VDD Risikofaktor erhöhter Blutdruck Mit Ernährungs- und Lebensstiländerungen gegensteuern1 Hypertonie gilt als einer der wesentlichen Risikofaktoren für Schlaganfall und koronare Herzkrankheit. Schätzungsweise 25 Millionen Menschen in Deutschland leiden an essentiellem Bluthochdruck, also erhöhten Blutdruckwerten ohne organische Ursache. Obwohl somit rund 30 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, lässt die medizinische Behandlung zu wünschen übrig. Nur zirka 7 Prozent der Hypertoniker erhalten laut Daten aus dem Bundesgesundheitssurvey eine adäquate Therapie und befinden sich in ärztlicher Kontrolle. Dabei belegen Studien, dass bereits ein um 3–5 mmHg reduzierter Blutdruckwert das Herzinfarktrisiko um 10 Prozent senkt, das Schlaganfallrisiko sogar um 15 Prozent. Weltweit sind sich die Experten einig: Je niedriger der Blutdruck, desto besser für Herz und Kreislauf. Nach WHOKlassifikation gilt ein Zielwert von 130/85 mmHg (normaler Blutdruck) oder noch besser von 120/80 mmHg (optimaler Blutdruck). Vor allem Personen mit weiteren Herz-KreislaufRisikofaktoren wie Diabetes mellitus, Nieren-, Herz- oder Hirnerkrankungen sollten den Optimalwert anstreben, da sie bereits durch die Primärkrankheiten stärker gefährdet sind. Übersteigt der in Ruhe gemessene Blutdruck an zwei unterschiedlichen Tagen den Normalwert, liegt bereits eine Hypertonie vor (s. Tab. 1). Je früher erhöhte Werte wieder auf ein gesundes Niveau sinken, umso besser. Denn mit der Zeit „gewöhnen“ sich die Gefäße an den Druck. Die Folge: Der Blutdruck pendelt sich auf einem immer höheren Niveau ein. Herz-Kreislauf-Vorsorge nutzen Erhöhter Blutdruck wird von den Betroffenen in aller Regel lange kaum oder gar nicht bemerkt. Häufig machen sich erst deutlich erhöhte Werte mit Anzeichen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Flimmern vor den Augen oder Nasenbluten bemerkbar. Viele Patienten erfahren nur rein zufällig im 1 Nach dem Satellitensymposium „Risikofaktoren erhöhter Blutdruck – Mit Ernährungs- und Lebensstiländerungen gegensteuern“ anlässlich des 1. Gemeinsamen Bundeskongresses „Kompetenz in Ernährung“ von BDEM, VDD und VDOE im April 2006 in Wolfsburg 320 Rahmen einer Routineuntersuchung von ihrem erhöhten Blutdruck. Umso wichtiger ist es, den regelmäßigen Gesundheits-Check wahrzunehmen, den die gesetzlichen Krankenkassen ab dem 35. Lebensjahr anbieten. Denn Bluthochdruck trifft keinesfalls nur Ältere. Bereits in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen leiden 35 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen an einer Hypertonie. Blutdruck effektiv senken Die Behandlung von Bluthochdruck steht auf zwei Säulen: Ernährungsund Lebensstiländerungen und medikamentöse Maßnahmen. Gerade bei hoch normalen oder leicht erhöhten Messergebnissen reicht eine konsequente Umstellung des Lebensstils oft schon aus, um die Werte wieder in den Zielbereich zu bringen. Bei mittelschwerer und schwerer Hypertonie geht es jedoch nicht mehr ohne Medikamente. Dennoch können sinnvolle Eigenmaßnahmen nachgewiesenermaßen den Effekt der Arzneimittelthe- rapie verbessern bzw. den Bedarf an blutdrucksenkenden Mitteln niedrig halten oder reduzieren (Tab. 2). „Allerdings landet dieses Wissen viel zu selten oder nicht nachhaltig genug bei den Betroffenen“, bedauerte Dr. oec. troph. Claudia LAUPERT-DEICK auf dem Satellitensymposium „Risikofaktor erhöhter Blutdruck – mit Ernährungsund Lebensstilfaktoren gegensteuern“ im Rahmen des 1. Bundeskongresses des VDD, BDEM und VDOE (Abb. 1). Ziel sei es, Patienten zu einer Verhaltensänderung zu motivieren, damit die empfohlenen Maßnahmen im Alltag auch umgesetzt werden. Richtig ernähren, viel bewegen, nicht rauchen Eine herzgesunde Lebensweise ist denkbar einfach, auch wenn sie manchem schwer fallen mag. Das A und O dabei sind: ■ Ernährungsumstellung, ■ körperliche Bewegung und ■ Nikotinverzicht. Tab. 1: Blutdruckbereiche (nach WHO) Klassifikation systolisch (mmHg) diastolisch (mmHg) optimal <120 <80 normal <130 <85 hochnormal 130–139 85–89 milde Hypertonie 140–159 90–99 mittelschwere Hypertonie 160–179 100–109 schwere Hypertonie >180 >110 Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 8 VDD Ernährungsumstellung das Nervensystem – vor allem jene Teile, die für die Blutdrucksteigerung verantwortlich sind (Renin-AngiotensinAldosteron-System, Sympathikus-System). Bei schätzungsweise jedem zehnten Hochdruckpatienten machen Wissenschaftler Alkohol für die hohen Werte verantwortlich, nach Übergewicht steht er damit auf Platz zwei der Ursachen für eine essentielle Hypertonie. Bei regelmäßigem Konsum von täglich mehr als 30 Gramm Alkohol (= ca. zwei Gläser Wein à 0,2 Liter oder 3 Gläser Bier à 0,3 Liter) steigt der systolische Druck pro 10 Gramm Alkohol um 1–2 mmHg und der diastolische um 1 mmHg. Übergewichtige Hypertoniker und Patienten mit schwer einstellbarem Bluthochdruck sollten ganz auf alkoholische Getränke verzichten. Den hohen Stellenwert eines blutdrucksenkenden Ernährungskonzepts beweisen die Ergebnisse aus der DASH-Studie (Dietary Approaches to Stop Hypertension). Die daraus abgeleiteten Empfehlungen zielen auf Gewichtsreduktion, Fettreduktion/-modifikation, wenig Alkohol, nicht zu viel Salz, reichlich Obst und Gemüse sowie Vollkorn- und fettarme Milchprodukte (s. praktische Tipps). Gewichtsreduktion Zahlreichen Studien zufolge wiegen mehr als 40 Prozent aller Hypertoniker zu viel. Eine Gewichtsreduktion senkt in diesen Fällen den erhöhten Blutdruck signifikant ab und zwar zwischen 5 und 20 mmHg pro 10 kg Gewichtsverlust. Die wichtigste Empfehlung für Blutdruckpatienten mit Übergewicht lautet daher: Normalgewicht anstreben (BMI 20–25 kg/m2) – am besten mit einer vollwertigen, fettreduzierten und fettmodifizierten, ballaststoffreichen Mischkost mit etwa 1 200 bis 1 500 Kilokalorien täglich. Fettreduktion/-modifikation Eine ebenfalls entscheidende Rolle spielen die Fette. Gleich mehrere Untersuchungen belegen, dass eine eingeschränkte Gesamtfett- (also nicht mehr als 25 bis 30 Energieprozent) und Cholesterinzufuhr, kombiniert mit einer Fettmodifikation, den systolischen und diastolischen Blutdruck ebenfalls signifikant senkt. Eine blutdruckoptimierte Fettzusammensetzung liefert möglichst wenig gesättigte Fettsäuren, dafür aber reichlich mehrfach ungesättigte Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, zum Beispiel aus Pflanzenöl, fettmodifizierter Diätmargarine und fettreichem Seefisch. Weniger Kochsalz Kontrovers diskutieren Experten hingegen das Thema Kochsalzzufuhr. Für die Ergebnisse aus der INTERSALTStudie, die eine reduzierte Natriumausscheidung und eine Blutdrucksenkung bei verminderter Natriumzufuhr nachweist, spricht mittlerweile ein genetischer Erklärungsansatz. Offensichtlich sind verschiedene Gene für diesen Wirkzusammenhang verantwortlich. Manche Hochdruckpatienten reagieren dementsprechend salzsensitiv, bei anderen wiederum wirkt Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 8 Abb. 1: Claudia Laupert-Deick erklärte den Zuhörern wie man den Blutdruck effektiv senken kann. sich die Kochsalzzufuhr kaum auf den Blutdruck aus. Eine streng natriumarme Kost gehört für Hypertoniker inzwischen längst der Vergangenheit an, es empfiehlt sich jedoch zumindest eine mäßig kochsalzarme Ernährung mit maximal 6 Gramm Kochsalz pro Tag. Vitamin- und mineralstoffreich genießen Reichlich Obst und Gemüse liefern Hypertonikern den für sie besonders wichtigen Mineralstoff Kalium, der unter anderem die Entspannung der Blutgefäße fördert. Auch Magnesium, Calcium und die Vitamine C, E und B wirken sich offenbar positiv auf den Blutdruck aus, so dass neben reichlich Obst und Gemüse auch Vollkornprodukte und fettarme Milchprodukte auf den täglichen Speiseplan von Bluthochdruckpatienten gehören. Alkohol nur in Maßen Ebenfalls nur in Maßen und keinesfalls regelmäßig sollten Bluthochdruckpatienten alkoholische Getränke konsumieren. Denn Alkohol stimuliert Milchpeptide zur Blutdrucksenkung Fettarme Milchprodukte machen in den Ernährungsempfehlungen für Hypertoniker aber nicht nur als wert- Tab. 2: Ernährungs- und Lifestylemaßnahmen und ihre Auswirkungen auf den Blutdruck Maßnahme Blutdrucksenkung (mmHg, systolisch) Gewichtsreduktion bei Übergewicht; Ziel: Normalgewicht 5–20 pro 10 kg Gewichtsverlust Natriumrestriktion (max. 2 g pro Tag, Natrium-Kalium-Verhältnis beachten) 2–8 Körperliche Aktivitäten (ca. 30 Minuten, möglichst täglich) 4–9 DASH-Ernährungsplan (spezielle Diät: reich an Obst, Gemüse, fettarmen Milchprodukten, geringe Gesamtfettzufuhr, arm an gesättigten FS und Cholesterin) 8–14 erhöhte Zufuhr an Mineralstoffen und Vitaminen (Kalium, Calcium, Magnesium, Vitamin C, E und B-Vitamine) 0–4 eingeschränkter Alkoholkonsum (täglich max. 2 Drinks für Männer, 1 Drink für Frauen) 2–4 tägliche Aufnahme von bestimmten Milchpeptiden 2–7 Anmerkung: Mehrere Änderungen des Ernährungs- und Lebensstils wirken nicht unbedingt additiv. Die Wirkung ist bei Hypertonikern größer als bei Personen mit normalem Blutdruck. Quelle: modifiziert nach: 7. Report des Joint National committee on Prevention, Detection, Evaluation und Treatment of High Blood Pressure 321 VDD volle Calciumlieferanten Sinn. Im Rahmen des DASH-Projekts konnte für fettarme Milchprodukte ein Blutdruck senkender Effekt nachgewiesen werden. Eine spezifische Wirkung auf den Blutdruck wird Milchpeptiden zugeschrieben, die durch enzymatische Spaltung oder Fermentierung der Milch, z. B. mit Lactobacillus helveticus, entstehen. „Die Wirkung entfaltet sich wahrscheinlich über einen ACEHemmer-ähnlichen dämpfenden Effekt auf das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, wie im Tierversuch gezeigt werden konnte“, erläuterte Prof. Dr. Martin MIDDEKE vom Blutdruckinstitut München auf dem Symposium. Erste kontrollierte Studien an Hypertonikern sind vielversprechend. Zurzeit laufen weitere Untersuchungen, die den Nutzen spezieller Produkte mit angereicherten bioaktiven Milchpeptiden (Laktotripeptide) als dauerhafte nichtmedikamentöse Maßnahme zur Behandlung der leichten Hypertonie oder auch als Ergänzung zur Arzneimitteltherapie bestätigen sollen. Mehr Bewegung Das zweite wichtige Standbein der nicht medikamentösen Blutdruckbehandlung heißt „körperliche Aktivitäten“. Ein vernünftig zusammengestelltes Ausdauersportprogramm trägt wesentlich zur Verbesserung der Werte Tipps für Menschen mit erhöhtem Blutdruck ■ Lassen Sie Ihren Blutdruck regelmäßig messen. ■ Achten Sie auf Ihr Gewicht: Halten Sie Ihr Normalgewicht oder reduzieren Sie Ihr Gewicht, wenn Sie übergewichtig sind. ■ Versuchen Sie, Ihren Kochsalzverbrauch zu reduzieren. Verwenden Sie statt Kochsalz Kräuter und Gewürze. Vermeiden Sie das gewohnheitsmäßige Nachwürzen bei Tisch. Verzichten Sie auf stark gesalzene Nahrungsmittel, z. B. gepökelte Fleisch- und Wurstwaren wie Schinken, Kassler und Salami, Sojasauce und salzige Knabbereien. ■ Essen Sie täglich fünf Portionen Obst und Gemüse. ■ Verzehren Sie mehrmals täglich Vollkornprodukte wie Vollkornbrot, Naturreis, Haferflocken oder Müsli. ■ Der sparsame Umgang mit tierischen Fetten ist besonders wichtig. Essen Sie nur mageres Fleisch und schneiden Sie sichtbares Fett ab, entfernen Sie die Haut vom Geflügel. Vorsicht auch bei versteckten Fetten: Fleisch- und Wurstwaren, Milchprodukte, Käse, Gebäck und Knabbereien liefern häufig viel Fett – insbesondere gesättigte Fettsäuren. Ausnahme ist fetter Seefisch, davon sollten es wegen der günstigen Omega-3-Fettsäuren 1 bis 2 Portionen in der Woche sein. ■ Verwenden Sie zum Kochen, Braten und Backen Pflanzenöle oder -fette mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren (z. B. Raps-, Maiskeimöl, Diät-Pflanzenfett und -öl). ■ Benutzen Sie als Streichfett eine hochwertige Diätmargarine, die durch ihre Zusammensetzung (fettmodifiziert, streng natriumarm) ideal für eine gesunde Ernährung in Bezug auf Herz und Gefäße geeignet ist. ■ Müssen Sie Ihren Cholesterinspiegel senken, können Ihnen mit Pflanzensterinen angereicherte Lebensmittel helfen. ■ Genießen Sie Alkohol nur in Maßen. Hier gilt: nicht mehr als ein Drink pro Tag für Frauen und maximal zwei Drinks für Männer. ■ Geben Sie das Rauchen auf. ■ Sorgen Sie für mehr Bewegung, schon 30 Minuten körperliche Aktivitäten pro Tag reichen aus. Fahrrad fahren, Laufen oder zügiges Spazierengehen sind nicht nur gesund, sondern machen auch Spaß! ■ Vermeiden Sie Stress und versuchen Sie regelmäßige Ruhe- und Entspannungspausen einzuplanen. 322 bei, stärkt das Herz und wirkt sich positiv auf weitere Risikofaktoren aus: Stresshormone bauen sich schneller ab, der Glucosestoffwechsel wird optimiert, das HDL-Cholesterin steigt und der Abbau von Übergewicht fällt deutlich leichter. Optimal: ein möglichst tägliches 30-minütiges moderates Herz-Kreislauf-Training bei niedriger Pulsfrequenz. Dadurch können die Blutdruckwerte um 4–9 mmHg sinken. Vor allem Rad fahren, schwimmen, joggen, walken, wandern, rudern oder Skilanglauf eignen sich gut für Hochdruckpatienten. Aktivitäten über 45 Minuten kurbeln zudem die Fettverbrennung besonders effektiv an. Ballsportarten, Kraft- oder Wettkampfsport sind hingegen nur etwas für gut eingestellte Patienten und sollten erst nach Rücksprache mit dem Arzt begonnen werden. Nikotinverzicht Rauchen beeinflusst zwar weniger den Blutdruck, erhöht jedoch das kardiovaskuläre Risiko dramatisch. Denn Nikotin beschleunigt den Herzschlag und verengt die Blutgefäße. Die Folge: Die Sauerstoffversorgung des Körpers und damit auch des Herzens verschlechtert sich. Gleichzeitig lässt das Alkaloid die Blutplättchen leichter verklumpen und erhöht so die Thrombosegefahr. Zusammen mit Kohlenmonoxid schädigt Nikotin die Gefäßinnenwände und fördert dadurch arteriosklerotische Ablagerungen. Auch auf den Fettstoffwechsel direkt nimmt der blaue Dunst Einfluss: Raucher haben in der Regel höhere LDL- und niedrigere HDL-Cholesterinwerte. Herzenssache Lebensstil Noch immer aber unterschätzen Hochdruckpatienten den Effekt von Lebensstiländerungen auf den Blutdruck und die Herz-Kreislauf-Gesundheit generell. Im Rahmen einer entsprechenden Patientenberatung kann daher gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden. Genau daran mangelt es derzeit aber noch: Das vorhandene Wissen wird nicht ausreichend an die Patienten weitergegeben. Und so fehlt ihnen oft die Motivation zur mit Abstand nebenwirkungsärmsten Blutdruckbehandlung: herzgesund leben. Susanne Koch, Hamburg Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 8