Musikermedizin Orthopädische Erkrankungen in der Oper

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Ch. Buck - Orthopädische Erkrankungen in der Oper
Musikermedizin
Orthopädische Erkrankungen in der Oper
Ch. Buck, Ulm
Zusammenfassung
Die gängige Opernliteratur von d´Albert,
über Verdi und Wagner bis Zemlinsky ist
voll von Zwergen, Riesen, Hexen und
missgestalteten „Kreaturen“. Anhand der
Beschreibungen im Libretto beziehungsweise der literarischen Vorlage oder der
Partitur wird versucht die zugrunde liegenden, vorwiegend orthopädischen Krankheitsbilder den jeweiligen Opernfiguren
zuzuordnen.
Ein Streifzug durch die Welt der Oper aus
orthopädischer Sicht.
Summary
The prevalent Opera repertoire, from
d´Albert, through Verdi and Wagner to
Zemlinsky, is full of dwarfs, giants, witches
and other „deformed“ beings. Based on the
libretto, or respectively the literary source or
musical score, an attempt will be made to
diagnose the clinical picture - mainly of
orthopaedic nature - of each of these opera
characters.
An excursion through the opera world from
an orthopaedic point-of-view.
Key-Words
Orthopaedic disorders, music, opera
Il était une fois à la cour d'Eisenach...
- es war einmal am Hofe von Eisenach
eine kleine Mißgeburt namens Kleinzack
der hatte auf dem Kopf einen Kalpak
und seine Beine machten klick klack!
Er hatte einen Buckel statt des Bauches,
Seine dürren Beine hingen wie aus einem
Sack...
soweit die Beschreibung des Zwergen
Kleinzack in Jacques Offenbachs Oper
„Hoffmanns Erzählungen“. Als Vorlage zu
der, am 10.2.1881 in Paris uraufgeführten
Oper diente u.a. die Erzählung „Klein Zaches genannt Zinnober“ aus der Feder des
Dichters E. T. A. Hoffmann (1776 -1822).
Aus orthopädischer Sicht passt die Beschreibung, die der Tenor in seiner Arie aus
dem 1. Akt von Kleinzack abgibt, zum Bild
einer multiplen epiphysären Dysplasie oder
eines metadystrophischen Zwergwuchses.
Differentialdiagnostisch sollte bei den multiplen Luxationen sicherlich auch ein Larsen-Syndrom diskutiert werden (Abb.1).
Glücklicher hätte sich der Verlauf der weiteren Oper gestalten können, wenn Hoffmann, der oben erwähnte Tenor, das anschließende Trinkgelage mit den Studenten
und Stammgästen in Lutters Weinstube in
Berlin eingestellt und die Rückkehr seiner
Muse Stella in nüchternem Zustand erwartet hätte. Doch welch wundervoller Melodienreigen wäre uns in diesem Falle verloren gegangen!
Kleinzack, eine Ausnahme?
Bei genauem Hinschauen und -hören zeigt
sich, dass es in der Oper nur so von missgestalteten Kreaturen wimmelt, denen der
geneigte Opernhörer jedoch nur in den
seltensten Fällen sein Mitleid schenkt.
Musikphysiologie und Musikermedizin 2000, 7. Jg., Nr. 2
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„Ein Scheusal war es, das widerlichste
Scheusal, das er je erblickt hatte. Nicht
geradegewachsen wie all die anderen Leute, nein! Höckerig und krummbeinig, mit
großen wackelnden Kopf und einer Mähne
von schwarzen Haaren.“
Ein autobiographisches Moment für die
Bearbeitung dieses Stoffes mag durchaus
mitverantwortlich gewesen sein, beschreibt
Alma Mahler den Komponisten Zemlinsky,
den sie als Mensch wie als Lehrer gleichermaßen verehrte, doch als „klein, kinnlos, zahnlos, als einen scheußlichen
Gnom“.
Das Spektrum der in Frage kommenden
Grunderkrankungen beinhaltet sowohl die
Achondroplasie als auch die Pseudoachondroplasie.
Differentialdiagnostisch
sollten hier am ehesten die Pyknodysostose und die Osteogenesis imperfecta in Betracht gezogen werden.
Auch Franz Schreker (19878- 1934), der
Nachwelt eher bekannt als der Komponist
der Oper 'Der ferne Klang', diente bei der
musikalischen Gestaltung des missgestalteten Edelmanns Alviano in der Oper 'Die
Gezeichneten' (Uraufführung, Frankfurt
1918) eine der oben genannten Erkrankungen als Vorlage.
Abb. 1: Umschlagentwurf von E. T. A. Hoffmann
zu „Klein Zaches“.
Die Kollegen in einer orthopädische Praxis
ließen sich gut und gerne einige Tage mit
Diagnostik und noch länger mit der Therapie dieser Erkrankungen beschäftigen!
Lassen Sie mich die Aufzählung mit einigen
weniger bekannten Werken aus der 1. Hälfte unseres Jahrhunderts beginnen.
„Der Zwerg“ so der Titel Alexander von
Zemlinskys (1871 - 1942) 1922 uraufgeführter Oper, basiert auf einer Erzählung
des englischen Dichters Oscar Wilde
(1854-1900) mit dem Titel „Der Geburtstag
der Infantin“. In der literarischen Vorlage
beschreibt der Erzähler die tragische
Hauptfigur, die ihr wahres Aussehen in
einem Spiegel im Schloss der herzlosen
Königin, der er als Spielzeug dient, betrachten muss:
Noch schwerer fällt die differentialdiagnostische Beschreibung der buckligen Priorin
Jeanne in Penderecki's Oper 'Die Teufel
von Loudun' (Uraufführung, Hamburg
1958). Grundsätzlich sollte in den erwähnten Fällen die Gruppe der Mucopolysaccharid-Speicherkrankheiten als mögliche Ursache diskutiert werden. Bis heute unterscheidet
man
sieben
verschiedene
Manifestationsformen und einige Unterformen bzw. Mischformen. Stellvertretend
sollen an dieser Stelle der Morbus Hurler
(Enzymdefekt der Alpha-L-Iduronidase) und
der Morbus Morquio (Defekt der N-Azetylgalaktosamin-6-sulfatsulfasfase)
genannt
werden, die u.a. mit teils erheblichen Skelettdeformierungen einhergehen.
Ob es am grausamen und teilweise blutrünstigen Inhalt dieser Werke liegt, dass sie
im gängigen Opernrepertoire deutscher
Bühnen nur sehr selten aufgeführt werden,
soll an anderer Stelle abgehandelt werden.
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Ch. Buck - Orthopädische Erkrankungen in der Oper
Eugen d´Albert (1846 - 1932), der undankbarerweise eher durch die Tatsache in Erinnerung geblieben ist, dass Adolf Hitler
d´Albert's bekanntestes Werk 'Tiefland' als
seine Lieblingsoper bezeichnete und ihr
dadurch einen festen Platz im nationalsozialistischen Opernrepertoire verschaffte,
beschäftigte sich in seinem umfangreichen
Opernschaffen des öfteren mit orthopädischem Klientel.
Die 1926 uraufgeführte Oper „der Golem“,
nach dem Libretto des jüdischen Schriftstellers Ferdinand Lion, verarbeitet eine, aus
dem Prager Ghetto stammende, Legende
um die mystische Gestalt gleichen Namens.
Das
tiefenpsychologisch
vielschichtige
Werk darf teilweise sicher als Drama der
kulturellen Anpassung angesehen werden,
in dem die Sehnsucht nach den Wurzeln
der jüdischen Identität zum Ausdruck
kommt.
Wenn
der
medizinisch
vorgebildete
Opernbesucher nicht wüsste, dass es sich
in der Figur des Golem um ein aus Lehm
geschaffenes Wesen handelt, würde sich
eine Bestimmung des Wachstumshormons
Somatotropin im Blut anbieten, um einen
hypophysären Riesenwuchs auszuschließen.
Musikalisch imponiert die Wucht der Figur
bereits auf den ersten Partiturseiten in
prägnanten Rhythmen und in dunklen Orchesterfarben, die ein Bild der Bangigkeit
und Bedrohung entwerfen und unter einem
großen crescendo im Leitmotiv des Golem
münden, welches uns im Verlauf des
Opernabends des öfteren begegnen wird.
Richard Wagner lässt schön grüßen!
Arcenius, Hauptfigur aus d´Albert´s Oper
'Die toten Augen' (Uraufführung, Dresden
1916) wird im Libretto als Missgestalt beschrieben, die differentialdiagnostisch mehrere der oben aufgeführten Grunderkrankungen zulässt. Lassen wir die exakte medizinische Ursache seines Aussehens noch
ein wenig im Dunkeln.
Zurück zu den Zwergen und damit den
bekannten Figuren der Opernliteratur. Der
bekannteste „Opern-Zwerg“ dürfte der von
Richard Wagner geschaffene Nibelung
Mime sein, der uns im Rheingold erstmals
begegnet und den Zuhörer näselnd und
weinerlich grantelnd bis zu seinem unnatürlichen Ende im 3. Werk der Tetralogie des
Ring des Nibelungen begleitet. Siegfried,
der Held selbst, entledigt uns mit einem
gezielten Schlag seines neu geschmiede-
ten Schwertes Nothung des Chondrodystrophikers. Vielleicht war es dieser Teilaspekt seiner Erkrankung, die ihn zu der
eher unsympathischen Figur werden ließ,
wenn er nicht gerade von Heinz Zednik, der
ihn über viele Jahre an allen großen Häusern dieser Welt verkörpert hatte, in unnachahmlicher Weise gestaltet wird.
Jules Massenet (1842 - 1912) setzte in
seinem Schaffen mehrfach große Werke
der Weltliteratur in Noten. Waren es im Fall
seiner bekanntesten Oper 'Werther' (gelegentlich auch Margarite, je nachdem, welche Figur vom Regisseur ins Rampenlicht
gerückt werden soll) Johann Wolfgang von
Goethes im Jahre 1773 entstandene „Leiden des jungen Werther“, die als Vorlage
dienten, so war es in der Oper 'Don Quichotte' (Uraufführung, Monte Carlo 1910),
das Meisterwerk des großen spanischen
Lyrikers Miguel de Cervantes Saavedra.
Massenenet widmete den „Don Quichotte“
dem berühmten russischen Bassisten Fjodor Schaljapin (1873 - 1938), einem der
größten Singschauspieler seiner Zeit und
gestaltete daher die Titelrolle besonders
effektvoll, wenngleich das Werk insgesamt
nicht die melodische Erfindungskraft der
„Manon“ oder des „Werther“ aufweist (Abb.
2).
Abb. 2: Don Quichotte (Fjodor Schaljapin).
Musikphysiologie und Musikermedizin 2000, 7. Jg., Nr. 2
Differentialdiagnostisch könnte im Falle des
„Ritter von der traurigen Gestalt“ das Marfan-Syndrom (Mißbildungssyndrom im Bereich des Mesoderms mit Hyperplasie der
knorpeligen Wachstumszonen) oder das
Sotos-Syndrom (cerebraler Gigantismus)
als Krankheitsursache in Frage kommen.
Alternativ müsste sicherlich der Morbus
Klinefelter diskutiert werden, eine Chromosomen-Aberation mit der Geschlechtschromosomenkonstitution XXY. Vielleicht
lässt ja ein zweites X im Chromosomensatz
manche Menschen gelegentlich einen ungleichen Kampf gegen Windmühlen führen!
Nicht nur durch Sir Charles Laughton oder
Antony Quinn ist der bucklige Glöckner
Quasimodo aus der Feder Victor Hugo's ein
Begriff. Auch Franz Schmid (1874 - 1939)
setzte in seiner Oper 'Notre Dame' (Uraufführung, Wien 1914) dem Buckligen ein
Denkmal (Abb. 3).
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ihrem hufeisenförmigen Mund, ihrem kleinen linken Auge, das halb unter einem Gestrüpp
fuchsroter
Augenbrauen
verschwand, während ihr rechtes ganz von
einer ungeheuren Warze bedeckt war, ihren
schiefen Zähnen, zwischen denen Lücken
klafften, ihrer schwieligen Lippe, ihrem gespaltenen Kinn... der ganze Mensch war
eine Fratze. Auf einem plumpen Kopf
sträubten sich fuchsrote Haare, zwischen
den hohen Schultern wölbte sich ein riesiger Buckel, der in einer Hühnerbrust sein
Gegenstück hatte; Beine und Schenkel
waren von so merkwürdiger Bildung, dass
sie sich nur an den Knien berühren konnten
und von vorn gesehen den Eindruck von
zwei Säbeln machten; Füße und Hände
waren von ungeheurer Größe. Er sah aus
wie ein zerbrochener Riese, den eine ungeschickte Hand schlecht wieder zusammengelötet hatte.“
Soweit die Beschreibung Victor Hugos; wir
fassen zusammen:
Kraniale und faziale Dysostose, LippenKiefer-Gaumenspalte, Kyphoskoliose, Pectus carinatum, Genua valga, um nur die
wesentlichen angeborenen Skelettmissbildungen aufzuzählen.
Zurück zur Musik: Am bekanntesten aus
Schmids selten gespielter Oper dürfte sicherlich das Orchesterzwischenspiel sein,
taucht es doch regelmäßig in sonntäglichen
Wunschkonzerten auf.
Der Pes equinovarus-adductus-supinatusexcavatus begegnet uns im Opernschaffen
in der Figur des Teufels höchstpersönlich.
Eine illustre Reihe von Komponisten beschäftigte sich mit dem „Pferdefüßigen“,
besser bekannt als Mephistopheles aus
Johann Wolfgang von Goethes Faust.
Abb. 3: Quasimodo (Walter Berry), Volksoper
Wien
Lassen wir an dieser Stelle den Schriftsteller selbst zu Wort kommen, um dem Leser
eine Vorstellung „ von der siegreichen Fratze im Grimassenwettbewerb am Fuße der
Kathedrale Notre Dame de Paris zu ermöglichen: „... von ihrer vierflächigen Nase,
Die Franzosen Charles Gounod (1818 1893), Hector Berlioz (1803 - 1869), aber
auch die Italiener Ferruccio Bussoni (1866 1924) und der Wagner-Verehrer und VerdiLibretist Arrigo Boito (1842 - 1918) sollen
an dieser Stelle stellvertretend als bedeutendste Vertreter ihres Faches aufgeführt
werden. Insgesamt taucht das Faust-Sujet
nebenbei mehr als 18-mal (!) in der Opernliteratur auf.
Nicht ganz so offensichtlich wird bei erster
Betrachtung, warum die Cio Cio San, Titelfigur der Oper 'Madame Butterfly' (Urauffüh-
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Ch. Buck - Orthopädische Erkrankungen in der Oper
rung, Mailand 1904) bei dieser Aufzählung
Berücksichtigung findet. Leider hat uns der
Komponist Giacomo Puccini (1858 - 1924)
nicht ermöglicht, einen näheren Blick auf
die Hammer- und Krallenzehen zu werfen bei der in Landestracht üblichen Fußbekleidung häufig hervorgerufenen Deformitäten.
Ob sich die Unglückliche darüber hinaus
jemals einer Korrekturoperation bei Hallux
valgus unterzogen hat, wird wohl niemals in
Erfahrung gebracht werden können.
Porgy aus George Gershwins 1935 uraufgeführten Oper 'Porgy and Bess' dürfte am
ehesten infolge einer Dysmyelie, genauer
einem longitudinalen Femur- und/oder
Tibiadefekt beeinträchtigt sein, die ihn zur
Benutzung eines Rollstuhls zwingt, wie in
modernen Inszenierungen leider häufig zu
sehen ist.
PFFD, so könnte 65 Jahre später die Abkürzung für die Beschreibung einer peripheren fokal femoralen Dysplasie im Krankenblatt lauten.
„Porgy war von einer wohlwollenden Vorsehung für den Beruf des Bettlers ausersehen worden. Statt stämmiger Beine, die ihn
zum Beruf eines Lastträgers in einem der
großen Baumwollschuppen prädestiniert
hätten, kam er mit völlig unzulänglichen
unteren Extremitäten zur Welt, die sofort ins
Auge fielen und die Herzen der Vorübergehenden rührten.“
DuBose Heyward hatte die Idee zu seinem
1925 entstandenen Roman, der Gershwin
als Vorlage diente, einem Zeitungsartikel
über den verkrüppelten Schwarzen Samuel
Smalls, genannt „Goat Sammy“, entnommen, der eine Frau angefallen und dann
versucht hatte, vor der Polizei in einem, von
einer Ziege gezogenen, Karren zu fliehen.
Eher ein Fall für den neurologischen Kollegen dürfte die nächste Figur darstellen.
Unter den Folgen einer infantilen Zerebralparese mit begleitender Hemiparese des
linken Armes und leichter geistiger Retardierung dürfte Tonio, ein Gaukler aus Canio's Kommödiantentruppe in Ruggiero Leoncavallo´s Verismo-Oper 'I Pagliacci' (Uraufführung 1892), im deutschsprachigen
Raum besser bekannt als der Bajazzo,
leiden. Bekannt ist diese Oper nicht nur
durch Tonio's Eingangsarie, sondern vielmehr Enrico Caruso verschaffte diesem
Werk durch seine einzigartige Interpretation
der Arie 'Vesti la giubba“ mit der, von allen
Tenören gern geschluchzten Phrase „Ridi
Pagliaccio“' („Lache Bajazzo“) einen festen
Platz im Opernrepertoire.
Meistens wird dieser Einakter gleichzeitig
mit dem Meisterwerk Pietro Mascagnis'
(1863 - 1949) der „Cavalleria Rusticana“ an
einem Abend aufgeführt. Der „vielsagende“
deutsche Titel der Oper lautet: Sizilianische
Bauernehre. Und auch hier hätte das tragische Ende durch die Anwesenheit eines
unfallchirurgisch erfahrenen Kollegen vermieden werden können, der die Folgen der
Stichverletzung, die sich Turiddu im Duell
mit dem Fuhrmann und Bariton Alfio zuzog,
durch eine notfallmäßige Primärversorgung
behandelt werden können. Jedem der dieses Werk einmal gehört hat bleibt unbegreiflich, dass Mascagni außer dieser einen
Oper, die er im zarten Alter von 27 Jahren
schrieb, kein weiterer Welterfolg gelang.
Ein konsequentes Ausschöpfen orthopädischer Fallpauschalen kann dem Leibarzt
der Claire Zachanassian in Gottfried von
Einems 1971 an der Wiener Staatsoper
uraufgeführten musikalischen Adaptation
von Dürrenmatts 'Der Besuch der alten
Dame' bescheinigt werden. Aufgrund der
Tatsache, dass zusätzlich zu einer hüftund knieendoprothetischen Versorgung
auch eine prothetische Versorgung der
oberen Extremitäten durchgeführt wurde,
dürfte die Zahl der infrage kommenden
Operateure auf einige wenige, in erster
Linie endoprothetisch tätige Kollegen reduzieren. Das Arztgeheimnis verbietet hier
das nähere Eingehen auf die Frage, ob die
Indikationsstellung zur endoprothetischen
Versorgung in einigen Fällen nicht zu großzügig erfolgte. Der Verwaltungsdirektor der
entsprechenden Klinik hat Frau Zachanassian auf jeden Fall ein Einzelzimmer auf der
Privatstation seines Sanatoriums reserviert.
Die Unterlassung einer konsequenten Korsettversorgung dürfte die ausgeprägte
Kyphoskoliose im Falle des Hofnarrs Rigoletto mit einem Cobb-Winkel größer als 30
Grad erklären. In unnachahmlicher Weise
lässt uns das am 10. Oktober 1813 in Le
Roncole bei Busseto geborene Genie Guiseppe Verdi das Gangbild des buckligen
Hofnarren Rigoletto in dessen Auftrittsarie
„Lara lara“ zu Beginn des 3. Aktes vor dem
geistigen Auge entstehen. Unvergesslich
die Interpretation dieser Arie auf der
Schallplattenaufnahme mit Tito Gobbi in der
Musikphysiologie und Musikermedizin 2000, 7. Jg., Nr. 2
Titelrolle und Maria Callas als Rigolettos
Tochter Gilda.
Ob eine weitere Figur Giuseppe Verdis, der
Ritter John Falstaff sich jemals in internistische Behandlung zur Therapie seiner infolge eines opulenten Mahls aufgetretenen
Hyperurikämie oder in orthopädische Behandlung zur differentialdiagnostischen
Abklärung seiner akuten Lumbalgie bei
ausgeprägter Adipositas begeben hat,
bleibt musikalisch leider im Dunkeln. Vielleicht ließe sich ja ein Zusammenhang zwischen der Lumbalgie und dem Sturz in die
Themse zum Ende des 2. Aktes der Oper
Falstaff herstellen (Abb. 4).
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Krankenkasse genehmigt wird. Hierzu
müsste eventuell der Fachbereichsleiter für
orthopädische Hilfsmittel bei der zuständigen Krankenkasse zu Rate gezogen werden.
Sehr geehrter Leser, Sinn dieses Artikels
war sicherlich nicht, primär Ihren Horizont in
der Differentialdiagnostik und Therapie
orthopädischer Erkrankungen zu erweitern,
vielmehr stellte er einen Versuch dar, die
gelegentlich doch etwas trockene medizinische Wissenschaft mit der Kunstform Oper
zu verbinden und Ihnen eine gewisse Ablenkung zu verschaffen. Vielleicht verspürt
ja der/die Eine oder Andere nach der Lektüre dieses Artikels das Bedürfnis, dem Alltag
zu entfliehen, um mit Familie oder Freunden wieder einmal einen schönen Opernabend zu verbringen.
Was steht übrigens heute auf dem Programm Ihrer städtischen Opernbühne?
Rigoletto oder auch „die Kyphoskoliose“
von Giuseppe Verdi?
Abb. 4: „Falstaff“, Aufführung der Hamburgischen Staatsoper
Zum Schluss dieser Ausführungen möchte
ich Ihnen noch eine alte Dame vorstellen,
deren Ableben vom Publikum trotz ihrer
fortgeschrittenen chronischen Polyarthritis
mit begleitender hochgradiger Osteoporose
immer wieder mit großer Freude und ohne
jegliches Mitleid zur Kenntnis genommen
wird. Gemeint ist selbstverständlich die
Knusperhexe aus Engelbert Humperdincks
Märchenoper 'Hänsel und Gretel' (Uraufführung, Weimar 1893). Ob es sich beim Verzehr des gemästeten Hänsels um einen
scheußlichen Therapiefehler handelt, der
zur Auslösung eines akuten rheumatischen
Schubes geführt hätte, bleibt uns durch das
mutige Eingreifen Gretels glücklicherweise
erspart. Darüber hinaus ist fraglich, ob der
für den Hexenritt am Ende des 1. Aktes
verwendete Besen als rheumaorthopädisches Hilfsmittel von den gesetzlichen
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Christoph Buck
Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin,
Chirotherapie
Abteilung Sport- und Rehabilitationsmedizin
Universität Ulm
Steinhövelstr. 9
89075 Ulm / Donau
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Ch. Buck - Orthopädische Erkrankungen in der Oper
Anhang
Liste ausgewählter Platten zu den erwähnten Opern:
(Komponist: Titel, Interpreten, Orchester,
Dirigent, Plattenfirma)
Boito: Mefistofele
Tebaldi, del Monaco, Siepi, de Palma u.a.,
Orchestra e Coro dell´Academia di Santa
Cecilia, Roma, Serafin; Decca 1959 (2CD)
Gershwin: Porgy and Bess
Albert, Dale, Shakesnider u.a., Houston
Opera, Main; RCA/BMG-Ariola 1976 (3CD)
Gounod: Faust
Björling, Kirsten, Guarrera, Siepi u.a., Live
Aufnahme Met, Cleva; Myto 1950 (2CD)
Humperdinck: Hänsel und Gretel
Grümmer, Schwarzkopf, Schürhoff, Metternich, Ilosvay, Felbermayer u.a., Philharmonia Orchestra, Karajan; EMI 1953 (2CD)
Leoncavallo: I Pagliacci
di Stefano, Callas, Gobbi, Panerai, Monti
u.a., Orchester der Mailänder Scala, Serafin; EMI 1953 (3CD + Cavalleria rusticana)
Mascagni: Cavalleria rusticana
Rasa, Gigli, Becchi, Marcucci, Simionato
u.a., Orchestre der Mailänder Scala; Mascagni; EMI 1943
Massenent: Don Quichotte
Dam, Fondary, Berganza u.a., Orchestre du
Capitole de Toulouse, Plasson; EMI 1992
(2CD)
Offenbach: Les Contes d´Hoffmann
Domingo, Sutherland, Tourangeau, Bacquier u.a., Orchestre de la Suisse Romande, Bonynge; Decca 1972 (3CD)
Puccini: Madama Butterfly
Scotto, Bergonzi, Panerai, Stasio u.a., Orchester der Opera di Roma, Barbirolli; EMI
1966 (2CD)
Schreker: Die Gezeichneten
Cochran, Schmiege, Cowen u.a., RSO
Utrecht, de Waart; Marco Polo/Fono Münster 1989 (3CD)
Verdi: Falstaff
Fischer-Dieskau, Panerai, Ligabue, Sciutti,
Oncina, Rössel-Majdan, Resnik u.a., Wiener Philharmoniker, Bernstein; CBS/Sony
Classical 1966 (2CD)
Verdi: Rigoletto
Gobbi, Callas, di Stefano, Lazzarini, Zaccaria u.a., Mailänder Scala, Serafin; EMI 1953
(2CD)
Wagner: Der Ring des Nibelungen
Neidlinger, Stolze, Windgassen, Nilsson
u.a. Wiener Philharmoniker, Solti; Decca
1958 ff (13CD)
Zemlinsky: Der Geburtstag der Infantin
(„Der Zwerg“)
Riegel, Nielsen, Haldas, Weller, Fredericks
u.a., RSO Berlin, Albrecht; Koch/Schwann
1984 (CD)
Literatur beim Verfasser
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