Zusammenfassung UNTERSUCHUNGEN ZU ROLLE UND SELBSTVERSTÄNDNIS DES RÖMISCHEN CENTURIO 218--44 V. CHR. Führungskompetenz und Offiziersleitbild in der römischen Antike Fhr Karoline RESCH Obwohl die Forschung der letzten Jahrzehnte im Bereich der römischen Militärgeschichte eine Entwicklung nahm, die zunehmend davon absah, die römische Armee als Kollektiv im Kampf zu sehen, als farbige Kästchen, die sich auf den Karten beliebig verschieben lassen, wurden noch nicht alle Bereiche der römischen Militärgeschichte neu bewertet. In der älteren Forschung – für die beispielhaft die Werke von J. Kromayer u. G. Veith (Heerwesen und Kriegsführung der Griechen und Römer, München 1928 (HdB der Altertumswissenschaft IV, 3 Bd. 2)) und H. Delbrück (Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 1: Das Altertum, Berlin 1900) gelten können – dagegen wurde der technischen Seite breiter Raum zugestanden. Es wurde aber kaum Rücksicht auf Individualität oder Situationsbezogenheit genommen. Aus der persönliche n Erfahrung mit dem Militär in Friedens- und Kriegszeiten heraus wurden manche Bereiche des Dienstbetriebes erschöpfend behandelt, das Hauptinteresse galt aber der rein faktisch orientierten Rekonstruktion antiker Schlachtverläufe. Die persönliche Erfahrung ist hier am stärksten bei G. Veith zu erkennen, der als österreichischer Artillerieoffizier den Ersten Weltkrieg am Balkan mitgemacht hat und nach dem Ende des Weltkrieges als Oberst aus dem aktiven Dienst ausschied. In jüngerer Zeit hingegen konzentriert man sich besonders auf das individuelle Erleben der Schlacht (Philip Sabin, Alexander Zhmodikov, Adrian Keith Goldsworthy et al.) in Nachfolge des einflussreichen Werkes von John Keegan (The Face of Battle, New York 1976.). Die Dynamik innerhalb der kleineren Formationen wurde nun näher beleuchtet, wie auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen – im Rang unterschiedenen – Gruppen. Diese Forscher behandelten aber vornehmlich das Agieren auf dem Schlachtfeld selbst, wie auch die Titel der verschiedenen Werke bereits verraten. Abseits der rein militärischen Aspekte wurde bereits seit den 70er Jahren des 20. Jhdts. die Rolle von Soldaten im politisch wirksamen Rahmen untersucht (E. H. Erdmann, H. Aigner). In der vorliegenden Arbeit wird nun versucht, diese beiden Aspekte zu verbinden, um die Rolle der römischen centuriones sowohl im politischen als auch im militärischen Rahmen darzustellen. Eine klare Trennung zwischen diesen Bereichen ist oft nicht möglich. Gerade in Rom kam es häufig zu Überschneidungen zwischen diesen Bereichen. Deshalb wird hier in der Folge der Versuch unternommen, den centurio sowohl in seiner Rolle im Friedensbetrieb, als auch im Kampfeinsatz zu untersuchen – also domi militiaeque. Es ergeben sich vordergründig verschiedene Fragestellungen, die anhand der Quellen überprüft werden müssen. Welche Fähigkeiten besaß der centurio? Welche Erfahrungen konnte er vorweisen? Welchen Umfang hatten seine Kompetenzen in Krieg und Frieden? Wie sah seine Rolle innerhalb des Gefüges der Legion aus? Wie führte der centurio in der Schlacht? Worauf beruhte sein Durchsetzungsvermögen? Auf Prestige, dienstliche Stellung, disziplinäre Macht oder Autorität (auctoritas, dignitas)? Beschränkte sich seine Rolle auf die des Vorkämpfers, oder hatte er mehr Aufgaben und auch Möglichkeiten, das Geschehen zu beeinflussen? War eine physische Form der Führung, eine direkte körperliche Einflussnahme auf die Untergebenen entscheidend? Welche Fähigkeiten trugen dazu bei, ein ,guter’ centurio zu sein? Gab es eine Selbstwahrnehmung der centuriones als eigenständige, wichtige Gruppe innerhalb des Gefüges der römischen Armee? Um diese Fragen beantworten zu können, sind wir vor allem auf die literarischen Quellen angewiesen. Diese Quellen hatten kaum ein Interesse an einzelnen Individuen unterer Schichten. Daher finden wir für die Zeit der römischen Republik im Vergleich relativ spärliche prosopographische Angaben über die Personengruppe der centuriones. Erst mit der zunehmenden Menge an epigraphischen Quellen im Zuge des Übergangs zur Kaiserzeit tritt uns die Gruppe der Soldaten in allen Rängen direkt gegenüber. Diese Inschriften präsentieren sich uns in einer Form, welche uns Zeugnis abliefert über das Selbstbewusstsein und den Berufsstolz der Soldaten jener Zeit. Für die Republik finden wir dennoch ausreichende Hinweise in den literarischen Quellen auf centuriones, ihre Aufgaben, Taten und ihre Rolle in der Legion, wenn sie als Vertreter ihrer Gruppe dargestellt wurden. Diese bieten uns v. a. die Werke der Historiographen (Livius, Appian, Cassius Dio u. a.), auch wenn deren Angaben oft nur eine Projektion anachronistischer Vorstellungen darstellen. Deshalb muss eine sorgfältige Abwägung des Quellenwertes der einzelnen Stellen erfolgen. Einen zentralen Platz innerhalb der literarischen Überlieferungen, die für unsere Untersuchung relevant sind, nimmt das Werk Caesars ein, das vorgeblich ein nüchterner Bericht zu sein scheint. Er hat in der Form von Rechenschaftsberichten seine Feldzüge in Gallien – wie auch später während des Bürgerkrieges – beschrieben. Seine politische Lage hat ihn des Öfteren dazu veranlasst, die Wahrheit zu verschleiern. Diese Abweichungen oder Auslassungen betreffen uns aber für eine Untersuchung der Rolle der centuriones nicht so sehr. Denn Angaben zum Verlauf einer Schlacht oder zu Taten einzelner Personen ohne politisches Gewicht sind davon nicht betroffen. Man kann aber auch nicht im Umkehrschluss behaupten, dass Caesar sich bemüht hätte, die Schlachten minutiös zu beschreiben. Seine Schlachtenschilderungen folgen einer Tendenz, wenn auch einer literarischen. Da aber das Publikum das Caesar im Sinn hatte, der Oberschicht angehörte, die kein besonderes Interesse an centuriones und deren Darstellung hatte, müssen wir nicht mit Verfälschungen im Bereich der centuriones rechnen. Im Gegenteil: ein fachkundiges Publikum, das oft selbst kriegserfahren war, hätte eine falsche Darstellung der Rolle der centuriones, denen im Gefüge der Armee eine zentrale Rolle zukam, schnell erkannt. Ein für uns sehr güns tiger Aspekt des Caesarianischen Corpus ist die Betonung der Unterführer und Soldaten als „Träger des Geschehens“. Das bedingt ein im Vergleich zu anderen Quellen näheres Eingehen auf das Agieren der centuriones in der Armee Caesars, welches uns eine Fülle an Material bietet. Die zeitliche Abgrenzung der Arbeit, vom Beginn des Zweiten Punischen Krieges bis zur Ermordung Caesars, liegt in der Tatsache begründet, dass nach Beginn der überseeischen Expansion im Zuge des Ersten Punischen Krieges mit dem Jahr 218 eine lange kriegerische Phase einsetzte. Diese Zeit brachte gehäuft militärische Einsätze an geographisch unterschiedlichen Kriegsschauplätzen mit sich und wird bis in das Jahr 167 quellenmäßig durch Livius gut bedient. Die folgende Zeit bis auf das Jahr 133 wird teilweise durch andere Quellen abgedeckt, die leider nicht dieselbe Dichte aufweisen. Mit 133 beginnt die Zeit des starken Wandels und der Veränderung des innenpolitischen Umfeldes, die auch eine Veränderung der Rolle der Soldaten im politischen Umfeld brachte. Hier finden wir auch die Entwicklung zu einer weitergehenden Professionalisierung, die verschiedentlich mit dem Namen C. Marius verbunden wird. Auch wenn Marius selbst nicht alle der ihm zugeschriebenen Reformen auch eingeführt hat, so war die Zeit um das Jahr 100 für die Entwicklung zu einer professionelleren, verbesserten Armee hin wichtig. Gerade diese beginnende Professionalisierung ist entscheidend für die Bewertung der centuriones im ersten vorchristlichen Jahrhundert, da sie uns direkt in der Entwicklung weiterführt zu den Armeen Caesars und Pompeius', die in ihrer Loyalität mehr auf den Feldherrn als auf das Staatswesen gerichtet waren. Durch die gute Quellenlage der späten Republik finden wir für unser Thema besonders umfangreiches Material, v. a. die bereits erwähnten Werke Caesars. Deshalb ist vieles vor allem aus dem Corpus Caesarianum geschöpft und kann nur mit Vorsicht auf frühere Zeiten rückprojiziert werden. Ein Unterschied zu vergangenen Zeiten wird in diesen Fällen – wo möglich – herausgearbeitet. Mit dem Tod Caesars und dem Übergang zum Principat endet diese Untersuchung, wie auch die Republik. An manchen Stellen kann es vorkommen, dass auf Phänomene der Zeit des Zweiten Triumvirats verwiesen wird. Dies erfolgt aber zumeist nur, um einen Unterschied herauszuarbeiten. Ungeachtet des militärischen und politischen Wandels in der behandelten Zeitepoche können wir aus den Quellen gewisse Konstanten erkennen. Bei genauer Betrachtung ergeben sich Hinweise darauf, welches Verhalten und welche Eigenschaften von einem guten Offizier erwartet wurden. Die Führung erfolgte noch stark physisch orientiert. Durch das Vorleben und Vorkämpfen konnte der centurio entscheidenden Einfluss auf seine Untergebenen ausüben. Aufgrund der Erfahrung und Persönlichkeit führte der centurio durch seine auctoritas, die wohl in nicht geringem Maß durch die vitis (dem aus Holz eines Weinstockes gefertigten Symbol seiner Stellung) unterstützt wurde. Er hatte nicht bereits aufgrund seiner sozialen Herkunft einen Anspruch auf Gehorsam seiner Untergebenen. Er musste sich diesen durch persönliche Qualitäten verdienen. In der Betonung der virtus, fortitudo und der Besonnenheit können wir das Leitbild des römischen centurio erkennen. Besonders gut finden wir es bei Polybios reflektiert, der schildert, dass man sich den centurio nicht kühn und gefahrliebend, sondern vielmehr als geborene n Führer, besonnen und fest wünscht. Er soll nicht ohne Not angreifen und nicht von sich aus den Kampf eröffnen. In äußerster Gefa hr soll er nicht vom Platze weichen und im Kampf für sein Vaterland bis in den Tod ausharren. Die Befolgung seiner Befehle beruhte eben bis zu einem gewissen Grad auf die Beispielswirkung, die er setzte, indem er sich der gleichen und manchmal auch größeren Gefahr als seine Legionäre aussetzte. Das Vertrauen in seine Fähigkeiten, sowohl die Führungsfähigkeiten als auch die körperlichen Fähigkeiten, die im antiken Kampf notwendig waren, brachte seine Untergebenen dazu, ihm zu folgen. Dieses Bild vom idealen centurio haben sich mit der Zeit auch die centuriones selbst zu eigen gemacht und verinnerlicht. Sie waren bemüht, bei ihrer Dienstverrichtung diesem Bild gerecht zu werden. Sie bewerteten sich selbst nach diesem Leitbild. Ihre Handlungen wurden auch durch ihre peers in der Gruppe der centuriones und von Außenstehenden kritisch danach betrachtet. Die centuriones wollten mit ihren Taten beweisen, dass ihre Beförderung zu Recht geschah. Der meritokratische Aufstieg in den Rang des centurio stellte Forderungen an sie, die für sie Maßstab ihres Handelns wurden. Damit ist eigentlich das erreicht worden, was mit Leitbildern erreicht werden soll. Einerseits wird damit ein Maßstab für die Auswahl der Kommandanten geboten, andererseits können diese Leitbilder auch einen Anhalt für das Handeln der betroffenen Personen bieten. Um diesem Leitbild gerecht zu werden, waren die centuriones sogar bereit, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, um ihre militärischen Tugenden, aufgrund derer sie befördert worden waren, erneut unter Beweis zu stellen.