vollständiger Text - Photokunst Sabine Braun

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Zu Ostern: Zehntausende Kinder aus aller Welt schreiben an
Meister Lampe in Ostereistedt
Im Amt der alten Hasen
Einziges Osterhasenpostamt / Osterhasenbüro in Sachsen
Einmal im Jahr steht das niedersächsische Ostereistedt im
Mittelpunkt des Weltinteresses: Zehntausende farbenfroher
Kinderbriefe und –wünsche aus vieler Herren Länder erreichen vor
Ostern Deutschlands Ober-Mümmelmann Hanni Hase im einzigen
Hasen-Postamt der Welt.
Ein Exklusiv-Interview mit Hanni Hase persönlich – das wär´s! Keine
Chance: In Hannis Nest hockt nur ein Trupp alter Hasen, um die siebzig
und drüber. Sympathieträger vom Kopf bis zur Blume.
Die Postsekretäre im Ruhestand schwitzen im Hasenbrief-Monopol der
Deutschen Post. Auf dem platten Land, wo sich Fuchs und Hase gute
Nacht sagen. Genauer gesagt, in Zeven, auf postalisch sagenumwobenem
Terrain. Das Nest zwischen Hamburg und Bremen liegt unweit von zwei
geradezu mirakulösen Orten: Vor den Toren des Märchenstädtchens
Buxtehude unterlag der Hase im Wettlauf dem Igel. Im legendären
Himmelpforten schleckt vor Weihnachten das Christkind
Briefmarken.
Im Hasenbüro ist das Oster-Fieber ausgebrochen: Kinderbilder, Gedichte,
und Fotos tapezieren die Wände. An einem Umschlag baumeln
Schnuller. Berge von bunten Karten, Kinderzeichnungen und kleinen
Wunschzetteln stapeln sich auf dem Schreibtisch. Hier riecht es nach
Arbeit: Die Herrenriege kämpft im ersten Stock gegen die Brieflawine
der kleinen Schreiber aus aller Welt. Brief um Brief drücken die
Rammler im Ehrenamt Osterhasensonderstempel auf die Marken. Bis das
Fell sich sträubt und die Mundwinkel entgleiten. „Wir antworten jedem
Kind“, sagt Chef-Hasenpostler Hans-Heinrich Dunker, 69. Ein
freundlicher Herr mit randloser Brille, lichtem Haar, Silberbart, leiser
Stimme und seelsorgerischem Blick: „Sprechen Sie mich bloß nicht als
Hanni Hase an. Ich bin doch nur sein Sekretär!“ Einer von zwölf zur
Hochzeit in der Karwoche.
Vor gut einem Vierteljahrhundert fing die Erfolgsstory an und hört nicht
mehr auf, bis heute. Und das kam so: Einen Hasensprung von Zeven
entfernt thront frech auf einem sanften Geestbuckel ein Fitzelchen von
Dorf und weiß sich nicht zu lassen vor lauter Berühmtheit: Ostereistedt.
959 Seelen, 452 Frauen, 507 Männer, 98 Arbeitslose. Und so beschlossen
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einige Kinder, findig und kreativ wie sie sind: Wir schreiben mal dem
Osterhasen. Wo sonst sollte der Nager denn wohnen, wenn nicht in
Ostereistedt?
Schließlich kamen Briefträger Hanni Hase auf die Schliche. Damals
hatten Postbeamte noch alle Zeit der Welt, sich Liebenswürdigkeiten
auszudenken. Sie beantworteten die sporadisch eintreffenden
Kinderbriefe mit Süßigkeiten, die sich selbst vom Munde absparten, und
verfassten eigene Gedichte. „Da wurde die ganze Familie eingespannt“,
erinnert sich der ehemalige Postsekretär Wilhelm Fitschen, 77. Es
dauerte nicht lange, und die Medien hefteten sich an die Fersen von
Hanni Hase. Schon saß das halbe Amt an der Hasenpost. Dass die
Fanbriefe in Wirklichkeit im benachbarten Zeven landeten, trübt das
heile Hasenbild: In Ostereistedt gibt´s schon lange kein Postamt mehr.
Längst wegrationalisiert. Der Gelbe Riese hat nicht nur ein Herz für
Kinder. Auch für Aktionäre.
„Warum sieht man dich nie?“ ist eine der häufigsten Fragen, die Hannis
Fans bewegt. Und uns auch. Er oder sie – keiner weiß es wirklich – soll
am Waldrand 12 in Ostereistedt arbeiten. Also machen wir uns auf zum
langohrigen Nachbarn. Vorbei an Kiefernschonungen, stattlichen
Klinkerhöfen und monströsen High-Tech-Treckern mit fast stallhohen
Gummirädern und Güllewagen. Hinaus geht’s in die Flur. Kraniche
schreien. Wolkenberge spiegeln sich in moorigen Gräben. Über die
endlosen Stoppelfelder streicht kühler Wind. Weit draußen, in einem
Waldstück, ist das Ziel erreicht. Fast hätten wir es übersehen, das
Hasenidyll auf der Lichtung: Umgeben von einem kniehohen Lattenzaun,
erhebt sich auf moosigem Grund Hannis Wald-Wiesen-Werkstatt. Ein
winziges Paradies, knapp zwei Quadratmeter groß. Hier also färbt der
weltberühmte Mümmelmann die Eier? „Wo sonst?“ schmunzelt HasenHelfer Dunker. Wir klopfen. Niemand öffnet. Wir rufen. Kein Schwein
meldet sich. Hanni Hase ist nicht zuhause. Sollte etwa der Fuchs das gute
Tier geholt haben?
Es wäre eine Katastrophe. Denn der Langohr-Service floriert: Eine Flut
von 60.000 Kinderbriefen aus 27 Ländern hielt letztes Jahr die alten
Hasen von Zeven in Atem. Nicht nur aus ganz Europa, auch aus Taiwan,
Japan, China, den USA, Australien und Neuseeland. Hasen-Obersekretär
Dunker ist mächtig stolz: „Sogar von den pazifischen Osterinseln kam
Post!“ Jeder Brief wird gelesen, schwört Hannis rechte Hand. Wenn er
ihn denn lesen kann: „Einen in Blindenschrift mussten wir erst mal
übersetzen lassen.“
Das Hasenpostamt ist auch ein Barometer des Zeitgeistes: Die Kinder
wünschen sich Computerspiele, Barbiepuppen, Lego, Handys, sogar
ganze Fahrräder soll Hanni Hase bringen. Da müssen selbst ausgebuffte
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Profis und geschulte Opas wie die Hasenpostler passen. Andere Kinder
schicken Stadtpläne, auf denen sie ihr Haus angekreuzt haben, damit der
Osterhase seinen Weg findet. Geschmunzelt hat Dunker über ein
Päckchen mit Möhren. „Das war wohl ein kleiner
Bestechungsversuch.“
Es kommen auch ernste Briefe. Nicht selten suchen die Kleinen bei
Hanni Trost und Rat. Sie schreiben über ihre Angst vor Krieg und
Terrorismus, über ihren Liebeskummer und ihren Zoff mit den
Geschwistern. Manche laden besonders traurige Dinge ab: Dass der
Vater arbeitslos ist. Dass Mama die Miete nicht mehr zahlen kann. Dass
die Eltern sich trennen. Dass die Mutti verstorben ist. Auch kranke
Kinder, die kaum Aussicht auf Heilung haben, senden ihre Hilferufe nach
Ostereistedt. Das rührt dann die alten Hasen. Ehrensache, in diesen
Fällen mit persönlichen Zeilen Trost zu spenden. „Besonders bewegende
Briefe beantworten wir nicht mit unseren
Standardvordrucken.“
Die Kreativität der Kinder ist das eigentlich Faszinierende an ihrer
Arbeit, finden Dunker und seine nachgeordneten Mümmelmänner. Dafür
stellen sich die Hasenpostler gerne bis zu acht Stunden täglich auf die
Hinterläufe. Die schönsten Ostergrüße werden an die Wand gepinnt.
Frühlingsblätter mit gemalten Häschen, Wiesen, Bäumen, Bienen und
Blumen. Ein Junge hat einen Roller gemalt und Bilder eines
Hubschraubers dazugelegt. Ein anderer wünscht sich, dass Oma und Opa
wiederkommen. „Wo versteckst Du die Eier?“ will der sechsjährige
Lukas von Hanni Hase wissen. Leon, 5, möchte beim Ostereiermalen
helfen. Sophie, 6, fürchtet, dass Hanni dieses Jahr krank feiert: „Krieg
bloß keinen Schupfen!“ Adam, 10, aus Polen, hat ein kleines Gedicht
geschrieben. „Im Gras, da sitzt der Osterhas´ und denkt: Oh, welch´
Gewinsel! Er reibt sich den Bart nach Hasenart und wäscht im Tau den
Pinsel.“
Mittlerweile spitzt der Osterhase auch in den neuen Bundesländern den
Bleistift. 1.300 Briefe erreichten die Frühlingswerkstatt von Olli
Osterhase und seiner Häsin Lotti Langohr im vergangenen Jahr. Die
beiden sächsischen Hoppler, mittlerweile als Mitarbeiter eines
Jugenderholungszentrums enttarnt, residieren in der Zweiraum-Wohnung
eines Bungalows in Eibau an der Eisenbahnstrecke Zittau - Dresden.
Anders als ihr niedersächsischer Kollege können die Oberlausitzer
Junghasen bislang allerdings nicht auf tatkräftige Unterstützung der Post
bauen. Maike Wintjen, Sprecherin der Deutschen Post in Niedersachsen,
unterstreicht die ziemlich hoffnungslose Hasen-Lage: „Wir wollen uns
keine Konkurrenz im eigenen Hause schaffen.“
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Das Hasenpostamt Zeven hat bis heute alle Rationalisierungsorgien
überlebt. Wann steht Hanni Hase auf der Abschussliste? Hans-Heinrich
Dunker mag nicht daran glauben. Trotz Internet und Mails: „Kleine
Kinder wollen erst einmal etwas begreifen, im wahrsten Sinne des
Wortes. Sie wollen etwas zum Anfassen haben. Da ist ein richtiger Brief
unschlagbar!“ Deshalb für immer und ewig: Pfoten weg vom
Osterhasenpostamt!
Osterhasen-Adressen:
Hanni Hase
Am Waldrand 12
27404 Ostereistedt
Osterhasenpostamt
Hauptstr. 214 a
02739 Eibau
Thomas Olivier
© Olivier / Braun
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