über
Wortwitz, über Situationswitz. Das schreibt er ja
genau: Dinge, die man selber erleben kann, die nur
scheinbar Patina haben. Da muss man schauen, dass
man sie von dieser Patina befreit, die eher in unseren
Köpfen ist, als bei Nestroy selber. Das sind ja allgemeingültige Themen. Speziell ist der Umgang, sein
Umgang mit diesen Themen. Also, raus, vierte Wand
niederreißen, nach vorne gehen, Pointen setzen, nicht
wahr, bissl grantig sein und schauen, was bleibt über?
- Allerhand!
STEINBACH: "Das Mädl aus der Vorstadt" kann man ja
ganz gut als Krimi lesen.
BREITFUß: Krimi-Elemente. Ja im Grunde ist es ja
eigentlich eine Soap plus Krimi plus Liebe, Geld,
Verwirrung, Doppelmoral. Da steckt alles drin, was
einen so umtreiben kann. Jeder sucht, alle sind relativ
heimatlos, und alle sind auf der Suche nach irgendwas: Suche nach dem Partner, Suche nach der Liebe,
Suche nach dem Geld, nach dem Glück und Suche
nach dem Exotismus quasi, also weg von sich selber.
"Der Mensch kommt ja nicht weg von sich." Das
erzählt das Stück auch. Insofern ist hat es natürlich
auch einen tieferen Unterboden. Das ist Volkstheater,
Volkstheater im besten Sinne des Wortes.
STEINBACH: Das wird ja auch zentral personifiziert in
so einer Figur wie Schnoferl, der jetzt wirklich auf der
Suche ist, gar nicht mal nur für sich selber.
BREITFUß: Zum erstenmal macht er eine Figur, die erste
Nestroy-Figur, oder, ich glaube, eine der wenigen
überhaupt, die er gespielt hat, die wirklich von Grund
auf gut ist und bereit ist, seine Interessen hintanzustelllen für das Wohl seines Freundes und für das Wohl der
Frau, die er anbetet. Er 'schenkt' also quasi die Frau
'her' für den Anderen. Ja, das Altruistische ist immer
ein schwieriges Thema. Altruismus bedingt ja einen
großen Egoismus. Es geht ja hin und her, um am
Schluss doch da zu landen, wo es landen soll.
Schnoferl ist nicht so grantig wie andere NestroyFiguren, die er selber gespielt hat. Der changiert sehr.
Er spielt auf der ganzen Klaviatur. Und der Rest drumherum gleicht sich dem an, zum Teil aus dem Kalkül
des Schnoferl, zum Teil aus Eigenkalkül. So kommt
jeder dahin, wohin er eigentlich nicht will.
STEINBACH: Lieber Franz Solar, wo suchst du, wenn du
den Schnoferl entwickelst? Spielt es für dich eine Rolle,
das Nestroy die Figur selber gespielt hat oder suchst du
noch ganz woanders, etwa im zeitgenössischen
Bereich?
SOLAR: Tatsache ist, dass man, wie bei jeder anderen
Figur, bei allen großen Figuren der Weltliteratur, wenn
man sie spielt, seinen ganz persönlichen Zugang finden muss, also weg von Vorbildern, wurscht ob sie
jetzt der Autor selbst gespielt hat oder andere große
Schauspieler. Man muss da seine Form, seine
Gedankenwelt mit dem gleichschalten, was da in dem
Text steht.
BREITFUß: Man muss ja von sich erzählen. Von was
sonst?
SOLAR: Man muss von sich erzählen. Das Spezielle,
von dem ihr vorhin schon geredet habt, ist natürlich
bei der Figur, dass das eine der wenigen positiven
Nestroy-Figuren ist, weil er wirklich ein Liebender ist;
der hat so eine ganz seltsame romantische Ader, die
man eigentlich von Nestroy-Gestalten nicht kennt, weil
die immer so abgebrüht und voller Desparation sind
und mittels Zynismus die Welt bewältigen. Und, weil
du vom Altruismus gesprochen hast: Schnoferls
Altruismus beruht ja
eigentlich auch auf einer
Desparation. So trifft
sich das ja wieder: Weil er verzweifelt ist kultiviert er
umso mehr diesen Altruismus, indem er wirklich einsieht: "Okay, ich hab' da keine Chance bei der Frau,
ich nehme mich zurück, und wirke aber für's Gute",
und in Wirklichkeit ist er natürlich total verzweifelt,
also sein Gutsein kommt eigentlich aus einer
Verzweiflung, aber die Sehnsucht besteht total. Es ist
da schon der Traum von was wirklich Schönem. Der
trägt noch irgend so eine Art Glauben in sich. Das ist
was sehr spezielles. Und wenn du mich fragst, wie ich
da herangehe: Ja, da spielt dieser Aspekt eine große
Rolle.
STEINBACH: Und Franz, wie bist du Nestroy begegnet?
SOLAR: Ich bin dem Nestroy von frühester Jugend auf
begegnet, weil ich ja in Wien aufgewachsen bin. Und
da saugt man ihn sozusagen mit der Muttermilch ein,
wenn man ins Theater geht. Das war herrlich, das hat
mich als Kind sehr begeistert. Und die Darstellung des
Nestroy, wie ich's miterlebt hab' am Volkstheater oder
am Burgtheater, war sicher auch ein Grund, überhaupt
Schauspieler zu werden. Also ich habe das so aufgesaugt, dass in dem Moment, wo ich einen Nestroy-Text
in die Hand bekomme oder zu spielen kriege, sofort
eine Spielweise einnehme, die irgendwie in Richtung
dieser Vorbilder geht. Und das verstellt wiederum den
Blick ein bissl auf den Nestroy, weil ich als Kind in diesen Nestroy-Aufführungen ein unglaublich schönes,
positives, fröhliches Erlebnis gehabt habe.
BREITFUß: Das kann's ja bleiben.
SOLAR: Das soll auch so bleiben. Aber das, was eigentlich dahinter ist, was Nestroy so speziell macht, ist,
dass er grundsätzlich den Menschen so misstraut.
Natürlich, wenn man diesen Aspekt des Misstrauens
ausblendet, dann wird es gleich so ein liebenswertes
Komödiending, und das ist es nicht. Und das ist eben
die Schwierigkeit hinter all dem, was man so erlebt
hat, als vordergründigen Witz, dass man dahinter
schaut: Wo tut's eigentlich wirklich weh? Und mittlerweile empfinde ich Nestroy als einen sehr schmerzgeplagten Menschen. Wenn ich mir vorstelle, wie der ist,
wie der geschrieben hat, wie er gelebt hat, so denk'
ich mir, das muss ein Mensch gewesen sein mit
unglaublichen Schmerzen, weil er sich eben nicht gut
aufgehoben fühlte in diesem Kosmos und das aber mit
einem unglaublichen Sarkasmus, einer unglaublichen
Languissance bewältigt hat.
STEINBACH: Lieber Franz Solar, lieber Gottfried
Breitfuß, ich danke Euch für das Gespräch.
WAR DAS WIEDER EIN SCHÖNER BEISCHLAF!
ja, das war wieder ein schöner beischlaf, findet heinz.
er wischt sich den mund ab, kämmt sein haar, putzt
die augenbrauen, die ohren innen, die nase, wäscht
sich die hände, trinkt seinen frühstückskaffee und geht
aus dem haus, um seinen beruf auszuüben. gleich, wie
er aus dem haus kommt, geht er in den streß des
berufslebens hinein, in die geheimnisvolle welt der
drähte, von denen brigitte nichts versteht.
inzwischen geht brigitte ihrer bestimmung als frau
nach, die leichter und einfacher ist als die bestimmung
als mann.
sie macht ihren spind auf, zieht rock und pulli aus und
streift dafür einen baumwollschürzenkittel über, welcher bunt und adrett und dazu da ist, die atmosphäre
zu verbessern, ein wenig farbe in das trostlose grau
und schwarz der maschinen zu bringen. lustige farbtupfer: sonnenstrahlen. nachdem brigitte die arbeitsatmosphäre verbessert und ihren eigenen zustand dabei
verschlechtert hat, schlüpft sie in die gesunden fußgesundheitsholzsandalen, damit der fuß bei der arbeit
gesund bleibt und nicht krank wird wie es manche
füße werden. aber brigittes nicht, da baut sie vor.
und schon hat brigittes dienst am band begonnen,
bevor sie richtig schauen kann. der dienst am band
beläßt brigitte ihre weiblichkeit, weil es ein weiblicher
betrieb mit durchwegs weiblichen angestellten (arbeiterinnen) ist, daher ist es nicht schwer, die sauberkeit
aufrechtzuerhalten. das einzige männliche sind die
höheren posten, die man nicht sieht, und die die weibliche sauberkeit also nicht stören können.
in durchwegs männl. betrieben liegt schon mal was
häßliches am boden uher, ohne daß gleich wer was
dagegen unternimmt. in diesem büstenhalterbetrieb
liegen nur hübsche dinge am boden, manchmal ein
stück spitze, ein lachsrosa band, doch sogar das wird
gleich eliminiert.
die männer, die die näherinnen kennen, interessieren
sich leider außer für ihre arbeit nur dafür, wie sie sich
von dieser arbeit erholen können. sie haben keine
hobbies. sie haben oft schlechte hobbies, in die sie die
familie nicht mit einbeziehen.
vom verkaufsleiter, vom prokuristen, vom werbeleiter,
vom techn. direktor weiß man nicht, wofür sie sich
interessieren.
man weiß auch nicht genau, was sie arbeiten. die herrren sind nicht von hier.
am büstenhalterband kann man nur schwer büsten-
halterfremde interessen haben, weil man oft nicht
weiß, welche interessen überhaupt existieren. man
weiß nur, daß einer oder mehrere interesse daran
haben, daß das büstenhalterband läuft.
selbst wenn man weiß, daß etwas andres als die arbeit
und die männl. arbeiter da sind, dann muß man erst
noch auf die idee kommen, daß das andre, das es gibt,
auch für einen selbst und nicht nur ständig für die
andren da sein könnte.
brigitte hat jedenfalls als eine der wenigen begriffen,
daß es etwas gibt, das über die arbeit weit hinausreicht. brigitte hat durch zufall erkannt, daß es mehr
gibt als nur arbeit, viel mehr, nämlich: HEINZ.
durch zufall also hat brigitte erkannt, daß es außer der
arbeit, die sie nicht will, den kolleginnen, die sie nicht
leiden kann, weil sie doch eigentlich keine von ihnen
mehr ist, die sie deshalb schon gar nicht leiden kann,
weil die kolleginnen sie noch immer für eine der ihren
halten, was sie längst nicht mehr ist, dank heinz, dem
besseren, dem besten schlechthin, durch zufall also
hat brigitte erkannt, daß es im leben außer arbeit,
arbeit, umziehen zur arbeit, kaffeekochen, arbeit etc.
auch noch den einen und einzigen gibt, der ihr das
alles gründlich vergiftet und verleidet hat, durch zufall
hat brigitte HEINZ erkannt. heinz und die folgen.
das bessere - heinz - kann man nur durch einen zufall
erkennen, wenn man in brigittes völlig verfahrener
situation am band sitzt.
das bessere - heinz - kann man nur durch einen zufall
unwahrscheinlichen zufall auch noch bekommen,
wenn man in brigittes völlig verfahrener situation am
band sitzt.
wird der zufall brigitte gnädig sein?
während brigitte die zehen in ihren gesunden gesundheitssandalen bewegt, um selbst diese für heinz
gesund und frisch zu erhalten, sieht sie aus luftiger
höhe auf ihre mitnähereinnen herab, im geist schon
durch eine uneinholbare entfernung von ihnen
getrennt: brigitte, die geschäftsfrau.
die andren, die die geschäfte nur von innen sehen und
nur dann, wenn sie babyfutter für ihre brut oder eine
dauerwurst für ihre männer kaufen.
brigitte, die das geschäft durch heinz besitzen wird,
weiß, wie besitz drücken, aber auch erfreuen kann.
jedenfalls wird brigitte dann wissen, für wen sie sich
abrackern wird, nämlich für sich selber und heinz und
nicht für eine fremde anonyme unfreundliche masse
wie hier.
etwas eigenes ist etwas eigenes.
so weit, so wahnsinnig weit können die gedanken brigittes unter umständen wegschweifen!
heinz denkt an alles mögliche, am wenigsten jedoch
an brigitte.
heinz denkt an die gleichen sachen wie brigitte, nämlich an sein eigenes geschäft.
heinz hofft, daß das mit brigitte keine folgen haben
wird. wenn heinz an brigitte denkt, dann nicht an sie
selber, sondern an die möglichen folgen. heinz wägt b.
gegen ihre folgen ab.
brigitte hofft, daß das mit heinz folgen haben wird,
folgen haben MUSS.
ein kindchen muß her! ein ekelhafter, weißer, krallender engerlingssäugling. für heinz wird es schlicht:
unser kind! sein. es soll das dauerhafte band verkörpern, nach dem b. sucht.
heinz sucht jedes dauerhafte band mit allen mitteln zu
verhindern. für heinz wäre ein baby ein klotz am bein,
ein hemmschuh, ein prellbock für seine vielversprechende entwicklung in richtung: unternehmer.
brigitte will es in sich hineinkriegen und, daß es auch
drinnenbleibt und nicht wieder ungenützt, sinnlos und
zukunftslos herausrinnt. brigitte will, daß heinz
abdrückt und ihr den extrakt aus dem rindsbraten und
den semmelknödeln von heute mittag einschießt. jetzt
muß dieser schlatzige mist doch endlich hineingespritzt und drinnen sein, aber nein, gut ding braucht
weile und heinz braucht auch weile.
heinz möchte natürlich die wenigen guten augenblikke, die man mit brigitte haben kann so lange wie möglich verlängern. so schnell schießen die preußen nicht,
so schnell schießt heinz auch nicht ab.
brigitte denkt, während wieder langsam leben und
bewegung in heinz kommt, an ihre zukunft. die
zukunft soll von der ekelerregenden gegenwart ablenken. brigitte will, daß heinz schneller machen soll, weil
die zukunft vielleicht nicht mehr lange warten kann.
das vorspiel soll endlich aus sein, damit die hauptsache, der stammhalter, anfangen kann. heinz grunzt
und wälzt sich.
was er da macht, ist nicht als vorspiel für brigitte
gedacht, sondern heinz muß sich erst einarbeiten,
bevor es in die endrunde geht.
an ein vorspiel, das b. spaß machen soll, hat heinz nie
gedacht.
jetzt startet heinz erst richtig. der motor ist endlich
warm.
jetzt will heinz, der ein augenblicksmensch ist, seinen
spaß haben.
heinz rammelt los, daß seine eingeweide in der
bauchhöhle ins schleudern geraten.
das ist so sein temperament.
brigitte will lieber erst später, dafür aber umso dauerhafter ihren spaß haben.
die liebe vergeht, doch das LEBEN besteht.
aus: Elfriede Jelinek. Die Liebhaberinnen. Reinbek bei
Hamburg 1975.
LIEBE FÜR GELD: EINE VERKEHRTE WELT
Wenn das Geld das Band ist, das mich an das menschliche Leben, das mir die Gesellschaft, das mich mit der
Natur und den Menschen verbindet, ist das Geld nicht
das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen
und binden?
Das Geld ist der Kuppler zwischen dem Bedürfnis und
dem Gegenstand, zwischen dem Leben und dem
Lebensmittel des Menschen. Was mir aber mein Leben
vermittelt, das vermittelt mir auch das Dasein der
andren Menschen für mich. Das ist für mich der andre
Mensch.
Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, d.h.,
was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer
des Geldes selbst. Die Eigenschaften des Geldes sind
meine - seines Besitzers - Eigenschaften und
Wesenskräfte. Ich bin häßlich, aber ich kann mir die
schönste Frau kaufen. Also bin ich nicht häßlich, denn
die Wirkung der Häßlichkeit, ihre abschreckende Kraft
ist durch das Geld vernichtet. Ich bin ein schlechter,
unehrlicher, gewissenloser, geistloser Mensch, aber
das Geld ist geehrt, also auch sein Besitzer. Das Geld
ist das höchste Gut, also ist sein Besitzer gut, das Geld
überhebt mich überdem der Mühe, unehrlich zu sein;
ich werde also als ehrlich präsumiert; ich bin geistlos,
aber das Geld ist der wirkliche Geist aller Dinge, wie
sollte sein Besitzer geistlos sein? Zudem kann er sich
die geistreichen Leute kaufen, und wer die Macht über
die Geistreichen hat, ist der nicht geistreicher als der
Geistreiche? Ich, der durch das Geld alles, wonach ein
menschliches Herz sich sehnt, vermag, besitze ich
nicht alle menschlichen Vermögen? Verwandelt also
mein Geld nicht alle meine Unvermögen in ihr
Gegenteil?
Da das Geld alle Dinge verwechselt, vertauscht, so ist
es die allgemeine Verwechslung und Vertauschung
aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung
und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen
Qualitäten.
Es verwandelt die Treue in Untreue, die Liebe in Haß,
den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, das Laster in
Tugend, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den
Knecht, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in
Blödsinn.
Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis
zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du
Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur
gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen
willst, mußt du ein künstlerisch gebildeter Mensch
sein; wenn du Einfluß auf andre Menschen ausüben
willst, mußt du ein wirklich anregend und fördernd auf
andere Menschen wirkender Mensch sein. Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen - und zu der Natur muß eine bestimmte, dem Gegenstand deines Willens
entsprechende Äußrung deines wirklichen individuelllen Lebens sein. Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, d.h., wenn dein Lieben als Lieben nicht die
Gegenliebe produziert, wenn du durch deine
Lebensäußrung als liebender Mensch dich nicht zum
geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück.
aus: Karl Marx. Ökonomisch-philosophische
Manuskripte aus dem Jahre 1844. Drittes Manuskript
[Geld]. in: Marx-Engels-Gesamtausgabe. Erste
Abteilung. Band 3. Berlin 1932.
SEX AND THE CITY: KURSSCHWANKUNGEN
Carrie hat verschlafen, und das in New York - der
Stadt, die niemals schläft! In dreißig Minuten muss sie
an der Wall Street sein, denn ihre Zeitung, der "New
York Star" geht heute an die Börse, und sie darf die
Eröffnungsglocke läuten. Nach einer wilden Jagd, im
Sprint auf Stöckelschuhen, per Taxi im Stau, im
Gedränge der U-Bahn, scheitert sie noch fast mit den
Schließen ihrer Schuhe am Metalldetektor der
Sicherheitsschleuse,
schlägt
sich
durchs
Händlerparkett und erreicht eben rechtzeitig den
Knopf, mit dem sie das Geläut auslöst und den
Börsentag eröffnet: KLANG! KLANG! KLANG!
Später trifft sie sich mit ihren Freundinnen nebenan im
modischen Meat Packing District, heute wie ehedem,
Tag und Nacht der Umgeschlagplatz für jede Art von
Fleisch. Carrie erzählt von ihrem aufregenden Morgen
und, dass sie beinahe Lust bekommen hätte, zu investieren, nur, dass sie ihr Geld lieber da anlegt, wo sie es
sehen kann: im Kleiderschrank. Auch Samantha
schwärmt von der Börse: "All diese schreienden,
schwitztenden Männer, die versuchen, was in die
Höhe zu treiben." Nur Miranda wendet ein, dass sie
nicht mehr investieren mag: "Es ist zu unbeständig"
Durch das gemeinsame Kind mit Steve, haben beide
"zuviel investiert", als dass sie riskieren könnten, sich
wieder ineinander zu verlieben. Carries Aktien sind
jedenfalls heiß, behauptet Charlotte. Sie hat gestern
welche gekauft. Doch auf die Frage hin, ob sie teuer
waren, verneint Charlotte lachend.
Schnitt auf Carries Appartment, wo sie in ihren Laptop
tippend, aus dem Off räsoniert: "Später an dem Tag
musste ich an die Börse und das Daten denken: Sind
sie denn so verschieden? Mit einer miesen Aktie verlierst du vielleicht dein letztes Hemd; mit einem miesen
Date verlierst du vielleicht deinen Lebenswillen. Selbst
mit einem guten Date wird der Einsatz noch höher.
Nach allen Aufs und Abs findest du dich vielleicht eines
Tages mit nichts wieder. Also, wenn es ums Geld und
ums Daten geht, kann ich mich nur wundern, weshalb
wir immer noch investieren?"
Doch ihre neue Flamme, der Autor Jack Berger, hat
sich wieder gemeldet. Mit ihm hofft sie, ihren Wert
nicht zuletzt auch für Traummann Mr. Big steigern zu
können. Beim nächsten Mittagessen mit den
Freundinnen verrät Carrie, wie aufgeregt sie vor dem
ersten richtigen Date mit Berger ist, und dass noch ein
Typ angerufen hat, der mit ihr ausgehen will. Charlotte
schlägt vor, den anderen vorher quasi probezudaten,
damit das Date mit Berger klappt. "Carries Aktie
steigt!", flötet Samantha, die sich neuerdings mit dem
neuen Börsenmakler von nebenan vergnügt, wofür sie
wertvolle Investment-Tips erhält: Höhepunkte im Bett
und Höchststände auf dem Konto. Solange jedenfalls,
bis er eines Tages, von Samantha in schwarzen
Strapsen bereits mit Handschellen an sein Bett gefessselt, vom hereinstürmenden FBI, direkt unter ihr hinweg, wegen Insidergeschäften verhaftet wird.
Samantha trocken: "All die Guten werden verhaftet."
- "Wann immer eine Frau sich hinlegt, schießt der Dow
in die Höhe", kommentiert Carrie lakonisch aus dem
Off.
Carries Probedate wird ein absolutes Fiasko, und als
später Berger zufällig auftaucht, flieht Carrie, unvorbereitet wie sie ist, trifft zu allem Überfluss auch noch
ihren Ex Aidan mit Baby, stellt sich aber schließlich
einem Spontanrendezvous mit Berger, das - Happy End
- entspannt und glücklich verläuft.
Aus dem Off bilanziert Carrie: "Bei Handelsschluss auf
der Wall Street an dem Tag war der NASDAQ gefallen,
doch unsere Aktie stand erstaunlicherweise immer
noch oben."
nach: Sex and the City. Episode 75 (6. Staffel, 1.
Folge): To Market, To Market. Erstausstrahlung: HBO
22.06.2003. deutschsprachige Synchronfassung:
Kursschwankungen. Erstausstrahlung: ORF/Pro7
17.02.2004
DER AUTOR
JOHANN NEPOMUK EDUARD AMBROSIUS NESTROY wird am 7. Dezember 1801 in Wien geboren
und besucht dort 1811-1817 das Akademische sowie
das Schottengymnasium, um ab 1820 für zwei Jahre
das Studium der Rechte aufzunehmen und nebenbei
als Sänger und Schauspieler auf kleinen Bühnen aufzutreten. 1822 wird er als Bass ans k.k.
Hofoperntheater nächst dem Kärntnertor engagiert,
wo er als Sarastro in Mozarts Zauberflöte debütiert.
1823 heiratet er Wilhelmine Nespiesni und wechselt
als Sänger nach Amsterdam ans Deutsche Theater,
und schon 1825 geht er ans Brünner Nationaltheater
und trennt sich wieder von seiner Frau. Gegen ihn
werden Arreststrafen wegen Zensurverstößen und
Publikumsverachtung verhängt. 1827 wird er ans
Theater in Graz engagiert, wo er seiner späteren
Lebensgefährtin Marie Weiler begegnet. Hier erlebt er
seinen Durchbruch als Lokalpossendarsteller und gibt
sein Autorendebüt mit "Der Zettelträger Papp". 1831
verpflichtet sich Nestroy dem Theaterunternehmer Karl
Carl als Darsteller und Dramatiker. 1833 "Der böse
Geist Lumpazivagabundus". 1836 verbüßt er eine
fünftägige Kerkerhaft wegen Umgehung der Zensur
durch Extemporieren. 1840 "Der Talisman". 1841
"Das Mädl aus der Vorstadt". 1842 "Einen Jux will er
sich machen". 1844 "Der Zerrissene". 1848 "Freiheit
in Krähwinkel". 1852 Nestroy schreibt weniger und
geht häufiger auf Gastspielreisen. Nach dem Tod des
Direktor Carl 1854 übernimmt Nestroy offiziell die
Leitung des Carl-Theaters. 1857 "Umsonst". 1859
erwirbt er eine Villa in Ischl und ein Stadthaus in Graz,
wohin er 1860 übersiedelt. Nach einem Come-Back in
Wien 1862, mit "Frühere Verhältnisse" und
"Häuptling Abendwind", stirbt er schon am 25. Mai in
Graz, von wo er nach Wien überführt und beigesetzt
wird, wird aber 1881 exhumiert und im Ehrengrab auf
dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Nestroy hat
rund 880 Rollen gespielt und über 70 Stücke geschrieben.
DER REGISSEUR
GOTTFRIED BREITFUß, geboren in Maishofen bei Zell
am See, hat nach seiner Schauspielausbildung am
Mozarteum in Salzburg an verschiedenen Häusern wie
Residenztheater München, Schiller-Theater Berlin,
Freie Volksbühne Berlin und Theater Basel, sowie in
zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Von 1993 bis 2005 war er im festen
Engagement am Staatstheater Stuttgart, wo er zahlreiche Hauptrollen spielte und einige Produktionen,
darunter auch "Im weißen Rössl" sowie Nestroys
"Lumpazivagabundus", selbst inszenierte. Seit Juli
2005 ist er fest am Schauspielhaus Zürich engagiert.
In Graz präsentierte er in der Saison 2004/2005 erfolgreich Nestroys "Frühere Verhältnisse".Mit seinem
Soloprogramm "Meschugge - wie immer", Liedern
von Georg Kreisler und eigenen Texten, ist er wiederholt auf der Ebene 3 des Schauspielhauses zu Gast.
Inszenierung Gottfried Breitfuß ~ Bühne und
Kostüme
Jessica Rockstroh ~ Musik
Till
Löffler
Kauz, ein Spekulant Ernst Prassel ~Frau von
Erbsenstein, Kornhändlerswitwe, seine Nichte
Susanne Weber ~ Herr von Gigl, ihr Bräutigam, entfernt mit Kauz verwandt Dominik Warta ~
Schnoferl, Winkelagent Franz Solar ~ Knöpfel, ein
Pfaidler, Witwer Erik Göller ~ Peppi, seine Tochter
Natascha Shah ~ Madame Storch, Knöpfels
Schwester, Witwe Ute Radkohl ~ Rosalie, Nähterin
und Verwandte von Knöpfels verstorbener Frau
Andrea Wenzl ~ Sabine, Nähterin und Verwandte
von Knöpfels verstorbener Frau Ninja Reichert ~
Thekla, eine Stickerin Katharina
Knap
~
Nannette, Stubenmädchen der Frau von Erbsenstein
Carola Gartlgruber
Premiere am 25. November 2005
im Schauspielhaus.
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