FD RD Ethische Überlegungen - Word-Fassung

Werbung
Frühdefibrillation im Rettungsdienst
Ausbildungsunterlage
Landesverband
Thema: Ethik
Ethische Überlegungen
bei der präklinischen Reanimation
Begriffsdefinition:
Der Begriff „Ethik“ kommt aus dem Griechischen und könnte etwa als „sittliches
Verständnis“ übersetzt werden oder etwas freier formuliert, kann man Ethik als den
Teil der Philosophie verstehen, der sich mit dem Verhalten und Handeln von
Menschen aus moralischer Sicht befasst. Unter „Moral“ wiederum fasst man
anerkannte Handlungsmuster oder auch Regeln z.B. innerhalb eines Kulturkreises
zusammen.
Über Ethik und Moral sind zahllose Bücher verfasst worden, es muss also klar sein,
dass beide Begriffe keinesfalls erschöpfend in wenigen Zeilen zu beschreiben sind,
noch weniger dass diese kurze Einführung in die Begrifflichkeiten Anspruch auf
Vollständigkeit erheben können.
Prinzipien bei der Behandlung von Patienten:
Vier Grundüberlegungen begleiten die Versorgung von kranken Menschen.
In den vergangenen Jahrzenten hat das Recht auf Selbstbestimmung immer
größere Bedeutung gewonnen. Selbstbestimmung setzt voraus, dass der Mensch (in
diesem Falle unser Patient) zum Zeitpunkt seiner Entscheidung in der Lage ist,
seinen Willen frei zu äußern und viel wichtiger noch: sich zuvor auf dem Boden
möglichst verständlicher Informationen über die Krankheit, die angedachten
Behandlungen, zu erwartende Nebenwirkungen und mögliche Alternativen diesen
Willen überhaupt erst zu bilden. Ist der Patient außer Stande, dies alles zu verstehen,
tritt evtl. ein Betreuer (früher Vormund) an seine Stelle, um in dessen mutmaßlichem
Sinne Entscheidungen zu treffen.
Das Handeln (natürlich nicht nur) des Rettungsdienstpersonales zielt zu allererst auf
das Patientenwohl als zweite wichtige Säule ethischer Überlegungen ab.
Vorrangiges Ziel ist es, Gutes für den Patienten erreichen zu wollen, also zu
beabsichtigen, dass eine Therapie seinen Zustand verbessert. Ein dritter Grundsatz,
„Primum non nocere“ oder „Kein Schaden durch Therapie“ liegt möglicherweise in
der anderen Waagschale. Ganz allgemein wäre es unethisch, unerprobte Methoden
an einem Patienten auszuprobieren.
Version: 1.0
Ersteller: Landeslehrgruppe Frühdefibrillation
Seite:
Datum: 22.12.2010
Freigegeben: Landesarzt Prof. Dr. Sefrin
1 von 4
Frühdefibrillation im Rettungsdienst
Ausbildungsunterlage
Thema: Ethik
Landesverband
Die vierte Überlegung befasst sich mit Rechten und Gerechtigkeit. Einfach gesagt
gilt gleiches Recht für alle und jeder Patient wird gleich dem anderen angesehen.
Ferner gibt es Gesetze, die unser Tun bestimmen oder womöglich Nicht-Tun sogar
unter Strafe stellen…
„DNAR-Patienten“
Schon in den Leitlinien 2005 des ERC war von Patienten zu lesen, bei denen auf
Reanimationsversuche verzichtet werden sollte, diese wurden als „DNAR-Patienten“
bezeichnet, was eine Abkürzung für „do not attemt resuscitation“ also „unternimm
keinen Wiederbelebungsversuch“ darstellt. Unter ethischen Gesichtspunkten wurde
festgelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um die Entscheidung dieses
Unterlassens zu rechtfertigen: zu alleroberst steht der (mutmaßliche) Wille des
Patienten, der durch eine Reanimation in der terminalen Phase einer
lebensverkürzenden Krankheit nicht Gutes, sondern verlängertes Leid erfahren
würde. Dies trifft für vorhersehbare Situationen z.B. bei einer stationären Behandlung
zu. Die Entscheidung in letzter Konsequenz wird in Absprache mit dem
behandelnden Arzt getroffen und als eine Art Konsens im engeren medizinischen
Behandlungsteam formuliert.
Begegnungen mit „DNAR Patienten“ sind für den Rettungsdienst üblicherweise nicht
denkbar. Denkbar wäre eine Einsatzmeldung „leblose Person“, zu der das NAWTeam entsandt wird, weil der Hausarzt, mit dem ein DNAR abgesprochen ist, bspw.
am Wochenende nicht erreichbar ist. Aus rechtlicher Sicht besteht vor der ärztlichen
Todesfeststellung die Verpflichtung zur Hilfeleistung, sofern keine sicheren
Todeszeichen vorliegen auch wenn der Patient vorher anders entschieden hat.
Patientenverfügungen:
Ähnlich komplex verhält es sich mit dem schriftlich geäußerten Willen des Patienten.
Auf der Basis der bereits oben genannten Entscheidungsfähigkeit wird hier zum
Ausdruck gebracht, welche Maßnahmen ein Mensch zum Ende seines Lebens hin
wünscht – oder eben unterlassen sehen möchte. Die Patientenverfügung soll stets
aktuell sein und vom behandelnden Hausarzt mit getragen werden. Für die Präklinik
jedoch hat sie zunächst wenig Relevanz; in den allermeisten Fällen ist dort zu lesen,
dass ein Mensch „im Falle unheilbarer Krankheit“ wünscht, z.B. nicht künstlich
ernährt zu werden. In einer Notfallsituation lässt sich zunächst nicht sicher
verifizieren, ob dieses Dokument a) echt, b) wirklich zu diesem Patienten gehörend
und c) der augenblickliche Zustand denn wirklich unheilbar ist, oder nicht durch eine
simple Defibrillation zu beheben ist?
Version: 1.0
Ersteller: Landeslehrgruppe Frühdefibrillation
Seite:
Datum: 22.12.2010
Freigegeben: Landesarzt Prof. Dr. Sefrin
2 von 4
Frühdefibrillation im Rettungsdienst
Ausbildungsunterlage
Thema: Ethik
Landesverband
Somit ergibt sich, dass auf eine Patientenverfügung zumindest bis zum Eintreffen
des Arztes keine Rücksicht genommen werden darf !
Andererseits widerspricht die Alarmierung des Rettungsdienstes im Falle eines
Kreislaufstillstandes dem Inhalt einer Verfügung, wenn dort der Verzicht auf eine
Reanimation festgelegt wurde.
Aus diesem Grund spielen im Rettungsdienst DNRA und Patientenverfügung im
Hinblick auf den Beginn der Reanimation keine Rolle. Sie können sehr wohl im
weiteren Verlauf das Vorgehen im Sinne des Patienten beeinflussen.
Anwesenheit von Angehörigen:
In leider sehr vielen Fällen sind die Angehörigen von Reanimationspatienten in
kurzer Zeit dessen Hinterbliebene. Im Hinblick auf deren Trauerarbeit und letztlich
der Verlustbewältigung ist es notwendig, diesen wenn möglich eine Tür zu unseren
Bemühungen offen zu halten – und dies im wörtlichen Sinne. Verarbeiten fällt
leichter, wenn Angehörige erleben konnten, dass für den Verstorbenen alles
Menschenmögliche getan wurde; darin stimmten die Meisten Hinterbliebenen in
Befragungen überein. Im günstigsten Fall wird ein erfahrenes Team-Mitglied
abgestellt, die Angehörigen während der Reanimation zu „begleiten“, Fragen zu
beantworten und in Abhängigkeit des Verlaufes behutsam auf das weitere Vorgehen
vorzubereiten. Je nach Situation können Angehörige im Einzelfall sogar mit kleinen
Aufgaben betraut werden, z.B. die Infusion halten, um das Gefühl zu vermitteln, sie
haben aktive Hilfe geleistet.
Abbruch der Reanimationsbemühungen:
Wenn Wiederbelebungsbemühungen nach 20- 30 Minuten noch immer ohne jeden
Erfolg geblieben sind und der Patient zu keiner Zeit auf unsere Maßnahmen
angesprochen hat und keine reversiblen Ursachen vorliegen, gilt deren Abbruch aus
medizinischer Sicht als gerechtfertigt. Ein Weitermachen über diese Zeit hinaus
würde nach aller Vernunft nach keinen Erfolg für den Patienten haben. Das letzte
Wort liegt natürlich beim Notarzt. Die Entscheidung des Reanimationsabbruchs sollte
der gesamten Besatzung vermittelt und von ihr mitgetragen werden.
Version: 1.0
Ersteller: Landeslehrgruppe Frühdefibrillation
Seite:
Datum: 22.12.2010
Freigegeben: Landesarzt Prof. Dr. Sefrin
3 von 4
Frühdefibrillation im Rettungsdienst
Ausbildungsunterlage
Thema: Ethik
Landesverband
Umgang mit dem Verstorbenen:
Der eben verstorbene Patient war sein Leben lang Mensch gewesen und hat es mit
der Feststellung seines Todes nicht aufgehört zu sein! Entsprechend ist der
pietätvolle Umgang mit dem Leichnam ein wichtiger Grundsatz. Sofern kein
Fremdverschulden vorliegt, sind die Spuren invasiver Eingriffe zu beseitigen;
Zugänge sind zu entfernen und die Punktionsstellen abzudecken, Beatmungstuben
werden gezogen und abschließend soll der Verstorbene im Einvernehmen mit
dessen Angehörigen an einen Platz verbracht werden, wo er bis zum Eintreffen des
Bestatters verbleiben kann. Durch entsprechende Lagerung des Kopfes wird ein
Herunterfallen des Unterkiefers und damit ein Versteifen bei offenem Mund
verhindert; beim Falten der Hände sollte auf ein Verschränken der Finger verzichtet
werden, da diese mit fortschreitender Leichenstarre oft nur noch mit Gewalt
voneinander gelöst werden können. Ob das Geschehen Raum für eine
Beileidsbekundung stellvertretend durch ein Besatzungsmitglied bietet, steht im
Ermessen des jeweiligen Teams; jedoch vermag auch ein stiller Händedruck
Bedauern und Anteilnahme auszudrücken.
Schlussbetrachtung:
Bisweilen sehen werden wir – das nichtärztliche Rettungsfachpersonal – uns durch
verschiedenste Umstände gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, hinter denen wir
nicht wirklich stehen. Solange sichere Todeszeichen beim frei zugänglichen leblosen
Patienten fehlen, sind wir bis zum Eintreffen des (Not)Arztes zum Einleiten von
Wiederbelebungsmaßnahmen verpflichtet. Dennoch sind wir keine Maschinen und
müssen mit getroffenen Entscheidungen tagtäglich leben; vielleicht kann das
Argument des „Befehlsnotstandes“ hilfreich sein, womöglich der Gedanke dass der
nächste Patient durch unser geübt- routiniertes Handeln vielleicht zu retten ist; und
schließlich kann niemand von uns mit Gewissheit behaupten, die Werteordnung
unseres Patienten zu kennen.
Version: 1.0
Ersteller: Landeslehrgruppe Frühdefibrillation
Seite:
Datum: 22.12.2010
Freigegeben: Landesarzt Prof. Dr. Sefrin
4 von 4
Herunterladen