Kevin Fischer Zum heutigen Programm Mozart bewegt! Und das ganz besonders durch sein letztes Werk. Mythen und Märchen ranken sich um die Entstehung des Requiem in d-Moll und dessen Auftraggeber. Nach Mozarts Ableben hiess es sogar, eine höhere Macht habe das Werk 1791 in Auftrag gegeben. So habe der Komponist seine eigene Totenmesse von seinem Sterbebett aus geschrieben, für die Aufführung an seiner eigenen Beerdigung. Viele waren davon überzeugt, dass der Musiker in seinen letzten Atemzügen sein grösstes Meisterwerk abgeliefert hat, hörbar durchzogen von der tragischen Gewissheit, dass dieses Stück das letzte des jungen Genies sein würde. Mozarts Anhänger und Angehörige trauerten, der Zeitpunkt des Todes schien einfach perfekt – bis mehr und mehr durchzusickern begann, was man heute mit Sicherheit weiss: Der geniale Musiker konnte sein letztes Meisterwerk nicht mehr fertigstellen, bevor er entschlief. Deshalb muss man sich fragen: Wieviel Mozart steckt eigentlich in seiner letzten Komposition? Und wer profitierte von dem Mythos, Mozart habe das Stück noch fertigstellen können? Ein mysteriöser Auftraggeber Wie wir heute wissen, hat keine höhere Macht das Requiem in Auftrag gegeben hat, sondern Franz Graf von Walsegg. Dieser wollte seiner verstorbenen Ehefrau ein gebührendes Denkmal setzen und hat das Requiem deshalb für eine Seelenmesse in Auftrag gegeben. Seine Durchlaucht war selbst ein Musiker mit eher bescheidenen Fähigkeiten, aber er gierte nach Aufmerksamkeit. In seiner Einfalt dachte er sich, dass es wohl niemandem auffallen würde, wenn er anonym ein Werk bei einem der namhaftesten Wiener Komponisten bestellen und dieses dann als seine eigene Kreation ausgeben würde – natürlich nur zu Ehren seiner Frau, Gott sei ihrer Seele gnädig! Sich auf diese Weise mit fremden Federn zu schmücken, war für den Adel dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Die damit einhergehende Anonymität des Auftraggebers trug jedenfalls einiges zur Mythenbildung rund um das Requiem bei. Mozart nahm den Auftrag gerne an. Er war immer an Kirchenmusik interessiert gewesen, durch das Komponieren des musikalischen Teils für eine Seelen- oder Totenmesse hoffte er, sich in einer weiteren Gattung zu etablieren. Als Orientierungspunkt für die erstmalige Komposition eines solchen Werks könnte dem jungen Komponisten das sogenannte «Schrattenbach-Requiem» von Johann Michael Haydn gedient haben, welches Mozart 1772 gehört hatte. Entsprechend der liturgischen Vorlage unterteilte er sein Requiem in fünf Teile, die in sich nochmals untergliedert sind: 1. „Requiem“-Introitus mit Kyrie, 2. Sequenz, 3. Offertorium, 4. Sanctus mit Osanna und Benedictus und schliesslich 5. Agnus Dei mit Communio. Mythenbildung: Mozart im Sterbebett bei der Vollendung des Requiem Gemälde von Henry Nelson O'Neil (1817–1880) Mozarts verfrühtes Ende Nach mehrwöchiger Krankheit starb Mozart am 5. Dezember 1791, ohne dass er sein letztes Werk hätte vollenden können. Einige glaubwürdige Quellen weisen darauf hin, dass sich Mozart seines baldigen Ablebens bewusst gewesen war und sogar selbst geäussert habe, dass er das Requiem für sich persönlich schreibe. Der Künstler hinterliess zwei Kinder und seine Ehefrau Constanze. Wegen der plötzlich drohenden Existenzlosigkeit fackelte die frische Witwe nicht lange und sorgte dafür, dass das letzte Werk ihres verstorbenen Gatten nicht unvollendet blieb. Sie und ihre Kinder waren mehr denn je auf das Honorar des anonymen Auftraggebers angewiesen und so machte Constanze sich auf die Suche nach jemandem, der das Requiem vollenden könnte. Zuerst wandte sie sich an Franz Jacob Freystädtler, den sie für den erfahrensten Schüler ihres Mannes hielt. Dieser gab die Arbeit aber bald auf, genauso wie auch Joseph Eybler, ebenfalls ein Schüler. Abbé Maximilian Stadler war der einzige Musiker, der sich an der Vollendung des Requiems versuchte, obwohl er kein Lehrling Mozarts war, aber das hielt ihn auch nicht vom Scheitern ab. Erst der Komponist Franz Xaver Süßmayr hat sich der anspruchsvollen Aufgabe erfolgreich gestellt und das Requiem vermutlich im Februar oder März 1792 vollendet. Süßmayr ist vor dem Ableben Mozarts nicht nur für das Kopieren verschiedener Partituren seines Meisters verantwortlich gewesen. Er genoss so viel Vertrauen, dass Mozart ihm unter anderem sogar das KompoMozart im „Sterbesessel“, der seinem Schüler Franz nieren einiger Teile der Oper La Clemenza di Tito wie auch der Zauberflöte Xaver Süßmayr (1766–1803) letzte Anweisungen erteilt überliess. Süßmayr hatte vor dem Tod seines Meisters offenbar noch aus(Illustration aus dem 19. Jahrhundert) führlich mit ihm über das Requiem gesprochen. Mit diesem Wissen und mit Hilfe einiger schriftlicher Hinweise Mozarts hat der Lehrling – so gut es ihm möglich war – versucht, das Requiem zu einem Ende zu bringen, das seinem Lehrer gerecht werden sollte. Constanzes Beitrag zur Mythenbildung Dennoch hielten sich die Legenden um den mysteriösen Auftraggeber und die Umstände um Mozarts Ableben sogar nach dem Druck der Partitur hartnäckig. Daran hatten Mozarts Witwe und der engste Mozart-Kreis einen grossen Anteil. Schon während Constanze nach Komponisten gesucht hatte, die das Requiem vollenden sollten, haben sie und der engste Mozart-Kreis dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit glaubte, der Komponist hätte sein Werk noch vor seinem Tod beenden können. Constanze war darauf erpicht, das Requiem als letztes und grösstes Meisterwerk ihres verstorbenen Gatten darzustellen. Zu welchen Anteilen Zuneigung zu ihrem Ehemann, Ehrfurcht vor seinem Genie und finanzielles Kalkül bei ihrer Darlegung der Umstände eine Rolle spielten, wird wohl ungeklärt bleiben. Die Öffentlichkeit, welche damals wie heute nach schicksalhaften Dramen gierte, glaubte Constanze nur zu gern jedes Wort. Doch mit der Zeit kamen Zweifel über die tatsächliche Entstehung auf, was 1825 im öffentlich geführten «Requiem-Streit» gipfelte, in dem es vor allem um die Frage ging, ob Mozart sein letztes Werk noch hatte beenden können oder nicht. Bis zu ihrem Tod am 6. März 1842 beharrte Constanze auf ihrer Version der Geschichte. Erst mit ihrem Dahinscheiden endete der Streit um Mozarts wirklichen Anteil am Requiem. Dass die Ungewissheit über die genauen Umstände so lange währte, hängt auch damit zusammen, dass offenbar keiner der Komponisten, die nach Mozarts Tod an seinem Constanze Mozart, geb. Weber letzten Werk gearbeitet hatten, über seine Arbeit gesprochen hatte. Mit Ausnahme Stadlers (1762–1842) äusserten sie sich nicht einmal während des Requiem-Streits, sei es aus Ehrfurcht gegenGemälde von Joseph Lange (1782) über dem verstorbenen Meister oder aus Respekt und Verpflichtung – möglicherweise auch finanzieller Natur – gegenüber Constanze. Dabei hatte sich Süßmayr auf Anfrage des Verlags Breitkopf & Härtel bereits im Februar 1800 zu seinem nicht unerheblichen Beitrag an der Fertigstellung des Requiems geäussert. Der Brief wurde schon 1801 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung abgedruckt. Laut eigener Aussage hat er den letzten Teil der Sequenz, das „Lacrymosa“, beenden müssen und danach die Sätze Sanctus, Benedictus und Agnus Dei mehr oder weniger selbständig kreiert, vermutlich teilweise angeleitet durch Hinweise Mozarts. Dennoch hatte Süßmayrs «Geständnis» nicht dafür sorgen können, die Argumente von Constanze und dem engsten Mozart-Kreis zu entkräften, ganz abgesehen davon, dass der ehemalige Schüler Mozarts den Requiem-Streit gar nicht mehr persönlich miterleben konnte (er starb 1803). So wucherten die Legenden um den Tod Mozarts und die Verbindung zum Requiem noch mehrere Jahre munter weiter. Auf diesem Skizzenblatt von 1791 findet sich neben Aufzeichnungen zur Ouvertüre der Zauberflöte und zum Requiem-Satz „Rex tremendae majestatis“ auch (im dritten bis siebenten Notensystem) der Entwurf einer „Amen“-Folge, sehr wahrscheinlich für den Abschluss des „Lacrymosa“ Wird Mozart auch Sie bewegen? Mozarts frühes Ende hat hohe Wellen geschlagen und er wurde von heute auf morgen zu einer Legende und einem Mythos. Das Werk, das bis heute untrennbar mit dem Ableben eines der grössten Musiker der Geschichte verknüpft wird, ist das Requiem in d-Moll. Viele glaubten, einen tieferen Sinn in dem Werk zu erkennen, der alle Geschichten, die man über Mozarts Tod gehört hatte, noch glaubwürdiger machte. Man kann es ihnen nicht verübeln; die Dramatik der Violinen im Introitus wie auch die vorwärtstreibende Kraft im Kyrie zerren unerbittlich am Gemüt des Hörers; der warme Beginn des „Tuba mirum“, welcher in eine unruhige Melodie übergeht, oder auch der starke Kontrast zwischen den Grob- und Zartheiten im „Confutatis“ verursachen ein Wechselbad der Gefühle. Es ist fast unmöglich, nicht berührt zu werden. Was werden Sie hören? Werden Sie merken, wo im „Lacrymosa“ Mozart aufhört und Süßmayr anfängt? Werden Sie vielleicht spüren, ab welchem Punkt im Werk sich Mozart möglicherweise sicher war, dass er sterben würde? Wird Mozart auch Sie bewegen?