Glücksspielsucht: Störungsbild Dipl.-Psych. Dr. phil. Jörg Petry ( [email protected] ) Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalitäzt Das Hazardspiel Begrifflichkeit „Zocken“ beim Gaming und „responsible Gaming“ im Casino? 1. Playing: Spaß im Kinderspiel 2. Gaming: Kompetenz bei Wettbewerbs- und Leistungsspielen 1. Gambling: Zufall bei Geldwetten Ashley, L.R.N. (1990). „The Words of My Mouth, and the Meditation of My Heart“: The Mindset of Bablers Revealed in Their Language. Journal of Gabmling Studies, 6, 241 – 261. Glück – Spiel - Sucht Sprachliche Bezeichnungen: „Pathological Gambling“ „Glücksspielsucht“ Spiel: Funktion des Spiels als selbstwertsteigernde und entwicklungsfördernde Handlung Glück: Wetten, d.h. (vorwiegende) Zufallsspiele um Geldwerte, als Ernsthandlung Sucht: Schuld- und Schamgefühle als Ausdruck der gesellschaftlichen Ambivalenz gegenüber dem Glücksspielen. Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Nosologie undKategorien F0-F9 Liste derPersönlichkeitszweistelligen F6 Verhaltensstörungen F0 einschließlich symptomatischer psychischer Überblick organische über diesen Abschnitt: Störungen F60 F1 F2 F3 spezifische Persönlichkeitsstörungen F60.0 paranoide Persönlichkeitsstörung F60.1 schizoide Persönlichkeitsstörung F60.2 dissoziale Persönlichkeitsstörung F60.3 emotional instabile Persönlichkeitsstörung .30 impulsiver Typus .31 Borderline Typus F60.4 histrionische Persönlichkeitsstörung Schizophrenie, schizoptype und wahnhafte Störungen F60.5 anankastische Persönlichkeitsstörung F60.6 ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung F60.7 Störungen abhängige Persönlichkeitsstörung affektive F60.8 sonstige näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen F60.9 nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F4 neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen F5 und Faktoren andauernde PersönIichkeitsänderungen, nicht Folge einer Schädigung F61 F62 F6 F7 F8 F63 F9 F99 kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörungen F61.0 kombinierte Persönlichkeitsstörungen F61 .1 störende Persönlichkeitsänderungen Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen oder Krankheit des Gehirns F62.0 andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung F62.1 andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Krankheit F62.8 sonstige andauernde Persönlichkeitsänderungen Intelligenzminderung F62.9 nicht näher bezeichnete andauernde Persönlichkeitsänderung Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen Entwicklungsstörungen abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle Verhaltensund emotionale Glücksspiel Störungen mit Beginn in der F63.0 pathologisches Kindheit Jugend F63.1 und pathologische Brandstiftung (Pyromanie) F63.2 pathologisches Stehlen (Kleptomanie) F63.3 Trichotillomanie nicht näher bezeichnete psychische Störungen F63.8 sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle F63.9 nicht näher bezeichnete abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle H.Dilling et al.: Internationale Klassifikation Psychischer Störungen (ICD 10). Bern: Huber, 1991 DSM-5 Im DSM-5 wird die Oberkategorie der Suchtstörungen (Substance-Related and Addictive Disorders) um die nichtstoffgebundene Suchtform (Non-Substance-Related Disorders) der der Glücksspielsucht (Gambling Disorder) erweitert (APA, 2013; Dt. 2015). Die Kriterienzahl wird von 10 auf 9 ( es entfällt Item 8: Illegale Handlungen zur Finanzierung des Glücksspielens) und die Schwelle für „Störung durch Glücksspielen“ (Gambling Disorder) von 5 auf 4 gesenkt. Es erfolgt eine Zusammenfassung von Abhängigkeit und Missbrauch (Rumpf & Kiefer, 2011). Dafür wird der Schweregrad differenziert (leicht, mittelgradig, schwer). American Psychiatric Association (Ed.) (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. DSM-5. Washington, DC: American Psychiatric Publishing (Dt. 2015). Rumpf, H.-J. & Kiefer, F. (2011). DSM-5: Die Aufhebung der Unterscheidung von Abhängigkeit und Missbrauch und die Öffnung für Verhaltenssüchte. Sucht, 57(1), 45-48. Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Bevölkerungsprävalenz Untersuchung Erscheinungsjahr Bühringer et al. (2007) Buth & Stöver (2008) BZgA (2008) BZgA (2010) Sassen et al. (2011) Meyer et al. (2011) BZgA (2012) Altersspanne 18 – 64 18 – 65 16 – 65 16 – 65 18 – 64 14 – 65 16 – 65 Stichprobengröße) 8 Tsd. 8 Tsd. 10 Tsd. 10 Tsd. 8 Tsd. 15 Tsd. 10 Tsd. Methodik Festnetz Post Festnetz Post Online Festnetz Festnetz Festnetz Post Online Festnetz/ Mobilfon Face-to-FaceInterview Festnetz Antwortrate 48 % 56 % / 68 % 63 % 62 % 50 % 52 % / 57 % 60 % Messinstrument DSM-IV DSM-IV SOGS SOGS DSM-IV DSM-IV SOGS Problematisches Glücksspielen (% und gesch. Anzahl) 0,29 % (149 Tsd.) 0,64 % (134 Tsd.) 0,41 % (223 Tsd.) 0,64 % (346 Tsd.) 0,24 % (133 Tsd.) 0,31 % (172 Tsd.) 0,51 % (275 Tsd.) Pathologisches Glücksspielen (% und gesch. Anzahl) 0,20 % (103 Tsd.) 0,56 % (300 Tsd.) 0,19 % (104 Tsd.) 0,45 % (241 Tsd.) 0,31 % (172 Tsd.) 0,35 % (193 Tsd.) 0,49 % (265 Tsd.) Probl./Path. Glücksspielen (% und gesch. Anzahl) 0,49 % (252 Tsd.) 1,20 % (640 Tsd.) 0,60 % (327 Tsd.) 1,09 % (587 Tsd.) 0,55 % (305 Tsd.) 0,66 % (365 Tsd.) 1,00 % (540 Tsd.) Bevölkerungsprävalenz Die aufwendigste epidemiologische Studie (Meyer et al., 2011) ergab eine Lebenszeitprävalenz von 1,0% und 1,5 % bei den 14- bis 17jährigen. Die 12Monats-Prävalenz betrug für problematisches Glücksspielen 0,31 %, d. h. geschätzte 172 Tsd. und für pathologisches Glücksspielen 0,35 %, d. h. geschätzte 193 Tsd. Personen. Das Geldautomatenspiel beinhaltet ein 6,3fach erhöhtes Risiko, gefolgt von Pokern (5,0), Sportwetten (4,7) und dem Kleinen Spiel im Casino (4,1). Betroffen sind jüngere Männer aus bildungsfernen Schichten, insbesondere Migranten und Arbeitslose. 95,5 % weisen eine komorbide psychische Störung (71,1 % exkl. Substanzstörungen) auf. Dreiviertel haben keinerlei Kontakt zum Hilfesystem. Meyer et al. (2011). Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung. Endbericht an das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport. Greifwald und Lübeck. Multizentrische Studie Bundesweite Untersuchung aller im Jahr 1993 in ambulanten und stationären Spezialeinrichtungen beratenen und behandelten pathologischen Glücksspieler (N = 558). P. Denzer, J. Petry, T. Baulig & U. Volker. (1995).Pathologisches Glücksspiel: Klientel und Beratungsangebot (Ergebnisse der multizentrischen deskriptiven Studie des Bundesweiten Arbeitskreises Glücksspielsucht). In DHS (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 96 (S. 279-295). Geesthacht: Neuland. Die Klientel Bei den beratenen/behandelten Glücksspielern handelt es sich häufig um allein stehende junge Männer, die bereits über viele Jahre mit einer hohen Intensität vor allem an gewerblichen Geldspielautomaten spielen. Es liegen erhebliche, vorwiegend glücksspielbedingte Auffälligkeiten wie hohe Verschuldung, erhöhte Suizidtendenz und häufige Delinquenz vor. Bei einer erheblichen Teilgruppe besteht zusätzlich eine stoffgebundene Abhängigkeit (Denzer et al., 1995; Meyer & Hayer, 2005). Denzer, P. et al. (1995). Pathologisches Glücksspiel: Klientel und Beratungs-/ Behandlungsangebot. In DHS (Hrsg.): Jahrbuch Sucht `96 (S. 279-295). Geesthacht: Neuland. Meyer, G. & Hayer, T. (2005). Das Gefährdungspotential von Lotterien und Sportwetten. Bremen: Institut f. Psychologie und Kognitionswissenschaft (Unveröffentl. Forschungsbericht). Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Glücksspielerkarriere Mit dem Bild einer beweglichen Spiralfeder (Slinky) beschreibt Ladouceur die Fixierung des Glücksspielers, der aufgrund zwischenzeitlicher Gewinne sein Glücksspielen trotz zunehmender Verluste aufrecht erhält, obwohl er sich auf einer Abwärtstreppe befindet, die unweigerlich nach unten führt. Ladouceur,R. et al. (2002). Understanding and Treating the Pathological Gambler (p. 93). Chichester (UK): John Wiley. Aufholjagd Chase: „That is, they gamble and lose yet continue to gamble some more in order to ‚get even‘.“ Compulsive Gambling: „…are those people who through the chase become trapped in a self-enclosed system of option usage and involvement.“ Spiral of options and involvement: „As involvement increases, the options available are steadily used up and a spiral is created, something like a cone.“ (1984: S. XVII) Lesieur, H. R. (19842). The chase. Rochester: Schenkman (Ursprünglich 1977). O‘Connor, J.V. & Dickerson, M.G. (2003). Definition and measurement of chasing in off-course betting and gaming machine play. Journal of Gambling Studies, 19(4), 359-386. Wilcke, A.-C. (2013). Identifikation pathologischer Online-Pokerspieler anhand ihres Spielverhaltens. Suchttherapie, 14(S 01), 2. Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Drillingsstudie J. Petry & R. Jahrreiss. Stationäre medizinische Rehabilitation von B. Peyer: Einführung in die „Pathologischen Glücksspielern“. Verhaltenstherapie für visuelle Deutsche Rentenversicherung, 4/99, Typen. Salzburg: Otto Müller 196-218, Verlag, 1978. 1999. Lernen durch Einsicht Pathologische Glücksspieler des Entlassungsjahrganges 6/94 – 8/95 Entlassungen im Untersuchungszeitraum ca. 1300 Patienten N = 7 Pathologische Glücksspieler mit Fremdmuttersprache N=48 Pathologische Glücksspieler (DSM III-R) als Projektteilnehmer Stoffgebundene Komorbidität Alkoholabhängige Patienten (einschl. ein Patient mit zusätzlicher Medikamentenabhängigkeit) N=18 N=23 N=7 Alkoholmissbraucher (einschl. ein Patient mit zusätzlichem Drogenmissbrauch) „Reine“ pathologische Glücksspieler Bildung echter Drillinge nach Alter, Geschlecht, Schuldbildung und Erwerbsstatus Matching-Variablen Alter Mittelwert (MW) Standardabweichung (s) Geschlecht - männlich - weiblich Schulbildung - Hauptschule - weiterbildene Schule (Realschule/ Gymnasium) Erwerbstätigkeit - Arbeitstätigkeit (Vollzeit -,Teilzeit beschäftigung, in Ausbildung) - arbeitslos Pathologische Glücksspieler (N=48) Suchtkranke (N=48) Psychosomatisch Erkrankte (N=48) 34,75 7,7 35,33 7,7 35,08 7,7 43 5 43 5 43 5 37 37 37 11 11 11 29 29 31 19 19 17 Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135. Pathologische Glücksspieler mit und ohne stoffgebundene Suchtproblematik Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte 100 90 80 Pathologische Glücksspieler ohne stoffgebundene Probleme: VK MW = 46,39; s = 6,44 SG MW = 32,39;s = 10,85 70 Pathologische Glücksspieler ohne stoffgebundene Probleme 60 50 40 Pathologische Glücksspieler mit stoffgebundenen Problemen 30 Pathologische Glücksspieler mit stoffgebundenen Probleme: VK MW = 42,28; s = 7,75 SG MW = 31,08;s = 9,28 20 10 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135. Verteilung der Pathologischen Glücksspieler, Suchtkranken u. psychosomatisch Erkrankten Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte 100 50 Bereich Glücksspieler Suchtkanke 0 Psychosomatisch Erkrankte 0 50 100 Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135. Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte Gruppen der Pathologischen Glücksspielern, Suchtkranken u. psychosomatisch Erkrankten 100 90 80 70 Psychosomatisch 60 Erkrankte 50 40 30 20 Suchtkranke Pathologische Glücksspieler 10 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135. Vergleichende Typologie Pathologischer Glücksspieler, Suchtkranker u. psychosomatisch Erkrankter Verhaltenskontrolle (VK) - T-Werte 100 90 80 70 Cl3 Ps Cl2 Sk 60 50 Cl1 Sk Cl3 Gl 40 Cl1 Ps Cl2 Gl 30 20 10 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Seelische Gesundheit (SG) - T-Werte Pathologische Glücksspieler Suchtkranke Psychosomatisch Erkrankte Petry, J. (2001). Vergleichende Psychopathologie von stationär behandelten „Pathologischen Glücksspielern“. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 30 (2), 123-135. Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Transaktionsmodell Persönlichkeit und Lebensraum V = f(P,U) Quelle: C. Hampden-Turner: Modelle des Menschen. Weinheim: Beltz, 1996. Vulnerabilitätsmodell Selbstwertproblematik Beziehungsstörung Gefühlsdysregulation Unsicher-vermeidende Bindungsmuster aufgrund Broken Home-Situation Innere Bedürfnisstruktur Selbstwertsteigerung, Gefühlsabwehr, Austauschorientierung Aktionsmöglichkeit, Erlebnisaktivierung, Kontaktangebot Glücksspielangebote als äußere Anreizsituation Petry, J. (2003). Glücksspielsucht: Entstehung und Behandlung. Göttingen: Hogrefe. Vulnerabilitätsmodell: Selbstwert Negativer emotionaler Selbstwert und Externalität (ANOVAs): Beide Variablen sind unspezifisch: Glücksspiel- Kontrollsüchtige (GS) Gruppe (KG) Negativer Emotionaler Selbstwerta,b Alkoholiker (A) 4,00 2,19 3,58 3,32 2,80 3,22 Externalitäta,b Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und b = A vs. KG Vierhaus, M.; Ewering, J.; Klein, F.; Ködding, C. & Petry, J. (2012). Glücksspielsucht: Allgemeine und spezifische Validität des Vulnerabilitätsmodells. Sucht, 58 (3), 183-193. Vulnerabilitätsmodell: Gefühlsregulation Negative Alltagsereignisse (ANOVA): Die Variable ist spezifisch: Glücksspielsüchtige ( GS) Negative Alltagsereignissea,c 1,32 KontrollGruppe (KG) 1,16 Alkoholiker (A) 1,22 Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und c = GS vs. A Vulnerabilitätsmodell: Gefühlsregulation Bewältigungsstrategien (ANOVAs): Die signifikanten Variablen sind bis auf Refokussiren unspezifisch: Glücksspielsüchtige (GS) KontrollGruppe (K) Alkoholiker (A) Selbstbeschuldigunga,b 3.36 1.92 3.26 Akzeptierena,b 3.35 2.63 3.22 Ruminierena,b 3.44 2.34 3.49 Refokussierena 2.69 2.53 2.51 Planen 3.37 3.33 3.71 Neubewerten 3.08 3.04 3.05 Relativieren 2.92 2.78 2.76 Katastrophisierena,b 2.77 1.69 2.91 Fremdbeschuldigen 1.99 1.72 1.71 Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und c = GS vs. A Vulnerabilitätsmodell: Beziehungsgestaltung (Eltern-Kind-Beziehung ANOVAs): Die Variable Eltern-Kind-Interaktion ist unspezifisch und die Variable Disziplinierungserfahrungen spezifisch: Glücksspielsüchtige (GS) KontrollGruppe (KG) Alkoholiker (A) Negative Eltern-Kindinteaktiona,b 3.56 2.47 3.15 Disziplinierungserfahrungena,c 3.25 2.09 2.57 Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG, b = A vs. KG und c = GS vs. A Vulnerabilitätsmodell: Beziehungsgestaltung Partnerbeziehung (ANOVAs): Beide signifikanten Variablen sind unspezifisch Glücksspiel- Kontrollsüchtige (GS) Gruppe (KG) Alkoholiker (A) ÖffnungsBereitschafta,b 3.05 3.86 3.32 Akzeptanzproblemea,b 2,91 1.77 2.74 Zuwendungsbedürfnis 3,29 3.04 3.38 Signifikante Unterschiede zwischen a = GS vs. KG und b = A vs. KG Allgemeine Validität Glücksspielsüchtige vs. Kontrollgruppe Standardisierte Diskriminanzkoeffizient SW: Negativer emotionaler Selbstwert .74 GR: Selbstbeschuldigung (Coping) .64 BI: Akzeptanzprobleme (Parnerschaft) .57 GR: Ruminieren (Coping) .49 GR: Katastrophisieren (Coping) .43 BI: Öffnungsbereitschaft (Parnerschaft) -.39 BI: Negative Eltern-Kind-Interaktion .39 GI: Akzeptieren (Coping) .36 BI: Diziplinierungserfahrungen .39 GR: Negative Alltagserlebnisse .38 GR: Planen (Coping) GR: Fremdbeschuldigung (Coping) Reklassifikationsrate der Diskriminanzfunktion: 91, 7 % Spezifische Validität Glücksspielsüchtige vs. Alkoholiker Standardisierte Diskriminanzkoeffizent SW: Negativer emotionaler Selbstwert GR: Selbstbeschuldigung (Coping) BI: Akzeptanzprobleme (Partnerschaft) GR: Ruminieren (Coping) GR: Katastrophisieren (Coping) BI: Öffnungsbereitschaft (Partnerschaft) BI: Negative Eltern-Kind-Interaktion GR: Akzeptieren (Coping) BI: Diziplinierungserfahrungen .41 GR: Negative Alltagserlebnisse .40 GR: Planen (Coping) -.31 GR: Fremdbeschuldigung (Coping) .35 Reklassifikationsrate der Diskriminanzfunktion: 73,0 % Übersicht 1. Begrifflichkeit 2. Nosologie 3. Epidemiologie 4. Symptomatologie 5. Typologie 6. Ätiologie 7. Subjektive Funktionalität Individuum und Gesellschaft Individuelles Handeln wird in der Kritischen Psychologie (Holzkamp, 1983) als gesamtgesellschaftlich vermittelt betrachtet. Menschliches Handeln wird sowohl durch die objektiven Bedingungen (gesellschaftliche Verhältnisse) vermittelt durch gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen (durchschnittlich notwendige Handlungen) als auch die subjektiven Handlungsgründe (Alltagshandlungen in der Lebensführung) bestimmt. Die Bedeutungsstrukturen stellen lediglich Handlungsmöglichkeiten dar, zu denen sich das Individuum bewusst verhalten kann. Es wird postuliert, dass sich Menschen nicht bewusst schaden. Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus. Individuum und Gesellschaft In der kapitalistischen Gesellschaft bestehen jedoch über die Lebenslage (soziale und familiäre Beziehungen im Reproduktionsprozess) und Lebensposition (Handlungsmöglichkeiten im Arbeitsprozess) vermittelte restriktive Handlungsfähigkeiten. Psychischen Störungen liegt eine Selbstfeindschaft, die mit zunehmender sozialer Isolierung verbunden ist, zugrunde. Bei süchtigem Verhalten kann das damit verbundene Risiko auch bewusst zu Gunsten des Genusses in Kauf genommen werden (Markard, 2009: S. 180ff.). Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus. Markard, M. (2009). Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument Verlag. Formbestimmtheit als Bedingungsdimension In der Waren produzierenden Gesellschaft (Kapitalismus), in der dem Arbeiter sowohl seine Produkte als auch seine Tätigkeit als etwas Fremdes und Äußerliches gegenübertreten (Entfremdung) ist der Geldspielautomat die typische Glücksspielform der Lohnabhängigen und des Prekariats. Freimut Wössner Brand, C. (1993). Sucht und Automatenspiel. Freiburg: Lambertus. Individuelle Handlungsrelevanz als Bedeutungsdimension Nach Arends (1988) lässt sich die Aktivität an den gewerblichen Geldspielautomaten als Arbeitsprozess interpretieren: „ Vor allem mit den Risikotasten ist dem Spieler ein weites Feld scheinbarer Einflussnahme eröffnet. Diese ‚Arbeit‘ ist vielleicht das Attraktivste an dem neuen Automatenspiel.“ (a.a.O.: S. 31). Arends, M. (1988). Das große Geld. München: Wilhelm Restriktive Handlungsfähigkeit als Bedeutungsdimension Brand (1993: S. 49) stellte einen Bezug des Automatenspiels zum darin eingefangenen „Geist des Kapitalismus“ im Sinne Max Webers (1905) her: „ Das Risikospiel stellt so das Tellerwäscher- und Bauchladenmodell des sozialen Aufstiegs nach, durch cleveren und risikofreudigen Umgang mit dem winzig kleinen Ausgangskapital zu Ruhm und Reichtum zu gelangen.“ Er zitiert Adorno (1980: S. 59): „unter der Hand…die Konterbande von Verhaltensweisen aus der Arbeit, welche die Menschen nicht losläßt, doch eingeschmuggelt (wird)“. (a.a.O.: S. 53). Adorno, Th. W. (1970). Freizeit. In Th. W. Adorno: Stichworte: Kritische Modelle 2 (S. 53 – 67). Frankfurt/M.: Suhrkamp. Brand, C. (1993). Sucht und Automatenspiel. Freiburg: Lambertus. Weber, M. (1934) Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Tübingen: J.C.B. Mohr (ursprüngliche1905). Restriktive Handlungsfähigkeit als Bedeutungsdimension Damit verbundene gesellschaftlichen Denkformen wie die Redensart, dass jeder seines Glückes Schmied sei, verkürzen und mystifizieren die objektiven Bedingungen, da sie von einer Chancengleichheit ausgehen, die nicht gegeben ist. Markart (2009) stellt dazu fest: „Damit findet gleichzeitig eine Personalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse statt, mit der im Verbund gesellschaftliche Ungleichheit naturalisiert wird.“ (a. a. O.: S. 201). Markard, M. (2009). Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument Verlag. Selbstfeindschaft als Begründungsdimension Die individuelle Vulnerabilität (Petry, 1996) stellt die Basis der subjektiven Begründetheit / Funktionalität des Glücksspielens dar und führt den Glücksspielsüchtigen in seine überhebliche Selbstisolation. Diese Widersprüchlichkeit beinhaltet den darin enthaltenen Versuch, die subjektive Bedrohung der Handlungsfähigkeit zu überwinden (chronische Bedrohtheitsfixierung). Durch diese (unbewusste) Realitätsausklammerung reproduziert er die gesellschaftlichen Bedingungen und sozialen Strukturen seiner entfremdeten Lebenspraxis, sodass er zu seinem eigenen Feind wird. (Holzkamp, 1983: S. 376ff.) ff.). Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus. Petry, J. (1996). Psychotherapie der Glücksspielsucht. Weinheim: Beltz. Das alles und noch viel mehr: (www.joerg-petry.de)