Donnerstag, 28. April 2016, 19 Uhr | Karmel Heilig Blut Francesco Lotoro Dirigent Francesco Di Lernia Orgel Angelo De Leonardis Bariton Walter Brachtel Violoncello Vladimir Lakatos Violine | Viola Walter Schreiber Violine Mitglieder der Chorgemeinschaft Dachau und der Liedertafel Dachau Max [Maximilian] de Foucaud (1919 – 1992) Elevation I (Violine, Orgel) Elevation II (Violine, Cello, Orgel) Prélude (Violine, Cello, Orgel) Pfarrer Josef Moosbauer M.S.C. (1904 – 1979) Zieh an die Macht (Männerchor, Orgel), arrangiert von Pfarrer Josef Moosbauer Lobet den Herren (Männerchor, Orgel), arrangiert von Pfarrer Josef Moosbauer Beim letzten Abendmahle (Männerchor, Orgel), arrangiert von Pfarrer Josef Moosbauer Programm Stadt Dachau Zeitgeschichte Geistliche Musik aus dem KZ Dachau und anderen Lagern Pietro Feletti (1891 – 1986) Acht Stücke für „Libro di Fullen“ (Bariton, Männerchor, Orgel) 1. Omnes gentes (introito dom. 7a post Pentec[ostem]) 2. Venite filii (graduale dom. 7a post Pentec[ostem]) 3. Ex ore infantium (introito SS. Innocenti) 4. Deus cuius hodierna die (colletta SS. Innocenti) 5. Effuderunt sanguinem (tratto SS. Innocenti) 6. Laudate pueri Dominum (Alleluja, Missa SS. Innocenti) Pfarrer Josef Moosbauer M.S.C. (1904 –1979) Communio für Christkönig (Männerchor) Gloria singen die Engelein (Männerchor, Orgel) Kirchenlied “Großer Gott, wir loben Dich!” (Männerchor, Orgel) Postludium C–moll (Orgel) Graduale für den 10. Sonntag nach Pfingsten (Gesang, Orgel) O esca viatorum (Männerchor) Introitus für Christkonig (Männerchor) Priesterweihe Alleluja–Lied (Gesang, Orgel) Pater Gregor [Theodor] Schwake O.S.B. (1892 –1967) Regina Pacis [Hymnus Dachoviensis] (Männerchor) In viam pacis (Männerchor) Ostertrio “Präludium und Fuge” (Violine, Viola, Cello) Pater Johannes Maria [Johannes Nepomuk] Lenz (1902 –1985) Priesterkameraden in Dachau (Männerchor, Orgel) Musik gehörte von Anfang an zum Lageralltag in den Konzentrationslagern. Die Täter missbrauchten sie gezielt als Entwürdigungs-, Disziplinierungs- und Terrorinstrument. So wurden die Inhaftierten fast täglich mit Musik auf Befehl der SS konfrontiert, mit Zwangs-Singen, aber auch Musikübertragungen aus Lautsprechern oder in offiziellen Musikensembles. Für die Opfer stellte selbstkomponierte Musik dagegen ein solidarisierendes Zeichen geistig-kulturellen Widerstands und psychisch-künstlerischen Überlebens dar. Insbesondere nach Beginn des Zweiten Weltkriegs erweiterte sich das lagerinterne Musikleben um die musikalischen Traditionen der neu inhaftierten Gefangenengruppen, wobei gerade ausgebildete Musiker als Initiativpersönlichkeiten fungierten. Musikalische Aktivitäten fanden dann heimlich statt, wenn sie in direkter Opposition standen, beispielsweise anlässlich konspirativer Gedenkfeiern. Größere Veranstaltungen mit Musik organisierten die Häftlinge indessen mit Genehmigung und Zensur durch die Lagerleitung, sowie mit Unterstützung entgegenkommender Funktionshäftlinge. Trotzdem konnten die Gefangenen selbstverständlich nicht frei von Zwängen musizieren. Musikdarbietungen aus eigener Initiative bildeten daher stets einen Höhepunkt im Häftlingsalltag, auch wenn sie meist jenen Gefangenen vorbehalten blieben, die nicht um ihre bloße Existenz rangen, nämlich Funktionshäftlingen und prominenten Häftlingen. In besonderem Maße kompositorisch und musikalisch produktiv waren auch die geistlichen Häftlinge. Auf Anordnung Himmlers wurden gegen Ende 1940 alle Geistlichen aus den Konzentrationslagern, unabhängig von ihrer Konfession, ins KZ Dachau überstellt. Die Geistlichen wurden in den drei nebeneinander liegenden Wohnbaracken 26, 28 und 30 untergebracht. Unter ihnen waren hervorragende Musiker und Komponisten, die sich vor allem der Komposition und Aufführung von Kirchenmusik widmeten. Der französische Pianist und Komponist Max (Maximilian) de Foucaud (1919 – 1992) war Autodidakt und brach sein Hochschulstudium ab, um sich als Freiwilliger für den Zweiten Weltkrieg zu melden. Er wurde in Gefangenschaft genommen und erst im Kriegsgefangenenlager für Offiziere in Soest interniert, später im Stalag Dortmund und schließlich ab Ende 1941 im Stalag Stablack in der Provinz Ostpreußen. Hier erkrankte er an Ruhr und Rippenfellentzündung. 1942 gelang ihm die Flucht. Während seiner Gefangenschaft komponierte Foucaud mehrere Werke. Am 8. Dezember 1940 traf im KZ Dachau ein Transport mit 150 ausgehungerten Priestern aus dem KZ Mauthausen in Dachau ein, in dem sich auch der österreichische Pfarrer Josef Moosbauer M.S.C. (1904 – 1979) befand. Moosbauer brachte eine musikalische Begabung mit, die ihn befähigte, die Leitung des „Kirchenchors“ zu übernehmen, Liednoten aus dem Gedächtnis aufzuschreiben und mit eigenen Kompositionen das Repertoire des Priesterchores zu bereichern. Der musikalische Autodidakt komponierte Marienlieder und stellte bald einen Chor mit ca. 40 Sängern zusammen, mit dem er Chorallieder einstudierte. Zur Primiz Karl Leisners am 2. Weihnachtsfeiertag 1944 schrieb er ein „Offertorium“. Moosbauer wurde Ende April 1945 auf einen der zahlreichen Todesmärsche geschickt, den er überlebte. Der italienische Notar, Altphilologe und Musiker Pietro Feletti (1891–1986) wurde am 8. September 1943 nach dem Waffenstillstand in Italien zunächst nach Czestochowa deportiert und von dort weiter in die Emslandlager Fullen und Groß-Hesepe. Zusammen mit dem Militärkaplan Pater Ettore Accorsi und anderen italienischen Offizieren organisierte er in einer der Zellen im Lager ein Orchester von Offizieren. Er komponierte in Fullen 8 Musikstücke, die im Buch „Fullen – Il Campo Della Morte“ (Bergamo, 1946) von Accorsi zu finden sind. Nach seiner Befreiung kehrte Felletti in seinen Beruf als Notar zurück und komponierte zeitlebens nicht mehr. Der deutsche Benediktinerpater Gregor (Theodor) Schwake O.S.B. (1892 – 1967) wurde, während er in Linz einen Choralkurs gab, am 6. Oktober 1943 durch die Gestapo verhaftet und zunächst im dortigen Polizeigefängnis inhaftiert. In dem von Gestapo-Chef Ernst Kaltenbrunner unterzeichneten Schutzhaftbefehl der Geheimen Staatspolizei Berlin vom 18. Dezember 1943 wurde als Grund der Inhaftnahme genannt, „dass er als Geistlicher in offener und versteckter Form gegen den Staat hetzt, das Vertrauen der Bevölkerung zur Staatsführung zu untergraben unternimmt und Stimmung gegen die Regierung zu machen sucht“. Am 2. Januar 1944 wurde er in das KZ Dachau überstellt. Ab dem 6. Februar 1944 übernahm er die Leitung des Priesterchores im KZ Dachau und war Organist in der Kapelle im Block 26 (Pfarrerblock). Während seiner Inhaftierung schrieb er viele Gedichte und komponierte im September 1944 die Dachau-Messe, die am 24. September 1944 in der Kapelle des Pfarrerblocks uraufgeführt wurde. Schwake starb 1967, sechs Wochen vor seinem Goldenen Priesterjubiläum, in der Abtei Gerleve. Der österreichische Jesuitenpater Johannes Maria Lenz (1902 – 1985) war Buchautor und Publizist. Er wurde wegen seiner offenen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus im Dezember 1938 verhaftet und im Polizeigefängnis in Wien festgehalten. Nach einem Freispruch am 6. Mai 1940 zunächst entlassen, verhaftete ihn die Gestapo am 18. des Monats erneut und lieferte ihn am 9. August 1940 ins KZ-Dachau ein, wo er sich abgesehen von einem Zwischenaufenthalt in den KZ Mauthausen und Gusen I, bis zur Befreiung am 29. April 1945 im Pfarrerblock befand. Zu einem eigenen Text verfasste er ein Lied, das er in seiner Dokumentation „Christus in Dachau“ veröffentlichte, eine Widmung an die „ Priesterkameraden in Dachau“. Lenz wurde nach seiner Befreiung im April 1945 einer der wichtigsten Chronisten der Priesterblöcke und über Kirchenmusik im Lager. Francesco Lotoro (*1964) ist ein italienischer Pianist, Komponist und Musikwissenschaftler. Er studierte an der Musikhochschule in Bari und an der Franz-LisztMusikakademie in Budapest und unterrichtet heute selbst Klavier am „Umberto Giordano“ Konservatorium von Foggia. Weltweit wird er als der größte Sammler von Musikkompositionen geschätzt, die zwischen 1933 und 1945 in Konzentrationslagern, Kriegsgefangenenlagern und Militärgefängnissen entstanden sind. Seine Suche hat ihn durch die ganze Welt geführt, wo er Überlebende oder Familienangehörige von ehemaligen KZ-Häftlingen traf, die Material über die Musik in den Konzentrationslagern aufbewahren oder darüber berichten können. Manchmal waren überlieferte Noten auf Postkarten gekritzelt, manchmal sogar auf Toilettenpapier. Lotoro sichert diese Skripten, archiviert sie und spielt sie ein. Mittlerweile hat er bereits über 5000 Werke ausfindig machen können, die von Kirchenmusik bis zu Opern und Jazz reichen. Mit seinem Projekt „Last Musik“ gibt er den Menschen eine Stimme, die als Profimusiker, Laien, Autodidakten oder Begabte unterschiedlichster sozialer Herkunft und unterschiedlichen Glaubens in den Lagern Musik schufen. Er kennt die Geschichte jeder der gefundenen Noten, ihrer Verfasser und die Umstände, unter denen sie komponiert wurden. Im süditalienischen Barletta hat Lotoro das Institut für Musikalische Literatur im Konzentrationslager gegründet, das heute eine Stiftung ist. Er ist Autor der Discographischen Enzyklopädie in 24 CD-Bänden mit KZ-Musik, für die er Pianist, Dirigent und Konzertmeister war. Vor kurzem ist der erste Band seiner „Enzyklopädie der Lagermusik“ erschienen.