Spuren eines Vergessenen. Splitter zu Biografie des Filmemachers Georg C. Klaren Ralf Schenk (film-dienst 3/2002) Als sich am 17. Dezember 1947 der Vorhang im Berliner Haus der Sowjetkultur schloss, waren sich die Zuschauer einig: Sie hatten soeben die Uraufführung eines wichtigen, vielleicht sogar Maßstäbe setzenden deutschen Nachkriegsfilms erlebt. „Georg Büchner’s Wozzeck“ lautete der Titel im Vorspann, aber Autor und Regisseur Georg C. Klaren hatte das über hundert Jahre alte Stück weniger als kritische Reminiszenz an eine ferne Vergangenheit gestaltet, sondern als aktuelle antimilitaristische Parabel. Sein Held, ein Soldat, wird von den Vorgesetzten gedemütigt und in einer gnadenlosen Militärmaschinerie um den Verstand gebracht, bis er im Wahnsinn seine Geliebte tötet und selbst auf dem Richtblock stirbt. Dass Klaren eine gedankliche Linie vom Biedermeier bis zur Nazi-Zeit zog, kam u.a. in der Kostümgestaltung zum Ausdruck: So trugen die Offiziere Knobelbecher und geschwungene SS-Reithosen; ein Doktor, der barbarische Experimente am „Objekt“ Wozzeck ausführt, ließ durchaus Assoziationen an SS-Ärzte in faschistischen Konzentrationslagern aufkommen. Mit „Wozzeck“, wie der Film schließlich im allgemeinen Sprachgebrauch hieß, inszenierte sich Klaren in die erste Reihe der deutschen Regisseure. Das hatte mit seinem moralischen Credo zu tun, aber auch mit der Form, die er wählte: „Wozzeck“ knüpfte bewusst am filmischen Expressionismus der 20er-Jahre an, mit surrealen Visionen und langen, drohenden Schatten, schrägen Kameraeinstellungen und expressiven Schnitten, so eindrucksvoll, wie man es im deutschen Film lange nicht mehr gesehen hatte. Auch personell griff Klaren auf Protagonisten jenes Kinos zurück, das einst Weltgeltung besaß und von den Nazis als „volksfremd“ und dekadent verdammt worden war: Hermann Warm, einer der drei Architekten von „Das Cabinet des Dr. Caligari“, war fürs Szenenbild verantwortlich; Walter Schulze-Mittendorf, Mitarbeiter an Fritz Langs „Metropolis“, schuf die Kostüme; als künstlerischer Berater fungierte Paul Wegener, dessen „Golem“ das deutsche expressionistische Kino mit begründet hatte. Gerade diese Nähe zum Filmexpressionismus ist es, die „Wozzeck“ bis heute interessant macht – nicht der melodramatische oder gar lehrstückhafte Duktus, der in der Tat veraltet erscheint. Um erstmals nach dem Krieg wieder Regie führen zu können, hatte sich Klaren erbeten, seine eigentliche Funktion in andere Hände legen zu dürfen: Seit Anfang 1946 fungierte er als Chefdramaturg der DEFA und damit als wesentlicher Verantwortlicher für deren Programmgestaltung. Im Prinzip war er das einzige Mitglied der damaligen DEFA-Leitung, das langjährige Erfahrungen im Filmgeschäft aufweisen konnte und zahllose Filmemacher kannte. Im Gegensatz zu Klaren hatten weder DEFA-Direktor Alfred Lindemann noch dessen Mit-Lizenzträger Kurt Maetzig und Karl Hans Bergmann unter deutschen Filmschaffenden einen Namen; auch der Schauspieler Hans Klering nicht, der in den frühen 30er-Jahren in die Sowjetunion gegangen und dort bis 1945 geblieben war. So oblag es zunächst vor allem Klaren, Verbindungen zu Autoren und Regisseuren zu knüpfen, eingereichte Filmstoffe zu prüfen und dramaturgische Konzepte für deren Umsetzung zu erarbeiten. Dafür engagierte er sich nicht bloß in der sowjetischen Besatzungszone, sondern Deutschland weit, kümmerte sich auch um Verbindungen zu Stars wie Hans Albers, Marika Rökk, Heidemarie Hatheyer. „Sie freut sich sehr, wieder in Berlin am Film zu arbeiten und erklärte, die Hauptrolle in ‘Wozzek’ zu spielen“, teilte ihm ein Münchner Verbindungsmann am 23. Februar 1946 mit, also bereits drei Monate vor Gründung der DEFA und über ein Jahr vor Drehbeginn. Vom Autor zur Regie Klaren, geboren am 10.9.1900 als Georg Eugen Moritz Alexander Klaric in Wien, kam in den frühen 20er-Jahren zum Film. Sein Vater, ein Offizier, war im Ersten Weltkrieg gefallen; seine Mutter hatte die Familie durch Zimmervermietungen mühsam über Wasser gehalten. Als 15-Jähriger begann er für Zeitschriften zu schreiben und nahm Schauspielunterricht, wandte sich dann dem Studium der Philosophie und Kunstgeschichte zu und promovierte 1923 über den österreichischen Philosophen Otto Weininger. Während dieser Zeit arbeitete er bereits als Dramaturg der Vita-Film AG in Wien. Seine selbständige Bucharbeit beginnt, soviel bekannt ist, erst mit der Übersiedlung in die deutsche Hauptstadt: 1926, in seinem ersten Berliner Jahr, gibt es fünf Premieren nach seinen Vorlagen, darunter Titel wie „Die Kleine und ihr Kavalier“, „Die Warenhausprinzessin“ und „Gern hab’ ich die Frau’n geküßt“. Klaren und sein bevorzugter Schreibpartner Herbert Juttke avancieren zu vielbeschäftigten Routiniers, deren Filmstoffe oft auf literarischen Vorlagen beruhen. Dass Klaren ein „Linker“ ist – von 1921 bis zur Auflösung 1934 gehört er der Kommunistischen Partei Österreichs an – , kommt dabei zunächst kaum zur Geltung. Erst nach und nach ragen gesellschaftskritische Stoffe, wenn auch immer mit der Tendenz zur publikumswirksamen Kolportage, aus seinem Werk heraus: Filme wie „Feme“ (1927, Regie: Richard Oswald), der auf dem Mordfall Walther Rathenau basierte, oder „Geschlecht in Fesseln“ (1928, Regie: Wilhelm Dieterle), ein Plädoyer für eine Gefängnisreform. Daneben tauchen Titel auf wie „Die Dame und ihr Chauffeur“, „In Werder blühen die Bäume“, „Peter, der Matrose“, „O alte Burschenherrlichkeit“ oder „Tänzerinnen für Süd-Amerika gesucht“. Im März 1931 betritt Klaren zum ersten Mal auch als Regisseur das Studio: für eine „Bildreportage, in der versucht worden ist, die Menschen über ihre menschlichen oder unmenschlichen Verhältnisse zu unterrichten“ (Siegfried Kracauer). „Die Sache August Schulze“ (auch: „Kinder vor Gericht“) erzählt im Stil zeitgenössischer Milieu- und Sittenfilme die Geschichte eines Straßenhändlers, der zu Unrecht beschuldigt wird, sich an seiner Stieftochter vergangen zu haben. Klaren weitet die Beschreibung lumpenproletarischer Familienverhältnisse zu einer Anklage des Justizwesens aus: Sein Held wird in strapaziösen Verhören dazu gebracht, die Tat zuzugeben, und nimmt sich dann in der Gefängniszelle das Leben. Zunächst von der Zensur verboten, kommt der Film nach einer Intervention der „Liga für Menschenrechte“, die das Protektorat übernommen hat, doch noch ins Kino. Nicht weniger provokant gerät Klaren „Ballhaus Goldener Engel“, die im März 1932 in den UfaAteliers Neu-Babelsberg entsteht, mit Lucie Englisch, Adele Sandrock, Hilde Hildebrand und Fritz Kampers prominent besetzt ist und das Abdriften junger Arbeitsloser in die Welt des Verbrechens und der Bordelle zeigt. Beide Produktionen werden im Herbst 1933 verboten, „Ballhaus Goldener Engel“ u.a. mit der Begründung der Berliner Film-Oberprüfstelle, „der Bildstreifen könnte seinem inneren Gehalt nach den Titel ‘Deutschland ein Bordell’ führen und an Gesinnungslosigkeit und Schmutzigkeit nicht überboten werden“. Ob Klaren unter diesen Voraussetzungen darüber nachgedacht hat, Deutschland den Rücken zu kehren und wie einige seiner Regisseure Konrad Wiene, Lupu Pick, Richard Oswald, Wilhelm Dieterle und andere ins Exil zu gehen, ist nicht bekannt. In einem Lebenslauf vom Januar 1946 resümiert er seine Zeit nach 1933 jedenfalls so: „Nach der sogenannten ‘Machtübernahme’ von den Nazis nicht gerade verfolgt, aber stark zurückgesetzt. Nie der Partei beigetreten. Daher auch zu keinerlei repräsentativen Aufgaben herangezogen. Vorwiegend in Italien gearbeitet, wo der Faschismus sich wenigstens in kultureller Hinsicht nicht ganz so ekelhaft auswirkte.“ Und: „Nicht emigriert, weil sonst meine erste Frau als Jüdin und meine Tochter als Mischling schutzlos gewesen wären. Erste Frau fast ein Jahr lang verborgen gehalten. Abgesehen davon: Berlin immer als eigentliche Heimat betrachtet! Zu stark mit Babelsberg verbunden. Deshalb sogar nachweislich ein Engagement nach Hollywood nicht angenommen.“ Genaueres über Klarens erste Ehe mit Adele Schönauer und die gemeinsame Tochter konnte bisher nicht eruiert werden – ebenso wie es außer einer Zeitungsanzeige auch keinen anderen Verweis darauf gibt, ob Klaren tatsächlich die Regie an einem geplanten Film „Schlageter. Über alles das Vaterland“ (1932/33) angenommen hatte und warum dieses stark nationalsozialistisch intendierte Projekt nie zustande kam. Offensichtlicher sind die Gründe, weshalb er 1933 weder den zunächst vorgesehenen Film „Rheinsberg“ nach Kurt Tucholskys Erzählung noch „Wozzeck“ fürs Kino adaptieren konnte. Statt dessen kehrte Klaren zu seinem Beruf als Autor zurück, tummelte sich vorwiegend im Bereich der Unterhaltung, schrieb Drehbücher nach Bühnenstücken („Stützen der Gesellschaft“, „Der Biberpelz“) und Romanen („Der Schritt vom Wege“ nach „Effi Briest“, Regie: Gustaf Gründgens), verfasste Krimis („Mordsache Holm“, „Dr. Crippen an Bord“) und deutsch-italienische Sängerfilme mit Benjamino Gigli. Nur selten lieferte er Vorlagen für politische Tendenzfilme wie „Mit versiegelter Order“ oder „Achtung! Feind hört mit!“. Was ihn bewogen haben mag, in einer Broschüre unter dem Titel „Der deutsche Film und der Autor“ (1937) seine Treue zum nationalsozialistischen Staat zu bekunden, war möglicherweise vorauseilender Gehorsam: Vielleicht drohte ihm der Verlust von Aufträgen? Vielleicht hoffte er, damit seine Familie zu schützen? Man weiß es nicht. Zwischen Babelsberg und Wien Das Ende des Dritten Reichs und der „Wozzeck“-Film müssen für Klaren einem großen Aufatmen gleichgekommen sein. Freilich kannte er während der Dreharbeiten im Frühsommer 1947 nicht ahnen, dass er sich mit seinem künstlerischen Anspruch schon wieder gegen aktuelle Strömungen in der Politik bewegte. Diesmal waren es sowjetische Kulturfunktionäre, die den Stil des Films als „bürgerlich, dekadent und reaktionär“ betrachteten; ein russischer Kulturoffizier, der maßgeblich für den Verleih der DEFA-Filme zuständig war, behielt sogar eine Kopie ein. Schließlich gestattete er zähneknirschend die Premiere, und unbeschadet der vorausgegangenen Querelen druckte der Sovexport-Verleih in seinen Werbematerialien sogar den Satz, „Wozzeck“ werde „zu den epochemachenden Werken deutscher Filmkunst zählen. Wie Fritz Langs ‘Nibelungen’ oder Wienes ‘Caligari’ leitet er ein neues Kapitel in der deutschen Filmgeschichte ein“. Es sollte anders kommen: In den deutschen Westzonen wurde der Film nicht übernommen, sondern erst spät, Anfang der 60er-Jahre, von Filmklubs entdeckt; im Osten verschwanden die Kopien nach der Formalismus-Debatte Anfang der 50er-Jahre für lange Zeit von den Leinwänden. Klaren, der Österreicher, sucht sich nach der „Wozzeck“-Premiere in Wien ein zweites Standbein. Für G.W. Pabsts neu gegründete Firma Pabst-Kiba-Film übernimmt er 1948 die Regie zu dem in den Tiroler Bergen angesiedelten Schmugglerdrama „Ruf aus dem Äther“, in dem u.a. der junge Oskar Werner eine Hauptrolle spielt; der Film gilt heute als verschollen. Ebenfalls für Pabst entwickelt er einen Stoff über den Wiener Frauenarzt Ignaz Philipp Semmelweis, den Bekämpfer des Kindbettfiebers. Als Pabsts Firma in finanzielle Schwierigkeiten gerät – auch „Ruf aus dem Äther“ wird erst 1951, also drei Jahre nach den Dreharbeiten, uraufgeführt –, kehrt Klaren mit dem Semmelweis-Projekt zur DEFA zurück. Wieder stellt er sein Können als Regisseur unter Beweis, inszeniert kräftig und gefühlsbetont, entwirft in der Ouvertüre noch einmal starke, expressive Licht- und Schatten-Bilder. Dass er den von seinem Landsmann Karl Paryla verkörperten Helden im Lauf der Handlung auch zum Vorreiter der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848 stilisiert, also zum politischen Kämpfer gegen adlige Reaktionäre und Philister, entspricht dem Zeitgeist: Ein „reiner“ Humanismus ohne politisch-didaktische Töne ist bei der DEFA 1950 nicht mehr opportun. Gänzlich in die Maschen des Zeigefinger-Kinos gerät Klaren mit „Die Sonnenbrucks“ (1951), dem Porträt eines deutschen Arztes (Eduard von Winterstein), der zu den Verbrechen der Nazis geschwiegen hatte und nun, nach dem Zweiten Weltkrieg, seine Schlussfolgerungen aus diesem Verhalten zieht. Während die Szenen, die im Dritten Reich spielen, aufgrund ihrer genauen Physiognomie einer bürgerlichen Familie und deren Verstrickungen ins „System“ überzeugen, wirkt das Finale platt und agitatorisch: Aus Protest gegen militaristische, neofaschistische Tendenzen im Westen siedelt der Professor in die DDR über und hält eine entsprechende Brandrede. Der Film wird offiziell gefeiert, aber dennoch verkümmern die Kontakte zwischen der DEFA und Klaren zusehends. Sein nächster Film, „Karriere in Paris“ (1952), nach der Balzac-Erzählung „Vater Goriot“ und mit einem grandiosen Ernst Legal in der Hauptrolle, wird ohne seine Beteiligung umgeschnitten und mit neuen Szenen versehen: Man bemängelt das Fehlen eines „progressiven gesellschaftlichen Gegengewichts“, das den Stoff über die französische Restaurationszeit erst erträglich machen würde. Klarens Kollege Martin Hellberg lästert hinter dem Rücken des Regisseurs in einer Leitungssitzung, „Karriere in Paris“ sei „Dr. Klarens letzte Heuer“; tatsächlich geht die nunmehr strikt auf sozialistischen Realismus eingeschworene Babelsberger DEFA auf Abstand zu dem „bürgerlichen Humanisten“ und „Kosmopoliten“ aus Wien. Die letzten Jahre Die Spuren der letzten Lebensjahre verlieren sich im Ungefähren. Für die DEFA geht nichts mehr, aus verschiedenen Gründen: Selbst Stoffe, die der unter Finanznot leidende Klaren nach einem Bittbrief an Ministerpräsident Grotewohl zur Bearbeitung erhält, erweisen sich als reine Beschäftigungstherapie. 1953 dreht er noch einmal in Wien, „Die Regimentstochter“, ein Opernfilm nach Donizetti. In der Bundesrepublik aber findet er keinen Anschluss – was nicht zuletzt mit einem Artikel in der West-Berliner „B.Z.“ zu tun hat, in dem Klaren als „Seiltänzer zwischen Ost und West“ denunziert wird. Artur Brauners CCC-Film, die manchen DEFA-“Abgänger“ in Lohn und Brot nahm, entpflichtet ihn daraufhin von den Arbeiten an einem Hotel-Adlon-Stoff. Als Autor bringt er, für die Deutsche Mondial Berlin (West), nur noch eine um die Jahrhundertwende angesiedelte Liebesgeschichte zwischen einem Leutnant und einem Blumenmädchen unter: „Rosenmontag“ (1955), Regie: Willy Birgel, ist der letzte Film, für den Georg C. Klaren verantwortlich zeichnete. Schon zu Lebzeiten verfällt der einst vielbeschäftigte Mann, dessen Leben und Karriere von den politischen Umbrüchen des Jahrhunderts geprägt war, dem Vergessen. Schwerkrank und fast erblindet stirbt er im November 1962 im englischen Sawbridgeworth, wo er Verwandte besuchte. Sein Tod wird, soviel bekannt ist, in der DDR nicht vermeldet; nur einer WestBerliner Tageszeitung ist er fünf Zeilen wert.