archiv - LHÖ – medizin ALTERSVERÄNDERUNGEN

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ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
archiv - LHÖ – medizin
ALTERSVERÄNDERUNGEN - KRANKHEITEN
bei Menschen mit intellektueller Behinderung
1991 - 2005
THEMEN
HEFT
11
Inhalt:
Fachliteratur (Skripten)
Praxis
Seite
Seite
3
37
Zusammenfassung:
Dr. Maria BRUCKMÜLLER
LEBENSHILFE ÖSTERREICH
Wien 2008
[email protected]
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Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
FACHLITERATUR
BARTELS, 1982/ JANCAR, 1987/ TREBERT, 1991: Altersveränderungen bei
Menschen mit intellektueller Behinderung.
Seite 3
HAVEMAN, Meindert Jan: Zur Epidemiologie von psychischen Störungen
und Verhaltensstörungen. In: WEBER: Alt werden mit geistiger Behinderung. Bern 1997.
Seite 8
MOSS, Steve: Diagnostische Methoden in Zusammenhang mit psychischen Störungen bei älteren Erwachsenen mit intellektueller Behinderung.
Univ. of Manchester, Hester Adrian Research Center. Manchester UK 1995.
Seite 9
MOSS, Steve: Neuere psychodiagnostische Verfahren zur Erfassung psychischer Störungen bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung. In:
Weber: Psychische Störungen. Bern 1997. MB Wien 1998.
Seite 24
J.JANCAR: Konsequenzen der längeren Lebensdauer für Menschen mit
geistiger Behinderung. Stoke Park Hospital, Bristol. GERIATRIC MEDICINE
1988/ 81-87. Übers.: Bruckmüller/ Wurst 1988.
Seite 26
BRUCKMÜLLER, Maria: Psychische Störungen bei älteren Menschen mit
geistiger Behinderung. Untersuchung der LH Wien; Berichtsband über
IASSMD Tagung, Wien 1996.
Seite 33
DOSEN, Anton: Psychische Gesundheit bei älteren Menschen mit geistiger
Behinderung. In: Weber: Psychische Störungen. Huber Bern 1997. Seminarunterlagen Folien MB 1998.
Seite 35
PRAXIS
BRUCKMÜLLER, Maria: Geragogische Unterstützung alternder Menschen.
Folie. LHÖ Wien 2004.
Seite 37
TREBERT, Martin: Psychiatrische Altenpflege. Ein praktisches Lehrbuch.
Weinheim 1991. Bearb. MB 1993 LHÖ.
Seite 38
BABITS, Dr. Rudolf: Gesundheitsunterstützung. Maßnahmen. Wien 2005.
Seite 39
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BARTELS, 1982
JANCAR, 1987
TREBERT, 1991
ALTERSVERÄNDERUNGEN
BEI MENSCHEN MIT INTELLEKTUELLER BEHINDERUNG
BIOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN:
Die Haare werden grau oder immer weniger;
Die Haut wird schlaff und runzelig, es treten vermehrt Pigmentflecken auf;
Die Beweglichkeit ist eingeschränkt;
Die Knochen werden dünner (Osteoporose);
In den Gelenken verändert sich der Knorpel.
Häufig treten Arthrosen an Hüft- und Kniegelenken auf. Physikotherpeutische Maßnahmen (Kurzwelle, Ultraschall) können die Beschwerden lindern.
Die Betreuer müssen dafür sorgen, daß die alten Menschen genügend Bewegung machen (Seniorenturnen).
Mit zunehmendem Alter kommt es häufig zu Störungen des Stoffwechsels;,
Es kommt zur Verlangsamung der Zellteilung und damit zu einer Qualitätsverminderung der Zellen:
verzögerte Einstellung auf höhere körperliche Leistungsanforderungen;
verringerte Abwehrmöglichkeiten von Infektionen;
verminderte Fähigkeit des Konstanthaltens der Körpertemperatur;
verlängerte Rekonvaleszenz nach Krankheiten;
veränderte Reaktion auf Medikamente.
Altersveränderungen an den Organsystemen:
Ab dem 45.-50.Lebensjahr brauchen die meisten Menschen eine Brille,
weil die verminderte Anpassungsfähigkeit der Linse zur Alterssichtigkeit
führt.
Bei vielen Menschen machen sich in diesem Alter Veränderungen im Innenohr bemerkbar. Sinneszellen sterben ab. Es kommt zu Schwerhörigkeit, die im oberen Frequenzbereich beginnt und mit zunehmendem Alter
zu völliger Fehlhörigkeit führen kann.
Beim Atmungssystem wird der Anteil der elastischen Fasern des Lungengewebes geringer. Diese Veränderungen können bei alten Menschen relativ harmlose Erkrankungen, wie z.B. Bronchitis, chronisch werden lassen
oder zu lebensbedrohender Lungenentzündung führen.
Der Verdauungstrakt zeigt mit zunehmendem Alter immer dünner werdende Schleimhäute, die ihre Fähigkeit, Sekrete abzusondern oder Nahrungsstoffe aufzunehmen, verlieren. Die Flüssigkeitsregulation ist eingeschränkt, was zu "Austrocknung" und Verstopfung führt.
Das Gefäßsystem wird ebenfalls im Laufe des Lebens verändert. Durch
Einlagerungen an den Innenwänden engt sich das Volumen ein, die
Durchblutung ist gestört. Kommt es zu völligem Verschluß der Gefäße,
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kann das davon betroffene Gewebe absterben. In diesen Fällen handelt es
sich um krankhafte arteriosklerotische Veränderungen.
Bei chronischen Durchblutungsstörungen der Hirngefäße kommt es im
Laufe der Zeit zu geistiger Verwirrtheit (Demenz). Diese Demenz kann
auch durch Hirnabbauprozesse erfolgen und ist erkennbar an Störungen
der Merkfähigkeit (Kurzzeitgedächtnis), Verstimmungen, Kopfweh, Orientierungs- und Schlafstörungen.
Als Störung im endokrinen System sei die Zunahme von Zucker-krankheit
(Diabetes mellitus) genannt.
Zu erwähnen ist ferner die Zunahme von Magen- und Darmkrebs, wobei
Krebs auch als Todesursache hervortritt.
Bei all diesen Veränderungen ist die Unterscheidung zwischen normalen
Altersveränderungen und krankhaften Altersprozessen wichtig. Die Übergänge sind fließend, umso bedeutsamer ist die genaue Beobachtung durch
das Betreuungspersonal.
PSYCHSISCHE KRANKHEITEN:
Auch alte Menschen mit geistiger Behinderung können, abgesehen von
den geschilderten Altersveränderungen, im Alter von psychischen Krankheiten betroffen werden. Die Schwierigkeit der Diagnosestellung liegt in
den fließenden Übergängen zwischen einzelnen Krankheitsformen. Umso
wichtiger ist die genaue Beobachtung des alten Menschen und die Behandlung durch einen Hausarzt, der Veränderungen über Jahre hin beurteilen kann.
Demenzen und Verwirrtheitszustände:
Gemeinsames Merkmal ist die Störung der Merkfähigkeit und die allgemeine Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit. Bei Demenzen handelt
es sich um langanhaltende, progredient verlaufende Störungen, die nicht
heilbar sind. In diese Gruppe gehört die Demenz vom Alzheimer Typus.
Meist beginnt die Demenz mit leichter Vergeßlichkeit, die der alte Mensch
bemerkt und kompensieren möchte, um seine Identität zu bewahren. Mit
dem Schwinden der Erinnerung verliert er seine Geschichte; er muß immer weiter in die Vergangenheit zurückgreifen, um seiner selbst bewußt
zu werden. Dieses Verlusterlebnis kann zu emotionalen Ausbrüchen (Wut,
Zorn), aber auch zu Depression, Trauer und Ängsten führen. Hier sei auf
die Bedeutung der Dokumentation für alte geistig behinderte Menschen
hingewiesen.
Verwirrtheitszustände hingegen beeinträchtigen die Wahrnehmung, ändern innerhalb von Stunden oder Tagen ihren Verlauf, klingen spontan ab
und können in der Regel erfolgreich behandelt werden.
In dieser Situation kann ein Wohnungswechsel für alte Menschen katastrophale Folgen haben. Während in der vertrauten Umgebung dementielle
Erscheinungen oder Verwirrung wenig Ungemach bereiteten, findet sich
der alte Mensch in einer neuen Umgebung nicht zurecht; sein Zustand
wird als ernst empfunden, er wird u.U. für nicht zurechnungsfähig gehalten, isoliert, in der Bewegung eingeschränkt. Zornausbrüche werden als
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Folge der Krankheit und nicht als Folge der unangemessenen Lebensumstände bewertet. Besonders Menschen, die sich sprachlich nicht gut oder
gar nicht äußern können, sind bedroht.
Wahnhafte Störungen und Schizophrenie:
Wahnvorstellungen sind von Beeinträchtigungsvorstellungen, die sich gegen die eigene Person richten, geprägt: Verfolgung, Vergiftung, Bestehlung, Verarmung, Vernichtung, Mißtrauen und Feindseligkeit gegenüber
der Umwelt u.ä. Die Entstehung der Wahnidee läßt sich oft aufgrund der
Lebensgeschichte nachvollziehen (Verfolgung, Krieg, Armut). Je weniger
Kontakte ein Mensch hat, umso eher ist er diesen Gedanken ausgeliefert.
Der Betreuer sollte bei diesem "Wahnspiel" nicht mitmachen.
Gleichzeitig sind alle Sinneneindrücke zu verdeutlichen, um dem alten
Menschen Anhaltspunkte für seine Vorstellungen zu geben. Bei Wahnvorstellungen aufgrund anhaltender körperlicher Schmerzen ist auf die Bedeutung der Schmerzbehandlung hinzuweisen.
Auch bei der Schizophrenie bestehen Wahnvorstellungen, daneben können
aber
auch
Denkstörungen
und
Halluzinationen
auftreten.
Gefühlsäußerungen werden oft unangemessen. Hinzu können psychomotorische Störungen kommen, die bis zur Starre führen. Eine medikamentöse
Behandlung ist unerläßlich, um so weit als möglich Zugang zum kranken
Menschen zu finden.
Depression:
Depression ist ein individuell variantenreicher Prozeß, der sich von der
Traurigkeit dadurch unterscheidet, daß nicht ein aktuelles Ereignis bearbeitet und dann als erledigt betrachtet wird, sondern eine bedrückende
Mißstimmung auftritt und der Vorgang in vielfacher Ausprägung verläuft .
Die Krankheitsanzeichen sind fließend, die Lebensgeschichte wird einbezogen.
Symptome: sozialer Rückzug, Schlaflosigkeit, Hypochondrie, Appetitverlust, Angst, Unsicherheit, Entschlußlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, intensive Beschäftigung mit dem eigenen Körper, wobei mit körperlichen
Beschwerden besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung erreicht werden
soll. Depressive Menschen wirken ansteckend auf Personen ihrer Umgebung. Depression ist eine der häufigsten Alterserkrankungen, wird aber
kaum als solche diagnostiziert und angesprochen. Es besteht erhöhte Suizidgefahr. Zur Behandlung gehört die Einbindung des alten Menschen in
einen stabilen sozialen Bezugsrahmen und medikamentöse Behandlung,
ev. auch Psychotherapie.
PSYCHOSOMATISCHE STÖRUNGEN:
Alte Menschen bewerten besonders ihre körperliche Beweglichkeit und
sensorische Einschränkungen als bedeutsam. Empfindungen der Vereinsamung führen zu negativer Einschätzung des Gesundheitszustandes.
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten psychosomatischen Störungen
im Alter. Die nächtliche Schlafdauer nimmt ab. In der Regel reichen 6
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Stunden Schlaf für alte Menschen aus. Schlafstörungen sind daher häufig
die Folge einer unangemessen langen, erzwungenen Ruhezeit (Diensteinteilung, Essenszeiten). Hausmittel gegen Schlafstörungen sind Kräutertee,
warme Milch, Zuwendung u.ä.
Störungen im Magen- Darmbereich können organische, aber auch psychische Ursachen haben. Magengeschwüre bilden sich bei alten Menschen
eher kurzfristig aus.
Das Bemühen, Harn und Stuhl möglichst zu halten, hängt mit dem Bedürfnis nach Eigenständigkeit zusammen. Inkontinenz bedeutet für den
alten Menschen erhöhte Abhängigkeit und emotionale Belastung. Sie ist
mit Kindheitserfahrungen verbunden und sollte daher reflektiert werden
(Gefahren der Mißachtung, der Mißhandlung u.ä.).
Herz- Kreislaufstörungen entstehen sowohl durch psychischen Druck als
auch durch Verengung von Gefäßen, durch Durchblutungsstörungen oder
vorübergehenden Sauerstoffmangel. Das Risiko erhöht sich mit zunehmendem Alter (Cholesterinspiegel, Bluthochdruck).
PSYCHISCHE VERÄNDERUNGEN:
Neurotische Störungen können auch bei alten Menschen mit geistiger Behinderung auftreten. Dies besonders bei jenen, die aufgrund guter Voraussetzungen im Erwachsenenalter eher selbständig wurden und manche
Lebensbereiche allein bewältigten. Mit zunehmendem Alter werden sie sich
größerer Abhängigkeit bewußt und versuchen durch gesteigerte Anstrengung, den Kompetenzverlust zu vermeiden. Diese Bemühungen sind
streßbesetzt und führen leicht zu neurotischen Symptomen.
Psychische Veränderungen:
Bedingt sind diese z.T. durch den körperlichen Abbau. Die Diskrepanz zwischen Wollen und Können ist belastend. Weitere Ursachen für psychische
Veränderungen sind die Einstellung des Alternden zu seiner augenblicklichen Situation, die Selbsteinschätzung, der soziale Status, die Reduzierung von Umweltkontakten, die Wohn- und Lebensbedingungen, sowie die
Erwartungen der Gesellschaft, die an alte Menschen gerichtet werden.
Es ist keineswegs erwiesen, daß ab dem 3. Lebensjahrzehnt nur mehr ein
Abbau der intellektuellen Fähigkeit eintritt. Es ist nachgewiesen, daß Intelligenzveränderungen eintreten; Wendigkeit, Kombi-nationsfähigkeit und
Orientierung in neuen Situationen nehmen ab, aber Allgemeinwissen, Erfahrungswissen und Wortschatzkenntnisse nehmen zu. Die Lernfähigkeit
bleibt also bis in ein hohes Alter erhalten. Alte Menschen lernen nicht
mehr so schnell, dafür aber genauer. Wichtig sind Motivation im sozialen
Kontext, richtige Aufbereitung des Lernstoffes und Übungsmöglichkeiten.
Es wurde bei behinderten Menschen eine vorzeitige Vergreisung beobachtet, die allerdings durch entsprechende Trainingsprogramme hinausgezögert werden kann. Daraus ergibt sich die Bedeutung der Anforderung
im Alter, wobei ein Überangebot an Aktivitäten zu vermeiden und das Ruhebedürfnis zu berücksichtigen ist. Besonders beobachtet wird eine Zunahme von Stereotypien bei der Bewältigung von Alltagssituationen. Diese
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Handlungsmuster können nicht rasch durchbrochen werden; im Gegenteil,
Mitarbeiter benötigen sehr viel Zeit und Geduld, um den alten Menschen
nicht einer Streßlage auszusetzen.
Außerdem ist es wichtig, alte behinderte Menschen an Aktivitäten außerhalb des Hauses teilnehmen zu lassen (Besuche, Zusammenarbeit mit
Volkshochschulen u.ä.).
Wenn nach einer Übergangsphase die Tätigkeit in einer Werkstätte wegfällt, sollten alte Bewohner die Zeiteinteilung selbst mitbestimmen und
gestalten. Ein vertrauter Zeitrahmen gibt Sicherheit. Arbeiten für die Gemeinschaft geben dem alten Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden.
Sie sollten aber nicht zur "Dauerpflicht" werden. In jedem Fall sind die individuelle Situation von alternden geistig behinderten Menschen und ihre
Gewohnheiten und Bedürfnisse zu berücksichtigen.
SOZIALE VERÄNDERUNGEN:
Jeder alte Mensch erlebt auch Veränderungen im Sozialbereich. Schon das
Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß verändert das Leben. Mit den behinderten Söhnen und Töchtern werden auch die Angehörigen älter und sterben meist früher als ihre Kinder. Die Stammfamilie als Ort der Sicherheit
und Geborgenheit fällt also weg. Daher müssen andere Bezugspersonen
(Sachwalter, Mitarbeiter, Freunde) das Zugehörigkeitsgefühl zu einer
Gruppe vermitteln und die Wahrung der Rechte (Recht auf Anerkennung
als eigenständige Persönlichkeit, Unverletzlichkeit der Privatsphäre, Glaubensfreiheit, achtungsvolle Behandlung und Pflege), sowie eine sinnvolle
Lebensgestaltung (Lebensplan) sichern helfen.
Wohnbedingungen:
Es wird immer deutlicher, daß ältere geistig behinderte Menschen in der
gewohnten Umgebung alt werden möchten, nicht in ein eigenes "Altenhaus" übersiedeln wollen. Es wäre also nicht richtig, spezielle Behindertenaltenheime zu errichten. Soziale Kontakte würden dadurch erschwert
oder abgebrochen, die Ghettoisierung gefördert werden. Es wäre aber
auch nicht gut, ältere geistig behinderte Menschen in allgemeine Altersheime zu "verlegen". Sie würden doppelt diskriminiert (alt und behindert),
in ihren Bedürfnissen nicht berücksichtigt und in die Isolation gedrängt
werden.
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Meindert Jan HAVEMAN
In: WEBER: Alt werden
mit geistiger Behinderung
Bern 1997
ZUR EPIDEMIOLOGIE VON PSYCHISCHEN
STÖRUNGEN UND VERHALTENSSTÖRUNGEN
Altern als primär soziales Schicksal (THOMAE) fordert für g.b. Menschen
eine ihren Bedürfnissen entsprechende Lebenslage, um nicht eine mehrfache Stigmatisierung - behindert, alt, psychisch krank - zu erzeugen. Die
Prävalenz psychischer Störungen bei älteren Personen m.g.B. ist nicht höher als bei jüngeren. Persönliche Lebensgeschichte erklärt unterschiedliche Reaktionen auf Lebensveränderungen im Alter (Kontakt zu Angehörigen, Wohnformen, Freizeitangebote). Lebenserwartung von Menschen
m.g.B. steigt an, aus-genommen Personen mit Down-Syndrom.
Unterschiede zwischen g.b.Personen mit und ohne Down-Syndrom:
Bei Personen mit Down-Syndrom in höherem Alter Auftreten einer Alzheimer-ähnlichen Demenzerkrankung (Funktionsverluste von Orientierung,
Sprache, Gedächtnis, Motorik, Alltagspraxis).
Prävalenz psychischer Störungen:
Ähnliche Beobachtung für psychische Störungen (Tabelle 1); ausschlaggebend sind Schweregrad und Ursache der g.Behinderung. Personen mit schwerer g.B. ohne Down-Syndrom zeigen deutlich mehr psychische Störungen. Demenzerkrankungen sind nicht aufgezeigt, so daß
Symptome der Demenz bei Personen mit Down-Syndrom andere psychische Probleme überschatten könnten.
Veränderungen der psychischen Gesundheit:
Beobachtung während 3 Jahren (N=1.600), Fragestellung:
Nehmen während einer 3Jahresperiode mit dem Alter psychische
Störungen zu?
Ist diese Zunahme bei älteren Personen größer?
Ab welchem Alter steigt die Häufigkeit?
Gibt es Unterschiede mit und ohne Down-Syndrom?
Ab dem Alter von 60 Jahren wird die Gruppe mit Down-Syndrom wegen
der hohen Sterblichkeit älterer Down-Syndrom Personen kleiner.
Folgende Probleme wurden erfaßt:
Apathie, Anpassungsschwierigkeiten, Irritationen, Angst, Weinen, Rastlosigkeit, Depressionen, Mißtrauen, Appetitlosigkeit.
Bei Personen mit Down-Syndrom nehmen Probleme ab dem 40 Lj. zu, in
höherem Alter stark progressiv. Im Alter von 50 - 60 a häufen sich Verhaltensstörungen, um später wieder abzunehmen.
Bei Personen ohne Down-Syndrom Zunahme von psychischen Auffälligkeiten ab einem Alter von 70 Jahren. Im Beobachtungszeitraum von 3
Jahren keine Veränderungen bei störendem Verhalten.
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Auswirkungen des Alters auf das kognitive Funktionsniveau:
Untersucht wurden Kurz- und Langzeitgedächtnis und Orientierung (Kernsymptome der Alzheimer-Erkrankung). Bei Personen mit Down-Syndrom
ab etwa 40 a Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses und ab 50 a des
Langzeitgedächtnisses. Bei gleichaltrigen Menschen m.g.B. bleiben Gedächtnisfunktionen stabil.
Ab etwa 40 a haben Personen mit Down-Syndrom Probleme der außerhäuslichen Orientierung, deutliche Zunahme ab etwa 60 a. Bei anderen
g.b.Menschen Rückgang des Orientierungsvermögens erst etwa ab 70 Jahren.
Diskussion:
Psychische Auffälligkeiten nicht mehr oder weniger bei älteren Personen
m.g.B. im Verhältnis zu jüngeren.
Nicht Alter, sondern Schweregrad der Behinderung, soziale Umgebung und
äthiologische Diagnose sind von zentraler Bedeutung.
Relevante Zunahme psychischer Auffälligkeiten erst ab 70 a.
Hohe Korrelation zwischen psychischer Auffälligkeit und Diagnose Demenz, sowie Regression in kognitiven Funktionen bei älteren Personen mit
Down-Syndrom weisen auf Demenzprozesse und nicht auf externe Faktoren hin. Bestätigt durch die Unterschiede zwischen Personen mit und ohne
Down-Syndrom.
Gefahr einer zu raschen Diagnostizierung von Demenzen (AlzheimerKrankheit), Notwendigkeit guter Differentialdiagnostik.
Noch zu wenig Kenntnisse über den Zusammenhang von affektiven Störungen und Demenzen.
Viele psychische Altersprobleme werden wegen Schwierigkeiten in der
verbalen Kommunikation zu spät erkannt. Daher Bedeutung der prädiagnostischen Phase ohne Unterschied des Alters, Lebenslaufkenntnisse,
empathisches Verstehen und systematisches Verfolgen von Verhaltensänderungen, aber auch Begreifen von tiefem Leiden bei begrenztem Sprachpotential.
MOSS Steve, Univ. of Manchester
Hester Adrian Research Center
Manchester UK 1995
DIAGNOSTISCHE METHODEN
IN ZUSAMMENHANG
MIT PSYCHISCHEN STÖRUNGEN
BEI ÄLTEREN ERWACHSENEN
MIT INTELLEKTUELLER BEHINDERUNG.
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Die Bedeutung von Geisteskrankheit
bei Menschen mit geistiger Behinderung:
Obwohl es seit vielen Jahren ein Bewußtsein für die Tatsache gibt, daß
Leute mit geistiger Behinderung an Geisteskrankheiten leiden können, hat
dieses Thema erst in den letzten Jahren größere Beachtung gefunden.
Probleme in der Erkennung und Diagnose psychischer Krankheitsbilder in
dieser Bevölkerungsgruppe, das Fehlen spezialisierter psychiatrischer
Ausbildung und mangelndes Verständnis von symptomatischem Verhalten
bei den Pflegenden haben insgesamt zur Unzulänglichkeit von psychiatrischen Einrichtungen beigetragen. Bei einer älteren geistig behinderten
Person wird das Problem noch komplexer. [Der Alterungsprozeß kann die
Personen infolge einer Abnützung ihrer Fähigkeit zur Problembewältigung
in zunehmendem Maße verletzbar und damit anfälliger für umgebungsbedingten Streß machen, der zu Geisteskrankheit führen kann. Gleichzeitig
sind die am weitesten verbreiteten Zustände im Alter, nämlich Demenz
und Depression, selbst eher schwierig frühzeitig zu entdecken, sogar in
der Durchschnittsbevölkerung. (Goldberg & Huxley, 1980). Insgesamt
weisen die Einflüsse von Geisteskrankheit, Altern und geistiger Behinderung zusammen auf eine Gruppe von Menschen hin, die wohl einen beträchtlichen Bedarf an Unterstützung haben, und deren Lebensqualität
schwer beeinträchtigt bleiben wird, wenn deren psychische Probleme nicht
in effizienter Weise diagnostiziert und behandelt werden.
Diese Diskussion der Probleme der geistigen Verfassung (1) bei geistig
Behinderten beginnt mit der von manchen Autoren geäußerten Ansicht,
daß eine gute geistige Verfassung ein Gleichgewicht
zwischen Individuum und Umgebung erfordert und daß die Bedürfnisse
des Menschen für Unterstützung und Anregung in geeigneter Weise die
verfügbaren Möglichkeiten und daraus abgeleiteten Wünsche widerspiegeln.
Ein ökologischer Rahmen für den Alterungsprozeß:
Bronfenbrenner (1979) prägte den Begriff der „Äkologie der menschlichen
Entwicklung“ (The Ecology of Human Development) um die Art und Weise
zu beschreiben, in der eine Person eine Interaktion mit verschiedenen
Umgebungsformen entwickelt (z. B. Zuhause, Nachbarschaft und so weiter), mit denen sie in Berührung kommt. Er schlug ein Modell vor, in der
das Leben einer Person innerhalb eines vier Schichten umfassenden sozialen Systems gesehen wird, die man sich als Kreise von zunehmendem Radius um das Individuum herum vorstellen kann. Diese Schichten umfassen
das unmittelbare physische und soziale Umfeld bis hin zu den politischen
und wirtschaftlichen Strukturen, die, wenn auch in weniger direkter Weise,
dennoch einen bedeutsamen Einfluß auf das Leben haben.
Während ich nicht gerne das Bronfenbrennersche Modell im formalen Sinn
definierbarer sozialer Schichten anwenden mächte, betont diese Sichtwei10
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se doch, wie wichtig es ist, die Person in einem vollständigen sozialen
Kontext zu sehen. In diesem Rahmen bemerken Lawton und Nahemov
(1973), daß der Alterungsprozeß als kontinuierliche Anpassung gesehen
werden kann - sowohl an die Umgebung als auch an Veränderungen in
internen Fähigkeiten und Funktionsweisen, die sich innerhalb eines Lebens
ereignen. Aus ihrer Sichtweise ist die Äkologie des Alterns als ein System
kontinuierlicher Anpassungen definiert, in dem sowohl die Person als auch
die Umgebung in nicht zufälliger Weise im Laufe der Zeit Veränderungen
unterworfen sind. Eine Veränderung im Zustand der Person oder der Umgebung kann einen Aktionszyklus einleiten, der Adaption erfordert.
In konkreterer Hinsicht haben Headey und Wearing (1989) ein Modell eines dynamischen äkologischen Gleichgewichtes gegeben, in dem von jeder Person „normale“ Gleichgewichtsniveaus von Ereignissen und subjektivem Wohlbefinden betrachtet werden, die aufgrund von Alter und Persänlichkeit vorhersagbar sind. Nur wenn die Ereignisse von ihrem Gleichgewichtsniveau abweichen, gibt es eine Veränderung im Wohlbefinden.
Murrell und Norris (1983) haben ein verwandtes Modell vorgeschlagen,
das auf der Casselschen Diskussion (1975) der Rolle psychosozialer Faktoren in der Krankheitsgenese beruht, und welches meiner Ansicht nach
sehr geeignet für die Betrachtung der geistigen Verfassung in dieser Bevälkerungsgruppe ist. Zwei Faktoren werden betont, nämlich die Verursacher oder Ursachen von Streß bei einer Person und die Prozesse, die vor
ihnen schützen, sie abpuffern oder dämpfen. Diese Faktoren sind Ereignisse wie Scheidung, Pension und Krankheit (Dohrenwend u. Dohrenwend,
1974), sowie mit Streß verbundene Lebensprozesse wie Armut, Familie
mit alleinstehendem Elternteil, Lärm und Substandardwohnverhältnisse
(Gersten, Langner, Eisenberg u. Simcha-Fagan, 1977). Bei Personen mit
geistiger Behinderung wären besondere Streßfaktoren die unzureichende
Unterstützung von Freunden, soziale Stigmatisierung, Dominanz von anderen Klienten am Arbeitsplatz bzw. in der Wohnumgebung oder eine
Konfliktsituation zwischen dem Klienten und den Dienstleistenden. In einer
unserer Studien über ältere Personen (Moss et al., 1991) haben wir gefunden, daß einer der am häufigsten angegebenen Gründe für Unzufriedenheit ein Konflikt mit der für die Wohnung des Menschen verantwortlichen Person war.
Abhilfe geschaffen wird durch das Suchen von in der Umgebung verfügbaren Mäglichkeiten, von Schutz und Unterstützung, um bei Wachstum und
Entwicklung zu helfen, und um als Puffer gegen die umgebungsbedingten
Streßfaktoren zu wirken. Murrell u. Norris (1983) schlagen vor, daß diese
Ressourcen vielfältige, z. B. materielle, kulturelle, physische, soziale und
interpersonelle Formen annehmen kännen. Auf geistige Behinderung spezialisierte Einrichtungen würden an sich ein bedeutsames Potential darstellen.
Die geistige Verfassung wird in diesem Modell in Abhängigkeit vom Grad
gesehen, in dem die vorhandenen Ressourcen den Streßfaktoren entge11
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genwirken oder sie überwinden kännen. Je stärker die Maßnahme im Verhältnis zum Streßfaktor ist, umso geringer ist das Risiko für die geistige
Verfassung; wenn die Streßfaktoren jedoch die Ressourcen dominieren, ist
das Ausmaß an nicht gedeckten Bedürfnissen hoch, und die geistige Verfassung kann gefährdet sein.
Während eine umfangreiche Literatur die klare Beziehung zwischen mit
Streß verbundenen Ereignissen und der geistigen Verfassung aufzeigt, ist
es genauso klar, daß eine Umgebung, die vom Menschen zu wenig verlangt, ebenso schädlich sein kann (McGrath, 1970; Levi, 1974). Wildman
u. Johnson haben (1977) beispielsweise herausgefunden, daß das Wohlbefinden bei Personen mit einem sehr wenig ereignisreichen Leben geringer
war als bei Personen mit einer immerhin bescheidenen Anzahl von Ereignissen.
Altern, geistige Behinderung und Geisteskrankheit:
Eine geistig behinderte Person hat per definitionem weniger persönliche
Ressourcen als Puffer gegen die Anforderungen des Lebens zur Verfügung.
Das ist aber genau die raison d'être für die Existenz von Einrichtungen für
geistige Behinderung - das Individuum bei einem gehaltvolleren und unabhängigeren Leben zu unterstützen und als Puffer gegen die sonst überbeanspruchende Umgebung zu wirken. Der Alterungsprozeß kann die Personen infolge einer Abnützung ihrer Fähigkeit zur Problembewältigung in
zunehmendem Maße verletzbar und damit anfälliger für umgebungsbedingten Streß machen, der zu Geisteskrankheit führen kann. So kann psychische Stärung ein gewichtiger Faktor im Entschluß sein, eine ältere Person zu hospitalisieren; Gianturko und Busse haben gezeigt (1978), daß in
den USA beispielsweise 50 Prozent aller Spitals- und Heimbetten von psychisch kranken älteren Personen belegt sind. Gleichzeitig sind die am weitesten verbreiteten Zustände im Alter, nämlich Demenz und Depression,
selbst eher schwierig frühzeitig zu entdecken, sogar in der Durchschnittsbevälkerung. (Goldberg & Huxley, 1980). Insgesamt weisen die Einflüsse
von Geisteskrankheit, Altern und geistiger Behinderung zusammen auf
eine Gruppe von Menschen hin, die wohl einen beträchtlichen Bedarf an
Unterstützung haben, und deren Lebensqualität schwer beeinträchtigt
bleiben wird, wenn deren psychische Probleme nicht in effizienter Weise
diagnostiziert und behandelt werden.
Ein verzerrtes Bild - der Weg zur Pflege:
Wenn man die auf die geistige Verfassung bezüglichen Bedürfnisse bei
Leuten mit geistiger Behinderung in Betracht zieht, ist es wichtig das
Ausmaß zu beachten, in dem psychische Zustände sozial bedingt sind und
damit in intensiver Wechselwirkung mit dem Lebenskontext der Person
stehen. Gewisse soziale Verhältnisse ermäglichen es anscheinend eher,
die psychischen Symptome zu beherrschen oder mit ihnen umzugehen als
andere, während andere Situationen derartige Symptome geradezu hervorrufen oder verstärken kännen. Diese Faktoren bestimmen zu einem
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großen Teil, ob eine Person professionelle Hilfe für ein Problem sucht. Sobald eine Person Behandlung gesucht hat, bekommen die verschiedenen
Einrichtungen eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung, ob eine Person
spezialisierter Hilfe zugeführt wird. Jede „Stufe“ bestehend aus einer Einrichtung und einer Überweisung kann als Filter angesehen werden, durch
den einige Patienten gehen und andere nicht.
Goldberg u. Huxley haben gezeigt (1980), daß für die Durchschnittsbevölkerung der praktische Arzt der wichtigste Filter auf dem Weg zu psychiatrischer Hilfe ist. Innerhalb von Gemeinden ist wahrscheinlich der Amtsarzt
(„local general physician“) bei der Überweisung zu einem Spezialisten beteiligt, u. U. nur als Formalität. Ob nun die Hauptentscheidung vom Amtsarzt oder von einer anderen Einrichtung getragen wird, der Vorgang der
Überweisung zu spezialisierten psychiatrischen Einrichtungen wird wahrscheinlich bei Leuten mit geistiger Behinderung in anderer Weise als in der
Durchschnittsbevölkerung vonstatten gehen. Goldberg u. Huxley (1980)
zeigen auf, daß dieser dritte Filter, nämlich derjenige zwischen primärer
und spezialisierter Pflege der am wenigsten durchlässige unter den Filtern
ist, die Psychiater von der Durchschnittsbevölkerung trennen. In Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Diagnose mentaler Störungen innerhalb
der Bevölkerung mit geistiger Behinderung, werden Amtsärzte den Patienten in einem früheren Stadium zu spezialisierten psychiatrischen Einrichtungen überweisen, so daß dieser dritte Filter durchlässiger als bei der
Durchschnittsbevölkerung ist. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine geistig behinderte Person zunächst den Amtsarzt erreicht,
wohl geringer als bei einer geistig nicht behinderten Person. Bei einer
nicht behinderten Person wird das Einsetzen geistiger Behinderung oft
durch die Unfähigkeit angekündigt, einen Beruf in effizienter Weise auszuführen, oder Rollen zu übernehmen, die vorher erfolgreich ausgeführt
wurden (z. B. die eines Elternteils, Gattens, Geliebten oder Freundes). Allerdings können dieselben Kriterien auch für Leute mit mäßiger geistiger
Behinderung zutreffen, die in der Gemeinschaft leben und möglicherweise
einen Beruf haben. Andererseits haben viele Leute mit geistiger Behinderung wenige Rollenbilder zu erfüllen, abgesehen von dem eines sozial akzeptierten Verhaltens. Folglich ist es möglich, daß ganz extreme depressive oder psychotische Zustände sich in keiner klar abgegrenzten Weise
manifestieren, was das soziale Rollenverhalten betrifft, wenn auch die Belastung für den Menschen beträchtlich sein kann. Ohne Spezialwissen
kännte man annehmen, daß die Symptome Teil der Behinderung sind, und
so erfolgt u. U. keine Überweisung zu einem Amtsarzt, um weitere psychiatrische Auswertungen durchzuführen.
Das Obengenannte soll zeigen, wie wichtig es ist, daß man sich nicht nur
darauf konzentriert, psychiatrische Techniken zu entwickeln, sondern daß
man auch den Weg verbessert, über den geistig behinderte Leute eine geeignete Behandlung erhalten. In dieser Hinsicht ist die Rolle der Pflegenden bei der Erkennung von potentiellen Symptomen wesentlich, da diese
zunächst am ehesten den Klienten zum Amtsarzt bringen.
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Wer wird überwiesen?
Aus dem Gesagten folgt, daß der Mechanismus, über den Leute mit geistiger Behinderung zu psychiatrischen Einrichtungen gelangen es wahrscheinlich macht, daß viele Leute mit einer Geisteskrankheit unerkannt
bleiben. Jedoch gilt dies auch für die Durchschnittsbevölkerung. Gewisse
Zustände werden wahrscheinlich eher entdeckt als andere. Alkoholmißbrauch oder Schizophrenie werden per se leichter entdeckt, da diese
oft auffälliges Verhalten ergeben, welches andere stärt. Unsere eigene
neuere Arbeit (Moss et al., 1994) bestätigt, daß diese Tendenz auch für
geistig Behinderte gilt. Psychotische Zustände wie Schizophrenie sind im
Vergleich zu häufigeren Zuständen wie Depression oder Angst in massiver
Weise bei den Leuten überrepräsentiert, die tatsächlich zu Psychiatern
überwiesen werden. Bei geistig behinderten Leuten sind die am meisten
verbreiteten auffälligen Zustände verschiedenartiges herausforderndes
Verhalten - besonders Aggression und Autoläsionismus. Schweres Problemverhalten ist die am weitesten verbreitete Ursache für die Überweisung
von Leuten mit geistiger Behinderung zu Psychiatern; es ist für über die
Hälfte der Fälle von Langzeitpatienten und einem Drittel der Überweisungen in der Gemeinde verantwortlich. Jedoch sind diese Probleme oft eher
Langzeitverhaltensmuster als Krankheiten mit einem vorhersagbaren zeitlichen Verlauf. Als solche passen sie oft nicht in die etablierten Kriterien
für diagnostizierbare psychiatrische Zustände (Corbett, 1979). In dieser
Hinsicht hat der Ein- oder Ausschluß von Problemverhalten einen bedeutsamen Einfluß auf das scheinbare Auftreten. Campbell und Malone (1991)
berichten, daß das Auftreten von Geisteskrankheit bei geistig behinderten
Leuten zwischen 14,3 und 67,3 Prozent variiert, je nach der Festlegung
auf die betrachtete Population und den Kriterien zur Bestimmung der Anwesenheit von psychiatrischen Stärungen.
Sind Verhaltensstörungen eingeschlossen, so ist das Vorkommen von psychiatrischen Störungen unter Leuten mit geistiger Behinderung eher hoch,
wobei ein hoher Anteil an den Diagnosen aus Persönlichkeitsstörungen besteht. So fand Reiss (1990) ein Gesamtvorkommen von 39% und Menolascino (1989) eines von 30%. Wenn man jedoch Leute ausklammert, deren einzige Stärung das Verhalten betrifft, so beläuft sich anscheinend das
Vorkommen von Psychose und Neurose zusammen auf nur 8-10 Prozent
(Heaton-Ward, 1977). Diese Diskrepanz würde in Gruppen älterer Menschen eher kleiner sein, da diese in geringerem Ausmaß Problemverhalten
zeigen als jüngere Menschen (Day, 1985; Kiernan u. Moss, 1990).
Die Diagnose:
Das Vorkommen von Geisteskrankheit bei Menschen mit geistiger Behinderung:
Die Probleme im Zusammenhang mit der Diagnose bei Leuten mit geistiger Behinderung spiegeln sich in den großen Unterschieden in den berich14
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teten Zahlen für das Vorkommen wider. Campbell und Mallone (1991) haben beispielsweise berichtet, daß das Vorkommen bei geistig behinderten
Leuten zwischen 14,3% und 67,3% schwankt. In dieser Hinsicht ruft die
Kategorie der Verhaltensstörungen besondere Probleme hervor. Das große
Vorkommen solcher Störungen bei Leuten mit geistiger Behinderung zeigt,
daß es manchmal extrem schwierig ist, zu entscheiden, ob ein bestimmtes
Verhaltensmuster sich als echte psychische Störung herausstellt. Folglich
können Studien, die Verhaltensstörungen als psychische Probleme betrachten in einem hohen Vorkommen derselben resultieren.
Punkte, die das Verhältnis zwischen Geisteskrankheit und herausforderndem Verhalten betreffen, sind ein wichtiges und in Entwicklung begriffenes
Forschungsgebiet. In der Vergangenheit hat es eine beträchtliche Verwirrung in Bezug auf die Bedingungen gegeben, unter denen herausforderndes Verhalten die formalen Kriterien für eine psychische Störung erfüllt.
Diese Verwirrung wurde durch die Tatsache verstärkt, daß herausfordernde Verhaltensformen den häufigsten Grund für eine Überweisung von
geistig behinderten Leuten zu einem Psychiater darstellen, und diese so
für ein Drittel der Zugänge aus dieser Gruppe verantwortlich sind (Day,
1985). Jedoch stellen diese Probleme oft eher Langzeitverhaltensmuster
als Krankheiten mit einem vorhersagbaren Verlauf dar. Als solche passen
sie oft nicht zu den Standardkriterien für diagnostizierbare psychische Zustände (Corbett, 1979). Auch wenn es eine beträchtliche Übereinstimmung zwischen den Methoden gibt, die üblicherweise dazu dienen, herausforderndes Verhalten und psychische Störungen zu diagnostizieren
(Edelbrock und Costello, 1988), ergibt sich gewiß keine eineindeutige Zuordnung (Gould, Bird u. Jaramillo, 1993).
Im Spektrum mentaler Störungen weisen Indizien aus großräumigen Studien darauf hin, daß das Vorkommensmuster etwas anders als in der
Durchschnittsbevölkerung ist. Ein Vergleich zwischen zwei umfassenden
Studien über die Krankheitsziffern (Moss, 1995), eine in Bezug auf die
Durchschnittsbevölkerung (Bland, Newman und Orn, 1988) und die andere speziell über Leute mit geistiger Behinderung (Lund, 1985), zeigte ein
viel höheres Vorkommen von affektiven Störungen und Neurosen. Es wird
berichtet, daß es unter Leuten mit geistiger Behinderung einen höheren
Anteil von Psychosen und Autismus gibt, sowie einen sehr hohen Anteil an
Verhaltensstörungen (Day u. Jancar, 1994)
Vorkommen bei älteren Leuten mit geistiger Behinderung:
Die Ziffern für den älteren Bevölkerungsanteil zeigt ähnlich weitgestreute
Schwankungen wie die oben beschriebenen. In einer neueren Untersuchung berichten Day und Jancar (1994) ein Vorkommen gewichtiger psychischer Störungen von 30-40% für die über 40-jährigen und von 20% für
die über 65-jährigen. Unsere eigene Arbeit über die über 50-jährigen (Patel, Goldberg u. Moss, 1993; Moss, Goldberg, Patel u. Wilkin, 1993) zeigen
ein Vorkommen von 11,4% Geisteskrankheiten, 11,4% Demenz und 21%
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beides zusammen . Ein besonders bedeutsamer Punkt bei unseren Ergebnissen ist, daß im Gegensatz zu anderen Untersuchungen die Stichprobe
nicht viele Leute mit herausfordendem Verhalten oder psychotischen Zuständen enthielt. Der Großteil der Fälle waren Depression, Angst oder
Demenz. Das ist von großer Bedeutung, da genau diese Zustände in der
Durchschnittsbevölkerung am wenigsten entdeckt werden (Goldberg u.
Huxley, 19??). Es ist deshalb nicht überraschend, daß ein Großteil der Fälle den psychiatrischen Einrichtungen nicht bekannt ist. Weiters zeigen unsere Daten über die physische Verfassung dieses Bevölkerungsanteils, daß
die unter Demenz leidende Gruppe eine wesentlich schlechtere physische
Verfassung hat als der Durchschnitt. Richtwerten zufolge gibt es ein höheres Maß an chronischen und akuten physischen Störungen, besonders solchen, die das Zentralnervensystems und da Funktionieren des gastrointestinalen Systems betreffen. Viele der Menschen mit einer feststehenden Diagnose auf Demenz zeigten eine Verschlechterung in einer Vielzahl
von Bereichen, die die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen und mit anderen
umzugehen betreffen. Dies zusammen mit einer im allgemeinen schlechten Gesundheit, legt nahe, daß das Ausmaß der Bedürfnisse dieser Leute
einen bedeutenden Anteil der Mittel sozialer Einrichtungen in Anspruch
nimmt.
Probleme der Erkennung und Diagnose
Die schlechte Ausdrucksfähigkeit vieler Leute mit geistiger Behinderung ist
klarerweise eine Behinderung bei einer psychiatrischen Diagnose. Jedoch
sind diese Probleme nicht auf Angehörige dieses Bevölkerungsanteils beschränkt. Diese sind mit einer weit größeren Gruppe von Themen verbunden:
(a) Definitionen von Geisteskrankheit,
(b) der Wert von Informationen,
(c) der relative Beitrag der Beobachtung und des Gesprächs mit dem
Patienten.
(d) die Verwendung von ärztlicher Intuition im Gegensatz zu objektiv spezifizierten diagnostischen Kriterien.
Die Diagnose eines physischen Zustandes ist oft klar in dem Sinn, daß,
sobald die notwendige Information zur Verfügung steht, eine sichere Diagnose gestellt werden kann, da die Kriterien absolut sind. So werden
Krankheitsbilder wie Tuberkulose, HIV und Syphilis durch die Anwesenheit
eines gewissen Organismus definiert. In anderen Fällen, besonders an der
Grenzlinie zwischen körperlicher und geistiger Krankheit, sind die Kriterien
von etwas anderer Qualität, mit dem Resultat, daß die Behandlung oder
ihre mögliche Wirksamkeit weniger klar definiert sind. So sind Bedingungen wie geschwürbildende Collitis durch die entsprechende Pathologie definiert und andere wie Migräne durch ihre Symptome.
Kendell illustriert dieses besondere Problem der Gültigkeit psychiatrischer
Diagnosen mit dem Beispiel eines 40-jährigen Mannes, der berichtet, daß
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er schlecht schläft, nicht klar denken kann und den Verdacht hegt, daß
seine Arbeitskollegen hinter seinem Rücken über ihn reden. Solche Symptome können sowohl für Schizophrenie als auch für depressive Krankheiten typisch sein, aber die Unterscheidung zwischen den Diagnosen ist derart unscharf, daß verschiedene Therapeuten zu völlig anderen Schlüssen
kommen können. Wenn er schizophren ist, wird er wahrscheinlich mit
Phenothiazin behandelt und erholt sich teilweise, oder er wird chronisch
krank. Wenn er an einer depressiven Krankheit leidet, wird er eher mit
ECT oder einem trizyklischen Antidepressivum behandelt, und er wird sich
innerhalb von zwei oder drei Monaten vollständig erholen. Aber welche
Diagnose auch gestellt wird, er kann trotzdem Phenothiazin, ECT, ein trizyklisches Medikament oder sogar alle drei Mittel erhalten, und es ist
möglich, daß er sich ganz, teilweise oder überhaupt nicht erholt. Psychiater werden wahrscheinlich untereinander nicht übereinstimmen, ob er an
Schizophrenie oder einer affektiven Krankheit leidet, oder darin, wie diese
beiden Begriffe überhaupt definiert sind (Kendell, 1975).
Um auf dieses Problem eine Antwort zu finden, sind innerhalb der letzten
hundert Jahre schrittweise internationale Vereinbarungen getroffen worden. Insbesondere haben die Weltgesundheitsorganisation und die American Psychiatric Association die wichtigsten psychiatrischen Klassifikationen
entwickelt, die derzeit in Anwendung sind, wobei die neueste Version das
International Classification of Diseases (ICD 10) und das Diagnostic and
Statistic Manual of Mental Disorders (DSM IV) ist. Auf diese konkreten Kriterien gestützt kann eine beträchtliche Verbesserung bei der Verläßlichkeit
von Diagnosen erreicht werden, besonders wenn diese Kriterien selbst
noch weiter in Form von strukturierten oder semistrukturierten ärztlichen
Gesprächen konkretisiert werden. Wing et al. haben (1967) gemeinsam
Gespräche mit einer Gruppe von 172 Patienten unter Verwendung der
Present State Examination geführt und eine Übereinstimmung in 92% der
Fälle bei Schizophrenie gefunden. Die Anwendung dieser Technik der
strukturierten Gespräche ist, wie ich weiter unten schildere, einer der Wege, auf denen wir versuchen, die Verläßlichkeit der Diagnose bei geistig
Behinderten zu erhöhen.
Verbesserung von Diagnose und Erkennung bei Leuten mit
geistiger Behinderung:
Um das Niveau der psychiatrischen Versorgung für diesen Teil der Bevölkerung zu heben, ist es klar, daß wir zumindest in drei Bereichen Verbesserungen anstreben müssen.
Erstens: Psychiater, die mit geistig Behinderten arbeiten, müssen
eine Spezialausbildung erhalten.
Zweitens: Die diagnostischen Methoden müssen objektiver und gültiger werden.
Drittens: Wir müssen die Kennzeichnung psychiatrischer Einrichtungen verbessern. Das erfordert, daß diejenigen, die den geistig Behinderten
am besten kennen, d.h. Familienangehörige und Mitarbeiter, in der Lage
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sein müssen, mögliche Geisteskrankheit bei den Menschen, die sie pflegen, besser zu erkennen.
Das wiederum erfordert den Zugang zu Informationen über die Anzeichen
von Geisteskrankheit bei Leuten mit geistiger Behinderung, Werkzeuge für
einen systematischen Rahmen für die Beschaffung von Informationen und
eine Leitfaden für die Entscheidung, wer zu einer psychiatrischen Untersuchung überwiesen werden soll. Was wir insgesamt anstreben, ist ein vielschichtiger Zugang zur Erkennung und Diagnose von mentalen Störungen.
Die Pflegenden und die Familien haben die unmittelbarste Wahrnehmung
von Veränderungen bei Leuten, um die sie sich kümmern, aber nicht unbedingt das Wissen, um diese Verhaltensformen zu verstehen. Professionelle Pflegende wie Sozialarbeiter und Psychologen könnten für ein größeres Verständnis in Fragen der mentalen Verfassung ausgebildet werden
und so zum Weg werden, auf dem Leute mit potentiellen psychischen
Problemen psychiatrischen Einrichtungen überwiesen werden. Schließlich
haben die Psychiater die Aufgabe, umfassende Untersuchungen aufgrund
ihres ärztlichen Wissens durchzuführen.
Es folgen einige der Initiativen, die in The Hester Adrian Research Centre
und anderswo unternommen werden, und die dazu bestimmt sind, die
Entwicklung dieses vielschichtigen Prozesses zu unterstützen.
Detaillierter psychiatrischer Befund
Eine Vielzahl von Methoden zur Erstellung eines Befundes - die meisten
stammen aus den USA- stehen zur psychiatrischen Beurteilung von geistig
Behinderten zur Verfügung. Das sind eher kurze Fragebögen, die üblicherweise wesentlich auf Berichten von Informanten beruhen, aber den
Vorteil haben, daß sie im allgemeinen von nicht ärztlich ausgebildeten
Fragestellern verwendet werden können.
Solche Methoden sind:
Das PIMRA (Matson, Kadzin u. Senatore, 1984),
die Reiss-Untersuchung (Reiss, 1987) und
die DASH-Skala (Mason et al., 1991).
Für einen umfassenden Befund wird eine Methode benötigt, welche die
Fähigkeiten eines Experten in der psychiatrischen Behandlung von geistig
Behinderten einsetzen kann. In Zusammenhang mit unserer Arbeit über
Geisteskrankheit bei älteren Leuten mit geistiger Behinderung haben wir
daher das Psychiatric Assessment Schedule for Adults with Developmental
Disability (PAS-ADD) entwickelt, das die oben erwähnten Prinzipien des
semistrukturierten ärztlichen Gesprächs verwendet. Das PAS-ADD leitet
sich aus den Schedules for Clinical Assessment in Neuropsychiatry (SCAN)
ab und verwendet parallele Versionen für ein Gespräch sowohl mit dem
Patienten als auch einem wichtigen Informanten, wobei sich die endgültige
Diagnose aus diesen beiden Quellen ergibt. Das Patientengespräch wurde
mit einer vielschichtigen Struktur entworfen um eine Gesprächsführung zu
ermöglichen, die für eine große Bandbreite geistiger Behinderung geeignet
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ist. Dies, zusammen mit der Tatsache, daß man sich auf zwei Quellen zu
Beschaffung der Daten stützt, gewährt größtmögliche Flexibilität und Sensibilität für die Symptome. In unseren Studien hat sich das PAS-ADD als
erfolgreich in der Entdeckung und der Diagnose von Fällen bei Leuten erwiesen, deren Entwicklungsstand relativ gering ist. Unter den über 50jährigen geistigen Behinderten haben wir eine adäquate Gesprächsführung
bei einer Gruppe erreichen können, deren IQ im Durchschnitt nur 39 war.
Die benötigte Zeit für das PAS-ADD hängt von der Anzahl der vorhandenen psychischen Symptome ab. Das PAS-ADD besteht konkret aus einer
Reihe von Punkten, die als Filter wirken, gefolgt von detaillierteren Fragen, d.h. Leuten mit einer guten geistigen Verfassung werden weniger
Fragen gestellt als solchen mit vielen Symptomen. Die Gesprächszeit ist
zumindest 30 Minuten. Eine vollständige Bewertung erfordert, daß das
Gespräch zweimal geführt wird, mit dem Betroffenen und einem wichtigen
Informanten.
Kennzeichnung und Überweisung:
Zwei weitere Komponenten unseres vielschichtigen Zuganges zur Erkennung sind derzeit im Hester Adrian Research Centre in Entwicklung. Diese
sind die PAS-ADD Checklist und das mini-PAS-ADD. Die PAS-ADD Checklist ist ein Fragebogen über Probleme, die manchmal mit einer schlechten
geistigen Verfassung verbunden sind. Die Checklist strebt danach, die Mitarbeiter und Pflegenden bei der Entscheidung zu unterstützen, ob eine
weitere Feststellung der geistigen Verfassung des jeweiligen Menschen
hilfreich sein könnte, und sie ist als Teil einer regulären Untersuchung gedacht. Sie ist zur Festhaltung des Vorhandenseins einer Reihe von Problemen bestimmt, von denen alle Teil eines psychischen Zustandes sein
können. Das Ziel ist es, daß die Checklist als an die Pflegenden gerichtetes
Warnsignal für die mögliche Anwesenheit von psychischen Problemen
dient. Ein geistig Behinderter mit mehreren Punkten in dieser Checklist
kann dann einer ausführlicheren Bewertung mittels des Mini-PAS-ADD unterzogen werden. Wenn dies ein Problem mit der geistigen Verfassung nahelegt, können dann die Pflegenden eine weitere Bewertung des Zustandes der Person mittels einer Überweisung zum Amtsarzt oder zu einem
Psychiater erreichen.
Das Mini-PAS-ADD stellt die zweite Stufe im Vorgang der psychiatrischen
Überweisung dar und ist dazu bestimmt, den Pflegenden dabei zu helfen,
eine genauere Auswertung des Geisteszustandes durchzuführen und so
eine begründete Entscheidung in Bezug auf die Überweisung zu weiteren
psychiatrischen Bewertungen zu treffen. Es wird verwendet, wenn ein
Pflegender eine vollständige Checklist erstellt hat, die nahelegt, daß die
Person, mit der sie arbeiten, ein Problem mit der geistigen Verfassung haben könnte. Das Mini-PAS-ADD ist ein Fragebogen, der von klinischen
Psychologen, Schwestern, Sozialarbeitern und anderen, die mit geistig behinderten Erwachsenen arbeiten, verwendet werden soll. Er besteht aus
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elf Abschnitten, von denen jeder sich auf ein primäres Symptom für die
geistige Verfassung bezieht. Sein Zweck ist es, für Geisteskrankheit typische Verhaltensformen und Symptome zu entdecken, die innerhalb des
letzten Monats vorhanden waren. Man bittet die Leute, sich an die Anoder Abwesenheit jedes Symptoms zu erinnern und dessen Häufigkeit und
Intensität abzuschätzen. Die Symptome werden beschrieben, um den Befragten bei der Bestimmung der Anwesenheit oder der klinischen Signifikanz eines Symptoms zu helfen.
Wie oben erwähnt ist das Mini-PAS-ADD dazu bestimmt von Mitarbeitern
verwendet zu werden, die eine gewisse Ausbildung in geistiger Krankheit
und Behinderung haben. Eine neuere Initiative des Guy' and St. Thoma's
hospital hat zur Entwicklung eines Lehrganges zur Ausbildung der in der
Betreuung tätigen Mitarbeiter geführt, welcher speziell diesem Thema gewidmet ist (Bouras et al. 1995). Er hat eine modulare Struktur und damit
eine Flexibilität im Gebrauch sowohl für Mitarbeiter, die das Gebiet noch
nicht kennen, als auch für solche, die schon einige Erfahrung haben. Das
Hester Adrian Research Centre schreibt derzeit eine Einheit für die nächste
Ausgabe des Lehrganges, die speziell in Bezug auf den Umgang mit unseren Methoden Informationen enthält.
Erkennung und Diagnose von Demenz:
Oft fällt einem in Zusammenhang mit Demenz sofort das besondere Risiko
ein, daß bei Leuten mit Down-Syndrom besteht. Während jedoch der Zusammenhang zwischen Alzheimerscher Krankheit und Down-Syndrom
wohlbekannt ist (Zigman et al., 1990), vergißt man oft, daß infolge der
verkürzten Lebenserwartung dieser Menschen, Leute mit Down-Syndrom
nur einen recht geringen Anteil der über 50-jährigen darstellen. Somit gibt
es wahrscheinlich mehr Leute mit Demenz und geistiger Behinderung, die
nicht das Down-Syndrom aufweisen als solche, die es aufweisen. Auf jeden Fall stellt natürlich Demenz eines der Hauptprobleme für die geistige
Verfassung älterer Menschen dar.
- 10 Beträchtliche Anstrengungen sind unternommen worden, um die Methoden zur Erkennung und Diagnose zu verbessern, sie wurden aber oft
durch einen Mangel an Übereinstimmung in der Definition des Krankheitsbildes behindert. Allerdings wurde kürzlich eine internationale Arbeitsgruppe unter den Auspizien der American Association on Mental Retardation und der International Association for the Scientific Study of Intellectual
Disability einberufen. Diese Arbeitsgruppe wird bald Berichte über drei
Gebieten erstellen:
Erkennung und Diagnose,
Epidemiologie und
Praxis.
Der erste wird Richtlinien für eine umfassende ärztliche Untersuchung und
einen Test der kognitiven Fähigkeiten geben und seine Umsetzung sollte
sicherstellen, das die besten vorhandenen Methoden bekannt werden und
innerhalb der klinischen Praxis und Forschung verwendet werden.
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Schlussfolgerungen:
Auch wenn im Bereich der Epidemiologie über den Einfluß des Alterungsprozesses auf Leute mit geistiger Behinderung viele Meinungsverschiedenheiten bestehen bleiben, sind einige Aspekte klar. In demographischer
Hinsicht wissen wir, daß die Altersstruktur der Bevölkerung einen „Grauton“ bekommt, und dies schließt auch Leute mit geistiger Behinderung
ein. Innerhalb der Bevölkerung gibt es ein beträchtliches Ausmaß an unerkannten Geisteskrankheiten, hauptsächlich Demenz, Depression und
Angstzustände. Gleichzeitig bedeutet der Einfluß der Selektion, daß eine
überraschend große Anzahl sich in guter physischer Verfassung befindet.
Folglich wird der Bedarf an Unterstützung für den älteren Bevölkerungsanteil immer größer, angefangen von denjenigen mit guter Funktionsfähigkeit und Gesundheit bis zu denjenigen mit Demenz und zusätzlichen physischen gesundheitlichen Problemen.
Diese Arbeit hat versucht, die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von
Geisteskrankheit auf das Leben älterer Leute mit geistiger Behinderung zu
lenken und einige der Initiativen zu erwähnen, die im Hester Adrian Research Centre und anderswo unternommen werden. Diese und andere Initiativen erfordern noch viele weitere Arbeit, bevor wir die Faktoren, die zu
Geisteskrankheit bei geistig Behinderten beitragen, und die Möglichkeiten,
die am Besten zur Behandlung der Probleme geeignet sind, verstehen. Es
ist jedoch klar, daß ein bedeutender Antrieb zur Erreichung dieser Ziele
vorliegt und wichtige Fortschritte bereits erzielt wurden.
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(1) In diesem Text wurde „mental health“ meistens durch „geistige Verfassung“ wiedergegeben (Anm. des Übersetzers).
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Steve MOSS
In: Weber: Psychische Störungen
Bern 1997
MB Wien 1998
NEUERE PSYCHODIAGNOSTISCHE
VERFAHREN ZUR ERFASSUNG
PSYCHISCHER STÖRUNGEN BEI
ÄLTEREN MENSCHEN
MIT GEISTIGER BEHINDERUNG.
Mängel in der psychiatrischen Versorgung, Probleme bei der Diagnose und
unzureichendes Verständnis der Betreuer machen ein besseres psychodiagnostisches Instrumentarium erforderlich. Psychische Gesundheit besteht
u.a. aus einem Gleichgewicht von Individuum und Umwelt.
"Ökologie der menschlichen Entwicklung: (BRONFENBRENNER): wie eine
Person mit den Settings der Umwelt in Interaktion tritt. Person im Zentrum des sozialen Systems größer werdender Kreise > politische und ökonomische Strukturen. Ökologie des Alterns als System kontinuierlicher
Anpassungsleistungen, Veränderungen von Person oder Umwelt lösen
Vorgänge aus, die adaptive Reaktionen erfordern > Aufrechterhaltung der
psychischen Gesundheit (LAWTON, NAHEMOW).
"Ökologiemodell des dynamischen Gleichgewichts" (HEADEY, WEARING):
Gleichgewicht zwischen Lebensereignissen und subjektivem Wohlbefinden.
Veränderungen, wenn Ereignisse innerhalb des Gleichgewichtsniveaus abweichen > Symptome psychischer Auffälligkeiten. Bedeutende Faktoren:
Ursache für Stress (Tod von Angehörigen, Krankheit, Ruhestand, Lärm,
Substandardverhältnisse, Stigmatisierung, Konflikte mit Betreuern, Unterforderung, Überbehütung) und Puffer vor Stressoren (materielle, kulturelle, physische, soziale Ressourcen). Psychische Störungen entstehen bei
Dominanz von Stress gegenüber Ressourcen.
Zusammenhang zwischen Versorgung, Betreuung, Diagnostik
und Behandlung:
Hauptfunktion der Dienste: Lebensbewältigung, Förderung der Unabhängigkeit, Verantwortung für die Pufferfunktion. Soziale Erwartungen an
Menschen m.g.B. niederer als in der Gesamtpopulation, daher erst späteres Erkennen psychischer Störungen mit Zuweisung zu psychiatrischer
Behandlung. Notwendig wird besseres Erkennen der Störungen und Verbesserung im Behandlungszugang.
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Probleme der Untersuchung und Diagnose:
Geringe verbale Ausdrucksfähigkeit vieler Menschen m.g.B.;
Definition von psychischen Störungen;
Validität der Informationen von Informanten;
Beitrag von Beobachtung und Gespräch;
Benutzung klinischer Erfahrung versus Gebrauch von objektiven Diagnosekriterien.
Verbesserungen des diagnostischen Vorgehens:
Psychiater benötigen spezielle Ausbildung über geistige Behinderung;
Diagnosemethoden müssen objektiver werden;
Zielsetzungen psychiatrischer Einrichtungen zu sind verbessern;
verstärkte Kooperation mit Angehörigen und Betreuern, Aufzeichnungen und Informationen austauschen.
Detaillierte psychiatrische Erfassung und Beurteilung:
PAS-ADD 10: Semi-strukturiertes Interview, Parallelanwendung für Patient
und Informant, mehrstufige Interviewdurchführung für Menschen m.g.B.
angemessen, gründliche Begutachtung, für große Bandbreite von Zustandsbildern. Letztlich verbesserte Version ermöglicht zuverlässige und
gültige Beurteilung der Symptome und der Diagnose. Durchführungsdauer
hängt von der Zahl der psychiatrischen Symptome ab (ab 30 min. aufwärts).
Gegenwärtig werden folgende Störungsformen abgedeckt:
F 20 Schizophrenie
F 32 Depression
F 40 Phobische Angststörungen
F 41 Andere Angststörungen
F 84 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen.
An der Bearbeitung weiterer erfaßbarer Kategorien wird gearbeitet (euphorische Stimmungs- und Zwangsstörungen, Autismus).
Herausfinden der kritischen Personen und Überweisung:
Entwicklung von Fragebögen mit Checkliste (PAS-ADD Checkliste) für Betreuer zur Entscheidungsfindung. Ermöglicht die Feststellung von Auffälligkeiten. Bei verstärkter Vermutung Überweisung an den Psychiater.
Der Mini-PAS-ADD ist ein Fragebogen für Betreuungspersonal im Hinblick
auf Primärsymptome, um jüngst aufgetretene auffällige Verhaltensweisen
festzustellen.
Diagnose von Demenz:
Bei älteren Menschen mit g.B. und Personen mit Down-Syndrom eines der
häufigsten Probleme mit gravierenden Auswirkungen auf psychische Gesundheit und kognitiv-intellektuelle Leistungsfähigkeit. Wegen der bis jetzt
25
ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
divergierenden Übereinstimmungen in der Definition des Zustandsbildes
wird international an einheitlichen Richtlinien gearbeitet.
Schlußfolgerungen:
Bei Menschen mit g.B. hohe Zahl unerkannter psychischer Störungen, bes.
Demenz, Depression und Angstzustände.
Große Zahl dieser Menschen bei guter körperlicher Gesundheit.
Bedarf an Unterstützung wird immer breiter und notwendig.
J.JANCAR
Stoke Park Hospital, Bristol
GERIATRIC MEDICINE 1988/ 81-87
Übers.: Bruckmüller/ Wurst 1988
KONSEQUENZEN
DER LÄNGEREN LEBENSDAUER
FÜR MENSCHEN
MIT GEISTIGER BEHINDERUNG
Langzeitstudien bei geistig behinderten Menschen geben zusätzliche Einsichten in ihre Verfassung und ihre Bedürfnisse; auffallende Veränderungen sind mit größerer Langlebigkeit verbunden.
Zahlreiche Studien wurden zur Langlebigkeit gemacht, und über die damit
verbundene klinische und geistige Pathologie des Alterns wurde vom Stoke Park, Bristol, berichtet. In einer 1983 erschienenen Übersicht über
Sterblichkeitstrends bei behinderten Personen der Stoke Park Anstalten
der Jahre 1930-1980 fanden wir einen auffallenden Trend zu größerer
Langlebigkeit und eine auffallende Veränderung der Todesursachen während der vergangenen 50 Jahre. Obgleich Tuberkulose nicht mehr eine
bedeutende Todesursache ist, so stehen bei geistig behinderten Menschen
noch immer andere Erkrankungen der Atemwege für den letalen Ausgang
im Vordergrund. Tod durch epileptischen Status wurde seltener, aber Tod
durch Krebserkrankungen, Herzinfarkt und Gehirnschlag haben zugenommen (Tab.1).
Vor 50 Jahren war die Sterblichkeit geistig behinderter Menschen in allen
Altersgruppen beachtlich höher als unter der allgemeinen Bevölkerung;
nun ist der Unterschied relativ gering. Diese Veränderungen waren besonders deutlich während der letzten 25 Jahre zu erkennen, weil neue Antibiotika und Antikonvulsiva, aber auch geeignetere Diäten, sowie bessere
Pflege- und Umweltbedingungen für geistig behinderte Menschen einge26
ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
führt wurden. Die Lebensdauer von Personen mit Down Syndrom hat sich
im Durchschnitt um 40 Jahre, bei anderen behinderten Personen um mehr
als 30 Jahre erhöht.
Psychosen und Neurosen:
1975 nahm HEATON-WARD eine Untersuchung der psychiatrischen Erkrankungen an den 1251 geistig behinderten Erwachsenen der Stoke Park -Anstalten vor. Die Häufigkeit von Psychosen und Neurosen, die in
dieser Übersicht zusammen gefaßt wurde, betrug 10 %. Manischdepressive Zustände setzten bei Männern im dritten, vierten und fünften
Jahrzehnt, bei Frauen im vierten, fünften und sechsten Jahrzehnt ein. Andere Übersichten haben psychiatrische Erkrankungen bei mehr als 60 %
der in Anstalten lebenden Behinderten ausgewiesen. Der Unterschied in
den Prozentangaben hängt von den Diagnosekriterien, dem Grad der geistigen Behinderung und dem Alter der untersuchten Personen ab.
1978 untersuchten wir in der gleichen Personengruppe organische Ursachen der Geisteskrankheit und stellten fest, daß, abgesehen von einigen
wenigen, der Ausbruch der Geisteskrankheit nach dem 40. Lebensjahr eintrat.
In einem Rückblick auf zwei Gruppen von geistig behinderten Personen,
im Alter von 40 Jahren und darüber fand DAY, daß 30 % der begutachteten Langzeitbewohner der Anstalt psychiatrische Auffälligkeiten aufwiesen,
dagegen nur 20 % von jenen Personen, die daheim leben konnten. Er folgerte daraus, daß manche der eher idealistischen Vorschläge für die Entwicklung einer gemeindenahen Versorgung den Bedarf an Spezialeinrichtungen und Fachkräften ignorieren. Die neurotische Störung ist ebenfalls
ein bedeutsames Problem bei leicht geistig behinderten Menschen des
mittleren Lebensalters und bei älteren Menschen, die in der Gemeinde leben. Ihr Ansteigen hängt mit den Veränderungen im Anstaltsalltag zusammen, noch mehr aber mit den streßartigen Belastungen des Lebens
außerhalb von Anstalten.
Kognition und Verhalten:
HEWITT u.a. stellten 1986 eine Studie über 148 Personen im Alter zwischen 65 und 88 Jahren vor, die in Bereichen unserer Anstalten lebten
und die über eine 50 Jahre dauernde Periode hindurch psychologisch getestet wurden. Sie stellten eine beständige geistige Entwicklung im Erwachsenenalter bis zum späteren mittleren Lebensalter fest. Ihr folgte in
der Regel eine Abnahme der intellektuellen Funktionen. Signifikant wurde
sie bei 18 % jener Personen, deren intellektueller Abbau mit Verschlechterungen in der Alltagsroutine und mit Orientierungsschwäche verbunden
war und bei denen auch Betreuer über den Rückgang berichteten. Dies
war nicht in Verbindung zu bringen mit der Höhe früherer Fähigkeiten oder
mit längerer Hospitalisierung. Bei der ganzen untersuchten Gruppe war
die Kompetenz in der Alltagsroutine hoch, wenngleich Verhaltensstörungen bei mehr als der Hälfte der Personen festzustellen waren. Diese
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ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Ergebnisse zeigen die Bedeutung von Arbeit und Förderung älterer Menschen mit geistiger Behinderung.
Die Annahme, daß Personen mit Down Syndrom frühzeitig altern, ist nicht
neu. In unserer Anstaltsübersicht hatten wir 98 Personen mit Down Syndrom, von denen 35 über 50 Jahre alt waren. Detaillierte psychologische
und klinische Studien bei 23 Personen mit Down Syndrom, die über 50
Jahre alt waren, wurden einer vergleichbaren Gruppe von Personen ohne
Down Syndrom gegenübergestellt; dabei zeigte sich, daß signifikante intellektuelle Verschlechterungen im mittleren Lebensalter, im Durchschnitt
bei 49 Jahren eintraten. Dies zeigte sich unabhängig vom Geschlecht, von
der geistigen Ausgangslage oder der Länge des Anstaltsaufenthaltes. Aber
die Verschlechterung war begleitet von Hörverlust, Verminderung der Sehschärfe und Makrozytose. Klinisch gab es bei keinem der Personen den
Nachweis einer akuten physischen Erkrankung, einer neurologischen Erkrankung oder einer Demenz.
Die Lebenserwartung für Personen mit Down Syndrom hat sich erhöht,
aber sie ist dennoch niedriger als jene der Gesamtbevölkerung. Es wurde
immer gedacht, daß Alzheimer'sche Erkrankung und Down Syndrom miteinander zusammenhängen, weil amyloide Plaques bei Personen mit Alzheimer'scher Krankheit jenen sehr ähnlich sehen, die man im Gehirn von
älteren Personen mit Down Syndrom fand. Neuere Arbeiten konzentrieren
sich auf die Isolierung der Gene für Betaamyloidprotein, das als Ablagerung im Gehirn bei beiden Gruppen gefunden wurde. Die jüngsten Ergebnisse legen bekräftigend nahe, daß ein Gendefekt am Chromosom 21 oder
ein Reguliermechanismus bei Morbus Alzheimer anzunehmen ist, wobei
die Überexpressivität dieses Gens ebenso als Ursache für Morbus Alzheimer als auch als histopathologisches Kennzeichen bei Down Syndrom anzusehen ist.
Carzinom - Krebs:
Zwischen 1936 und 1975 betrug die Gesamtzahl der Todesfälle von Menschen mit geistiger Behinderung in den Stoke Park Anstalten 1125. Von
diesen Personen starben 81 (7,2 %) an Krebs. Von 1956 bis 1975 war die
Zahl der Krebserkrankungen, vorzugsweise des Magen-Darmtraktes, höher als in der Normalpopulation (Tab.2).
Es ist interessant, daß das Durchschnittsalter bei Tod durch Krebs, das in
früheren Studien mit 56,5 Jahren angegeben war, 1982 auf 65 Jahre angestiegen ist. Das Ansteigen von Magen-Darmkrebs mag, abgesehen von
der erhöhten Lebensdauer, noch andere Faktoren widerspiegeln. In der
Übersicht war von 288 Epileptikern kein Fall von Leberkrebs zu beobachten, aber ein Fall von Lebervergrößerung und ein Fall von Gallenblasenkrebs war bei den nicht-epileptischen Personen zu verzeichnen; keiner von
beiden hatte irgendwelche Medikamente bekommen. Längerer Gebrauch
von Antikonvulsiva und Tranquillizern, manchmal in hohen Dosen, hatte
keinen wie immer gearteten karzinogenen Effekt an der Leber unserer Epilepsiepatienten. Nur 3 Personen (2 Männer und 1 Frau) starben an Lungenkrebs bei einer Gesamtzahl von 81 Krebstoten, obgleich eine Anzahl
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ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
unserer Bewohner z.Teil starke Raucher waren, die sowohl industriell gefertigte, als auch selbstgemachte Zigaretten rauchten. Interessanterweise
starb während dieser 40 Jahre keiner der an Down Syndrom leidenden
Personen an Krebs. Ein männlicher Patient mit einigen Merkmalen des
Down Syndroms starb an Magenkrebs, gegenwärtig haben wir einen Patienten mit Hodenkrebs, einem sogen. Seminom.
Diabetes mellitus - Zuckerkrankheit:
In einer Übersicht vom 1.8.1982 über die 1116 geistig behinderten Personen fanden wir, daß 23 von ihnen Diabetiker waren (13 Frauen, 10 Männer). Zum Diagnosezeitpunkt erstreckte sich die Altersstreuung von 24 bis
75 Jahren, mit einem Durchschnittswert von 56,7 Jahren. Diabetes fand
sich im Zusammenhang mit folgenden Zuständen: Down Syndrom,
Achondroplasie, Potter'sches Syndrom, Tetraploidie (erhöhtem DNAGehalt im Zellkern), familiäre Mikrocephalie, Vorhofswanddefekt und Dupuytren'sche Erkrankung. Komplikationen wurden bei 34 % der Patienten
festgestellt (wiederholte Infektionen, Bluthochdruck, Lidrandentzündung,
Grauer Star, Netzhauterkrankung und org. Nervenleiden). In 5 Fällen gab
es in der Famili-engeschichte psychiatrische Erkrankungen und in 2 Fällen
Diabetes mellitus. Die Verbreitung von Diabetes mellitus scheint bei geistig behinderten Menschen höher zu sein als in der allgemeinen Bevölkerung und, bei größerer Langlebigkeit, früher entdeckt zu werden; die Einleitung einer geeigneten Behandlung ist wichtig.
Dupuytren'sche Krankheit:
In einer im Jänner 1984 in der Anstaltsgruppe durchgeführten Übersicht
fanden wir, daß von 1092 geistig behinderten Menschen 36 an der Dupuytren'schen Krankheit litten (22 Männer, 14 Frauen). Die Altersstreuung
lag zwischen 31 und 77 Jahren (Mittelwert 53,3 Jahre) bei Männern, zwischen 32 und 96 Jahren bei Frauen (Mittelwert 69,1 Jahre). Von diesen
Personen hatten 9 Männer und 7 Frauen Epilepsie, 2 Männer litten an einer fragilen X-Chromosom- Abnormität und 1 Frau an Diabetes. Personen
mit Down Syndrom litten weder an der Dupuytren'schen Krankheit noch
an einer anderen Abnormität.
Hepatits B:
Alle Bewohner der 7 Anstalten zusammen mit jenen der 7 Wohnhäuser für
geistig behinderte Menschen in Bristol wurden zwischen 1976 und 1980
auf Anzeichen von Hepatitis B überprüft. Von 2239 Personen waren 123
Träger von Hepatitis B Antigenen (5,5 %) und 1/3 von ihnen war infektiös. Personen mit Down Syndrom waren 18 mal häufiger Infektionsträger
als Personen ohne Down Syndrom; Männer waren 6 mal häufiger Träger
als Frauen. Die Trägerrate nahm mit dem Alter ab, aber das Verhältnis
von Trägern, die antigen- positiv waren, wurde durch das Alter nicht
beeinflußt. Die Überwachung der in den Anstalten und in den regionalen
Wohnhäusern lebenden geistig behinderten Menschen hinsichtlich Hepati29
ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
tis B mußte daher aufrechterhalten werden; Bewohner und Mitarbeiter
wurden, wenn es zweckmäßig erschien, geimpft.
Augen, Ohren, Zähne und Füße:
Vorläufige Ergebnisse einer ophthalmologischen Übersicht zeigen weite
Verbreitung von Augenfehlern und in einer frühen, von COOK an 222 über
45 Jahre alten Personen vorgenommenen Übersicht fand man 70 Personen, die an Hördefekten litten (31,5 %). Bei 36 Personen wurde ein Audiogramm gemacht und 26 wurden mit einem Hörgerät ausgestattet, aber
nur 7 Personen waren bereit, es zu tragen. Dies zeigt eine der Schwierigkeiten der Behandlung von Hörschwächen bei alten geistig behinderten
Menschen auf, weil es ihnen widerstrebt, eine Hörhilfe zu tragen. Von 37
Personen mit Down Syndrom litten 14 an verschiedenen Graden von Hörverlust.
Das Hauptproblem in der Zahnbehandlung ist deren zeitgerechte Durchführung, weil behinderte Personen häufig behandlungsunwillig sind oder
nicht in der Lage, die Symptome bekanntzugeben. Daher sind regelmäßige
Zahnuntersuchungen unentbehrlich, um unnötige Schmerzen zu verhindern und um das Kauen, das Sprechen und das Erscheinungsbild zu
verbessern.
Der Fußpfleger spielt bei der Erhaltung der Beweglichkeit eine bedeutende
Rolle, ebenso bei der Linderung oder Verhinderung von Fußschmerzen. Er
erkennt Krankheitszustände, die sich an den Füßen manifestieren, behandelt sie und verbessert den Zustand der Füße. Allgemein bekannte Beispiele dafür sind Zirkulationsstörungen, Diabetes und Geschwüre.
Medikamente:
Alle Medikamente, die ältere geistig behinderte Menschen benötigen, müssen sorgfältig überwacht werden. Eine 1983 von JAMES durchgeführte
Studie zeigte, daß die regelmäßige und systematische Anwendung einfacher Richtlinien für die Verschreibung und Kontrolle von Psychopharmaka
zu einer Verringerung der Medikation an Menge und Einnahmefrequenz
führt, wodurch die Nebenwirkungen vermieden werden. Darüber hinaus
spart man an Arbeitszeit des Personals und an Medikamentenkosten.
Frakturen - Brüche:
Wir haben gerade eine Übersicht abgeschlossen, die die hohe Anzahl von
Unfällen mit Frakturen bei über vierzigjährigen geistig behinderten Personen an 731 Fällen aufzeigt (366 Männer und 365 Frauen). Darunter waren
54 Männer (72 Frakturen) und 62 Frauen (110 Frakturen)mit einem oder
mehreren Brüchen.
Die am häufigsten bekannten Anlässe für Frakturen sind Epilepsie, die Menopause, Medikamente, die Osteoposore, Skelettdysplasien, neurologische
Krankheiten und chromosomale Abnormitäten. Andere geistige oder physische Störungen, Krankheiten oder genetische Abweichungen verursachten oder trugen ebenfalls zu Frakturen bei.
30
ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Abgesehen vom menschlichen Leiden verursacht die Behandlung von
Frakturen hohe Kosten durch Arbeitsbelastung und Materialaufwand. Die
Beachtung der regelmäßigen Zugabe von Mineralstoffen, Vitaminen und
anderen Substanzen ist bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung
daher unentbehrlich, um die Anzahl der Frakturen zu verringern.
Regionale Hilfe in der Gemeinde:
Zwei Gemeindepflegerinnen, COLLEDGE und CROOK, fanden 634 geistig
behinderte Personen heraus, die außerhalb der Anstalt leben. Von ihnen
waren 130 Personen über 40 Jahre oder älter (20,5 %), 23 Personen waren über 60 Jahre alt (3,6 %) und 7 über 70 Jahre alt. 14 von diesen über
40 Jährigen (10,8 %) waren Personen mit Down Syndrom (Altersgruppe
von 40 bis 52 Jahren).
Ein Drittel von diesen 130 alten geistig behinderten Menschen erhielt keine Tagesbetreuung außerhalb ihrer Wohnung. Über die Hälfte einer Zufallsgruppe von 50 hatte signifikante Ausfälle in der Alltagsroutine oder
war medizinisch behandlungsbedürftig. Fast die Hälfte von ihnen hatte bereits beide Elternteile verloren, 34 % hatten noch einen lebenden Elternteil und bei nur 12 % lebten noch beide Eltern.
CARTER fand, daß in einem Beobachtungszeitraum von über 10 Jahren
fast 75 % aller Daueraufnahmen von behinderten Personen in die Anstalt
auf das höhere Alter der Eltern, auf Erkrankung der Eltern oder deren Tod
zurückzuführen ist.
Das Bild, das vom alten geistig behinderten Menschen entsteht, wirft
grundsätzliche Fragen für die künftige Hilfe auf, da viele dieser Personen
immer wieder aus der Anstaltsbetreuung entlassen werden, um selbständig für sich zu sorgen. Mit zunehmendem Alter werden diese Menschen
einen erhöhten Aufwand an Hilfe und Behandlung durch ein spezialisiertes,
multidisziplinäres Team benötigen, damit ihre Lebensqualität aufrechterhalten werden kann.
Diät und Umwelt:
Genaue Diätvorschriften und eine geeignete Umwelt für ältere geistig behinderte Menschen leisten einen großen Beitrag zur besseren und gesünderen Lebensführung. Unsere beiden Wohneinheiten für die Älteren im
Stoke Park liegen in ruhiger Umgebung am Rande der Anstalten, in der
Nähe des Waldes, mit Gärten, einem Vogelhaus und einem Futterplatz für
Tiere. Die Wohneinheiten sind gut geplant, warm und wohnlich, gut beleuchtet, in lebhaften Farben gehalten.
Das therapeutische Team:
Neben den bereits erwähnten professionellen Mitarbeitern gehören noch
andere wesentliche Mitarbeiter dem therapeutischen Team an: Krankenpfleger, Physiotherapeuten, Beschäftigungs-, Musik- und Sprachtherapeuten. Der Sozialarbeiter ist häufig die Schlüsselfigur im therapeutschen
Team; er beschafft wichtige Informationen, über die häusliche Umgebung
des Behinderten oder entsprechende Plätze seiner Unterbringung; er berät
31
ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Anstaltsbewohner und Angehörige und stellt die Verbindung zwischen der
Anstalt und anderen Hilfsstellen her. Seelsorgerische Unterstützung aller
Bekenntnisse ist sehr wichtig, besonders in Zeiten der Trauer über den
Verlust von Angehörigen, in Verlassenheit, in der Todeskrankheit und zur
Vorbereitung auf den Tod. Das therapeutische Team wird vervollständigt
durch die Hinzuziehung von Konsili-arärzten der verschiedenen medizinischen Sparten, durch die Anstaltsapotheke, sowie das Röntgen und Fotolabor.
Schlußfolgerung:
Benötigt wird eine alle Mitarbeiterebenen umfassende, die Probleme der
Langlebigkeit und des Alterns betreffende Ausbildung; ebenso hat die Forschung vordringliche Bedeutung. Ohne Forschung können wir weder Hilfe,
Behandlung und Vorsorge gegen Altersstörungen und Alterserkrankungen
verbessern, noch geeignete Vorsorge für zukünftige Dienste und Arbeitsleistungen planen. Die Zahl der gegen Ende ihres Lebens erkrankenden
geistig behinderten Menschen ist im Ansteigen begriffen. Spezielle Einrichtungen und angemessen ausgebildete Mitarbeiter werden benötigt, um
dieser Personengruppe adäquate Hilfe zuzusichern, damit sie ihr Leben
friedlich und schmerzfrei in ihrer Umgebung mit ihren Freunden und mit
vertrauten Betreuern beenden können.
Ich möchte meinen Dank den früheren und derzeitigen Mitarbeitern der
Stoke Park Anstalten für ihre ausgezeichnete Pionierarbeit aussprechen,
ebenso auch der Frenchay Gesundheitsbehörde in Bristol für die andauernde Unterstützung und die realitätsgerechte Planung von Diensten für
die alten behinderten Menschen.
Literatur:
CARTER G.: Why are the mentally handicapped admitted to hospital? Br J Psychiat
1984;145:283-288.
CARTER G, JANCAR J.: Mortality in the mentally handicapped: a 50-jear survey at the
Stoke Park group of hospitals (1930-1980). J Ment Defic Res 1963.27:143-156.
CLARKE S K R, CAUL E O, JANCAR J, GORDON-RUSSELL J B.: Hepatitis B in seven hospitals for the mentally handicapped. J Infection 1984;8:34-43.
COOKE L B: Hearing loss in the mentally handicapped - a study of its prevalence and
association with ageing. Br J Ment Subnormality (in press).
COLLEDGE A, CROOK P.: Community care for ageing mentally handicapped people: a
nursing surviey. In Science and Service in Mental Retardation 1986. BERG J M.(Ed.)
Methuen, London and New York. 335-344.
HEATON-WARD W A.: Psychosis in mental handicap (Blake Marsh lecture). Br J Psychiat
1977;130:525-533.
32
ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
DAY K A.: Psychiatric disorder in the middle-aged and elderly mentally handicapped. Br J
Psychiat 1985;147:660-667.
HEWITT K E, FENNER M E, TORPY D.: Cognitive and behavioural profiles of the elderly
mentally handicapped. J Ment Defic Res 1986;30:217-225.
JAMES D H.: Monitoring
1983;142:163-165.
drugs
for
the
mentally
handicapped.
Br
J
Psychiat
JANCAR M P, JANCAR J.: Cancer and mental retardation (a 40-year review). Bristol Med
Chir J 1977;92:3
Dr. Maria BRUCKMÜLLER
Int. Tagungsbericht
IASSMD Wien 1996
PSYCHISCHE STÖRUNGEN
BEI ÄLTEREN MENSCHEN
MIT GEISTIGER BEHINDERUNG
Untersuchung der LH Wien;
Berichtsband über IASSMD Tagung, Wien 1996
Es gibt eine Reihe von Gründen, die es erforderlich machen, sich dem
Thema "Psychische Störungen bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung " zu widmen. Das Zusammentreffen von Alter und psychischer Störung oder Erkrankung betrifft nicht nur diese Menschen, sehr wohl aber
handelt es sich um eine Gruppe, die in erhöhtem Maß betreut und gepflegt
werden muß - Menschen also, die nicht für sich selbst sorgen können und
auf die aufmerksame Beobachtung ihrer Helfer angewiesen sind. Ältere
Menschen mit geistiger Behinderung leben in der Regel nicht mehr bei ihren Angehörigen, sie wohnen in Gruppen oder Heimen und sind häufig
noch in Tagesstätten beschäftigt. Die Symptome psychischer Veränderungen im Zusammenhang mit Lebenskrisen, Verlusterfahrungen und Krankheiten werden von der Umwelt nicht selten als Verhaltensstörungen erlebt. Die Reaktion darauf geht eher von Krisenmanagement oder Verhaltensmodifikation aus, weniger von dem Gedanken einer medizinischpsychiatrischen Intervention. Bei Menschen, die ihren Betreuern über viele
Jahre hin bekannt sind, werden langsam verlaufende, schleichende Übergänge zu psychischer Krankheit oder Störung oft erst dann wahrgenommen, wenn akute Phasen oder Verläufe massive Eingriffe erfordern. Die
berufliche Interdisziplinarität hat nun dazu geführt, daß der Austausch nationaler und internationaler Erfahrungen in der Begleitung von Menschen
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Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
mit geistiger Behinderung zum besseren Verständnis des Phänomens beiträgt. Die Literatur zum Thema ist umfangreich, sie enthält die Bandbreite
der Diagnose- und Behandlungsformen in Medizin, Psychologie und Psychotherapie. Es genügt allerdings nicht, wissenschaftliche Erkenntnisse
aufzunehmen; die gesellschaftlichen Formen der Betreuung müssen dazu
ebenso angemessen geändert werden wie die Einstellung im Bewußtsein
der Umwelt.
Ansätze zu weiteren Überlegungen kommen auch durch die in vielen europäischen Ländern vorgesehenen rechtlichen Regelungen zur Ausgliederung
aus der Psychiatrie. Gerade ältere Menschen mit geistiger Behinderung
sind davon häufig dann betroffen, wenn sie über Jahre in psychiatrischen
Einrichtungen gelebt haben, weil andere Wohnformen nicht zur Verfügung
standen. Unterscheidungen zu treffen zwischen psychischen Störungen
und Deprivationsschäden ist nicht leicht.
Veränderungen in den Ansichten über psychische Störungen und über das
Leben von älteren geistig behinderten Menschen, damit verbunden eine
qualitätvolle Zusammenarbeit zwischen Psychiatrie und Pädagogik, setzt
gegenseitige Kenntnis und vorurteilsfreien Austausch der Betreuungsergebnisse voraus. Darüber hinaus ist "Geistige Behinderung" keine einheitliche Gruppenbezeichnung, sondern benennt divergierende, nach Ursachen getrennte Personengruppen, deren unterschiedliche Reaktionen und
Verläufe psychischer Störungen/ Krankheiten im Alter in zahlreichen Studien belegt sind.
Das vorliegende Buch ist der Berichtsband über eine Internationale Konferenz zum Thema "Geistige Behinderung und psychische Störungen im Alter", die im April 1995 in Wien stattgefunden hat. Die Referate und
Workshops vermittelten den Teilnehmern nicht nur einen aktuellen Stand
internationaler wissenschaftlicher Arbeit, sondern darüber hinaus dessen
praktische Anwendung. Die Beschäftigung mit dem Thema fordert als
Konsequenz ein Umdenken in der Betreuung älterer Menschen mit geistiger Behinderung, womit sowohl ein adäquater Umgang der Betreuungspersonen als auch eine angemessene gesellschaftpolitische Sorge für diese
Menschen gemeint ist. Dies sollte in letzter Konsequenz zu einer selbstverständlichen Einbeziehung von alten Menschen mit geistiger Behinderung in das jeweils nationale Netz der Gesundheitsfürsorge für alte Menschen führen. Gefordert ist damit auch ein antdiskriminierter Umgang mit
Psychiatrie und psychischen Störungen oder Krankheiten. Mit der Dualdiagnose "Geistige Behinderung und psychische Krankheit" sollte ebenso
selbstverständlich umgegangen werden wie mit jener von Alterskrankheiten bei Menschen mit geistiger Behinderung.
Die Veranstaltung, so hoffen wir, konnte zu diesem umfassenden Verständnis von Störungsformen im Alter beitragen. Die ständig gewünschte
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Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Interdisziplinarität wurde dankenswerter Weise zwischen dem psychologischen Institut der Universität Wien, der International Assiciation for the
Scientific Study of Mental Deficiency und der LEBENSHILFE ÖSTERREICH
praktiziert. Sie führte zu einem regen Austausch zwischen Wissenschaft,
Betreuungspraxis und Behörden. Die Ergebnisse werden daher nicht nur
den älteren Menschen mit geistiger Behinderung zugute kommen, sondern
mithelfen, den Betreuungsalltag für alle darin eingebundenen Menschen zu
verbessern. Der besondere Dank gilt daher dem Herausgeber und Mitarbeitern, sowie dem Verlag, der es übernommen hat, den Berichtsband zu
erstellen und einer interessierten Leserschaft zugänglich zu machen.
Anton DOSEN
In: Weber: Psychische Störungen
Huber Bern 1997
Seminarunterlagen Folien MB 1998
PSYCHISCHE GESUNDHEIT
BEI ÄLTEREN MENSCHEN
MIT GEISTIGER BEHINDERUNG
Neuere Entwicklungen und Problembereiche.
Problembereiche:
Schwierigkeiten bei der Identifikation und der Diagnose psychischer Störungen in dieser Population; Risiken der fehlerhaften Diagnose, besonders
bei Personen mit Down-Syndrom.
Grundprobleme bei der psychiatrischen Versorgung:
1.
2.
3.
4.
Problembereich: unterschiedliche Professionen,
kulturelle Einstellungen,
Organisationsform psychiatrischer Versorgungsstrukturen,
Erkennen und Erfassen psychischer Störungen.
ad 1)
Konflikte zwischen den betreuenden Berufsgruppen, deren Positionen die
Qualität der Versorgung bestimmen.
Allgemeiner Mangel an spezifischem Wissen bzgl. psychischer Auffälligkeiten bei g.B.
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Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Priorität der Forschungsthemen:
Persönlichkeitsentwicklung;
Zusammenhang zwischen emotionaler Entwicklung und psychischen
und Verhaltensstörungen;
psychosoziale Bedürfnisse bei g.B. (Langzeituntersuchung);
differenzierte psychiatrische Diagnostik der zugrundeliegenden psychopathologischen Mechanismen;
Beurteilung der Behandlungseffektivität, besonders der psychopharmakologischen Behandlung.
ad 2)
Ansicht über g.B. als negatives und schmerzvolles Phänomen, besetzt mit
Vorurteilen. Bezeichnung als "Krankheit" wegen leichterer Akzeptanz. Unterschiedliche kulturelle Einstellung maßgeblich für nationale Politik und
der Versorgungsstrukturen.
ad 3)
Bedeutung der spezialisierten Dienstleistungen, nicht allgemeine Versorgung von Menschen m.g.B. in psychiatrischen Krankenhäusern;
Mangel an Spezialisten, besonders an Psychiatern;
Mangel an wissenschaftlicher Forschung;
Bedeutung einer gemeinsamen Sprache und Terminologie.;
Notwendigkeit der multidisziplinären Kooperation.
Konsequenzen:
Aufbau geeigneter Versorgungsstrukturen;
diagnostisches Basiswissen zum Erkennen psychischer Störungen;
Förderung einer gesunden psychischen Entwicklung bei Menschen m.g.B.;
Prävention psychischer Störungen;
Behandlung psychischer Krankheit und Verhaltensstörungen.
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Dr. Maria BRUCKMÜLLER
LHÖ Wien 2004
Folie
GERAGOGISCHE UNTERSTÜTZUNG
ALTERNDER MENSCHEN
Lebensgestalt
Lebensgeschichte
Gruppenleben
Erfahrungen
Ängste
Ich bin
unnötig
Angebote
Biographienarbeit
Seniorengruppen
Seniorenbeschäftigung
Privatraum
Interessenbildung
Mitsprache/
Bestimmung
Geldregelung
Beziehungen
Verläßlichkeit
Alltag
Pflegebedürftigkeit
Sterben
Tod
Ich bin
ungeliebt
Ich bin
abhängig
Ich bin
ausgesetzt
Bezugsbetreuer
Besuchsdienst
Muße und Zeit
Freizeitgestaltung
Sicherheit
Pflegehilfen
Tagesstruktur
Sinnfrage
Sterbebegleitung
Abschiedsrituale
Distanz u. Intimität
Folie
37
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Martin TREBERT
Weinheim 1991
Bearb. MB 1993 LHÖ
PSYCHIATRISCHE ALTENPFLEGE
Ein praktisches Lehrbuch.
Das Buch geht von einigen wichtigen Grundsätzen der Altenpflege aus. Es
betrachtet den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit. Hilfe und Pflege richten sich daher nicht an der Krankheit, sondern am kranken Menschen aus.
Entscheidend für die psychischen Erkrankungen von alten Menschen sind
deren einschneidende Lebensveränderungen: Verlust und Einschränkung.
Ein passiver Lebensstil hat nachteilige Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit.
Die Grenzen zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit werden als
fließend angesehen. Die Krankheitsbilder werden in mehrere Bereiche gegliedert:
organisch bedingte psychische Störungen;
Depressionen;
wahnhafte Störungen und Schizophrenie;
Abhängigkeitserkrankungen;
psychosomatische Beschwerden;
Selbsttötung.
Bei der Pflege alter Menschen steht die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund. Der Pfleger steht in partnerschaftlicher Haltung dem alten Menschen gegenüber; er muß sich in ihn einfühlen können, er dringt damit in
die Privatsphäre ein und sollte, um Distanz zu behalten, sein Handeln auch
supervidiert reflektieren. Gerade das Verständnis des kranken alten Menschen in der jeweils eigenartigen Situation verlangt ein großes Maß an
fachlichem Können und persönlicher Reife.
Der Autor hat es verstanden, nicht nur Fachkenntnisse in verständlicher
Form zu vermitteln, sondern die Beziehung zwischen dem alten Menschen
und dem Helfer darzustellen, um zur Pflege zu ermutigen und dadurch
soweit als möglich die Lebensqualität alter Menschen zu verbessern. Das
Buch geht nicht ausdrücklich auf die Altersprozesse oder -veränderungen
bei Menschen mit geistiger Behinderung ein. Es ist aber für Betreuer in der
Behindertenhilfe unschwer möglich, die dargestellten Krankheitsverläufe
auf die Situation von geistig behinderten Personen zu übertragen. Es kann
gerade durch seine Klarheit dazu beitragen, daß bei der Betreuung alter
geistig behinderter Menschen nicht die Behinderung, sondern die Störung
oder Erkrankung erkannt wird, so daß eine Behandlung eingeleitet werden
kann, die die Beschwerden des Alterns entscheidend erleichtert. Darüber
hinaus wird das Buch auch den Eltern von geistig behinderten Personen
empfohlen, um die Bedeutung der zeitgerechten Unterbringung in einer
Wohnstätte außerhalb der Familie, in der der behinderte Mensch alt werden kann, aus fachlichen Gründen zu unterstreichen.
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ARCHIV Medizin 1991-2005 lLHÖ Altersveränderungen Erkrankungen
Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Dr. med. Rudolf BABITS
Anhang zum Gesundheitsunterstützungsplan
LHÖ Wien 2005
GESUNDHEITSUNTERSTÜTZUNG IM ALTER
Anhang : Untersuchungen und Maßnahmen
LABORUNTERSUCHUNGEN
1 x jährlich
SENKUNG
BLUTBILD: BB + Diff. Thrombozyten, BZ, TSH, HS, BUN,
KREAT,
NA, K,
CA, CL, P,
Fe, Chol,
HDL-Chol, LDL-Chol,
Triglyceride,
yGT, GOT, GPD, alu. Phosphatase,
Bili.
HARN komplett
Es liegt im Ermessen des behandelnden Arztes, diese Untersuchungen öfter als 1 x jährlich durchzuführen, in Abhängigkeit von den Grunderkrankungen des Klienten, bzw. seines Risikoprofils.
Dementsprechend ist obiger BASISBLOCK durch Zusatzuntersuchungen zu
ergänzen, z.B. entsprechender Medikamentenspiegel bei
Epilepsie;
Lithium oder Digitalismedikation;
Blutzuckerbelastungstests und Hb A1 C bei Diabetesverdacht,
bei bekanntem familiärem Diabetes
und bei übergewichtigen Klienten;
seltenere Parameter wie Hormonuntersuchungen,
Rheumafaktoren
oder Tumormarker bei entsprechenden Symptomen und
Verdachtsmomenten.
Es wäre günstig,
diese Blutabnahme in eine allgemeine Vorsorgeuntersuchung einzubinden.
Wenn Risikofaktoren frühzeitig erkannt und verbessert werden,
ist dies die beste Altersvorsorge.
ANLAUFSTELLEN:
Die zentrale Anlaufstelle für diese Untersuchungen ist der Arzt für Allgemeinmedizin.
Es liegt an ihm, die entsprechenden Fachärzte einzubinden, wie z.B.
GYNÄKOLOGIE: Routineuntersuchung, Brustkrebs, Eierstock- und
Unterleibsvorsorge.
ZAHNARZT: Paradontisprophylaxe, rechtzeitiger Zahnersatz, bzw.
Implantate.
HNO: rechtzeitige Diagnose von Hörverlusten.
AUGEN: Glaukom = erhöhter Augendruck,
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Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
Sehverschlechterungsdiagnose + Catarakt und Netzhauterkrankungen.
INTERNIST: Herz- Kreislauferkrankungen, überhöhter Blutdruck
beim Kardiologen;
Dickdarmkrebsfrüherkennung beim Gastroenterologen ohne Endoskopie
ab dem 40. Lebensjahr;
Diabetesfrüherkennung;
Erkennung von Fettstoffstörungen und Gefäßerkrankungen.
HAUTARZT: Vorstellung von Klienten mit vielen Muttermalen – 1 x
jährlich.
UROLOGE: 1 x jährlich bei Männern ab dem 50. Lebensjahr.
NEUROLOGIE: rechtzeitige Diagnose von Abbauerkrankungen des
Nervensystems.
ORTHOPÄDIE: Vorbeugung von Haltungsschäden;
Osteoporoseprophylaxe.
Diese Aufzählung
kann bei der Komplexität von Erkrankungsverläufen nicht komplett sein.
Sie soll lediglich als eine erste Orientierung verstanden werden.
MEDIKAMENTE:
Diese sollen rechtzeitig verordnet werden;
trotzdem ist in erster Linie auf allgemeine Maßnahmen zu achten:
Ernährung, mehr Bewegung usw.
Prinzipiell dürfen nicht rezeptpflichtige Medikamente,
bzw. solche, die als Nahrungsmittelzusätze registriert sind
und auch Vitamin – Kombinationen selbständig gegeben werden.
Ich würde aber empfehlen, auch in diese Entscheidungen
den Arzt für Allgemeinmedizin einzubeziehen.
In Frage kommen:
Vitaminkombinationen mit oder ohne Sporenelementzusätzen (SUPRADYN
®, BEROCCA ®);
Vitaminkombinationen wie z.B. VITA u.E (GEROGELAT ®, ARCAVIT AE
®)
VIT B1, B6, B12 (Neurobion forte ®, ARCA BE ®);
Calcium und VIT D bei Osteopenie und Osteoporose,
Eisen mit oder ohne Folsäure bei Mangelzuständen,
Magnesiumpräparat;.
Sogenannte „Basenmischungen“;
Klassische Nahrungsmittelergänzungen wie von der Firma Ökopharm,
bzw. Ergosum.
Vom Arzt zu verordnen:
Durchblutungsfördernde Mittel,
die Blutviskosität verbessernde Mittel,
die Darmflora unterstützende Mittel,
Enzyme,
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Fachliteratur, Praxis - Wien – Unterlagen MB 2009 - Themenheft 11
bzw. die gesamte Palette von Molekülen, welche die im vorangegangenen Text erwähnten Krankheiten regulieren und heilen.
Bei der Auswahl der Partner – Ärzte/ Ärztinnen
ist neben dem allgemeinen Ruf,
welchen die Kollegen und Kolleginnen besitzen,
darauf zu achten, ob diese ein Geriatriediplom besitzen.
In Wien haben sich die Ambulatorien der einzelnen Krankenkassen zur
Durchführung von Gesundenuntersuchungen, fachärztlichen Begutachtungen und Operationsfreigaben sehr bewährt.
Weitere Adressen in Wien: Sophienspital,
KH Göttlicher Heiland,
gyn. Ambulanz AKH – Termin am Nachmittag vereinbaren für behinderte Frauen,
Lungenabteilung und Neurolog. Abteilung Wilhelminenspital,
KH Rosenhügel,
Zahnsanierung KH Lainz
Anschrift:
Dr. med. Rudolf Babits, Blumeng. 18, 1180 Wien
Tel. +43-1-405 42 93
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