Johann Nepomuk Nestroy DAS MÄDL AUS DER VORSTADT oder EHRLICH WÄHRT AM LÄNGSTEN Posse in drei Akten DAS STÜCK Herr von Gigl findet keine Ruhe mehr: Kurz vor seiner langersehnten Hochzeit mit der jungen und reichen Witwe von Erbsenstein verliebt er sich in die geheimnisvolle Thekla, eine arme Stickerin, die ihm allerdings sogleich wieder entwischt. Als er dem Mädl aus der Vorstadt anlässlich seiner Trauung wiederbegegnet, lässt er die Braut vor versammelter Festgesellschaft sitzen und verschwindet. Aus Freundschaft stellt nun Winkelagent Schnoferl Nachforschungen an und entdeckt dabei erstaunliches über Theklas flüchtigen Vater sowie über Spekulant Kauz, den umtriebigen Onkel der Erbsenstein. Nestroy brauchte 1841 nur die Vorlage von CharlesVictor Varin "La Jolie Fille du Faubourg" nach einem Roman des vielgelesenen Paul de Kock aus dem Pariser Vaudeville ins Wienerische Volkstheater zu übertragen und diese mit der ihm eigenen berührend-komischen Panik vor Armut und Einsamkeit zu füllen und in seinem unverwechselbar bissigen Sprachwitz auszugestalten, um eine seiner erfolgreichsten Gesangspossen zu schaffen, die nach ihrer Uraufführung am 24. November 1841 im Theater an der Wien bis zu seinem Todesjahr 1862 noch 81 Aufführungen erlebte. Noch 1890 und 1891 ließ sich übrigens Arthur Schnitzler durch zwei Aufführungen der Nestroyschen Posse zu seiner zunächst auch als "Volksstück" konzipierten Tragikomödie "Liebelei" anregen. Ein Kritiker der Uraufführung urteilte damals über "Das Mädl aus der Vorstadt": "Der Inhalt ist für Nestroy nichts als ein Kleiderstock. Er hängt all seinen feinen und groben Spaß, alle seine reichen Sonntagskleider, und darunter ein unappetitliches Inexpressible, alle seine gallonierten, bebrämten, glänzenden Einfälle und all seinen rohen Stoff darauf, und es ist am Ende ein Berg von bunten Gewändern, von reichen, strotzenden Kleidern mit denen man eine ganze Schar gewöhnlicher Possen ausstatten könnte." WO TUT’s EIGENTLICH WIRKLICH WEH? Anlässlich der Premiere von "Mädl aus der Vorstadt" am Schauspielhaus Graz trafen sich Regisseur Gottfried Breitfuß und Hauptdarsteller Franz Solar exklusiv für "80" zu einem Gespräch mit dem Dramaturgen Marc Steinbach. STEINBACH: Lieber Gottfried Breitfuß, das ist nach "Frühere Verhältnisse" schon dein zweiter Nestroy in Graz. Während dort jedoch in nur vier Figuren schon ein Riesenchaos auslösen, schöpfst du für "Mädl aus der Vorstadt" aus dem Vollen des Ensembles und bedienst dich auch eines viel aufwändigeren Bühnenbilds. Welchen Weg habt ihr da gewählt? BREITFUß: Im Grunde fangen wir bühnenästhetisch, ein bissl wie bei "Frühere Verhältnisse" an: der Mensch im Raum mit wenig Anhaltmomenten, wenig Hinlehnungsmöglichkeiten, also sehr trocken eingeführt, und dann geht's ins doch eher Schmutzigere, und das Ganze wird ein bissl chaotischer im Laufe des Stückes. Also vom Sauberen ins Schmutzigere. STEINBACH: Wie es im Stück ja auch passiert: aus dem Zentrum durch die Vorstadt ins Umland: In Wien, um Wien und um Wien herum. BREITFUß: So ist es. Wir folgen im Grunde dem Stück, mit Mitteln, die denke ich, nicht so weit von Nestroy sind, aber auch nicht so weit von uns weg. Wenn du das Stück 'zerhauen' willst, dann kommst du dem nicht bei, weil Nestroy dafür viel zu komplex ist. Aber das interessiert mich nicht. Der ist einfach größer als ich. Das habe ich schon bei der Leseprobe gesagt: "Ich will einen Nestroy machen, keinen Breitfuß." STEINBACH: Wie hast du zu Nestroy gefunden? BREITFUß: Lange gar nicht, weil ich ihn nicht verstanden habe. Dann, immer mal wieder hingehört; da kriegt man mal ein Zipfelchen Wirklichkeit mit, die sich mit dem, was er meint, vielleicht trifft. Das heißt, Umgang mit den Möglichkeiten des Humors, über Wortwitz, über Situationswitz. Das schreibt er ja genau: Dinge, die man selber erleben kann, die nur scheinbar Patina haben. Da muss man schauen, dass man sie von dieser Patina befreit, die eher in unseren Köpfen ist, als bei Nestroy selber. Das sind ja allgemeingültige Themen. Speziell ist der Umgang, sein Umgang mit diesen Themen. Also, raus, vierte Wand niederreißen, nach vorne gehen, Pointen setzen, nicht wahr, bissl grantig sein und schauen, was bleibt über? - Allerhand! STEINBACH: "Das Mädl aus der Vorstadt" kann man ja ganz gut als Krimi lesen. BREITFUß: Krimi-Elemente. Ja im Grunde ist es ja eigentlich eine Soap plus Krimi plus Liebe, Geld, Verwirrung, Doppelmoral. Da steckt alles drin, was einen so umtreiben kann. Jeder sucht, alle sind relativ heimatlos, und alle sind auf der Suche nach irgendwas: Suche nach dem Partner, Suche nach der Liebe, Suche nach dem Geld, nach dem Glück und Suche nach dem Exotismus quasi, also weg von sich selber. "Der Mensch kommt ja nicht weg von sich." Das erzählt das Stück auch. Insofern ist hat es natürlich auch einen tieferen Unterboden. Das ist Volkstheater, Volkstheater im besten Sinne des Wortes. STEINBACH: Das wird ja auch zentral personifiziert in so einer Figur wie Schnoferl, der jetzt wirklich auf der Suche ist, gar nicht mal nur für sich selber. BREITFUß: Zum erstenmal macht er eine Figur, die erste Nestroy-Figur, oder, ich glaube, eine der wenigen überhaupt, die er gespielt hat, die wirklich von Grund auf gut ist und bereit ist, seine Interessen hintanzustelllen für das Wohl seines Freundes und für das Wohl der Frau, die er anbetet. Er 'schenkt' also quasi die Frau 'her' für den Anderen. Ja, das Altruistische ist immer ein schwieriges Thema. Altruismus bedingt ja einen großen Egoismus. Es geht ja hin und her, um am Schluss doch da zu landen, wo es landen soll. Schnoferl ist nicht so grantig wie andere NestroyFiguren, die er selber gespielt hat. Der changiert sehr. Er spielt auf der ganzen Klaviatur. Und der Rest drumherum gleicht sich dem an, zum Teil aus dem Kalkül des Schnoferl, zum Teil aus Eigenkalkül. So kommt jeder dahin, wohin er eigentlich nicht will. STEINBACH: Lieber Franz Solar, wo suchst du, wenn du den Schnoferl entwickelst? Spielt es für dich eine Rolle, das Nestroy die Figur selber gespielt hat oder suchst du noch ganz woanders, etwa im zeitgenössischen Bereich? SOLAR: Tatsache ist, dass man, wie bei jeder anderen Figur, bei allen großen Figuren der Weltliteratur, wenn man sie spielt, seinen ganz persönlichen Zugang finden muss, also weg von Vorbildern, wurscht ob sie jetzt der Autor selbst gespielt hat oder andere große Schauspieler. Man muss da seine Form, seine Gedankenwelt mit dem gleichschalten, was da in dem Text steht. BREITFUß: Man muss ja von sich erzählen. Von was sonst? SOLAR: Man muss von sich erzählen. Das Spezielle, von dem ihr vorhin schon geredet habt, ist natürlich bei der Figur, dass das eine der wenigen positiven Nestroy-Figuren ist, weil er wirklich ein Liebender ist; der hat so eine ganz seltsame romantische Ader, die man eigentlich von Nestroy-Gestalten nicht kennt, weil die immer so abgebrüht und voller Desparation sind und mittels Zynismus die Welt bewältigen. Und, weil du vom Altruismus gesprochen hast: Schnoferls Altruismus beruht ja eigentlich auch auf einer Desparation. So trifft sich das ja wieder: Weil er verzweifelt ist kultiviert er umso mehr diesen Altruismus, indem er wirklich einsieht: "Okay, ich hab' da keine Chance bei der Frau, ich nehme mich zurück, und wirke aber für's Gute", und in Wirklichkeit ist er natürlich total verzweifelt, also sein Gutsein kommt eigentlich aus einer Verzweiflung, aber die Sehnsucht besteht total. Es ist da schon der Traum von was wirklich Schönem. Der trägt noch irgend so eine Art Glauben in sich. Das ist was sehr spezielles. Und wenn du mich fragst, wie ich da herangehe: Ja, da spielt dieser Aspekt eine große Rolle. STEINBACH: Und Franz, wie bist du Nestroy begegnet? SOLAR: Ich bin dem Nestroy von frühester Jugend auf begegnet, weil ich ja in Wien aufgewachsen bin. Und da saugt man ihn sozusagen mit der Muttermilch ein, wenn man ins Theater geht. Das war herrlich, das hat mich als Kind sehr begeistert. Und die Darstellung des Nestroy, wie ich's miterlebt hab' am Volkstheater oder am Burgtheater, war sicher auch ein Grund, überhaupt Schauspieler zu werden. Also ich habe das so aufgesaugt, dass in dem Moment, wo ich einen Nestroy-Text in die Hand bekomme oder zu spielen kriege, sofort eine Spielweise einnehme, die irgendwie in Richtung dieser Vorbilder geht. Und das verstellt wiederum den Blick ein bissl auf den Nestroy, weil ich als Kind in diesen Nestroy-Aufführungen ein unglaublich schönes, positives, fröhliches Erlebnis gehabt habe. BREITFUß: Das kann's ja bleiben. SOLAR: Das soll auch so bleiben. Aber das, was eigentlich dahinter ist, was Nestroy so speziell macht, ist, dass er grundsätzlich den Menschen so misstraut. Natürlich, wenn man diesen Aspekt des Misstrauens ausblendet, dann wird es gleich so ein liebenswertes Komödiending, und das ist es nicht. Und das ist eben die Schwierigkeit hinter all dem, was man so erlebt hat, als vordergründigen Witz, dass man dahinter schaut: Wo tut's eigentlich wirklich weh? Und mittlerweile empfinde ich Nestroy als einen sehr schmerzgeplagten Menschen. Wenn ich mir vorstelle, wie der ist, wie der geschrieben hat, wie er gelebt hat, so denk' ich mir, das muss ein Mensch gewesen sein mit unglaublichen Schmerzen, weil er sich eben nicht gut aufgehoben fühlte in diesem Kosmos und das aber mit einem unglaublichen Sarkasmus, einer unglaublichen Languissance bewältigt hat. STEINBACH: Lieber Franz Solar, lieber Gottfried Breitfuß, ich danke Euch für das Gespräch. WAR DAS WIEDER EIN SCHÖNER BEISCHLAF! ja, das war wieder ein schöner beischlaf, findet heinz. er wischt sich den mund ab, kämmt sein haar, putzt die augenbrauen, die ohren innen, die nase, wäscht sich die hände, trinkt seinen frühstückskaffee und geht aus dem haus, um seinen beruf auszuüben. gleich, wie er aus dem haus kommt, geht er in den streß des berufslebens hinein, in die geheimnisvolle welt der drähte, von denen brigitte nichts versteht. inzwischen geht brigitte ihrer bestimmung als frau nach, die leichter und einfacher ist als die bestimmung als mann. sie macht ihren spind auf, zieht rock und pulli aus und streift dafür einen baumwollschürzenkittel über, welcher bunt und adrett und dazu da ist, die atmosphäre zu verbessern, ein wenig farbe in das trostlose grau und schwarz der maschinen zu bringen. lustige farbtupfer: sonnenstrahlen. nachdem brigitte die arbeitsatmosphäre verbessert und ihren eigenen zustand dabei verschlechtert hat, schlüpft sie in die gesunden fußgesundheitsholzsandalen, damit der fuß bei der arbeit gesund bleibt und nicht krank wird wie es manche füße werden. aber brigittes nicht, da baut sie vor. und schon hat brigittes dienst am band begonnen, bevor sie richtig schauen kann. der dienst am band beläßt brigitte ihre weiblichkeit, weil es ein weiblicher betrieb mit durchwegs weiblichen angestellten (arbeiterinnen) ist, daher ist es nicht schwer, die sauberkeit aufrechtzuerhalten. das einzige männliche sind die höheren posten, die man nicht sieht, und die die weibliche sauberkeit also nicht stören können. in durchwegs männl. betrieben liegt schon mal was häßliches am boden uher, ohne daß gleich wer was dagegen unternimmt. in diesem büstenhalterbetrieb liegen nur hübsche dinge am boden, manchmal ein stück spitze, ein lachsrosa band, doch sogar das wird gleich eliminiert. die männer, die die näherinnen kennen, interessieren sich leider außer für ihre arbeit nur dafür, wie sie sich von dieser arbeit erholen können. sie haben keine hobbies. sie haben oft schlechte hobbies, in die sie die familie nicht mit einbeziehen. vom verkaufsleiter, vom prokuristen, vom werbeleiter, vom techn. direktor weiß man nicht, wofür sie sich interessieren. man weiß auch nicht genau, was sie arbeiten. die herrren sind nicht von hier. am büstenhalterband kann man nur schwer büsten- halterfremde interessen haben, weil man oft nicht weiß, welche interessen überhaupt existieren. man weiß nur, daß einer oder mehrere interesse daran haben, daß das büstenhalterband läuft. selbst wenn man weiß, daß etwas andres als die arbeit und die männl. arbeiter da sind, dann muß man erst noch auf die idee kommen, daß das andre, das es gibt, auch für einen selbst und nicht nur ständig für die andren da sein könnte. brigitte hat jedenfalls als eine der wenigen begriffen, daß es etwas gibt, das über die arbeit weit hinausreicht. brigitte hat durch zufall erkannt, daß es mehr gibt als nur arbeit, viel mehr, nämlich: HEINZ. durch zufall also hat brigitte erkannt, daß es außer der arbeit, die sie nicht will, den kolleginnen, die sie nicht leiden kann, weil sie doch eigentlich keine von ihnen mehr ist, die sie deshalb schon gar nicht leiden kann, weil die kolleginnen sie noch immer für eine der ihren halten, was sie längst nicht mehr ist, dank heinz, dem besseren, dem besten schlechthin, durch zufall also hat brigitte erkannt, daß es im leben außer arbeit, arbeit, umziehen zur arbeit, kaffeekochen, arbeit etc. auch noch den einen und einzigen gibt, der ihr das alles gründlich vergiftet und verleidet hat, durch zufall hat brigitte HEINZ erkannt. heinz und die folgen. das bessere - heinz - kann man nur durch einen zufall erkennen, wenn man in brigittes völlig verfahrener situation am band sitzt. das bessere - heinz - kann man nur durch einen zufall unwahrscheinlichen zufall auch noch bekommen, wenn man in brigittes völlig verfahrener situation am band sitzt. wird der zufall brigitte gnädig sein? während brigitte die zehen in ihren gesunden gesundheitssandalen bewegt, um selbst diese für heinz gesund und frisch zu erhalten, sieht sie aus luftiger höhe auf ihre mitnähereinnen herab, im geist schon durch eine uneinholbare entfernung von ihnen getrennt: brigitte, die geschäftsfrau. die andren, die die geschäfte nur von innen sehen und nur dann, wenn sie babyfutter für ihre brut oder eine dauerwurst für ihre männer kaufen. brigitte, die das geschäft durch heinz besitzen wird, weiß, wie besitz drücken, aber auch erfreuen kann. jedenfalls wird brigitte dann wissen, für wen sie sich abrackern wird, nämlich für sich selber und heinz und nicht für eine fremde anonyme unfreundliche masse wie hier. etwas eigenes ist etwas eigenes. so weit, so wahnsinnig weit können die gedanken brigittes unter umständen wegschweifen! heinz denkt an alles mögliche, am wenigsten jedoch an brigitte. heinz denkt an die gleichen sachen wie brigitte, nämlich an sein eigenes geschäft. heinz hofft, daß das mit brigitte keine folgen haben wird. wenn heinz an brigitte denkt, dann nicht an sie selber, sondern an die möglichen folgen. heinz wägt b. gegen ihre folgen ab. brigitte hofft, daß das mit heinz folgen haben wird, folgen haben MUSS. ein kindchen muß her! ein ekelhafter, weißer, krallender engerlingssäugling. für heinz wird es schlicht: unser kind! sein. es soll das dauerhafte band verkörpern, nach dem b. sucht. heinz sucht jedes dauerhafte band mit allen mitteln zu verhindern. für heinz wäre ein baby ein klotz am bein, ein hemmschuh, ein prellbock für seine vielversprechende entwicklung in richtung: unternehmer. brigitte will es in sich hineinkriegen und, daß es auch drinnenbleibt und nicht wieder ungenützt, sinnlos und zukunftslos herausrinnt. brigitte will, daß heinz abdrückt und ihr den extrakt aus dem rindsbraten und den semmelknödeln von heute mittag einschießt. jetzt muß dieser schlatzige mist doch endlich hineingespritzt und drinnen sein, aber nein, gut ding braucht weile und heinz braucht auch weile. heinz möchte natürlich die wenigen guten augenblikke, die man mit brigitte haben kann so lange wie möglich verlängern. so schnell schießen die preußen nicht, so schnell schießt heinz auch nicht ab. brigitte denkt, während wieder langsam leben und bewegung in heinz kommt, an ihre zukunft. die zukunft soll von der ekelerregenden gegenwart ablenken. brigitte will, daß heinz schneller machen soll, weil die zukunft vielleicht nicht mehr lange warten kann. das vorspiel soll endlich aus sein, damit die hauptsache, der stammhalter, anfangen kann. heinz grunzt und wälzt sich. was er da macht, ist nicht als vorspiel für brigitte gedacht, sondern heinz muß sich erst einarbeiten, bevor es in die endrunde geht. an ein vorspiel, das b. spaß machen soll, hat heinz nie gedacht. jetzt startet heinz erst richtig. der motor ist endlich warm. jetzt will heinz, der ein augenblicksmensch ist, seinen spaß haben. heinz rammelt los, daß seine eingeweide in der bauchhöhle ins schleudern geraten. das ist so sein temperament. brigitte will lieber erst später, dafür aber umso dauerhafter ihren spaß haben. die liebe vergeht, doch das LEBEN besteht. aus: Elfriede Jelinek. Die Liebhaberinnen. Reinbek bei Hamburg 1975. LIEBE FÜR GELD: EINE VERKEHRTE WELT Wenn das Geld das Band ist, das mich an das menschliche Leben, das mir die Gesellschaft, das mich mit der Natur und den Menschen verbindet, ist das Geld nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Das Geld ist der Kuppler zwischen dem Bedürfnis und dem Gegenstand, zwischen dem Leben und dem Lebensmittel des Menschen. Was mir aber mein Leben vermittelt, das vermittelt mir auch das Dasein der andren Menschen für mich. Das ist für mich der andre Mensch. Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, d.h., was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst. Die Eigenschaften des Geldes sind meine - seines Besitzers - Eigenschaften und Wesenskräfte. Ich bin häßlich, aber ich kann mir die schönste Frau kaufen. Also bin ich nicht häßlich, denn die Wirkung der Häßlichkeit, ihre abschreckende Kraft ist durch das Geld vernichtet. Ich bin ein schlechter, unehrlicher, gewissenloser, geistloser Mensch, aber das Geld ist geehrt, also auch sein Besitzer. Das Geld ist das höchste Gut, also ist sein Besitzer gut, das Geld überhebt mich überdem der Mühe, unehrlich zu sein; ich werde also als ehrlich präsumiert; ich bin geistlos, aber das Geld ist der wirkliche Geist aller Dinge, wie sollte sein Besitzer geistlos sein? Zudem kann er sich die geistreichen Leute kaufen, und wer die Macht über die Geistreichen hat, ist der nicht geistreicher als der Geistreiche? Ich, der durch das Geld alles, wonach ein menschliches Herz sich sehnt, vermag, besitze ich nicht alle menschlichen Vermögen? Verwandelt also mein Geld nicht alle meine Unvermögen in ihr Gegenteil? Da das Geld alle Dinge verwechselt, vertauscht, so ist es die allgemeine Verwechslung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten. Es verwandelt die Treue in Untreue, die Liebe in Haß, den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, das Laster in Tugend, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den Knecht, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn. Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen willst, mußt du ein künstlerisch gebildeter Mensch sein; wenn du Einfluß auf andre Menschen ausüben willst, mußt du ein wirklich anregend und fördernd auf andere Menschen wirkender Mensch sein. Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen - und zu der Natur muß eine bestimmte, dem Gegenstand deines Willens entsprechende Äußrung deines wirklichen individuelllen Lebens sein. Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, d.h., wenn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch deine Lebensäußrung als liebender Mensch dich nicht zum geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück. aus: Karl Marx. Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. Drittes Manuskript [Geld]. in: Marx-Engels-Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Band 3. Berlin 1932. SEX AND THE CITY: KURSSCHWANKUNGEN Carrie hat verschlafen, und das in New York - der Stadt, die niemals schläft! In dreißig Minuten muss sie an der Wall Street sein, denn ihre Zeitung, der "New York Star" geht heute an die Börse, und sie darf die Eröffnungsglocke läuten. Nach einer wilden Jagd, im Sprint auf Stöckelschuhen, per Taxi im Stau, im Gedränge der U-Bahn, scheitert sie noch fast mit den Schließen ihrer Schuhe am Metalldetektor der Sicherheitsschleuse, schlägt sich durchs Händlerparkett und erreicht eben rechtzeitig den Knopf, mit dem sie das Geläut auslöst und den Börsentag eröffnet: KLANG! KLANG! KLANG! Später trifft sie sich mit ihren Freundinnen nebenan im modischen Meat Packing District, heute wie ehedem, Tag und Nacht der Umgeschlagplatz für jede Art von Fleisch. Carrie erzählt von ihrem aufregenden Morgen und, dass sie beinahe Lust bekommen hätte, zu investieren, nur, dass sie ihr Geld lieber da anlegt, wo sie es sehen kann: im Kleiderschrank. Auch Samantha schwärmt von der Börse: "All diese schreienden, schwitztenden Männer, die versuchen, was in die Höhe zu treiben." Nur Miranda wendet ein, dass sie nicht mehr investieren mag: "Es ist zu unbeständig" Durch das gemeinsame Kind mit Steve, haben beide "zuviel investiert", als dass sie riskieren könnten, sich wieder ineinander zu verlieben. Carries Aktien sind jedenfalls heiß, behauptet Charlotte. Sie hat gestern welche gekauft. Doch auf die Frage hin, ob sie teuer waren, verneint Charlotte lachend. Schnitt auf Carries Appartment, wo sie in ihren Laptop tippend, aus dem Off räsoniert: "Später an dem Tag musste ich an die Börse und das Daten denken: Sind sie denn so verschieden? Mit einer miesen Aktie verlierst du vielleicht dein letztes Hemd; mit einem miesen Date verlierst du vielleicht deinen Lebenswillen. Selbst mit einem guten Date wird der Einsatz noch höher. Nach allen Aufs und Abs findest du dich vielleicht eines Tages mit nichts wieder. Also, wenn es ums Geld und ums Daten geht, kann ich mich nur wundern, weshalb wir immer noch investieren?" Doch ihre neue Flamme, der Autor Jack Berger, hat sich wieder gemeldet. Mit ihm hofft sie, ihren Wert nicht zuletzt auch für Traummann Mr. Big steigern zu können. Beim nächsten Mittagessen mit den Freundinnen verrät Carrie, wie aufgeregt sie vor dem ersten richtigen Date mit Berger ist, und dass noch ein Typ angerufen hat, der mit ihr ausgehen will. Charlotte schlägt vor, den anderen vorher quasi probezudaten, damit das Date mit Berger klappt. "Carries Aktie steigt!", flötet Samantha, die sich neuerdings mit dem neuen Börsenmakler von nebenan vergnügt, wofür sie wertvolle Investment-Tips erhält: Höhepunkte im Bett und Höchststände auf dem Konto. Solange jedenfalls, bis er eines Tages, von Samantha in schwarzen Strapsen bereits mit Handschellen an sein Bett gefessselt, vom hereinstürmenden FBI, direkt unter ihr hinweg, wegen Insidergeschäften verhaftet wird. Samantha trocken: "All die Guten werden verhaftet." - "Wann immer eine Frau sich hinlegt, schießt der Dow in die Höhe", kommentiert Carrie lakonisch aus dem Off. Carries Probedate wird ein absolutes Fiasko, und als später Berger zufällig auftaucht, flieht Carrie, unvorbereitet wie sie ist, trifft zu allem Überfluss auch noch ihren Ex Aidan mit Baby, stellt sich aber schließlich einem Spontanrendezvous mit Berger, das - Happy End - entspannt und glücklich verläuft. Aus dem Off bilanziert Carrie: "Bei Handelsschluss auf der Wall Street an dem Tag war der NASDAQ gefallen, doch unsere Aktie stand erstaunlicherweise immer noch oben." nach: Sex and the City. Episode 75 (6. Staffel, 1. Folge): To Market, To Market. Erstausstrahlung: HBO 22.06.2003. deutschsprachige Synchronfassung: Kursschwankungen. Erstausstrahlung: ORF/Pro7 17.02.2004 DER AUTOR JOHANN NEPOMUK EDUARD AMBROSIUS NESTROY wird am 7. Dezember 1801 in Wien geboren und besucht dort 1811-1817 das Akademische sowie das Schottengymnasium, um ab 1820 für zwei Jahre das Studium der Rechte aufzunehmen und nebenbei als Sänger und Schauspieler auf kleinen Bühnen aufzutreten. 1822 wird er als Bass ans k.k. Hofoperntheater nächst dem Kärntnertor engagiert, wo er als Sarastro in Mozarts Zauberflöte debütiert. 1823 heiratet er Wilhelmine Nespiesni und wechselt als Sänger nach Amsterdam ans Deutsche Theater, und schon 1825 geht er ans Brünner Nationaltheater und trennt sich wieder von seiner Frau. Gegen ihn werden Arreststrafen wegen Zensurverstößen und Publikumsverachtung verhängt. 1827 wird er ans Theater in Graz engagiert, wo er seiner späteren Lebensgefährtin Marie Weiler begegnet. Hier erlebt er seinen Durchbruch als Lokalpossendarsteller und gibt sein Autorendebüt mit "Der Zettelträger Papp". 1831 verpflichtet sich Nestroy dem Theaterunternehmer Karl Carl als Darsteller und Dramatiker. 1833 "Der böse Geist Lumpazivagabundus". 1836 verbüßt er eine fünftägige Kerkerhaft wegen Umgehung der Zensur durch Extemporieren. 1840 "Der Talisman". 1841 "Das Mädl aus der Vorstadt". 1842 "Einen Jux will er sich machen". 1844 "Der Zerrissene". 1848 "Freiheit in Krähwinkel". 1852 Nestroy schreibt weniger und geht häufiger auf Gastspielreisen. Nach dem Tod des Direktor Carl 1854 übernimmt Nestroy offiziell die Leitung des Carl-Theaters. 1857 "Umsonst". 1859 erwirbt er eine Villa in Ischl und ein Stadthaus in Graz, wohin er 1860 übersiedelt. Nach einem Come-Back in Wien 1862, mit "Frühere Verhältnisse" und "Häuptling Abendwind", stirbt er schon am 25. Mai in Graz, von wo er nach Wien überführt und beigesetzt wird, wird aber 1881 exhumiert und im Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Nestroy hat rund 880 Rollen gespielt und über 70 Stücke geschrieben. DER REGISSEUR GOTTFRIED BREITFUß, geboren in Maishofen bei Zell am See, hat nach seiner Schauspielausbildung am Mozarteum in Salzburg an verschiedenen Häusern wie Residenztheater München, Schiller-Theater Berlin, Freie Volksbühne Berlin und Theater Basel, sowie in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Von 1993 bis 2005 war er im festen Engagement am Staatstheater Stuttgart, wo er zahlreiche Hauptrollen spielte und einige Produktionen, darunter auch "Im weißen Rössl" sowie Nestroys "Lumpazivagabundus", selbst inszenierte. Seit Juli 2005 ist er fest am Schauspielhaus Zürich engagiert. In Graz präsentierte er in der Saison 2004/2005 erfolgreich Nestroys "Frühere Verhältnisse".Mit seinem Soloprogramm "Meschugge - wie immer", Liedern von Georg Kreisler und eigenen Texten, ist er wiederholt auf der Ebene 3 des Schauspielhauses zu Gast. Inszenierung Gottfried Breitfuß ~ Bühne und Kostüme Jessica Rockstroh ~ Musik Till Löffler Kauz, ein Spekulant Ernst Prassel ~Frau von Erbsenstein, Kornhändlerswitwe, seine Nichte Susanne Weber ~ Herr von Gigl, ihr Bräutigam, entfernt mit Kauz verwandt Dominik Warta ~ Schnoferl, Winkelagent Franz Solar ~ Knöpfel, ein Pfaidler, Witwer Erik Göller ~ Peppi, seine Tochter Natascha Shah ~ Madame Storch, Knöpfels Schwester, Witwe Ute Radkohl ~ Rosalie, Nähterin und Verwandte von Knöpfels verstorbener Frau Andrea Wenzl ~ Sabine, Nähterin und Verwandte von Knöpfels verstorbener Frau Ninja Reichert ~ Thekla, eine Stickerin Katharina Knap ~ Nannette, Stubenmädchen der Frau von Erbsenstein Carola Gartlgruber Premiere am 25. November 2005 im Schauspielhaus.