[Umrisse] Zeitschrift für Baukultur Außer der Reihe Keltenmuseum am Glauberg Kindergarten in Südafrika Feuerwache in Frankfurt-Eschersheim Schneekirche von Mitterfirmiansreut Ausgabe 1 • 2012w Special: Licht und Leuchten [Umrisse] Zeitschrift für Baukultur (Heutiges) Erscheinungsbild des Kindergartens © Johanna Riedesel Kindergarten in Südafrika Drittes Selbstbauprojekt der RWTH Aachen Hintergrund Unter der Leitidee »Entwerfen, Planen und Bauen« finden seit 2006 an der RWTH Aachen Lehrveranstaltungen statt, in der Schulen und Kindergärten in strukturell schwachen Gebieten Südafrikas geplant und errichtet werden. Von der ersten Entwurfsskizze über die Entwicklung von Modellen und Ausführungsplänen bis hin zur konkreten Realisierung durchlaufen die Studenten hier innerhalb eines Jahres sämtliche Phasen eines Bauprojekts: 14] Neben Ausführungsplanung und Massenermittlung gehören dazu auch Zeitplanung, Finanzierung und Kostenkontrolle. Bei der Errichtung vor Ort erlernen die Studenten dann den Umgang mit verschiedensten Baumaterialien und deren spezifische Anwendung sowie den vollständigen Ablauf einer Baurealisierung vom Ausheben des Fundaments bis hin zum Verlegen der Lichtschalter und der Montage der Inneneinrichtung. Durch das intensive Arbeiten im Team können die Projekte innerhalb von 7–12 Wochen verwirklicht werden. Bislang haben wir vier Projekte realisiert: einen Kindergarten, eine Mehrzweckhalle und ein Klassenraumgebäude für das Ithuba Skills College im Süden Johannesburgs sowie einen Kindergarten in Prince Alfred Hamlet nördlich von Kapstadt. Die Mehrzweckhalle wurde in Ausgabe 6 ∙ 2009 der [Umrisse] bereits umfassend dokumentiert.1 Sämtliche Bauvorhaben entstehen in enger Zusammenarbeit mit südafrikanischen Non-Governmental Organizations (NGOs) und einheimischen Helfern. Dadurch ist gewährleistet, dass die Gebäude nach ihrer Fertigstellung verantwortlich genutzt und instand gehalten werden. [Umrisse] Township Phase 4 in Hamlet © Dennis Dahm Blick aus der Township © Judith Reitz Entwurf Die unmittelbare Erfahrung, die solche Projekte bedeuten, prägt nachhaltig die Lehrenden und Studenten der RWTH Aachen, aber auch die südafrikanischen Helfer, Bewohner der Townships und deren Familien. Studierende lernen, die selbstentwickelten Entwürfe eigenständig zu konkretisieren: Improvisation und Materialökonomie sind genauso wichtig wie ein verantwortliches Bewusstsein für bauliche Qualität und Angemessenheit. Dazu gehört ebenfalls, Architektur als soziale Praxis zu begreifen und in aller Konsequenz umzusetzen. recycelte Obstkistenhölzer der lokalen Farmbetriebe, sowie geringe Unterhaltskosten gewährleistet. Der Kindergarten besteht aus drei Gruppenräumen, einer Küche, Lagerund Wäscheraum, Sanitärräumen, einem Büro sowie Aufenthalts- und Spielflächen im Außenbereich. Zwei Gruppenräume können durch eine bewegliche Zwischenwand zusammengeschaltet werden und dienen so zusätzlich als Versammlungssaal für die benachbarte Township. Zur Straße hin gibt es eine Suppenküche, die auch Bewohner der Township mit Essen versorgt und maßgeblich für die Ausrichtung des Gebäudes auf dem Grundstück war. Im Süden vorgelagert, befindet sich eine überdachte, langgestreckte Loggia, die sich vor der Küche zu einem großzügigen Ess- und Spielbereich ausweitet. Rund um das Bauwerk gibt es einen Spielplatz, neu gepflanzte Bäume werden in Zukunft ausreichend Schatten spenden. Unser drittes Selbstbauprojekt »Hamlet Creche« liegt in Phase 4, einer Townshiperweiterung am Rande des Ortes Prince Alfred Hamlet in der Region Witzenberg im Western Cape. Vor etwa fünf Jahren wurden hier die selbstgebauten Blech- und Holzhütten (Shacks) einer informellen Siedlung durch staatlich geförderte kleine Reconstruction-andDevelopment-Program-(RDP-)Häuser aus Stein ersetzt. Für die ca. 300 Kleinkinder, die in diesem Bezirk leben, gab es bislang aber keinen Kindergarten. Aufgabe war daher, in prominenter Lage gegenüber der Township ein nachhaltiges Raumprogramm zu entwickeln, welches Platz für 80 Kinder im Alter zwischen drei Monaten und fünf Jahren bietet, einen Versammlungsraum umfasst und Potential für eine spätere Erweiterung schafft. Es galt zudem ein Konzept zu erarbeiten, das die Verwendung ortsüblicher und vor allem preisgünstiger Materialien ermöglicht, beispielsweise auf der Baustelle selbsthergestellte massive Lehmsteine oder 14 6 1 2 3 4 7 5 8 9 12 10 13 11 15 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Klasse 4-5 J. Klasse 2-3 J. Klasse 0-2 J. Lager Küche Eingangsbereich Büro Wäscheraum Toilette Waschraum Schüler Essbereich außenliegend Sitz- und Spielnische überdachte Veranda Suppenküche, Durchreiche Spielplatz Grundriss © RWTH Aachen [Umrisse] [15 Süd- und Nordansicht © RWTH Aachen Längs- und Querschnitt © RWTH Aachen Klima und Technik Das Klima in Prince Alfred Hamlet zeichnet sich durch sehr heiße Sommer, aber auch relativ kühle Winter aus, in denen Temperaturen unter 0 °C und sogar Schneefall keine Seltenheit sind. Es wurde daher auf der Nordseite des Gebäudes eine Mauerwerkswand aus selbstgefertigten Lehmsteinen angeordnet, während in den übrigen raumabschließenden Holzständerwänden der Einbau loser Lehmsteine als Speichermasse erfolgte. Somit kann im Winter die Wärme der tiefstehenden Sonne als passiver Wärmeeintrag gespeichert und damit ein völliges Auskühlen des Gebäudes verhindert werden. Gleichzeitig wird im Sommer die Erwärmung der Räume durch die hohe Speichermasse und die thermische Trägheit der Lehmwände reduziert. Bewegliche Blendläden vor den Fenstern für den sommerlichen Sonnenschutz sind zusätzlich geplant. Heizungseinrichtungen wurden, genau wie in den umliegenden Wohnhäusern, nicht vorgesehen; das Raumklima gestaltete sich jedoch im ersten Jahr wesentlich gleichmäßiger und nutzungsfreundlicher als ohne die Lehmwände. Warmwasser für die Sanitärräume und die Küche wird über Durchlauferhitzer sichergestellt. Lehmputz und Sperrholzplatten © Arne Künstler 16] [Umrisse] Kletterbank im Freien © Johanna Riedesel Konstruktion Der Kindergarten ist in Holzbauweise mit massiver Bodenplatte auf Streifenfundamenten errichtet worden. Die Dachkonstruktion besteht aus einer Reihung asymmetrischer Satteldächer, die elementweise auf der Bodenplatte vorgefertigt und anschließend mit Hilfe eines Mobilkrans auf die tragenden und aussteifenden Holzständerwände bzw. Stützen aufgelegt wurden. Einen besonderen Reiz macht hierbei die wechselseitig angeordnete Faltung in der Dachuntersicht aus. Sie ist durch die kraftschlüssige Verbindung der unterseitigen Beplankung mit den oberseitigen Sparren- und Zugbandquerschnitten Teil des Tragwerks, einer Sparrendachstruktur von 5,40 m Spannweite mit versetzt ausgeführten Zugbändern. Für die Verbindungen der Holzkonstruktion, insbesondere der Dachelemente, wurden selbstbohrende Vollgewindeschrauben verwendet, welche eine schnelle Montage und tragfähige, verdeckte Anschlüsse ermöglichten. Wände mit Verzierungen © Judith Reitz Im Norden sind die Holzständer der Außenwand mit den massiven, selbstgefertigten Lehmziegeln ausgefacht und beidseitig verputzt. Im Süden, Osten und Westen verfügen die Wände hingegen über eine innenseitige Verkleidung aus großformatigen Sperrholzplatten. Zwischen den Holzstützen wurden zudem ungebrannte Ziegelsteine gestapelt, die als Speichermasse dienen und zusätzlich von außen gedämmt sind; darauf aufgebracht ist außenseitig eine Beplankung aus recycelten Obstkistenbrettern. Als Dachhaut wurde verzinktes Blech gewählt, das sich von ortsansässigen Betrieben herstellen ließ. Die Innenwände sind entweder mit Lehmputz versehen oder aber mit großformatigen Sperrholzplatten ausgestattet und mit farbigen Ornamenten verziert. Gartenseite nach Fertigstellung © Johanna Riedesel [Umrisse] [17 Einrichtung von Tragstruktur und Dach © Arne Künstler Realisierung Das Gebäude wurde in Zusammenarbeit mit Studenten und Helfern der Township errichtet. In der ersten Bauphase im Frühjahr 2010 wurden innerhalb von sieben Wochen der Rohbau und die Fassaden ausgeführt, im Herbst 2010 folgte dann die sich über vier Wochen erstreckende Montage des Innenausbaus. In der Zwischenzeit war das Haus von örtlichen Handwerkern verputzt und die Fußböden verlegt worden. Diese äußerst knappe Realisierungszeit Vorgefertigte Elemente … © Lena Rautenbach wurde durch die Aufteilung in unterschiedliche Bautrupps und die getrennte Vorfertigung der Dachelemente erreicht. Der Kindergarten wurde nach seiner Fertigstellung und der anschließenden Abnahme durch die Behörden an die Betreiber, die Non-Profit-Organisation (NPO) Badisa, übergeben. Die Finanzierung der laufenden Kosten ist durch Kommune und Staat gewährleistet. Hamlet Creche im Bauzustand © Arne Künstler 18] [Umrisse] Der Kauf der Baumaterialien wurde durch Spenden von Henkel Smile und Vuya! Ltd., Südafrika, sowie Privatpersonen ermöglicht. Die Unterbringung der Studenten in einer alten Schule vor Ort hat Vuya! Ltd. ebenfalls unterstützt, während die Kosten für Flüge von den Studenten selber getragen wurden. Unternehmen aus Deutschland und Südafrika stellten zudem Werkzeuge und Maschinen kostenlos zur Verfügung, auch für die Finanzierung von Möbeln und Spielzeug, Bepflanzung und Material für Spielplatzgeräte engagierten sich vor Ort viele Privat- und Firmenspender. Die Verwendung des Baustoffes Lehm, der sich hier überall und vor allem umsonst finden lässt, ist auf großes Interesse bei einigen Arbeitern aus der Township gestoßen. Sie bauen nun in Form einer kleinen »Ich-AG« eine Firma für Produktion und Vertrieb der luftgetrockneten Steine auf. Darüber hinaus hat die Errichtung des Kindergartens innerhalb der Gemeinde und bei den Farmern eine neue Zusammengehörigkeit bewirkt, durch die weitere Förderprojekte in Gang gebracht worden sind.2 Bauherr Vuya! Ltd., Capetown, Südafrika Schulträger NPO Badisa, Ceres, Western Cape, Südafrika Entwurf und Tragwerksplanung StudentInnen der RWTH Aachen Fakultät für Architektur Projektleitung RWTH Aachen Lehrstuhl für Gebäudelehre und Entwerfen Dipl.-Ing. Bernadette Heiermann Dipl.-Ing. Judith Reitz Ausführung StudentInnen der RWTH Aachen Fakultät für Architektur und zahlreiche Helfer vor Ort RWTH Aachen Lehrstuhl für Tragkonstruktionen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Trautz Dipl.-Ing. Christoph Koj Dipl.-Ing. Arne Künstler in Kooperation mit: Henkel Friendship Initiative, Düsseldorf Vuya! Investments Ltd., Witzenberg Municipality, Südafrika Bernadette Heiermann Christoph Koj Arne Künstler Judith Reitz Anmerkungen 1 Künstler, A.; Reitz, J.; Heiermann, B.: Entwerfen, Entwickeln, Bauen. Die Ithuba College Hall in Montic, Südafrika; in: [Umrisse] Zeitschrift für Baukultur, 9. Jg., Heft 6, 2009, S. 40–43. 2 Eine Übersicht über alle Projekte unter Beteiligung der RWTH Aachen (Lehrstuhl für Gebäudelehre und Entwerfen sowie Lehrstuhl für Tragkonstruktionen) ist im Internet unter www.gbl.arch.rwth-aachen.de/ddb zu finden. [Umrisse] »Erschließung« des Innenraums © Dennis Dahm [19