Als Künstlerin muss ich authentisch sein, um überzeugend auftreten

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„Die Welt ist mein zu Hause“
Sie wurde in Usbekistan geboren, wuchs in einem musikalischen
Elternhaus auf, trägt einen alten jüdischen Namen und lebt heute in
Deutschland: Die Pianistin Evgenia Rubinova ist eine echte Weltbürgerin.
2003 gewann sie – als erste Frau seit 19 Jahren – die begehrte
Silbermedaille beim Internationalen Klavierwettbewerb in Leeds. Es war
der Anfang einer großen Karriere. "Rubinova is larger than life", jubelte
die Washington Post. Das BBC Fersehen sprach von einer „absolut
außergewöhnlichen Pianistin“, und die FAZ bezeichnete sie als
„Klavierlöwin“ mit einer „überlegenen Balance der Extreme“.
Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Evgenia Rubinova: Die Welt ist mein Zuhause. Überall dort, wo ich
meine Kunst leben kann, fühle ich mich wohl. Seit acht Jahren lebe ich
nun in Frankfurt und fühle mich in Deutschland sehr wohl. Ich empfinde
eine große Nähe zur deutschen Kultur.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Klavierabend erinnern?
Evgenia Rubinova: Ja, sehr gut. Das war in Taschkent, ich war gerade 8
Jahre alt. Der Blumenstrauß, den ich nach dem Konzert überreicht bekam,
war fast größer als ich.
Arthur Rubinstein hat einmal gesagt: „90 Prozent des Genies sind Fleiß“.
Hatte er Recht? Wie viele Stunden üben Sie täglich?
Evgenia Rubinova: Ganz bestimmt hatte er damit Recht! Aber Fleiß ist
eben auch nicht alles. Die Musik in meinem Kopf kann ich niemals
abschalten. Sie ist etwas, das mich stets begleitet, selbst in der U-Bahn
oder beim Joggen. Sie ist mein Leben, meine Erfüllung. Was den rein
technischen Aspekt angeht, übe ich täglich vier bis fünf Stunden.
Möchten Sie als Interpretin des russischen Repertoires betrachtet werden?
Evgenia Rubinova: Nicht ausschließlich. Das russische Repertoire ist ja
stark mit der europäischen Klassik und Romantik verbunden. So wurden
Tschaikowski und Rachmaninow wesentlich von der europäischen Tradition
beeinflusst. Doch spiele ich auch gerne die drei großen „B’s“, Bach,
Beethoven oder Brahms.
Gibt es DIE perfekte Interpretation?
Evgenia Rubinova: Nein. Musik ist zum Glück keine Mathematik. Mit
jedem Interpreten kommt etwas Neues in die Welt, das auch ein Recht
darauf hat, ausgesprochen und gehört zu werden. Doch nur ganz wenigen
gelingt eine bedeutende Interpretation.
Kann es denn sein, dass Sie ein bestimmtes Werk morgen ganz anders
spielen als heute?
Evgenia Rubinova: Sind Sie denn noch derselbe Mensch, der sie vor
zwei Jahren waren? Jeder Tag, jede einzelne Erfahrung verändert uns. Das
gilt natürlich auch für meine Musik. Auch Interpretationen verändern sich
im Laufe der Zeit. Das hält sie lebendig.
Gibt es musikalische Vorbilder?
Evgenia Rubinova: Ja, Friedrich Gulda, Glenn Gould, Leonard Bernstein,
Carlos Kleiber, Maria Callas und viele mehr.
Und für welchen Maler würden Sie Geld ausgeben?
Evgenia Rubinova: Für Dali. Mich faszinieren seine Kreativität,
Souveränität, sein Feinsinn und seine Vielseitigkeit.
Welche Bedeutung hat die Moderne, die Musik der Gegenwart für Sie?
Evgenia Rubinova: Ich liebe Komponisten wie Messiaen, Dutilleux,
Schnittke, Silvestrov und Kapustin und führe ihre Werke auch gerne auf.
Auch Schostakowitschs erstes Klavierkonzert spiele ich sehr gerne.
Letztlich ist das Geburtsdatum des Komponisten aber nicht so
entscheidend. Wichtig ist, dass die Musik uns heute etwas zu sagen hat.
Ich interessiere mich für gute Musik, egal, wann sie geschrieben wurde.
Eine zeitgenössische Komposition muss ausdrucksvoll sein und einen
musikalischen Sinn in sich tragen.
Wie wichtig ist für Sie als Künstlerin, ein Image zu haben?
Evgenia Rubinova: Als Künstlerin muss ich in erster Linie authentisch
sein, um überzeugend auftreten zu können. Eine Rolle oder ein Image
würden mich zu sehr einschränken. Wenn ich mich in eine Schublade
stecken ließe, könnte ich mich nicht mehr frei entwickeln.
Haben Sie vor Konzerten Lampenfieber?
Evgenia Rubinova: Klar, das gehört zum Beruf. Diese Spannung, dieses
Knistern in der Luft, der Moment geladener Stille ist der Geburtsort der
Musik. Ich bin vor dem Auftritt sehr aufgeregt, und das ist auch gut so.
(Die Fragen stellte Dr. Matthias Corvin)
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