„I love my prophet“ - Zwischen Lifestyle, Glauben und Mission

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ANALYSE
September 2009
„I love my prophet“ - Zwischen
Lifestyle, Glauben und Mission.
Islamische Jugendkulturen
in Deutschland
Götz Nordbruch
Muslim youngsters play an increasing role in shaping contemporary youth
cultures in Germany. In this context, religion and religiosity is but one factor
influencing the individual choices for specific lifestyles and cultural scenes.
Focusing on organizations such as the Muslim Youth in Germany, this article
highlights the merging of Muslim and German identities in these current’s
statements and activities.
Published in „Unsere Jugend. Zeitschrift für Studium um
Praxis der Sozialpädagogik“, Sep. 2009, p. 360-36
Götz Nordbruch: ”I love my Prophet” - Zwischen Lifestyle, Glauben und Mission.
„Muslim, jung und deutsch“ - unter diesem Motto wirbt die Muslimische Jugend in Deutschland (MJD) für ihre Veranstaltungen. Der 1994 gegründete
Verein bemüht sich nach eigener Darstellung darum, „muslimische Jugendliche
zusammenbringen und diese dazu einzuladen, den Islam zu praktizieren und
ihre Kenntnis des islamischen Glaubens zu erweitern und zu vertiefen“. Die
MJD beschreibt sich selbst als „lebendig“ und „islamisch“ -- und wendet sich
ausdrücklich gegen das Klischee einer Parallelgesellschaft, in die sich junge
Muslime immer mehr zurückziehen würden. Als Verein deutscher Muslime
befinde man sich im Gegenteil „mittendrin“ in der Gesellschaft -- und sei „hip,
schließlich sind wir Jugendliche“ (Website der Muslimischen Jugend in Deutschland: Mjd-net.de).
Islamische Jugendkulturen im Plural - und als Teil der hiesigen Gesellschaft
Mit ihrem selbstbewussten Bekenntnis zum Islam steht die MJD stellvertretend
für eine jugendkulturelle Szene, die in den vergangenen Jahren entstanden ist.
Den Vertretern dieser islamisch geprägten Jugendkultur geht es nicht allein um
religiöse Unterweisung. Ausdrückliches Ziel ist eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Mit ehrenamtlichem Engagement in der Bildungs- und
Jugendarbeit und öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie Blutspenden, dem
Verteilen von belegten Brötchen an Obdachlose und der Organisation von
Umwelttagen haben sich verschiedene Initiativen aus diesem Spektrum als Kooperationspartner in der kommunalen Arbeit etabliert (für Beispiele solcher
Kooperationen siehe Muslimische Akademie in Deutschland/Beauftragter des
Senats für Integration und Migration 2008). Der islamische Lifestyle, der von
diesen Akteuren maßgeblich geprägt wird, beinhaltet dabei auch eine Botschaft
an die nicht-islamische Umwelt: „Ich bin Muslim -- und als Muslim fordere ich
einen Platz in der Gesellschaft!“
Die Bedeutung dieser Botschaft für den Einzelnen und dessen Verhältnis zur
nicht-islamischen Gesellschaft unterscheidet sich in den verschiedenen Strömungen dieser jugendkulturellen Szenen. Schließlich variieren die Vorstellungen über den Islam und dessen Relevanz für den Alltag des Gläubigen zum Teil
erheblich. Die islamwissenschaftliche Erkenntnis, dass der Islam zunächst einmal das ist, was Muslime selbst als Islam bezeichnen, gilt daher auch für die
Auseinandersetzung mit islamisch-geprägten Jugendkulturen: Weder gibt es
den historisch unveränderten Islam, der sich im 7. Jahrhundert entwickelte und
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der über die Jahrhunderte von Muslimen gelebt wurde. Noch gibt es einen Islam, auf den sich alle Muslime einigen könnten.
Die Unterschiedlichkeit der Vorstellungen, was der Islam sei und wie er praktiziert werden müsse, lässt sich mit der Vielzahl der Initiativen illustrieren, die in
den letzten Jahren von jungen Muslimen gegründet wurden. Vereine wie die
Muslimische Jugend in Deutschland, die Islamische Denkfabrik oder
M.A.H.D.I. e. V. haben mit ihren vielfältigen Freizeitangeboten und ihren in der
Regel professionell gemachten Internetauftritten kaum noch etwas mit den traditionellen Moscheevereinen gemeinsam. „Importimame“, die in dämmrigen
Fabrikhallen und stickigen Ladenzeilen zum Auswendiglernen des Korans anhalten, sind hier Geschichte.
Dagegen ist die Ausrichtung von Weblog-Wettbewerben, Graffiti-Contests und
HipHop-Konzerten, die von diesen Vereinen oft in Zusammenarbeit mit islamischen Online-Projekten organisiert werden, für viele alteingesessene Gemeindevorstände auch heute noch undenkbar. Auch das Angebot von Streetwear, Kaffeetassen und Mousepads mit islamischen Motiven, wie sie zum
Beispiel vom Lifestyle-Label Styleislam vertrieben werden, stößt nicht immer
auf Gegenliebe. Auf vielen Veranstaltungen junger Muslime sind solche Accessoires mit Slogans wie „I love my prophet“, „Muslim by nature“ und „Hijab:
My right, my choice, my life“ dagegen heute ebenso selbstverständlich wie
Multimediapräsentationen mit Powerpoint und Beamer (zum Selbstverständnis
des Streetwear-Labels Styleislam siehe Kesmen 2009).
Moderner Lifestyle und ein explizites Selbstverständnis als deutscher Muslim
sind nicht gleichbedeutend mit einem liberalen Weltbild und einer emanzipatorischen Wertorientierung. Vereine wie die MJD beziehen sich zum Teil auch auf
konservative, aber sehr populäre islamische Prediger und Gelehrte wie Amr
Khaled, Tariq Ramadan und Yusuf al-Qaradawi. So ist zum Beispiel für Qaradawi das Spielen von Musik nur dann mit dem Islam vereinbar, wenn die Inhalte der Musik den Maßgaben des Islam entsprechen.
Trotz der oft sehr konservativen Werte und Menschenbilder, die hier vertreten
werden, steht die neue street credibility des Islam auch für das Ende der Hinterhofmoscheen, die noch in den 90er Jahren das islamische Leben in Deutschland maßgeblich bestimmten. Der Islam ist nicht nur vielfältiger, sondern auch
sichtbarer geworden -- zum Beispiel in Schulen und in Einrichtungen der Jugend- und Sozialarbeit, aber vor allem auch im Internet und in jugendkulturel-
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len Medien. Die Attraktivität dieses explizit islamischen Lifestyles hat
schließlich auch bei traditionelleren islamischen Verbänden eine Neuorientierung befördert. So wendet sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland mit
seinem Multimedia-Portal waymo (waymo.de) ausdrücklich an ein technikaffines jugendliches Publikum. In ähnlicher Weise spiegelt sich auch in dem
modernen Online-Auftritt der islamistischen Islamischen Gemeinschaft Milli
Görüs (IGMG) (igmg.de) das Bemühen, sich für eine nicht-islamische Öffentlichkeit, aber eben auch für muslimische Jugendliche zu öffnen.
Das wachsende Interesse an jungen Muslimen ist daher nicht überraschend.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die sich mit Einstellungsmustern, Sozialisationsprozessen und kulturellen Orientierungen von muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen beschäftigen. Diese Untersuchungen beobachten
eine zunehmende subjektive Religiösität unter jungen Muslimen. Dabei werden
diese Jugendliche oft als Reborn Muslims oder als Neo-Muslima beschrieben,
um deren „neue Religiösität“ hervorzuheben. Allerdings handelt es sich keineswegs in allen Fällen um eine „Rückkehr“ zu einer Religion, von der sich diese Jugendlichen zuvor vorübergehend abgewendet hätten. Viele Jugendliche
sehen ihre persönliche Entwicklung eher als einen Bruch mit einer weitgehend
säkularen Erziehung, die sie in ihrem familiären Umfeld erhalten hatten. Religion spielte für sie zuvor oft kaum eine Rolle.
Die zunehmende Religiösität vieler Jugendlicher ist gut dokumentiert. In einer
Umfrage des Zentrums für Türkeistudien bezeichneten sich unter jungen türkischstämmigen Muslimen zwischen 18 und 29 Jahren ein Fünftel der Befragten
als „sehr religiös“. Weitere 60% hielten sich für „eher religiös“, wobei die Religiösität den Ergebnissen dieser Umfrage zufolge mit höherer Schulbildung tendenziell zunimmt. Dies war 2005. In einer ähnlichen Umfrage fünf Jahre zuvor
waren die entsprechenden Werte deutlich niedriger. Lediglich 5% der Befragten
beschrieben sich damals als „sehr religiös“, während sich 59% als „eher religiös“ bezeichneten (Sen 2008,19).
Die zunehmende Bedeutung der Religion zeigt sich auch in der religiösen Praxis. So belegen die Umfragen eine konsequentere Orientierung an islamischen
Geboten und Glaubensinhalten. Die Einhaltung des Fastenmonats Ramadan,
regelmäßige Moscheebesuche und das Zahlen von Almosen werden danach
von einer im Vergleich zu früheren Umfragen deutlich größeren Gruppe junger
Muslime als zentraler Teil des islamischen Glaubens praktiziert. Dem entspricht
ein Trend zu konservativen Deutungen der islamischen Traditionen und Gebo-
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te. In der 2005 durchgeführten Studie stimmten etwa 60% der Befragten der
Aussage zu, muslimische Frauen sollten sich in der Öffentlichkeit mit einen
Kopftuch bedecken. Fünf Jahre zuvor wurde diese Ansicht von nur knapp 22%
geteilt (Sen 2008, 29).
Es wäre dennoch irreführend, von einem einheitlichen Trend zu sprechen.
Auch die islamisch-geprägten Jugendszenen finden zahlreiche und nicht selten
widersprüchliche Ausdrucksformen -- wobei soziale, sprachliche und kulturelle
Prägungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen (vgl. Tietze 2001, 56-172). Dies schlägt sich nicht zuletzt in teilweise gegensätzlichen Entwicklungen
hinsichtlich der Verbundenheit muslimischer Jugendlicher mit der deutschen
Gesellschaft nieder. In jüngeren Studien wurde auf die relative Distanz hingewiesen, die junge muslimische MigrantInnen im Vergleich zu nichtmuslimischen MigrantInnen gegenüber Deutschland aufweisen (siehe dazu
Brettfeld/Wetzel 2007, 219--221 und Foroutan/Schäfer 2009). Demgegenüber
gehört das Selbstverständnis als deutsche Muslime zu den wesentlichen Merkmalen der islamischen Jugendkultur, wie sie von Vereinen wie der MJD geprägt
werden. Der Name „Muslime aller Herkünfte deutscher Identität“ des Berliner
Vereins M.A.H.D.I. e. V. bringt diesen Anspruch beispielhaft zum Ausdruck.
Auch wenn die Mitglieder des Vereines selbst zu einem großen Teil aus einem
libanesisch-schiitisch geprägten Milieu kommen, versteht sich der Verein
ausdrücklich als Zusammenschluss deutscher Muslime.
Themen und Angebote -- zwischen Pop-Islam und Salafismus
Vor diesem Hintergrund sind auch die Gemeinsamkeiten und Bezüge zwischen
islamischen und nicht-islamischen Jugendkulturen zu berücksichtigen. In vielerlei Hinsicht ähneln sich die Stile, Interessen und Trends, die von jungen Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland gelebt werden. Oft sind es eher Bildungsniveau und sozialer Status als Religionszugehörigkeit und subjektive Religiösität, die die individuelle Wahl des Lifestyles und die Szenezugehörigkeit
beeinflussen. Die islamisch geprägten jugendkulturellen Akteure, Themen und
Ausdrucksformen sind insofern selbstverständlicher Teil der hiesigen Gesellschaft. Sie spiegeln die Lebenswege und Lebenslagen von jungen Muslimen,
die in Deutschland aufgewachsen sind und hier ihre Zukunft sehen (siehe dazu
Lübcke 2007 und Bucher/Bonfadelli 2007).
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Mit dem Ausdruck „Pop-Islams“ hat Julia Gerlach den Begriff für eine moderne, aber konservativ-religiöse Strömung unter muslimischen Jugendlichen
geprägt, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewann (Gerlach 2006).
Diese Strömung beschränkt sich nicht auf einzelne organisierte Akteure, sondern umfasst ein weites Feld, das durch verschiedene Vereine, Internetangebote, populäre Prediger und islamische Bands abgesteckt ist. Die organisierten
Mitglieder der Muslimischen Jugend in Deutschland bilden lediglich den Kern
dieser Szene, die sich eher über islamischen Lifestyle und Bekenntnisse zur
„Geschwisterlichkeit“ unter Muslimen als über formale Mitgliedschaft bestimmen lässt. Mit ihrer „Streetwear für die junge Umma“, der Gemeinschaft der
Gläubigen, bietet das Online-Modelabel Comuni-t (comuni-t.com) jene Accessoires, die die Zugehörigkeit zur Szene deutlich machen.
Eine noch prominentere Rolle spielt das Lifestyle-Label Styleislam, das sich
auch als Sponsor von Aktivitäten aus dem weiteren Umfeld dieser Szene einen
Namen gemacht hat. Die Zusammenarbeit des Labels mit der MJD und der islamischen Social Community-Plattform myumma.de macht dabei die identitäre
und gemeinschaftsbildende Funktion dieser Netzwerke deutlich. Ihre Ausstrahlung zeigt sich nicht zuletzt auch in der Popularität der Veranstaltungen, die
von Vereinen wie der MJD oder den Lifemakers angeboten werden. An den
Jahrestreffen der MJD nahmen in den vergangenen Jahren wiederholt über
1.000 Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Anders als die Beiträge im
Community-Netzwerks myumma.de, die sich vornehmlich mit religiösen Themen beschäftigen, bieten diese Veranstaltungen ein deutlich breiteres Angebot.
Neben Diskussionsrunden zu religiösen Fragen wie jener nach der Vereinbarkeit von Islam und Musik werden hier auch Selbsthilfe-Workshops zur Autoreparatur oder Taekwondo-Kurse für Mädchen angeboten.
Trotz der Popularität dieser Veranstaltung ist diese Strömung auch unter jungen Muslimen keineswegs unumstritten. Gerade das hippe und betont moderne Erscheinungsbild wird von Anhängern salafitischer Gruppierungen entschieden abgelehnt. In Umfeld von Predigern in Berlin, Braunschweig, Köln
oder Leipzig haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Gruppen gebildet, die durch die ebenso charismatischen wie theologisch versierten Islamlehrer angezogen werden. Zu den Veranstaltungen von Predigern wie dem ehemaligen Kölner Boxer Pierre Vogel und dem Berliner Imam Abdel Adhim Kamouss, die wiederholt auch prominente saudische Gelehrte zu Gastvorträgen
eingeladen haben, kommen mittlerweile nicht selten mehrere hundert Personen.
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Charakteristisch für die Sichtweisen dieser Prediger ist nicht nur das offensiv
nach außen getragene Bekenntnis zum Islam, sondern auch die vehemente Kritik und offene Abwertung nicht-islamischer Lebensweisen und Vorstellungen.
Anders als der Pop-Islam steht diese Strömung für rigide Lesarten der islamischen Quellen. Sie predigt einen Rückbezug auf die Lehren der Salafiyya, der
Altvorderen der islamischen Geschichte -- und damit eine deutliche Abgrenzung von der nicht-islamischen Umwelt. In der jüngeren Vergangenheit wurde
auch auf Verbindungen hingewiesen, die einzelne Vertreter dieser Szene zu
mutmaßlichen Terroristen unterhalten. Im deutlichen Unterschied zu Vereinen
wie der MJD, die sich ausdrücklich gegen den Einsatz von Gewalt aussprechen
und sich als Teil der deutschen Gesellschaft definieren, bietet die salafitische
Szene damit Anknüpfungspunkte für dschihadistische Aktivitäten.
Zuspruch finden salafitischen Prediger keineswegs allein unter bildungsfernen
Jugendlichen. Ähnlich wie in pop-islamischen Szenen sind es nicht zuletzt auch
Jugendliche und junge Erwachsene mit höheren Schulabschlüssen, die mit den
Angeboten erreicht werden. Auch hier hat das Internet einen hohen Stellenwert
als Kommunikations- und Informationsmedium gewonnen. Über Webangebote, Diskussionsforen und Audio- und Videodateien erreichen diese Gruppierungen ein breites Publikum. Auf diversen Webseiten finden sich mittlerweile
Videos, die vielfach aus dem Arabischen oder Englischen übertragen wurden.
Mit Videoaufnahmen von islamischen Lehrveranstaltungen und Online-Fatwas
islamischer Gelehrter, die über Youtube auch nicht-salafitische Muslime erreichen, schließen sie eine Lücke, die von den traditionellen Moscheen nicht
gefüllt wird.
Das Internet, so formuliert es ein Mitarbeiter von Islam-Online (islamonline.net), dem weltweit renommiertesten Islam-Portal, das auch von deutschen
Muslimen genutzt wird, entwickele sich zunehmend zur „neuen Moschee“
(siehe El-Tahawy 2008, 11). Selbst konservative Gelehrte wie der umstrittene
Sheikh Yusuf al-Qaradawi, der als spiritus rector die inhaltliche Ausrichtung
von Islam-Online maßgeblich bestimmt, sehen in der virtuellen Dawa, das
Werben für den Islam, mittlerweile den „Dschihad unserer Ära“ (Gräf 2008).
Nicht immer steht die Religion allerdings im Mittelpunkt der Aktivitäten und
Interessen von jungen Muslimen. Islamische Themen spielen beispielsweise in
der Hiphop-Szene oft nur implizit eine Rolle. Zwar gibt es auch hier zahlreiche
Beispiele für ausdrücklich islamische Texte. In der Regel geht es allerdings eher
um sporadische Bekenntnisse zum islamischen Glauben. So stechen die Un-
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terschiede zwischen dem islamischen Hiphopper Ammar114, der als prominenter Vertreter des Pop-Islam gilt, und den Rappern Bushido und Massiv ins Auge. Von den martialischen Texten des Gangsta-Raps sind Antworten auf religiöse Fragen und Orientierung in religiösen Krisen kaum zu erwarten -- dennoch spielen auch in ihren Texte Verweise auf islamische Symbole, aber zum
Teil auch auf Usama Bin Laden und islamistischen Terror, eine nicht unwesentliche Rolle, um die Zugehörigkeit zu einer weitgehend diffus bleibenden Gemeinschaft der Muslime hervorzuheben (zur türkisch-, aber nicht explizit islamisch-geprägten Hiphop-Szene siehe Kaya 2001).
Islamisch oder islamistisch?
In der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen und in der Zusammenarbeit mit
islamischen Akteuren stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit bestimmte
religiös begründete Positionen und Vorstellungen als Ausdruck religiöser Freiheit zu akzeptieren sind, auch wenn damit Konflikte im Alltag verbunden sind.
Wie im Falle von weltanschaulichen Überzeugungen und individuellen Lebensweisen spiegeln schließlich auch religiöse Vorstellungen und Lebensformen zunächst einmal freie Entscheidungen des Einzelnen, die es zu respektieren gilt -- und dies selbst dann, wenn es sich um Vorstellungen handelt, die der
Mehrheit der Gesellschaft unverständlich scheinen. Denn auch wenn es für
Nicht-Muslime schwer nachvollziehbar ist: Die Entscheidung eines Mädchens,
ein Kopftuch zu tragen, steht ihr ebenso zu wie das Fasten während des Ramadans.
Allerdings beschränkt sich das Bekenntnis zum Islam vielfach nicht auf den
privaten Glauben. Wie im Falle anderer Religionen geht es auch im Islam nicht
allein um das Verhältnis des Einzelnen zu Gott. Aus Sicht vieler Muslime geht
es eben auch darum, auf eine gottgefällige Gesellschaft hinzuwirken -- und andere von der Richtigkeit der islamischen Vorstellungen zu überzeugen. Gerade
in der Jugendarbeit legen islamische Vereine daher großen Wert auf die Dawa,
die mit unterschiedlicher Vehemenz betrieben wird. Problematisch wird ein
solches Werben für die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen dabei nicht
erst dann, wenn mit physischer Gewalt eine freie Entscheidung für oder gegen
ein bestimmtes Verhalten verhindert wird. Auch das Verächtlichmachen und
die Denunziation anderer Vorstellungen als unmoralisch oder sündig zielen
letztlich darauf, die Deutungshoheit im Sinne des eigenen Verständnisses des
Islam durchzusetzen und die eigenen Vorstellungen als Leitbild zu etablieren.
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Die Definition des Islamismus, wie sie vom nordrhein-westfälischen Innenministerium verwendet wird, hebt dieses Merkmal ausdrücklich hervor: „Der Islamismus ist eine politische Ideologie, die sich einer religiösen Sprache bedient
und dabei gleichzeitig den Anspruch erhebt, die einzig wahre Auslegung des
Glaubens darzustellen. Der Islamismus ist ein Gegenentwurf zu westlichen
Ordnungs- und Wertvorstellungen“ (Innenministerium 2007, 6). Der Anspruch
der Alleingültigkeit des Islam und die Abwertung anderer Überzeugungen und
Lebensweisen sind demnach zwei wesentliche Merkmale von islamistischem
Denken und Handeln. Darin unterscheidet es sich von einer individuellen
Glaubenspraxis, die ein Leben nach islamischen Vorstellungen und Traditionen
anstrebt. Islamistisch ist ein Verhalten, das darauf abzielt, den Islam auch für
andere als alleinigen Maßstab in den sozialen Beziehungen durchzusetzen.
Für die pädagogische Arbeit bedeutet dies, dort Grenzen zu setzen, wo Gläubige die individuellen Entscheidungen anderer einschränken. Ganz ähnliche
Probleme gibt es auch bei der Suche nach islamischen Kooperationspartnern für
Schulen und Jugendeinrichtungen vor Ort. Gerade angesichts von Kürzungen
im Bildungs- und Sozialbereich sind Moscheevereine und islamische Kulturzentren in vielen Kommunen zu wichtigen Ansprechpartnern geworden. Sie
bieten mittlerweile Leistungen wie Sozialberatung und Hausaufgabenhilfe, die
zuvor von öffentlichen Trägern übernommen wurden. Ob bei der Planung von
Angeboten für Jugendliche oder von Mitarbeiterfortbildungen zu Fragen des
Islam und der islamischen Kultur -- oft stellt sich dabei die Frage, welche islamischen Vereine für eine Zusammenarbeit in Frage kommen.
Die meisten islamischen Vereine lassen sich einem der großen islamischen Dachverbände in Deutschland zuordnen. Auch hier gilt es, sich immer wieder die
Vielfalt der islamischen Strömungen bewusst zu machen -- und diese auch in
der Auseinandersetzung mit dem Islam transparent zu machen. Denn nicht selten zeigen sich gerade jene Vereine offen für Kooperationen, die großen Wert
auf die Verbreitung ihrer eigenen sehr rigiden Deutungen des Islam legen. Dabei sind diese in der Regel kaum repräsentativ für die Ansichten, die von der
Mehrheit der Muslime vertreten werden. Gerade die Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen verschafft diesen Vereinen allerdings zusätzliche Legitimation und stärkt damit ihren potentiellen Einfluss. So steht man vor einem
Dilemma. Schließlich sind es oft gerade sehr wertkonservative Vereine, die mit
ihren charismatischen Aktivisten und vielfältigen Freizeitangeboten unter Jugendlichen populär sind. Auf den ersten Blick spricht daher einiges für eine
Zusammenarbeit mit diesen Vereinen: Sie sind meist kooperativ und das Errei-
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chen einer großen Zielgruppe ist sicher. Die Vorbehalte gegenüber dem resoluten Geltungsanspruch, den manche dieser Vereine für ihre Lehren in Anspruch
nehmen, werden hier oft allzu schnell zurückgestellt.
Dabei gäbe es gute Alternativen. Neben den zahlreichen islamischen Vereinen
gibt es in vielen Städten ein dichtes Netz türkischer, arabischer, kurdischer und
bosnischer Vereine, die auch in der Jugendarbeit mit Migranten aus muslimisch-geprägten Milieus engagiert sind. Als Ansprechpartner für Schulen und
Jugendeinrichtungen werden diese Vereine, die vielfach bereits in den 70er Jahren gegründet wurden, dennoch meist übersehen, wenn es um jugendkulturelle Themen und die Arbeit mit jungen Muslimen geht. Zu Unrecht -- denn die
Arbeit dieser Vereine bietet sich besonders an, um unter Jugendlichen ein Bewusstsein nicht nur für die Vielfalt des Islam, sondern auch für den Pluralismus
in der Gesellschaft zu vermitteln.
Literatur
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Brettfeld, K./Wetzels, P., 2007: Muslime in Deutschland. Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politischreligiös motivierter Gewalt. Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen. Hamburg.
Foroutan, N./Schäfer, I., 2009: Hybride Identitäten -- muslimische Migrantinnen
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Gräf, B., 2008: IslamOnline.net: Independent, interactive, popular. In: Arab Media & Society, H. 4/Winter 2008.
Innenministerium NRW, 2007: Islamistische Organisationen in NordrheinWestfalen. Düsseldorf.
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Lübcke, C., 2007: Jugendkulturen junger Muslime in Deutschland. In: von Wen-
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sierski, H.-J./Lübcke, C. (Hrsg.): Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen. Opladen, S. 285--318
Muslimische Akademie in Deutschland/Beauftragter des Senats für Integration
und Migration, 2007: Handlungsfelder der Zusammenarbeit mit islamischen Vereinen
im Stadtteil. Berlin.
Sen, F., 2007: Islam in Deutschland. Religion und Religiösität junger Muslime
aus türkischen Zuwandererfamilien. In: von Wensierski, H.-J./Lübcke, C.
(Hrsg.): Junge Muslime in Deutschland. Lebenslagen, Aufwachsprozesse und Jugendkulturen. Opladen, S. 17-32.
El-Tahawy, A., 2008: The internet is the new mosque. Fatwa at the click of a
mouse. In: Arab Insight, H. 188/2008, S. 11—19. Tietze, N., 2001: Islamische Identitäten. Formen muslimischer Religiösität junger Männer in Deutschland und Frankreich. Hamburg.
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