Geisteswissenschaft Elmar Korte Hegels Konzeption vom absoluten Geist Magisterarbeit Hegels Konzeption des absoluten Geistes Elmar Korte Hegels Konzeption des absoluten Geistes Aachen, 2001-2005 Hegels Konzeption des absoluten Geistes Inhaltsverzeichnis 1. EINFÜHRUNG – DAS ABSOLUTE UND DER GEIST 1.1. VORSTUFEN DES ABSOLUTEN GEISTES: DER GEIST ALS SOLCHER 1.1.1. 1.2. 2. 3. DER ABSOLUTE GEIST 7 7 Die Kunst 8 1.2.2. Die Religion 9 1.2.3. Die Philosophie DER BEGRIFF DES GEISTES (ENZYKLOPÄDIE § 381) 10 13 2.1. DER BEGRIFF DES GEISTES FÜR DIE VORSTELLUNG 15 2.2. DAS ABSOLUTE UND DIE LETZTBEGRÜNDUNG 16 2.3. DAS PROBLEM DER ENTÄUßERUNG DER IDEE ZUR NATUR 17 2.4. DAS „ANDERE DER IDEE“: DIE NATUR 19 2.5. DAS „ZURÜCKKOMMEN AUS DER NATUR“: DER GEIST 20 2.6. WEITERE BESTIMMUNGEN DES GEISTES (§ 382FF.) 22 2.7. DER BEGRIFF DES ABSOLUTEN GEISTES 24 DER ABSOLUTE GEIST ALS VERANSCHAULICHUNG – DIE KUNST 26 3.1. VORAUSSETZUNGEN DER HEGELSCHEN ÄSTHETIK 29 3.2. DER BEGRIFF DES KUNSTSCHÖNEN 33 3.3. KUNST, IDEE UND FORM 34 3.4. EINTEILUNG DER WISSENSCHAFT DER KUNST 37 3.4.1. Die Lehre vom Ideal 37 3.4.2. Die Lehre von den Kunstformen 39 3.4.2.1. Die symbolische Kunstform 41 3.4.2.2. Die klassische Kunstform 43 3.4.2.3. Die romantische Kunstform 46 Die These vom Ende der Kunst 48 DER ABSOLUTE GEIST ALS VORSTELLUNG – DIE RELIGION 50 4.1. DAS VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND RELIGION 50 4.2. DER BEGRIFF DER RELIGION 52 4.2.1. 4.3. 5. 5 1.2.1. 3.4.3. 4. Subjektiver und objektiver Geist 4 Die Kategorien Unendlichkeit und Endlichkeit: Grenze oder Überschreitung? 53 DIE OFFENBARE RELIGION 54 4.3.1. Das Reich des Vaters 56 4.3.2. Das Reich des Sohnes 58 4.3.3. Das Reich des Geistes 61 DER ABSOLUTE GEIST ALS BEGRIFF – DIE PHILOSOPHIE 65 5.1. DIE PHILOSOPHIE UND IHR METHODOLOGISCHER VORRANG 65 5.2. DIE PHILOSOPHIE DER PHILOSOPHIE UND IHRE CHARAKTERISTIKA 67 2 Hegels Konzeption des absoluten Geistes 5.3. 5.3.1. 5.4. 6. 68 Der Begriff als das Absolute 69 PHILOSOPHIE UND PHILOSOPHIEGESCHICHTE 5.4.1. 5.5. DIE PHILOSOPHIE DES BEGRIFFS Die Philosophie der Philosophiegeschichte 71 72 5.4.1.1. Der Begriff der Entwicklung 73 5.4.1.2. Der Begriff des Konkreten 75 5.4.1.3. Philosophie als Erkenntnis der Entwicklung des Konkreten 76 DER BEGRIFF DER PHILOSOPHIE (ENZYKLOPÄDIE § 574FF.) 78 THEODOR W. ADORNOS KRITIK – DIE HERRSCHAFT DES ALLGEMEINEN ÜBER DAS BESONDERE 80 6.1. ERFAHRUNGSVERLUST UND VERARMUNG DES ÄSTHETISCHEN ERLEBNISSES 81 6.2. BEGRIFFSLOSES TERRAIN VS. PERFORMATIVER WIDERSPRUCH 82 6.3. PHILOSOPHIE UND GESELLSCHAFT – ABSOLUTER VS. OBJEKTIVER GEIST 84 6.4. DAS UNENDLICHE UND DIE BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT 85 6.5. ALTERNATIVE: OFFENHEIT DES GANZEN UND MANNIGFALTIGKEIT DER TEILE 86 6.6. IMMANENTE KRITIK DER DIALEKTIK 87 6.7. INHALTSLOSIGKEIT DES SPEKULATIVEN IDEALISMUS 89 6.8. DER BEGRIFF DER GRENZE – DER FOKUS AUF DIE PHÄNOMENE 89 6.9. ARGUMENT VS. TATSACHE: DIE ZERSCHLAGUNG DER HOFFNUNG DURCH DIE GESELLSCHAFT 90 6.10. VERNUNFT UND WIRKLICHES 91 7. SCHLUSSBEMERKUNG 92 8. LITERATURVERZEICHNIS 94 8.1. PRIMÄRLITERATUR 94 8.2. SEKUNDÄRLITERATUR 94 3 Hegels Konzeption des absoluten Geistes 1. Einführung – das Absolute und der Geist Der Begriff des Absoluten ist in der Auseinandersetzung mit Hegels Philosophie und deren systematischen Bestimmungen ein notwendiger Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung und unverzichtbar für jeglichen Zugang zu seinem philosophischen System. Hegels berühmter Ausspruch „Das Wahre ist das Ganze“ veranschaulicht, dass es ihm um ein philosophisches System in seiner Ganzheit geht. Das Absolute und seine Bestimmungen sind darin wesentlich der Kern seiner philosophischen Bemühungen, denn im Absoluten glaubt Hegel dasjenige Element einer wahrhaften Philosophie gefunden zu haben, welches als Fundament und Ziel zugleich fungiert.1 Diesem Bestreben liegt zugrunde, dass es Universalität beansprucht. GAMM2 betont in diesem Zusammenhang die Universalität des Logos, welche der starken argumentativen Kraft der idealistischen Philosophie Hegels zugrunde liegt. Das Absolute und das Logisch-Argumentative sind dergestalt intrinsisch miteinander verknüpft, dass im Absoluten die logisch fundierte Basis einer selbst- und letztbegründeten Philosophie überhaupt zur Geltung kommt. Auch wenn man das Absolute in seiner wörtlichen Bedeutung als das Losgelöste auffasst, erschließt sich ein Sinnzusammenhang von Selbst- und Letztbegründung: Ein von allen anderen Bedingungen losgelöstes Sein ist dadurch ausgezeichnet, dass alle seine Bedingungen nur in ihm selbst liegen. Nur ein dergestalt verstandenes Absolutes wird seiner begrifflichen Bestimmung als Losgelöstes gerecht. Man kennzeichnet die Hegelsche Philosophie – in Abgrenzung zu der Philosophie von FICHTE und SCHELLING – auch als absoluten Idealismus.3 Die Pointe der Philosophie Hegels ist es, das Absolute als Geist aufzufassen. Entgegen einer langen metaphysischen Tradition, in der das Absolute als Substanz begriffen wurde, überwindet Hegel durch seinen philosophisch revolutionären Geistbegriff die Trennung von Substanz und Subjekt. Subjekt und Substanz durchdringen sich nach Hegel wechselseitig und das KANTISCHE Ding-an-sich-Problem verschwindet ebenfalls, denn die Trennung von Bewusstsein und Gegenstand, an der Kant noch festhält, fällt nach Hegel in unser Bewusstsein.4 Wir können demnach keinen Begriff von et- 1 Vgl. Henrich, Dieter: Selbstverhältnisse – Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie. Stuttgart 1982, S. 142. 2 Vgl. Gamm, Gerhard: Der deutsche Idealismus. Eine Einführung in die Philosophie von Fichte, Hegel und Schelling. Stuttgart 1997, S. 11. 3 Die Philosophie Fichtes wird im Allgemeinen als subjektiver Idealismus, die von Schelling als objektiver Idealismus bezeichnet. 4 Habermas sieht das Verhältnis von Absolutem und Substanz/Subjekt bei Hegel aus einer genau umgekehrten Perspektive, die allerdings prinzipiell die gleiche Struktur des Absoluten als vermittelnde Selbstbeziehung zu 4 Hegels Konzeption des absoluten Geistes was bilden, was außerhalb unseres Bewusstseins ist.5 Durch die Verlagerung der Gegenständlichkeit in unser Bewusstsein werden die Objekte sozusagen zu Subjekt-Objekten subjektiviert, denn reine Objekte, oder das Ding an sich im Sinne KANTS, lassen sich nach diesem Modell nicht mehr widerspruchsfrei denken. Das Gegenständliche ist in seinem Verhältnis zur Subjektivität wiederum ein geistiger Gegenstand. Der Gegenstand wird von uns geistigen Wesen als etwas Geistiges anerkannt, denn nur im Geist entfaltet sich die Wirklichkeit des Gegenständlichen. Der Geist ist dergestalt immer anwesend, bei jedem Denkvorgang, bei jeder sprachlichen Äußerung, und bei jeder Wahrnehmung Das Geistige oder der Geist kann daher als etwas Unhintergehbares anerkannt werden. So gelingt es Hegel, den Geist als das Grundprinzip aller Philosophie festzulegen.6 Dieses Grundprinzip besagt, dass der Geist bei jeder menschlichen Aktion, Vorstellung, Tat, Denkvorgang, usw. als bestimmendes Prinzip vorherrscht. Hierin ist schon andeutungsweise zu erkennen, dass das Absolute und der Geist als Fundament einer systematischen Philosophie zu betrachten sind. Die Zusammenführung beider Begriffe, des Absoluten sowie des Geistes, im absoluten Geist ist eine Hegelsche Besonderheit. Die Explikation des absoluten Geistes soll nun Hauptgegenstand dieser Arbeit sein. 1.1. Vorstufen des absoluten Geistes: Der Geist als solcher Wenn man das Absolute bei Hegel untersucht, muss man zwangsläufig die Struktur des Geistes ansprechen. Die Geistphilosophie (Phänomenologie des Geistes, Enzyklopädie III, Rechtsphilosophie, Religionsphilosophie, Ästhetik, Geschichte der Philosophie, Philosophie der Geschichte) nimmt in Hegels Gesamtwerk den mit Abstand größten Teil ein, was ein quantitatives Indiz dafür ist, dass es sich um ein Kernstück der Hegelschen Philosophie handelt. Die Geistphilosophie bildet in Hegels System zwar oberflächlich betrachtet nach der Wissenschaft der Logik und der Naturphilosophie den dritten und letzten Teil. Allerdings versteht Hegel diese Strukturierung nicht als Abwertung, sondern als Aufwertung. Denn die Philosophie des Geistes bildet auch die Krönung seines Systems, welche darin liegt, die Notwendigkeit der Reflexivität des Geistes zu beweisen und den Geist inhaltlich in seinen Ausdrucksformen auseinanderzulegen. Hegel nennt die Reflexivität des Geistes auch die Rückkehr des Geistes zu sich selbst. Indem der Geist reflektiert, realisiert er dasjenige bewusst, was an sich, beschreiben vermag: „Das Absolute wird weder als Substanz noch als Subjekt, sondern allein als der vermittelnde Prozeß der sich bedingungsfrei produzierenden Selbstbeziehung aufgefaßt.“ Vgl. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne, Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 61998, S. 46. 5 Vgl. Gamm (1997), S. 91. 5 Hegels Konzeption des absoluten Geistes d. h. unbewusst, schon an ihm vorhanden ist. Diese Bewusstwerdung des Geistes nennt Hegel Fürsichsein. Insgesamt gelangt der Geist durch diesen Prozess (im Hegelschen Jargon) zum Anundfürsichsein. Das besondere der Philosophie des absoluten Geistes ist es nun, dass sie dasjenige Verhältnis thematisiert, welches der Geist zu sich selber als zum Absoluten hat. Der wahrhaft absolute Geist beschäftigt sich also mit sich selber, ist Manifestation seiner selbst als Absolutes. Denn es ist nach Hegel die höchste Erkenntnisstufe des Geistes, sich selbst als das Absolute zu begreifen. Die Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, Hegels Begriff des absoluten Geistes darzulegen. Vorher aber ist zunächst ein kurzer Überblick zu geben, auf welchen Grundvoraussetzungen Hegels Entwurf basiert, und auf welche Art er sein System methodologisch entfaltet. An dieser Stelle sind unter anderem der Begriff der Dialektik sowie die dialektische Methode als solche thematisch. Auch sei hier an Hegels spekulative Grundfigur der Identität von Identität und Nicht-Identität verwiesen.7 Die methodologischen Erkenntnisse, die sich aus dieser einführenden Analyse gewinnen lassen, eignen sich dann im Folgenden hervorragend, um den Begriff des absoluten Geistes in den Fokus der Betrachtungen zu lenken, und seine Struktur als Triade zu begreifen. Der absolute Geist bei Hegel hat nämlich die besondere strukturelle Beschaffenheit, dass er von einem Inhalt in drei verschiedenen Formen handelt. Hegel sieht in allen drei Formen oder Manifestationsarten des absoluten Geistes einen notwendigen Gegenstandsbezug zum Göttlichen. Das Göttliche wird in vielen Textpassagen auch nicht klar von der logischen Idee begrifflich unterschieden. Hegel geht es in der Geistphilosophie nicht immer um verbindliche Begrifflichkeit.8 Seine Begriffe unterliegen auch wesentlich der Veränderung, denn gerade das Aufheben von begrifflichen Gegensätzen und verstandeslogischen Widersprüchen ist eine Kernmotivation Hegelschen Denkens.9 Näher zu betrachten wären in diesem Zusammenhang etwa auch das Verhältnis von Unendlichkeit und Endlichkeit, sowie Form und Inhalt, Einheit und Vielheit und ähnlichen verstandeslogischen Gegensatzpaaren. 6 Zum Zusammenhang der Begriffe „das Ganze“, „das Absolute“, „das Subjekt“ und „der Geist“ vgl. Henrich (1982),S. 142ff. 7 Auch der Hegel-Kritiker Adorno sah in dieser Figur sowohl Fundament als auch Resultat der Hegelschen Philosophie. Vgl. Th. W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt/M. 1966, S. 19. 8 Ich werde mich daher nicht an philologischen Eigenarten der Texte aufhalten 9 Henrich bezeichnet diese Eigentümlichkeit des Hegelschen Denkens als „Destruktion der endlichen Denkformen“, vgl. Henrich (1982), S. 143. 6 Hegels Konzeption des absoluten Geistes 1.1.1. Subjektiver und objektiver Geist Unerlässlich ist es, den Begriff des Geistes als solchen zu diskutieren. Dabei ist darauf einzugehen, wie Hegel die Bestimmungen des Geistes als Subjektivität und Freiheit begreift. Die Subjektivität referiert auf die reflexive Struktur des Geistes, während die Freiheit auf die ausgezeichnete Eigenschaft des Geistes, „im Anderen bei sich selbst zu sein“, verweist. Hegels Unterscheidung von subjektivem, objektivem und absolutem Geist ist an dieser Stelle ebenfalls von konstitutiver Bedeutung, um überhaupt Unterscheidungsmerkmale, und damit eben auch Definitionsbestimmungen des Wesens des absoluten Geistes sichtbar machen zu können. Die zwei Manifestationsformen des Geistes als subjektiver oder objektiver Geist werden im Folgenden kurz erläutert. Der subjektive Geist wird von Hegel in einer Bewusstseinsphänomenologie entwickelt. Sein frühes Hauptwerk Phänomenologie des Geistes ist dem Bestreben gewidmet, das Bewusstsein des individuellen Ichs, die eigene Selbsterfahrung, den Bezug des Ichs zum Anderen, in seiner Zusammengehörigkeit mit allgemeinen Formen der Erscheinungsform geistigen Lebens, mit dem Geiste als solchem, aufzuzeigen. Was die Sphäre des objektiven Geistes betrifft, so ist seine Entfaltung in der Gemeinschaft, vorzüglich in dem gerechten und vernünftigen Staat anzusprechen. Innerhalb des Bereichs des objektiven Geist ist der Begriff des Weltgeists wohl einer der berühmtesten Begriffe, die die Hegel-Rezeption aufgegriffen hat und der gleichermaßen einen entscheidenden Einfluss auf das abendländische Denken im Allgemeinen – mythologische Verzerrungen inbegriffen –, ausübte. 1.2. Der absolute Geist Die Erkenntnis der beiden Vorstufen des absoluten Geistes bildet also das Grundgerüst, um den absoluten Geist als Eigenes aber auch Unterschiedenes wahrzunehmen. Im Weiteren werden die drei Formen des absoluten Geistes, dessen formales Wesensmerkmal ja gerade in seiner triadischen Struktur bestimmt werden soll, in ihren Unterschieden, aber auch in ihren konstitutiven Zusammenhängen beschrieben. Dies führt zu einer näher gehenden Betrachtung der Begriffe Kunst, Religion und Philosophie. Denn den drei Formen der Manifestation des absoluten Geistes – Veranschaulichung, Vorstellung und Begreifen – weist Hegel die Gebiete der Kunst, Religion und Philosophie zu. Mit anderen Worten, freilich etwas freier verstanden: Es handelt sich um das Schöne, Gute und Wahre, was schon für PLATON der höchste Gegenstand der Philosophie überhaupt war. 7