Freitag · 28. September 2012 20 Uhr · Volkshaus Mythos Natur 100. Geburtstag von Jean Françaix (23.5.1912) Claude Debussy (1862-1918) Prélude à l’après-midi d’un faune Jean Françaix (1912-1997) »L’Horloge de Flore“ für Oboe und Orchester nach einem Gedicht von Mallarmé und Motiven des schwedischen Botanikers Carl von Linné Claude Debussy (1862-1918) »Nuages« und »Fêtes« (aus Nocturnes) Pause Zoltán Kodaly (1882-1967) »Epigramme« für Englischhorn und Streicher Lento Ohne Titel Ohne Titel Moderato Allegretto Andantino Con moto Ohne Titel Ohne Titel Claude Debussy (1862-1918) Iberia (aus »Images«) Par les rues et par les chemins Les parfums de la nuit Le matin d’un jour de fête Dirigent: GMD Marc Tardue Oboe und Englischhorn: Lajos Lencsés Der Dirigent Marc Tardue wurde als Sohn franko-italienischer Eltern in Amerika geboren. Er absolvierte das Peabody Conservatory in Baltimore und studierte anschließend Klavier und Dirigieren, darüber hinaus ist er ausgebildeter Gesangslehrer und Klavierbegleiter. Schon kurz nach Beendigung seiner Studien erhielt er von amerikanischen Choral-, Sinfonie- und Opernensembles Engagements als musikalischer Leiter und Chefdirigent. Von 1982 bis 1984 war Marc Tardue Chefdirigent der National Opera von Reykjavik, 1984 gewann er den internationalen Dirigentenwettbewerb »Concours International d’Execution Musicale Ernest Ansermet« (CIEM). 1985 übernahm er kurzfristig beim Ensemble Instrumentale de Grenoble Aufführungen der 9. Sinfonie von Beethoven und wurde sowohl vom Publikum wie auch den Musikern dermaßen umjubelt, dass das Orchester ihn umgehend zum Musikdirektor wählte. Unter seiner Leitung wurde das Repertoire des Klangkörpers um große Sinfonien sowie Chorund Opernwerke erweitert. Zwischen 1991 bis 2002 war Marc Tardue Chefdirigent des Sinfonieorchesters des Theaters Biel (Schweiz), von 1999 bis 2007 Chefdirigent des Orquestra Nacional do Porto (Portugal), seit 2010 ist er Künstlerischer Leiter und Musikdirektor der Oper Schenkenberg (Schweiz). Als gern gesehener Gastdirigent arbeitet er mit renommierten Orchestern im In- und Ausland zusammen. Für seine künstlerischen Leistungen wurde Marc Tardue mit vielen Preisen und Auszeichnungen geehrt, u.a. erhielt er 1989 den französischen Kulturorden „Chevalier des Arts et des Lettres“ und 2004 die »Medalha de Mérito Cultural«, eine der höchsten Ehrungen Portugals. Der Solist »Lajos Lencsés ist einer der großen Oboisten unserer Zeit« – schrieb die französische Fachzeitschrift Diapason 1990 anlässlich der Auszeichnung einer Aufnahme mit dem prestigeträchtigen »Diapason d’Or« Preis. Lencsés wurde 1943 in Dorog/ Ungarn geboren. Er studierte am Bartók-Konservatorium und an der Musikakademie in Budapest, wo er 1966 sein Diplom mit Auszeichnung erhielt. Anschließend studierte er am Conservatoire de Paris und bei Pierre Pierlot. Die Philharmonia Hungarica verpflichtete ihn 1967 als Solo-Oboisten. Seine internationale Karriere begann 1968, als er erster Preisträger des Internationalen Musikwettbewerbs in Genf wurde, was ihm das Tor zum internationalen Musikleben öffnete. Er hat mit großem Erfolg unter anderem in Budapest, Paris, Basel, Lissabon, Athen, Köln und Hamburg gespielt. Sein aufsehenerregendes Debüt in Berlin hatte Lencsés 1971, wo er mit dem Radio-SymphonieOrchester Berlin das Oboenkonzert von Richard Strauss spielte. Zahlreiche Aufnahmen entstanden mit ihm in Deutschland beim SFB und RIAS Berlin, WDR Köln, SWF Baden-Baden, SDR Stuttgart, in Österreich beim ORF und in Frankreich beim Radio France; auch beim Fernsehen ist er häufiger Gast. Zahlreiche Oboenkonzerte und Kammermusikwerke wurden von ihm auf CD eingespielt. Sein Repertoire, das vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik reicht, bekommt einen besonderen Akzent durch Werke aus seiner Heimat. Lajos Lencsés ist seit 1971 Solo-Oboist des Radio-Symphonie-Orchesters Stuttgart. Für seine vielfältigen kulturellen Aktivitäten wurde er 2003 mit dem Ungarischen Ritterorden ausgezeichnet. Die Komponisten und ihre Werke Pan, du spielst im Waldesrauschen Erste Flötenmelodie. Laß uns nun dem Lichte lauschen, Das entzündet Debussy. So Stéphane Mallarmé in einem Claude Debussy gewidmeten Exemplar des Gedichts »L'Après-midi d'un faune«, nachdem Debussy das Gedicht in einer Komposition voller Expressivität und Transparenz des Klangs verarbeitet hatte. Die Natur mit all ihren Facetten steht dabei im Mittelpunkt. Somit ist die Komposition Ausgangspunkt für eine musikalische Reise zu den unterschiedlichsten Naturstimmungen, zum Mythos Natur. Claude Debussys Kompositionen lassen sich nur sehr schwer fassen und einordnen. Begriffe wie Impressionismus oder Symbolismus bieten eine erste Orientierung, treffen jedoch nicht den Kern. Debussy selbst hat sich hiervon deutlich distanziert, indem er äußert: »Mir sind einige Töne aus der Flöte eines ägyptischen Hirtenknabens lieber, er gehört zur Landschaft (...). (...) Die Musiker hören nur die Musik, die von geschickten Händen geschrieben ist, niemals aber die Musik, die in der Natur lebt.« Seine Komposition über Tagträume und Leidenschaften eines Faun - Prélude à l'après-midi d'un faune - greift diesen Aspekt deutlich auf und spiegelt sich in der von Flöten- und Harfenklängen geprägten Musik wider. Inspiriert von Stéphane Mallarmés Gedicht »L'après-midi d'un faune«, - Mallarmé verarbeitet hierin die Impressionen eines Bildes von Francois Boucher, - greift es die dem Gedicht inne wohnende suggestive Atmosphäre auf. Debussy verschleiert die Grundtonart, wechselt häufig die Taktart und vermeidet es, sich auf eine konkrete Form festzulegen - die Geschichte wird somit nicht nacherzählt, sondern vielmehr "gemalt" und "dargestellt". Die Klangfolge rückt gegenüber der klassischen Themenentwicklung in den Vordergrund. Kern der Komposition ist ein viertaktiges Flötenthema, welches zehnmal wiederkehrt, jeweils in leicht veränderter Form, und von anderen Instrumenten aufgegriffen wird. Debussy zielt hierbei auf die Veränderlichkeit der Natur. Die Tonsprache ist dabei voller Transparenz und Weichheit, geprägt durch die Flöte, Holzbläser und Celli. Im Programmheft der Uraufführung vermerkt Debussy: »Es sind wechselnde intime Schauplätze, in deren Stimmung sich Verlangen und Träume des Faun ergehen, in der Wärme dieses Nachmittags. Dann überlässt er sich, müde der Jagd auf die furchtsam fliehenden Nymphen und Najaden, dem berauschenden Schlummer, voll endlich erfüllter Traumgelüste, im Vollbesitz der allumfassenden Natur.« In ein musikalisch ideales Umfeld hineingeboren, wächst Jean Françaix ganz selbstverständlich mit Sängern, Komponisten und Instrumentalisten auf: Seine Mutter ist als Sängerin und Leiterin eines bedeutenden Chores in Le Mans und sein Vater als Pianist und Komponist tätig und im überregionalen Umfeld bekannt und sehr angesehen. So verwundert es nicht, dass die erste Komposition, ein Klavierwerk, bereits im Alter von sechs Jahren entsteht und auf das überdurchschnittliche Talent des Jungen hinweist. Dieser selbstverständliche und unbekümmerte Umgang mit Musik, ihren Strukturen und Gegebenheiten werden sich im gesamten Schaffensprozess Françaixs widerspiegeln und sind Grundlage für seine Fähigkeit, komplexe Werke zu durchschauen und eigene zu erschaffen. Seine autodidaktischen Fähigkeiten finden ihre Ergänzung durch Studien in Le Mans sowie am Pariser Konservatorium unter Isidore Philipp und Nadia Boulanger, zu deren Lieblingsschüler er avanciert. Hochrangige Persönlichkeiten des Pariser Musiklebens stehen auf seiner Fördererliste und verhelfen ihm zu nationalem und internationalem Bekanntheitsgrad. Zahlreiche Ehrungen im In- und Ausland zeugen von seinem Erfolg: Unter anderem der »Prix Portique« (1950), die »Mainzer Gutenberg-Plakette« (1982), der »Grand Prix »Arthur Honegger« (1992) und der »Grand Prix SACEM de la musique symphonique« (1992). Immer wieder erregt er durch seine extrem komplexen und komplizierten Kompositionen, die technischen Anspruch, Virtuosität, einprägsame Melodik, Balance und Ausgewogenheit, Witz, Ironie, Charme und Formgefühl in einzigartiger Art und Weise verbinden, besondere Aufmerksamkeit. Am 23. Mai 2012 wäre Jean Françaix 100. Jahre alt geworden. »L'Horloge de Flor« (die Blumen- oder Blütenuhr) für Oboe und Orchester ist eine siebensätzige Suite voll von Poesie und anrührender Klangdichte - den Blumen im Stundenablauf des Tages und der Nacht gewidmet. Ihr liegt ein Gedicht von Stéphane Mallarmé zu Grunde, welches wiederum eine Idee des Botanikers Carl von Linné aufgreift. Françaix stellt die Blumen in der Reihenfolge, in der sie im Tagesablauf erblühen, musikalisch vor. Er verarbeitet Tanzrhythmen wie den Rumba, indische Tablafiguren und lässt zum einen das gesamte Orchester majestätisch, aber auch Soloinstrumente wie die Klarinette grazil erklingen, und präsentiert die bunte Vielfalt und Schönheit der Natur. Claude Debussys erste mehrteilige Orchesterkomposition Nocturnes entstand in den Jahren 1897 bis 1899; zeitgleich zu der Oper »Pelléas et Mélisande«. Am heutigen Abend erklingen die ersten beiden Stücke der Komposition. Zunächst als Violinfassung für den Violinisten Eugène Ysaye bestimmt und als eine Art von Farbstudie geplant, entschließt sich Debussy während des Schaffensprozess’ dazu, das Tryptichon sinfonisch anzulegen. Nocturnes stellen den Höhepunkt des orchestralen Schaffens in Debussys erster Schaffensperiode dar. Eine enorme harmonische Dichte ermöglicht es dem Komponisten auf große Themenbildungen zu verzichten. Über sein Werk äußert er sich wie folgt: »Der Titel »Nocturnes« ist hier im allgemeineren und vor allem dekorativeren Sinn zu verstehen. Er soll also nicht die Standardform Nocturne bezeichnen, sondern die verschiedenen Impressionen und besonderen Lichteffekte, die das Wort andeutet. »Nuages«: Das ist das ewige Bild des Himmels mit dem langsamen und melancholischen Zug der Wolken, um dann in Grautönen mit einem Anflug von Weiß zu ersterben. »Fêtes«: Das ist die Bewegung, der tanzende Rhythmus der Atmosphäre mit dem plötzlichen Aufflammen greller Lichter; darin auch die Episode einer Prozession (eine grelle, spukhafte Vision); der Zug durchquert das Fest und verliert sich dann in ihm. Aber die Hauptsache bleibt dabei immer das Fest mit seinem Gewoge aus Musik und tanzenden Lichtern, das am kosmischen Rhythmus teilhat. « In Nuages kontrastiert Debussy zwei Themen: ein langsames, welches gleich zu Beginn erklingt, sowie ein weiteres Motiv, leichter und glamouröser gestaltet, welches von den Flöten und Harfen eingeführt wird. Typisch für das gesamte Werk sind dabei das farbige Kolorit sowie ein ausgebreiteter Streicherteppich. Der raffinierte Einsatz des Schlagwerks kennzeichnet den zweiten Teil »Fêtes«. Debussy zeichnet nicht nur den ausgelassenen und tänzerischen Charakter eines Festes nach, sondern beschreibt parallel hierzu eine Traumwelt. Nach den Worten Béla Bartóks spiegelt sich der ungarische Geist am vollkommensten in den Werken Zoltán Kodálys wider. Bereits während seiner Schulzeit bringt er sich die musikalischen Grundlagen selber bei, studiert jedoch danach auf Wunsch seiner Eltern Sprachwissenschaften. Erst später erhält er bei Hans Koessler und Viktor Herzfeld Kompositions- und Musiktheorie-Unterricht. Als Lebensaufgabe kristallisiert sich die detaillierte Auseinandersetzung mit den Wurzeln seiner ungarischen kulturellen Tradition heraus; in seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dem ungarischen Volkslied und sammelt mehrere tausend Volkslieder, die er wiederum in seinen Kompositionen verarbeitet. Kodálys »Epigramme« - im Jahre 1954 ursprünglich für Stimme und Klavier und für Studienzwecke entstanden - können von fast jedem Instrument adaptiert werden. Im heutigen Fall steht das Englischhorn im Mittelpunkt und wird von Streichern begleitet. In neun kurzen Stücken voller Ernsthaftigkeit, Heiterkeit, Gefühl sowie dezenter polyphoner Imitation zwischen Melodie und Begleitung, integriert Kodály in beeindruckender Art und Weise seine ungarischen Wurzeln, welche in der Musik geradezu zu verschmelzen scheinen. Die Idee einer Komposition für Klavier zu vier Händen stand am Beginn der Arbeiten Claude Debussys an seinem Werk Images, letztendlich bestehend aus einem Tryptichon für Orchester. 1908 beendete er die Arbeiten am zweiten Satz Iberia, in dem Debussy den spanischen Lokalkolorit abbildet mit Kastagnetten, Tambour, Xylophon, Celesta und Glocken. Iberia ist ein Tryptichon im Tryptichon, gliedert es sich doch in drei Abschnitte: »Auf Straßen und Wegen«, »Düfte der Nacht« und »Der Morgen eines Festes«. Unruhig und voller Bewegung gestaltet sich der Beginn in Rondeauform mit Pizzicato-Streichern, markantem Rhythmus und teilweise schrillen Einwürfen, zum Beispiel durch die Klarinette. Erst eine sehnsuchtsvolle Melodie im Englischhorn bringt mit einem mehrfach wiederkehrenden Walzermotiv Beruhigung. Der lyrische Mittelteil evoziert eine drückende, nach Blumen duftende Sommernacht. Ein Habanera-Motiv, welches sich an den ersten Teil anlehnt eröffnet die »Düfte der Nacht«. Der musikalische Ton gleitet in Dunst und Mond durschienenen Nebel - weit entfernt erklingt das Horn als Rückgriff auf das Klarinettenmotiv. Debussy kreiert eine faszinierende harmonische Spannung voller Schönheit, die mit Worten nicht zu beschreiben ist. Xylophon-Klänge zeugen von Leidenschaft und Sommerzauber. Gedämpfte Streicher verkünden den Morgen. Feierliches Glockenläuten paart Debussy mit marschartigen Rhythmen und einem Posaunenchoral. Ein letzter Rückgriff auf das melancholische Thema des ersten Teils leitet das Ende von »Der Morgen eines Festes« ein, welches in ausgelassenem Trubel eines spanischen Volksfestes gipfelt - alles ist Gesang, Rhythmus und Sommer. Text: Markus Pietrass