Eine Uraufführung von Franz Koglmann

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14.05.2013
JOIN!
Eine Uraufführung von Franz Koglmann
Auftragswerk von Netzzeit in Koproduktion mit den Wiener Festwochen
KEINE ZEIT ZUM TRÄUMEN denn die ganze Affenbande brüllt...
"Sensationeller Publikumserfolg" versus "triviales Libretto, platte Regie und
höflich-unenthusiastischer Beifall" – die Uraufführung von JOIN! startete und polarisierte bereits
zwei Tage vor der offiziellen Eröffnung der Wiener Festwochen.
Als Auftragswerk von netzzeit wurde JOIN! in Koproduktion mit den Wiener Festwochen im
Rahmen von OUT OF CONTROL, dem Festival für Neues Musiktheater gezeigt, das in diesem Jahr
unter dem Motto "Haben oder Sein" stand. In JOIN! stand das Thema Habsucht im Zentrum: laut
Definition das "übersteigerte Streben nach materiellem Besitz, unabhängig von dessen Nutzen
und eng verwandt mit dem Geiz, der übertriebenen Sparsamkeit und dem Unwillen zu teilen".
Dargestellt als Eigenschaft von Topmanagern und Charakteristikum von Großkonzernen.
Ladies and Gentlemen, hier wird nicht Oper im herkömmlichen Stile gezeigt, sondern eine bunte
Mischung aus (Retro-) Science Fiction, Musical, Jazz Revue und Clubbing. Man findet sich im
wahrsten Sinne des Wortes inmitten eines Wirtschaftsthrillers wieder, der zumindest phasenweise
ins Komödiantische abschweift und an einigen Stellen erfrischend trashig wird.
Es gebe zwar eine Pause mit Getränken, auf die Toilette könne man jedoch nicht zwischen den
Akten, so der Hinweis des Regisseurs Michael Scheidl zum Ablauf des Abends, den er dem
Publikum beim Einführungsgespräch vor der Vorstellung mit auf den Weg gab. – Man ist neugierig.
–
Zu Beginn jedoch ein Setting wie gewohnt in der Halle E
des Museumsquartiers. Das Bühnenbild die Skyline einer Großstadt, davor ein Büroraum mit
Schreibtischen und ledernem Drehsessel. Wir befinden uns in der Chefetage des multinationalen
Konzerns Gen & Brain, kurz G&B. Herein kommen die Spitzenmanager des Betriebs, einberufen
zu einem Geheimmeeting, denn ein einzigartiger Produktlaunch steht bevor und muss so perfekt
wie möglich vorbereitet werden. Bei dem zu vermarktenden Produkt handelt es sich um einen
Mikro-Chip, der, direkt ins Gehirn der Menschen gepflanzt, die Ära einer neuen Generation und
Wirtschaftsmacht einläuten soll: Schlagartig wird der Aufstieg vom Mauerblümchen zur
attraktiven Topmanagerin möglich, die im allumfassenden Cyberspace rund um die Uhr online und
abrufbar ist. Mittels Biochip wird man zum perfekten Einheitswesen einer Armee von toughen und
gewinnorientierten Arbeitstieren. Eine radikale Veränderung des genetischen Materials steht
bevor, nicht mehr individuelle Intelligenz, sondern das perfekte "Denken" des Chips wird über die
Menschheit bestimmen. Was zählt sind Erfolg, Machtstreben, Gewinnmaximierung und Perfektion.
Ein aufreizendes Model verkörpert diese scheinbar mühelose Verwandlung und ist gleichsam
Symbol der Werbemaschinerie einer Konsumwelt, die auf Illusion und Schein aufbaut.
Der Laptop wird aufgeklappt, man präsentiert sich – stimmlich einwandfrei und ausdrucksstark –
mit all seinen Hard- und Softskills von der besten Seite. Das Business ist hart. Auch die
Umstrukturierung des Personals steht bevor. Da darf man schon mal einen Tanz wagen um zu
überzeugen. Hard Working! Hard Selling! Welche Marketingstrategie wird bestechen? Sind es
sportliche Kreativität und jugendlicher Esprit, kriegerische Schlachtpläne und Kampfansagen
gegen die Gegner, oder ist es die weibliche Charme einer Perfektionistin, die mit ihren sexuellen
Reizen nicht geizt und diese an den richtigen Stellen einzusetzen weiß.
Darwinistische Ansätze treffen auf Science Fiction und Visionen einer besseren Zukunft à la
"Brave New World". Vieles davon ist bereits Realität. Das Bild des glorifizierten wirtschaftlichen
Aufschwungs nicht mehr ganz aktuell. Businessanforderungen, Repräsentationsmechanismen und
Betriebsstrukturen haben sich gewandelt. Manager sind nicht mehr die unangefochtenen Masters
of the Universe. Oder etwa doch?
Die Inhalte des Librettos von Alfred Zellinger scheinen streckenweise nicht mehr ganz up to date.
Nicht verwunderlich, denn das Textmaterial basiert auf seinem, 1985 erschienenen, Theaterstück
Spiel der Konzerne. Zellinger, selbst Jahrzehnte als Top-Manager in diversen internationalen
Konzernen tätig, verarbeitete darin seine Erfahrungen im Wirtschaftssektor. Für JOIN! filtrierte er
den Text um zu einem Konzentrat aus Wirtschaftsslogans und einem verknappten
Wirtschaftsjargon zu kommen, der an die Sprache der Social Media Plattformen erinnern sollte.
Ein Komprimierungsprozess, dessen Ergebnis "wirklicher als die Wirklichkeit" wurde, so Zellinger
über seine Intention. Zweifelsohne ein spannendes Konzept, das jedoch vielfach in Klischees
verhaftet und an der Oberfläche bleibt. Viele Themengebiete wurden angerissen, ohne jedoch
weiter geführt und auf den, oder zumindest einen, Punkt gebracht zu werden. Man hätte sich
mehr Abstraktion und Aussagekraft einerseits, mehr Ironisierung und Radikalität andererseits
gewünscht – und / oder mehr Mut zu Trash, Kitsch und Effekt. Michael Scheidl und sein
netzzeit-Team sowie die hervorragenden Darsteller hätten sicher die Qualitäten dazu, leider blieb
die Handlung oft zu platt.
Aufgelockert wurde der Abend durch die Coffee Break. Zur Pause spazierte das Publikum nicht in
gewohnter Manier hinaus, sondern mitten hinein durch die kreisrunde Öffnung des Bühnenbilds,
in welcher davor bereits der CEO und das Model als Videoprojektionen erschienen. Eine Aktion,
die im Rahmen der nach wie vor gängigen Distanz und Trennung zwischen Bühnen,
Orchestergraben und Publikum überaus erfrischend wirkte.
Hinter der Skyline eröffnete sich Club-Atmosphäre à la Grelle Forelle inklusive Neonfischen,
futuristischer Bar, silbrigen Stehtischen und spacigen Videowalls, die UFO-ähnlich von der Decke
herabhingen. Nach Belieben konnte man sich auf die Treppen setzen oder einen Drink nehmen,
wobei man sich mitunter den Fragen der Manager, die sich mittlerweile unter das Publikum
gemischt hatten, stellen musste: Leisten sie alles für die Firma? Arbeiten sie 100% und rund um
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die Uhr am Erfolg? Was sind ihre Qualifikationen? Zeigen sie höchste Perfektion, Ehrgeiz und
Leistungsfähigkeit? Passen sie auf, der Boss sieht jeden kleinsten Fehler. Geben sie alles!
Die Darsteller geben sich auch in diesem Szenario sehr authentisch. In einem
Bewerbungsgespräch möchte man ihnen lieber nicht gegenübersitzen.
Während der Businessplan der Chipvermarktung seinen Fortgang nimmt, verstrickt sich die
Handlung nun in Themen wie Privatleben versus Karriere, Sex, Intrige, Korruption und Skandal.
Nicht nur durch die räumliche Situation brauchte es viel Aufmerksamkeit um allen Einzelheiten zu
folgen. Empfehlenswerter schien es da, die Chance zu nutzen, sich in nächste Nähe des
Ensembles zu begeben, welches auf beiden Seiten des Saales gruppiert war – denn "die reihe"
musizierte mit Enthusiasmus und Spielfreude. Die MusikerInnen jazzten, swingten und rockten
durch musikalische Stilistiken und ließen dabei immer wieder die Sounds technischer
Gerätschaften durchklingen. Working Sound meets Classic meets Ars Nova meets Gameboy Music
meets Pop meets Jazz meets Musical...
In den Reihen der "reihe", genauer gesagt am 2. Pult der Trompete saß auch der Komponist der
Oper, Franz Koglmann. Er sei einfach gern dabei und mische ein bisschen mit in dem Haufen,
seine Improvisationen könne man im Grunde aber auch weglassen, sie seien nichts Besonderes, so
Koglmann auf sympathisch bescheidene Weise über seine Rolle im Ensemble. Er schreibe Musik
für die MusikerInnen, und nicht gegen sie, erklärte Koglmann. Oper faszinierte den, vor allem im
Jazz-Bereich berühmt gewordenen und eigentlich aus der Klassik kommenden, Koglmann schon
von klein auf. Mit JOIN! wollte er bewusst eine Komödie komponieren. Nicht zuletzt um einen
Kontrapunkt zur gängigen Auffassung von Oper in der sogenannten Neuen Musik mit explizit groß
geschriebenem N zu setzen, mit welcher er nicht viel anzufangen weiß. Koglmann gelang damit
ein Werk, das mit Leichtigkeit zwischen den Genres changiert und mit welchem er sich spielerisch
über Kategorisierungen hinwegzusetzen vermag. Eine Musik, die durchaus zum Mitwippen einlud,
größere Spannungsbögen und dramatische Höhepunkte jedoch etwas vermissen ließ.
Die Durchmischung an Stilen und Themen spiegelte sich auch in der Verwendung einer Vielzahl
von Zitaten und Anspielungen wieder, die den Unterhaltungsfaktor des Abends wesentlich
steigerten. Raumschiff Enterprise meets James Bond meets American Beauty meets Rocky Horror
Picture Show meets Planet der Affen meets Aldous Huxley...
Alles in allem ein erfrischender Theaterabend, dem etwas
Tiefgang, Doppeldeutigkeit und inhaltlicher Pepp gutgetan hätte. Die gegen Ende hin auftretende
Affenbande, die einem aus nicht mehr ganz aktuellen Performances bekannt vorkam, trug nicht
wirklich zu einem ironisierenden Schlussbild bei. Dennoch: JOIN! ist auch Beweis dafür, dass man
die mediale Berichterstattung und die Kritikerstimmen nicht allzu ernst nehmen und sich lieber
selbst ein Bild machen sollte.
Etwas mehr Phantasie, Reflexionsfähigkeit und Abstraktionsvermögen hätte man dem Publikum
jedoch zutrauen können, zumindest um ihm ein paar Denkanstöße oder offene Fragen mit auf den
Nachhauseweg zu geben. Aber vielleicht war das auch nicht die Intention.
Maria Tunner
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JOIN!
Oper in 3 Akten, UA
Auftragswerk von NETZZEIT, Koproduktion mit den WIENER FESTWOCHEN
Im Rahmen von OUT OF CONTROL 2013. HABEN ODER SEIN. Festival für Neues Musiktheater
Musik: Franz Koglmann
Libretto: Alfred Zellinger
Mit Anna Erb, Wolfgang Gratschmaier, Anthony Heidweiller, Dennis Kozeluh, Max Niemeyer,
Katja Reichert, Annette Schönmüller, Sébastien Soulès
Inszenierung Michael Scheidl
Ausstattung: Nora Scheidl
Dramaturgie: Caroline Weber
Choreographie: Florian Hurler
Licht Design: Norbert Joachim
Sound Design: Peter Böhm
Musikvideo: Alex Püringer
Musikalische Leitung: Koen Schoots, Carsten Paap,
Ensemble „die reihe“
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