Abenteuer Diagnose am 09.08.2016 a Knochentuberkulose Michael L. trifft plötzlich ein stechender Schmerz im Rücken – und seine Beine versagen. Ein Neurochirurg ist sich sicher: Hinter den plötzlichen Rückenschmerzen kann eigentlich nur eine unspezifische Spondylitis stecken, also eine Entzündung im Wirbelkörper, die meist durch Staphylokokken hervorgerufen wird. Die Bakterien gelangen über das Blut zur Wirbelsäule, befallen die Wirbelkörper, später auch die Bandscheiben und lösen die schmerzhafte Entzündung aus. Michael L. bekommt Antibiotika und Schmerzmittel. So kann er nach einigen Wochen wieder arbeiten. Aber schon eine kleine Bewegung in die falsche Richtung, und der Schmerz reißt ihm wieder die Beine weg. Nur mit großer Mühe kann er wieder aufstehen. Immer wieder bekommt L. Antibiotika und wird zur Kontrolle ins Krankenhaus geschickt. Elf Monate geht das so – ohne Veränderung. Seinem Arzt, einem niedergelassenen Chirurgen, kommt das irgendwann merkwürdig vor. Warum verschwindet die Infektion trotz der Antibiotika nicht? Er schickt Michael L. zu einem erfahrenen Orthopäden. Dieser rät, auf die Selbstheilungskräfte des Körpers zu vertrauen und die Medikamente abzusetzen. Michael L. befolgt den Rat, denn er hat genug von den ständigen Arztbesuchen und arrangiert sich irgendwie mit den Rückenschmerzen. Anderthalb Jahre vergehen. Dann entdeckt er plötzlich eine schmerzempfindliche Beule an seinem Rücken, die nach außen drückt. Dazu schwitzt er nachts stark, hat Fieberattacken und verliert an Gewicht. Zum ersten Mal seit Langem geht Michael L. daraufhin wieder zum Arzt. Der ist über den Zustand seines Patienten und die Größe der Beule, die schon den Umfang eines kleinen Fußballs hat, erschrocken. Der Ultraschall zeigt, dass es sich um einen prall mit Eiter gefüllten Abszess handelt. Der Arzt weist L. ins Krankenhaus ein, doch die Ärzte dort schicken ihn wieder weg. Michael L. soll zunächst ein MRT machen lassen und damit wiederkommen. So landet er eine Woche später beim Radiologen. Der Befund ist erschreckend: Nicht nur am Rücken, sondern auch im Bauchraum hat sich ein riesiger Abszess gebildet. Die Abszess-Kapseln sind so prall gefüllt, dass sie unter Umständen platzen können. Das Eitersekret enthält viele Erreger, die sich dann über den gesamten Körper ausbreiten – und schnell zu tödlichem Organversagen führen könnten. Michael L. muss am nächsten Tag zum Neurochirurgen. Schon bei der Punktion der Abszesse zeigt sich: Das können keine Staphylokokken sein wie anfangs vermutet. Da ist ein viel zerstörerischer Erreger am Werk! Michael L. muss sofort operiert werden. Zwei Lendenwirbel sind durch die rätselhafte Infektion zerfressen, zwei Bandscheiben haben sich fast völlig aufgelöst. Um Michael L.s Wirbelsäule zu retten, muss der Neurochirurg die zerstörten Wirbel versteifen. Dann wird der Psoas-Muskel an mehreren Stellen eröffnet, ausgespült und die große Menge Eiter, soweit es geht, abgesaugt. Abenteuer Diagnose am 09.08.2016 a Bei der Untersuchung des Eiters durch Infektiologen bestätigt sich ein Verdacht der Chirurgen: Michael L. hat Tuberkulose! Die Tuberkel-Bakterien gelangen über die Atemluft in die Lunge. Dort werden sie von Abwehrzellen gefressen. Doch die Erreger sterben nicht, sondern kapseln sich ein, schlummern wie in einem trojanischen Pferd oft jahrelang, bevor die Krankheit ausbricht. Michael L. wird zu Spezialisten nach Borstel verlegt. Sie testen sofort, ob die Tuberkulose in seiner Lunge wütet – denn dann könnte er ansteckend sein. Doch die Proben sind alle negativ. In seltenen Fällen wie bei Michael L. setzen sich die Tuberkulosebakterien gar nicht in der Lunge fest, sondern wandern zur Wirbelsäule, wo sie erst die Bandscheiben attackieren und dann wie Motten die Wirbelkörper zerfressen: Knochentuberkulose heißt die Erkrankung. Schleichend breitet sich die Infektion über die Muskeln aus und führt zu riesigen Eiterherden im Bauch und Rücken. Wann genau Michael L. sich mit Tuberkulose angesteckt hat, weiß niemand. Es ist möglich, sich als Kleinkind zu infizieren und erst im Alter eine Tuberkulose zu entwickeln. Zum Glück ist die Krankheit gut behandelbar. Ein Jahr lang muss Michael L. eine Kombination von vier verschiedenen Antibiotika einnehmen, die die Erreger endgültig abtötet. Interviewpartner im Beitrag: Dr. Stephan Haverkamp, Facharzt für Chirurgie MVZ Chirurgie Kiel Schönberger Straße 11, 24148 Kiel-Wellingdorf Tel. (0431) 720 64 40, Fax (0431) 720 64 43 Internet: www.chirurgie-kiel.de Prof. Dr. Christof Hopf, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kinderorthopädie, Rheumatologie Fachabteilung Wirbelsäulenchirurgie, Kinder-, Rheuma- und onkologische Orthopädie Lubinus Clinicum Steenbeker Weg 25, 24106 Kiel Tel. (0431) 388 11-32, Fax (0431) 388 11-390 Internet: www.lubinus-stiftung.de/wirbelsaeulenchirurgie.html Prof. Dr. med. Dr. h. c. Christoph Lange Klinisches Tuberkulosezentrum (CLinTB) des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) Forschungszentrum Borstel Parkallee 35, 23845 Borstel Abenteuer Diagnose am 09.08.2016 Internet: www.fz-borstel.de a