Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein Fortbildungsveranstaltung, Düsseldorf, 13. Mai 2009 Verordnungssicherheit Teil 6: Das Kind – ein kleiner Erwachsener ? Herausforderung bei der Verschreibung und Anwendung von Arzneimitteln Antibiotikagabe bei Kindern – worauf muss man besonders achten ? Michael Weiß Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Kliniken der Stadt Köln gGmbH Amsterdamer Straße 59 51058 Köln [email protected] Medikamente bei Kindern • Unterschiedliche Wirkung bei Kindern, Säuglingen und Neugeborenen im Vergleich zu Erwachsenen • Erhöhtes Toxizitätsrisiko: – Reduzierte Medikamentenclearance – Unterschiedliche Organsensitivität • Berücksichtigung von Leber- oder Nierenfunktionsstörungen • Dosierungen sind individuell zu berechnen (nach Körperoberfläche oder Körpergewicht) • Keine Überschreitung der maximalen Tagesdosen von Erwachsenen • Gabe zu festen Tageszeiten, in regelmäßigen Intervallen • Besondere Vorsicht in Schwangerschaft und Stillzeit Antimikrobielle Chemotherapie • Klassische Definitionen: – Antimikrobiell wirksame Chemotherapeutika: synthetisch gewonnene chemische Produkte – Antibiotika: von Pilzen oder Bakterien produzierte antimikrobielle Substanzen • Heute meist synonymer Gebrauch: Antibiotika = voll- oder halbsynthetisch hergestellte Medikamente • Alternative Terminologie: „Antiinfektiva“: – – – – – Antibiotika (im engeren Sinne) Andere antibakterielle Chemotherapeutika (Sulfonamide, Chinolone etc.) Antimykotika Virostatika (DGPI Handbuch, 5. Auflage, 2009 Antiparasitika Thieme-Verlag) Auswahl eines Antibiotikums • Klinischer Verdacht einer Infektion • Vermuteter Erreger: Art und Sensibilität • Anamnese: – Medikamentenunverträglichkeit – Allergien – Störungen der Leber- oder Nierenfunktion (unter Berücksichtigung der Pharmakokinetik des Antibiotikums) – Besondere Infektionsgefährdung (Immunsuppression, Immundefekt) • Schweregrad einer Infektion • Orale oder intravenöse Gabe (nicht intramuskulär) • Einnahme des Medikamentes (Compliance von Eltern und Kindern), ideal: Einnahme nur 2x täglich • Ausschluß einer Schwangerschaft bei Jugendlichen Grundregeln bei Antibiotika • Keine antibakterielle Chemotherapie bei Virusinfektionen • Erregersuche vor Therapiebeginn (Mikrobiologie) • Berücksichtigung von Epidemiologie und Resistenzsituation • Spiegelbestimmungen bei Toxizitätsgefahr (z.B. Aminoglykoside) • Dauer der Behandlung richtet sich nach Art der Infektion und klinischem Verlauf Spezielle Kriterien bei Antibiotika • Alter und Körpergewicht des Kindes • Pharmakokinetische Eigenschaften (z.B. Plasmaeiweißbindung, Bilirubininteraktionen) • Berücksichtigung von in vitro-Daten aus klinischen Studien • Nebenwirkungen, Einfluss auf die Darmflora • Ambulante oder stationäre Therapie • Therapiekosten („nicht an, sondern mit Antibiotika sparen“) Antibiotika-Therapie • Gezielt: Kenntnis des bakteriellen Erregers und der Sensibilität • Kalkuliert (empirisch): mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutete Erreger • Blind: Erreger und Infektionsquelle unbekannt (sollte eher Ausnahme bleiben) • Wichtigste Nebenwirkungen: – Allergische oder toxische Reaktionen – Verschleierung von Krankheitsbildern – Selektion resistenter Keime Antibiotikagabe intravenös oder oral • Bei einfachen Infektionen in der Regel orale Gabe • Wechsel des Antibiotikums bei fehlendem Ansprechen, z.B. nach 48 Stunden • Notwendigkeit der intravenösen Applikation bei verweigerter oraler Einnahme (Kleinkinder) oder unsicherer Resorption (Säuglinge) bzw. verminderter Bioverfügbarkeit (Malabsorption) • Wechsel von intravenöser auf orale Gabe bei klinischer Besserung (Sequenztherapie) – Etabliert bei älteren Kindern – Mit Zurückhaltung bei Neugeborenen und Säuglingen wegen höherer Bakteriämie-Gefährdung und unzureichender Resorptionsrate bei oraler Therapie z.B.: Piperacillin/Tazobactam, Linezolid, Itraconazol, Valaciclovir Fehlende Zulassungen im Kindesalter • Bei vielen neuen Antibiotika liegen auch Jahre nach der Einführung keine pädiatrischen Studien vor • Zahlreiche Antibiotika-Verordnungen bei Kindern und Jugendlichen erfolgen „off-label“ (außerhalb der bestehenden Zulassung) oder „unlicensed“ (ohne Zulassung) • Gefahren: – Kinder nehmen nicht wie Erwachsene am medizinischen Fortschritt teil – Kind sind bei nicht zugelassenen Antibiotika einem höheren Nebenwirkungsrisiko ausgesetzt – Belastung des behandelnden Kinderarztes durch erhöhten zeitlichen Aufwand bei der Aufklärung – Anwendung nicht zugelassener Antibiotika ist für den Arzt mit einem erhöhten Risiko verbunden Bakterielle Infektionen in der Pädiatrie • Atemwegsinfektionen – – – – • Harnwegsinfektionen – – • • Otitis media Tonsillitis Bronchitis Pneumonie Zystitis Pyelonephritis Osteomyelitis Weichteilinfektionen – – Phlegmone Erysipel • Meningitis • Sepsis • Endokarditis • Infektionen bei Hochrisikopat.: – Neutropenie (Chemotherapie) – Früh- und Neugeborene – Intensivpatienten (peri- und postoperativ) – Chronisch Kranke (Mukoviszidose, Stoffwechselkrankheiten, Nierenkrankheiten, …) Parenteral behandelte bakterielle Infektionen • Atemwegsinfektionen – – – – • Harnwegsinfektionen – – • • Otitis media Tonsillitis Bronchitis Pneumonie Zystitis Pyelonephritis Osteomyelitis Weichteilinfektionen – – Phlegmone Erysipel • Meningitis • Sepsis • Endokarditis • Infektionen bei Hochrisikopat.: – Neutropenie (Chemotherapie) – Früh- und Neugeborene – Intensivpatienten (peri- und postoperativ) – Chronisch Kranke (Mukoviszidose, Stoffwechselkrankheiten, Nierenkrankheiten, …) Parenterale Cephalosporine • • • 1. Generation (parenterales Cephalosporin ohne erhöhte β-Laktamase-Stabilität) – Cefazolin 2. Generation (parenterale Cephalosporine mit erhöhter β-Laktamase-Stabilität) – Cefuroxim – Cefotiam – Cefoxitin 3. Generation (Breitspektrum-Cephalosporine) – Cefotaxim – Ceftazidim – Ceftriaxon (Cave: Calcium-Ceftriaxon-Präzipitate bei Infusionen) – Cefepim FDA/Roche, 2007 (USA) Oralcephalosporine • 1. Generation (Oralcephalosporine ohne erhöhte β-Laktamase-Stabilität) – Cefaclor – Cefadroxil – Cefalexin – Loracarbef • 2. und 3. Generation (Oralcephalosporine mit erhöhter β-Laktamase-Stabilität) – Cefuroximaxetil – Cefixim – Cefpodoxim – Ceftibuten Antibiotika bei Atemwegsinfektionen (1) Erkrankung & Erreger Antibiotikum der 1. Wahl Angina tonsillaris β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A - Orales Penicillin V (10d),100.000 IE/kg KG/d - Oralcephalosporin (5d), Cefaclor 3050mg/kg KG/d in 3 ED, Cefuroximaxetil 20-30mg/kg KG/d in 2 ED Bakterielle Sinusitis Pneumokokken, H. influenzae spp., Streptokokken, β-Laktamase prod.. Moraxellen - Aminopenicillin (50 mg/kg KG/d) + Clavulansäure (10-14 d) - Oralcephalosporin (10-14 d) Reserveantibiotikum Pneumokokkeninfektionen Antibiotika bei Atemwegsinfektionen (2) Erkrankung & Erreger Bronchopneumonie < 6 Jahre Antibiotikum der Wahl 1. Reserveantibiotikum Oralcephalosporin der 2. Generation, Cefuroximaxetil 2030mg/kg KG/d in 2 ED Nach 48 h ohne Besserung: Umsetzen auf Makrolid > 6 Jahre (Verdacht auf atypische Erreger) Makrolid Erythromycin 50mg/kg KG/d in 3 ED oder Clarithromycin 15 mg/kg KG/d in 2 ED Aminopenicillin + Clavulansäure Oralcephalosporin der 2. Generation Lobärpneumonie Cefuroxim i.v. 100 mg/kg KG/d Cefotaxim i.v. 100 mg/kg KG/d alternativ Meropenem Pneumokokken im Liquorpräparat Meningokokkensepsis Antibiotika bei ZNS-Infektionen Erkrankung & Erreger Meningitis Pneumokokken, Meningokokken H. influenzae Typ b Lyme-Borreliose Antibiotikum der Wahl 1. i.v. Cephalosporin der 3. Generation Cefotaxim 200 mg/kg KG/d, 3 ED Ceftriaxon 50 mg/kg KG/d, 1 ED für 1 – 2 Wochen Ceftriaxon oder Cefotaxim i.v. Dauer 14 Tage Reserveantibiotikum Bei Verdacht auf Pneumokokkenresistenz (Reiseanamnese !): + Glykopeptid (Vancomycin, 40-60 mg/kg KG/d) Osteomyelitis im Kindesalter Antibiotika bei Osteomyelitis und Weichteilinfektionen Erkrankung & Erreger Osteomyelitis, Osteoarthritis grampositive Erreger V.a. gramnegative Erreger Antibiotikum der 1. Wahl Reserveantibiotikum Clindamycin i.v. 40 mg/kg KG/d, 3 ED Cephalosporin der 2. Generation i.v., Cefuroxim 150 – 200 mg/kg KG/d Clindamycin + Cephalosporin der 3. Generation, z.B. Cefotaxim 150 mg/kg KG/d i.v., mind. 3 Wochen Cephalosporin der Weichteilinfektionen 2. Generation i.v. (Phlegmone, Erysipel, Abszeß) Clindamycin i.v. Staphylo-/Streptokokken (wirkt nur im grampositiven Bereich) Penicillinasefeste Penicilline Spektrum der Harnwegsinfektionen Nierenabszeß asympt. Bakteriurie Cystitis Pyelonephritis Pyonephrose Urosepsis Fakten zur kalkulierten Antibiotika-Therapie bei Harnwegsinfektionen • Niedrige Resistenzraten (< 10 %) von E. coli gegenüber: – Cephalosporinen der 2. und 3. Generation – Aminoglykosiden – Nitrofurantoin – Chinolonen • E. coli-Resistenz gegenüber Ampicillin über 30 % • Stark zunehmende Resistenzen von E. coli gegen Cotrimoxazol bzw. Trimethoprim (?) Urinkulturen aus Pädiatrie, Kinderchirurgie u. Intensivmedizin Sensibilität (in %) von nachgewiesenen E. coli 1998 n=148 2000 n=400 2002 n=444 2004 n=295 2005 n=309 Ampicillin 60 51 57 53 47 Cotrimoxazol 72 65 69 69 70 Cefuroxim 99 96 96 95 94 Cefotaxim 100 98 98 97 97 Gentamicin 97 97 93 96 95 Imipenem 100 100 100 100 100 S. Giersen, R. Schwarz et al., Poster, DGPI-Jahrestagung 2006 S. Giersen, R. Schwarz et al., DGPI 2006 Antibiotikaempfindlichkeit von E. coli – Analyse im Kinderkrankenhaus 1998 - 2005 Sind die aktuellen, empirisch eingesetzten Antibiotika wirksam ? • Cotrimoxzol: unverändert etwa 2/3 der Stämme sensibel • Ampicillin: schlechte und weiter sinkende Sensibilität 1998: 60% -> 2005: 47% • Cefuroxim: nur leicht sinkende Sensibilität 1998: 99% -> 2005: 94% • Cefotaxim: fast alle Stämme sensibel 1998: 100% -> 2005: 97% • Gentamicin: etwa 95% der Stämme sensibel • Imipenem: Reserveantibiotikum, noch alle Stämme sensibel Therapiemodifikationen bei Harnwegsinfektionen • Die aktuelle lokale Resistenzsituation der häufigsten Erreger (E. coli) sollte bekannt sein. • Kultureller Keimnachweis und Antibiogramm sind zur Optimierung der Therapie wichtig. Diagnostik bei Fieber in Neutropenie • Systematische Untersuchungen: - Kopf- und Halsregion - Thorax - Abdomen • Besondere Erreger bei neutropenischen Patienten: - grampositive Bakterien - gramnegative Bakterien - Anaerobier - Viren • Komplikationen bei länger dauernder Neutropenie: - Pilze oder antibiotikaresistente Bakterien Bakterielle Erreger bei FUO • grampositive Bakterien • gramnegative Bakterien Staphylokokken +++ (koagulasenegativ, koagulasepositiv) Streptokokken + (ß-hämolysierend, vergrünend) Enterokokken + Corynebakterien-Spezies + Listeria monocytogenes + Clostridium difficile ++ Enterobacteriaceae (E. coli, Klebsiella, +++/+ Enterobacter, Citrobacter) +/+ Pseudomonas spp. +++ Anaerobier (Bacteroides spp.) + Mikrobiologische Diagnostik • Abnahme von Kulturen vor Beginn der empirischen antibiotischen Therapie: - Blutkulturen (peripher und aus Katheter) - Urinkultur - Abstriche nach Infektionsverdacht - Stuhldiagnostik • Erneute Blutkulturen vor Umsetzen von Antibiotika und vor Beginn mit Antimykotika • Ggf. Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage • (Offene Lungenbiopsie) Therapie bei FUO / Infektion • Empirische intravenöse Antibiotikatherapie: - unverzüglich bei Fieber (Gefahr: fulminanter Verlauf) - auch bei Infektionszeichen ohne Fieber • Cephalosporin der Gruppe 3 (Pseudomonas-wirksam) + Aminoglykosid oder Breitspektrumpenicillin (Pseudomonas-wirksam) + Aminoglykosid oder Cephalosporin der Gruppe 3 + ß-Laktam-Antibiotikum (+ Aminoglykosid) • Entscheidung des Behandlungsregimes nach lokaler Erregersituation und Antibiotika-Empfindlichkeit sowie dem Profil der behandelten Patienten Pseudomonas-wirksames Cephalosporin Ceftazidim: - höchste Wirksamkeit gegen Pseudomonas aeruginosa (MHK90 zwischen 0,5 und 32 µg/ml) - auch wirksam gegen P. cepacia und Acinetobacter - Wirkung gegen grampositive Bakterien im Vergleich zu Cefotaxim geringer - unwirksam gegen Enterokokken, weitgehend auch gegen S. aureus und S. epidermidis - gute Gewebepenetration (Knochen, Galle, Meningitis) - Ausscheidung zu 80-90% durch glomeruläre Filtration Carbapeneme Meropenem: - ß-Laktam-Antibiotikum mit breiter Wirkung - stabil gegen ß-Laktamasen - geeignet für lebensbedrohliche Infektionen - besitzt hohe Stabilität gegen Dehydropeptidasen - Wirkspektrum vergleichbar mit Imipenem (etwas stärker gegen Pseudomonas aeruginosa wirksam) - gute Gewebepenetration (entzündete Meningen) - sehr gute Verträglichkeit - Dosisreduktion bei eingeschränkter Nierenfunktion Aminoglykoside Positiv: - gut wirksam gegen gramnegative Bakterien - auch bei hohen Bakterienmengen bakterizid - dosisabhängige, gut kalkulierbare Wirksamkeit - Synergismus mit ß-Laktam-Antibiotika Negativ: - unzureichende Resorption nach oraler Gabe - eingeschränkt gegen grampositive Bakterien wirksam - Oto- und Nephrotoxizität Laws, H.-J., Amman, R.A., Lehrnbecher,T.: FUO bei Kindern u. Jugendlichen mit onkologischen Erkrankungen. Klin. Pädiatrie 217 (Suppl.1): S9-S16, 2005 „... Aminoglykoside sind bei der empirischen Initialtherapie in aller Regel verzichtbar.“ Antibiotikatherapie bei Fieber in Neutropenie • Fieber bei onkologischen Patienten ist immer als Zeichen einer Infektion zu werten • Intensive Diagnostik zur Lokalisation einer Infektion und Nachweis des Erregers • Früher Therapiebeginn mit Cephalosporin-Monotherapie oder Kombination mit Aminoglykosid • Glykopeptide möglichst gezielt einsetzen (ZVK ?) • Therapieeskalation mit Antimykotika nach 4 - 5 Tagen • Dauer der antimikrobiellen Therapie nach klinischem Verlauf (Entfieberung ?) und allgemeinem Risiko Parenteral behandelte bakterielle Infektionen • Atemwegsinfektionen – – – – • • • • Meningitis Otitis media • Sepsis Tonsillitis • Endokarditis Aktuell wichtige parenterale Antibiotika Bronchitis in der Pädiatrie: Pneumonie - Cephalosporine der 2. und 3. Generation: • Infektionen bei Hochrisikopat.: Cefuroxim, Cefotaxim, Ceftriaxon, Ceftazidim Harnwegsinfektionen – (Piperacillin) Neutropenie (Chemotherapie) - Alt.: Breitspektrumpenicilline – Zystitis – Früh- und Neugeborene – Pyelonephritis - Besondere Indikationen: – Intensivpatienten (peri- und Clindamycin, Metronidazol, Osteomyelitis postoperativ) Glykopeptide (Vancomycin, Teicoplanin) – Chronisch Kranke Weichteilinfektionen - Reserveantibiotika: Meropenem, Linezolid (Mukoviszidose, – Phlegmone Stoffwechselkrankheiten, – ErysipelNeuorientierung jeweils nach aktueller Nierenkrankheiten, …) Resistenzsituation erforderlich !