14 Biografie und Entstehungsgeschichte 2 Zur Entstehung des Stücks Die Ratten wurden im Frühjahr 1909 in Sestri Levante und Portofino begonnen und zunächst im Sommer 1910 in Agnetendorf beendet. Im September 1910 entschloss sich Hauptmann, den Schlussakt zu ändern. Diese Arbeit zog sich bis in den Oktober hin. Im Januar 1911 erschien die Buchausgabe, die Uraufführung fand am 13. Januar 1911 im Lessing-Theater in Berlin statt. Im Lessing-Theater am Friedrich-Karl-Ufer in Berlin (Fotografie um 1910) wurden einige Stücke Gerhart Hauptmanns uraufgeführt, darunter Vor Sonnenaufgang (1889), Und Pippa tanzt! (1906) und Die Ratten (1911). Der 1888 fertiggestellte neoklassizistische Bau ist im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach nicht wieder aufgebaut worden. Hauptmann hat die Entwürfe zu dem Stück immer wieder überarbeitet. Rudolf Ziesche (siehe Literaturverzeichnis) konnte von 1907 bis zur letzten Korrektur 16 Arbeitsphasen nachweisen. Lange schwankte Hauptmann zwischen vier und fünf Akten. Auch die Entscheidung über das Ende von Frau John – Irrsinn oder Selbstmord – fiel ihm schwer. Manche Inhaltsteile wurden erst spät unter dem Eindruck persönlicher Leiderfahrungen 2 Zur Entstehung des Stücks 15 geändert. Selbst zwischen dem Druck der Buchausgabe und der Uraufführung kam es noch zu Korrekturen. Die im Folgenden skizzierten Einflüsse lassen am konkreten Fall erkennen, wie unterschiedliche Elemente über einen langen Zeitraum hinweg (1884 –1911) langsam zu einem Ganzen zusammenwuchsen. Erinnerungen an Berlin Wie in vielen seiner Werke hat der Autor auch in den Ratten Dichtung und Wahrheit vermischt. Verschiedene persönliche Erlebnisse wurden aufgenommen und verarbeitet. Manche von ihnen gehen bis in das Jahr 1884 zurück, als Hauptmann zum Studium nach Berlin zog. Dort faszinierten ihn das pulsierende Leben der großen Stadt, das Zusammentreffen mit aufgeschlossenen jungen Schriftstellern, das Theater und der Wunsch, selbst Schauspieler zu werden. In seinem autobiografischen Werk Das Abenteuer meiner Jugend bekennt Hauptmann: Weil sich Berlin wie ein ungeheurer, rätselhafter, düsterer Wirbel vor meine Seele gedrängt hatte, zog es mich unwiderstehlich dorthin. Dort mußte man schwimmen, kämpfen, bestehen lernen: oder man mochte untergehen. (S. 565) Zunächst ließ er sich treiben, durchzechte mit Freunden manche Nächte, besuchte Konzerte und vor allem Klassiker-Aufführungen im Deutschen Theater. Von Erkner aus, wohin er im September 1885 übergesiedelt war, fuhr er mehrmals wöchentlich in die Metropole. In einem am 15. September 1910 erschienenen Interview im Berliner Lokalanzeiger weist Hauptmann ausdrücklich auf die Bedeutung der Stadt in den Ratten hin: Das ist eigentlich mein erstes Stück, das sich ausschließlich mit Berlin beschäftigt. Ich beginne damit einen größeren Zyklus von Berliner Dramen. Das ist eine alte Idee von mir; denn schon vor zwanzig Jahren wollte ich eine Serie von Stücken schreiben, deren Leitmotiv die gewaltige Entwicklung Berlins sein sollte. (zitiert nach: ED, S. 6)