Hans-Jürgen von Boses Einakter "Verkehr mit Gespenstern"

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derStandard
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Verzweiflung aus der Mottenkiste
Daniel Ender, 6. Dezember 2012
foto: apa/herbert neubauer
Falko Hönisch und Tim Serverloh in 'Verkehr mit Gespenstern'.
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Hans-Jürgen von Boses Einakter "Verkehr mit
Gespenstern" mit Texten von Franz Kafka
Wien - Vielleicht müssen einen, der sich mit Gespenstern abgibt, ja unausweichlich die Geister der
Vergangenheit einholen. Und aus ihrem beharrlichen Spuk ergibt sich dann womöglich notgedrungen ein
gewisser Wiederholungszwang. Das Wort "Kammer-Musiktheater", mit dem Hans-Jürgen von Bose seinen
Einakter Verkehr mit Gespenstern versehen hat, ließe sich dann nicht nur als Hinweis auf seine Kleinstbesetzung
verstehen, sondern ebenso auf jene Enge, die das Stück ausstrahlt.
Kafka hat den gebürtigen Münchner, Jahrgang 1953, über die letzten zehn Jahre in seinen Bann gezogen. Die
Uraufführung in der vom Theater an der Wien bespielten Kammeroper ist sein drittes Bühnenwerk, das aus
dieser Beschäftigung entstand.
Ihrerseits in den Bann ziehen die langatmigen 70 Minuten trotz ihrer Aufteilung in 24 kurze Szenen allerdings
kaum. Dabei könnte das Ensemble aus Countertenor (Tim Severloh), Bariton (Falko Hönisch), Akkordeon
(Martin Veszelovicz) und Cello (Luis Zorita) einen solchen Abend im Prinzip durchaus tragen.
Am Engagement aller Beteiligten mangelt es nicht, auch verbinden sich in der Inszenierung und Ausstattung von
Peter Pawlik sparsame Tristesse mit Verzweiflungsgesten, die im gewählten Rahmen so vielfältig wie möglich
sind. Sonderliche Originalität lässt sich der Szene freilich nicht bescheinigen: Alle vier Akteure sind
Wiedergänger von Franz Kafka (fallweise kommen noch zwei Kinder dazu) mit Anzug, Mantel, Hut, Krawatte,
werfen mit Papier um sich oder befetzen sich anderweitig - Selbstbezichtigungen auf Basis monomanisch
repetierter Textfragmente inklusive, an denen sich auch die beiden Instrumentalisten mit wechselndem
Nachdruck beteiligen.
Dass dies alles nur wenig motiviert wirkt, liegt vor allem an einer unentschlossenen Klangsprache, die sich nicht
einmal dafür entscheiden kann, ziellos umherzuschweifen. Die Deklamationen der Singstimme klingen durch
atonale Intervalle zumeist nach früher Moderne, die Melodien des Cellos - wenn es sich nicht gerade auf Johann
Sebastian Bach bezieht - nach neoromantischen Sehnsüchten und empathisch-schwülen Gefühlsentladungen.
Und das gläserne Akkordeon mit seinen langgezogenen Klängen wirkt wie eine Anbiederung an jene, die dieses
Modeinstrument zeitgenössischer Komponisten mit Modernität gleichsetzen. Nach eigenem Bekunden möchte
Bose "Postmoderne" und "Moderne" miteinander verbinden. Und so lässt er denn auch mitunter das
Schreckgespenst der Neuen Musik mit der hässlichen Fratze des Geräuschklangs hervorlugen, flüchtet sich dann
wieder in Pathos und wehleidige Kantilenen.
Da hat jemand die musikalische Mottenkiste einen Spalt geöffnet und dabei weder Geist noch Gespenst, dafür
aber den Spuk der Wahllosigkeit und Beliebigkeit zutage gefördert. (Daniel Ender, DER STANDARD,
7./8./9.12.2012)
7. und 9. 12.
Datum: 06.12.2012
Kammeroper
Ein Gespenst namens Kafka Kritik: In der
Kammeroper wurde "Verkehr mit
Gespenstern" des deutschen Komponisten
Hans-Jürgen von Bose uraufgeführt.
Autor: Peter Jarolin
Mit Franz Kafka kann man so ziemlich alles machen. Man kann ihn lesen, interpretieren, analysieren, kann seine
Werke oder sein Leben verfilmen oder man kann ihn auch vertonen. Das Mysterium Kafka gibt immer Anlass zu
künstlerischen Diskursen. Auch für den deutschen Komponisten Hans-Jürgen von Bose, der sich nach eigener
Aussage seit Jahren mit Kafka beschäftigt und von einer gigantischen Kafka-Oper träumt. Mehr als viereinhalb
Stunden Musik gibt es bereits; etwa 75 Minuten davon sind in der Wiener Kammeroper unter dem Titel
„Verkehr mit Gespenstern“ uraufgeführt worden. Ein wahrlich gespenstisches Unterfangen.
Völlige Verweigerung
Denn Bose verweigert sich jeder narrativen Erzählform, montiert Sätze und Textfragmente („Brief an den
Vater“, „Der Prozess“, Die Verwandlung“) zu einem – ja was eigentlich? Ein Cellist, ein Akkordeonist, ein
Countertenor und ein Bariton sondern – alle gekleidet im klassischen Kafka-Stil – Sätze, Töne, Worte, Klänge
ab. Und ja, es geht irgendwie um die Verzweiflung am Leben. Peter Pawlik hat diese kleinen Skizzen unfassbar
umständlich inszeniert (entsetzlich die völlig entbehrlichen Nicht-Umbauten im Halbdunkel); die Protagonisten
geben ihr Bestes. Dass Cellist Luis Zorita und Akkordeonist Martin Veszelovicz auch als
Akteure agieren müssen, ist nicht unproblematisch. Ausgezeichnet: Countertenor Tim Severloh und Bariton
Falko Hönisch. Bleibt nur die Sinnfrage.
KURIER-Wertung: ** von *****
Kleine Zeitung
70 Minuten aus Kafkas Leben
Teile und Teilchen von Hans-Jürgen von Bose.
WIEN. Der deutsche Komponist Hans-Jürgen von Bose (59) wählte für sein
Auftragswerk "Verkehr mit Gespenstern" aus einem nach eigenen Angaben
viereinhalb Stunden umfassenden "Pool" an eigenen Vertonungen von Texten Franz
Kafkas knapp 70 Minuten aus. Im Wesentlichen Alltagsszenen aus dem Leben des
Dichters. Vierundzwanzig Teile und Teilchen mit Namen wie "Litanei", "Couplet",
"Lied", "Szene".
Vorgetragen werden sie vom außergewöhnlichen Countertenor Tim Severloh und
dem kaum weniger beeindruckenden Bariton Falko Hönisch. Zwei Kinder (Anna und
Max Donose) müssen sich von ihren Eltern manche seltsame Erziehungsmethode
gefallen lassen, diese werden beargwöhnt von sprechenden Instrumentalisten
(Martin Veszelovicz, Akkordeon, Luis Zorita, Violoncello).
Abgesehen von Melodiefetzen, einmal etwa dem "Radetzky-Marsch", sind es zumeist
nervende Geräusche, die von der Bühne klingen. Die beiden Protagonisten werden
von Regisseur/Ausstatter Peter Pawlik als Büroangestellte dargestellt, die Kostüme
(Mareile von Stritzky) machen sie zu Kafka-Doubles. ERNST SCHERZER
Verkehr mit Gespenstern. Von Hans-Jürgen von Bose. Wiener Kammeroper, 7., 9. 12,
19.30 Uhr.
Verkehr mit Gespenstern in der Wiener Kammeroper
Familienaufstellung im Kafka-Kosmos
Von Lena Draić
Armin Bardel / Theater an der Wien in der Kammeroper
Ein Mann platziert auf einem klobigen Schreibtisch ein Spielzeugklavier. Ganz weltläufiger Virtuose, dankt er
für einen imaginären Auftrittsapplaus, ehe er an dem unförmigen Möbel Platz nimmt, mit den Händen
übertriebene Aufwärm-Gesten vollführt und kraftvoll in die Tasten haut.
Die Szene befindet sich in Hans-Jürgen von Boses neuem Musiktheater "Verkehr mit Gespenstern", das auf
einer Collage aus Textfragmenten Franz Kafkas basiert und soeben an der Wiener Kammeroper seine
Uraufführung erlebte. Schon wieder eine Kafka-Paraphrase, könnte man denken. Allerdings gelingt es nicht
jeder Adaption so gut, die Gefühlswelt von Kafkas Prosa jenseits narrativer Ansprüche in szenische Bilder zu
übersetzen. Ein Bariton (Falko Hönisch) und ein Countertenor (Tim Severloh) durchleben den wechselhaften
Kosmos kafkaesker Seelenzustände. Die beiden Instrumentalisten - Luis Zorita am Violoncello und Martin
Veszelovicz am Akkordeon - ergänzen mit zwei stumm agierenden Kindern das Setting (Regie:
Peter Pawlik) zur surrealen Familienaufstellung. So wird die musikalische Ebene (Leitung: Anna Sushon) zum
organischen Teil des Geschehens, wobei sie sich immer wieder auf ironische Weise expressiver Topoi bedient.
Dank großartiger Schauspielleistungen entfaltet dieses Kammerspiel bisweilen slapstickartige Komik.
© 2012 Wiener Zeitung
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