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Online ohne Rücksicht? – Internet und Ethik
VON MARKUS EISELE
Die Frage nach der Ethik
Ethik hat Konjunktur – zu diesem Eindruck muss ein unbefangener Beobachter dieser Tage
kommen. In Medien, in der Wirtschaft, in Gesellschaft und Politik wird nach ethischer
Orientierung gesucht. Dabei präsentiert sich unsere Mediengesellschaft mehr als
zwiegespalten. In Talkshows werden Ethik und Moral mit einem Rigorismus eingefordert, der
das vor kurzem noch bestimmende postmoderne „Everything goes“ vergessen lässt. Zugleich
brechen paradoxerweise diese Sendungen mit ihren Themen zugleich häufig moralische
Tabus und dringen in vor kurzer Zeit noch ungeahntem Maß in die Privat- und Intimsphäre
ihrer Talkgäste ein. Just in den selben Sendern ist der moralische Rigorismus in den
Abendstunden vergessen, wenn in Gewalt- und Sexszenen über die Bildschirme flimmern, die
nicht
selten
nur
knapp
einer
Beanstandung
entgangen
sind.
Anderes
Beispiel:
Wirtschaftslenker gründen ein eigenes Institut für Wirtschaftsethik, das sie bei der Reflektion
wirtschaftsethischer Fragen helfen soll. Unternehmens- und Wirtschaftsethik scheinen mehr
als nur eine Mode des Managements zu sein. Ethik ist gefragt. Gleichzeitig kann man
feststellen, dass nach ethischen Urteilen vor allem dann gerufen wird, wenn man sich davon
eine Legitimation der eigenen Interessen oder Handlungen verspricht.
Die Frage der Ethik
Menschen streben nach Glück und Heil. Sie kennen die Hoffnung danach. Sie erfahren aber
auch immer wieder Konflikte zwischen verschiedenen Interessen, die jeweils zum Glück
führen sollen. Ethik fragt danach, wie sich bei Konflikten das Glück im Handeln erreichen
läßt. Dabei muss sie von mindestens zwei Polen von Glücksauffassung ausgehen. Zum einen
kann Glück in der Selbstverwirklichung erlebt werden, zum anderen in der Gemeinschaft mit
anderen Menschen. Treffen die Extrempositionen aufeinander, lassen sie sich nicht
miteinander vereinbaren. Kompromißlose Selbstverwirklichung zerstört die Grundlagen der
Gemeinschaft, symbiotisch gelebte Gemeinschaft führt zur Selbstaufgabe des Individuums.
Häufig müssen deswegen Entscheidungen in einem Spannungsfeld getroffen werden, wo
solch gegensätzliche Interessen oder alternativen Orientierungen vorhanden sind. Dann wird
die ethische Reflektion über praktische Lebensorientierung nötig – oftmals in der
Grundspannung zwischen den Interessen der Selbsterhaltung und der Solidarität. Diese beide
Positionen haben sich in unterschiedlichen ethischen Theorien niedergeschlagen. Die eine, die
utilitaristische Ethik, bedenkt die möglichen Handlungsoptionen darauf hin, dass für eine
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Mehrheit ein Gewinn an Glück herauskommt. Dafür nimmt sie auch die Verschlechterung der
Lage bei einer Minderheit in Kauf. Die andere, die Mitleidsethik, setzt sich hingegen für die
Rechte der Minderheit ein und schöpft vor diesem Hintergrund nicht alle Optionen für die
Mehrheit aus.
Ethische Orientierung ist gebunden an Wertevermittlung. Die Weitergabe von Werten gelingt
in der Regel nicht abstrakt und ist deswegen gebunden an Institutionen. An erster Stelle ist
hier sicher die Familie zu nennen, aber auch Kirchen und religiöse Gemeinschaften haben
eine wichtige Funktion für die Werteerziehung. Indem Werte konkret vorgelebt werden,
können Menschen sich orientieren und ihre eigene Position bilden. Die abendländische Ethik
basiert heute noch sehr deutlich auf der in der Bibel vertretenen Ethik, die im sogenannten
Liebesgebot ihre Zusammenfassung findet. Dort steht: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie
Dich selbst“ (Matthäus-Evangelium 22,39). Die Pointe dieser Regel liegt in der
Zusammenfassung der deskriptiven mit der präskriptiven Seite: Die Wahrnehmung der
eigenen Bedürfnisse wird zum Motiv zum Handeln am Anderen. Die Orientierung des
Umgangs am anderen (Reziprozität) wird auch in der sogenannten „Goldenen Regel“
ausgedrückt: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“
(Matthäus-Evangelium 7,12). Ähnliche Formulierungen sind auch bekannt in anderen
Religionen, so z.B. bei den Rabbinen, Konfuzius, Buddha und Laotse. Immanuel Kant hat mit
dem Kategorischen Imperativ eine säkulare Formulierung gebracht, wenn er sagt, man solle
stets so handeln, „dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. Ethik hat so nie einen Relativismus zum Ziel, da
atomistischer Individualismus lebensfeindlich ist. Sie hat vielmehr antipluralistische Züge.
Denn Ethik ist der Versuch der Verständigung über Prinzipien gemeinsamen Lebens und
Handelns. Sie fordert die Bereitschaft, eigene Prinzipien selbstkritisch durch andere
Prinzipien zu hinterfragen. Ethik fragt nach den moralischen und sittlichen Standards die als
verbindlich anerkannt werden. Sie diskutiert auch, welche Verbindlichkeiten Gründe haben.
Und sie beschäftigt sich mit der Frage, wie man überhaupt über Verbindlichkeiten urteilen
kann. Kommt es nach einem Prozeß des Abwägens der Interessen und Güter, die von einem
Urteilsentscheid betroffen sind, zu einem ethischen Urteil, dann gibt es nur drei
Möglichkeiten der Entscheidung: Entweder ist etwas geboten oder es ist verboten oder es ist
freigestellt. Eine vierte Möglichkeit besteht nicht.
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Warum muß Internet ethisch reflektiert werden?
Die neuen Informations- und Kommunikationsmedien entwickeln Tiefenwirkungen in der
Gesellschaft entwickeln, die auch eine ethische Reflektion notwendig machen. Denn Internet
und
Vernetzung
verändern
nicht
nur
einzelne
Handlungsstränge,
sondern
die
Handlungsprinzipien, Erfahrungs-, Denk-, und Vorstellungsgewohnheiten. Betroffen sind
Konzepte personaler Kommunikation, der Ich- und der Weltwahrnehmung. Das Nachdenken
über die Gestaltungsmöglichkeiten und die Ziele der Gestaltung, über die Chancen und
Möglichkeiten, aber auch über die Risiken und Folgen sind so eine wichtige Aufgabe der
Gesellschaft.
Kriterien der ethischen Reflektion
Sollen Situationen auf ihre ethischen Implikationen hin analysiert werden, stellt sich die
Fragen nach der Menschheits- und zukunftsorientierten Verantwortung. Welchen Beitrag
leisten die Handlungsoptionen in Hinsicht auf die Gestaltung einer verantwortlichen
Weltgesellschaft. Wie beieinflussen sie die Lebensbedingungen von Menschen? Welche
unerwünschten, ja schädlichen Nebenwirkungen sind möglicherweise zu erwarten?
Beantwortet werden muss auch, ob es eine Offenheit als Korrekturfähigkeit und soziale
Beherrschbarkeit der weiteren Entwicklung gibt. Können einmal geschaffene Tatbestände
korrigiert werden oder kann es auch zu einer nicht mehr beherrschbaren Eigendynamik
kommen? Welche wirtschaftlichen oder technischen Abhängigkeiten entstehen? Als
gesellschaftlicher Aspekt ist die Fragen zu bedenken, ob die die Handlungen zu größerer
Partizipation und Transparenz führen. Kann so die Kommunikationsgerechtigkeit und
Beteiligungsgerechtigkeit gefördert werden? Und schließlich, welche Auswirkungen sind zu
erwarten bezüglich der Würde und der Ganzheitlichkeit menschlichen Lebens? Werden
Persönlichkeitsrechte, Intimsphäre sowie die Wahlfreiheit des persönlichen Lebensstils
ausreichend geschützt? Alle diese Aspekte sollten auf die unterschiedlichen Interessen und
Optionen hin bedacht werden, bevor ein Urteilsentscheid gefällt wird.
Die Chancen des Internet
Internet bietet Chancen. Es birgt aber auch Risiken, die von vielen zu gerne in der Euphorie
für das neue Medium übersehen oder kleingeredet werden. Trotzdem soll auch nicht der
umgekehrte Fehler gemacht werden. Zu den Chancen, die das Internet auch in ethischer
Hinsicht bringt, kann vieles gesagt werden.
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Zum ersten Mal in der Geschichte ist ein Medium vorhanden, das Einzelnen die Möglichkeit
gibt, selbst als Autor ein Massenpublikum zu erreichen. Kleine bewegliche Interessegruppen
haben auf diese Weise bereits eine überraschende Macht entfalten können. In den bisherigen
Medien wäre das wegen der vielfältigen Zugangsfilter, zum Beispiel die Redaktionen, kaum
möglich gewesen. Das Internet hat diese Gruppen in die paradoxe Situation versetzt, dass sie
großen Konzernen in Bezug auf die öffentliche Aufmerksamkeit durchaus das Wasser
abgraben können. Entstanden sind so auch Netzwerke der Solidarität. Interessenvertretungen
der mexikanischer Arbeiter haben sich höhere Löhne erstritten, die Umweltverschmutzung
und Menschenrechtspolitik von Shell in Nigeria hatte in kurzer ein Publikum gefunden, wie
es vor kurzer Zeit noch unvorstellbar gewesen wäre. Für die Bevölkerung in den
Industriestaaten bedeutet das Internet eine größere Zugänglichkeit zu Wissen und eine erhöhte
Transparenz bezüglich der vertretenen Interessen und Märkte. Es scheint, als geht der
Verbraucher gestärkt aus dieser Entwicklung hervor.
Ethische Problemfelder des Internet
Individualisierung der Information, „Digital Divide“ und Segregation der Gesellschaft
Nicht übersehen werden darf aber auch, dass mit diesem Medium dem Einzelnen neue Lasten
aufgebürdet werden, die er individuell zu tragen hat. So setzt sich ein Trend fort, den Ulrich
Beck in seinem Buch „Risikogesellschaft“ vorskizziert hat. Die Anforderungen steigen. Die
informationelle Selbstversorgung wird immer mehr zum Muss in der modernen Zeit, wobei
eine nicht zu unterschätzende intellektuelle Leistung von den Nutzern abverlangt wird. Die
Abstraktion hat zugenommen. Nicht mehr reale Räume sind die Orte der Information und
Kommunikation, sondern Räume des virtuellen Miteinanders, die sich durch den Akt der
Interaktion erst konstituieren. Deswegen kann nicht verwundern, dass nach neueren
Untersuchungen fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland kein Interesse an der
Nutzung des weltweiten Netzes äußert. Der „Digital Divide“, das heisst die Kluft zwischen
den Wissensbesitzern und den Wissenshabenichtsen, der sich hinter dieser Tatsache verbirgt,
scheint zunächst unproblematisch. Denn auch in der bisherigen Medienlandschaft, haben
verschiedene Bevölkerungsgruppen nur einen Teil der Informationsmöglichkeiten genutzt.
Der Unterschied bei Internet ist, dass die Gruppen, die das Web nicht nutzen wollen, künftig
keinen Zugang mehr zu bestimmten Informationen und Angeboten haben werden. Wie mit
einer solchen Situation umzugehen sei, wird in Konferenzen erörtert. Es erscheint als nötig,
dass im Sinne der demokratischen Gleichberechtigung an der Meinungs- und Willensbildung
die Kommunikation nicht exklusiv über das neue Medium erfolgen darf. Umsomehr als sogar
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unter den Nutzern des Netzes Orte gemeinschaftlicher Verständigung praktisch nicht mehr
vorhanden sind. Bislang hatten Zeitungen oder bestimmte Fernsehsendungen auch die
Funktion den Dialog in der Gesellschaft über gemeinsame politische und gesellschaftliche
Interessen und Projekte in Gang zu unterstützen. Die Individualisierung im neuen Medium
führt zwangsläufig dazu, dass es nicht mehr die eine Plattform gibt, die von Nutzern . Allein
die Portalsite wie zum Beispiel web.de oder yahoo.de sind in der Lage Nutzer
unterschiedlichster Interessen zum Zwecke der Inhaltesuche zu vereinen. Da diese Portale
einem großen wirtschaftlichen Druck unterliegen, finden sich hier vor allem MainstreamThemen. Soziales oder Gesellschaftliches kommt hier praktisch nicht mehr vor. Es ist
deswegen zu überlegen, ob der Auftrag an die öffentlich-rechtlichen Sender nicht auch auf die
Information im Internet ausgedehnt werden müsste. Schon seit geraumer Zeit wird das WebEngagement dieser Sender durch die privaten Sender nachhaltig bestritten. Sie möchten
sowohl eine Werbefinanzierung wie auch die Finanzierung aus den Gebühreneinnahmen
verboten sehen. Gesellschaft ist aber darauf angewiesen, dass redaktionell gut aufbereitete
Informationen allen Bevölkerungsschichten zur Verfügung stehen. In diesem Sinne erscheint
eine Ausdehnung des dualen Systems auch auf das Internet sinnvoll.
Verlust der Orientierungskraft des Journalismus
„Content ist king“ ist das Motto der Internetwirtschaft. Auf gut Deutsch wohl: Inhalte sind
entscheidend. Und daran mangelt es immer noch. Denn qualitativ hochwertige Texte, Bilder,
Videos kosten Geld und die können auf Dauer nicht unentgeltlich bereit gestellt werden. So
müssen Verlage und Zeitungen Modelle der Refinanzierung ihres Engagements finden, die es
ihnen erlauben, auch weiterhin attraktiv im Web präsent zu sein. Häufig geschieht dies über
Bannerwerbung, die zunehmend auch getrennt vom redaktionellen Inhalt, als solche
gekennzeichnet ist. Parallel wurden andere Modelle der Refinanzierung entwickelt, die die
Unabhängigkeit des Journalismus nachhaltig bedrohen. So werden den journalistischen
Texten Werbeflächen an die Seite gestellt, die als solche kaum erkennbar sind. Bezahlte
Buchtipps, gesponserte Kommentare und ähnliches mehr.
Oft wird gesagt, dass Internet per se Public Relations ist. Denn egal mit welcher Absicht
Einzelne, Organisationen oder Unternehmen Informationen und Dienstleistungen online
anbieten, stets kommt in der Kommunikation auch der Aspekt öffentlichen Wahrnehmung
zum Zuge. Werbung aber bindet nur in seltenen gut gemachten Fällen die Aufmerksamkeit
über längere Zeit. Deswegen suchen die Anbieter im Internet den Weg, dem Nutzern einen
Mehrwert zu bieten. Und so bereiten Unternehmen Themen auf, die den Verbraucher
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interessiert. Scheinbar objektiv und im Mantel des Journalismus, kommen Texte daher, die
von PR-Fachleuten verfasst wurden und natürlich die jeweiligen Interessen der Anbieter
vertreten.
Keine ganz neue Entwicklung, denn solche Formen der durchaus ja legitimen
Interessenvertretung sind ja in den bisherigen Medien nicht unüblich. Nur war bislang die
Kontrolle deutlich ausgeprägter. Ausgebildete Redakteure betreuten Zeitungs- oder
Zeitschriftentitel. Eine Redaktion achtete auf die Inhalte ihrer Radio- oder Fernsehsendungen.
Online-Redaktionen sind zu häufig immer noch schlecht ausgebildet im Blick auf
journalistisches Ethos. Der wirtschaftliche Druck, der auf der New Economy trägt das seine
dazu bei, dass hier die Grenzen zwischen PR und Journalismus ins Rutschen geraten sind.
Dass hier beim Publikum – wenn es erst einmal aufmerksam geworden ist auf diese
Entwicklung – der Journalismus insgesamt in Verruf geraten kann, sollte den
Standesorganisationen nicht egal sein. Denn diese „vierte Macht im Staate“ hat eine Rolle in
der Gesellschaft, auf die diese nicht verzichten kann. Glaubwürdigkeit ist ihr größtes Gut.
Schutz von Kindern durch Internet-Filter
Alles was im normalen Leben an frag...
Weitere Felder der ethischen Reflektion des Internet
Die oben aufgeführten Beispiele stellen nur einen Bruchteil der möglichen Bereichen dar, in
denen ein ethisches Nachdenken nötig ist. Weitere Felder der Reflektion sollen nur in
Stichworten skizziert werden.
Ethik der Praktiker
Ethik ist nicht nur von Ethikern zu betreiben, Praktiker müssen sich selbst am ethischen
Diskurs beteiligen
weil nur was ethisch gut ist, hat auch eine wirtschaftliche Zukunft, weil die Akzeptanz des
Mediums und seiner Angebote wichtig ist
Zum Autor
Markus Eisele ist Leiter der Arbeitsstelle Internet im Gemeinschaftswerk der Evangelischen
Publizistik gGmbh, Frankfurt am Main. Die Agentur erarbeitet bundesweite Strategien
kirchlicher Internet-Präsenz, berät kirchliche Institutionen und Unternehmen in Fragen der
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Online-Relations
und
setzt
Online-Kommunikations-Konzepte
um.
Markus
Eisele,
evangelischer Theologe und PR-Berater, ist Referent verschiedener Institute der PR- und
Multimedia-Branche.
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