Glücksspielsucht

Werbung
Glücksspielsucht:
Störungsbild
Dipl.-Psych. Dr. phil. Jörg Petry
( [email protected] )
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalitäzt
Das Hazardspiel
Begrifflichkeit
„Zocken“ beim Gaming und „responsible
Gaming“ im Casino?
1. Playing: Spaß im Kinderspiel
2. Gaming: Kompetenz bei
Wettbewerbs- und Leistungsspielen
1. Gambling: Zufall bei Geldwetten
Ashley, L.R.N. (1990). „The Words of My Mouth, and the Meditation of My Heart“: The Mindset of
Bablers Revealed in Their Language. Journal of Gabmling Studies, 6, 241 – 261.
Glück – Spiel - Sucht
Sprachliche Bezeichnungen:
„Pathological Gambling“
„Glücksspielsucht“
Spiel:
Funktion des Spiels als selbstwertsteigernde
und entwicklungsfördernde Handlung
Glück:
Wetten, d.h. (vorwiegende) Zufallsspiele um
Geldwerte, als Ernsthandlung
Sucht:
Schuld- und Schamgefühle als Ausdruck der
gesellschaftlichen Ambivalenz gegenüber
dem Glücksspielen.
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Nosologie
undKategorien F0-F9
Liste derPersönlichkeitszweistelligen
F6
Verhaltensstörungen
F0
einschließlich symptomatischer psychischer
Überblick organische
über diesen Abschnitt:
Störungen
F60
F1
F2
F3
spezifische Persönlichkeitsstörungen
F60.0
paranoide Persönlichkeitsstörung
F60.1
schizoide Persönlichkeitsstörung
F60.2
dissoziale Persönlichkeitsstörung
F60.3
emotional instabile Persönlichkeitsstörung
.30
impulsiver Typus
.31
Borderline Typus
F60.4
histrionische Persönlichkeitsstörung
Schizophrenie,
schizoptype und wahnhafte Störungen
F60.5
anankastische Persönlichkeitsstörung
F60.6
ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung
F60.7 Störungen
abhängige Persönlichkeitsstörung
affektive
F60.8
sonstige näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen
F60.9
nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung
psychische und Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen
F4
neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen
F5
und
Faktoren
andauernde PersönIichkeitsänderungen, nicht Folge einer Schädigung
F61
F62
F6
F7
F8
F63
F9
F99
kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörungen
F61.0
kombinierte Persönlichkeitsstörungen
F61 .1
störende Persönlichkeitsänderungen
Verhaltensauffälligkeiten
mit körperlichen Störungen
oder Krankheit des Gehirns
F62.0
andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
F62.1
andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer
Krankheit
F62.8
sonstige andauernde Persönlichkeitsänderungen
Intelligenzminderung
F62.9
nicht näher bezeichnete andauernde Persönlichkeitsänderung
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
Entwicklungsstörungen
abnorme Gewohnheiten und Störungen der
Impulskontrolle
Verhaltensund
emotionale Glücksspiel
Störungen mit Beginn in der
F63.0
pathologisches
Kindheit
Jugend
F63.1 und pathologische
Brandstiftung (Pyromanie)
F63.2
pathologisches Stehlen (Kleptomanie)
F63.3
Trichotillomanie
nicht näher bezeichnete
psychische Störungen
F63.8
sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der
Impulskontrolle
F63.9
nicht näher bezeichnete abnorme Gewohnheit und
Störung der Impulskontrolle
H.Dilling et al.:
Internationale
Klassifikation Psychischer
Störungen (ICD 10). Bern:
Huber, 1991
DSM-5
Im DSM-5 wird die Oberkategorie der Suchtstörungen
(Substance-Related and Addictive Disorders) um die
nichtstoffgebundene Suchtform (Non-Substance-Related
Disorders) der der Glücksspielsucht (Gambling Disorder)
erweitert (APA, 2013; Dt. 2015).
Die Kriterienzahl wird von 10 auf 9 ( es entfällt Item 8:
Illegale Handlungen zur Finanzierung des Glücksspielens)
und die Schwelle für „Störung durch Glücksspielen“
(Gambling Disorder) von 5 auf 4 gesenkt.
Es erfolgt eine Zusammenfassung von Abhängigkeit und
Missbrauch (Rumpf & Kiefer, 2011). Dafür wird der
Schweregrad differenziert (leicht, mittelgradig, schwer).
American Psychiatric Association (Ed.) (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders. DSM-5. Washington, DC: American Psychiatric Publishing (Dt. 2015).
Rumpf, H.-J. & Kiefer, F. (2011). DSM-5: Die Aufhebung der Unterscheidung von Abhängigkeit
und Missbrauch und die Öffnung für Verhaltenssüchte. Sucht, 57(1), 45-48.
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Bevölkerungsprävalenz
Untersuchung
Erscheinungsjahr
Bühringer
et al.
(2007)
Buth &
Stöver
(2008)
BZgA
(2008)
BZgA
(2010)
Sassen
et al.
(2011)
Meyer
et al.
(2011)
BZgA
(2012)
Altersspanne
18 – 64
18 – 65
16 – 65
16 – 65
18 – 64
14 – 65
16 – 65
Stichprobengröße)
8 Tsd.
8 Tsd.
10 Tsd.
10 Tsd.
8 Tsd.
15 Tsd.
10 Tsd.
Methodik
Festnetz
Post
Festnetz
Post
Online
Festnetz
Festnetz
Festnetz
Post
Online
Festnetz/
Mobilfon
Face-to-FaceInterview
Festnetz
Antwortrate
48 %
56 % / 68 %
63 %
62 %
50 %
52 % / 57 %
60 %
Messinstrument
DSM-IV
DSM-IV
SOGS
SOGS
DSM-IV
DSM-IV
SOGS
Problematisches
Glücksspielen
(% und gesch. Anzahl)
0,29 %
(149 Tsd.)
0,64 %
(134 Tsd.)
0,41 %
(223 Tsd.)
0,64 %
(346 Tsd.)
0,24 %
(133 Tsd.)
0,31 %
(172 Tsd.)
0,51 %
(275 Tsd.)
Pathologisches
Glücksspielen
(% und gesch. Anzahl)
0,20 %
(103 Tsd.)
0,56 %
(300 Tsd.)
0,19 %
(104 Tsd.)
0,45 %
(241 Tsd.)
0,31 %
(172 Tsd.)
0,35 %
(193 Tsd.)
0,49 %
(265 Tsd.)
Probl./Path.
Glücksspielen
(% und gesch. Anzahl)
0,49 %
(252 Tsd.)
1,20 %
(640 Tsd.)
0,60 %
(327 Tsd.)
1,09 %
(587 Tsd.)
0,55 %
(305 Tsd.)
0,66 %
(365 Tsd.)
1,00 %
(540 Tsd.)
Bevölkerungsprävalenz
Die aufwendigste epidemiologische Studie (Meyer et al., 2011) ergab eine
Lebenszeitprävalenz von 1,0% und 1,5 % bei den 14- bis 17jährigen. Die 12Monats-Prävalenz betrug für problematisches Glücksspielen 0,31 %, d. h.
geschätzte 172 Tsd. und für pathologisches Glücksspielen 0,35 %, d. h.
geschätzte 193 Tsd. Personen.
Das Geldautomatenspiel beinhaltet ein 6,3fach erhöhtes Risiko, gefolgt von
Pokern (5,0), Sportwetten (4,7) und dem Kleinen Spiel im Casino (4,1).
Betroffen sind jüngere Männer aus bildungsfernen Schichten, insbesondere
Migranten und Arbeitslose. 95,5 % weisen eine komorbide psychische Störung
(71,1 % exkl. Substanzstörungen) auf.
Dreiviertel haben keinerlei Kontakt zum Hilfesystem.
Meyer et al. (2011). Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität,
Remission und Behandlung. Endbericht an das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport. Greifwald
und Lübeck.
Multizentrische Studie
Bundesweite Untersuchung
aller im Jahr 1993 in
ambulanten und stationären
Spezialeinrichtungen
beratenen und behandelten
pathologischen
Glücksspieler (N = 558).
P. Denzer, J. Petry, T. Baulig & U. Volker. (1995).Pathologisches Glücksspiel: Klientel und
Beratungsangebot (Ergebnisse der multizentrischen deskriptiven Studie des Bundesweiten Arbeitskreises
Glücksspielsucht). In DHS (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 96 (S. 279-295). Geesthacht: Neuland.
Die Klientel
Bei den beratenen/behandelten Glücksspielern handelt
es sich häufig um allein stehende junge Männer, die
bereits über viele Jahre mit einer hohen Intensität vor
allem an gewerblichen Geldspielautomaten spielen. Es
liegen erhebliche, vorwiegend glücksspielbedingte
Auffälligkeiten wie hohe Verschuldung, erhöhte
Suizidtendenz und häufige Delinquenz vor. Bei einer
erheblichen Teilgruppe besteht zusätzlich eine
stoffgebundene Abhängigkeit (Denzer et al., 1995;
Meyer & Hayer, 2005).
Denzer, P. et al. (1995). Pathologisches Glücksspiel: Klientel und Beratungs-/
Behandlungsangebot. In DHS (Hrsg.): Jahrbuch Sucht `96 (S. 279-295). Geesthacht: Neuland.
Meyer, G. & Hayer, T. (2005). Das Gefährdungspotential von Lotterien und Sportwetten. Bremen: Institut f.
Psychologie und Kognitionswissenschaft (Unveröffentl. Forschungsbericht).
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Glücksspielerkarriere
Mit dem Bild einer
beweglichen Spiralfeder
(Slinky) beschreibt Ladouceur
die Fixierung des
Glücksspielers, der aufgrund
zwischenzeitlicher Gewinne
sein Glücksspielen trotz
zunehmender Verluste
aufrecht erhält, obwohl er sich
auf einer Abwärtstreppe
befindet, die unweigerlich
nach unten führt.
Ladouceur,R. et al. (2002). Understanding and Treating the Pathological Gambler (p. 93). Chichester (UK):
John Wiley.
Aufholjagd
Chase:
„That is, they gamble and lose yet continue to gamble
some more in order to ‚get even‘.“
Compulsive Gambling:
„…are those people who through the chase become
trapped in a self-enclosed system of option usage and
involvement.“
Spiral of options and involvement:
„As involvement increases, the options available are
steadily used up and a spiral is created, something like a
cone.“ (1984: S. XVII)
Lesieur, H. R. (19842). The chase. Rochester: Schenkman (Ursprünglich 1977).
O‘Connor, J.V. & Dickerson, M.G. (2003). Definition and measurement of chasing in off-course betting and
gaming machine play. Journal of Gambling Studies, 19(4), 359-386.
Wilcke, A.-C. (2013). Identifikation pathologischer Online-Pokerspieler anhand ihres Spielverhaltens.
Suchttherapie, 14(S 01), 2.
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Drillingsstudie
J. Petry & R. Jahrreiss. Stationäre
medizinische Rehabilitation von
B. Peyer: Einführung in die
„Pathologischen
Glücksspielern“.
Verhaltenstherapie für visuelle
Deutsche
Rentenversicherung,
4/99,
Typen. Salzburg:
Otto Müller
196-218,
Verlag,
1978. 1999.
Lernen durch Einsicht
Pathologische Glücksspieler des
Entlassungsjahrganges 6/94 – 8/95
Entlassungen im
Untersuchungszeitraum
ca. 1300 Patienten
N = 7 Pathologische
Glücksspieler mit
Fremdmuttersprache
N=48 Pathologische
Glücksspieler (DSM III-R)
als Projektteilnehmer
Stoffgebundene Komorbidität
Alkoholabhängige Patienten
(einschl. ein Patient mit zusätzlicher
Medikamentenabhängigkeit)
N=18
N=23
N=7
Alkoholmissbraucher
(einschl. ein Patient mit
zusätzlichem Drogenmissbrauch)
„Reine“
pathologische
Glücksspieler
Bildung echter Drillinge nach Alter,
Geschlecht, Schuldbildung und Erwerbsstatus
Matching-Variablen
Alter
Mittelwert (MW)
Standardabweichung (s)
Geschlecht
- männlich
- weiblich
Schulbildung
- Hauptschule
- weiterbildene Schule
(Realschule/ Gymnasium)
Erwerbstätigkeit
- Arbeitstätigkeit
(Vollzeit -,Teilzeit beschäftigung, in
Ausbildung)
- arbeitslos
Pathologische
Glücksspieler
(N=48)
Suchtkranke
(N=48)
Psychosomatisch
Erkrankte
(N=48)
34,75
7,7
35,33
7,7
35,08
7,7
43
5
43
5
43
5
37
37
37
11
11
11
29
29
31
19
19
17
Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen
Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135.
Pathologische Glücksspieler mit und ohne
stoffgebundene Suchtproblematik
Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte
100
90
80
Pathologische Glücksspieler
ohne stoffgebundene Probleme:
VK MW = 46,39; s = 6,44
SG MW = 32,39;s = 10,85
70
Pathologische Glücksspieler
ohne stoffgebundene Probleme
60
50
40
Pathologische Glücksspieler
mit stoffgebundenen Problemen
30
Pathologische Glücksspieler
mit stoffgebundenen Probleme:
VK MW = 42,28; s = 7,75
SG MW = 31,08;s = 9,28
20
10
0
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte
Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen
Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135.
Verteilung der
Pathologischen Glücksspieler, Suchtkranken u.
psychosomatisch Erkrankten
Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte
100
50
Bereich
Glücksspieler
Suchtkanke
0
Psychosomatisch Erkrankte
0
50
100
Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte
Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen
Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135.
Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte
Gruppen der
Pathologischen Glücksspielern, Suchtkranken u.
psychosomatisch Erkrankten
100
90
80
70
Psychosomatisch
60
Erkrankte
50
40
30
20
Suchtkranke
Pathologische
Glücksspieler
10
0
0 10
20 30
40
50
60 70
80
90 100
Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte
Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen
Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135.
Vergleichende Typologie
Pathologischer Glücksspieler, Suchtkranker u.
psychosomatisch Erkrankter
Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte
100
90
80
70
Cl3 Ps
Cl2 Sk
60
50
Cl1 Sk
Cl3 Gl
40
Cl1 Ps
Cl2 Gl
30
20
10
0
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte
Pathologische Glücksspieler
Suchtkranke
Psychosomatisch Erkrankte
Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen
Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135.
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Transaktionsmodell
Persönlichkeit und
Lebensraum
V = f(P,U)
Quelle: C. Hampden-Turner:
Modelle des Menschen. Weinheim: Beltz, 1996.
Vulnerabilitätsmodell
Selbstwertproblematik
Beziehungsstörung
Gefühlsdysregulation
Unsicher-vermeidende
Bindungsmuster aufgrund
Broken Home-Situation
Innere Bedürfnisstruktur
Selbstwertsteigerung, Gefühlsabwehr, Austauschorientierung
Aktionsmöglichkeit, Erlebnisaktivierung, Kontaktangebot
Glücksspielangebote als äußere Anreizsituation
Petry, J. (2003). Glücksspielsucht: Entstehung und Behandlung. Göttingen: Hogrefe.
Vulnerabilitätsmodell: Selbstwert
Negativer emotionaler Selbstwert und Externalität (ANOVAs):
Beide Variablen sind unspezifisch:
Glücksspiel- Kontrollsüchtige (GS) Gruppe (KG)
Negativer
Emotionaler
Selbstwerta,b
Alkoholiker
(A)
4,00
2,19
3,58
3,32
2,80
3,22
Externalitäta,b
Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und b = A vs. KG
Vierhaus, M.; Ewering, J.; Klein, F.; Ködding, C. & Petry, J. (2012). Glücksspielsucht: Allgemeine
und spezifische Validität des Vulnerabilitätsmodells. Sucht, 58 (3), 183-193.
Vulnerabilitätsmodell: Gefühlsregulation
Negative Alltagsereignisse (ANOVA):
Die Variable ist spezifisch:
Glücksspielsüchtige ( GS)
Negative
Alltagsereignissea,c
1,32
KontrollGruppe (KG)
1,16
Alkoholiker
(A)
1,22
Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und c = GS vs. A
Vulnerabilitätsmodell: Gefühlsregulation
Bewältigungsstrategien (ANOVAs):
Die signifikanten Variablen sind bis auf Refokussiren unspezifisch:
Glücksspielsüchtige (GS)
KontrollGruppe (K)
Alkoholiker
(A)
Selbstbeschuldigunga,b
3.36
1.92
3.26
Akzeptierena,b
3.35
2.63
3.22
Ruminierena,b
3.44
2.34
3.49
Refokussierena
2.69
2.53
2.51
Planen
3.37
3.33
3.71
Neubewerten
3.08
3.04
3.05
Relativieren
2.92
2.78
2.76
Katastrophisierena,b
2.77
1.69
2.91
Fremdbeschuldigen
1.99
1.72
1.71
Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und c = GS vs. A
Vulnerabilitätsmodell: Beziehungsgestaltung
(Eltern-Kind-Beziehung ANOVAs):
Die Variable Eltern-Kind-Interaktion ist unspezifisch und die Variable
Disziplinierungserfahrungen spezifisch:
Glücksspielsüchtige
(GS)
KontrollGruppe (KG)
Alkoholiker
(A)
Negative
Eltern-Kindinteaktiona,b
3.56
2.47
3.15
Disziplinierungserfahrungena,c
3.25
2.09
2.57
Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG, b = A vs. KG und c = GS vs. A
Vulnerabilitätsmodell: Beziehungsgestaltung
Partnerbeziehung (ANOVAs):
Beide signifikanten Variablen sind unspezifisch
Glücksspiel- Kontrollsüchtige (GS) Gruppe (KG)
Alkoholiker
(A)
ÖffnungsBereitschafta,b
3.05
3.86
3.32
Akzeptanzproblemea,b
2,91
1.77
2.74
Zuwendungsbedürfnis
3,29
3.04
3.38
Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und b = A vs. KG
Allgemeine Validität
Glücksspielsüchtige vs.
Kontrollgruppe
Standardisierte
Diskriminanzkoeffizient
SW: Negativer emotionaler Selbstwert
.74
GR: Selbstbeschuldigung (Coping)
.64
BI: Akzeptanzprobleme (Parnerschaft)
.57
GR: Ruminieren (Coping)
.49
GR: Katastrophisieren (Coping)
.43
BI: Öffnungsbereitschaft (Parnerschaft)
-.39
BI: Negative Eltern-Kind-Interaktion
.39
GI: Akzeptieren (Coping)
.36
BI: Diziplinierungserfahrungen
.39
GR: Negative Alltagserlebnisse
.38
GR: Planen (Coping)
GR: Fremdbeschuldigung (Coping)
Reklassifikationsrate der Diskriminanzfunktion: 91, 7 %
Spezifische Validität
Glücksspielsüchtige vs. Alkoholiker
Standardisierte
Diskriminanzkoeffizent
SW: Negativer emotionaler Selbstwert
GR: Selbstbeschuldigung (Coping)
BI: Akzeptanzprobleme (Partnerschaft)
GR: Ruminieren (Coping)
GR: Katastrophisieren (Coping)
BI: Öffnungsbereitschaft (Partnerschaft)
BI: Negative Eltern-Kind-Interaktion
GR: Akzeptieren (Coping)
BI: Diziplinierungserfahrungen
.41
GR: Negative Alltagserlebnisse
.40
GR: Planen (Coping)
-.31
GR: Fremdbeschuldigung (Coping)
.35
Reklassifikationsrate der Diskriminanzfunktion: 73,0 %
Übersicht
1. Begrifflichkeit
2. Nosologie
3. Epidemiologie
4. Symptomatologie
5. Typologie
6. Ätiologie
7. Subjektive Funktionalität
Individuum und Gesellschaft
Individuelles Handeln wird in der Kritischen Psychologie
(Holzkamp, 1983) als gesamtgesellschaftlich vermittelt betrachtet.
Menschliches Handeln wird sowohl durch die objektiven
Bedingungen (gesellschaftliche Verhältnisse) vermittelt durch
gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen (durchschnittlich
notwendige Handlungen) als auch die subjektiven
Handlungsgründe (Alltagshandlungen in der Lebensführung)
bestimmt.
Die Bedeutungsstrukturen stellen lediglich
Handlungsmöglichkeiten dar, zu denen sich das Individuum
bewusst verhalten kann. Es wird postuliert, dass sich Menschen
nicht bewusst schaden.
Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus.
Individuum und Gesellschaft
In der kapitalistischen Gesellschaft bestehen jedoch über die
Lebenslage (soziale und familiäre Beziehungen im
Reproduktionsprozess) und Lebensposition
(Handlungsmöglichkeiten im Arbeitsprozess) vermittelte
restriktive Handlungsfähigkeiten.
Psychischen Störungen liegt eine Selbstfeindschaft, die mit
zunehmender sozialer Isolierung verbunden ist, zugrunde.
Bei süchtigem Verhalten kann das damit verbundene Risiko auch
bewusst zu Gunsten des Genusses in Kauf genommen werden
(Markard, 2009: S. 180ff.).
Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus.
Markard, M. (2009). Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument Verlag.
Formbestimmtheit als
Bedingungsdimension
In der Waren
produzierenden Gesellschaft
(Kapitalismus), in der dem
Arbeiter sowohl seine
Produkte als auch seine
Tätigkeit als etwas Fremdes
und Äußerliches
gegenübertreten
(Entfremdung)
ist der Geldspielautomat die
typische Glücksspielform der
Lohnabhängigen und des
Prekariats.
Freimut Wössner
Brand, C. (1993). Sucht und Automatenspiel. Freiburg: Lambertus.
Individuelle Handlungsrelevanz als
Bedeutungsdimension
Nach Arends (1988) lässt sich die Aktivität an den
gewerblichen Geldspielautomaten als Arbeitsprozess
interpretieren:
„ Vor allem mit den Risikotasten ist dem Spieler ein
weites Feld scheinbarer Einflussnahme eröffnet.
Diese ‚Arbeit‘ ist vielleicht das Attraktivste an dem
neuen Automatenspiel.“ (a.a.O.: S. 31).
Arends, M. (1988). Das große Geld. München: Wilhelm
Restriktive Handlungsfähigkeit als
Bedeutungsdimension
Brand (1993: S. 49) stellte einen Bezug des Automatenspiels zum
darin eingefangenen „Geist des Kapitalismus“ im Sinne Max
Webers (1905) her:
„ Das Risikospiel stellt so das Tellerwäscher- und
Bauchladenmodell des sozialen Aufstiegs nach, durch cleveren
und risikofreudigen Umgang mit dem winzig kleinen
Ausgangskapital zu Ruhm und Reichtum zu gelangen.“
Er zitiert Adorno (1980: S. 59):
„unter der Hand…die Konterbande von Verhaltensweisen aus der
Arbeit, welche die Menschen nicht losläßt, doch eingeschmuggelt
(wird)“. (a.a.O.: S. 53).
Adorno, Th. W. (1970). Freizeit. In Th. W. Adorno: Stichworte: Kritische Modelle 2 (S. 53 – 67). Frankfurt/M.:
Suhrkamp.
Brand, C. (1993). Sucht und Automatenspiel. Freiburg: Lambertus.
Weber, M. (1934) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Tübingen: J.C.B. Mohr
(ursprüngliche1905).
Restriktive Handlungsfähigkeit als
Bedeutungsdimension
Damit verbundene gesellschaftlichen
Denkformen wie die Redensart, dass jeder
seines Glückes Schmied sei, verkürzen und
mystifizieren die objektiven Bedingungen, da sie
von einer Chancengleichheit ausgehen, die nicht
gegeben ist.
Markart (2009) stellt dazu fest: „Damit findet
gleichzeitig eine Personalisierung der
gesellschaftlichen Verhältnisse statt, mit der im
Verbund gesellschaftliche Ungleichheit
naturalisiert wird.“ (a. a. O.: S. 201).
Markard, M. (2009). Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument Verlag.
Selbstfeindschaft als
Begründungsdimension
Die individuelle Vulnerabilität (Petry, 1996) stellt die Basis
der subjektiven Begründetheit / Funktionalität des
Glücksspielens dar und führt den Glücksspielsüchtigen in
seine überhebliche Selbstisolation.
Diese Widersprüchlichkeit beinhaltet den darin enthaltenen
Versuch, die subjektive Bedrohung der Handlungsfähigkeit
zu überwinden (chronische Bedrohtheitsfixierung).
Durch diese (unbewusste) Realitätsausklammerung
reproduziert er die gesellschaftlichen Bedingungen und
sozialen Strukturen seiner entfremdeten Lebenspraxis,
sodass er zu seinem eigenen Feind wird.
(Holzkamp, 1983: S. 376ff.) ff.).
Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus.
Petry, J. (1996). Psychotherapie der Glücksspielsucht. Weinheim: Beltz.
Das alles und noch viel mehr:
(www.joerg-petry.de)
Herunterladen