Moderne Experimente mit neutralen Atomen

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Kapitel 8
Moderne Experimente mit neutralen
Atomen
8.1
Bose-Einstein-Kondensation
Wenn bosonische Teilchen mit genügend Phasenraumdichte vorliegen, so dass der Abstand zwischen den Teilchen kleiner als die de-Broglie Wellenlänge wird, d.h. die Wellen der einzelnen
Teilchen überlappen, kommt es zum Phänomen der Bose-Einstein-Kondensation. Das Kondensat wird dann durch eine einzige, makroskopische Wellenfunktion beschrieben. Dies ist grafisch
in Abbildung 8.1 dargestellt. Als einführende Literatur empfiehlt sich [Lamb1996, Petr1996,
Corn1998].
Abb. 8.1: Grafische Darstellung des Kondensationsprozesses. Quelle: Webseite von W. Ketterles
Gruppe am MIT, Boston.
149
150
KAPITEL 8. MODERNE EXPERIMENTE MIT NEUTRALEN ATOMEN
Bisher war der BEC-Effekt nur in Helium bekannt, verknüpft mit dem Phänomen
der Suprafluidität etc.. Allerdings handelt es sich bei flüssigem Helium um ein starkwechselwirkendes System, d.h. die hohe Phasenraumdichte wird erzielt mit hoher räumlicher
Dichte und kurzen de-Broglie-Wellenlängen. Deshalb sind sich die He-Atome sehr nahe und
die Beschreibung der Atom-Atom Wechselwirkung ist ungleich komplizierter als im Falle eines
sehr verdünnten Gases, wo man hohe Phasenraumdichte mit großen Teilchenabständen und
großen de-Brogliewellenlängen erzielt (siehe Abb. 8.2). Dazu braucht man natürlich ultrakalte
Atome, und es war frühzeitig erkannt worden, dass Laserkühlung die beste Chance dazu bietet
[Cohe1995]. In vieler Hinsicht wurde die rasante Entwicklung von Fallenmethoden in den
letzten zehn Jahren vom Wettlauf zur Herstellung eines Kondensats getrieben.
Abb. 8.2: Die de-Broglie-Wellenlänge und der mittlere Abstand zwischen den Teilchen für eine
Auswahl von Experimenten an Wasserstoff, Para-Exzitonen, Rubidium und Cäsium. Quelle:
Physikalische Blätter.
Für n λ3dB ≥ 2.612 besetzen alle Bosonen den gleichen, tiefsten Zustand, und es findet ein
Phasenübergang statt; n ist hierbei die Teilchendichte (der genaue numerische Faktor hängt
übrigens vom Fallenpotential ab), die de-Broglie Wellenlänge ist
1
h
∝ √
mv
T
2
2π
.
=
mkT
λdB =
(8.1)
Am Beispiel von Natrium in einer MOT (T ≈ 20µK,n ≈ 1011 cm−3 ) kann man sich leicht
überzeugen, dass man die notwendige Phasenraumdichte nicht schaffen kann, da nλ3dB ≈ 10−5
bei weitem zu klein ist. Deshalb muss man die Atome in magnetische oder optische Fallen
umladen. Da diese Fallen jedoch konservative Potentiale nutzen, müssen zusätzliche Mechanismen zur Erhöhung der Phasenraumdichte eingesetzt werden. Der richtige Weg wurde mit dem
sogenannten evaporativen Kühlen gefunden.
Evaporatives Kühlen: Diese Methode wird hier anhand der magnetischen Falle demonstriert. Wie in Abb. 8.3 gezeigt, wird Radiofrequenz der passenden Wellenlänge eingestrahlt, so dass
8.1. BOSE-EINSTEIN-KONDENSATION
151
Teilchen ab einer bestimmten Energie im Fallenpotential so weit nach außen wandern können,
dass die RF einen Spinflip induzieren kann. Effektive schneidet man das Potential somit bei
µ || Β
W
µ || Β
B
µ || Β
J=1/2
hνRF
x
µ || Β
Abb. 8.3: Evaporatives Kühlen in der magnetischen Falle. Die Radiofrequenz induziert Spinflips
bei einer bestimmten Fallenhöhe.
einer bestimmten Höhe ab. Die heißen Teilchen in der Falle werden also “verdampft”. Zurück
bleibt ein kälteres Ensemble, das zudem noch eine höhere Dichte hat. Wichtig ist, dass man
die Teilchen langsam verdampft, damit die verbleibenden Atome wieder Zeit zum thermalisieren
haben. Dazu wird die RF-Frequenz langsam abgesenkt. Dies ist in Abb. 8.4 verdeutlicht.
Abb. 8.4: Evaporatives Kühlen. Quelle: Webseite der Ertmer-Gruppe, Univ. Hannover.
Wie schon weiter oben erwähnt, hat man das Problem der Spinflips im Zentrum der Falle,
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KAPITEL 8. MODERNE EXPERIMENTE MIT NEUTRALEN ATOMEN
falls man dort ein verschwindendes Feld hat. Da das evaporative Kühlen recht langsam geht
(über viele Sekunden hinweg), sind die Verluste zu hoch. Historisch wurde diese Problem zuerst
mit der sog. TOP-Trap in Boulder gelöst, wo das erste Kondensat hergestellt wurde. Da dieses
Prinzip technisch etwas unhandlich ist, sollen hier die moderneren Methoden vorgestellt werden.
• Die Atome werden optisch vom Fallenzentrum ferngehalten mit einem blauverstimmten
Lichtstrahl, quasi eine Kombination von magnetischer und optischer Falle, man spricht
vom optischen Propf (Stöpsel). Das resultierende Potential ist in Abb. 8.5 gezeigt.
• Verwendung einer magnetischen Falle ohne Magnetfeldnull, zum Beispiel die Kleeblattfalle
(cloverleaf-trap), benannt nach dem Aussehen der Spulen (Abbn. 8.6 und 8.7).
Abb. 8.5: Schnitt durch das Potential, in dem die Atome gespeichert und verdampft werden.
Es beruht auf der Kombination von einem linearen Magnetfeld, der optischen Dipolkraft eines
blauverstimmten Lasers und Radiowellen. Das Magnetfeld sorgt für die rücktreibende Kraft der
Falle. Da der Feldgradient in axialer Richtung (z) doppelt so groß ist wie derjenige in radialer
Richtung (x), ist das resultierende Potential nicht rotationssymmetrisch und weist zwei Minima
auf. Der steile Höcker im Zentrum der Falle ist der ”optische Stöpsel”. Die Atome werden so vom
Nulldurchgang des Magnetfeldes, dem Loch in der Falle, ferngehalten. Die Radiowellen klappen
den Spin der Atome bei einem einstellbaren Wert des Magnetfeldes um. Dies führt zu einem
Vorzeichenwechsel der magnetischen Kraft. Die Atome werden über diese Kante verdampft
(RF-induzierte Verdampfung).
Mit diesen Methoden war es nun möglich, BEC zu produzieren. Zuerst war die Gruppe
um C. Wieman und E. Cornell am JILA in Boulder/Colorado mit Rubidium erfolgreich, gleich
darauf R. Hulet (Rice U./Houston) mit 7 Li, diese Messung wurde jedoch angezweifelt und erst
ein Jahr später überzeugend wiederholt. Drei Monate nach der Erstentdeckung war dann auch
die Gruppe von Wolfgang Ketterle am MIT mit 23 Na erfolgreich, die dann schnell die Führung
auf diesem Gebiet übernahm. Das Diagramm 8.8 zeigt nochmals die Entwicklung der Phasenraumdichte in den Jahren der Entdeckung von BEC.
Abschließend nun noch einige schöne Bilder rund um BEC: in Bild 8.9 sieht man die zeitliche
Entwicklung eines Kondensats. Die z-Achse ist ein Maß der Anzahl der Atome in Abhänigkeit
ihrer kinetischen Energie entlang der zwei Hauptachsen der Falle. Im ersten Bild sieht man die
8.1. BOSE-EINSTEIN-KONDENSATION
153
Abb. 8.6: Konfiguration der Kleeblattfalle. Quelle: Webseite der Ketterle-Gruppe am MIT und
[Mewe1996].
Abb. 8.7: Feld der Kleeblattfalle. Achtung: die Abszisse zeigt B − B0 . Quelle: Webseite der
Ketterle-Gruppe am MIT.
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KAPITEL 8. MODERNE EXPERIMENTE MIT NEUTRALEN ATOMEN
Abb. 8.8: Entwicklung der erzielten Phasenraumdichte, Quelle: Webseite der Ketterle-Gruppe
am MIT.
Verteilung in der Falle vor der Entstehung des Kondensats. Im zweiten Bild schießt plötzlich
ein schmaler, also kalter, Peak in der Mitte heraus, der nicht einer thermischen Verteilung von
Atomen entspricht — das Kondensat. Treibt man das evaporative Kühlen noch weiter, sind
schließlich in Bild (3) praktisch alle Atome Teil des Kondensats.
Zum Erstellen von Bild 8.9 war es notwendig, für jede einzelne Temperaturmessung die Falle
abzuschalten und mit einer ballistischen Flugmessung die Temperatur der Atome zu bestimmen,
d.h. jedesmal wird das Kondensat zerstört. Eine viel effizientere Methode der zerstörungsfreien
Beobachtung der Evolution des Kondensats wurde von Ketterle eingeführt: die Phasenkontrastmethode. Ein von der atomaren Resonanz verstimmter, also wenig Photonen streuender, Laserstrahl durchläuft die Falle, erfährt aber durch die Gegenwart der Atome einen Phasenverschub
(das Fallengas hat ja einen Brechungsindex der vom Vakuumwert verschieden ist). Hinter der
Falle wird dieser Strahl mit einem Referenzstrahl, der nicht durch die Falle ging, überlagert und
zum Interferieren gebracht. Damit kann man die Kondensatsevolution in Echtzeit beobachten,
wie in Abb. 8.10 gezeigt.
Weiterhin kann man zwei Kondensate miteinander interferieren lassen. Man erzeugt diese
z.B. durch einen blauverstimmten Laserstrahl, der die ursprüngliche Falle und das Kondensat
in zwei Teile spaltet, analog zum optischen Pfropf. Dann kann man die Kondensate wieder
zusammenführen und beobachtet Interferenz, wie Bild 8.11 bezeugt.
Seit 1995 gibt es zahlreiche Gruppen, die erfolgreich BEC hergestellt haben, die BECHomepage an der Georgia State University enthält eine aktuelle Liste (Abb. 8.12). Alle Experimente verwenden die gleichen Alkaliatome wie die ersten drei Gruppen mit der Ausnahme
8.1. BOSE-EINSTEIN-KONDENSATION
155
Abb. 8.9: Entstehung eines Kondensats mit fortschreitendem evaporativem Kühlen. Quelle:
Webseite der Ketterle-Gruppe am MIT.
Abb. 8.10: Evolution eines Kondensats beobachtet mit der Phasenkontrastmethode. Die Farbcodierung entspricht dem Phasenverschub und damit der lokalen integrierten Dichte entlang
der Beobachtungsrichtung. Das Kondensat macht sich durch das Erscheinen einer sehr dichten
Komponente in der Fallenmitte bemerkbar. Die Zigarrenform der Atomwolke rührt von den
unterschiedlichen Potentialgradienten in axialer und radialer Richtung in der Kleeblattfalle her.
Quelle: Webseite der Ketterle-Gruppe am MIT.
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KAPITEL 8. MODERNE EXPERIMENTE MIT NEUTRALEN ATOMEN
Abb. 8.11: Interferenz zweier Kondensate. Quelle: Webseite der Ketterle-Gruppe am MIT.
des Wasserstoffexperiments von D. Kleppner am MIT. Mit diesem Experiment hatte in den
70ern die Suche nach BEC in atomaren Gasen angefangen. Da man für Wasserstoff keine MOT
zur Verfügung hat, basierte dieser Versuch ausschließlich auf magnetischen Fallen und evaporativer Kühlung. Da Wasserstoff theoretisch viel einfacher ist als schwere Alkalis, bedarf dieses
Experiment besonderer Erwähnung.
Abb. 8.12: Entwicklung der BEC Forschung in den letzten Jahren. Quelle: GSU-Webseite
http://amo.phy.gasou.edu/bec.html/.
8.2. ATOMLASER
8.2
157
Atomlaser
Abschließend sei noch der sogenannte Atomlaser erwähnt, der als erstes von I. Bloch und Mitarbeitern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München realisiert wurde [Bloc1999]. Eine
Übersicht zu diesem Thema findet sich in [Haen2000]. Reduziert man die RF-Frequenz soweit,
dass auch Atome des Kondensats durch Spinflips aus der Falle gelangen, kann man damit einen
kontinuierlichen, kohärenten Materiewellenstrahl auskoppeln. Ob dieser Atomlaser nun wirklich
das exakte Äquivalent zum optischen Laser ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Mit den Bildern
des gepulsten Atomlasers vom MIT (Bild 8.13) und des kontinuierlichen vom MPI für Quantenoptik in München (Bild 8.14) soll das Kapitel “Bose-Einstein-Kondensation” abgeschlossen
werden.
Neue Entwicklungen Der Rice-Gruppe gelang es, bosonisches 7 Li und auch fermionisches
6 Li in einer identischen Falle zu speichern. Abbildung 8.15 zeigt, dass während des evaporativen
Kühlens die Wolke bosonischen Lithiums immer kleiner wird, wohingegen das Fermionengas
aufgrund des Pauliprinzips am weiteren Kollaps gehindert wird (dies ist der sog. Fermidruck,
der in entarteter Materie wie weissen Zwergen und Neutronensternen eine wichtige Rolle spielt,
A.G. Truscott et al., “Observation of Fermi Pressure in a Gas of Trapped Atoms”, Science
Express (2001) and Science 291 (2001), siehe auch http://atomcool.rice.edu/Welcome.html).
Am MPQ in München und auch hier in Heidelberg wird an Mikrofallen gearbeitet, in denen das Magnetfeld durch Ströme auf Leiterbahnen geformt wird. So erzeugt z.B. die Kombination eines extern angelegten homogenen Feldes mit den kreisförmigen Feldlinien um eine
Leiterbahn ein Quadrupolfeld unmittelbar oberhalb der Oberfläche. Abb. 8.16 zeigt den Aufbau aus verschiedenen Perspektiven. Wechselströme mit passendem Phasenverschub durch die
zwei mäandrierenden Leiterbahnen erzeugen Potentialtäler die monoton in eine Richtung laufen.
Das in der Magnetfalle (links) erzeugte Kondensat wurde mit diesem “Potentialfließband” einige
Millimeter transportiert. Diese Methode könnte der Ausgangspunkt für diverse neue, kompakte
atomoptische Bauteile sein.
8.3
Entartete Fermigase
Diese Vorlesungsstunde wurde von Dr. Herwig Ott, Institut für Physik der Johannes GutenbergUniversität Mainz, gehalten. Weitere Informationen dazu finden sich auf seiner Webseite:
http://www.quantum.physik.uni-mainz.de/de/qao/index.html
8.4
Experimente mit kalten und ultrakalten Neutronen
Diese Vorlesungsstunde wurde von Dr. Stefan Baeßler, Institut für Physik der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz, gehalten. Weitere Informationen dazu finden sich auf seiner Webseite:
http://www.quantum.physik.uni-mainz.de/de/AGHeil/neutrons/index.html
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KAPITEL 8. MODERNE EXPERIMENTE MIT NEUTRALEN ATOMEN
Abb. 8.13: Gepulster Atomlaser, ausgekoppelte Teile vom Kondensat als Phasenkontrastbild.
Quelle: Webseite von W. Ketterle, MIT.
8.4. EXPERIMENTE MIT KALTEN UND ULTRAKALTEN NEUTRONEN
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Abb. 8.14: Kontinuierlicher Atomlaser. Quelle: Webseite der Hänsch-Gruppe am MPQ in
München.
Abb. 8.15: Verhalten von bosonischem und fermionischem Lithium während des evaporativen
Kühlens. Quelle: http://atomcool.rice.edu/Welcome.html.
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KAPITEL 8. MODERNE EXPERIMENTE MIT NEUTRALEN ATOMEN
Abb. 8.16: Mikrofalle am MPQ. Das Bild rechts unten kann als Animation unter
http://www.mpq.mpg.de/ jar/conveyer animation.html angeschaut werden. Quelle: MPQ
München, Hänsch Gruppe.
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