Nachhaltigkeit-Marketing in Theorie und Praxis (PDF

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Frank-Martin Belz, Michael Bilharz (Hrsg.)
Nachhaltigkeits-Marketing
in Theorie und Praxis
Deutscher Universitäts-Verlag
II
III
Vorwort
Das 5. St. Galler Forum für Nachhaltigkeitsmanagement mit dem Titel „Nachhaltigkeits-Marketing: Grundlagen und Potenziale“, das am 25. November 2003 an der Universität St. Gallen stattfand, war der Abschluss des Forschungsprojektes „Sustainability Marketing Switzerland“ (SMS) und gleichzeitig die Geburtsstunde für das vorliegende Buch. Beides ist untrennbar miteinander verbunden.
Das Projekt wurde vom Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen
(IWÖ-HSG) in Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vereinigung für ökologisch
bewusste Unternehmensführung (ÖBU) und The Sustainability Forum (TSF) während
der Jahre 2002 bis 2004 durchgeführt. Möglich gemacht wurde das Projekt durch die
Anschubfinanzierung des TSF und die beiden Sponsoren Migros und Swisscom. Den
fünf Projektpartnern gilt an erster Stelle unser Dank!
Das Buch ist aber mehr als ein Tagungsband. Die Tagungsbeiträge wurden grundlegend überarbeitet. Außerdem konnten neue Autoren gewonnen werden, die das Thema
Nachhaltigkeits-Marketing aus praktischer und theoretischer Sicht weiterentwickelten.
Ohne sie wäre das Buch in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen. Den Autoren gebührt deshalb unser herzlicher Dank für ihre Beiträge, ihre Bereitschaft zur Weiterentwicklung der Textfassungen sowie für ihre Geduld, dass sich die endgültige
Druckfassung ungewollt länger als geplant verzögerte.
Obwohl beide Herausgeber zwischenzeitlich an der Technischen Universität München
(TUM Business School) tätig sind, ist das Buch ein Kind des Instituts für Wirtschaft
und Ökologie (IWÖ-HSG). Die finanziellen und personellen Ressourcen wurden vom
IWÖ-HSG zur Verfügung gestellt. Hierfür danken wir dessen Direktor Prof. Dr. Thomas Dyllick, der dieses Buchprojekt möglich gemacht hat.
Von der ersten Textfassung bis zur fertigen Druckvorlage ist es bekanntlich ein weiter
Weg. Dass dieser Weg erfolgreich abgeschlossen werden konnte, ist nicht zuletzt das
Resultat vieler kritischer Augenpaare. Namentlich genannt seien: Bernhard Balg,
Michel Geelhaar, Gabi Hildesheimer, Birte Karstens, Katharina Leitner, Jasmin
Pobisch, Katharina Sammer, Petra Schoele und Mathias Weis.
Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
IV
Inhaltsverzeichnis
Teil I:
Einführung ..................................................................................................... 1
Frank-Martin Belz/Michael Bilharz:
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing................................................................ 3
Teil II:
Konzeptionelle und empirische Grundlagen .......................................... 17
Frank-Martin Belz:
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle
Grundlagen und empirische Ergebnisse ....................................................................... 19
Manfred Kirchgeorg:
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive...................................... 41
Ulf Schrader:
Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation ..................................... 61
Frank-Martin Belz/Daria Ditze:
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel: Theoretische
Überlegungen und empirische Ergebnisse.................................................................... 75
Wilfried Konrad/Gerd Scholl:
Die umwelt.plus.karte: Entwicklung und Umsetzung einer
Kundenkarte für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen ...................................... 99
Teil III: Situative Anwendungen .......................................................................... 117
Bereich Bauen, Wohnen und Energie......................................................................... 119
Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant:
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche:
„Best Practices“ aus der Schweiz ............................................................................... 119
Michael Bilharz:
Strom hat keine Vitamine. Kritische Anmerkungen
zur Vermarktung von Ökostrom ................................................................................. 141
VI
Inhaltsverzeichnis
Bereich Ernährung ...................................................................................................... 161
Katharina E. Leitner:
Die Vermarktung von Bio-Käse, Regional-Spezialität und
Fair Trade-Kaffee: Eine Analyse der NachhaltigkeitsMarketingansätze Schweizer Lebensmittelproduzenten............................................. 161
Hugo Skoppek/Birte Karstens:
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens am Beispiel von EOSTA und „Nature & More“................................. 181
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer:
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation .................. 197
Bereich Telekommunikation....................................................................................... 211
Andreas Walser:
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozialökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen.................................................... 211
Fabian Bucher:
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche.............................. 227
Teil IV: Perspektiven............................................................................................. 241
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz:
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen durch
Nachhaltigkeits-Marketing: Implikationen für Theorie und Praxis............................ 243
Autorenangaben .......................................................................................................... 255
Teil I:
Einführung
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing
Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
1 Nachhaltigkeit und Marketing?
Nachhaltige Entwicklung kann man gemäß der von den Vereinigten Nationen eingesetzten Weltkommission für Umwelt und Entwicklung („Brundtland-Kommission“)
definieren als eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen Generationen
auf eine Art und Weise befriedigt, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse
befriedigen können (World Commission on Environment and Development 1987).
Dahinter steht die Idee der inter- und intragenerativen Gerechtigkeit. Seit der UNKonferenz in Rio de Janeiro 1992 hat das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung weite
Verbreitung und Anerkennung gefunden. Gemäß dem Verantwortungsprinzip ist jeder
Einzelne und jede gesellschaftliche Gruppe, jede Organisation und damit auch jedes
Unternehmen für die Folgen des eigenen Handelns verantwortlich. Nach diesem Leitprinzip tragen alle Menschen in allen Ländern Verantwortung für den Erhalt und die
Sicherung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen der Menschen (Meffert/
Kirchgeorg 1993, S. 34; Balderjahn 2004, S. 4). Die Beziehungen zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen sind nicht immer komplementär, sondern
vielfach konfliktär. Die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung verlangt von Entscheidungsträgern in der Wirtschaft eine verantwortungsvolle Synthese
von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten (Dyllick/Hockerts 2002,
S. 130-141; Kirchgeorg 2002, S. 4).
Marketing ist ebenso wie Nachhaltigkeit ein schillernder Begriff, der einer kurzen Erläuterung bedarf: Zunächst kann Marketing als eine operative Unternehmensfunktion
(Absatz, Verkauf oder Vertrieb) verstanden werden, in der die vier klassischen Marketinginstrumente Produkt, Preis, Kommunikation und Distribution zum Einsatz kommen (Mc Carthy 1960). Darüber hinaus kann Marketing aber auch als Führungsphilosophie aufgegriffen werden, d.h. als Kundenorientierung von den Beschaffungsmärkten her zu den Absatzmärkten hin, die alle Unternehmensbereiche und -funktionen
durchdringt. Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis wird Marketing vielfach als
„duale Führungskonzeption“ aufgefasst, d.h. als operative Unternehmensfunktion ne-
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Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
ben Beschaffung und Produktion einerseits und als normative Leitidee der Unternehmensführung andererseits (Meffert 1995, Sp. 1474; Becker 1998, S. 1-3).
Wie ist die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und Marketing zu sehen? Welche
Wechselwirkungen bestehen zwischen den beiden Konzepten? Aus der Sicht der
Nachhaltigkeit ist kommerzielles Marketing höchst ambivalent (Raffée 1979,
S. 13-27): Die positiven Wirkungen des Marketing sind in Versorgungsleistungen und
Wohlstandseffekten zu sehen. Marketing erfüllt die Funktion, die Bevölkerung in ausreichendem Maße mit geeigneten Gütern zu versorgen. In der Wohlstands- bzw. Überflussgesellschaft werden diese Effekte vielfach als Selbstverständlichkeit angesehen.
Ein zentrales Ziel des Marketing besteht in der Beeinflussung der Nachfrage, um dadurch Absatz und Gewinn von Unternehmen zu steigern. Damit gehen negative Wirkungen auf die gesellschaftliche und natürliche Umwelt einher, die gekennzeichnet
werden können mit der Ökonomisierung des Lebens, der Überhöhung des materiellen
Konsums („Haben statt Sein“) sowie der Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen
als Quelle und Senke. Die Probleme werden im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung
eingehend diskutiert. Insofern kann die Nachhaltigkeits-Diskussion dem Marketing
wichtige neue Impulse verleihen, die in einem Nachhaltigkeits-Marketing münden.
Dieses müsste nicht nur ökonomischen Erfolg sichern, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit einen Beitrag zur Lösung von sozialen und ökologischen Problemlagen liefern.
Grundlegend stellt sich die Frage, um welche Nachhaltigkeitsprobleme es geht: Stehen
die Nachhaltigkeitswirkungen der Unternehmenstätigkeit im Vordergrund oder die
Nachhaltigkeitsprobleme der Gesellschaft? Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Referenzpunkte, die beide für die unternehmerische Nachhaltigkeit von Bedeutung sind (Dyllick 2003, S. 236-237): Für Unternehmen stehen zunächst die Auswirkungen der eigenen Tätigkeiten auf die ökologische und soziale Umwelt im Vordergrund. Von Unternehmen wird gefordert, dass sie ihre eigenen Prozesse und Produkte
möglichst umwelt- und sozialverträglich gestalten. Ein Beispiel hierfür wären Autos,
die einen niedrigen Benzinverbrauch aufweisen und besonders sicher für Fahrer und
Fußgänger sind. Solche Maßnahmen schaffen Akzeptanz und sichern den (kurzfristigen) Erfolg der Unternehmen im Wettbewerb. Für die Gesellschaft stehen zumeist andere Probleme im Vordergrund wie etwa der weltweit steigende Energieverbrauch, die
hohe Abhängigkeit vom Erdöl und der Treibhauseffekt. Gesellschaftliche Anspruchsgruppen bemessen Unternehmen vor allem daran, welchen Beitrag sie zur Bewältigung dieser Nachhaltigkeitsprobleme leisten (Dyllick 2003, S. 238). Zur Lösung derartiger Probleme bedarf es der Entwicklung und erfolgreichen Vermarktung von Nachhaltigkeits-Innovationen auf der Produkt- und Systemebene. Hier ist insbesondere das
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing
5
Nachhaltigkeits-Marketing gefordert. Ein Beispiel aus der Automobilbranche wären
Brennstoffzellenautos, die keine Schadstoffemissionen aufweisen und durch solar erzeugten Wasserstoff betrieben werden (Belz 2002, S. 20-21).
2 Begriffliche Bestimmung und Abgrenzung
des Nachhaltigkeits-Marketing
Marktorientierung (Kunde/Konkurrenz)
als Führungsphilosophie
Beschaffung
Produktion
Marketing
Absatzmärkte
Beschaffungsmärkte
Fasst man Marketing als eine duale Führungskonzeption auf, d.h. als operative Unternehmensfunktion neben Beschaffung und Produktion einerseits und als normative
Leitidee der Unternehmensführung andererseits, dann kann man NachhaltigkeitsMarketing als duale Führungskonzeption im doppelten Sinn verstehen (Belz 2003,
S. 352; ähnlich auch Balderjahn 2004, S. 47-50). Neben der Marktorientierung (Kunden/Konkurrenten) tritt eine umfassende Umweltorientierung (Ökologie/Soziales), die
alle Unternehmensbereiche durchdringt und eine markt- sowie umweltorientierte Koordination sicherstellen soll (Abb. 1).
Umweltorientierung (Ökologie/Soziales)
als Führungsphilosophie
Abbildung 1: Nachhaltigkeits-Marketing als duale Führungskonzeption im doppelten Sinn
(Quelle: Belz 2003, S. 353)
Im Nachhaltigkeits-Marketing geht es darum, die individuellen Kundenbedürfnisse auf
eine Art und Weise zu befriedigen, dass ökologische Belastungen möglichst vermieden und soziale Anliegen so weit wie möglich berücksichtigt werden. Dies beschreibt
das für das Nachhaltigkeits-Marketing immanente Spannungsfeld von Kundenbedürf-
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Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
nissen, Ökologie und Sozialem. Ein derart verstandenes Marketing liegt ein umfassendes Verständnis der Nachhaltigkeit im Sinne der Brundtland-Kommission zugrunde.
Daher wird bewusst der Begriff des Nachhaltigkeits-Marketing verwendet in Abgrenzung zum nachhaltigen Marketing, welches auf die „nachhaltige“ Wirkung der Marketinginstrumente abhebt, ohne sozial-ökologische Problemlagen explizit einzubeziehen.
So definiert bspw. Christian Belz vom Institut für Marketing und Handel der Universität St. Gallen (IMH-HSG):
„Nachhaltiges Marketing ... ist gleichzeitig konstruktives Marketing und bewirkt den langfristig
überdurchschnittlichen Erfolg von Unternehmen ... ist wirksam und tragfähig ... stützt sich auf
eine zeitliche Abfolge von Maßnahmen und ihren Wirkungen, so dass neue Maßnahmen auf
früheren Aktivitäten aufbauen, sie verstärken und erweitern ... fördert klare Positionen von Unternehmen, entwickelt die Beziehungen zum Kunden und zu weiteren Partnern im Markt. Neue
Lösungen wachsen aus dem Bestehenden heraus. Wichtig sind Verlässlichkeit, Kontinuität,
Sorgfalt und Vertrauen“ (Belz, C. 2001, S. 3).
Aus dieser Definition wird deutlich, dass die Idee der Nachhaltigkeit lediglich im Analogieschluss verwendet und vor allem auf die Kontinuität der Maßnahmen und Dauerhaftigkeit der Kundenbeziehungen abgehoben wird. Ein derart verstandenes nachhaltiges Marketing orientiert sich ausschließlich am wirtschaftlichen Erfolg (Belz, C. 2001,
S. 5). Für das Nachhaltigkeits-Marketing, wie es hier verstanden werden soll, ist nicht
allein der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend, sondern auch der ökologische und
soziale.
Des Weiteren ist Nachhaltigkeits-Marketing zu unterscheiden vom Marketing für
Nachhaltigkeit, d.h. vom Marketing für ökologische und soziale Ideen (Schoenheit
1990, S. 208-209; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 274). Ersteres betreiben primär kommerzielle, auf Gewinn ausgerichtete Organisationen, wobei die erfolgreiche Vermarktung von nachhaltigen Produkten und Leistungen im Vordergrund steht. Letzteres setzen meist nicht-kommerzielle Organisationen mit dem Ziel ein, ökologische und soziale Ideen erfolgreich zu vermitteln. Marketing wird als Sozialtechnologie verstanden
und von kommerziellen auf nicht-kommerzielle Organisationen übertragen (Kotler/Zaltman 1971; Kotler 1975). In diesem Zusammenhang spricht man von der Ausweitung des Marketing (Kotler/Levy 1969). Dabei geht es u.a. um die Sensibilisierung
der Bevölkerung für ökologische und soziale Problembereiche, die Vermittlung entsprechenden Wissens sowie das Aufzeigen von sozial-ökologischen Handlungsoptionen auf individueller und kollektiver Ebene. Die einfache Gegenüberstellung von
Nachhaltigkeits-Marketing und Marketing für Nachhaltigkeit ist analytisch sinnvoll,
lässt sich aber empirisch nicht ohne weiteres aufrechterhalten: Einerseits betreiben
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing
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auch Unternehmen als kommerzielle Organisationen Marketing für ökologische und
soziale Ideen (Raffée/Wiedmann 1995, Sp. 1931), andererseits realisieren nichtkommerzielle Organisationen nicht ausschließlich Marketing für Nachhaltigkeit, sondern auch Nachhaltigkeits-Marketing, indem sie sozial-ökologische Produkte am
Markt anbieten (Belz 2001, S. 12-13). Ein Beispiel hierfür wären WWF-Läden, die der
größten internationalen Umweltschutzorganisation angehören und die nachhaltige
Produkte vertreiben.
Der Begriff des Nachhaltigkeits-Marketing ist abzugrenzen gegenüber dem (marktorientierten) Nachhaltigkeits-Management. Beiden gemeinsam sind die Marktorientierung (Kunden/Konkurrenz) und Umweltorientierung (Ökologie/Soziales) als Führungsphilosophien. Nachhaltigkeits-Management ist jedoch weiter gefasst als Nachhaltigkeits-Marketing und kann als Oberbegriff verstanden werden. Während sich Nachhaltigkeits-Marketing primär auf den Absatzbereich bezieht, umfasst NachhaltigkeitsManagement alle Funktionsbereiche der Unternehmung (Beschaffung, Produktion,
Absatz, Logistik, Finanzen etc.). Um diese sinnvoll zu koordinieren, eignen sich Managementsysteme, die Umwelt und Soziales explizit berücksichtigen: Auf europäischer Ebene kommt dem Environmental Management and Audit Scheme (EMAS) gemäß der neuen, überarbeiteten EG-Öko-Audit-Verordnung aus dem Jahr 2001 besondere Bedeutung zu. EMAS II ist kompatibel zur ISO 14001-Norm, welche auf internationaler Ebene maßgebend ist. Die Grundstruktur der ISO 14001-Norm besteht aus
einem Plan-Do-Check-Act-Kreislauf. Zentrale Elemente sind: Umweltpolitik, Planung, Implementierung, Kontrolle und Bewertung. Dieser Aufbau und diese Logik
lässt sich auch auf soziale Sachverhalte übertragen, wie es im Rahmen der SA 8000
(„Social Accountability“) geschieht. Unabhängig von den Systemen ist ein umfassendes Nachhaltigkeits-Management eine notwendige, wenn nicht unerlässliche Grundlage für ein langfristig ausgerichtetes, glaubwürdiges Nachhaltigkeits-Marketing. Erst
wenn die Unternehmung „im eigenen Haus gekehrt hat“, kann sie sich „aus dem Fenster lehnen“ (Dyllick/Belz 1994, S. 64-67). Die Schlüsselfrage des NachhaltigkeitsMarketing lautet:
Wie können Unternehmen einen relevanten Beitrag zur Lösung der sozial-ökologischen Probleme leisten, die mit ihren Produkten einhergehen, und dadurch einen
Kundenmehrwert generieren?
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Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
Oder anders formuliert:
Wie können sozial-ökologische Produkte und Leistungen, die einen Beitrag zur Lösung der Nachhaltigkeitsprobleme leisten, erfolgreich vermarktet werden?
3 Forschungsprojekt „Sustainability Marketing Switzerland (SMS)“
Im Rahmen des anwendungsorientierten Forschungsprojektes „Sustainability Marketing Switzerland“, kurz: SMS, welches zum 5. St. Galler Forum „NachhaltigkeitsMarketing: Grundlagen & Potenziale“ und zur Veröffentlichung des vorliegenden Buches geführt hat, wurde diesen Forschungsfragen nachgegangen. Das Projekt wurde
vom Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) in
Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung (ÖBU) und The Sustainability Forum (TSF) während der Jahre 2002
bis 2004 durchgeführt. Die ÖBU ist das Kompetenzzentrum der Schweizer Wirtschaft
für unternehmerische Fragen zur Nachhaltigkeit. Sie bietet ihren rund 300 Mitgliedsfirmen konkrete Umsetzungsunterstützung und vernetzt Unternehmer, die sich nachhaltigem Wirtschaften verpflichtet fühlen. The Sustainability Forum Zurich (TSF) fördert ebenfalls die Entwicklung und Umsetzung der Nachhaltigkeit. Das Forum bietet
eine Plattform für fruchtbare Dialoge zum Zusammenhang von Nachhaltigkeit und
Management, wobei der Schwerpunkt auf der Vermittlung von Praxisbeispielen liegt.
In der ersten Phase des Projektes leistete TSF eine Anschubfinanzierung; in der zweiten Phase beteiligten sich das Schweizer Handelsunternehmen Migros und der
Schweizer Telekommunikationsanbieter Swisscom als Praxispartner mit finanziellen
und personellen Ressourcen. Die wissenschaftliche Leitung des Forschungsprojektes
hatte Frank-Martin Belz inne, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen waren Katharina
Leitner, Katharina Sammer und Rita Pant (alle IWÖ-HSG). Die prozessurale Leitung
des Forschungsprojektes übernahmen Gabi Hildesheimer (ÖBU) und Michel Geelhaar
(TSF). Federführend auf Seiten der Praxispartner waren Armin Eberle (Migros) und
Albert Kuhn (Swisscom). Sie wirkten bei der Formulierung der zentralen Fragestellungen, Zielsetzungen und Meilensteine des Forschungsprojektes mit und stellten die
Kontakte zur Unternehmenspraxis her. In ihrer Funktion als „reflective practitioners“
gaben sie kritisch-konstruktives Feedback auf erste Fassungen der mündlichen Vorträge und schriftlichen Ausführungen. Wichtige Ziele des Forschungsprojektes waren:
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing
9
y
Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen zum Nachhaltigkeits-Marketing zu erarbeiten;
y
Empirische Untersuchungen in ausgewählten Branchen- und Unternehmenssituationen durchzuführen;
y
Impulse zur Umsetzung des Nachhaltigkeits-Marketing in der Praxis zu liefern.
Die inhaltlichen Schwerpunkte des Forschungsprojekts lagen in den Bereichen Bauen/
Wohnen, Ernähren und Telekommunikation. Dies lässt sich mit der sozialen, ökologischen und ökonomischen Relevanz dieser Felder begründen. Um den eingangs formulierten Forschungsfragen nachzugehen, kamen sowohl qualitativ als auch quantitativ
geprägte Methoden zur Erhebung der Daten zum Einsatz: Insgesamt wurden über 50
halbstrukturierte, offene Interviews mit Praxisvertretern aus den drei ausgewählten
Branchen geführt. Darüber hinaus wurden eine Online-Befragung bei über 200
schweizerischen Pionier- und Leaderunternehmen (Beitrag Belz) und eine mündliche
Befragung bei rund 100 Kunden der Swisscom (Beiträge Bucher und Walser) durchgeführt. Diese beiden Erhebungen beruhten auf standardisierten, schriftlichen Fragebögen. Das Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis im Rahmen des Forschungsprojektes SMS hat sich als sehr fruchtbar erwiesen. Das 5. St. Galler Forum „Nachhaltigkeits-Marketing: Grundlagen & Potenziale“ (Belz/Bilharz 2003) und das vorliegende
Buch, an dem sich sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker beteiligt haben, sind eindrückliche Belege dafür.
4 Aufbau des Buches
Der Aufbau des Buches ist dreiteilig. Zuerst werden die theoretischen Grundlagen des
Nachhaltigkeits-Marketing beschrieben und kritisch durchleuchtet. Im Anschluss daran werden die theoretischen Erkenntnisse in den drei Bereichen Bauen, Wohnen &
Energie, Ernährung sowie Telekommunikation vertieft und anhand vielfältiger Praxisbeispiele im Sinne einer situativen Relativierung diskutiert. Diese Bereiche wurden
nicht zufällig, sondern aufgrund ihrer Bedeutung für den sozial-ökologischen Strukturwandel ausgewählt. Den Abschluss bildet ein Resümee aus der Sicht von Theorie
und Praxis .
Frank-Martin Belz stellt in dem folgenden Beitrag einen entscheidungsorientierten
Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing dar, der dem Problemlösungsverhalten in der
Marketingpraxis besonders nahe kommt und große Offenheit für die Integration von
sozial-ökologischen Aspekten aufweist. Aus entscheidungsorientierter Sicht differenziert er sechs Schritte des Nachhaltigkeits-Marketing. Ausgehend von der Analyse der
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Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
sozial-ökologischen Probleme und der Kundenbedürfnisse folgen die klassischen
Schritte des normativen, strategischen und operativen Marketing. Als besonders notwendig für die erfolgreiche Vermarktung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen
wird als sechster Schritt noch das transformative Nachhaltigkeits-Marketing eingeführt. In dem zweiten Teil des Beitrags stellt Frank-Martin Belz empirische Ergebnisse
zur Verankerung des Nachhaltigkeits-Marketing in der Praxis vor, die im Oktober
2003 mittels schriftlicher Befragung bei über 200 schweizerischen Pionier- und Leaderunternehmen erhoben worden sind.
Im zweiten Grundlagenbeitrag weist Manfred Kirchgeorg darauf hin, dass Zielgruppen
für Nachhaltigkeits-Marketing nicht notwendigerweise in den Industrieländern zu suchen sind. Er zeigt auf, dass gerade bei armen Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern enorme Wachstumspotenziale vorhanden sind. Manfred Kirchgeorg
knüpft an die von Prahalad und Hart ausgelöste Diskussion zum Marketing bei einkommensschwachen und armen Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern an.
Dabei legt er seiner Argumentation die normative Forderung der intragenerativen Gerechtigkeit zugrunde, welche ein wesentlicher Bestandteil des Leitbilds nachhaltiger
Entwicklung darstellt. Dadurch leistet er zweierlei: Erstens erhält das Konzept des
Nachhaltigkeits-Marketing eine dringend notwendige internationale Perspektive, in der
Entwicklungsländer nicht nur als Produktionsstandorte, sondern auch als Absatzmärkte in Erscheinung treten. Zweitens erhalten die damit verbundenen („konventionellen“)
Wachstumschancen eine normative Legitimation. Manfred Kirchgeorg arbeitet die
hierfür notwendigen konzeptionellen Anforderungen an das Marketing heraus, illustriert sie an anschaulichen Beispielen und vergisst dabei nicht, auch auf die kritischen
Aspekte – insbesondere hinsichtlich ökologischer Belastungen – hinzuweisen.
Ulf Schrader beschäftigt sich auf konzeptioneller Basis mit dem Wandel von der Ökowerbung zur Nachhaltigkeitskommunikation. Im Vergleich zur traditionellen Ökowerbung zeichnet sich moderne Nachhaltigkeitskommunikation durch folgende fünf
Merkmale aus: Neue Kommunikationsargumente (stärkere Berücksichtigung ökonomischer und sozialer Aspekte), neue Kommunikationsobjekte (stärkere Berücksichtigung der Produktion und Produktnutzung), neue Kommunikationsinstrumente (stärkere Berücksichtigung der Unternehmensberichterstattung), neue Kommunikationsgestaltung (stärkere Berücksichtigung emotionaler Elemente) und neuen Kommunikatoren (stärkere Berücksichtigung der Kommunikation durch unabhängige Dritte).
Frank-Martin Belz und Daria Ditze gehen auf empirischer Basis näher auf den Wandel
in der Nachhaltigkeits-Werbung ein. Sie nehmen eine quantitativ-qualitativ geprägten
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing
11
Inhaltsanalyse ausgewählter Werbeanzeigen im Zeitraum 1993 bis 2002 vor. Die empirischen Ergebnisse bestätigen teilweise die konzeptionellen Überlegungen von Ulf
Schrader. Es zeigt sich, dass erstens ein Wandel von informations- zu emotionsbezogener Werbung stattgefunden hat und zweitens sozial-ökologische Vorteile eines Produktes nicht mehr per se als Alleinstellungsmerkmale hervorgehoben, sondern mit
herkömmlichen Kaufkriterien zu Motivallianzen verknüpft werden.
Wilfried Konrad und Gerd Scholl berichten in ihrem Beitrag von der Einführung einer
Kundenkarte für sozial-ökologische Dienstleistungen, die sozialwissenschaftlich begleitet wurde. Sie referieren interessante Ergebnisse, die zeigen, dass es sich lohnt,
konventionelle Marketingkonzepte auf nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu
übertragen. So können die Kundenbindungen gestärkt und Netzwerkeffekte genutzt
werden. Weiterer Innovationsanstrengungen bedarf es jedoch v.a. bei der Erweiterung
von Zielgruppen für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen.
Die im ersten Teil ausgeführten allgemeinen Erkenntnisse zum NachhaltigkeitsMarketing sind wichtige Grundlagen zur erfolgreichen Umsetzung desselben. Nicht
alle Aspekte sind aber für alle Situationen gleichermaßen relevant oder können 1:1
umgesetzt werden. Vielmehr bedarf es einer situativen Relativierung, welche im zweiten Teil für drei Bereiche geleistet wird, denen besondere ökologische, soziale und
ökonomische Relevanz zukommt.
Den Anfang unternehmen Frank-Martin Belz, Rita Pant und Katharina Sammer, die in
ihrer vorgestellten qualitativen Studie „Best Practices“ aus der Schweizer Baubranche
im Hinblick auf erfolgreiches Nachhaltigkeits-Marketing analysieren. Sie führen innovative Beispiele an, die unterstreichen, dass Nachhaltigkeits-Marketing einen konstruktiven Ansatz darstellt, um im Kontext eines – durch destruktive Markttendenzen
gekennzeichneten – starken Preis- und Verdrängungswettbewerbs trotzdem einen
Kundenmehrwert zu generieren. Im Zentrum der Überlegungen stehen die Verknüpfung von sozial-ökologischen Aspekten mit individuellen Kundenbedürfnissen zu Motivallianzen. Die Autoren belegen anhand der analysierten Fallbeispielen, dass auf diese Weise nicht nur die sozial-ökologisch aktiven, sondern auch die sozial-ökologisch
aktivierbaren Bauherren angesprochen werden können. Generell zeige sich, dass diese
Möglichkeiten bei den Bau- und Generalunternehmen noch zu wenig zur Profilierung
am Markt genutzt werde. Außerdem können Holzbauunternehmen als Vorreiter im
Bereich des Nachhaltigkeits-Marketing bezeichnet werden. Ihre Kommunikationsstrategien, die v.a. auf Aspekte wie Ästhetik, Design und Komfort setzen, erreichen auch
Zielgruppen „jenseits der Öko-Nische“.
12
Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
Michael Bilharz macht die Notwendigkeit der situativen Relativierung am Beispiel der
Vermarktung von Ökostrom besonders deutlich. Ausgangspunkt für ihn ist die Hoffnung von Wissenschaftlern und Unternehmern, wonach der Markt für Ökostrom ein
ähnliches Wachstum aufweisen wird wie der Markt für Bioprodukte im Lebensmittelbereich. Michael Bilharz arbeitet strukturelle Unterschiede dieser beiden Märkte heraus, die eine einfache Ableitung von Wachstumsprognosen sowie die direkte Übertragung von „Erfolgsrezepten“ nicht ratsam erscheinen lassen. Er weist insbesondere auf
die außergewöhnliche Situation hin, dass beim Ökostrom aufgrund von politischen
Förderungen das Angebot in der Regel die Nachfrage übersteigt. Dies führt dazu, dass
gerade die politischen Rahmenbedingungen, die ohne besondere Marketinganstrengungen einen Markterfolg für erneuerbare Energien garantieren, bei den Marktakteuren heftig umstritten sind. In Form vier provokanter Thesen benennt er deshalb Erfolgsfaktoren für ein erfolgreiches Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien, welches über die eingeschränkte Perspektive der Vermarktung von Ökostrom
hinausweist.
Auch im Bereich Ernährung müssen viele Aspekte differenziert gesehen werden. Katharina Leitner zeigt in ihrer Analyse des Nachhaltigkeits-Marketing von Schweizer
Lebensmittelproduzenten, dass eine situative Relativierung nicht nur zwischen einzelnen Branchen, sondern auch innerhalb der Ernährungsbranche notwendig ist. Die steigende Nachfrage nach Bio- und Fair Trade-Lebensmitteln bietet zwar prinzipiell für
alle Lebensmittelproduzenten Chancen. Die erfolgversprechenden Strategien von
Kleinunternehmen unterscheiden sich jedoch grundlegend von denen mittelständischer
Unternehmen ebenso wie von denen multinationaler Konzerne. Katharina Leitner
zeigt anhand von drei Fallstudien, welche Strategien für welche Unternehmensgröße
erfolgreiches Nachhaltigkeits-Marketing darstellen bzw. ermöglichen.
Wie ein solches Nachhaltigkeits-Marketing konkret im Lebensmittelhandel ausschauen kann, verdeutlichen exemplarisch die zwei nachfolgenden Beiträge.
Hugo Skoppek und Birte Karstens stellen in ihrer Fallstudie das Großhandelsunternehmen EOSTA vor, den größten Importeur für biologisches Obst und Gemüse in Europa. Sie arbeiten in ihrem Beitrag die Gestaltungsmöglichkeiten eines Unternehmens
heraus, das sich nicht als Konkurrent und Nutzenmaximierer, sondern als Partner im
Wertschöpfungsprozess versteht. Der Markterfolg von EOSTA beruht demnach auf
einem ausgewogenen Balanced Marketing, welches sowohl den Beschaffungsmarkt
als auch den Absatzmarkt im Blick hat. Dabei sind im Fall von EOSTA zwei Merkmale besonders hervorzuheben: Auf der Seite des Beschaffungsmarktes sind es die lang-
Einführung in das Nachhaltigkeits-Marketing
13
fristigen Vertragsbeziehungen mit den Erzeugern, die im Zusammenhang mit einem
umfassenden Qualitätssicherungssystem eine wertvolle Vertrauensbasis gebildet haben. Auf der Seite des Absatzmarktes zeichnet sich EOSTA durch ein Höchstmaß an
Transparenz für die interessierten Kunden aus. Was Ulf Schrader in seinem Beitrag
konzeptionell herausarbeitet, wird hier praktiziert: Eine emotional-argumentative
Kommunikationsstrategie auf der Basis des Internets. Man kann den Erzeuger des von
EOSTA gekauften Produktes leicht im Internet finden. Doch zuerst spürt man die Unternehmensphilosophie: „Healthy, organic and fair“.
Den Abschluss des Themenfelds Ernährung bildet ein Gespräch zwischen Fausta Borsani, Projektleiterin Ethik bei Migros (Schweiz), und Gabi Hildesheimer, Geschäftsleiterin der Schweizerischen Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung
(ÖBU). In dem Gespräch wird deutlich, dass die Lancierung von Bio-Produktlinien
nicht die einzige Möglichkeit eines Nachhaltigkeits-Marketing im Bereich Ernährung
darstellt. So versucht der Schweizer Migros-Konzern sozial-ökologische Standards im
gesamten Sortiment kontinuierlich zu erhöhen. Der Kunde soll bei allen Produkten ein
gutes Gefühl haben, nicht nur bei den „grünen“. Dies stellt besondere Anforderungen
an das Nachhaltigkeits-Marketing, die abschließend am Beispiel des Palmölprojekts
von Migros erläutert werden.
Informations- und Kommunikationstechnologien und -dienstleistungen sind in unserer
Gesellschaft von zunehmender wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Bedeutung.
Beim Bereich der Telekommunikation handelt es sich aber – ähnlich wie beim Strommarkt – um einen Markt, bei dem bisher sozial-ökologische Aspekte keine oder nur
eine untergeordnete Rolle spielen.
Andreas Walser untersucht deshalb in seinem Beitrag, inwieweit sich ökologische und
soziale Aspekte als Differenzierungsfaktoren für Mobiltelefone eignen. Unterstützt
durch eine quantitative Befragung von rund 100 Nutzern geht er der Frage nach, ob
und in welcher Form eine Schnittmenge bei Mobiltelefonen zwischen den ökologischen und sozialen Problemen einerseits und den Kundenbedürfnissen andererseits
besteht. Seine Analyse kommt zu einem eher ernüchternden Fazit. Mehrere Faktoren
lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass sich ein „Öko-Handy“ am Markt behaupten kann. Einzig für Handys mit reduzierten Strahlungswerten sieht der Autor aufgrund der Befragungsergebnisse seiner Studie realistische Marktchancen.
Dieses ernüchternde Ergebnis lenkt den Blick auf andere Aspekte des Marketing jenseits der Produktpolitik. Fabian Bucher untersucht deshalb aufbauend auf aktuellen
Trends im Sponsoringbereich sowie einer eigenen quantitativen Befragung die Chan-
14
Frank-Martin Belz/Michael Bilharz
cen und Risiken eines Öko- und Sozio-Sponsoring aus der Sicht von Telekommunikationsanbietern. Anhand vier ausgewählter „Best Practices“ entwickelt er kritische Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Sponsoringprojekte. Insbesondere die klare Fokussierung auf wenige, dafür aber in einem inneren Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit stehenden Projekte wird von Fabian Bucher betont.
Im dritten und letzten Teil des Buches ziehen Frank-Martin Belz, Gabi Hildesheimer
und Michael Bilharz ein Resümee. Sie definieren zwei große Herausforderungen für
Theorie und Praxis, die sich aus den Buchbeiträgen ergeben. Zum einen gilt es, die
noch nebeneinander stehenden Praxiserfahrungen mit Hilfe des Konzeptes Nachhaltigkeits-Marketing in einen konsistenten Zusammenhang zu stellen. Auf diese Weise
können die gemachten Erfahrungen systematisch weiterentwickelt und verbessert werden. Des Weiteren kann und sollte herkömmliches Marketing konsequent mit dem
Konzept des Nachhaltigkeits-Marketing konfrontiert und verbunden werden. Denn
wenn Nachhaltigkeits-Marketing grundsätzlich in allen Branchen und bei allen Unternehmensgrößen möglich ist, wie es die Beiträge in diesem Buch zeigen, dann kann
man von den Unternehmen als Teil ihrer unternehmerischen Verantwortung erwarten,
dass sie dieses auch anwenden. Es liegt – so das Fazit der Autoren – an den Unternehmen, aus dieser Verantwortung eine Chance für die eigene Unternehmung werden
zu lassen.
Literaturverzeichnis
Balderjahn, I. (2004): Nachhaltiges Marketing Management, Stuttgart.
Becker, J. (1998): Marketing-Konzeption. Grundlagen des strategischen und operativen Marketing-Managements, 6. vollst. überarb. u. erw. Aufl., München.
Belz, C. (2001): Nachhaltiges Marketing schafft nachhaltige Kundenvorteile, in: Thexis, 18. Jg., 2001, Nr. 2, S. 2-10.
Belz, F.-M. (2001): Integratives Öko-Marketing, Wiesbaden.
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Teil II:
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle
und empirische Grundlagen
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle
Grundlagen und empirische Ergebnisse
Frank-Martin Belz
1 Nachhaltigkeit als Herausforderung für das Marketing
Ökologie und Soziales sind Megatrends des 21. Jahrhunderts, die sich nachhaltig auf
die Produkte und Märkte von morgen auswirken werden. Erste Anzeichen eines ökologisch und sozial induzierten Wandels sind in einer Vielzahl von Märkten festzustellen. So wird sich bspw. der Energiemarkt in Zukunft einschneidend verändern: Es ist
abzusehen, dass während der nächsten 30-50 Jahre nicht-regenerierbare Ressourcen
wie Erdöl durch regenerierbare Ressourcen wie Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme und
Biogas ergänzt sowie ersetzt werden. Doch nicht nur auf dem Energiemarkt, sondern
auch im Bau-/Immobilienmarkt (Niedrigenergie- und Passivhäuser) sowie Lebensmittelmarkt (Bio- und Fair Trade-Produkte) mehren sich die Anzeichen für fundamentale
Veränderungen, die einerseits strategische Risiken darstellen, andererseits aber auch
große Chancen für innovative Unternehmen eröffnen.
Eine zentrale Frage des Nachhaltigkeits-Marketing lautet, inwiefern Unternehmen
relevante Beiträge zur Verbesserung der sozial-ökologischen Probleme liefern und
gleichzeitig Kundenmehrwert schaffen können. Damit wird das immanente Spannungsfeld des Nachhaltigkeits-Marketing von sozial-ökologischen Problemen einerseits und Kundenbedürfnissen andererseits beschrieben. Im vorliegenden Beitrag wird
zunächst ein entscheidungsorientierter Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing vorgestellt, der es Unternehmen ermöglicht, dieses Spannungsfeld auszuloten und sozialökologische Aspekte systematisch in das Marketing zu integrieren (Kap. 2). Anschließend werden empirische Ergebnisse einer Umfrage zum Nachhaltigkeits-Marketing
von Unternehmen in der Schweiz dargestellt (Kap. 3). Aus der Umfrage vom Oktober
2003 geht hervor, inwiefern schweizerische Pionier- und Leaderunternehmen Nachhaltigkeits-Marketing auf der strategischen und operativen Ebene umsetzen. Abschließend werden die wichtigsten Erkenntnisse und Erfolgsfaktoren des NachhaltigkeitsMarketing kurz zusammengefasst (Kap. 4).
20
Frank-Martin Belz
2 Konzeptionelle Grundlagen des Nachhaltigkeits-Marketing
Die Gestaltung eines Nachhaltigkeits-Marketing zeichnet sich durch den bewussten
und konsequenten Einbezug ökologischer und sozialer Kriterien in der gesamten Konzeption aus (Belz 2003, S. 352-355). Aus entscheidungsorientierter Perspektive kann
man dahingehend sechs Schritte differenzieren (Abb. 1).
1. Schritt: Analyse der
sozial-ökol. Probleme
2. Schritt: Analyse der
Kundenbedürfnisse
3. Schritt: Normatives
Nachhaltigkeits-Marketing
4. Schritt: Strategisches
Nachhaltigkeits-Marketing
5. Schritt: Operatives
Nachhaltigkeits-Marketing
6. Schritt: Transformatives
Nachhaltigkeits-Marketing
Abbildung 1: Nachhaltigkeits-Marketing – Ein entscheidungsorientierter Ansatz
Die ersten beiden Schritte kennzeichnen die Informationsebene: Dabei geht es einerseits um die Analyse der ökologischen Belastungen und der sozialen Probleme der
Produkte entlang des gesamten Lebenszyklus „von der Wiege bis zur Bahre“, andererseits um die Analyse der Kundenbedürfnisse. Dies ist das immanente Spannungsfeld,
welches dem Nachhaltigkeits-Marketing zugrunde liegt. Das Ausblenden der sozialökologischen Aspekte charakterisiert das herkömmliche Marketing. Die Vernachlässigung der Kundenperspektive kann man als alternatives Marketing oder AntiMarketing bezeichnen, welches allenfalls in (Kleinst-) Nischen Resonanz findet.
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
21
Ausgangspunkt des Nachhaltigkeits-Marketing sind die negativen externen Effekte
ökologischer und sozialer Art, die mit der Herstellung und Verwendung von Produkten
einhergehen. Erst eine umfassende Analyse entlang des gesamten Produktlebenszyklus
gibt Aufschluss über die zentralen ökologischen und sozialen Problembereiche. Hierzu
eignet sich bspw. das Instrument der Produktlinienanalyse, welches die Auswirkungen
von Produkten auf die Natur, Gesellschaft und Wirtschaft anhand von Einzelkriterien
operationalisiert und qualitativ bewertet (Projektgruppe ökologische Wirtschaft 1987).
Das Instrument der Life Cycle Analysis (LCA) erlaubt auch eine Quantifizierung der
Produktauswirkungen auf die natürliche Umwelt (Umweltbundesamt 1992). Das
Ausmaß und die Art der sozial-ökologischen Probleme während der einzelnen Lebenszyklusphasen sind unterschiedlich ausgeprägt und in der Regel produktspezifisch.
Grundsätzlich kann man dahingehend zwischen rohstoff-, herstellungs-, gebrauchs-,
entsorgungs- und logistikintensiven Produkten unterscheiden (Spiller 1996, S. 52-53).
So entstehen bspw. bei Textilien auf den Stufen der Rohstoffgewinnung und der Vorproduktherstellung eine Vielzahl von ökologischen Belastungen und sozialen Problemen (Meyer 2001, S. 83-96), während bei Automobilen die Gebrauchsphase eine besondere Rolle spielt (Liebehenschel 1999, S. 172-179; Belz 2001, S. 175-180). Die
Bewertung der Produkte auf die natürliche und gesellschaftliche Umwelt ist nicht trivial und mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbunden (Kaas 1992, S. 478): Zum
einen sind die Umweltauswirkungen von Produkten entlang des gesamten Lebenszyklus vielschichtig, indirekt und komplex und weit davon entfernt, restlos erforscht zu
werden (exogene Unsicherheit). Zum anderen ist auch das vorhandene Wissen über die
ökologischen und sozialen Auswirkungen nur für Wissenschaftler und Experten einigermaßen überschaubar, während es für einen durchschnittlichen Konsumenten
schwierig ist, einen Überblick über die Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Produkten zu erhalten (endogene Unsicherheit).
Die Kundenbedürfnisse und Kaufentscheidungen kann man gemäß der ökonomischen
Verhaltenstheorie nach Maßgabe von Nutzen und Kosten analysieren. Der Nutzen umfasst neben dem Grundnutzen eines Produktes (Gebrauchsnutzen) auch den Zusatznutzen in Form von Selbstachtungsnutzen (gutes Gewissen), Fremdachtungsnutzen (Anerkennung durch andere Personen) und Erbauungsnutzen durch Schaffensfreude
(Vershofen 1940, S. 63-86). Bei den Kosten sind nicht ausschließlich der Produktpreis
zu berücksichtigen, sondern auch die Beschaffungs-, Verwendungs- und PostVerwendungskosten. Die einzelnen Nutzen- und Kostenkategorien werden subjektiv
wahrgenommen und individuell gewichtet. Ist der Nettonutzen eines sozialökologischen Produktes aus der Sicht des Kunden höher als der Nettonutzen eines her-
22
Frank-Martin Belz
kömmlichen Produktes, wird er ersteres bevorzugen. Vor dem Hintergrund einer solchen Nutzen-Kosten-Abwägung kann man grundsätzlich drei verschiedene Gruppen
von Verbrauchern unterscheiden: sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare und Passive
(Belz 2001, S. 79). Die erste Gruppe ist in hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert und gut darüber informiert. Für sie stiften sozial-ökologische Produkteigenschaften einen hohen Selbst- und Fremdachtungsnutzen. Daher sind sie eher
bereit, Abstriche beim Gebrauchsnutzen zu machen und gegebenenfalls höhere Kosten
in Kauf zu nehmen. Die zweite Gruppe schätzt ebenfalls sozial-ökologische Produkteigenschaften und sieht darin einen gewissen Selbst- und Fremdachtungsnutzen, ist
aber nicht ohne weiteres bereit, Nutzeneinbußen oder Kostenerhöhungen dafür zu
nehmen. Nachhaltige Produkte unter Vernachlässigung herkömmlicher Qualitätsmerkmale kommen für diese Zielgruppe nur sehr bedingt in Frage. Die dritte Gruppe
sieht keinen Mehrwert in sozial-ökologischen Produkteigenschaften und ist in der Regel weder zu Nutzeneinbußen noch zu Kostenerhöhungen bereit.
Das immanente Spannungsfeld des Nachhaltigkeits-Marketing von sozial-ökologischen
Problemlagen und Kundenbedürfnissen ist nicht statisch, sondern dynamisch. So kann
sich die Einschätzung der sozialen und ökologischen Probleme im Laufe der Zeit
grundlegend ändern. Sie hängt von mehreren Faktoren wie dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand (Spiller 1996, S. 389-412), der öffentlichen und politischen
Wahrnehmung sowie technologischen Innovationen ab (Ottman 1998, S. 89-93). Aber
auch die Kundenbedürfnisse ändern sich im Laufe der Zeit. So hat bspw. der Trend
zum Hedonismus weit reichende Konsequenzen für die Vermarktung von sozialökologischen Produkten. Anstatt allgemein auf sozial-ökologische Probleme abzuheben, ist es wichtig, individuelle Nutzen- und Kostenvorteile herauszustellen, die mit
derartigen Produkten einhergehen (Beiträge Schrader und Belz/Ditze). Das zentrale
Ziel der ersten beiden Schritte ist die Identifikation der Schnittmenge zwischen sozialökologischen Problemlagen und Kundenbedürfnissen. Diese Schnittmenge ist nicht
statisch und objektiv gegeben, sondern sie ist vielmehr dynamisch und wird von Entscheidungsträgern in Unternehmen konstruiert und teilweise sehr unterschiedlich
wahrgenommen. So kann es vorkommen, dass der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbeauftragte in einem Unternehmen große Chance zur Profilierung im Markt sieht, während
Produkt- oder Marketingmanager dahingehend sehr skeptisch sind. Eine Analyse der
beiden Pole und Einschätzung der Lage kann ergeben, dass die Schnittmenge recht
groß ist und erhebliche Gestaltungsspielräume für das Nachhaltigkeits-Marketing von
Unternehmen bestehen. Dies ist bspw. im schweizerischen Lebensmittelhandel der
Fall, in dem sozial-ökologische Aspekte eine große Rolle im Wettbewerb spielen und
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
23
einen zentralen Erfolgsfaktor darstellen (Beiträge Leitner und Borsani/Hildesheimer).
Die Analyse kann aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die Schnittmenge noch
recht klein ist und die Gestaltungsspielräume für aktives Nachhaltigkeits-Marketing
vorläufig noch eingeschränkt sind. Dies zeigt sich bspw. in der Telekommunikationsbranche, in dem sozial-ökologische Probleme zweifelsohne relevant sind, aber aus
Kundensicht nur eine nachgelagerte Bedeutung haben. So stehen etwa beim Kauf von
Handys Kriterien wie die Funktionalität, das Design und der Preis im Vordergrund,
während aus Sicht der Kunden sozial-ökologische Aspekte kaum eine Rolle spielen
(Beitrag Walser). Dies mag u.a. daran liegen, dass die Anbieter in diesem Bereich
noch keine ernsthaften Initiativen zur Vermarktung unternommen haben.
Die Schritte drei bis fünf charakterisieren die Gestaltungsebene: Ökologische und soziale Aspekte sind durchgehend und konsistent auf der normativen, strategischen und
operativen Ebene des Nachhaltigkeits-Marketing zu integrieren (Balderjahn 2004,
S. 42-194). Das Nachhaltigkeits-Marketing orientiert sich am Leitbild des „sustainable
development“, der nachhaltigen Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen
Generationen auf eine Art und Weise befriedigt, dass auch zukünftige Generationen
ihre Bedürfnisse befriedigen können (Hauff 1987). Dahinter steht die Idee der interund intragenerativen Gerechtigkeit. Die Abstraktheit dieser Formel ist Stärke und
Schwäche zugleich: Einerseits findet sie allgemeine Zustimmung, andererseits birgt sie
aber auch die Gefahr der ideologisch verbrämten Einengung (Hansen/Schrader 2001,
S. 22). Für einzelne Unternehmen und Branchen besteht die Schwierigkeit, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zu konkretisieren. Der World Business Council for
Sustainable Development (WBCSD), eine Vereinigung von 160 internationalen Unternehmen aus über 30 Ländern und 20 verschiedenen Branchen, widmet sich bspw.
dieser Aufgabe: Sie unterstützen das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, formulieren nachhaltige Grundsätze für verschiedene Branchen und geben konkrete Handlungsanweisungen mit „Best Practice“-Beispielen aus der Unternehmenspraxis (Holliday/Schmidheiny/Watts 2002). Dabei fließen jeweils Ökonomie, Ökologie und Soziales als die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ein (sog. „Drei-Säulen-Modell“), die
von Unternehmen verantwortungsvoll integriert werden müssen (Dyllick/Hockerts
2002, S. 130-141). Die integrierte Betrachtung von ökonomischen, ökologischen und
sozialen Aspekten führt zu erhöhten Anforderungen im Produkt- und Leistungsbereich. Dabei kann es nicht um die einmalige Aussöhnung der Trias gehen. Vielmehr
handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess und ständiges Abwägen vor dem
Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen (Kirchgeorg 2001, S. 3-4). Die
Ziele im Nachhaltigkeits-Marketing können qualitativer oder quantitativer Art sein.
24
Frank-Martin Belz
Sie beziehen sich primär auf die Kunden und Produkte und sollten handlungsleitenden
Charakter für das Management und die Mitarbeiter haben.
Auf der Grundlage der vorausgegangenen Analysen und der Orientierung am Leitbild
der nachhaltigen Entwicklung sind marktteilnehmerbezogene Strategien festzulegen.
Die zentrale Frage lautet: Welche Kundengruppen sollen wie mit nachhaltigen Produkten angesprochen werden? Bei den marktteilnehmerbezogenen Strategien ist zwischen
Handel und Endverbraucher zu differenzieren (Bruhn 1992, S. 540-545; Kirchgeorg
1995, S. 1949-1950). In vielen Konsumgüterbranchen nimmt der Handel die Funktion
als sozial-ökologischer Gatekeeper bzw. Diffusionsagent wahr (Hansen 1988; Hansen/Kull 1996). Er spielt eine wichtige Rolle bei der Einführung und erfolgreichen
Vermarktung von nachhaltigen Produkten. In diesem Fall bietet sich ein vertikal integriertes Vorgehen in Abstimmung und Kooperation mit dem Handel an.
Bei den Endverbrauchern kann man, wie oben ausgeführt, grundsätzlich zwischen sozial-ökologisch Aktiven, Aktivierbaren und Passiven unterscheiden. Für kleinere Pionierunternehmen mag es interessant ein, gezielt die Gruppe der sozial-ökologischen
Aktiven in nachhaltigen Nischen anzusprechen. In diesem Fall werden Ökologie und
Soziales vielfach als dominante Profilierungsdimensionen neben Qualität und Preis
eingesetzt. Für mittlere und große Unternehmen ist eine solche Positionierung problematisch, führt sie doch zu einer Marktverengung. In diesem Fall mag es sinnvoll sein,
Ökologie und Soziales als gleichberechtigte Profilierungsdimension zu verwenden, um
damit die Gruppe der sozial-ökologisch Aktivierbaren anzusprechen. Gelingt es Unternehmen, Ökologie und Soziales mit herkömmlichen Leistungsmerkmalen wie Design, Ästhetik, Gesundheit, Wirtschaftlichkeit etc. zu sog. „Motivallianzen“ zu verbinden und als Mehrwert zu vermarkten, ist diese Gruppe offen für entsprechende Produkt- und Leistungsinnovationen (Belz 2001, S. 83-84; Meffert/Kirchgeorg 1998,
S. 282-283; Villiger/Wüstenhagen/Meyer 2000, S. 39-41). Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Umwelt- und Sozialverträglichkeit lediglich als flankierende Profilierungsdimension einzusetzen. In diesem Fall sind sozial-ökologische Aspekte zwar ein
integraler Bestandteil der Produktqualität, werden aber nicht besonders hervorgehoben. Eine solche Positionierung ist am ehesten geeignet, um die sozial-ökologisch Passiven und damit den Massenmarkt zu erreichen. Die drei Möglichkeiten machen deutlich, dass Nachhaltigkeits-Marketing in der Nische, in einzelnen Marktsegmenten und
im Massenmarkt betrieben werden kann. Die Entscheidung für eine dieser strategischen Optionen hängt insbesondere von der Unternehmensgröße und der Stellung am
Markt ab. Auf jeden Fall ist die Marktsegmentierung eine wichtige Voraussetzung für
die Ableitung und Umsetzung von erfolgreichen Nachhaltigkeits-Marketingstrategien
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
25
(Balderjahn 2004, S. 104): Unter einer nachhaltigkeitsorientierten Marktsegmentierung ist einerseits die Identifikation, Bildung und Beschreibung von sozialökologischen Kundengruppen (Markterfassung), andererseits deren Bewertung, Auswahl und segmentspezifischen Bearbeitung zu verstehen (Marktbearbeitung).
Ausgehend von den Nachhaltigkeits-Marketingstrategien erfolgt die Umsetzung auf
der operativen Ebene. Im Mittelpunkt des Nachhaltigkeits-Marketing-Mix stehen
nachhaltige Produkte, die individuelle Kundenbedürfnisse befriedigen und die negativen externen Effekte ökologischer und sozialer Art auf ein Minimum reduzieren. In
diesem Sinn kann man nachhaltige Produkte definieren als Produkte, die weniger ökologische Belastungen und soziale Probleme als herkömmliche Produkte mit einem
vergleichbaren Gebrauchsnutzen verursachen. Aus dieser Begriffsbestimmung geht
hervor, dass nachhaltige Produkte keine absoluten, sondern relative Größen darstellen,
die sich entsprechend dem Stand des Wissens, der Technologien und dem Anspruchsniveau im Laufe der Zeit ändern können. Ein Produkt, dass heute noch als besonders
ökologisch und/oder sozial eingestuft wird, kann schon morgen als Standard gelten.
Ein Beispiel hierfür ist das vieldiskutierte Drei-Liter-Auto, welches als ökologisches
Produkt angesehen wird, da es weniger Benzin verbraucht als herkömmliche am Markt
erhältliche Produkte (Liebeshenschel 1999, S. 211-305; Hoffmann 2002, S. 209-240).
Schreitet die technologische Entwicklung in den kommenden Jahren weiter voran und
wird das Ein-Liter-Auto entwickelt oder findet ein Technologiesprung von Benzinmotoren zu Brennstoffzellen statt (Belz 2002, S. 20-21), dann wird das Drei-Liter-Auto
zukünftig sicherlich nicht mehr als ökologisches Produkt eingestuft. Bei der Beurteilung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit eines Produktes ist der gesamte Lebenszyklus „von der Wiege bis zur Bahre“ zu berücksichtigen (Dyllick 1992, S. 400-401).
Weiterführend ist die Idee des Produktlebenszyklus „von der Wiege bis zur Wiege“,
welche sich an der Kreislaufwirtschaft orientiert und eine Wiederverwendung/
-verwertung explizit mit einbezieht (Kirchgeorg 1999; ders. 2002). Zwei ausgewählte
Beispiele für nachhaltige Produkte aus den Bedürfnisfeldern Wohnen und Ernähren
sind:
y
Sozialwohnungen in Passivhaus-Bauweise: Aus energetischer Sicht kommt der
Nutzung eines Gebäudes während des gesamten Lebenszyklus eine zentrale Bedeutung zu (Koller 1995, S. 138; Öko-Institut 1998, S. 26). Passivhäuser, die ohne aktive Heizsysteme auskommen und mit Komfortlüftungen ausgestattet sind, reduzieren den Energieverbrauch während der Nutzungsphase um den Faktor 5 gegenüber
Neubauten und den Faktor 15-20 gegenüber Altbauten (Belz 2001, S. 100-105).
Werden diese von Bau- oder Immobiliengesellschaften zu einem günstigen Miet-
26
Frank-Martin Belz
preis als Sozialwohnungen angeboten, stellt das einen wichtigen Beitrag zur
CO2-Problematik und zur Wohnungsnot dar (Hübner/Hermelink 2002, S. 129-133).
Hinzu kommt, dass die Mieter gegenüber möglichen Energiepreissteigerungen in
der Zukunft weitgehend abgesichert sind.
y
Fair Trade-Produkte aus biologischem Anbau: Nach Erdöl ist Kaffee der meistgehandelte Rohstoff der Welt. Die ökologischen Kernprobleme dieses Lebensmittelproduktes sind nicht im Röstprozess zu sehen, der mittlerweile schon allein aus
Kostengründen sehr energie- und wassereffizient ist, sondern vielmehr in der Anbauweise (Belz 1995, S. 167-174). Die Monokulturen und die Aufbereitung der
Kaffeekirschen sind mit der Zerschneidung von Ökosystemen, Reduktion der Artenvielfalt, Belastung von Gewässern und Boden sowie Energieverbrauch und damit einhergehenden Luftemissionen verbunden. Hinzu kommen die sozialen Probleme auf dieser Stufe: Die Kaffeepflücker auf den Monokulturen sind nicht ausreichend gegen die eingesetzten Agrochemikalien geschützt, leben vielfach unter ärmlichen Verhältnissen und verdienen einen sehr geringen Lohn; die Kleinbauern unter den Kaffeepflanzern leiden unter der Abhängigkeit von den Zwischenhändlern,
dem weltweiten Überangebot an Kaffee und dem Preiszerfall. Ein Beitrag, um diese sozialen und ökologischen Probleme anzugehen, wäre das Angebot von Fair
Trade-Kaffee aus biologischem Anbau (Belz 1995, S. 189-191).
Werden sozial-ökologische Aktive oder Aktivierbare als Kundengruppen gezielt angesprochen, dann besteht i.d.R. ein gewisser Preisspielraum. Soll dieser ausgeschöpft
werden, ist es allerdings unerlässlich, dass die nachhaltigen Produkte einen für die
Kunden wahrnehmbaren Mehrwert besitzen. Eine zentrale Herausforderung in der
Kommunikation von nachhaltigen Produkten ist die Transformation des Sozialnutzens
in einen Individualnutzen (Kaas 1992, S. 476-478; Meffert 1993, S. 51-54; Kirchgeorg
1995, S. 1945-1946). Eine Möglichkeit besteht darin, den sozialen und ökologischen
Mehrwert geschickt mit herkömmlichen Qualitäts- und Leistungskriterien zu Motivallianzen zu verknüpfen (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 282-283; Hoffmann 2002,
S. 117-119). Beispiele hierfür sind biologische Lebensmittel, die gesund und
schmackhaft sind oder Drei-Liter-Autos, die wirtschaftlich sind und einen bestimmten
Lebensstil versprechen. In der Kommunikation gilt es, sich auf dem schmalen Grat
zwischen Animation und Information zu bewegen, ohne die Glaubwürdigkeit aus der
Sicht des Kunden zu verlieren (Hüser/Mühlenkamp 1992, S. 151). Eine Möglichkeit
dazu ist der Einsatz von emotional-argumentativer Werbung, die neben dem Text vor
allem emotionalisierende (Natur-) Bilder oder assoziative Wörter und Headlines verwendet, um beim Zuschauer bzw. Leser positive Gefühle hervorzurufen (Lichtl 1999,
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
27
S. 53). Ein anderer Weg besteht in der Differenzierung der klassischen (Massen-)
Kommunikation und Public Relations, wie es bspw. DaimlerChrysler vornimmt: Im
Fall des „Smart“ wird in der klassischen Kommunikation auf ökologische Argumente
weitgehend verzichtet, während es bei Public Relations eine wichtige Rolle spielt. Um
die sozial-ökologischen Produkteigenschaften glaubhaft gegenüber dem Kunden zu
vermitteln, ist der Einsatz von Öko- und Sozial-Labels sinnvoll, die von dritten, unabhängigen Organisationen vergeben werden. Genießen derartige Labels Glaubwürdigkeit aus der Sicht des Konsumenten und sind sie allgemein bekannt, können sie erhebliche Absatzwirkungen entfalten. Sollen nicht nur die sozial-ökologisch Aktiven, sondern auch die Aktivierbaren und möglicherweise Passiven angesprochen werden, dann
ist ein hoher Distributionsgrad unabdingbar. Die beiden letzteren Kundengruppen sind
kaum bereit, höhere Beschaffungskosten in Kauf zu nehmen. Daher sind nachhaltige
Produkte nicht ausschließlich über kleinere Alternativläden, Direktvermarktung und
Versandhandel zu vertreiben, sondern auch über konventionelle Läden. Ein weiterer
Distributionsweg besteht in neuen „Nachhaltigkeits-Zentren“, die nachhaltige Produkte und Leistungen unter einem Dach anbieten (Zander 2002, S. 8-9).
Der sechste und letzte Schritt kennzeichnet die Transformationsebene: Innerhalb der
gegebenen Rahmenbedingungen sind der Einführung und Vermarktung von nachhaltigen Produkten vielfach enge Grenzen gesetzt. Um die Voraussetzungen für die erfolgreiche Vermarktung von nachhaltigen Produkten jenseits von Nischen zu schaffen und
die Schnittmenge zwischen Marketing und Ökologie/Sozialem zu vergrößern, sind
Veränderungen der öffentlichen und politischen Rahmenbedingungen notwendig. An
diesen gesellschaftspolitischen Prozessen können sich Unternehmen und ihre Verbände im wohlverstandenen Eigeninteresse beteiligen und die Weiterentwicklung der freien Marktwirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft vorantreiben. Aus
dieser Sicht werden Öffentlichkeit und Politik als Vorsteuergrößen des Marktes betrachtet und explizit im Nachhaltigkeits-Marketing berücksichtigt. Im Schumpeterschen Sinn geht es um die schöpferische Zerstörung bestehender Strukturen, die sich
als nicht-nachhaltig erweisen. Die Idee der „branchen- und ordnungspolitischen Mitverantwortung“ von Unternehmen stammt aus der integrativen Unternehmensethik
(Ulrich 1998, S. 429-437) und ist auch Bestandteil eines guten Corporate Citizenship
(Schrader 2004, S. 52-60). In Anlehnung an die integrative Unternehmensethik kann
man zwei Ebenen eines integrativen Nachhaltigkeits-Marketing differenzieren (Belz
2001, S. 79-99): Normatives, strategisches und operatives Nachhaltigkeits-Marketing
innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen und transformatives NachhaltigkeitsMarketing zur Veränderung der öffentlichen und politischen Rahmenbedingungen.
28
Frank-Martin Belz
Letzteres dient zur Vergrößerung der Schnittmenge von Marketing und Ökologie/Sozialem. Ziele des transformativen Nachhaltigkeits-Marketing bestehen darin,
institutionelle Veränderung in Gang zu bringen, die
y
entweder positive Anreize für den Kauf und die Verwendung von sozialökologischen Produkten
y
oder negative Anreize für den Kauf und die Verwendung von herkömmlichen Produkten setzen (Belz 2001, S. 97).
Exemplarische Beispiele für ein derart verstandenes transformatives NachhaltigkeitsMarketing sind: Öffentliche Befürwortung einer aufkommensneutralen ökologischen
Steuerreform; Vereinbarung von freiwilligen Branchenvereinbarungen, die sich auf die
Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Produkten beziehen; Entwicklung und Unterstützung von Nachhaltigkeits-Labels in Zusammenarbeit mit Non Governmental Organisations (NGOs). Nachhaltigkeits-Labels werden von dritten unabhängigen Organisationen vergeben und kontrolliert, schaffen Transparenz im Markt und signalisieren
dem Kunden einen sozial-ökologischen Mehrwert. Migros betreibt derartiges transformatives Nachhaltigkeits-Marketing, indem sie sich auf internationaler Ebene für die
allgemein verbindliche Definition eines Labels für nachhaltiges Palmöl einsetzt, welches in einer Vielzahl von Alltagsprodukten wie Margarine und Blätterteig enthalten
ist und andere Öle zusehends ersetzt (Borsani 2003, S. 25-26). Transformatives Nachhaltigkeits-Marketing beschränkt sich jedoch nicht auf Großunternehmen, die international agieren, sondern bezieht sich auch auf klein- und mittelständische Unternehmen,
die auf regionaler und nationaler Ebene strukturverändernd wirken können (Schneidewind 1998).
3 Empirische Ergebnisse zum Nachhaltigkeits-Marketing
von Unternehmen in der Schweiz
Um den Stand des Nachhaltigkeits-Marketing in der Praxis zu ermitteln, hat das Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) in Zusammenarbeit mit der schweizerischen Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung (ÖBU) im Oktober 2003 eine personalisierte Online-Befragung bei rund 1000
schweizerischen Unternehmen durchgeführt. Davon waren rund 300 ÖBU-Mitglieder,
während die restlichen 700 Unternehmen der ÖBU nahe stehen und schon einmal Interesse an der Vereinigung bekundet haben. Dabei standen folgende Fragen zum strategischen und operativen Nachhaltigkeits-Marketing im Vordergrund (siehe Anhang):
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
29
y
Was sind die Treiber für sozial-ökologisches Engagement im Marketing?
y
Welche Bedeutung haben Ökologie und Soziales als Profilierungsdimensionen neben Qualität und Preis?
y
In welchem Maß finden sozial-ökologische Aspekte in der Produktgestaltung und
-kommunikation Berücksichtigung?
y
Inwiefern lassen sich sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Aspekten
wie z.B. Geschmack und Frische zu sog. „Motivallianzen“ verbinden?
y
Liefern sozial-ökologische Produkteigenschaften einen Mehrwert für bestimmte
Kundengruppen?
y
Ist es möglich, durch den sozial-ökologischen Mehrwert einen etwas höheren Preis
zu erzielen?
Der Rücklauf der Umfrage lag bei über 20% (n = 221). Dies ist angesichts der Form
der Befragung und der kurzen Antwortzeit von einer Woche bei einem Erinnerungsmail zufrieden stellend. Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Die
empirischen Ergebnisse beziehen sich primär auf Unternehmen, die für Umwelt und
Nachhaltigkeit sensibilisiert sind und sich in der einen oder anderen Form bereits damit beschäftigt haben. Mit anderen Worten: Man kann aus den vorliegenden Antworten durchaus auf die Gruppe der sozial-ökologisch Aktiven und Aktivierbaren schließen, nicht aber auf die Grundgesamtheit aller schweizerischen Unternehmen, die auch
die sozial-ökologisch Passiven umfasst. Nichtsdestotrotz lassen sich interessante Tendenzaussagen treffen, insbesondere was die relative Bedeutung von ökologischen und
sozialen Aspekten auf der strategischen und operativen Ebene des NachhaltigkeitsMarketing betrifft.
Der wichtigste Treiber für Nachhaltigkeits-Marketing sind die Kunden: 60% der Unternehmen geben an, dass die Kunden der Grund für entsprechende Aktivitäten sind
(Abb. 2). An zweiter und dritter Stelle stehen das Management bzw. Unternehmenseigner und die Öffentlichkeit: Rund die Hälfte der Unternehmen gibt an, dass diese
beiden Treiber eine wichtige Rolle für Nachhaltigkeits-Marketing sind. Dies ist ein
Unterschied zum herkömmlichen Marketing, in dem der kritischen Öffentlichkeit in
der Regel nur eine untergeordnete Rolle zukommt. Offenbar zeigen die Sensibilisierungsarbeit und Kommunikationskampagnen von kritischen Anspruchsgruppen wie
bspw. Greenpeace oder WWF Wirkung, in denen sie auf ökologische Probleme und
soziale Missstände in bestimmten Bereichen hinweisen.
30
Frank-Martin Belz
60%
Kunden
50%
Management
47%
Öffentlichkeit
Gesetzgeber
27%
23%
Konkurrenz
0%
10%
20%
30%
n = 221
40%
50%
60%
70%
Abbildung 2: Treiber für sozial-ökologisches Marketingengagement
Eine wichtige strategische Entscheidung im Nachhaltigkeits-Marketing ist, welche
Zielgruppen wie angesprochen werden sollen. Aus der Umfrage geht hervor, dass über
die Hälfte der Unternehmen Ökologie bzw. Soziales als flankierende Profilierungsdimensionen neben Qualität und Preis verwenden (Abb. 3).
Ökologie 4%
59%
29%
8%
n = 221
Soziales
21%
0%
56%
20%
40%
20%
60%
80%
Keine Profilierung
Flankierende Profilierung
Gleichberechtigte Profilierung
Dominante Profilierung
4%
100%
Abbildung 3: Sozial-ökologische Positionierung
Aus dieser Sicht sind sozial-ökologische Aspekte integraler Bestandteil der Produktund Prozessqualität. Eine solche Positionierung zielt primär auf die Gruppe der sozialökologisch Aktivierbaren. Rund ein Viertel der Unternehmen sieht Ökologie bzw. So-
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
31
ziales als gleichberechtigte Profilierungsdimension neben Qualität und Preis an. Lediglich eine kleine Minderheit von Unternehmen verwendet Ökologie bzw. Soziales als
dominante Profilierungsdimensionen. Dabei handelt es sich (fast) ausschließlich um
klein- und mittelständische Unternehmen. Für größere Unternehmen kommt eine solche Positionierung nicht in Frage, führt sie doch zu einer Segmentverengung. Ökologie und Soziales als dominante Positionierung wie im Fall von alternativen Bio- und
Dritte Welt-Läden zielen auf die kleine, aber durchaus attraktive Gruppe der sozialökologisch Aktiven. Generell fällt auf, dass Ökologie durchweg eine größere Rolle als
Profilierungsdimension im Markt spielt als Soziales. Dies kann damit begründet werden, dass Ökologie seit der Rio-Konferenz 1992 breite Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und Wirtschaft erfahren hat, während dies bei sozialen Themen erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts der Fall ist. Weiterhin ist interessant, dass der Einsatz von
Ökologie und Sozialem als Profilierungsdimensionen auf unterschiedliche Faktoren
zurückzuführen sind: Im Fall der ökologischen Positionierung sind die Anforderungen
der Kunden ausschlaggebend. Sie sind die zentralen Treiber für eine entsprechende
Verankerung auf der strategischen Ebene des Nachhaltigkeits-Marketing. Im Fall der
sozialen Positionierung hat vor allem die kritische Öffentlichkeit einen positiven Einfluss, während der Gesetzgeber eher einen negativen Einfluss ausübt. Dieses zumindest auf den ersten Blick überraschende Ergebnis lässt sich wie folgt begründen: Werden soziale Aspekte gesetzlich geregelt, sind sie als Mindeststandard anzusehen und es
bestehen keine Profilierungsmöglichkeiten im Markt gegenüber den Kunden.
Kern des Nachhaltigkeits-Marketing auf der operativen Ebene ist die Gestaltung des
Produktes nach sozial-ökologischen Kriterien. In Übereinstimmung mit den strategischen Positionierungen gibt die große Mehrheit der Unternehmen, d.h. über 80% an,
dass der sozial-ökologischen Produktgestaltung eine mittlere bis hohe Bedeutung beigemessen wird (Abb. 4). Bei über der Hälfte der Unternehmen finden ökologische Aspekte in hohem bzw. sehr hohem Maß Berücksichtigung in der Produktgestaltung
(= 56%). Knapp die Hälfte der Unternehmen berücksichtigt soziale Aspekte in hohen
bzw. sehr hohem Maß bei der Produktgestaltung (= 45%). Dies gilt insbesondere für
Dienstleistungsunternehmen und kleinere Unternehmen, bei denen die persönliche
Kommunikation und Interaktion mit dem Kunden eine große Rolle spielen. Der zentrale Treiber für die sozial-ökologische Produktgestaltung ist das Management.
32
Frank-Martin Belz
12%
Ökologie
32%
56%
n = 206
Soziales
0%
19%
36%
20%
Niedrigem Mass
45%
40%
60%
Mittlerem Mass
80%
100%
Hohem Mass
Abbildung 4: Sozial-ökologische Produktgestaltung
Rund drei Viertel aller Unternehmen verwenden ökologische Aspekte in der Produktkommunikation, während rund zwei Drittel soziale Aspekte hervorheben (Abb. 5).
Nach eigener Einschätzung sind die Unternehmen in der Produktkommunikation sozial-ökologischer Aspekte also zurückhaltender als in der entsprechenden Produktgestaltung. Wie lässt sich der Unterschied zwischen sozial-ökologischer Produktgestaltung
und -kommunikation erklären? Hierfür gibt es vier Gründe:
1. In einigen Produktbereichen werden (sozial-) ökologische Aspekte von den Kunden mittlerweile als Selbstverständlichkeit angesehen (Beispiel: Rücknahme von
PET-Mehrwegflaschen oder Energieeffizienz von Kühlschränken).
2. Für die Mehrheit der Kunden stellen sozial-ökologische Aspekte keine entscheidenden Kriterien beim Kauf der Produkte dar, so dass sie zwar angeboten, nicht
aber explizit kommuniziert werden (Beispiel: Nachhaltiges Palmöl als Bestandteil
in verschiedenen Produkten der Migros).
3. Komplexe sozial-ökologische Sachverhalte lassen sich nicht immer einfach in der
Werbung kommunizieren, so dass gänzlich darauf verzichtet wird.
4. Bisher hat noch kein Wettbewerber Ökologie und Soziales als Profilierungsmöglichkeit erkannt und in der Kommunikation intensiv genutzt.
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
Ökologie
23%
28%
33
49%
n = 201
Soziales
38%
0%
37%
20%
40%
Niedrigem Mass
60%
Mittlerem Mass
25%
80%
100%
Hohem Mass
Abbildung 5: Sozial-ökologische Kommunikation
Das Ausmaß der Kommunikation sagt noch nichts über die Art aus: Inwiefern werden
sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kriterien wie bspw. Geschmack, Frische, Lebensdauer und Gebrauchskosten verbunden? 40% der Unternehmen ist der
Meinung, dass sich sozial-ökologische Aspekte nur sehr schwer mit herkömmlichen
Kriterien verbinden lassen. 60% der Unternehmen hingegen geht davon aus, dass sich
sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kaufkriterien geschickt zu sog. „Motivallianzen“ verknüpfen lassen (Abb. 6). Dabei handelt es sich um überproportional
viele Kleinunternehmen, die in direktem Kontakt zum Kunden stehen und im persönlichen Gespräch komplexere Sachverhalte anschaulich und überzeugend vermitteln
können.
Fr
isc
he
k
Grundnutzen
Ästhetik
c
ma
ch
Zusatznutzen
s
Ge
Preis
Convenience
Gesundheit
Natürlichkeit
Abbildung 6: Kundenmehrwert durch Motivallianzen
(In Anlehnung an: Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 283)
34
Frank-Martin Belz
Die Gestaltung und Kommunikation der Produkte nach sozial-ökologischen Aspekten
ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen. Erst wenn der Kunde die sozial-ökologische Produkt- und Prozessqualität als Mehrwert wahrnimmt und gegebenenfalls auch bereit ist, dafür einen
Mehrpreis zu bezahlen, lassen sich Wettbewerbsvorteile erzielen. Immerhin drei Viertel der Unternehmen geben in der Umfrage an, dass sozial-ökologische Produkteigenschaften für bestimmte Kundengruppen einen Mehrwert darstellen. Bei der Frage, ob
sich dadurch auch ein Mehrpreis erzielen lässt, sind die befragten Unternehmen geteilter Meinung: Jeweils die Hälfte gibt an, dies sei möglich bzw. nicht möglich. In Konsumgütermärkten wie bspw. Lebensmittel und Textilien ist dies eher der Fall als in
Investitionsgütermärkten. Zentrale Treiber sind die Bereitschaft der Kunden, einen
Mehrpreis für sozial-ökologische Aspekte zu bezahlen, und das Konkurrenzverhalten.
Die Bedeutung dieser Faktoren lässt sich anhand eines Vergleichs zwischen dem deutschen und schweizerischen Lebensmittelmarkt gut verdeutlichen: In Deutschland
herrscht ein ausgeprägter Preiswettbewerb im Lebensmittelbereich. Die Mehrheit der
Deutschen ist überaus preissensibel und die großen Lebensmittelketten versuchen sich
vor allem durch den Preis im Wettbewerb zu profilieren. Der schweizerische Lebensmittelmarkt hingegen kann als Qualitätswettbewerb gekennzeichnet werden, in dem
sozial-ökologische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Die Mehrheit der Schweizer
ist durchaus bereit, für sozial-ökologische Lebensmittelangebote mit einem wahrnehmbaren Mehrwert höhere Preise zu bezahlen. Vor allem die beiden führenden
Handelsketten Migros und Coop profilieren sich mit entsprechenden Sortimenten im
Wettbewerb (Beiträge Leitner und Borsani/Hildesheimer).
4 Zusammenfassung
Als kurze Zusammenfassung und Fazit lässt sich sagen: Nachhaltigkeits-Marketing ist
ein neuer innovativer Ansatz, der große Chancen eröffnet, aber auch gewisse Risiken
birgt. Nachhaltigkeits-Marketing bewegt sich im Spannungsfeld von sozialökologischen Problemen einerseits und Kundenbedürfnissen andererseits. Die situationsspezifische Analyse dieser beiden Pole ist eine unabdingbare Voraussetzung für die
erfolgreiche Umsetzung des Nachhaltigkeits-Marketing. Je größer die Schnittmenge
zwischen sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnisse, desto eher bestehen
Chancen für die erfolgreiche Vermarktung von sozial-ökologischen Produkten und
Leistungen. Der Schnittmengenbereich ist keine statische, sondern eine dynamische
Größe, die auch von Unternehmen durch aktives Nachhaltigkeits-Marketing beeinflusst werden kann. Die empirische Studie zeigt, dass Nachhaltigkeits-Marketing ein
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
35
wichtiges Thema für eine Reihe von schweizerischen Unternehmen ist. Zentrale Treiber für sozial-ökologisches Engagement im Marketing sind die Kunden und die kritische Öffentlichkeit. Während der erste Treiber nicht überraschen kann, ist der zweite
ein Spezifikum des Nachhaltigkeits-Marketing gegenüber dem herkömmlichen Marketing. Gemäß den empirischen Ergebnissen wird Ökologie sowohl auf der strategischen
als auch der operativen Ebene des Nachhaltigkeits-Marketing eine größere Bedeutung
beigemessen als Sozialem. Diese Gewichtung kann sich im Laufe der Zeit ändern. Erfolg versprechend im Nachhaltigkeits-Marketing ist, Ökologie und Soziales als flankierende Profilierungsdimensionen neben Qualität und Preis einzusetzen, wodurch
breitere Marktsegmente angesprochen werden können und größere Spielräume für die
Kommunikation bestehen. Dabei spielt die geschickte Verknüpfung von sozialökologischen Aspekten mit herkömmlichen Kaufkriterien im Sinn von Motivallianzen
eine wichtige Rolle.
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38
Frank-Martin Belz
Anhang: SMS Kurzumfrage „Nachhaltigkeits-Marketing“
Fragen zum Nachhaltigkeits-Marketing
1.
In welchem Maß finden ökologische Aspekte Berücksichtigung in der Produktgestaltung?
c
d
e
f
g
sehr niedrigem Maß
2.
sehr hohem Maß
In welchem Maß finden soziale Aspekte Berücksichtigung in der Produktgestaltung?
c
d
e
f
g
sehr niedrigem Maß
3.
sehr hohem Maß
d
e
f
g
sehr niedrigem Maß
sehr hohem Maß
d
e
f
g
sehr niedrigem Maß
In welchem Maß kann man sozial-ökologische Aspekte mit herkömmlichen Kriterien (z.B. Geschmack, Frische, Lebensdauer) in der Produktkommunikation
verbinden?
c
7.
h
sehr hohem Maß
d
e
sehr niedrigem Maß
6.
h
In welchem Maß wirbt Ihre Unternehmung in der Produktkommunikation mit
sozialen Aspekten?
c
5.
h
In welchem Maß wirbt Ihre Unternehmung in der Produktkommunikation mit
ökologischen Aspekten?
c
4.
h
f
g
h
sehr hohem Maß
Liefern sozial-ökologische Produkteigenschaften im Fall Ihrer Unternehmung
einen Mehrwert für bestimmte Kundengruppen?
‰
‰
‰
Ja
Nein
Weiß nicht
Ist es möglich, durch den sozial-ökologischen Mehrwert bei bestimmten Kundengruppen einen etwas höheren Preis zu erzielen?
‰
‰
‰
Ja
Nein
Weiß nicht
Nachhaltigkeits-Marketing: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Ergebnisse
8.
9.
39
Welche Bedeutung hat Ökologie als Profilierungsdimension neben Qualität und
Preis?
‰
‰
‰
‰
keine
flankierende
gleichberechtigte
dominante
Welche Bedeutung hat Soziales als Profilierungsdimension neben Qualität und
Preis?
‰
‰
‰
‰
keine
flankierende
gleichberechtigte
dominante
10. Was sind im Fall Ihrer Unternehmens zentrale Treiber für sozial-ökologisches
Engagement im Marketing? (Mehrfachnennungen möglich)
Kunden
Konkurrenz
Gesetzgeber
Öffentlichkeit
Management/Unternehmenseigner
‰
‰
‰
‰
‰
Angaben zum Unternehmen
11. In welcher Branche ist Ihre Unternehmung tätig?
‰
‰
‰
‰
Konsumgüter
Investitionsgüter
Dienstleistung
Sonstige
12. Wie viele MitarbeiterInnen beschäftigt Ihre Unternehmung?
‰
‰
‰
‰
1-99
100-249
250-999
1000 und mehr
13. Ist Ihre Unternehmung Mitglied bei der schweizerischen Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung (ÖBU)?
‰
‰
‰
Ja
Nein
Weiß nicht
14. Ist Ihre Unternehmung Mitglied in einem anderen Verband bzw. Organisation,
die sozial-ökologische Anliegen vertritt?
‰
‰
‰
Ja
Nein
Weiß nicht
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
Manfred Kirchgeorg
1 Bezugspunkte und Besonderheiten des Nachhaltigkeits-Marketing
Die Globalisierung der Wirtschaft schreitet voran und damit gewinnen auf Beschaffungs- und Absatzmärkten die länderübergreifenden Markttransaktionen zunehmende
Bedeutung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, mit welchen spezifischen
Herausforderungen das Nachhaltigkeits-Marketing auf internationalen Märkten konfrontiert ist. Ausgehend von der Kennzeichnung der Besonderheiten des Nachhaltigkeits-Marketing werden im folgenden Beitrag Implikationen für internationale Marketingstrategien abgeleitet.
Das Nachhaltigkeits-Marketing zielt auf die Planung, Koordination, Durchsetzung und
Kontrolle aller markt- und nichtmarktbezogenen Transaktionsaktivitäten zur Vermeidung oder Verringerung ökologischer und sozialer Probleme, um über eine dauerhafte
Befriedigung der Bedürfnisse aktueller und potenzieller Kunden, unter Ausnutzung
von Wettbewerbsvorteilen und bei Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die
angestrebten Unternehmensziele zu erreichen.
Abbildung 1 verdeutlicht, dass die Kernaufgabe des Nachhaltigkeits-Marketing darin
besteht, durch innovative Strategien Umweltvorteile (UEP) und Sozialvorteile (SSP)
mit Wettbewerbsvorteilen (UMP) zu verbinden. Hierbei gibt es Komplementaritäten
(Schnittmengen) und Konflikte, bei denen Umweltschutz- und Sozialvorteile die
Wettbewerbsvorteile einschränken. Umwelt- und Sozialvorteile gehören vielfach zu
den Vertrauens- und Erfahrungseigenschaften, die für einen Kunden vor dem Kauf
einer Leistung nicht direkt nachprüfbar sind (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 58). Reputation und Signaling sind damit für Konzepte des Nachhaltigkeits-Marketing besonders
wichtige Erfolgsfaktoren.
Gerade im Falle der Konflikte zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen
Zielsetzungen wird der Dialog mit Anspruchsgruppen und der proaktive Einsatz der
Entscheidungsträger für die Veränderung marktbezogener Rahmenbedingungen zur
Förderung nachhaltiger Marktleistungen (Vergrößerung der Schnittmengen) vorgeschlagen. Belz ordnet die Notwendigkeit der Transformation von Rahmenbedingungen
42
Manfred Kirchgeorg
durch einzelwirtschaftliches Engagement der so genannten transformativen Dimension
des Nachhaltigkeits-Marketing zu (Beitrag Belz, Belz 2001, S. 91ff.).
Gegenüber allen bisher entwickelten Marketingkonzepten erscheint es einzigartig, dass
es weltweit einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für die nachhaltige Entwicklung
gibt, sodass sich Unternehmen heute in allen Ländern der Welt Nachhaltigkeitsforderungen von Bevölkerungsgruppen bzw. Anspruchsgruppen gegenüber sehen. Die bereits in den 60er Jahren entwickelten Marketingansätze des Makro-Marketing oder
Sozial-Marketing wurden von dem in der Betriebswirtschaftslehre damals weit verbreiteten Ansatz der externen Determiniertheit von Entscheidungen geprägt. Die Einflussfaktoren der Makro-Umwelt wurden für Unternehmensentscheidungen als unveränderliche Determinanten für Unternehmensentscheidungen angesehen. Diese Sichtweise hat sich grundlegend geändert und die in den so genannten Stakeholderansätzen
zum Ausdruck kommende erweiterte Verantwortung von Unternehmen für die Umfeldbedingungen, die vom sozialen, ökologischen Umfeld bis hin zu politischen Rahmenbedingungen gehen, erweitern das Transaktions- und Interaktionsfeld bei Unternehmensentscheidungen. Gleichzeitig erweitert sich hiermit auch die Verantwortung
der Entscheidungsträger innerhalb der Unternehmen (Meffert/Kirchgeorg 1993,
S. 34ff.).
Unternehmung
UMP
Kunde
Wettbewerber
zi
ffi
-E
z
en
Legende:
UEP
!
o
Ök
So
zia
l-E
ffi
zie
nz
SSP
!
Soziale Dimension
Ökologiedimension
(Sozial-Effektivität)
(Öko-Effektivität)
UMP = Unique Marketing Proposition; SSP = Sustainable Social Proposition;
UEP = Unique Environmental Proposition
Abbildung 1: Bezugspunkte eines Nachhaltigkeits-Marketing
(Quelle: Kirchgeorg 2002)
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
43
Das Integrationserfordernis ist eine weitere Besonderheit, die im NachhaltigkeitsMarketing zum Ausdruck kommt. Einzelne inhaltliche Elemente des NachhaltigkeitsMarketing werden auch in den Ansätzen des Makro-, Sozial- und Öko-Marketing isoliert voneinander thematisiert. Im Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing besteht hingegen die Notwendigkeit, eine ganzheitliche Betrachtung und Integration der verschiedenen Zieldimensionen und einzelner Teilkonzepte des Marketing vorzunehmen
(van Dam/Apeldorn 1996, S. 52ff.; Pettie 2001, S. 129ff.; Charter 2002; Kirchgeorg
2002, S. 8ff.; Belz 2003, S. 352ff.; Balderjahn 2004, S. 37ff.). Hierdurch erhöht sich
bei der Situationsanalyse, der Ziel- und Strategiediskussion sowie den Marketingoptionen auf der Mix- und Organisationsebene das Erfordernis, ökonomische, ökologische
und soziale Entscheidungskriterien mit ihren komplementären und konfliktären Beziehungen auszubalancieren.
Im Ansatz der Nachhaltigen Entwicklung werden explizit Strategien zur Verbesserung
der intra- und intergenerativen Gerechtigkeit gefordert. Sie sollen einen Beitrag dazu
leisten, die zunehmende Diskrepanz zwischen dem Lebensstandard von armen und
reichen Bevölkerungsgruppen und die Übernutzung von Ressourcen zulasten der Entwicklungsfähigkeit von zukünftigen Generationen zu verringern. Im Hinblick auf die
sich verschärfenden Armutsprobleme ergeben sich für das Marketing neue Herausforderungen. Während nach dem so genannten Kapazitätsprinzip (vgl. zu den Leitprinzipien des Marketing Wiedmann 1993, S. 169ff.) die Transaktionsfähigkeit der Nachfrager in den Ansätzen des kommerziellen Marketing vorausgesetzt wird bzw. Nachfragersegmente mit fehlender Transaktionsfähigkeit bei der Marktbearbeitung aufgrund
ihrer geringen Attraktivität eliminiert werden, so sind im Rahmen des NachhaltigkeitsMarketing Strategien und Instrumente zu entwickeln, welche die Transaktionsfähigkeit
der armen Bevölkerungssegmente in internationalen Schwellenländern fördern. Im
Hinblick auf die angestrebte Verbesserung der intragenerativen Gerechtigkeit kann ein
spezifischer Beitrag des Nachhaltigkeits-Marketing darin liegen, Menschen aus armen
Bevölkerungssegmenten aktiv in den Wertschöpfungsprozess zu integrieren, um hierüber Verdienstmöglichkeiten zur Erhöhung der Transaktionsfähigkeit zu unterstützen
und gleichzeitig ökonomische Unternehmensziele in Wachstumsmärkten zu erschließen. In gewisser Weise erlangt die Thematik des Co-Produzenten (vgl. zum Konzept
des Co-Produzenten u.a. Meffert/Bruhn 2003, S. 375-376) unter anderen situativen
Kontexten wie in Industrieländern hierbei eine besondere Rolle.
Die Forderung nach intergenerativer Gerechtigkeit führt zu dem Problem, dass die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen in den aktuellen Markttransaktionen keine Berücksichtigung finden, d.h. es liegt ein Gratifikationsproblem vor. Dementsprechend
44
Manfred Kirchgeorg
stellt sich die Frage, welche Anreize durch Marketinginstrumente gefördert werden
können, um die Bedürfnisse zukünftiger Generationen bei heutigen Transaktionsprozessen bereits zu berücksichtigen. Denkbar wären verschiedene Ausgestaltungsformen
intergenerativer Transaktionsvereinbarungen, wie sie z.B. in der Forstwirtschaft praktiziert werden. Hier eröffnet sich ein neues Forschungsfeld, in dem die Möglichkeiten
und Grenzen eines Nachhaltigkeits-Marketing zur Lösung von intergenerativen Gratifikationsproblemen aufzuzeigen sind.
2 Herausforderungen des Nachhaltigkeits-Marketing
im internationalen Kontext
Aufgrund der internationalen Verflechtungen der Absatz- und Beschaffungsmärkte
können Markttransaktionen einen erheblichen Einfluss auf die ökologischen und sozialen Bedingungen in den am Güteraustausch beteiligten Ländern ausüben. Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit betrifft heute nicht nur Großunternehmen, sondern in zunehmendem Maße versuchen auch mittelständische wie auch Kleinunternehmen Wachstumspotenziale durch die Ansprache von Zielgruppen in anderen Ländermärkten zu erschließen. Die Analyse, Planung, Koordination, Durchsetzung und
Kontrolle der marktbezogenen Unternehmensaktivitäten auf Auslandsmärkten umfassen die zentralen Aufgaben des internationalen Marketing (Meffert 2000, S. 1230ff.).
Eine inhaltliche Diskussion der Herausforderungen des Nachhaltigkeits-Marketing im
internationalen Kontext kann im Bereich des Beschaffungs- wie auch Absatzmarketing
ansetzen (Abb. 2).
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen im internationalen Beschaffungsmarketing erfordert die Einbeziehung ökologischer und sozialer Anforderungen
bei der Auswahl von Zulieferern und der Beschaffung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen. Angesichts der weltweiten Vernetzung von Wertschöpfungsketten stellt sich
bereits die Analyse von negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen bei den
Vorlieferanten im Ausland als besonders komplex heraus (Merck 2002, S. 25ff.). Auch
die über Ländergrenzen hinweg vorzunehmende Koordination, Durchsetzung und
Kontrolle von Maßnahmen, die zu einer umwelt- und sozialverträglicheren Produktion
von Vorprodukten führen, stellen hohe Anforderungen an das Beschaffungsmarketing,
zumal je nach Ländermarkt, unterschiedliche umwelt- und sozialpolitische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind. Die sozialverträgliche und umweltgerechte Herstellung von Vorprodukten ist für Konsumenten vielfach beim Produktkauf unter vertretbaren Kosten nicht überprüfbar, sie stellen damit Vertrauenseigenschaften dar und
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
45
Ländermarkt B
Zulieferer
Beschaffungsmarketing
Hersteller
Internationale Wachstumsmärkte
Neue Absatzmärkte
Handel
Handel
Handel
Nachfrager
Nachfrager
Nachfrager
Ländermarkt A
Ländermarkt C
Ländermarkt D
International vernetzte
Wertschöpfungsketten
Abbildung 2: Grundlegende Ansatzpunkte des Nachhaltigkeits-Marketing im internationalen Kontext
vermitteln häufig keinen individuellen Nutzenbeitrag. Selbst wenn die Einhaltung von
sozialen und ökologischen Anforderungen von Konsumenten beim Kauf nicht explizit
nachgefragt und honoriert wird, so besteht bei Vernachlässigung dieser Nachhaltigkeitsanforderungen die Gefahr, dass Unternehmen durch international vernetzte Nichtregierungsorganisation (NGOs) weltweit zur Durchsetzung von entsprechenden Anforderungen gezwungen werden.
In zunehmendem Umfang werden länderübergreifend vernetzte Wertschöpfungsketten
von Endproduktherstellern anhand von international anerkannten Nachhaltigkeitsstandards evaluiert, um daraufhin gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Sozial- und
Ökologieverträglichkeit gegenüber den Vorlieferanten ergreifen bzw. empfehlen zu
können. International akzeptierte Kriterienkataloge werden z.B. in den Sustainability
Reporting Guidelines zusammengestellt (GRI 2002). Internationale Standards können
über Zertifizierungsprozesse umgesetzt und kontrolliert werden (Große 2003,
S. 135ff.). Bei erfolgreicher Zertifizierung übernehmen Zertifikate in Form von Prüfsiegeln bei Konsumenten die Funktion von Vertrauenssignalen für eine nachhaltige
Produktqualität (Merck 2002, S. 26-27; Meffert/Kirchgeorg 1995, S. 95ff.; Balderjahn
2004, S. 189ff.). Im Hinblick auf die Sozialstandards erlangen Kriterien zur Vermeidung von Kinderarbeit, Verhinderung von Diskriminierung und Erhöhung der Arbeitssicherheit in der aktuellen Diskussion eine besondere Relevanz (Kühl 2004, S. 10). Im
46
Manfred Kirchgeorg
Bereich des internationalen Beschaffungsmarketing werden z.B. vom Versandhandelsunternehmen Otto Zertifikate von Vorlieferanten gefordert bzw. Zertifizierungsprozesse zusammen mit Vorlieferanten initiiert. Mit Zertifikaten wie „PURE WEAR”
oder dem Prüfsiegel der Social Accountability 8000 (SA8000) sowie dem Forest Stuartship Council (FSC)-Zertifikat werden Produkte aus nachhaltigen Wertschöpfungsketten in den jeweiligen Ländermärkten vermarktet.
Eine weitere Zielsetzung des internationalen Marketing liegt in der Erschließung von
Wachstumspotenzialen in neuen Ländermärkten, womit die entscheidungsorientierten
Fragestellungen des absatzmarktorientierten Marketing vor dem Hintergrund internationaler Zielgruppen und Rahmenbedingungen zu beantworten sind. In den folgenden
Ausführungen werden spezifische Aspekte der Integration von Nachhaltigkeitsanforderungen in den Entscheidungsprozess des internationalen Absatzmarketing betrachtet.
Eine Begründung für die Erweiterung der Marktbearbeitung auf internationale Ländermärkte liefert z.B. eine Betrachtung länderspezifischer Produktlebenszyklen. Sind
die Wachstumspotenziale im Heimatland eines Unternehmens ausgeschöpft, so ermöglicht der Eintritt in neue Ländermärkte die Erschließung neuer Wachstumspotenziale
(Abb. 3).
Industrieländer
Schwellenländer
Marktvolumen
Marktvolumen
Wachstumschancen
2003
Zeit
2003
4 Mrd. Menschen
(Einkommen < $1.500)
Pyramide der Weltbevölkerung
Abbildung 3: Zukünftige Wachstumspotenziale im internationalen Kontext
Zeit
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
47
Weil der Grad der Bedürfnisbefriedung in den Industrieländern bereits sehr ausgeprägt
ist und sich zunehmend Phänomene gesättigter Märkte abzeichnen, verweisen Prahalad und Hart in ihrem Ansatz „Bottom Line of the Pyramid“ darauf hin, dass im internationalen Kontext die zukünftigen Wachstumspotenziale nicht mehr allein in hoch
entwickelten Industrieländern liegen (Prahalad/Hart 2002, S. 3-4). Angesichts des geringen Lebensstandards und des geringen Grades an Bedürfnisbefriedigung bei über
vier Milliarden Menschen verweisen sie auf das erhebliche Nachfragepotenzial von
einkommensschwachen bzw. armen Bevölkerungsgruppen. Während vielfach auch in
Entwicklungsländern die schmale Schicht der einkommensstarken Bevölkerungssegmente über die traditionellen Ansätze des internationalen Marketing bedient wird, so
werden die armen Bevölkerungssegmente im Rahmen der Marktbearbeitung häufig
ausgeschlossen bzw. vernachlässigt. Die Gründe hierfür werden einerseits in der vermeintlich geringen Marktattraktivität armer Menschen gesehen. Andererseits lassen
sich die häufig von klassischen Wachstumsmärkten in Industrieländern geprägten
Marketingstrategien kaum in Übereinstimmung mit den veränderten Anforderungen
zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente bringen. Schließlich unterbleibt die
Entwicklung zielgruppenspezifischer Marketingstrategien angesichts der geringen
Zielgruppenattraktivität.
Vor diesem Hintergrund erlangt der Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing besondere
Relevanz:
(1) Mit der normativen Forderung nach intragenerativer Gerechtigkeit wird im Leitbild
der Nachhaltigen Entwicklung betont, dass die Vernachlässigung armer Bevölkerungsschichten und das Gefälle im Lebensstandard zwischen Industrie- und Entwicklungsländern langfristig eine sozial-friedliche und dauerhaft tragfähige Entwicklung gefährdet. Im Rahmen eines Nachhaltigkeits-Marketing ist explizit die
Frage zu stellen, inwieweit es möglich ist, auch die Bedürfnisbefriedigung armer
Bevölkerungssegmente mit bestehenden oder neuen Instrumenten des Marketing zu
fördern.
(2) Die Mehrheit der Weltbevölkerung gehört der „Bottom Line of the Pyramid“ an,
sodass eine Verbesserung der Lebensstandards auch einen Anstieg von Ressourcennutzung und Emissionen mit sich bringen wird. Der Gefahr einer extremen Zunahme der Belastung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde kann nur dann gemindert werden, wenn es gelingt, umweltverträgliche und ökologisch hoch effiziente Produktions- und Produkttechnologien zu entwickeln. Hiermit ist wiederum
die ökologische Dimension des Nachhaltigkeits-Marketing angesprochen.
48
Manfred Kirchgeorg
(3) Die Versorgung armer Bevölkerungssegmente wird überwiegend als Aufgabe von
Entwicklungshilfe-Institutionen angesehen. Viele Versuche, die Eigenständigkeit
und Erwerbsfähigkeit mit Hilfe von traditionellen Entwicklungshilfekonzepten zu
fördern, sind in den vergangenen Jahrzehnten wenig erfolgreich verlaufen. Damit
stellt sich die Herausforderung, inwieweit nationale und internationale Unternehmen in diesen Ländern einen Beitrag zur Erhöhung der Transaktionsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppen leisten können und eine Komplementarität zwischen der
Verbesserung der Lebensstandards der Bevölkerung und ökonomischen Unternehmenszielen herzustellen ist.
Die Ausführungen verdeutlichen, dass zukünftig die größten Bedürfnis- und Zielgruppenpotenziale im Segment einkommensschwacher Bevölkerungssegmente in Schwellenländer zu erwarten sind. Aus der Sicht des Nachhaltigkeits-Marketing kann eine
proaktive Auseinandersetzung mit diesen Zielgruppen einen Beitrag zur nachhaltigen
Entwicklung (Minderung der intragenerativen Ungleichgewichte, Erhöhung der Lebensqualität unter Einsatz besonders ökoeffizienter Produkt- und Serviceleistungen) in
den Schwellenländern wie auch in den Industrieländern leisten.
3 Vernachlässigte Zielgruppen im internationalen Marketing
Die im Nachhaltigkeitsansatz geforderte intragenerative Gerechtigkeit stellt insbesondere auf den Abbau des Nord-Südgefälles bzw. der großen sozialen Unterschiede zwischen Entwicklungs- und Industrieländern ab. In Anlehnung an die Überlegungen von
Prahalad und Hart können für die multinationalen Konzerne aber auch für bestehende
Unternehmen in den Auslandsmärkten neue Herausforderungen definiert werden, die
sich auf die gezielte Entwicklung und Erschließung von Märkten in Entwicklungsländern beziehen und dabei sowohl einen Beitrag zur Wohlstandsentwicklung der Bevölkerung wie auch zur Sicherung der Wettbewerbsposition leisten können. In diesem
Zusammenhang ergeben sich für das Nachhaltigkeits-Marketing spezifische Aufgaben,
die insbesondere aus der fehlenden Transaktionsfähigkeit und den sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen potenzieller Nachfrager in diesen Ländern resultieren.
Betrachtet man die Weltbevölkerung in Form einer Einkommenspyramide (Abb. 4), so
zählen zirka vier Milliarden Menschen zu der armen Bevölkerung, die ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen und am Güterangebot in den Industrieländern nicht partizipieren können. Im Hinblick auf das Weltbevölkerungswachstum werden in Szenarien
gerade bei diesen Bevölkerungsgruppen die stärksten Geburtenraten erwartet (vgl. zum
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
49
Einkommenspyramide der Weltbevölkerung
Jährliche Kaufkraft (in $)
Über $ 20.000
Bevölkerung (in Mrd.)
Schicht 1
0,075 - 0,1100
Tier 2-3
$ 1.500 - 20.000
Schicht 2 & 3
1,5-1,75
Tier 4
Unter $ 1.500
Schicht 4
4
Abbildung 4: Einkommenspyramide der Weltbevölkerung
(Quelle: Prahalad/Hart 2002, S. 4)
Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Unterentwicklung Khalatbari 1995,
S. 91ff.; Birg 1995, S. 31ff.), während in den Industrieländern eher rückläufige Geburtenraten festzustellen sind (The World Bank 2003a, S. 1-2). Prahalad und Hart weisen
darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit der Markterschließung in Entwicklungsländern bei vielen Entscheidungsträgern in multinationalen Unternehmen gar
nicht erfolgt und entsprechende Optionen nicht in das Entscheidungsfeld einbezogen
werden. Vielmehr überwiegen auch im Management von international tätigen Unternehmen häufig folgende (Vor-) Urteile (Prahalad/Hart 2002, S. 4-5):
y
Aufgrund der bestehenden Kostenstruktur vieler Unternehmen ist die Erschließung
von Segmenten der armen Bevölkerung unter Gewinngesichtspunkten nicht vertretbar;
y
Die Versorgung der armen Bevölkerung liegt in den Händen von Regierungen und
Non-Profit-Hilfsorganisationen und bietet keine attraktiven Perspektiven für ein
privatwirtschaftliches Engagement von Unternehmen;
y
Produkt- und Serviceleistungen, die für die Industrieländer entwickelt wurden,
können von der armen Bevölkerung in Entwicklungsländern nicht genutzt werden;
50
y
Manfred Kirchgeorg
Nur die Bevölkerung in den Industrieländern hat die Zahlungsbereitschaft, um neue
Technologien zu erwerben, während Länder mit armer Bevölkerung sich nur mit
Second Hand-Technologien oder traditionellen Technologien ausstatten können.
Diese Urteile bedingen eine bewusste oder unbewusste Ignoranz möglicher Entwicklungspotenziale in Märkten mit armer Bevölkerung und damit auch eine fehlende Bereitschaft, Marketing- und Management-Know-How für diese potenziellen Märkte
einzusetzen. Tradierte Einstellungs- und Strategiemuster verengen das Entscheidungsfeld der Entscheidungsträger, d.h. Handlungsoptionen für diese Zielgruppensegmente
werden gar nicht reflektiert (vgl. zur begrenzten Suche nach Handlungsalternativen bei
neuen Nachhaltigkeitsproblemen z.B. Kirchgeorg 1999, S. 218ff.). Führungskräfte
haben i.d.R. wenig Kenntnisse über Entwicklungsländer und sind in den Industrieländern sozialisiert worden. Häufig empfinden sie keine besondere Attraktivität, sich mit
den Problemen der armen Bevölkerung aus der Unternehmenssicht zu beschäftigen.
Dementsprechend gelingt es kaum, einen freien Wettbewerb für Lösungen zur Wohlfahrtsförderung dieser Länder zu entfalten. Soll der Anspruch nach einer intragenerativen Gerechtigkeit auch nur annähernd in die Realität umgesetzt werden, dann sind es
gerade die vier Milliarden armen Menschen, die ein Zukunftspotenzial für Markttransaktionen bilden. Allerdings erfordert die Erschließung dieser Märkte eine grundlegende Neuausrichtung der bestehenden Marketingstrategien und -instrumente. Bei der
Diskussion zukunftsweisender Internationalisierungsstrategien kann eine Orientierung
am Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung als kreativer „Öffner eingefahrener Entscheidungspfade“ verstanden werden.
Angesichts der ökologischen Problemdimension ist die Verbesserung der Wohlfahrt
armer Bevölkerungssegmente kaum durch die Replikation der Erfahrungen und Produktions-, Produktkonzepte sowie Marketingstrategien aus den Industrieländern möglich. Vielmehr wird es nur gelingen, die weltweiten ökologischen und sozialen Probleme zu lösen, wenn die in den Entwicklungsländern eingesetzten Produkte und Serviceleistungen besonders öko-effizient produziert, konsumiert und entsorgt werden können.
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
51
4 Veränderte konzeptionelle Anforderungen an das Marketing
zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente
Im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der Marktsituation in Entwicklungsländern und den sich daraus ergebenden Besonderheiten für das NachhaltigkeitsMarketing lassen sich die in Abbildung 5 skizzierten und in den nachfolgenden Ausführungen thematisierten Besonderheiten hervorheben.
MarketingManagementprozess
Situationsanalyse
und Prognosen
Marketingziele
Marketinginstrumente
Marketingorganisation
Marketingcontrolling
•Förderung der Transaktionsfähigkeit
•Bekanntheitsgrad und Image
•Langfristige Gewinnerzielung
•Radikale Kostenführerschaft und Restrukturierung
der Wertketten
•Standardisierte Massenproduktion
•Umweltgerechte Standardprodukte mit geringer
Bedienungskomplexität
•Low Margin-Preise, Mikrokredite, Gegenleistungen,
Share-Modelle
•Dezentrale Distributionskonzepte
•Grundkommunikation und Ausbildung/
Stakeholder-Dialoge (Politik, Verwaltung)
Einstellungswandel
im Management
Marketingstrategien
•Analyse der Bedürfnisse armer Bevölkerungsgruppen
•Analyse der spezifischen Bedingungen der Marktund Makroumwelt
•Kombination von zentralen und stark dezentralen
Organisationskonzepten; laterale Kooperationen
•Erweiterung des Marketing-Controlling für das Vorfeldmarketing zur Förderung der Transaktionsfähigkeit
Abbildung 5: Integration neuer Entscheidungstatbestände in den Marketing-Managementprozess für die Erschließung einkommensschwacher Zielgruppen in Schwellenländern
Situationsanalyse und Vorfeldmarketing
Eine fundierte Situationsanalyse ist bei den bisher vernachlässigten Zielgruppen in den
Schwellenländern eine zentrale Erfolgsvoraussetzung für die Ableitung von Strategien
und Maßnahmen des Nachhaltigkeits-Marketing. Zur Fundierung von Entwicklungshilfekonzepten und Sozial-Marketing-Ansätzen liegen Studien und Erfahrungen über
Einstellungen und Verhaltensweisen armer Bevölkerungsschichten in verschiedenen
Ländern vor.
52
Manfred Kirchgeorg
Zunächst zeigt sich international eine sehr hohe Heterogenität im so genannten „BoPSegment“, sodass vor der Gefahr gewarnt werden muss, die spezifischen Verhaltensweisen und Rahmenbedingungen einer Vielzahl von Subsegmenten in unterschiedlichen Ländern zu verkennen. In einer Vielzahl von Studien wird besonders betont, dass
der Erfassung der spezifischen Bedürfnisse und Rahmenbedingungen dieser Bevölkerungsschichten eine überaus hohe Bedeutung zukommt, um ein grundlegendes Verständnis zur Entwicklung von zielgruppenspezifischen Maßnahmen zu erlangen. Fehlende Sekundär- und Primärdaten führen bei Entscheidungsträgern in Unternehmen
dazu, dass bestehende Vorurteile über die Lebens- und Einkommenssituation von einkommensschwachen oder einkommenslosen Bevölkerungsgruppen nicht entgegengetreten wird. Gleichwohl finden sich in der Literaturdiskussion zunehmend Beiträge,
die sich mit der länderübergreifenden „Ähnlichkeit“ bestimmter Zielgruppenausprägungen im Segment der einkommensschwachen und armen Bevölkerungsgruppen beschäftigen.
Auswertungen von Angebots- und Nachfragerstudien in Stadtgebieten mit armen Bevölkerungsschichten liefern sehr interessante und unerwartete Hinweise darüber, dass
bei einem sich entwickelnden Nachfragepotenzial die fehlende Kundenorientierung
gegenüber armen Bevölkerungsgruppen den Aufbau einer Kundenbeziehung vielfach
erschwert. Erhebliche Mängel in der Service- und Kundenorientierung in bestehenden
Institutionen des Gesundheitswesens werden im World Development Report 2004
hervorgehoben. In diesem Zusammenhang betonte der Präsident der Welt Bank, James
D. Wolfensohn: „Too often, services fail poor people. These failures may be less spectacular than financial crises, but their effects are continuing and deep nonetheless.”
(The World Bank 2003, S. XV). Deutlich wird hierbei, dass selbst bei einer zunehmenden Nachfrageintensität die Akteure auf der Angebotsseite ein wenig kundengerechtes und diskriminierendes Verhalten zeigen (The World Bank 2003, S. 1ff. sowie
z.B. Grimble et al. 2002, S. 33ff.; Favin 1991, S. 45ff.). Bei einem sich entwickelnden
Nachfragepotenzial in den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen werden jene
Anbieter besondere Chancen erlangen, die auch gegenüber diesen Zielgruppen ein hohes Maß an Kundenorientierung und Sympathie entwickelt haben.
Analysen über die Haushaltsausstattungen und Kaufverhaltensweisen dieser Zielgruppen zeigen in zunehmendem Umfang, dass Bewohner in den Vorstandslums über eine
Haushaltsausstattung verfügen, die Elektrogeräte bis hin zu Fernsehern umfasst. Im
Hinblick auf die Preise, die in entsprechenden Stadtregionen für Grundnahrungsmittel,
Kreditvergaben und Medikamente verlangt werden, zeigt eine vergleichende Analyse
der Preise für Produkte und Dienstleistungen in Armenvierteln und Wohngegenden der
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
53
oberen Mittelschicht in Indien (Abb. 6), dass Käufer in den Armenvierteln teilweise
extreme Preisnachteile in Kauf nehmen müssen. Prahalad und Hammond sehen hierin
besondere Chancen für multinationale Konzerne, da sie vielfach aufgrund der zu realisierenden Skaleneffekte auch die Versorgung dieser Zielgruppen zu erheblich günstigeren Preisen sicherstellen können (Prahalad/Hammond 2002, S. 7-8).
Allerdings besteht häufig eine zu geringe Kaufkraft und Transaktionsfähigkeit, sodass
sich die Frage stellt, inwieweit Möglichkeiten bestehen, die Transaktionsfähigkeit armer Bevölkerungssegmente zu erhöhen. Aufgrund der fehlenden Transaktionsfähigkeit
der Nachfrager ist ein Vorfeldmarketing notwendig, das die Transaktionsfähigkeit entsprechend fördert. Ein Verständnis der spezifischen Lebens- und Versorgungsinfrastruktur sowie der regionalen und nationalen Rahmenbedingungen stellt eine zentrale
Voraussetzung für die Ableitung adäquater Marketingkonzeptionen dar. Der Aufbau
von Kontakten zu allen relevanten Akteursgruppen in den jeweiligen Ländern stellt in
diesem Zusammenhang einen wichtigen ersten Schritt dar. Dabei gilt es die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen und spezifische Probleme wie Korruption, Machtstrukturen u.a. zu identifizieren.
Kosten
Kredit (jährliche Zinsen)
Kommunales Trinkwasser (1 m3)
Telefon (pro Minute)
Medikament (gegen Diarrhöe)
Reis (1 kg)
Dharavi
Warren Road
Aufschlag
Armenviertel
Obere Mittelschicht
für die Armen
600-1000%
12-18%
Faktor 53
1,12 $
0,03 $
Faktor 37
0,04-0,05 $
0,025 $
Faktor 1,8
20 $
2$
Faktor 10
0,28 $
0,24 $
Faktor 1,2
Abbildung 6: Analyse von Preisniveaudifferenzen zwischen Armen- und Wohnvierteln in Indien
(Quelle: Prahalad/Hammond 2002, S. 8)
Die Einbeziehung der potenziellen Nachfrager in den Produktions- und Vermarktungsprozess kann einerseits zur Reduzierung von Kosten bzw. Preisen und andererseits zur Schaffung von Einkommen und damit Transaktionsfähigkeit für die arme Bevölkerung einen Beitrag leisten. Andererseits kann eine Kooperation mit Finanzinstitutionen sowie mit Förder- und Sozialinstitutionen zur Entwicklung von MikroKreditangeboten zielführend sein. Die UN hat auf dem 1999 Mikrokredit Summit in
54
Manfred Kirchgeorg
Kooperation mit multinationalen Unternehmen und Kreditinstituten Ziele und Möglichkeiten für die Vergabe von Mikrokrediten an arme Bevölkerungssegmente abgeleitet. Diese Sachverhalte sind für ein Vorfeldmarketing sorgfältig zu berücksichtigen.
Marketingziele und -strategien
Prahalad und Hart verweisen darauf, dass die in Industrieländern erfolgreich eingesetzten High-Margin-Strategien mit Qualitätsprodukten für arme Bevölkerungssegmente
nicht erfolgreich sein können. Sie fordern, dass multinationale Konzerne für die Bearbeitung von Märkten mit armer Bevölkerung einerseits bestehende Kostenpositionen
erheblich reduzieren und „Low-Margin-Strategien“ umsetzen sollten. Sie merken
hierzu an: „Doing business with the world´s four billion poorest people – two-third of
the world´s population – will require radical innovations in technology and business
models.” (Prahalad/Hart 2002, S. 3). Somit sehen sich gerade internationale Konzerne
mit dem Problem konfrontiert, ggf. unterschiedliche Wettbewerbsstrategien miteinander zu verbinden bzw. unter dem Konzerndach zu entwickeln und umzusetzen, was
eine nicht unerhebliche Herausforderung für das Management und die Unternehmenskultur darstellen kann. Vielfach sind ganz neue Business-Modelle für den Einstieg in
das BoP-Segment zu entwickeln.
Der Grad der Produktdifferenzierung, der in den Industrieländern vielfach mit hohen
Komplexitätskosten einhergeht, erfährt für Massenmärkte, auf denen die Nachfrager
ihre Grundbedürfnisse als nicht befriedigt ansehen, eine geringere Bedeutung. Hier gilt
es insbesondere die Grundversorgung mit standardisierten Niedrig-Margen-Produkten
sicherzustellen. Die geringen Deckungsspannen können für Massenmarktstrategien
durchaus mit einer hohen Profitabilität verbunden sein.
Es wird deutlich, dass jene Hersteller, die es mit ihrer Unternehmenskultur bereits verstanden haben, eine Kostenführerschaft mit ökologischen Anforderungen in Einklang
zu bringen, für die Erschließung entsprechender Märkte bessere Voraussetzungen erfüllen als Unternehmen, die auf dem Weltmarkt das Luxussegment bedienen.
Marketing-Mix
Eine Vielzahl von Anpassungserfordernissen ist bei der Gestaltung der MarketingMix-Instrumente zu berücksichtigen, von denen im Folgenden einige zentrale Aspekte
skizziert werden. Hierbei können auch Erfahrungen über die Wirkungsweise spezifisch
erprobter Marketinginstrumente von international tätigen Unternehmen einbezogen
werden, die bereits erfolgreich eine Ansprache armer Bevölkerungsschichten vornehmen.
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
55
Im Rahmen der Produktentwicklung erlangt die Konzentration auf kostengünstige,
umweltgerechte und einfach zu bedienende Standardprodukte besondere Relevanz.
Bestehende Bildungsdefizite (z.B. Analphabetentum) sind bei der Produktkonzeption
und -bedienung zu berücksichtigen. Vielfach erfordert die Einführung entsprechender
Standardprodukte in den Massenmärkten der Entwicklungsländer auch eine geänderte
Markenstrategie. In ihrem Beitrag führen Prahalad und Hart eine Reihe multinationaler
Konzerne an, die durch die Entwicklung einer entsprechenden Produktlinie und den
Aufbau einer Zweitmarke für die Märkte in den Entwicklungsländern eine erfolgreiche
Position aufbauen konnten. Angesichts der schwach ausgeprägten Einkommen bei armen Bevölkerungsgruppen bietet die Veränderung von Verpackungsgrößen vielfach
eine Möglichkeit, dass Produkte auch in kleineren Mengen angeboten und bezahlt
werden können. Hierüber konnten eine Reihe von international tätigen Herstellern wie
z.B. Hindustan Lever in Indien einen erheblichen Marktanteilszuwachs erzielen (u.a.
Balakrishna et al. 2004).
In diesem Zusammenhang können sich Konflikte im Hinblick auf zusätzliche Verpackungsabfälle ergeben, sodass über umweltverträgliche Verpackungsformen bei dieser
Produktanpassung gleichermaßen nachzudenken ist. Hindustan Lever Ltd. gehört zum
Unileverkonzern. Nachdem der multinational tätige Konzern seit über 50 Jahren die
wohlhabenden Kundensegmente in Indien im Rahmen des traditionellen internationalen Marketingansatzes bearbeitet hat, ist in den 90er Jahren eine spezifische Strategie
zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente entwickelt worden. Hierbei zeigt sich,
dass grundlegende Anpassungserfordernisse im Bereich der Produkt- und Verpackungskonzeption, im Produktionsprozess (Niedrigkosten-Produktionskonzepte), im
Distributions- und Kommunikationssystem sowie in der Preispolitik notwendig waren.
Ausschlaggebend für diese Strategie war der Erfolg eines lokalen Unternehmens Nirma, das sehr erfolgreich eine Marketingstrategie zur Erschließung armer Bevölkerungssegmente entwickelt hat. Sowohl Nirma wie auch Hindustan Lever gehören heute zu den stärksten Anbietern von Reinigungsmitteln in Indien und die Profitabilität im
BoP-Segment wird bei Unilever im Vergleich zu High-End-Produkten um ein vielfaches höher beurteilt (Prahalad/Hart 2002, S. 7). Insgesamt wird anhand einer Vielzahl
von Fallbeispielen deutlich, dass die kreative Suche nach Lösungsansätzen zu Produktund Serviceinnovationen führt, die wiederum in verschiedenen Ländern für ein Angebot im Segment der armen Bevölkerungssegmente genutzt werden und sogar auch für
Industrieländer Innovationsimpulse liefern können.
Die Preispolitik ist auf der Grundlage einer Niedrig-Margen-Orientierung festzulegen.
Aufgrund der fehlenden Transaktionsfähigkeit sind die oben erwähnten Maßnahmen
56
Manfred Kirchgeorg
des Vorfeldmarketing mit einzubeziehen. Für den Marktaufbau erscheinen Mischkalkulationen zwischen Deckungsbeiträgen in Industrieländern und Entwicklungsländern
den Markteintritt zu erleichtern. Überraschend erscheinen im Hinblick auf die geringen verfügbaren Einkommen Berichte darüber, dass in armen Bevölkerungssegmenten
in Anspruch genommene Mikrokredite mit hoher Zuverlässigkeit wieder zurückgezahlt werden. Prahalad und Hart führen in diesem Zusammenhang das Beispiel der
Grameen Bank an, die Rückzahlungsquoten im Bereich der Mikrokredite von 95%
erzielt hat. (Prahalad/Hart 2002, S. 7). Interviews des Autors mit Experten über die
Vergabe von Mikrokrediten bestätigen diese Erkenntnisse. Sharingmodelle können
genutzt werden, um hohe Anfangsinvestitionen für z.B. Internetanschlüsse, Telefone
u.a. auf verschiedene Nutzer aufzuteilen bzw. entsprechende Services gegen eine Nutzungsgebühr anzubieten. Beispiele zeigen weiterhin auf, dass die Realisierung von
Kostenreduktionspotenzialen von 50 bis 70% zu realisieren sind, wenn die Kostentreiber identifiziert werden und dann durch innovative Produkt-, Distributions- und
Kommunikationskonzepte kostengünstige Substitutionstechnologien entwickelt werden, die jedoch eine solide Qualität und einfache Handhabung sicherstellen.
Erhebliche Anpassungserfordernisse sind hinsichtlich der Distributions- und Kommunikationsstrukturen in Schwellenländer zu berücksichtigen. Vielfach existieren die in
den Industrieländern etablierten Distributionssysteme nicht. Eine hohe Fragmentierung
der Absatzkanäle geht i.d.R. mit einer geringen Infrastruktur- und Distributionsdichte
bei der Landbevölkerung einher. Hier stellt sich eine der größten Herausforderung für
das Nachhaltigkeits-Marketing, unter Einbindung lokaler Unternehmen und zukünftiger Nachfrager zuverlässige und effiziente Distributionsstrukturen aufzubauen. Ein
besonderer Trade off besteht nach Fallanalysen zwischen dem Angebot von Informationsdienstleistungen (Telefonverbindungen, Internetzugang) und der wirtschaftlichen
Entwicklung von armen Bevölkerungssegmenten. Erfahrungen über die Einführung
von City-Telefonen in Indien oder die Installation von Internet-Kiosken in Chile oder
Indien liefern ähnliche Erkenntnisse. Die Verfügbarkeit von Informationsmedien ermöglicht es der Landbevölkerung ihr Einkommen z.B. durch eine erhöhte Preistransparenz beim Einkauf von Saatgut oder den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu steigern. Gleichzeitig führt die Verfügbarkeit von Informationen über verbesserte Anbaumethoden auch zu effizienteren Produktionsmethoden (vgl. hierzu die
Beispielfälle unter http://www.digitaldividend.corg/case).
Bei der Gestaltung von Kommunikationsmaßnahmen stellen sich ebenfalls besondere
Herausforderungen. Arme Bevölkerungssegmente verfügen zunehmend über eine Anbindung an moderne Massenmedien (Radio, Fernsehen, (Mobil-)Telefon), sodass sie
Nachhaltigkeits-Marketing – eine internationale Perspektive
57
vielfach Kampagnen bekannter Marken kennen und auch ein Markenbewusstsein entwickelt haben. Bei fehlenden Kommunikationsmedien können zentral zugängliche
Internet-Kiosksysteme oder Produktdemostrationsveranstaltungen interessante Kommunikationsinstrumente darstellen. Allerdings ist bei der Botschaftsgestaltung der
Entwicklung von Produktbeschreibungen und Bedienungsanleitungen zu berücksichtigen, dass aufgrund des geringen Bildungsgrades ein hoher Anteil dieser Bevölkerungsgruppen nur über geringe Lesefähigkeiten verfügt. Bei fehlender Transaktionsfähigkeit und Hochpreisstrategien setzt sich Markenbekanntheit und Markenpräferenz
jedoch nicht in reales Kaufverhalten um. Insgesamt gilt auch für den Bereich der
Kommunikation gegenüber diesen Zielgruppen, dass die Wirkungsweise der Botschaftsgestaltung und Medienauswahl auf spezifischen Marktforschungsdaten aufbauen sollte, die z.T. unerwartete Ergebnisse über die Verhaltensweisen armer Bevölkerungsschichten offenbaren.
5 Fazit und Ausblick
Die skizzierten Ausführungen zeigen, dass sich im internationalen Marketing neue
Herausforderungen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen stellen
und zunehmend eine in klassischen Marketingansätzen vernachlässigte Zielgruppe in
den Mittelpunkt der Diskussion gerückt wird. Bisher haben anscheinend tradierte
Denkmuster in Praxis und Wissenschaft und die leichter zu erschließenden Wachstumsmärkte in Industrieländern verhindert, dass armen Bevölkerungssegmenten eine
gebührende Bedeutung zuerkannt wurde. Dabei darf nicht verkannt werden, dass privatwirtschaftliche Konzepte des Nachhaltigkeits-Marketing bei der Zielgruppe armer
Menschen auch nur eine begrenzte Reichweite entwickeln können und durch Ansätze
des Sozial-Marketing von gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen unterstützt
bzw. ergänzt werden müssen.
Allerdings ist die Forderung zu erheben, dass vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsanforderungen die Managementlehre (Müller-Christ, Hülsmann 2003, S. 271-272)
insgesamt und die Marketingwissenschaft sowie Marketingpraxis im Speziellen in der
Zukunft aufgefordert ist, sich mit der bisher weitgehend vernachlässigten Zielgruppe
der Mehrheit der armen Weltbevölkerung verstärkt auseinander zusetzen. Nicht nur
zur Erfüllung der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsanforderungen, sondern
auch aus einer ökonomischen Sicht sind Unternehmen aufgefordert, das Zukunftspotenzial des vernachlässigten Teils unserer Weltbevölkerung zu erkennen. Während die
Erhöhung der Lebensqualität von armen Bevölkerungssegmenten dem Anspruch nach
intragenerativer Gerechtigkeit entspricht, so ist jedoch nicht zu verkennen, dass ange-
58
Manfred Kirchgeorg
sichts der enormen Nachfragepotenziale in diesen Segmenten auch die Frage der verantwortungsvollen Ressourcennutzung für Produktions- und Konsumzwecke zu reflektieren ist. Die bloße Übertragung des Lebensstils der Industrieländer auf die Entwicklungsländer würde die Resourcen- und Immissionsprobleme extrem ansteigen lassen.
Von daher sind intelligente und innovative Lösungen für eine verantwortungsvolle
Synthese einer verbesserten Lebensqualität von armen Bevölkerungszielgruppen und
einer nachhaltigen Ressourcennutzung in Zukunft besonders gefragt.
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Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation
Ulf Schrader
1 Einführung
„Öko ist out – Werbung mit grünen Argumenten kommt nicht mehr an“ – so lautete
am 1. Juni 2001 die Titelschlagzeile von werben & verkaufen, dem auflagenstärksten
kommunikationspolitischen Fachmagazin in Deutschland. Demnach seien die klassischen Öko-Argumente oft inhaltlich selbstverständlich, langweilig gestaltet und generierten keinen Kundennutzen. An dieser für Umweltbewegte zunächst ernüchternden
Diagnose dürfte sich seit 2001 nicht viel geändert haben. Allerdings wäre es verfehlt,
daraus auf eine generell fehlende kommunikative Vermittelbarkeit der Inhalte und Ergebnisse eines gesellschaftlich verantwortlichen Managements zu schließen. Der vorliegende Beitrag soll aufzeigen, wie es Unternehmen gelingen kann, durch eine erfolgreiche Nachhaltigkeits-Kommunikation Wettbewerbsvorteile zu erlangen.
Ausgangspunkt sind dabei die Gründe für die mangelnde Durchschlagskraft klassischer Öko-Werbung. Für diese Defizite sollen dann im Hauptteil Lösungsansätze präsentiert werden, deren Beachtung für den Erfolg der Nachhaltigkeits-Kommunikation
notwendig ist. Die Argumentation konzentriert sich dabei auf die Kommunikation gegenüber Konsumenten und auf die Frage, wie diese motiviert und in die Lage versetzt
werden können, ihr Konsumverhalten an den Zielen der Nachhaltigkeit auszurichten.
2 Öko-Werbung
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb klassische Öko-Werbung, die sich seit Beginn
der 1980er Jahre entwickelt hat, heute als Auslaufmodell gilt. Insgesamt ist sie oft
nicht in der Lage, die Ziele zu erfüllen, die mit erfolgreicher Werbung generell verbunden sind. Die zentralen Versäumnisse sollen hier vorgestellt werden, wobei jedoch
darauf hinzuweisen ist, dass die Kritik nur bestimmte Tendenzen herausstreicht und
nicht verallgemeinert werden darf. Selbstverständlich gab und gibt es auch gut gemachte Umwelt-Kommunikation im Allgemeinen und Öko-Werbung im Besonderen.
Oft wurde es jedoch versäumt, den spezifischen individuellen Nutzen zu vermitteln,
den umweltfreundliche Produkte für Konsumenten stiften können. Bei Hopfenbeck/Roth (1994, S. 88-125) gibt es zahlreiche Beispiele für Öko-Werbung, die sich
62
Ulf Schrader
auf „grüne Argumente“ beschränkt. So wirbt etwa die Hofpfisterei mit „1=4: 1 Laib
Pfister Öko-Bauernbrot entspricht 4 qm Bayern ohne chemische Spritz- und Düngemittel“ und die AEG stellt ihre Waschmaschinenwerbung unter den Slogan: „Um alles
in der Welt: weniger Wasser!“. Der ökologische Vorteil allein ist jedoch individuell
nicht Nutzen stiftend, da die Umwelt ein Kollektivgut ist, von dessen Schutz alle profitieren, also auch die Konsumenten, die sich – z.B. aus Kostengründen – von den ökologischen Alternativen abwenden (Trittbrettfahrerproblem). Erst wenn es gelingt, einen ökologisch bedingten individuellen Nutzen aufzuzeigen, wird der Umweltvorteil
zu einem Kaufargument (z.B. Meffert 1993).
Ein weiteres Defizit der Öko-Werbung, das ihrem Ansehen zumindest in der kritischen
Öffentlichkeit geschadet hat, ist die Konzentration auf Produkte und hier z.T. auf relativ irrelevante Produktmerkmale (Lichtl 1999, S. 22-23). So lag bei Verbrauchsgütern
traditionell ein Schwerpunkt auf der Verpackung, bei Gebrauchsgütern auf der Recyclingfähigkeit. Ökologisch bedeutsamer sind jedoch vielfach die Vorproduktion und
Produktion, der Transport und vor allem die Nutzung von Gütern.
Ein wichtiger Grund für die Beschränkung der Inhalte liegt darin, dass im Rahmen der
Werbung komplexe Informationen nur schwer vermittelbar sind. Im Kontext einer umfassenden Kommunikationsstrategie muss Werbung deshalb mit anderen Instrumenten
verknüpft werden. Lange Zeit haben sich hier die Praxis und auch die Wissenschaft
zurückgehalten. Während die Öko-Werbung im Standardwerk „Öko-Kommunikation“
von Hopfenbeck/Roth (1994) auf immerhin 78 Seiten erläutert wird, erhalten andere
Kommunikationsinstrumente deutlich weniger Raum: Public Relations 14 Seiten,
Öko-Sponsoring 9 Seiten, Verkaufsförderung und Interne Kommunikation je 6. Auch
im Grundlagen- und Anwendungsteil des Buches dominiert die Werbung.
Um den Adressaten auch im Rahmen der Werbung möglichst viele Informationen zu
vermitteln, ist klassische Öko-Werbung häufig sehr text- und faktenorientiert. So wird
etwa der oben zitierte Werbespruch der Hofpfisterei („4 qm Bayern ohne chemische
Spritz- und Düngemittel“) illustriert mit einem aufwendigen Berechnungsbeispiel
(Hopfenbeck/Roth 1994, S. 104); ansprechende bildliche Darstellungen sucht man hier
– wie in vielen anderen Öko-Werbekampagnen auch – vergeblich. Angesichts der
herrschenden Informationsüberlastung ist jedoch davon auszugehen, dass nur solche
Konsumenten diese Faktenpräsentationen wahrnehmen und verarbeiten, für die das
Umweltproblem einen besonders hohen Stellenwert hat. Während der Umweltschutz
Anfang der 1990er Jahre von der bundesdeutschen Bevölkerung noch für das wichtigste gesellschaftliche Problem gehalten wurde, nimmt er mittlerweile nur noch einen
Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation
63
mittleren Rangplatz ein (Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 30-37). Dementsprechend hat
die Mehrheit der Konsumenten grundsätzlich ein eher begrenztes Interesse am Umweltthema.
Ein Grund, weshalb in der Öko-Werbung die Informationskomponente betont und die
Animation durch Emotionalisierung zurückhaltend verwendet wird, sind potenzielle
Glaubwürdigkeitsprobleme (Beitrag Belz/Ditze). Sie resultieren aus den informationsökonomischen Besonderheiten von Umwelteigenschaften (Kaas 1992, S. 478-480): Es
handelt sich hierbei nicht um Sucheigenschaften, die Konsumenten vor dem Kauf beurteilen könnten, sondern entweder – wie im Fall von Langlebigkeit und Verbrauch –
um Erfahrungseigenschaften, zu deren Beurteilung der eigene Konsum Voraussetzung
ist, oder – wie bei Produktionsbedingungen oder Schadstoffausstoß – um Vertrauenseigenschaften, bei deren Bewertung Konsumenten auf die Aussagen von Experten angewiesen sind. Aufgrund dieser spezifischen Situation, die einzelne Anbieter insbesondere in der Frühphase des Öko-Marketing für irreführende oder sogar falsche Aussagen ausgenutzt haben (z.B. Schoenheit 1992, S. 333-336), besteht auf Seiten der
Konsumenten ein genereller Glaubwürdigkeitsvorbehalt gegenüber dem ökologischen
Eigenlob von Unternehmen.
Defizite der Öko-Werbung
Lösungsansätze
Geringer Bezug zu individuellem Nutzen
Neue Kommunikationsargumente
Eingeschränkte Berücksichtigung
relevanter Probleme
Neue Kommunikationsobjekte
Mangelnde Eignung zur Kommunikation
komplexer Zusammenhänge
Neue Kommunikationsinstrumente
Inadäquat für geringer involvierte
Konsumenten
Neue Kommunikationsgestaltung
Glaubwürdigkeitsdefizite
Neue Kommunikatoren
Tabelle 1: Defizite der Öko-Werbung und Ansätze zu ihrer Überwindung
Die dargestellten Defizite erfordern spezifische Antworten (Tab. 1): Um den mangelnden individuellen Nutzen der klassischen Öko-Werbung zu überwinden, sind neue Argumente zu kommunizieren. Alle relevanten Konsumfolgen lassen sich nur berücksichtigen, wenn die Kommunikation auf neue Objekte ausgedehnt wird. Die Komplexität der Inhalte macht neue Kommunikationsinstrumente erforderlich. Um auch weni-
64
Ulf Schrader
ger involvierte Konsumenten anzusprechen, ist eine andere Kommunikationsgestaltung notwendig. Und Glaubwürdigkeitsdefizite lassen sich überwinden, wenn die
Kommunikation auch durch neue Akteure geleistet wird. Diese Lösungsansätze, die
Bestandteil einer erfolgreichen Nachhaltigkeits-Kommunikation sind, werden im Folgenden genauer beschrieben.
3 Nachhaltigkeits-Kommunikation
Neue Kommunikationsargumente
Auch wenn die Ökologie Ausgangspunkt und Schwerpunkt der Nachhaltigkeitsdebatte
ist, besteht weitgehend Konsens darüber, dass das Konzept der Nachhaltigkeit (mindestens) drei Dimensionen hat, dass also neben der Umwelt auch soziale und ökonomische Belange zu berücksichtigen sind (z.B. Enquete-Kommission 1998, S. 27-54;
Dyllick/Hockerts 2002, S. 131-135). Aus individueller Sicht der Konsumenten kann
ökonomische Nachhaltigkeit als Möglichkeit zur langfristigen Bedürfnisbefriedigung
im Rahmen bestehender Budgetrestriktionen interpretiert werden (Schoenheit 2001,
S. 120-121). Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist keine Verzichtsideologie, sondern erkennt das Recht auf Bedürfnisbefriedigung ausdrücklich an. Erfolgreiche Nachhaltigkeits-Kommunikation nimmt – wie jede gelungene Endkundenkommunikation – auf
das Streben der Konsumenten nach Bedürfnisbefriedigung Bezug. Sie muss demnach
bestimmte Merkmale von Produkten und Dienstleistungen bzw. von Unternehmen so
vermitteln, dass der individuelle Vorteil für die Kunden sichtbar wird (Beitrag Belz).
Individueller ökologisch bedingter Nutzen für Konsumenten kann aus einem erhöhten
Gebrauchswert erwachsen und beispielsweise im besseren Geschmack von Lebensmitteln aus ökologischem Landbau oder in verbesserter Hautverträglichkeit von Kleidung
aus kontrolliert biologisch angebauter Baumwolle bestehen. Eine weitere Kategorie
individueller Vorteile besteht in Kosteneinsparungen, die etwa durch verbrauchsarme
Gebrauchsgüter oder durch energetisch optimiertes Wohnen zu erreichen sind. Diese
Vorteile sind für alle Kunden relevant, unabhängig vom jeweiligen Umweltbewusstsein. Liegt dieses vor – und entsprechende Umfragen bestätigen trotz relativem Bedeutungsverlust (siehe Kap. 2) nach wie vor eine weite Verbreitung (z.B. Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 39-48) – dann sind die entsprechenden Zielgruppen auch mit
weiteren Argumenten ansprechbar, die sich auf Selbst- und Fremdachtungsnutzen beziehen (Vershofen 1940, S. 63-86; Schrader 1995, S. 11-17; Belz 2001, S. 70-75).
Selbstachtungsnutzen besteht in dem guten Gefühl, auch als Konsument gemäß der
Einstellungen und Werte zu handeln, derer man sich als Bürger verpflichtet fühlt –
Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation
65
nach dem auf Abraham Lincoln (1809-1865) zurückgehenden Motto „When I do good,
I feel good“. Fremdachtungsnutzen bezieht sich auf die Anerkennung durch umweltorientierte Bezugsgruppen. Es ist keinesfalls akademische Spitzfindigkeit, dezidiert
zwischen einem kollektiven ökologischen Nutzen und den verschiedenen Arten des
individuellen ökologisch bedingten Nutzens zu unterscheiden, sondern eine Erfolgsvoraussetzung der Nachhaltigkeits-Kommunikation. Der kollektive Nutzen einer geschützten Umwelt ist zwar eine wesentliche Folge aber nicht der wirkliche Grund ökologischen Handelns. Nur wenn individueller Nutzen mit dem kollektiven einhergeht,
ist ein bewusstes ökologisches Verhalten zu erwarten.
Neue Chancen und Risiken entstehen für die Nachhaltigkeits-Kommunikation durch
die zusätzliche Berücksichtigung der sozialen Dimension. Zu den entsprechenden sozialen Themen gehören etwa Arbeitsbedingungen in der Produktion und bei Zulieferern entlang der gesamten, oftmals globalen Wertschöpfungskette, aber auch freiwillige, über die Kernleistung hinausgehende Aktivitäten, mit denen sich ein Unternehmen
im Sinne eines „Good Corporate Citizenship“ für die sozialen Lebensbedingungen
bzw. die Entwicklung des sozialen Kapitals am jeweiligen Standort einsetzt (z.B. Habisch 2003; Schrader 2003). Beispiele für Letzteres sind etwa Bildungs- und Breitensport-Sponsoring oder eine darüber hinausgehende dauerhafte Zusammenarbeit von
Unternehmen mit sozialen Einrichtungen. Problematisch ist bei der sozialen Dimension, dass hier im Gegensatz zu den zuvor genannten ökologischen Eigenschaften kaum
von positiven Wirkungen auf den Gebrauchswert von Gütern oder auf die Kosten des
Konsums ausgegangen werden kann. Zwar ist zu vermuten, dass etwa in Fabriken mit
angenehmen Arbeitsbedingungen und motivierten Mitarbeitern Produkte mit höherer
Qualität hergestellt werden, als etwa in sog. Sweatshops, in denen die Produktion teilweise unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen stattfindet. Es bleibt aber
offen, wie stark dieser Zusammenhang ist und ob er Konsumenten vermittelt werden
kann. Von daher beschränkt sich der individuelle Vorteil der Berücksichtigung sozialer Aspekte bei der Kaufentscheidung auf Selbst- und Fremdachtungsnutzen. Dieser
Aspekt darf jedoch nicht zu gering eingeschätzt werden: In Umfragen rangiert etwa die
Vermeidung von Kinderarbeit regelmäßig deutlich vor Umweltfragen, wenn Konsumenten nach ihren Forderungen in Bezug auf das gesellschaftlich verantwortliche
Verhalten von Unternehmen gefragt werden (z.B. imug 1997, S. 57; imug 2003, S. 3).
Zudem handelt es sich bei der auf den Massenmarkt gerichteten Thematisierung der
sozialen Dimension des unternehmerischen Handelns um einen – im Vergleich zum
Umweltthema – relativ neuen Bereich. Im Neuigkeitswert liegt ein spezifischer Kommunikationsvorteil, denn er erhöht die Aufmerksamkeit auf Seiten der Konsumenten
66
Ulf Schrader
und bietet Raum für eine innovative Positionierung. Dementsprechend hat beispielsweise das Pharma- und Chemieunternehmen Altana 2002 und 2003 eine umfangreiche
Kampagne mit großformatigen Anzeigen unter dem Slogan „think on“ durchgeführt,
die von der Zeitungs-Marketing-Gesellschaft ZMG als Markenkampagne des Jahres
2002 ausgezeichnet wurde. Im Mittelpunkt stand dabei kein bestimmtes Produkt, sondern das Unternehmen und seine Verantwortung für seine verschiedenen Stakeholder.
Diese besondere Berücksichtigung des hinter Produkten und Dienstleistungen stehenden Unternehmens als beworbenem Kommunikationsobjekt ist Element eines generellen, im Folgenden näher zu betrachtenden Merkmals der NachhaltigkeitsKommunikation.
Neue Kommunikationsobjekte
Insbesondere zwei Aspekte der Nachhaltigkeitsdefinition machen es zwingend notwendig, in der Nachhaltigkeits-Kommunikation über die Fokussierung auf das Kommunikationsobjekt Produkt hinauszugehen. Zum einen beschreibt „Nachhaltigkeit“ ein
Ziel, das nur durch wesentliche und nicht durch beliebig kleine ökologische Fortschritte zu erreichen ist. Genau genommen geht es beim sustaining im Gegensatz zum greening um ein „Soviel-wie“ und nicht nur um ein „Weniger-als“ (Matten/Wagner 1998,
S. 52-53). Zum anderen bezieht sich gesellschaftliche Verantwortung im Nachhaltigkeitskonzept nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale Fortschritte. Sowohl
die substantiellen ökologischen Verbesserungen als auch die Berücksichtigung des
Sozialen drücken sich oft nicht in Produktmerkmalen aus und erfordern die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette sowie der Handlungen von Unternehmen insgesamt.
In der Wertschöpfungskette interessieren Produktion und Vorproduktion ebenso wie
Transporte, Entsorgung und vor allem die Nutzung. Die Nutzung ist bei vielen Gebrauchsgütern (z.B. Auto, Waschmaschine) hauptverantwortlich für die jeweilige
Ökobilanz – und die hier notwendige ökologische Konsumkompetenz lässt sich durch
kommunikative Maßnahmen von Unternehmen beeinflussen (z.B. Lichtl 1999, S. 3252). Wenn ernsthaft das Ziel verfolgt wird, den Konsumenten durch NachhaltigkeitsKommunikation die Möglichkeit zu verschaffen, an der Supermarktkasse über die sozialen und ökologischen Leistungen von Unternehmen mit abzustimmen (Hansen/Schrader 1997, S. 447), dann wird das gesamte anbietende Unternehmen zum
Kommunikationsobjekt – mit all seinen Zulieferverflechtungen und Managementaktivitäten im Vor- und Nachkaufbereich (Schoenheit 2001, S. 122-123).
Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation
67
Neue Kommunikationsinstrumente
Die stärkere Berücksichtigung der Unternehmen, die hinter Produkten und Dienstleistungen stehen, erfordert einen zunehmenden Einsatz spezifischer Kommunikationsinstrumente. Im Rahmen klassischer Werbung ist es unmöglich, die ganze Komplexität
sozialer und ökologischer Konsequenzen der Unternehmenstätigkeit auch nur annähernd verständlich darzustellen. Eine wichtige Ergänzung, die in den letzten Jahren
zunehmend Beachtung gefunden hat, ist die erweiterte Unternehmensberichterstattung.
Die klassische ökonomisch orientierte Berichterstattung wurde bereits in den 1970er
und 80er Jahren durch die so genannte Sozialberichterstattung ergänzt, die sich vor
allem auf die Arbeitsbedingungen im Stammland bezog (z.B. Fischer-Winkelmann
1980). Seit Ende der 1980er Jahre publiziert eine zunehmende Zahl von Unternehmen
Umweltberichte, mit denen sie die Transparenz über die ökologischen Auswirkungen
des unternehmerischen Wirtschaftens verbessern (z.B. Fichter 1998). Diese beiden
Traditionen gesellschaftsorientierter Berichterstattung verschmelzen seit Ende der
1990er Jahre zunehmend miteinander und werden mit ökonomischen Informationen
zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung ergänzt (z.B. IÖW/imug 2002). Obwohl die
Entwicklung dieses Bereichs in der Praxis dynamisch verläuft und in der Literatur sehr
intensiv verfolgt wird (z.B. Cornier/Gordon 2001; Kolk/Walhain/van de Wateringen
2001; Schulz/Burschel/Losen 2001; Adams 2002), konzentriert sich die Berichterstattung noch immer auf eine relativ begrenzte Zahl größerer Unternehmen. So publizierten im Jahr 2002 von den DAX-100-Unternehmen 40 gesellschaftsorientierte Unternehmensberichte, von denen 20 reine Umweltberichte und 3 reine Sozialberichte waren. Nur 17 Unternehmen integrierten beide Dimensionen im Rahmen von Nachhaltigkeits-Berichten (Klaffke/Krick 2003, S. 10). Bei kleinen und mittleren Unternehmen
ist der Anteil berichterstattender Unternehmen noch deutlich geringer ausgeprägt.
Neben der Anzahl ist auch die Form der bisher publizierten Nachhaltigkeits-Berichte
im Hinblick auf die Kommunikation mit Konsumenten stark verbesserungswürdig.
Nach dem fragwürdigen Prinzip „one size fits all“ werden noch immer viele Publikationen auf eine gedruckte bzw. download-fähige Broschüre beschränkt. Die Nachhaltigkeits-Berichte besitzen dabei in der Regel einen mittleren Komplexitätsgrad, der für
kritische Anspruchsgruppen und hoch involvierte Konsumenten oft nicht konkret genug ist, dessen Informationsreichtum bei Durchschnittskonsumenten aber zugleich
einen information overload verursacht. Aus dieser Situation wird z.T. geschlossen,
dass Nachhaltigkeits-Berichterstattung für die endkundengerichtete Kommunikation
generell ungeeignet wäre. Dabei übersieht man allerdings, dass z.B. über das Internet
eine differenzierte, zielgruppengenaue Ansprache durchaus möglich ist (z.B. Isen-
68
Ulf Schrader
mann/Lenz 2002; Schulz 2003). Sind entsprechende Internet gestützte Informationssysteme erst einmal installiert, lässt sich eine individualisierte und laufend aktualisierte
Informationsbereitstellung realisieren. Gleichzeitig kann ein Teil der unspezifischeren
Print-Kommunikation ersetzt werden. Wesentlich für eine breite Nutzung entsprechender Internet-Angebote ist allerdings eine intensive Verknüpfung von Online- und
Offline-Kommunikation (Wheeler/Elkington 2001). Das Wissen und die Motivation
zur Abfrage der nur online erhältlichen Holinformationen muss durch inhaltlich und
gestalterisch leicht zugängliche Bringinformationen offline erzeugt werden (Hansen
u.a. 2003, S. 19-20), beispielsweise durch entsprechende Hinweise auf Produkten oder
in der Werbung.
Neue Kommunikationsgestaltung
Erfolgreiche Nachhaltigkeits-Kommunikation erfordert nicht nur die zuvor beschriebene Ausweitung von Informationen, sondern gleichzeitig auch eine zunehmende Emotionalisierung. Beide Ansätze stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern
müssen sich ergänzen und sind im Hinblick auf unterschiedliche Kommunikationsinstrumente und Konsumentenzielgruppen differenziert anzuwenden. Die Forderung
nach zunehmender Emotionalisierung bezieht sich vor allem auf die klassische Massenwerbung. Im Hinblick auf die Werbegestaltung lässt sich zugespitzt formulieren:
Es gibt keine nachhaltige oder nicht-nachhaltige Werbung, sondern nur gute oder
schlechte. Nachhaltigkeit sollte sich in den Inhalten und Zielen der Werbung widerspiegeln, nicht aber in einer besonders sachlichen oder problemfixierten Gestaltung.
Als zentralen Grund für die Notwendigkeit einer Aktivierung über positive Emotionen
lässt sich das Involvement der Konsumenten anführen, also das innere Engagement
einer Person, mit dem sich diese einem Gegenstand oder einer Aktivität zuwendet. Nur
bei hohem Involvement ist zu erwarten, dass Konsumenten die Mühe auf sich nehmen,
Informationen bewusst zu suchen und kognitiv so zu verarbeiten, dass sie handlungswirksam werden (z.B. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 250). Für die meisten Konsumenten ist aber zunächst von einem geringen Involvement im Hinblick auf soziale und
ökologische Implikationen ihrer Kaufentscheidung auszugehen, was eine entsprechende Anpassung der Nachhaltigkeits-Kommunikation erfordert (Hansen/Schrader 2004).
Folgt man dem Elaboration-Likelihood-Model der Einstellungsforschung von Petty/Cacioppo/Schumann (1983), dann muss im Fall eines geringen Involvements die zu
verarbeitende Information in der Kommunikation peripher angesiedelt sein. Die Bereitschaft zur Informationsverabeitung ergibt sich hier nicht aus den konkreten Inhalten, sondern aus einem situativen Involvement für ihre „Verpackung“, also für die
Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation
69
Gestaltung oder für den Sender der Botschaft. Ein Weg zur Erzeugung eines situativen
Involvements für Nachhaltigkeitsinformationen ist die Betonung von Spaß bzw. generell von postiver Emotionalität (Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 706-709). Dafür, dass
ökologische Themen unterhaltsam verpackt werden können, gibt es unter dem
Schlagwort „Ecotainment“ (Lichtl 1999) inzwischen zahlreiche Beispiele. Die Schaffung von Involvement über den Sender der Information wird im Rahmen der sog. Celebrity-Werbung angestrebt. Prominentestes umweltbezogenes Beispiel in Deutschland
ist hier die (inhaltlich durchaus umstrittene) Werbung von Krombacher, in der Günther
Jauch und Steffi Graf das Engagement der Brauerei für ein WWF-Regenwaldprojekt
herausstreichen und in Verbindung zum Erwerb eines Kastens Bier bringen. Ähnliche
Ansätze sind auch bei sozialen Themen denkbar. Nur wenn eine entsprechende emotionale Aufladung gelingt, lassen sich Nachhaltigkeitsinformationen auch an gering involvierte Konsumenten herantragen. Gegebenenfalls entsteht dann in einem zweiten
Schritt auch ein kognitiv gefestigtes Involvement für die eigentlichen Inhalte. Bei bereits hoch involvierten, an Nachhaltigkeit überdurchschnittlich interessierten Konsumenten kann eine emotionale Ansprache ebenfalls sinnvoll sein, um die vorhandene
Informationsbereitschaft zu festigen und auszubauen.
Neue Kommunikatoren
Während eine Nachhaltigkeits-Kommunikation nach dem Motto „Tue Gutes und rede
darüber“ oft als „reine PR“ abgetan wird (Steinert/Klein 2002, S. 12), können Unternehmen bestehende Glaubwürdigkeitsvorbehalte überwinden, wenn es ihnen gelingt,
die Maßgabe „Tue Gutes und lass Andere darüber reden“ umzusetzen. Gerade bei der
gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme kommt es darauf an, dass die eigenen
Aktivitäten von glaubwürdigen Dritten aufgegriffen und gegenüber den Konsumenten
kommuniziert werden. Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit dieser Akteure ist ihre
Unabhängigkeit von den kommerziellen Interessen der Unternehmen. Zentral sind
hierbei von Konsumenten als unabhängig wahrgenommene Massenmedien sowie
NGOs und Verbraucherorganisationen, die direkt oder ihrerseits über Massenmedien
an die Konsumenten herantreten.
Viel versprechend ist in diesem Zusammenhang, dass die Stiftung Warentest, deren
Glaubwürdigkeit im Hinblick auf Verbraucherinformationen in Deutschland unbestritten ist, damit begonnen hat, Warentests um sozial-ökologisch ausgerichtete Unternehmenstests zu ergänzen. Ein isolierter Unternehmenstest zur Verantwortungsübernahme
in der Sportartikelbranche ist bereits in der Zeitschrift test erschienen (test 2003) und
weitere Tests der Corporate Social Responsibility sind geplant. Die Stiftung Warentest
70
Ulf Schrader
arbeitet dabei mit dem Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft zusammen, das bereits
seit Anfang der 1990er Jahre das Konzept eines sozial-ökologischen Unternehmenstests entwickelt (imug 1997) und im Rahmen verschiedener branchenbezogener Einkaufsführer umgesetzt hat (z.B. imug u.a. 1997; imug u.a. 1999; imug 2001). Im Rahmen einer Kooperation mit dem Verein für Konsumenteninformation (VKI), dem österreichischen Pendant zur Stiftung Warentest, wurde auch die Verknüpfung mit klassischen Warentests bereits erprobt (Tab. 2).
Vergleichbare Maßnahmen in Deutschland könnten Unternehmenstests in Zukunft
eine große Bedeutung verschaffen. Durch die besondere Reputation der Stiftung Warentest, den hohen direkten und vor allem – über die Massenmedien – indirekten Verbreitungsgrad der Testergebnisse sowie die Verknüpfung mit den für Konsumenten
kaufrelevanten Warentests ist eine Wirkung zu erwarten, die von gering verbreiteten
unternehmensbezogenen Einkaufsführern nicht zu erzielen ist. Noch bleibt allerdings
unklar, ob die Ansätze der Stiftung Warentest über das Stadium von Pilotprojekten
hinausgehen und dauerhaft Eingang in den Testalltag finden werden.
Testergebnisse Laufschuhe Herren
(weitere
Schuhe im
Test)
Marke
Asics
Nike
Adidas
Type
Gel-Kayano
Air Structure
Triax
Cairo
Preis in €
145,27
108,94
116,20
Test-Urteil
Gut
Gut
Gut
Hersteller
Asics
Corporation
Nike Inc.
Adidas- Salomon AG
Japan
USA
Deutschland
Unternehmens-Ethik
…
-
++
++
Achten auf soziale Verantwortung
?
+
-
Einhaltung von Sozialstandards
+
++
++
Überwachung der Sozialstandards
Lieferbare Größen
--
++
++
41½ - 49
38½ - 51
39½ - 50½
360
375
340
Gewicht pro Schuh in g
(35%) Biomech. Eigenschaften
Gut
Gut
Gut
(20%) Orthopädische Beurteilung
Sehr gut
Sehr gut
Gut
(25%) Praktische Prüfung
Gut
Gut
Gut
(20%) Materialeigenschaften
Gut
Durchschnitt
Durchschnitt
(weitere Detailergebnisse)
…
…
…
Tabelle 2: Beispiel für die Verknüpfung von Waren- und Unternehmenstests
(Quelle: Konsument 2000, S. 8)
…
Von der Öko-Werbung zur Nachhaltigkeits-Kommunikation
71
Die Existenz regelmäßiger, breit angelegter und weit verbreiteter Unternehmenstests
würde die Nachhaltigkeits-Kommunikation von Unternehmen keinesfalls überflüssig
machen. So besteht in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe der Unternehmen darin, die Testinstitutionen mit adäquaten Informationen zu versorgen. Viele der
relevanten Informationen sind nicht frei zugänglich und können von den Testern – teils
aus Sach-, teils aus Kostengründen – auch nicht direkt selbst erhoben werden. Von
daher kommt der Bereitschaft von Unternehmen zur freiwilligen Informationsoffenheit
eine wesentliche Bedeutung für die Durchführung sozial-ökologischer Unternehmenstests zu (Schrader/Schoenheit/Hansen 2003, S. 15). Eine weitere Aufgabe der Nachhaltigkeits-Kommunikation ist es, die Ergebnisse der Tests in der unternehmensbezogenen Kommunikation zu nutzen – ähnlich wie dies heute auf breiter Basis im Bereich
von produktbezogener Werbung mit Testergebnissen geschieht.
4 Fazit
Im Artikel wurden verschiedene Ansätze für eine erfolgreiche NachhaltigkeitsKommunikation aufgezeigt. Vorausgesetzt wurde dabei jedoch, dass das kommunizierende Unternehmen sowohl qualitativ als auch finanziell attraktive Leistungen anbietet
und im Verhältnis zum Durchschnitt seiner Mitbewerber tatsächlich eine herausgehobene Stellung in Bezug auf Aspekte der Nachhaltigkeit einnimmt. Die Reputation, ein
sozial-ökologisch besonders verantwortliches Unternehmen zu sein, lässt sich nur aufbauen und langfristig erhalten, wenn tatsächlich eine überdurchschnittliche Verantwortungsübernahme besteht. Reines „Window Dressing“ macht einen langfristigen Kommunikationserfolg nicht nur unmöglich, sondern birgt in sich erhebliche Risiken für
die Reputation und den Markenwert von Unternehmen (z.B. Dyllick/Belz 1994, S. 6667). Im Vergleich zu abstrakteren und subjektiveren Imageausrichtungen wie Dynamik, Jugendlichkeit, Geborgenheit oder Freundlichkeit lässt sich die sozialökologische Verantwortungsübernahme von Unternehmen eher an konkreten Standards festmachen und überprüfen. Wer diese selbst gesetzten und kommunizierten hohen Standards durch eigenes Verschulden nicht erreicht, schneidet letztlich schlechter
ab, als ein Unternehmen, das in diesem Bereich von vornherein geringes Profil zeigt.
Wichtige Wettbewerbspotenziale werden jedoch in beiden Fällen verschenkt. Je mehr
Unternehmen dies erkennen, umso wahrscheinlicher wird, dass werben & verkaufen
seine Titelschlagzeile „Öko-Werbung ist out“ bald ergänzt um den wesentlichen Zusatz „- aber Nachhaltigkeits-Kommunikation ist in!“.
72
Ulf Schrader
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Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel:
Theoretische Überlegungen und empirische Ergebnisse
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
1 Einführung
Werbung für nachhaltige Produkte und Leistungen befindet sich in einem Dilemma:
Einerseits soll sie gemäß Aussagen von Konsumenten besonders glaubwürdig sein,
andererseits aber auch unterhaltsam (Katz 2002, S. 284). Nachhaltigkeits-Werbung
soll nicht nur wichtige Sachinformationen über die sozial-ökologische Vorteilhaftigkeit von nachhaltigen Produkten und Leistungen vermitteln, sondern auch Emotionen
und Lebensstil. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeits-Werbung bewegt sich im Spannungsfeld von Information und Animation (Hüser/Mühlenkamp 1992, S. 151). In dem
vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass während der 1990er Jahre ein
Wandel in der Werbung für nachhaltige Produkte und Leistungen stattgefunden hat.
Dies lässt sich bezüglich Gestaltung und Argumente der Nachhaltigkeits-Werbung wie
folgt spezifizieren:
1. These: Nachhaltigkeits-Werbung stellt weniger Informationen und vermehrt Emotionen in den Vordergrund. Der Animationsnutzen gewinnt gegenüber dem Informationsnutzen zunehmend an Bedeutung (Gestaltung der Nachhaltigkeits-Werbung).
2. These: Nachhaltigkeits-Werbung hebt die sozialen und ökologischen Vorteile von
Produkten nicht mehr per se als Alleinstellungsmerkmale hervor, sondern verknüpft
sie mit individuellen Nutzen- oder Kostenkriterien zu Motivallianzen (Argumente der
Nachhaltigkeits-Werbung).
Diese beiden Thesen werden in dem vorliegenden Beitrag näher erläutert und empirisch getestet. Untersuchungs- bzw. Analyseobjekte sind Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte, die im Zeitraum von Januar 1993 bis Dezember 2002 in der
Coop-Zeitung erschienen sind. Die Wahl fiel auf Lebensmittel, weil sie eine große
Rolle im (Alltags-) Leben spielen und weil in diesem Produktbereich sozialökologische Aspekte schon seit längerem eine besondere Bedeutung haben. Unter
nachhaltigen Lebensmittelprodukten werden biologisch angebaute, tierfreundliche und
fair gehandelte Produkte subsummiert. In der Untersuchung wird biologisch angebau-
76
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
ten und tierfreundlichen Lebensmitteln besonderes Augenmerk geschenkt, die unter
der 1993 lancierten Handelsmarke Coop Naturaplan geführt werden. Im Jahr 2003 belief sich der Umsatz des Coop Naturaplan auf 1,15 Mrd. Schweizer Franken, wovon
jeweils rund die Hälfte des Umsatzes auf biologisch angebaute und tierfreundliche Lebensmittelprodukte entfielen (Coop 2004a, S. 35-37). Die biologisch angebauten Produkte des Coop Naturaplan sind mit der Knospe versehen, dem offiziellen Label der
Bio Suisse, dem Dachverband der schweizerischen Biobauern. Mit einem Anteil von
knapp 50% ist Coop klarer Führer im Bio-Markt, welcher sich zu einem wichtigen und
wachsenden Teilsegment des schweizerischen Lebensmittelmarktes entwickelt hat
(Villiger 2000, S. 223-250; Belz 2004, S. 104-109). Darüber hinaus werden in der Untersuchung auch fair gehandelte Lebensmittelprodukte berücksichtigt, die mit dem
Max-Havelaar-Label ausgezeichnet sind. Im Jahr 2003 erzielte Coop einen Umsatz
von mehr als 80 Mio. Schweizer Franken mit Max-Havelaar-Produkten (Kaffee, Tee,
Honig, Bananen usw.). Damit verkauft Coop weltweit am meisten Fair Trade-Produkte
(Coop 2004b, S. 29).
Die Coop-Zeitung ist mit einer offiziell beglaubigten Auflage von mehr als 1,5 Mio.
eine der größten Wochenzeitungen der Schweiz. Sie wird kostenlos an interessierte
Haushalte versendet und enthält neben Werbeanzeigen Artikel zu aktuellen gesellschaftspolitischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Themen. Im untersuchten
Zeitraum 1993-2002 sind insgesamt über 500 Coop-Zeitungen erschienen. Um den
Aufwand für die Datenerhebung überschaubar zu halten, wurde eine Teilerhebung
vorgenommen, d.h. jede zehnte Wochenzeitung berücksichtigt. Insgesamt wurden 363
Anzeigen aus fünfzig Coop-Zeitungen kategorisiert, systematisiert und anhand einer
quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse näher untersucht. Eine derartige Inhaltsanalyse kann definiert werden als eine empirische Forschungsmethode zur systematischen und intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung und Analyse inhaltlicher
und formaler Merkmale von Mitteilungen (Früh 2001, S. 119; Mayring 2002). „Mitteilungen“ beinhalten neben Texten auch Bilder. „Systematisch“ bedeutet, dass neben der
klaren Festlegung der Untersuchungsobjekte, des Untersuchungszeitraums und der
Stichprobe für die Beschreibung und Analyse der Mitteilungen bereits vor der Inhaltsanalyse ein Kategorien- bzw. Auswertungsschema erarbeitet wird. Die Erstellung eines einheitlichen Kategoriensystems ist ein zentraler Schritt im Rahmen der empirischen Inhaltsanalyse (Mayring 1997, S. 56-95; Früh 2001, S. 141-151). Eine notwendige Voraussetzung für die Konstruktion eines brauchbaren Kategoriensystems ist –
wie bei anderen Erhebungsmethoden auch – eine gründliche theoretische Aufarbeitung
des Forschungsproblems (Flick 2002; Mayring 2002). Das Kategoriensystem zur Er-
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
77
fassung und Analyse der Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte leitet
sich aus den beiden Thesen und den entsprechenden theoretischen (Vor-)
Überlegungen ab. Es besteht aus 24 Variablen wie Erscheinungsjahr, Anzeigentyp,
Anzeigengröße, Bildflächenanteil, Textanteil, Bildmotive, Headline und Produktgruppe (siehe Anhang). Die umfangreichen Datensätze wurden in Version 11 von SPSS
(Statistical Package for the Social Sciences) eingegeben und näher analysiert
(Bühl/Zöfel 2002).
Das Kapitel 2 widmet sich der These, dass während der letzten Jahre ein Wandel von
informations- zu emotionsbezogener Nachhaltigkeits-Werbung stattgefunden hat. Das
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der These, dass sozial-ökologische Vorteile eines Produktes nicht mehr per se vermarktet werden, sondern mit herkömmlichen Kaufkriterien zu Motivallianzen verknüpft werden. Dabei wird jeweils zweistufig vorgegangen:
Im ersten Schritt werden die beiden Thesen anhand von theoretischen Überlegungen
hergeleitet und im zweiten Schritt empirisch anhand des Datenmaterials untersucht. Im
Kapitel 4 folgen eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse sowie
Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis.
2 Nachhaltigkeits-Werbung im Spannungsfeld
von Information und Animation
Theoretische Überlegungen
Aus informationsökonomischer Sicht kann man drei verschiedene Produkteigenschaften unterscheiden: Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften (Darby/Karni
1973, S. 67-88; Kaas 1990a, S. 542-543). Die Sucheigenschaften eines Produktes lassen sich von den Konsumenten vor oder während des Kaufs durch bloße Inspektion
feststellen (z.B. Farbe oder Preis eines Lebensmittelproduktes). Erfahrungseigenschaften können erst nach dem Kauf, also erst durch den Gebrauch oder Verbrauch eines
Produktes, ermittelt werden (z.B. Geschmack oder Kochzeit eines Lebensmittelproduktes). Vertrauenseigenschaften dagegen können von den Konsumenten weder vor
noch nach dem Kauf festgestellt oder nur zu prohibitiv hohen Kosten überprüft werden
(z.B. Anbauweise eines Lebensmittelproduktes).
Sozial-ökologische Produkteigenschaften können Such-, Erfahrungs-, Vertrauenseigenschaften oder eine Kombination der drei Eigenschaftstypen sein: Bei Recyclingpapier kann man aus der grauen Farbe schließen, dass es aus Altpapier besteht (Sucheigenschaft). Der Benzinverbrauch eines Autos lässt sich beim Gebrauch ermitteln (Erfahrungseigenschaft). Ob Fair Trade-Produkte tatsächlich ohne Kinder- oder Sklaven-
78
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
arbeit hergestellt werden, kann vom Kunden kaum oder nur zu prohibitiv hohen Kosten überprüft werden (Vertrauenseigenschaft). Ein Produkt mit kombinierten Eigenschaftstypen ist bspw. ein frisches Bio-Brot mit knuspriger Kruste (Sucheigenschaft),
das gut schmeckt (Erfahrungseigenschaft) und aus biologisch angebautem Getreide
hergestellt wurde (Vertrauenseigenschaft) (Kaas/Busch 1996, S. 244). Bestehen die
sozial-ökologischen Produkteigenschaften aus Erfahrungs- und/oder Vertrauenseigenschaften, erhöhen sich für den Nachfrager die Informations- und Kontrollkosten. Die
Überprüfbarkeit ist bei sozial-ökologischen Sucheigenschaften am größten, nimmt bei
sozial-ökologischen Erfahrungseigenschaften ab und ist bei sozial-ökologischen Vertrauenseigenschaften nur noch durch zusätzliche Maßnahmen von Anbietern oder Dritten wie bspw. durch den Staat oder durch Verbraucherorganisationen möglich.
Sozial-ökologische Merkmale führen also je nach Produkteigenschaften zu unterschiedlich großer Unsicherheit bei den Kunden, die zum Nichtkauf eines sozialökologischen Produktes führen kann (Bänsch 1990, 375-376; Hüser 1993, S. 269).
Daraus folgt, dass die Vermittlung von sachbezogenen Informationen eine große Rolle
bei der Werbung für nachhaltige Produkte spielt. Dies kommt in Werbeanzeigen zum
Ausdruck, die schlicht gestaltet sind und längere erläuternde Textpassagen mit Hintergrundinformationen zu sozial-ökologischen Themen enthalten. Eine solche informationslastige Werbung mag zwar in hohem Maß glaubwürdig sein, ist jedoch wenig animierend. Hier kommt das „Informationsparadoxon“ zum Tragen: Konsumenten können Informationen erst dann richtig bewerten, wenn sie den Inhalt kennen; werden sie
aber nicht durch einfache Signale animiert, nehmen sie die in der Werbung enthaltenen
Informationen nicht auf (Kaas 1990b, S. 497). Mit anderen Worten: Werbung befindet
sich im Spannungsfeld von Information und Animation. Dies gilt für Werbung im Allgemeinen und Nachhaltigkeits-Werbung im Besonderen (Hüser/Mühlenkamp 1992,
S. 151-152). Dabei ist zu beachten, dass die Konsumenten es mit der NachhaltigkeitsWerbung genauer nehmen und diese besonders argwöhnisch betrachten. Dies ist damit
zu begründen, dass es sich bei Ökologie und Nachhaltigkeit um ernsthafte Themen
handelt und dass Öko-/Nachhaltigkeits-Produkte in der Regel mehr kosten (Katz 2002,
S. 276).
Der Informations- und Animationsnutzen der Werbung wird nicht von allen Personen
gleich beurteilt. Es gibt personenspezifische Unterschiede in der Nachfrage nach Werbung (Kaas 1990b, S. 496). Im Kontext der Nachhaltigkeits-Werbung ist es sinnvoll,
in einer ersten Annäherung zwischen drei verschiedenen Gruppen zu unterscheiden:
Sozial-ökologische Aktive, Aktivierbare und Passive (Beitrag Belz). Die erste Gruppe
ist in hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert und bereit, sich damit
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
79
näher auseinander zu setzen. Sie sind generell eher skeptisch gegenüber der Werbung
eingestellt und erwarten, dass sie informativ und glaubwürdig ist. Die zweite Gruppe
ist zwar offen gegenüber sozial-ökologischen Anliegen, aber nur bedingt bereit, dafür
Zeit und Mühe auf sich zu nehmen. Sie sind offener gegenüber Werbung und erwarten, dass sie nicht nur informiert, sondern auch animiert. Die dritte Gruppe kann wenig
mit sozial-ökologischen Argumenten anfangen und schätzt den Informationsnutzen
sehr niedrig ein. Es ist davon auszugehen, dass diese Gruppen von einfach gestalteten
Schwarz-Weiß-Anzeigen und langen Textpassagen eher abgeschreckt als angesprochen werden.
Je nachdem, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen, ist der Informationsoder Animationsnutzen stärker zu gewichten: In diesem Zusammenhang kann man
zwischen sachlich-argumentativer, emotional-argumentativer und rein emotionaler
Werbung unterscheiden (Lichtl 1999, S. 53-57). Sachlich-argumentative Werbung basiert primär auf Textargumentationen und erwartet vom Empfänger eine rationale
Auseinandersetzung mit den Informationen. Emotional-argumentative Werbung verwendet emotionale Stilmittel wie bspw. schöne Naturbilder, assoziative Wörter und
Headlines, um positive Gefühle beim Rezipienten auszulösen. Die zentralen Werbebotschaften bleiben zwar sachlich-argumentativ, werden aber in einen emotionalisierenden Kontext eingebettet. Rein emotionale Werbung, sog. „Ecotainment“, welches
sich aus „Ecology“ und „Entertainment“ ableitet, geht in dieser Hinsicht am weitesten
und vermittelt die Botschaften emotional unter Verzicht auf sachliche Argumente
(Lichtl 1999, S. 57). Informativ-argumentative Werbung eignet sich insbesondere, um
die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktiven anzusprechen. Emotional-argumentative
Werbung richtet sich an die sozial-ökologisch Aktivierbaren, während radikalemotionale Werbung möglicherweise auch die sozial-ökologisch Passiven anspricht
und Verhaltensveränderungen bewirkt (Belz 2001, S. 87-90). Eine solche Zuordnung
ist idealtypisch und beruht auf einer statischen Betrachtung. Die Tonalität der Nachhaltigkeits-Werbung kann sich im Zeitablauf erheblich ändern: So hat bspw. eine Inhaltsanalyse von ausgewählten Publikumszeitschriften (Stern, Manager Magazin, Natur, Brigitte, ADAC, Hörzu, Spiegel) im Zeitraum von 1985 bis 1991 eine deutliche
Hinwendung zu einer stärker emotionalen Werbung ergeben (Meffert/Kirchgeorg
1998, S. 318-319). Es liegt die Vermutung nahe, dass die Nachhaltigkeits-Werbung
eine Art Lebenszyklus durchläuft und – ähnlich wie die herkömmliche Werbung –
immer weniger Text, dafür aber um so mehr Bilder und eine zunehmend erlebnisbetonte Ansprache der Konsumenten verwendet (Kroeber-Riel 1993, S. 8-9). Diese Annahme wird im nächsten Kapitel am Beispiel von Bio- und Fair Trade-Produkten im
80
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
schweizerischen Lebensmittelmarkt untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass
während der 1990er Jahre ein Wandel von informativ-argumentativer zu emotionalargumentativer Nachhaltigkeits-Werbung zu erkennen ist, d.h. dass der Animationsnutzen gegenüber dem Informationsnutzen in der Werbung für Bio- und Fair TradeProdukte zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Empirische Untersuchung
Betrachtet man die Werbung für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte in der Coop-Zeitung 1993-2002, fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Anzeigen in diesem
Zeitraum erheblich gestiegen ist: Waren es 1993-1997 maximal 15 Anzeigen jährlich,
so nahm die Anzahl in den Folgejahren kontinuierlich zu. Im Jahr 2002 schaltete Coop
bereits über 100 Werbeanzeigen für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte in der
Coop-Zeitung, was durchschnittlich etwa zwei Anzeigen pro Ausgabe entspricht. Dies
lässt auf die zunehmende Bedeutung und strategische Relevanz der Bio- und Fair Trade-Produkte im Rahmen des Coop-Sortiments schließen. Neben der rein quantitativen
Steigerung fallen aber auch qualitative Veränderungen der Werbeanzeigen hinsichtlich
Bildflächenanteil, Bildmotive, Anzeigentypen, Anzeigengröße und Headlines auf.
Untersucht man das Bild-Text-Verhältnis, so wäre im Sinne der Emotionalisierung anzunehmen, dass der durchschnittliche Bildflächenanteil im Laufe der Jahre stetig zulasten des Textanteil steigt. Dies ist überraschenderweise nicht festzustellen. Sowohl
am Anfang als auch am Ende der untersuchten Zeitperiode beträgt der durchschnittliche Bildflächenanteil einer Werbeanzeige rund 60%, während der Textflächenanteil
40% ausmacht. Dieses Verhältnis von Bild und Text ist mit Ausnahme von zwei Jahren relativ konstant. 1995 ist eine Abnahme der Bildfläche zugunsten des Textanteils
erkennbar. 1996 beträgt der Bildflächenanteil nur noch 35%. In den folgenden Jahren
wächst der Bildflächenanteil wieder bis zum Ausgangswert. Untersucht man das BildText-Verhältnis differenziert nach der Anzeigengröße, ergibt sich ein vergleichbares
Ergebnis: Sowohl die Anzeigen, welche mindestens eine Seite groß sind, als auch die
Anzeigen, welche höchstens 0,25 Seiten betragen, weisen 1993 und 2002 praktisch das
gleiche Bild-Text-Verhältnis auf. Einzig bei den 0,5-0,75-seitigen Anzeigen ist eine
Steigerung des Bildflächenanteils, in den Jahren 2001 und 2002 bis zu 100%, feststellbar. Auch hier sind 1995 und 1996 die „bildflächenschwächsten“ bzw. „textflächenstärksten“ Jahre.
Vergleicht man die Verwendung der Bildmotive zwischen 1993 und 2002, so dominieren in allen Jahren Produktabbildungen. 1995 gewinnen jedoch andere Bildmotive, wie
z.B. Bauernmotive, Landschafts- und Tierabbildungen an Bedeutung. In den nächsten
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
81
Jahren rücken Produktabbildungen wieder in den Vordergrund. Im Hinblick auf die
untersuchten Anzeigentypen kann man unterscheiden zwischen:
y
Produktanzeigen ohne Text,
y
Produktanzeigen mit Text,
y
redaktionelle Textbeiträge,
y
Rezepte und
y
Anzeigen einer Kompetenzmarke ohne Produktbezug.
Die Werbeanzeigen mit der Kompetenzmarke ohne Produktbezug haben vor allem in
der Einführungsphase des Coop Naturaplan 1993-1995 eine besondere Relevanz gehabt. Seit dem Jahr 1996 kommen diese Anzeigen nicht mehr oder nur noch sehr selten vor. Die Produktanzeigen sind 1995 erstmals in der Coop-Zeitung erschienen und
nehmen seither kontinuierlich zu. Im Jahr 2002 hatten sie mit 75% aller Anzeigentypen die bei weitem größte Bedeutung. Die redaktionellen Textbeiträge sind 1995 am
stärksten vertreten und erscheinen in den darauf folgenden Jahren nur noch selten. Bei
näherer Betrachtung der redaktionellen Beiträge fällt auf, dass von 1995 bis 1997 vermehrt über das transformative Nachhaltigkeits-Marketing (Beitrag Belz) von Coop
berichtet wird. In den übrigen Jahren sind keine Besonderheiten oder Regelmäßigkeiten bezüglich der Art des redaktionellen Textbeitrags festzustellen. Ab dem Jahr 1997
finden sich in jeder Ausgabe der Coop-Zeitung Rezepte, bei welchen die Zutaten, die
in biologischer Qualität in den Coop-Läden erhältlich sind, besonders gekennzeichnet
werden.
Die Headlines in den Jahren 1993 und 1994 weisen einen vorwiegend informativen
und aufklärenden Charakter auf. Coop informiert die Konsumenten über die neue
Handelsmarke Coop Naturaplan und fordert sie gleichzeitig zu umweltbewusstem
Handeln auf: „Was es mit Naturaplan, Naturaline und OECOplan auf sich hat“, „Über Bio aufklären“, „Damit schützen wir die Natur“ oder „Coop Naturaplan. Bringen
wir die Natur und Umwelt in Einklang. Helfen Sie mit!“. In einzelnen Headlines werden neben den biologischen Aspekten auch herkömmliche Produkteigenschaften angesprochen: „Eier aus natürlicher Haltung. Und darum so gut“. Von 1995 bis 1996
werden mit den Headlines Bauern für eine künftige Zusammenarbeit motiviert: „Was
nun Bauern“, „Coop sucht Bauern mit Hang zum Biologischen“. Auch tritt der Aspekt
der Glaubwürdigkeit in den Vordergrund und Coop versucht das Vertrauen der Konsumenten zu stärken: „Coop hält ihr Versprechen“ oder auch „Scharf kontrollierte
Bauern“. Der Aspekt der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens hat durchgehend eine
82
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
große Bedeutung und wird immer wieder in den Werbeanzeigen betont. Als Beispiel
sei eine Anzeige der Coop-Zeitung Nr. 1 des Jahres 2003 genannt: „Sie sind kritisch
gegenüber Bio-Produkten? Wir auch“. Zwischen 1997 und 2002 beziehen sich die
Headlines vor allem auf herkömmliche Kaufkriterien wie z.B. Frische, Gesundheit,
Genuss, Convenience etc.: „So grün wie frisch“, „Der Geschmack von Freiheit und
Abenteuer“, „Wahrhaftig kerngesund“, „Aus Liebe zum Leben“, „Stück für Stück ein
natürlicher Genuss“, „Frischteigwaren von Coop Naturaplan: Ein schneller Genuss“.
2001 ist eine weitere Besonderheit in der Entwicklung der Headlines erkennbar. Die
sozial-ökologischen Produkte werden häufig mit Lebensfreude, Spaß und Lifestyle in
Verbindung gebracht: „So macht’s Freude“, „Erlebnistage für die ganze Familie“,
„Lebensfreude“, „Bio-Chipsen macht Spaß“ oder auch „An jeder Party mit von der
Partie“.
Wie lassen sich diese empirischen Daten interpretieren? Betrachtet man den Bild-TextAnteil in den Anzeigen, so lässt sich keine Ausweitung der Bildfläche feststellen. Die
meisten größeren Anzeigen weisen einige Textzeilen auf, welche über die Produktionsbedingungen, die Kompetenzmarken oder die Labels berichten. Der Text vermittelt
Sachinformationen, die eingesetzten Labels (Knospe, Max Havelaar) Vertrauen und
Glaubwürdigkeit. Bei den Bildmotiven werden mehrheitlich Produktabbildungen statt
emotionale (Natur-) Bilder verwendet. Unter diesen beiden Gesichtspunkten kann die
These nicht bestätigt werden, dass es zu einer stärkeren Emotionalisierung der Nachhaltigkeits-Werbung kommt. Anders sieht es aus, wenn man sich die Anzeigentypen
und Headlines betrachtet: Während die informativen Anzeigen und redaktionellen
Textbeiträge immer seltener werden, gewinnen die Kleinanzeigen und neue emotionalere Anzeigentypen vermehrt an Bedeutung (Beispiel: Rezepte, die mit schön gestalteten Farbbildern von Gerichten versehen werden). Und während die Headlines in der
Einführungsphase des Coop Naturaplan vor allem zur Information der Konsumenten
eingesetzt wurden, prägen gegen Ende der Untersuchungsperiode vermehrt emotionale
und assoziative Wörter den Stil der Kopfzeilen. Im Jahr 2001 sind mit der Organisation von Erlebnistagen oder mit den positiven und lebensfreundlichen Assoziationen die
ersten Ansätze eines Ecotainments erkennbar. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte
kann die eingangs formulierte These bestätigt werden. Die Nachhaltigkeits-Werbung
weist vermehrt emotionale Stilelemente auf.
Interessant ist die Entwicklung der Anzeigen in den Jahren 1995 und 1996: Während
der Bildanteil zugunsten des Textanteils abnimmt, erreichen die redaktionellen Textbeiträge 1995 ihren höchsten Stand. Dabei wird hauptsächlich über das transformative
Nachhaltigkeits-Marketing von Coop oder über die Produktionsbedingungen berichtet.
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
83
Das Jahr 1995 kann bezüglich Bildmotiven als das variationsreichste Jahr bezeichnet
werden. Häufig werden Bauernmotive, Landschafts- oder Tierabbildungen eingesetzt.
Die Headlines der Anzeigen richten sich vermehrt an potenzielle Bio-Bauern oder unterstreichen den Aspekt der Glaubwürdigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Engpass nicht im Absatz-, sondern vielmehr im Beschaffungsmarkt. Daher hat Coop im
Sinne eines Gleichgewichts-Marketing nicht nur Absatz-, sondern auch ein aktives
Beschaffungsmarketing betrieben (Belz 1997, S. 88-89). Mit den Werbeanzeigen wird
Phase
Informativ
Jahre
Bild-Text- Vorwiegendes
Verhältnis
Bildmotiv
1993-1994 y 60% Bild y Produkt
y 40% Text
Vorwiegender
Anzeigentyp
y Produktanzeigen mit Text
y Kompetenzmarkenanzeige
Headlines
y Aufklärung und
Information der
Konsumenten
y Redaktioneller
Textbeitrag
Informativ- 1995-1996 y 39% Bild y Produkt
politisch
y 61% Text y Bauernmotiv
y Person
y Tier
y Landschaft
y Redaktioneller
Textbeitrag
y Produktanzeigen mit Text
y Motivation
künftiger BioBauern
y Weiterer Aufbau von Very Kompetenzmartrauen
kenanzeige
y Natur
Informativ- 1997-1999 y 58% Bild y Produkt
emotional
y 42% Text y Andere
y Produktanzeigen mit Text
y Kleinanzeigen
y Rezepte
y Redaktioneller
Textbeitrag
Emotional- 2000-2002 y 52% Bild y Produkt
informativ
y 48% Text y Andere
y Produktanzeigen mit Text
y Bekräftigung
der Glaubwürdigkeit
y Herkömmliche
Kaufkriterien
y Herkömmliche
Kaufkriterien
y Kleinanzeigen
Tabelle 1: Vier Phasen der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte 1993-2002
das Engagement von Coop für die Umwelt und eine artgerechte Tierhaltung unterstrichen. Aussagekräftige Bild- und Wortmeldungen aus dem Schweizer Bio-Landbau
sollen das neue Image von Coop prägen (Wienröder 2001, S. 36-37).
84
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
Zusammenfassend kann die Entwicklung der Werbeanzeigen für nachhaltige Lebensmittelprodukte, insbesondere Bio-Produkte, am Beispiel der Coop-Zeitung in vier Phasen unterteilt werden: Informative, informativ-politische, informativ-emotionale und
emotional-informative Phase (Tab. 1).
Die informative Phase ist mit der Lancierung des Coop Naturaplan gleichzusetzen
(1993-1994). Sowohl Produktanzeigen als auch Kompetenzmarken-Anzeigen bestehen
zu ungefähr 60% aus Bild und zu 40% aus Text. Das Hauptmotiv stellt in den meisten
Fällen das Produkt selbst dar. Der Text bezieht sich auf die biologischen Produkteigenschaften oder liefert Informationen zu den verschiedenen Kompetenzmarken. Auch
die Headlines stehen im Lichte der Aufklärung von biologischen Produkteigenschaften
oder der Überzeugung von Konsumenten.
Die informativ-politische Phase bezieht sich auf die Jahre 1995 und 1996. Während
ganzseitige Anzeigen um künftige Bio-Bauern werben, informieren zahlreiche redaktionelle Beiträge über das Engagement von Coop für die Schweizer BioLandwirtschaft einerseits oder über die sozial-ökologischen Produktionsbedingungen
andererseits. Die meisten Abbildungen zeigen Bauernmotive, Tier- oder Naturbilder.
Die Headlines richten sich gezielt an die schweizerischen Bauern als Lieferanten der
Bioprodukte. Darüber hinaus sendet Coop aber auch positive Signale an die schweizerische Agrarpolitik, die vor dem Hintergrund der GATT-Verhandlungen und der
schrittweisen Liberalisierung der weltweiten Agrar- und Lebensmittelmärkte seit Anfang der 1990er eine Reformpolitik für „Mehr Markt und mehr Ökologie“ verfolgt
(Schweizerischer Bundesrat 1992, S. 283-292; Belz 2004, S. 104-109).
Die Jahre 1997-1999 kennzeichnen die informativ-emotionale Phase. Die informativen
Aspekte beziehen sich dabei auf den hohen Textanteil der Anzeigen, die vorwiegenden
Produktabbildungen sowie Headlines, welche auf umwelt- und tierfreundlichen Produkteigenschaften basieren. Die emotionale Seite wird durch die Einführung der Naturaplan-Rezepte, aber auch durch die immer größer werdende Anzahl von Headlines,
welche vermehrt herkömmliche Produkteigenschaften (Geschmack, Genuss, Gesundheit, Frische etc.) ansprechen, bestimmt.
Die Jahre von 2000 bis 2002 können als emotional-informative Phase bezeichnet werden. Neben den emotionalen Aspekten, die verstärkt in den Vordergrund treten, spielen informative Aspekte in der Nachhaltigkeits-Werbung nach wie vor eine Rolle.
Zum einen beziehen sich die Bildmotive immer noch mehrheitlich auf die Produkte
selbst, zum anderen werden immer wieder ganzseitige Anzeigen den Informationen zu
den Kompetenzmarken oder der Glaubwürdigkeit nachhaltiger Produkteigenschaften
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
85
gewidmet. Dabei ist zu beachten, dass wegen des für nachhaltige Produkte spezifischen Glaubwürdigkeitsproblems die Werbeanzeigen auch in Zukunft immer zu einem
gewissen Teil aus Informationen bestehen werden.
Als Fazit kann festgehalten werden: Die erste These kann weitgehend bestätigt werden. Anhand der empirischen Daten lässt sich belegen, dass im schweizerischen Lebensmittelmarkt ein Wandel von informativ-argumentativer zu emotional-informativer
Werbung stattgefunden hat. Der Animationsnutzen gewinnt gegenüber dem Informationsnutzen zunehmend an Bedeutung. Um die Glaubwürdigkeit jedoch auf Dauer zu
erhalten, sind sachbezogene Informationen in der Nachhaltigkeits-Werbung unerlässlich. Eine Besonderheit der Nachhaltigkeits-Werbung besteht darin, dass der Beschaffungsmarkt und die Rahmenbedingungen eine große Rolle spielen. Wichtige Adressaten der Nachhaltigkeits-Werbung sind nicht nur die Konsumenten, sondern auch die
Produzenten, die Politik und die (kritische) Öffentlichkeit. Insofern kann die Nachhaltigkeits-Werbung auch transformative Wirkung entfalten.
3 Motivallianzen in der Nachhaltigkeits-Werbung
Theoretische Überlegungen
Kundenbedürfnisse und Kaufentscheidungen kann man gemäß der ökonomischen
Verhaltenstheorie nach Maßgabe von Nutzen und Kosten analysieren (Beitrag Belz).
Der Nutzen umfasst neben dem Grundnutzen eines Produktes (Gebrauchsnutzen) auch
den Zusatznutzen in Form von Selbstachtungsnutzen (gutes Gewissen), Fremdachtungsnutzen (Anerkennung durch andere Personen) und Erbauungsnutzen durch Schaffensfreude (Vershofen 1940, S. 63-86). Bezogen auf Bio- und Fair Trade-Produkte
besteht der Gebrauchsnutzen zunächst im Stillen des Hungers und Löschen des Durstes, darüber hinaus aber auch im guten Geschmack der Lebensmittel. Der Selbst- und
Fremdachtungsnutzen besteht darin, etwas für die natürliche Umwelt (Bioprodukte)
oder soziale Umwelt (Fair Trade-Produkte) getan zu haben und dadurch Anerkennung
vor sich selber oder vor anderen zu erfahren. Der Erbauungsnutzen kann durch die
Zubereitung der Speisen entstehen, wobei sich jedoch biologische Lebensmittelprodukte nicht von herkömmlichen unterscheiden. Bei den Kosten sind nicht ausschließlich der Produktpreis zu berücksichtigen, sondern auch die Beschaffungs-, Verwendungs- und Post-Verwendungskosten. Die Kosten können monetär oder nicht-monetär
sein. Im Hinblick auf Bio- und Fair Trade-Produkte spielt der Mehrpreis gegenüber
herkömmlichen Lebensmittelprodukten eine wichtige Rolle, doch sind auch die Beschaffungskosten in Form von Such-, Informations- und Wegkosten zu berücksichti-
86
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
gen. Durch die breit angelegte Werbung und den nationalen Vertrieb von Bio- und Fair
Trade-Produkten hat Coop einen wesentlichen Beitrag geleistet, derartige Beschaffungskosten aus der Sicht des Kunden zu senken und breitere Schichten für solche
Produkte zu gewinnen. Bei den Verwendungskosten spielt insbesondere die Zeit für
die Zubereitung der Lebensmittel eine Rolle. Convenience-Produkte wie bspw. frisch
zubereiteter Salat oder Fertiggerichte, die nur noch erwärmt werden müssen, senken
die Verwendungskosten. Post-Verwendungskosten betreffen v.a. die Abfallgebühren.
Die einzelnen Nutzen- und Kostenkategorien werden subjektiv wahrgenommen und
individuell gewichtet. Ist der Nettonutzen eines sozial-ökologischen Produktes aus der
Sicht des Kunden höher als der Nettonutzen eines herkömmlichen Produktes, wird er
ersteres bevorzugen. Vor dem Hintergrund einer solchen Nutzen-Kosten-Abwägung
kann man grundsätzlich drei verschiedene Gruppen von Verbrauchern unterscheiden:
Sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare und Passive (Beitrag Belz). Die erste Gruppe
ist in hohem Maß für sozial-ökologische Anliegen sensibilisiert und gut darüber informiert. Für sie stiften sozial-ökologische Produkteigenschaften einen hohen Selbstund Fremdachtungsnutzen. Daher sind sie eher bereit, Abstriche beim Gebrauchsnutzen zu machen und gegebenenfalls höhere Kosten in Kauf zu nehmen. Zu dieser
Gruppe kann man die eingefleischten Bio-Fans und „Körnlipicker“ zählen. Die zweite
Gruppe schätzt ebenfalls sozial-ökologische Produkteigenschaften und sieht darin einen gewissen Selbst- und Fremdachtungsnutzen, ist aber nicht ohne weiteres bereit,
Nutzeneinbußen oder Kostenerhöhungen dafür zu akzeptieren. Die dritte Gruppe sieht
keinen Mehrwert in sozial-ökologischen Produkteigenschaften und ist in der Regel
weder zu Nutzeneinbußen noch zu Kostenerhöhungen bereit. Soll nicht nur die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktiven, sondern auch die der sozial-ökologisch Aktivierbaren angesprochen werden, gilt es, den sozial-ökologischen Zusatznutzen nicht
einseitig in den Vordergrund zu rücken, sondern geschickt mit herkömmlichen Kaufkriterien wie Geschmack, Gesundheit, Frische, Aussehen und Convenience zu „Motivallianzen“ zu verbinden (Beiträge Belz und Schrader). Ob und inwieweit dies im Fall
von Bio- und Fair Trade-Produkten geschieht, wird im folgenden Kapitel näher untersucht.
Empirische Untersuchung
Nimmt man eine Frequenzanalyse vor und betrachtet die Häufigkeit der Anzeigen, die
Nutzen- oder Kosten-Aspekte nachhaltiger Lebensmittelprodukte behandeln, dann ergeben sich interessante Ergebnisse. In Abbildung 1 wird der jährliche Anteil der Anzeigen dargestellt, die Nutzen- oder Kosten-Aspekte nachhaltiger Lebensmittelproduk-
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
87
te hervorheben. Daraus wird ersichtlich, dass die Entwicklungen der Anzeigen mit
Nutzen- und Kosten-Aspekten im Zeitraum 1993-2002 ganz unterschiedlich verlaufen.
Prozent der Anzeigen
Schon im Jahre 1993 finden sich vereinzelt Anzeigen, die sowohl sozial-ökologische
als auch herkömmliche Nutzenaspekte bewerben. Bis 1998 nimmt der Anteil dieser
Werbeanzeigen zu und geht dann in den Jahren zwischen 1999 und 2002 markant zurück. Die Anzeigen, welche sich auf Kosten-Aspekte beziehen, erscheinen erstmals im
Jahre 1995. Seitdem steigt ihr Anteil im Vergleich zu den anderen Anzeigen kontinuierlich. 2002 finden sich 84 Anzeigen, die sich auf Kosten-Aspekte wie Preisaktionen,
Bonuspunkte oder Convenience beziehen. Dies entspricht knapp 80% sämtlicher Anzeigen in diesem Jahr. Die steigende Bedeutung der Preis- und Bonusaktionen lässt auf
eine höhere Wettbewerbsintensität schließen, die sich durch den Eintritt der Migros in
das Bio-Segment und der Lancierung des M-Bio-Programms 1996/97 ergeben hat
(Beitrag Borsani/Hildesheimer).
100%
80%
60%
40%
20%
0%
1993
1994
1995
1996
1997
Nutzen-Aspekte
1998
1999
2000
2001
2002
Kosten-Aspekte
Abbildung 1: Nutzen- und Kosten-Aspekte in der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte
Im Hinblick auf die Nutzen-Aspekte lässt sich differenzieren zwischen Geschmack/Genuss, Gesundheit, Frische oder Lifestyle. In Abbildung 2 wird die Anzahl
der Anzeigen im Zeitverlauf dargestellt, welche die unterschiedlichen Nutzen-Aspekte
hervorheben. Daraus geht hervor, dass in den ersten beiden Jahren des Coop Naturaplan vor allem Geschmack/Genuss nachhaltiger Lebensmittelprodukte im Vordergrund steht, während die anderen Nutzen-Aspekte noch nicht erwähnt werden. Im Jahr
1995 werden die sozial-ökologischen Produkte erstmals mit den Adjektiven „frisch“
und/oder „gesund“ beschrieben und 1997 mit „Lifestyle“ in Verbindung gebracht.
88
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
Während die Nutzen-Aspekte Geschmack/Genuss und Lifestyle in den darauf folgenden Jahren immer häufiger genannt werden, rücken die Aspekte Gesundheit und Frische immer mehr in den Hintergrund.
Anzahl der Anzeigen
15
Geschmack, Genuss
10
Lifestyle
Gesundheit
Frische
5
0
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002
Abbildung 2: Entwicklung der Nutzen-Aspekte in der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte
Wie lässt sich dieser Verlauf erklären? Die stärkere Betonung von Geschmack/Genuss
und Lifestyle scheint geeignet, um die nachhaltigen Lebensmittelprodukte aus der Nische herauszuführen und neben den sozial-ökologischen Aktiven insbesondere auch
die Zielgruppe der sozial-ökologisch Aktivierbaren anzusprechen. Warum spielt die
Gesundheit keine große Rolle in der Nachhaltigkeits-Werbung? Die Bio- und Fair
Trade-Produkte werden vom Konsumenten zwar als gesünder erachtet, damit jedoch
aktiv zu werben, könnte sich aus zwei Gründen als problematisch erweisen: Zum einen
fehlt der wissenschaftliche Nachweis, dass Bio-/Fair Trade-Produkte tatsächlich gesünder als herkömmliche Lebensmittelprodukte sind. Darüber hinaus garantiert die
biologische Anbauweise auch keine Schadstofffreiheit der Produkte. Zum anderen
könnte sich eine solche positive Auslobung diskriminierend auf den Rest des CoopFood-Sortiments auswirken, welches aus konventioneller Landwirtschaft oder integrierter Produktion stammt.
Hinsichtlich der Kosten können drei Aspekte differenziert werden: Preisaktionen, Bonuspunkte im Rahmen einer Kundenkarte (Coop Card) und „Convenience“Eigenschaften. Letztere reduzieren die Verarbeitungskosten und werden deshalb zu
den Kosten-Aspekten gezählt (z.B. tiefgekühltes Bio-Gemüse oder BioFertiggerichte). Im Gegensatz zu den Nutzen-Aspekten treten die Kosten-Aspekte in
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
89
den Werbeanzeigen wesentlich später auf: 1995 erscheint ein biologisches Lebensmittelprodukt erstmals in Verbindung mit einer Preisaktion. 1997 beginnt die Entwicklung der „Convenience“-Produkte und im Jahre 2002 können mit biologischen Lebensmittelprodukten erstmals Bonuspunkte gesammelt werden. In den darauf folgenden Jahren nimmt die Anzahl dieser Anzeigen fortwährend zu (Abb. 3).
Anzahl der Anzeigen
60
50
Preisaktion
40
Convenience
30
Kundenbindungsprogramme
20
10
0
1993
1994
1995 1996
1997
1998
1999
2000 2001
2002
Abbildung 3: Entwicklung der Kosten-Aspekte in der Werbung für nachhaltige Lebensmittelprodukte
Den stärksten Zuwachs weisen dabei die Anzeigen der Preisaktionen auf. Auffallend
ist, dass die Produktgruppe Fleisch, Geflügel und Fisch am häufigsten zusammen mit
Kosten-Aspekten in Anzeigen erscheint. Bei Brot, Getreide- und Milchprodukten ist
dies nur ab und zu der Fall. Obst, Gemüse, Kaffee, Tee und Honig erscheinen kaum in
Verbindung mit Kosten-Aspekten. Während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben die BSE-Krise und andere Fleischskandale zu einer Verunsicherung der Konsumenten geführt, die zeitweise zu erheblichen Umsatzeinbrüchen führten. Davon waren
auch Produkte aus tierfreundlicher Haltung betroffen. Um den Fleischabsatz für die
schweizerischen Biobauern zu sichern und die Konsumenten zum Kauf anzuregen, hat
Coop während dieser Zeit vermehrt Preis- und Bonusaktionen in diesem Produktbereich durchgeführt.
Die Bedeutung der Motivallianzen, d.h. der Kombination von sozial-ökologischen
Produkteigenschaften mit Nutzen-Kosten-Aspekten, spiegelt sich auch in den Headlines wieder. Während in den ersten beiden Jahren des Coop Naturaplan noch primär
die biologische Qualität der Lebensmittelprodukte als Alleinstellungsmerkmal hervorgehoben wird, finden sich in den Jahren 1995-1999 immer mehr Headlines, die sich
90
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
auf Nutzen- und/oder Kosten-Aspekte beziehen. In der Zeit zwischen 2000 und 2002
finden sich beinahe nur noch Headlines, die sich auf herkömmliche Kaufkriterien beziehen. Um die Relevanz von Motivallianzen zu verdeutlichen, werden ausgewählte
Headlines in Tabelle 2 aufgeführt. Ein gutes Beispiel für erfolgreiche Motivallianzen
ist die Entwicklung der Bio-Brot-Werbung: Während 1993 die biologischen Produkteigenschaften im Vordergrund stehen, erscheinen die Bio-Brot-Anzeigen 1996 in Verbindung mit gutem Geschmack und 2003 in Verbindung mit einer Monatsaktion.
Headlines
Frische
„So grün wie frisch“ (1997)
Geschmack, Genuss
„Ohne was drauf schmeckt unser NaturaplanBauernbrot fast am besten“ (1996)
„Stück für Stück ein natürlicher Genuss“ (2001)
Gesundheit
„Wahrhaftig kerngesund“ (1999)
Lifestyle
„Naturaplan im Trend“ (1997)
„Ostererwachen“ (2002)
„An jeder Party mit von der Partie“ (2002)
Preisaktion
„2 Wochen lang Naturprodukte mit den 4 Öko-Labels
zu Aktionspreisen“ (2000)
Convenience
„Ein halber Liter Vollmilch in der wiederverschließbaren
Verpackung“ (1999)
„Frischteigwaren von Naturaplan:
Ein schneller Genuss“ (2001)
Tabelle 2: Headlines am Beispiel der verschiedenen Nutzen- und Kosten-Aspekte
Fazit: Die zweite These kann für den untersuchten Produktbereich und Zeitraum ebenfalls bestätigt werden. Die sozial-ökologischen Aspekte werden mit den herkömmlichen Leistungsmerkmalen von Lebensmittelprodukten zu „Motivallianzen“ verknüpft
und als Mehrwert vermarktet. Dabei rücken die Nutzen- und Kosten-Aspekte immer
stärker in den Vordergrund. Die sozial- und umweltgerechten Lebensmittelprodukte
entsprechen vermehrt den Ansprüchen der sozial-ökologisch Aktivierbaren. So gibt es
in der Zwischenzeit viele Produkte in Bio-Qualität, die noch Anfang der 1990er Jahre
undenkbar gewesen wären. Damit kommt auch der Wandel vom idealistisch geprägten
zum ich-betonten Öko-/Nachhaltigkeits-Konsum zum Ausdruck. Wie die steigenden
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
91
Umsätze zeigen, entsprechen Convenience- und Fast Food-Produkte in Bio-Qualität
offenbar einem Teil der Konsumentenwünsche (z.B. Bio-Chips, Bio-Ketchup, BioFertigpizza). Kritisch stellt sich die Frage, wie ein solches Angebot angesichts von
Übergewicht und Adipositas aus gesundheitlicher und gesellschaftspolitischer Perspektive zu beurteilen und inwiefern es auf Dauer glaubwürdig ist.
4 Zusammenfassung
Die beiden eingangs formulierten Thesen können in der empirischen Untersuchung
von Werbeanzeigen für sozial-ökologische Lebensmittelprodukte zwischen 1993 und
2002 bestätigt werden: Im Hinblick auf die Gestaltung lässt sich sagen, dass in der
Nachhaltigkeits-Werbung vermehrt emotionale (Stil-)Elemente verwendet werden,
ohne gänzlich auf sachbezogene Informationen zu verzichten. Bezüglich der verwendeten Argumente ist festzustellen, dass die biologische Anbauweise, die tierfreundliche Haltung und der faire Handel nicht mehr als (Alleinstellungs-)Merkmale hervorgehoben werden, sondern herkömmliche Kaufkriterien wie Geschmack/Genuss, Lifestyle, Convenience und Preis im Vordergrund der Nachhaltigkeits-Werbung stehen.
Damit emanzipieren sich Bio- und Fair Trade-Produkte von konventionell hergestellten und gehandelten Lebensmitteln: Erstere sind letzteren hinsichtlich der herkömmlichen Kaufkriterien meist nicht nur ebenbürtig, sondern teilweise überlegen. Damit erhält der Kunde von Bio- und Fair Trade-Produkten nicht nur einen ideellen, sondern
auch einen reellen Mehrwert.
Welche Implikationen ergeben sich aus der empirischen Studie für Theorie und Praxis? Aus praktischer Sicht lassen sich zumindest drei wichtige Erkenntnisse aus der
Studie ableiten:
1. Informationen und Aufklärung bezüglich der sozial-ökologischen Produkteigenschaften sind in der ersten Phase einer langfristig angelegten Werbekampagne unerlässlich, um auf Dauer Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufzubauen.
2. Erst auf dieser Grundlage können in der zweiten Phase der Werbekampagne für
nachhaltige Produkte vermehrt emotionale (Stil-)Elemente aufgegriffen werden,
ohne gänzlich auf sachbezogene Informationen zu verzichten. Darüber hinaus können individuelle Nutzen-Kosten-Aspekte verstärkt in den Vordergrund gestellt
werden. Durch die Emotionalisierung der Gestaltung und die Individualisierung der
Argumente werden breitere Kundensegmente angesprochen, wie die steigenden
Umsätze des Coop Naturaplan zeigen.
92
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
3. Die erfolgreiche Einführung und Vermarktung von nachhaltigen Produkten bzw.
Sortimenten setzt strategisches Denken und langfristiges Engagement voraus. Diese Aussage bezieht sich gerade auch auf die Nachhaltigkeits-Werbung. Ein exemplarisches Beispiel hierfür ist der Coop Naturaplan, der systematisch über ein Jahrzehnt beworben, behutsam aufgebaut und kommunikativ weiterentwickelt worden
ist.
Aus theoretischer Sicht stellt sich die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit und Übertragbarkeit der Resultate: Inwiefern lässt sich der Verlauf von informativer zu emotional-informativer Nachhaltigkeits-Werbung auch in anderen Produkt- bzw. Sortimentsbereichen und Ländern feststellen? In welchen Zeiträumen? Werden auch in anderen
Werbekampagnen für nachhaltige Produkte bzw. Sortimente vermehrt individuelle
Nutzen-Kosten-Argumente hervorgehoben anstatt sozial-ökologische Eigenschaften
einseitig als (Alleinstellungs-)Merkmale in den Vordergrund zu stellen? In der Untersuchung wurden ausschließlich Werbeanzeigen in einer Wochenzeitung analysiert.
Darüber hinaus ist zu fragen: Wie gestaltet sich die Nachhaltigkeits-Kommunikation
insgesamt? Welche klassischen und nicht-klassischen Kommunikationsinstrumente
(Tageszeitungen, Zeitschriften, Fachzeitschriften, Fernsehen, Außenwerbung, Internet,
Sponsoring etc.) werden eingesetzt, um nachhaltige Produkte bzw. Sortimente erfolgreich zu vermarkten? Wie werden die Instrumente aufeinander abgestimmt und integriert? Welche Ziele werden damit verfolgt und wie werden sie kontrolliert? Welche
Rolle spielt die Transformation in der Nachhaltigkeits-Werbung? Wo liegen die Grenzen der Nachhaltigkeits-Werbung? Diese weitgehend offenen und unbeantworteten
Fragen sind einige Anregungen für weitere Forschung in diesem spannenden Teilgebiet des Nachhaltigkeits-Marketing.
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
93
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Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
95
Anhang
Variablennummer
Variablenname
1
Jahr
2
Ausgabennummer
3
Anzeigentyp
4
5
6
7
8
Redaktioneller Textbeitrag
Coop Naturaplan
Knospe
Cooperación
Max Havelaar
Variablendefinition
y
Kleinanzeige mit Foto
y
Kleinanzeige ohne Foto
y
Produktanzeige mit Text
y
Redaktioneller Textbeitrag
y
Rezept
y
Beilage
y
Anzeige einer Kompetenzmarke
(ohne Produktbezug)
y
Andere
y
Knospen-Information
y
Naturaplan-Information
y
Cooperación-Information
y
Max Havelaar-Information
y
Produktions-Information
y
Transformatives Nachhaltigkeits-Marketing
y
Umsatzzahlen, Marktanteile
y
Externe Beurteilung des Engagements von Coop
y
Andere
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
96
Frank-Martin Belz/Daria Ditze
Variablennummer
9
10
Variablenname
Verhältnis von Knospe zu
Coop Naturaplan
Anzeigengröße
11
Bildflächenanteil
12
Textanteil
13
Bildmotiv
14
Headline
15
Produkt
Variablendefinition
y
Größer
y
Kleiner
y
Gleich
y
Nicht beide vorhanden
y
1 Seite
y
0,75 Seiten
y
0,5 Seiten
y
0,25 Seiten
y
< 0,25 Seiten
y
Andere
y
> 1 Seite
y
In Prozent
y
In Prozent
y
Kein
y
Produkt
y
Person
y
Tier
y
Landschaft, Natur
y
Label im Vordergrund
y
Bauernmotiv
y
Andere
y
Kein
y
Obst, Gemüse
y
Brot, Getreideprodukte
y
Milchprodukte
y
Fisch, Geflügel, Fleisch
y
Fertigprodukte
y
Kaffee, Tee
y
Honig
y
Andere
Nachhaltigkeits-Werbung im Wandel
Variablennummer
16
17
18
19
20
21
22
23
24
97
Variablenname
Frische
Variablendefinition
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
y
Ja
y
Nein
Kundenbindungsprogramm
y
Ja
y
Nein
„Convenience“
y
Ja
y
Nein
Geschmack, Genuss
Gesundheit
Lifestyle
Ästhetik
Spaß
Preisaktion
Die umwelt.plus.karte: Entwicklung und Umsetzung einer
Kundenkarte für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
1 Einleitung
Nach Angaben des Umweltbundesamtes sind mindestens 30 bis 40 Prozent aller Umweltprobleme direkt oder indirekt auf die herrschenden Konsummuster zurückzuführen (UBA 1997, S. 221). In der Nachhaltigkeitsdebatte spielt daher die Veränderung
nicht nachhaltiger Konsumgewohnheiten eine große Rolle. Wenngleich die allmählich
voranschreitende gesellschaftliche Verankerung des Themas durch zahlreiche Beispiele belegt werden kann (Scherhorn/Weber 2002), bleibt dies eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben entwickelter Gesellschaften – so eine der zentralen Forderungen des
Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg. Dabei wird es unter
anderem darum gehen, Strategien zu entwickeln, mit denen Barrieren wie die mangelnde Sichtbarkeit von Handlungsalternativen oder der mit ökologischem Verhalten
häufig verbundene zusätzliche zeitliche und finanzielle Aufwand (UBA 2002, S. 16)
überwunden werden können.
Parallel zur Herausbildung des politischen Handlungsfeldes nachhaltiger Konsum haben sich die Konsumgütermärkte in den letzten Jahren verändert. Die zunehmende
Marktsättigung, die allgemeine Konsumzurückhaltung und infolgedessen sinkende
Handelsmargen haben die Anbieter dazu gedrängt, nach neuen Möglichkeiten der
Kundenbindung zu suchen (bspw. Diller 1996; Hinterhuber 1999; Bruhn/Homburg
2003). Unter Kundenbindung können „sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens
(verstanden werden), die darauf abzielen, sowohl die bisherigen Verhaltensweisen als
auch die zukünftigen Verhaltensabsichten eines Kunden (...) positiv zu gestalten“
(Bruhn/Homburg 2003, S. 8). Mit verbesserter Kundenbindung sollen positive Wirkungen auf das Wiederkaufs- und Cross-Buying-Verhalten, auf das Weiterempfehlungsverhalten und nicht zuletzt auf die Preiserhöhungsakzeptanz erreicht werden
(ebd., S. 9). Dem Marketing stehen hierfür verschiedene Instrumente zur Verfügung.
Auf der Ebene der Produktpolitik sind dies beispielsweise Leistungsgarantien und Zusatzleistungen, auf der Ebene der Distributionspolitik Direktlieferungen oder Abon-
100
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
nements, auf kommunikationspolitischer Ebene Direct-Mailings oder Kundenzeitschriften und im Rahmen der Preispolitik Kundenkarten- bzw. Rabattsysteme (ebd.,
S. 22).
Doch wie lässt sich die Forderung nach zukunftsfähigen Lebensstilen mit innovativen
Marketingansätzen zur Kundenbindung verknüpfen? Diese Frage markierte den Ausgangspunkt eines Forschungsprojektes, dessen Ziel die Entwicklung und Umsetzung
einer Kundenkarte für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen war (Scholl 2003).
Der vorliegende Beitrag stellt die Entstehung des Konzepts der „umwelt.plus.karte“
dar (Kap. 2). Neben der Erarbeitung geeigneter Nachhaltigkeitsrichtlinien gehörten
dazu Marktforschungsaktivitäten sowie die Erstellung eines Kommunikationskonzeptes. Darüber hinaus werden erste Erfahrungen mit der Karte präsentiert, die auf der
Basis einer Kundenbefragung rund neun Monate nach Markteinführung erhoben worden sind (Kap. 3). Der Beitrag schließt mit einer kritischen Würdigung des Konzepts
(Kap. 4).
2 Die umwelt.plus.karte – Konzept,
Entwicklungsprozess und Marktdiffusion
Die umwelt.plus.karte ist eine der wenigen in Deutschland existierenden Kundenkarten mit ökologisch-sozialer Zielsetzung. Sie unterscheidet sich von herkömmlichen
Kartensystemen nicht in ihrer Funktionsweise, wohl aber hinsichtlich der Zielsetzung
der Förderung nachhaltigen Konsumverhaltens und den daraus resultierenden Vermarktungsstrategien. Die umwelt.plus.karte ist im Rahmen des vom Bundesforschungsministeriums (BMBF) geförderten Projekts „Produkte länger und intensiver
nutzen“ gemeinsam vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), dem
Agenda-Büro der Stadt Heidelberg, dem von lokalen Akteuren aus dem Umwelt- und
Sozialbereich getragenen Verein Weitergeben e.V. und der Agentur IDKommunikation (Mannheim) entwickelt worden. Sie wurde in einem vierstufigen Prozess in den Markt eingeführt:
1. Formulierung der konzeptionellen Grundlagen und Nachhaltigkeitsrichtlinien
(August bis Oktober 2002),
2. Durchführung der Marktforschung (November 2002 bis Januar 2003),
3. Erstellung des Kommunikationskonzeptes (Februar bis März 2003),
4. Erstellung der Kommunikationsstrategie sowie Auswahl und Erstellung der
Kommunikationsinstrumente (April 2003).
Die umwelt.plus.karte
101
Die Akquisition der Anbieter erfolgte parallel zu den Phasen 2 und 3 von November
2002 bis März 2003. Seit Mai 2003 ist die Karte in Heidelberg auf dem Markt.
Konzeptionelle Grundlagen und Nachhaltigkeitsrichtlinien
Ausgangspunkt der Entwicklung einer Kundenkarte mit ökologisch-nachhaltigem Zuschnitt war das Ziel, ein innovatives Instrument zu schaffen, das
y
Attraktivität und Absatz nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen fördert und
y
das Marketing und die Kundenbindung bei regionalen Anbietern verbessert.
Hinsichtlich der Ausgestaltung des Funktionsprinzips der Karte orientierte man sich
bewusst an herkömmlichen Kartensystemen, um die weithin bestehende Vertrautheit
zur Senkung der Nutzungsbarrieren der geplanten ökologischen Kundenkarte zu nutzen. Konkret wurde die Karte an das Modell der Bahncard als eines der verbreitesten
Rabattsysteme angelehnt. Die Karte sollte gegen eine jährliche Gebühr von 25 Euro
erworben werden können und ihren Inhabern das Recht einräumen, bei den teilnehmenden Geschäften einen Rabatt zu erhalten. Die Gewährung der Vergünstigung an
den Kunden sollte direkt beim Kauf gegen Vorlage der gültigen Karte erfolgen. Eine
Möglichkeit zur Kumulierung oder Verrechnung von Rabatten oder das Sammeln von
Punkten wurde nicht vorgesehen. Die Rabatthöhe sollte je nach Geschäft zwischen
drei und zehn Prozent liegen.
Hinsichtlich der Vermarktung der Karte wurden von der Agentur ID-Kommunikation
die Entwicklung eines einheitlichen Gestaltungskonzepts aus Wort- (Name und Claim)
und Bildmarke (Layout-Linie), die weitflächige Verteilung von Werbematerialien
(Postwurfsendung eines Flyers), die regelmäßige Nutzerkommunikation (Newsletter,
Homepage) und Direktmarketingaktionen seitens der teilnehmenden Anbieter als zentrale Elemente einer erfolgreichen Markteinführung und Diffusion gesehen.
Unter dem Dach der Kundenkarte sollten nicht nur im klassischen Ökobereich verankerte Geschäfte (z.B. Naturkosthändler) zusammengeschlossen werden, sondern – dem
Nachhaltigkeitsgedanken folgend – auch Anbieter von Dienstleistungen für eine längere und intensivere Produktnutzung (z.B. Reparatur, Gerätevermietung, Car-Sharing),
Hersteller und Händler langlebiger Güter (z.B. Öko-Möbel, Fahrräder) oder soziokulturelle Einrichtungen (z.B. Kunstverein, Volkshochschule).
Zur Prüfung konkreter Geschäfte auf ihre Eignung zur Teilnahme an der Karte wurden
Nachhaltigkeitsrichtlinien formuliert, die auf den folgenden zwei Prinzipien basieren:
102
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
y
Nutzung von Zertifizierungssystemen Dritter: Es wurden keine eigenen Kriterien
entwickelt, sondern man stützte sich auf die Richtlinien und die Glaubwürdigkeit
eingeführter Kennzeichnungssysteme wie dem Bio-Siegel, dem TransFair-Label
oder dem „Blauen Engel”.
y
Selbstverpflichtung der Anbieter: Alle Anbieter sollten sich im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit dem Kartenbetreiber dazu verpflichten, ihre Geschäftsaktivitäten an den Nachhaltigkeitsrichtlinien der Karte zu orientieren. Beispielsweise müssen Lebensmittelgeschäfte die Kriterien des Gütesiegels „’N’ Naturkost
und Naturwaren” erfüllen oder Anbieter von Holzmöbeln den Anforderungen der
hier einschlägigen Umweltzeichen (z.B. FSC, Eco-Timber) genügen. Das Prinzip
der Selbstverpflichtung hat dabei für den Kartenbetreiber den Vorteil, dass der mit
einer Eignungsprüfung verbundene Aufwand gering gehalten werden kann.
Für die teilnehmenden Geschäfte wurden die folgenden Vorteile der Kartenkonzeption
gesehen:
y
Kundenbindungseffekt: Da der Karteninhaber einen Anreiz hat, die Karte möglichst oft zu nutzen, damit sich seine Anfangsinvestition beim Kauf der Karte rechnet, kann die Kundenbindung gestärkt und der Absatz gefördert werden. Durch Dialogmaßnahmen (z.B. Newsletter) wird die Kundenbindung verstetigt.
y
Netzwerkeffekt: Mit der Karte wird eine Werbegemeinschaft für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen aus der Region Heidelberg initiiert. Dadurch können
Synergiepotenziale zwischen den Anbietern, etwa im Rahmen gemeinsamer Werbemaßnahmen, ausgeschöpft werden. Zudem werden via Karte die Kunden des einen Anbieters auf die Angebote der anderen Leistungspartner aufmerksam. Aus
Anbietersicht kann dadurch das angestammte Kundenpotenzial systematisch erweitert werden.
Aus Sicht potenzieller Käufer beziehungsweise Nutzer der Karte wurden folgende
Punkte als vorteilhaft angesehen:
y
Sparen: Ab einem gewissen Umsatz in den teilnehmenden Geschäften rechnet sich
die Anfangsinvestition in die Karte, bei jedem weiteren Einkauf wird Geld gespart.
y
Nachhaltiges Konsumhandeln: Mit der Karte werden nachhaltige Angebote aus der
Region identifizierbar und der damit einhergehende Suchaufwand für die Konsumenten verringert. Die Umsetzung ökologischer Konsumorientierungen in entsprechendes Konsumverhalten wird damit unterstützt.
Die umwelt.plus.karte
y
103
Exklusivität: Karteninhaber erhalten neben den monetären Vergünstigungen exklusive Informationen über neue Angebote aus dem Kreis der Anbieter über mehrmals
jährlich erscheinende Newsletter.
Ergebnisse der Fokusgruppen
Zur Ermittlung des Marktpotenzials der Innovation einer nachhaltigkeitsorientierten
Kundenkarte wurde das in der Marktforschung bewährte qualitative Instrument der
Fokusgruppe eingesetzt. Dabei handelt es sich um moderierte Gruppendiskussionen,
bei denen sich die Teilnehmer mit einem vorgegebenen Thema anhand vorbereiteter
Materialien befassen (Lamnek 1998; Dürrenberger/Behringer 1999).
Ende November 2002 wurden vier Fokusgruppen à zwei Stunden durchgeführt, an
denen jeweils acht bis neun Heidelberger Bürgerinnen und Bürger teilgenommen haben (insgesamt: 34). Diese wurden auf der Grundlage eines Fragebogens von einem
Heidelberger Marktforschungsinstitut rekrutiert, der insbesondere Fragen zur Häufigkeit der Nutzung verschiedener für die Kundenkarte wichtiger Geschäfte und Einrichtungen und zu Einstellungen zum Thema ökologischer Konsum umfasste. Die Gruppen wurden dann nach Alter und Nutzungshäufigkeit unterteilt (Tab. 1) – ausgehend
von der Annahme, dass junge Stammkunden aufgrund ihrer vermutlich höheren Umweltorientierung und Aufgeschlossenheit gegenüber einem modernen Marketingansatz
besonders gut für das Konzept ansprechbar sind, hingegen ältere Gelegenheitskunden
nur sehr schwer zu gewinnen sein dürften.
Jüngere (20 – 40 Jahre)
Ältere (41 – 65 Jahre)
Stammkunden
1. Jüngere Stammkunden
2. Ältere Stammkunden
Gelegenheitskunden
3. Jüngere Gelegenheitskunden
4. Ältere Gelegenheitskunden
Tabelle 1: Fokusgruppen
In den Diskussionen zeigte sich, dass die Kundenkarte erwartungsgemäß besonders
positiv von den Befragten aufgenommen wird, die mit der Idee umweltfreundlichen
Konsums sympathisieren und sich gleichzeitig hohe Einsparungen versprechen. Im
Einzelnen wurden die folgenden Aspekte als positiv wahrgenommen:
y
Vielzahl der unterschiedlichen Anbieter, die für die Kundenkarte vorgesehen sind;
y
Einsparungen, die sich dann rechnen, wenn man einzelne Anbieter regelmäßig
nutzt, große Einkäufe tätigt oder viele Anbieter kombiniert;
104
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
y
ökologische Ausrichtung, die Unterstützung von Bioprodukten und ressourcenschonenden Angeboten;
y
Unterstützung des regionalen Fachhandels und der kleinen Betriebe als Gegenentwurf zu großen Konzernen und Ketten.
Dieser Vielfalt an positiven Aspekten standen Zweifel gegenüber, die auf der ökonomischen Tragfähigkeit der Karte beruhten. Insbesondere die geplante Jahresgebühr
von 25 Euro rief Bedenken hervor, dass man beim Kauf der Karte letztlich mehr investiert als man durch Rabatte einzusparen in der Lage ist.
Der heterogene Charakter der vorgesehenen Anbieter sorgte einerseits für eine gewisse
Verwirrung, da eine gemeinsame Linie nur schwer entdeckt werden konnte („Was hat
Kultur mit Ökologie zu tun?“). Andererseits hatte dieses breite Spektrum auch zur
Folge, dass eindimensionale und klischeeartige Zuschreibungen begrenzt werden
konnten. Als eine Zielgruppe der Kundenkarte wurden zwar „Ökos mit Bewusstseinsdenken“ angeführt. Aber in der Kundenkarte wurde durchaus das Potenzial gesehen,
über diese eng umgrenzte Gruppe hinaus Attraktivität zu entfalten – für kulturell Interessierte, für Familien und in gewissem Maße auch für überdurchschnittlich preisbewusste und qualitätsorientierte Käuferschichten – die so genannten „Smart Shopper“
(Grey Strategic Planning 1996).
Die Inanspruchnahme der Rabatte sollte direkt am Verkaufsort stattfinden, damit der
Kunde die Ersparnis sofort spürt. Bei einer Karte, die zuvor gekauft werden muss,
wird die direkte Vergütung geradezu erwartet. Andere Modelle, wie Rabattheftchen
oder Punktesammeln, wurden abgelehnt.
Bezüglich Name und Claim der Karte wurde deutlich, dass diese entsprechend ihrer
mehrdimensionalen Zielrichtung sowohl ökologische Bezüge aufweisen als auch den
Sparaspekt zum Ausdruck bringen müssten. Das Layout von Karte und Werbemitteln
sollte die Vielfalt der Kundenkarte zum Ausdruck bringen, informativ wirken und eine
moderne Ästhetik aufweisen.
Konturen des Kommunikationskonzepts
Aufbauend auf den Ergebnissen der Fokusgruppen wurde ein Kommunikationskonzept
für die Kundenkarte entwickelt, das die Elemente Zielgruppenbestimmung und
Positionierung beinhaltet.
Die umwelt.plus.karte
105
Zielgruppen
Im Hinblick auf die Bestimmung der Zielgruppen der Karte ist zunächst festzuhalten,
dass sie besonders interessant für Kunden ist, die bereits überdurchschnittlich ökologisch orientiert sind und häufig in entsprechenden Läden einkaufen. Sie ist darüber
hinaus für einen Personenkreis interessant, der zwar partiell umweltbewusst eingestellt
ist, ohne dabei aber vom Milieu her „öko“ zu sein. Ein Teil dieser Gruppe kann sogar
ausgesprochen abwehrend auf Begrifflichkeiten und Aussagen reagieren, die dem
„Öko-Milieu“ zugesprochen werden. Mit dieser konzeptionellen Ausrichtung wird ein
nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung adressiert, wie die folgende Tabelle zeigt.
Grundsätzlich erreichbar dürften die „konsequenten“ und „einstellungsungebundenen“
Umweltschützer (insgesamt 58% der Bevölkerung) bzw. die „Umwelt-Aktiven“ und
„Umwelt-Aktivierbaren“ (insgesamt 62% der Bevölkerung) sein.
Typologie nach Preisendörfer (1999, S. 94ff.)
Typologie „umweltfreundliches Verhalten“ nach Infratest (Stern 1995, S. 364f.)
1. „konsequente Umweltschützer“
(Einstellung hoch, Verhalten positiv; 30%)
1. „Umwelt-Aktive“ (39%)
2. „einstellungsungebundene Umweltschützer“
(Einstellung niedrig, Verhalten positiv; 28%)
2. „Umwelt-Aktivierbare“ (22%)
3. „Umwelt-Passive“ (39%)
3. „Umweltrhetoriker“
(Einstellung hoch, Verhalten niedrig; 32%)
4. „Umweltignoranten“
(Einstellung niedrig, Verhalten niedrig; 10%)
Tabelle 2: Umweltbezogene Typologien
Diese Ausgangssituation ist für die gesamte Kommunikation von Belang, bedeutet sie
doch nichts weniger als eine neue, milieuübergreifende Ansprache für Begrifflichkeiten wie „umweltorientiert“ und „nachhaltig“ zu finden. Vor diesem Hintergrund lassen
sich grundsätzlich aus den Produktvorteilen der Karte sowie dem Feedback der Fokusgruppen folgende Zielgruppen ableiten:
y
Kunden ökologisch orientierter Läden und Dienstleistungen,
y
Personen mit zumindest partiell umweltbewusster Einstellung,
y
Familien, die durch ihren höheren Umsatz die Kosten der Karte schneller amortisieren können,
106
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
y
Personenkreise der unteren und mittleren Einkommensgruppen, da hier das Kostenbewusstsein höher ist und somit die Vorteile der Karte besser vermittelt werden
können,
y
Personen mit einem überdurchschnittlich hohen Kultur- und Freizeitinteresse, wie
zum Beispiel Studenten und Berufsanfänger.
Positionierung
Ein wesentliches Merkmal der Karte ist, dass ihr Angebot in dieser Form einmalig ist
und somit auch eine Marktnische besetzt. Ein weiteres Merkmal ist, dass von den
Kundengruppen her sowohl Personenkreise anzusprechen sind, die dem ökologischen
Milieu zuzuordnen sind, als auch solche, die trotz partieller Umweltorientierung von
ihren Lebenswelten her anderen Milieus zuzurechnen sind.
Aus diesem Grund muss die Karte in einer Form positioniert werden, die eine moderne, selbstbewusste und genussfreudige Kommunikation zu den Produktvorteilen „ökologisch sinnvoll und nachhaltig“ zulässt und die sich bewusst von engen Vorstellungen
und „alten“ Bildern abgrenzt. Zentrale Elemente hierfür sind Name, Claim und Preis
der Karte, für die im Zuge der Erarbeitung des Kommunikationskonzepts und im Lichte der Fokusgruppen folgende Festlegungen getroffen wurden. Als Name der Karte
wurde „umwelt.plus.karte“, als ihr Claim „Gutes günstig genießen“ gewählt. Die ursprüngliche Preisvorstellung wurde um zehn Euro auf 15 Euro pro Jahr reduziert.
In der Kombination des Namens „umwelt.plus.karte“ und dem Claim „Gutes günstig
genießen“ mit der niedrigen Jahresgebühr werden die unterschiedlichen Facetten der
Kundenkarte verknüpft und „Motivallianzen“ (Beitrag Belz; Empacher et al. 2002,
S. 134ff.) systematisch hergestellt. Die Verknüpfung deutet auf ökologische und qualitativ hochwertige Produkte ebenso hin wie auf monetäre Vergünstigungen. Gleichzeitig weist sie darüber hinaus und bringt mit Genuss und dem „Plus“ ein sehr positives
Element ins Spiel, das Bezug zu den Kultur- und Freizeitangeboten der Karte hat. Damit sollen umweltbewusste Käufer angesprochen und andere, stärker konsumorientierte nicht abgeschreckt gewerden. Gleichzeitig bekommt die Karte mit dieser Ausrichtung auch ein besonderes Profil, das der Eigenständigkeit des Angebots entspricht.
Die umwelt.plus.karte
107
Kommunikationsstrategie und -instrumente
Ausgehend von den im Kommunikationskonzept entwickelten Anforderungen an die
Vermarktung der umwelt.plus.karte wurde eine Kommunikationsstrategie erstellt. Diese legt fest, mit welcher Zielsetzung die oben aufgeführten positionierungsrelevanten
Botschaften den identifizierten Zielgruppen der Karte vermittelt werden sollen. Im
Kern war die Strategie darauf ausgerichtet, eine möglichst vollständige Abdeckung der
Stadtteile Heidelbergs mit dem höchsten Anteil von Bewohnern aus den identifizierten
Zielgruppen durch Werbung und PR zu erreichen. Ziel war es, im Verlauf von einem
Jahr rund 1.000 umwelt.plus.karten abzusetzen. Eine starke optische Präsenz in den
teilnehmenden Geschäften sollte die Werbe- und Informationsmöglichkeiten vervollständigen. Dazu wurden folgende Schritte geplant:
y
Sämtliche Haushalte in den definierten Stadtteilen sollen eine umfassende Information zur Einführung der umwelt.plus.karte erhalten.
y
Mittels Presseinformationen und PR-Artikeln in Stadt(teil)zeitungen soll eine möglichst vollständige Presseabdeckung für den gesamten Geltungsbereich erzielt werden.
y
Durch Werbematerialien am Point of Sale (POS) soll in den Geschäften aller Anbieter auf die umwelt.plus.karte hingewiesen werden.
Kommunikationsinstrumente
Die im Rahmen der Kommunikationsstrategie zum Einsatz kommenden Instrumente
wurden entsprechend den folgenden Gestaltungslinien entwickelt (Primärdesign):
y
Viel Weißraum mit kontrapunktisch gestalteten Flächen zur Schaffung eines belebten, frischen Auftritts.
y
Darstellung der Produktangebote in Bildfeldern zur schnellen und einfachen Erfassung der Vielfalt des Angebots der umwelt.plus.karte.
y
Verwendung von Fotomaterial, das Freude am Konsum vermittelt und damit vom
üblichen Klischee eines traditionellen „Öko“-Milieus abweicht.
Hierdurch wird ein Produktdesign geschaffen, das die kommunikative Brücke zwischen ökologisch orientierten Personen und solchen Käuferschichten schaffen kann,
die nicht diesem Milieu zuzurechnen sind. Im Einzelnen kamen zur Markteinführung
der umwelt.plus.karte die folgenden Instrumente zum Einsatz:
108
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
y
Zentrales Medium zur Information über die Karte war ein Booklet. In dieser
26-seitigen Broschüre konnte der Interessent alles über die Karte, ihre Konditionen
sowie das Sortiment der Anbieter erfahren. Das Booklet wurde in einer Auflage
von 30.000 Stück gedruckt und per Postwurfsendung an alle 22.000 Haushalte der
gewählten Stadtteile versandt. Die restliche Auflage wurde in den Geschäften sowie im Büro des Kartenbetreibers (Weitergeben e.V.) ausgelegt.
y
Ein Gewinnspiel sowie eine Subskriptionsfrist von fünf Wochen sollten den notwendigen Anreiz zum schnellen Erwerb der Karte schaffen. Mit einem speziellen
Flyer wurde über diese beiden Aktionen informiert; er wurde in einer Auflage von
10.000 Stück gedruckt und in den teilnehmenden Geschäften sowie an anderen Orten ausgelegt.
y
Parallel zur Produkteinführung wurde ein Internetauftritt zur umwelt.plus.karte
umgesetzt, der das Kartenangebot in ähnlicher Weise wie Booklet und Flyer präsentiert.
y
Als POS-Werbematerialien wurden ein Plakat, Bockständer vor den Geschäften,
Deckenabhänger und ein Infostand gewählt.
y
Last but not least die umwelt.plus.karte selbst. Gestaltet im Scheckkartenformat
und versehen mit Bildmotiven aus dem Produkt- und Dienstleistungsspektrum der
Anbieter schafft die Karte den Bezug zu den Angeboten, die mit ihr genutzt werden
können.
Abbildung 1: umwelt.plus.karte
Die umwelt.plus.karte
109
Akquisition der Anbieter
Die Anbieterakquisition, die überwiegend im Zeitraum von November 2002 bis März
2003 stattfand, wurde auf der Basis von Gesprächen mit in der Regel den Geschäftsinhabern durchgeführt. Eine bei diesen Gesprächen ausgehändigte, professionell gestaltete Verkaufsmappe mit Informationen zu allen wesentlichen Aspekten der Karte ermöglichte den Geschäften im Nachgang des Gesprächs eine gezielte Entscheidungsfindung hinsichtlich der Teilnahme an der Karte. Insgesamt wurden, neben zahlreichen
telefonischen Gesprächen, 60 persönliche Akquisitionsgespräche geführt, die in 23
Fällen in den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zur Teilnahme an der Karte
mündeten. Die Vereinbarung beinhaltet u.a. die ausgehandelten Rabatte, Kündigungsklauseln und Nachhaltigkeitsrichtlinien. 37 Anbieter entschlossen sich also, nicht an
dem Kartensystem teilzunehmen. Die wichtigsten hierfür genannten Gründe waren
y
die generelle Ablehnung von Kundenkarten (und damit z.T. auch von Rabatten),
y
Zweifel an den Erfolgsaussichten des Projekts sowie
y
mangelnde finanzielle Mittel, um beispielsweise im Booklet Anzeigenplatz zu erwerben.
Markteinführung und Diffusion
Die Markteinführung der umwelt.plus.karte erfolgte Anfang Mai 2003 mit der Verteilung des Booklets, der Platzierung von Werbematerialien – insbesondere den Gewinnspielflyern – bei den teilnehmenden Geschäften, der Freischaltung der Homepage
www.umweltpluskarte.de und einem Pressegespräch. Zu diesem Zeitpunkt umfasste
das Portfolio der Anbieter 23 Geschäfte und Einrichtungen aus den Bereichen Lebensmittel, Dienstleistungen (Reparatur, Waschsalon, Car-Sharing, Windelservice,
Gerätevermietung, Copy-Shop), Spielwaren, Möbel, Fahrräder, Handwerk (Maler,
Schreiner) und Kultur (Kunstverein, Musikveranstalter, Sprachkurse). Diese bieten
den Kartennutzern Rabatte zwischen drei (z.B. Lebensmittel) und zehn Prozent (z.B.
Spielwaren, Musikveranstaltungen, Windelservice). In manchen Fällen beschränken
sich die Rabatte auf Einmalvergünstigungen, wie zum Beispiel einen Nachlass bei der
Aufnahmegebühr zum Car-Sharing.
Die umwelt.plus.karte konnte sich sehr viel rascher als in der Kommunikationsstrategie geplant im Markt behaupten – Anfang März 2004 waren bereits 1.262 Karten verkauft, davon 937 (74,2%) Hauptkarten und 325 (25,8%) Zusatzkarten für Familienmitglieder oder Lebenspartner, die zum Preis von 1,50 Euro abgegeben werden. Geht
man davon aus, dass allein für den Bereich der Bio-Lebensmittel 4 Prozent aller weib-
110
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
lichen Bundesbürger angeben, diese häufig zu kaufen (Gruner+Jahr AG & Co 2002,
S. 93) – was für Heidelberg in etwa 3.000 Haushalten entspricht –, so kann die Ausschöpfung des Zielgruppenpotenzials der Karte als gut bezeichnet werden. Dieser Erfolg war ein wichtiger Anreiz für weitere Heidelberger Geschäfte, sich der umwelt.plus.karte anzuschließen. Im März 2004 zählten 29 Anbieter zu den Teilnehmern
an dem Rabattsystem der umwelt.plus.karte (drei weitere Anbieter waren geplant), von
denen einige von sich aus mit der Bitte um Aufnahme an den Kartenbetreiber (seit Dezember 2003 der Umweltverein Ökostadt Rhein-Neckar) herangetreten sind.
3 Ergebnisse der Befragung der Nutzer der umwelt.plus.karte
Im Dezember 2003 wurde gemeinsam mit der Ausgabe des umwelt.plus.info, dem
Newsletter der umwelt.plus.karte, den Nutzern ein Fragebogen des IÖW zugeschickt,
der auf zwei Seiten Fragen insbesondere zur Verwendung und Bewertung der Karte
und zu soziodemografischen Parametern stellt. Der auf diese Weise an 903 Inhaber
von Hauptkarten (Zweitkartenbesitzer erhalten kein eigenes Exemplar des umwelt.plus.info) versandte Fragenbogen wurde von 157 Personen beantwortet, was einer
Rücklaufquote von 17,4 Prozent entspricht.
Soziodemografische Charakterisierung der Nutzer und Kaufmotive
Drei Viertel der Karteninhaber sind Frauen. Hinsichtlich der Altersstruktur der Nutzer
ist ein deutlicher Schwerpunkt von Menschen mittleren Alters festzustellen: Mit 43,9
Prozent befinden sich die meisten Nutzer in der Altersgruppe der 40 bis 49-jährigen,
gefolgt von den 30 bis 39-jährigen (28,7%). Lediglich sieben Prozent der Kartenbesitzer sind unter 30 Jahre alt, und nur 17,8 Prozent sind über 50 Jahre alt.
Das Ausbildungsniveau der Nutzer der umwelt.plus.karte ist überdurchschnittlich
hoch, denn alle Befragten waren entweder auf einer weiterführenden Schule oder haben Abitur. Allein zwei Drittel von ihnen haben ein Studium absolviert. Menschen mit
einem niedrigeren Ausbildungsniveau sind unter den Nutzern der umwelt.plus.karte
praktisch nicht vertreten.
Der Großteil der Nutzer der umwelt.plus.karte ist entweder voll (38,2%) oder teilberufstätig (33,2%). Schüler, Auszubildende und Studenten auf der einen Seite und
Rentner auf der anderen Seite sind – wie angesichts der oben dargestellten Altersstruktur nicht anders zu erwarten – nur in geringem Umfange vertreten (jeweils 6,4%).
Zur Ermittlung der Motive für den Erwerb einer umwelt.plus.karte wurden vier hierfür
in Frage kommende Begründungsmöglichkeiten vorgegeben: „Ich spare beim Ein-
Die umwelt.plus.karte
111
kauf“, „Ich tue etwas für die Umwelt“, „Ich unterstütze regionale Anbieter“ und „Ich
unterstütze kleine Geschäfte“. Anzugeben war jeweils, ob das Motiv für den Befragten
eine große, mittlere oder geringe Bedeutung hat. Gemessen an der Ausprägung „Große
Bedeutung“ zeigt sich, dass das Sparmotiv die meisten (66,2%) und die Unterstützung
kleiner Geschäfte die wenigsten Nennungen (49,0%) erhält. Beinahe gleichauf und
nahezu exakt zwischen diesen beiden Kaufbegründungen liegen die Motive Umweltschutz und Unterstützung regionaler Anbieter, denen von 58,0 beziehungsweise 56,7
Prozent eine große Relevanz beigemessen wird.
Altersspezifische Unterschiede lassen sich insoweit feststellen, als dass die 20 bis
29-jährigen den Spar- und Umweltschutzmotiven eine überdurchschnittlich hohe Relevanz beimessen und das für die 50 bis 59-jährigen die Aspekte der Unterstützung
regionaler und kleiner Geschäfte überproportional von Bedeutung sind; im Gegensatz
zu allen anderen Altersgruppen bewerten sie diese Motive im Rahmen ihrer altersgruppeninternen Rangliste der Kaufmotive höher als die Spar- und Umweltthematik.
Nutzungs- und Bewertungsmuster
Die umwelt.plus.karte ist in der Regel kein Begleiter des täglichen Einkaufs. Nur
8,9 Prozent der Nutzer geben an, sie fast täglich einzusetzen, die große Mehrheit von
etwas über 50 Prozent tut dies dagegen nur mindestens einmal pro Woche, mehr als
ein Drittel sogar nur mindestens einmal im Monat oder noch seltener.
Auf die Vielfalt des Anbieterspektrums greifen die Kartenbesitzer nur in einem sehr
eingeschränkten Maße zurück. So setzen die meisten Nutzer (56,1%) die umwelt.plus.karte nur bei einem oder bei zwei Anbietern ein, ein gutes Fünftel nutzt sie
bei drei Anbietern und ein weiteres Fünftel bei immerhin vier bis sieben Geschäften.
Der darin zum Ausdruck kommende ungleich verteilte Einsatz der umwelt.plus.karte
bei den Anbietern hängt natürlich eng mit der Struktur des Angebotsportfolios zusammen, das sowohl Güter des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel) als auch seltener
nachgefragte Waren und Dienstleistungen (z.B. Fährräder, Gerätevermietung) umfasst.
So ist es kein Zufall, dass die an der Karte teilnehmenden Naturkostläden die am häufigsten frequentierten Anbieter sind.
Die Frage, ob die Mitwirkung an der umwelt.plus.karte den Leistungspartnern neue
Kunden gebracht hat, lässt sich auf der Basis der erhobenen Daten nicht eindeutig beantworten. Die Antworten hierzu deuten zwar darauf hin, dass fast alle Anbieter aufgrund der Karte einen Kundenzuwachs zu verzeichnen haben. Die Aussagekraft dieser
Ergebnisse ist jedoch aufgrund der sehr kleinen Fallzahlen, potenzieller Mitnahmeeffekte im Rahmen einer bereits gefällten Entscheidung und möglicher Missinterpreta-
112
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
tionen der entsprechenden Formulierung im Fragebogen mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
Das unter dem Dach der umwelt.plus.karte zusammengeschlossene Anbieterspektrum
wird von den Kartenbesitzern als gut bewertet (der auf Basis der Vergabe von Noten
von 1 = sehr gut bis 6 = ungenügend ermittelte Durchschnitt beträgt 1,8). Bei den Rabatten dagegen fällt die Einschätzung mit einem Durchschnittswert von 3,0 deutlich
zurückhaltender aus, was sich insbesondere aus den schlechten Beurteilungen von
Einmalrabatten oder von Angeboten erklärt, bei denen bestimmte Warengruppen (z.B.
Frischwaren) von der Rabattierung ausgeschlossen werden.
Ein sehr wichtiges Indiz für den Grad der Zufriedenheit mit der umwelt.plus.karte ist
schließlich darin zu sehen, ob die Kartennutzer nach dem Ablauf der Gültigkeitsfrist
von einem Jahr eine weitere Karte erwerben wollen oder nicht. Auf die in diesem Zusammenhang gestellt Frage „Würden Sie die umwelt.plus.karte in ihrer jetzigen Form
für ein weiteres Jahr erwerben?“ antwortete ein gutes Drittel mit „ja“, ein weiteres
knappes Drittel mit „wahrscheinlich“. Unentschieden („vielleicht“) gibt sich ein Fünftel und nur für ein Achtel der Kartennutzer kommt ein Neuerwerb wahrscheinlich oder
sicher nicht in Frage.
Fazit der Fragebogenaktion
Soziodemografisch sind die Inhaber der unwelt.plus.karte überwiegend dem bildungsbürgerlichen Mittelschichtmilieu zuzurechnen, aus dem sich ökologisch und nachhaltig orientierte Konsumenten für gewöhnlich rekrutieren. Damit konnte das im Kommunikationskonzept anvisierte Ziel, als Kartennutzer auch Personen aus für nachhaltigen Konsum untypischen Bevölkerungsschichten zu gewinnen, bislang weitgehend
nicht erreicht werden. Konkret handelt es sich bei den Kartenbesitzern in der Regel um
Frauen mittleren Alters (30-49), die ein Studium absolviert haben, teil- oder vollberufstätig sind und in Familien oder Lebensgemeinschaften mit einem oder zwei
Kindern leben. Männer, unter 30-jährige (und damit Studenten) und über 60-jährige
(und damit Rentner), gering Qualifizierte, Singles und Haushalte ohne Kinder spielen
im Kreis der Kartennutzer dagegen eine untergeordnete Rolle. Die nach Umsatz und
Kundenzahl bislang wichtigsten Leistungspartner sind „klassische“ Öko-Anbieter
(z.B. Naturkostläden), die aufgeschlossene, aber konventionelle Käuferschichten nur
bedingt ansprechen. Zudem stellt sich das Preis-Leistungs-Verhältnis der kostenpflichtigen umwelt.plus.karte aus Sicht von weniger umweltorientierten Kunden möglicherweise als nicht attraktiv genug dar.
Die umwelt.plus.karte
113
Alles in allem wird der umwelt.plus.karte von ihren Nutzern ein gutes Zeugnis ausgestellt, das gerade in der überwiegend geäußerten Absicht, die Karte für ein weiteres
Jahr erwerben zu wollen und der hohen Wertschätzung der unter ihrem Dach versammelten Anbieter zum Ausdruck kommt. Von einer ungebrochenen Zufriedenheit mit
den Anwendungsmöglichkeiten der Karte kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Vielmehr gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die hauptsächlich aufgrund des
Sparmotivs angeschaffte umwelt.plus.karte oftmals die diesbezüglich in sie gesetzten
Erwartungen nicht erfüllt. In diese Richtung weisen die im Vergleich zum Anbieterspektrum recht kritisch bewerteten Rabattangebote, der vielfach auf wenige (Lebensmittel-)Geschäfte begrenzte Einsatzbereich und der hohe Anteil derjenigen, die die
Karte nur mindestens einmal im Monat oder seltener benutzen.
4 Kritische Würdigung der umwelt.plus.karte
Die umwelt.plus.karte stellt sich derzeit als Erfolg dar. Ihre Akzeptanz ist zu einem
Großteil auf die „Einfachheit“ des Konzepts zurückzuführen. So erweist sich das Prinzip der Selbstverpflichtung der Anbieter hinsichtlich der Nachhaltigkeitsanforderungen im praktischen Betrieb der Karte als äußerst effizient. Die Kundennachfrage ist
auf die offenbar weitgehend eingelöste Motivallianz aus Ökologie-, Spar- und GenussOrientierung zurückzuführen. Darüber hinaus schafft der Grundsatz „direkte Vergünstigung pro Einkauf“ Transparenz bezüglich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Karte und scheint im Vergleich zu Bonus- und Verrechnungssystemen als die attraktivere
Kartenlogik. Wie jedoch die Umfrage unter den Kartenbesitzern gezeigt hat, stellt das
Rabattsystem die „Achillesferse“ des Konzepts dar. Nicht nur mittels substantieller
Vergünstigungen, sondern erst durch möglichst einheitliche und direkte monetäre Benefits wird dem Kartenbesitzer eine einfache Bestimmung des break even-Punktes
möglich, was auf Dauer eine notwendige Akzeptanzbedingung darstellt.
Die Kostenpflichtigkeit der umwelt.plus.karte kann in diesem Zusammenhang – teilweise entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Kartenentwickler – in der Kundenwahrnehmung weniger als Hemmschuh, denn vielmehr als „Qualitätsmerkmal“
eines hochwertigen, marktfähigen Produktes betrachtet werden. Als weitere Erfolgsfaktoren erwiesen sich die Breite des Angebotsspektrums und der Neuigkeitsgehalt des
Konzepts in Kombination mit einer grundsätzlichen Vertrautheit mit Kundenkarten.
Ebenso dürfte die Tatsache förderlich gewesen sein, dass die umwelt.plus.karte ein
Multi-Partner-Programm darstellt, also nicht für jeden einzelnen Anbieter eine Kundenkarte benötigt wird.
114
Wilfried Konrad/Gerd Scholl
Die bisherigen Erfahrungen machen aber auch Grenzen des Ansatzes deutlich: Die
umwelt.plus.karte hat bislang nicht in signifikantem Maße zu Verhaltensänderungen
führen können. Bisher belohnt sie primär das Einkaufsverhalten der bereits UmweltAktiven. Prinzipiell aktivierbare, weil den Zielsetzungen der Karte gegenüber tendenziell aufgeschlossene Zielgruppen wie etwa Senioren oder Studenten konnten mit dem
Konzept in seiner jetzigen Form nicht erreicht werden. Die unterschiedlich gewichteten Nutzungsmotive von älteren (Unterstützung regionaler und kleinerer Anbieter) und
jüngeren Nutzern (Spar- und Umweltschutzmotive) weisen jedoch auf Entwicklungspotenziale hin, auf die im Rahmen zukünftiger Diffusions- und insbesondere Kommunikationsmaßnahmen stärker gesetzt werden könnte. Ein weitere Schwäche in der aktuellen Umsetzung illustriert der Befund, dass Synergiepotenziale zwischen den Leistungspartnern im Sinne einer Werbegemeinschaft bislang nicht beziehungsweise in nur
sehr wenigen Einzelfällen entfaltet werden konnten. Hatten sich die Kartenentwickler
hier eine gewisse Eigendynamik versprochen, so zeigt sich mittlerweile, dass für derartige Maßnahmen wie zum Beispiel gemeinsame Sonder- oder Werbeaktionen Anschubaktivitäten seitens des Kartenbetreibers unabdingbar sind.
Insgesamt haben sich die lokal-regionalen Bedingungen für die Entwicklung und Umsetzung einer ökologisch-sozialen Kundenkarte als günstig erweisen. In Heidelberg
leben überdurchschnittlich viele umweltorientierte Konsumenten und es haben sich
zahlreiche Anbieter nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen auf begrenztem Raum
etablieren können. Der Trend zur Ausweitung des Öko-Angebotes ist ungebrochen.
Auf Kommunen mit ähnlichen Rahmenbedingungen wird das Konzept daher aller
Wahrscheinlichkeit nach übertragbar sein. Ob dies auch für veränderte Ausgangsvoraussetzungen gilt, ist eine offene Frage, die jedoch im Rahmen zukünftiger Bemühungen um einen Transfer des Konzepts beantwortet werden soll.
Die umwelt.plus.karte
115
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Teil III:
Nachhaltigkeits-Marketing:
Situative Anwendungen
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche:
„Best Practices“ aus der Schweiz
Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
1 Einleitung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der schweizerische Baumarkt durch ein stagnierendes bis rückläufiges Gesamtvolumen und große Überkapazitäten auf der Anbieterseite
gekennzeichnet. Dies führt zu einem ausgeprägten Preis- und Verdrängungswettbewerb. Die geringe Spezialisierung und Differenzierung vieler Bauunternehmen, die
starke Produktorientierung, das reaktive Kurzfristmarketing und die mangelnde Innovationsfähigkeit verstärken die destruktiven Markttendenzen (Bächi 2000, S. 64-76).
Um als Bauunternehmen auf Dauer im Wettbewerb zu bestehen, ist ein konstruktiver
Marketingansatz vonnöten, der sich an den Bedürfnissen der Kunden ausrichtet, eine
klare Positionierung anstrebt und nutzenorientierte Leistungssysteme beinhaltet (ebd.,
S. 77-199). Ein solcher konstruktiver Ansatz kann im Nachhaltigkeits-Marketing bestehen, welches bestrebt ist, die Kundenbedürfnisse in Einklang mit ökologischen und
sozialen Anliegen zu bringen (Beitrag Belz).
Das Ziel des vorliegenden Beitrags besteht darin, die Möglichkeiten und Grenzen des
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche am Beispiel der Schweiz zu erkunden,
wobei der Fokus auf Wohn- und Bürohäusern liegt (Neubau und Sanierung bzw. Modernisierung). Der Grund für die Schwerpunktsetzung auf Wohn- und Bürohäuser liegt
in der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedeutung, die diesem Bereich zukommt. In die Untersuchung werden direkt und indirekt am Bauprozess beteiligte Unternehmen einbezogen, d.h. Planer, Architekten, Baumateriallieferanten, Bauelementelieferanten, Bau- und Generalunternehmen. Bauunternehmen erbringen die Bauleistungen, d.h. sie stellen die Gebäude vor Ort her. Generalunternehmen übernehmen zusätzlich zu den Bauleistungen auch Planungsleistungen, d.h. sie planen und koordinieren alle Tätigkeiten, die zur Erstellung des Gebäudes notwendig sind. Da es den Rahmen der Untersuchung sprengen würde, können Tiefbau (Verkehr, Ver-/ Entsorgung)
und gewerblicher Hochbau (Industriebauten) nicht näher betrachtet werden. Die empirischen Ergebnisse beruhen primär auf 19 teilstandardisierten, offenen Interviews mit
27 Experten aus der Baubranche, welche die Autoren zwischen August und Dezember
120
Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
2002 persönlich geführt haben. Zu den befragten Unternehmen bzw. Institutionen zählen: ABB, Alfred Müller AG, Allreal, Amstein + Walthert, Baugenossenschaft Milchbuck, Blumer-Lehmann, Flumroc, Forbo, Häusle & Koller, HG Commerciale, Industrial Engineering, Landis, Metron, Minergie, Schweizer Metallbau, Sarnafil International, Schweizer Normenvereinigung, Swiss Sustainable Systems, und WWF. Die fünf
Leitfragen der Interviews lauteten:
y
Was sind nachhaltige Produkte und Leistungen im Bereich Bauen und Wohnen?
y
Worin kann der Kundenmehrwert sozialer und ökologischer Produkte und Leistungen bestehen?
y
Welche Maßnahmen ergreift Ihr Unternehmen auf der strategischen und operativen
Ebene, um den Kunden soziale und ökologische Aspekte näher zu bringen?
y
Werden durch die Orientierung am Leitbild der Nachhaltigkeit neue Kunden gewonnen oder resultiert daraus eine stärkere Kundenbindung?
y
Wie werden die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Bauen festgelegt? Wer sind
die zentralen Akteure?
Die Interviews dauerten jeweils zwischen 60 und 120 Minuten, wurden digital aufgezeichnet und als Ergebnisprotokolle schriftlich festgehalten. Ergänzend wurden (Unternehmens-)Dokumentationen erhoben und systematisch im Hinblick auf Aspekte des
Nachhaltigkeits-Marketing ausgewertet. Darüber hinaus wurde eine intensive Literatur- und Internetrecherche betrieben. Anfang 2003 erfolgte eine schriftliche (Konsens)Validierung der empirischen Ergebnisse mit ausgewählten Experten.
Der Aufbau des vorliegenden Beitrags ist wie folgt: Zunächst werden die Kundenbedürfnisse sowie die sozial-ökologischen Probleme analysiert, die mit der Herstellung,
Nutzung und Entsorgung von Gebäuden einhergehen (Kap. 2). Damit wird das für das
Nachhaltigkeits-Marketing immanente Spannungsfeld von Kundenbedürfnissen und
sozial-ökologischen Problemen beschrieben. Im Hauptteil der Arbeit werden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
dargestellt (Kap. 3). Die Beispiele von Unternehmen aus der schweizerischen Baubranche haben exemplarischen Charakter. Es handelt sich um erste identifizierte „Best
Practices“ im Sinne des Nachhaltigkeits-Marketing. Abschließend erfolgen eine kurze
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
121
2 Nachhaltigkeits-Marketing der Baubranche im Spannungsfeld
von sozial-ökologischen Problemlagen und Kundenbedürfnissen
Analyse der ökologischen und sozialen Probleme
Die Bauwirtschaft (Planung, Bauhauptgewerbe, Ausbaugewerbe und Zulieferindustrie)
zählt zu den wichtigsten Branchen der schweizerischen Volkswirtschaft. Im Jahr 1997
beschäftigte die Baubranche insgesamt 570.000 Arbeitnehmer (= 21% aller Beschäftigten) und erzielte einen Anteil von rund 10% des schweizerischen Bruttoinlandsproduktes (Schweizerischer Baumeisterverband 1998, S. 1ff.). Mit der Erstellung von
Wohngebäuden befriedigt die Baubranche grundlegende menschliche Bedürfnisse
(Schutz, soziales Zusammenleben, Selbstverwirklichung etc.). Dieser hohen Wertschöpfung steht ein nicht unerhebliches Maß an ökologischer und sozialer Schadschöpfung gegenüber, der verstärkt Rechnung zu tragen ist. Die Analyse der negativen
Effekte ökologischer und sozialer Art, die mit Herstellung, Nutzung und Entsorgung
von Gebäuden einhergehen, ist eine unerlässliche Informationsgrundlage für das
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die
sozial-ökologische Schadschöpfung von Gebäuden entlang des Lebenszyklus von der
Wiege bis zur Bahre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Datenlage und -qualität
der ökologischen und sozialen Aspekte unterschiedlich zu beurteilen sind: Während
die Umweltbelastungen in der Zwischenzeit umfassend untersucht, teilweise quantitativ belegbar und gut dokumentiert sind (bspw. Koller 1994; ders. 1995; Öko-Institut
1996; dass. 1998), besteht bei den sozialen Problemen und Anliegen u.E. noch erheblicher Forschungsbedarf. Die entsprechenden hier gemachten Aussagen sind als vorläufiger Entwurf und als Diskussionsgrundlage zu verstehen. Die Vertiefung der sozialen
Aspekte bleibt weiterer Forschung vorbehalten.
Aus ökologischer Sicht kommt der Erstellung, Nutzung und Entsorgung von Gebäuden
eine sehr große Bedeutung zu. Rund ein Drittel aller Stoff- und Energieflüsse und der
damit verbundenen Umweltprobleme sind dem Bedürfnisfeld Bauen/Wohnen zuzuordnen (Behrensmeier/Bringezu 1995; BUND/Misereor 1997, S. 102-109).
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Auf der ersten Stufe der Rohstoffgewinnung/Baumaterialherstellung ist zunächst
der hohe Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen zu nennen (Koller 1995,
S. 122-145). Der Rohstoffabbau stellt einen tiefen Eingriff in die bestehende Natur
dar und hat negative Auswirkungen auf die Ökosysteme. Die Herstellung von Baustoffen wie Zement, Ziegeln, Kunststoffen, Dämmstoffen, Bindemitteln usw. ist
mit hohen Energieverbräuchen und Luftemissionen verbunden.
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y
Die Planungsphase selbst verursacht keine wesentlichen negativen ökologische
Effekte. Allerdings werden in diesem Stadium Ausmaß und Art der negativen ökologischen Effekte während der Bau-, Verwendungs- und Post-Verwendungsphase
wesentlich beeinflusst.
y
In der Bauphase ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zur Modernisierung
von Altbauten die Erstellung neuer Gebäude mit Bodenverbrauch verbunden ist.
Bezüglich der Ökologie ist es eine zentrale Frage, ob es sich um ein Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ohne Anschluss an den öffentlichen Verkehr handelt
oder um eine Wohnsiedlung in gut erschlossenem Gebiet. Ersteres ist mit einem
vergleichsweise hohen Flächenverbrauch verbunden (inklusive Zufahrtswege) und
induziert in der Regel ein hohes Maß an motorisiertem Individualverkehr, während
letzteres aus ökologischer Sicht besser zu beurteilen ist. In dicht besiedelten Ländern wie der Schweiz ist Boden eine knapp werdende Ressource. Zudem fallen
beim Bauprozess alkalische Abwässer an, die neben Zementrückständen auch zahlreiche Schadstoffe beinhalten und die Böden sowie das Grundwasser gefährden.
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Auf der Stufe der Nutzung sind die direkten und indirekten Umwelteinwirkungen
besonders hoch. Während der Nutzung eines Gebäudes wird in etwa zehnmal soviel Energie verbraucht wie bei der Erstellung. Die entscheidende Größe für den
Energieverbrauch während der Nutzungsphase ist die Raumwärme. Neben dem
Nutzerverhalten hängt der Energieverbrauch entscheidend vom Stand der Technik
ab. Seit Mitte der 1970er Jahre sind erhebliche Fortschritte in der Wärmedämmung
und Isolation erzielt worden, die zu einer Erhöhung der Energieeffizienz führten.
Dieser Aspekt gewinnt auch in der Altbausanierung zunehmend an Bedeutung,
kann doch hier die ökologische Schadschöpfung durch spezifische Baumaßnahmen
eingedämmt werden. Die nachweislich erzielten Energieeffizienzvorteile aufgrund
verbesserter Baumaterialien werden jedoch durch eine Änderung des Wohn- und
Nutzerverhaltens, dem sog. Rebound-Effekt (über-)kompensiert: Der gesamte Energieverbrauch im Wohnbereich ist seit den 1970er Jahren nicht gesunken, sondern sogar leicht angestiegen aufgrund der Zunahme an Komfortansprüchen und
Wohnfläche pro Kopf. Eine zweite wichtige Umweltbelastung auf der Stufe Nutzung/Betrieb ist der hohe Frisch- bzw. Trinkwasserverbrauch der Privathaushalte.
y
Auf der letzten Stufe der Wiederverwertung/Entsorgung besteht das ökologische
Kernproblem in den großen Abfallmengen: In der Schweiz entstehen jährlich rund
7 Mio. Tonnen Bauabfälle, die wiederzuverwerten bzw. zu entsorgen sind. Dies
entspricht rund einer Tonne Bauabfall pro Kopf und Jahr. Teilweise werden die mit
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
123
toxischen Substanzen zersetzten Bauabfälle in Deponien zwischen- oder endgelagert, die noch nicht mit wirkungsvollen Abdichtungs- und Kontrollsystemen ausgestattet sind und damit ein Langzeitrisiko für Boden, Grundwasser und Oberflächengewässer auf lokaler bzw. regionaler Ebene darstellen.
Branchenstufe
Negative
Effekte
Ökologische
Rohstoffgewinnung/
Baumaterialherstellung
Hoher Verbrauch an nicht
erneuerbaren
Ressourcen
Planung
...
Bodenversiegelung
Alkalische Abwässer
Eingriff in Ökosysteme beim
Rohstoffabbau
Energieverbrauch
Hoher Energieverbrauch und
Luftemissionen
bei Baumaterialherstellung
Soziale
Bauprozess/
Transport
Arbeitsbedingungen
(Gesundheit)
Nicht altersgerechter Wohnraum
...
Nicht behindertengerechter
Wohnraum
Ungenügende
Partizipation der
Nutzer in der
Planungsphase
Gebäudenutzung
Hoher Energieverbrauch (abhängig vom
Nutzerverhalten
und dem Stand
der Technik)
Gebäudeentsorgung
Große Abfallmengen (teilweise toxisch)
...
Luftemissionen
Lärm-/Luftemissionen
(beim Transport)
Hoher Frischwasserverbrauch
Arbeitsbedingungen
(Sicherheit,
Gesundheit)
Wohngifte
Ungenügender
Benutzer-/
Wohnkomfort
Schleichende
Umweltvergiftung
...
Mangel an
preisgünstigen
Wohnungen
in städtischen
Agglomerationsgebieten
...
Tabelle 1: Sozial-ökologische Schadschöpfung von Wohn- und Bürogebäuden entlang des gesamten
Lebenszyklus (Eigene Darstellung nach Koller 1994, 1995; Öko-Institut 1996, 1998;Belz 2001)
Bei den sozialen Problemen, die in der schweizerischen Baubranche anzutreffen sind,
handelt es sich in der Regel nicht um eine Frage des Überlebens, sondern eher um
Fragen des guten Lebens. Fast ausschließlich alle Schweizer haben „ein Dach über
dem Kopf“. Die Zahl der Obdachlosen ist verschwindend gering.
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y
Auf der ersten Stufe der Rohstoffgewinnung/Baumaterialherstellung können gesundheitliche Probleme am Arbeitsplatz entstehen.
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In der Planung der Wohngebäude ist zukünftig vermehrt dem demographischen
Wandel Rechnung zu tragen, d.h. dem Bevölkerungsrückgang und der Zunahme
der älteren Bevölkerung. Das Angebot von altersgerechten Wohnformen ist eine
wichtige Herausforderung für die Baubranche. Darüber hinaus ist auch an Minderheiten zu denken, insbesondere Behinderte.
y
Auf der Stufe der Bauerstellung stellt sich die Frage der Arbeitsbedingungen (Sicherheit, Gesundheit). Da der Bau vor Ort bei fast jedem Wetter durchgeführt werden muss, sind die körperlichen Belastungen für die Arbeitnehmer vergleichsweise
hoch. Eine Forderung der Gewerkschaft ist daher die Frühpensionierung der Bauarbeiter.
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Auf der Stufe der Nutzung sind zunächst die Wohngiftbelastungen zu nennen.
Zahlreiche Baumaterialien und Einrichtungsgegenstände können die Luftqualität
im Innenraum negativ beeinträchtigen und toxisch-allergische Wirkungen entfalten
(Schwarz 1991). Versteht man Gesundheit nicht nur als die Abwesenheit von
Krankheiten, sondern im umfassenden Sinn als Wohlfühlen, dann kommt dem Benutzer- und Wohnkomfort eine große Bedeutung zu, der sich in Behaglichkeit,
Licht, Wärme und Ästhetik ausdrückt. Altbauten, die diesen Standards nicht mehr
gerecht werden, beeinträchtigen die Wohnqualität negativ. Aus sozialer Sicht spielt
vermehrt der Mangel an bezahlbaren größeren Wohnungen in städtischen Agglomerationsgebieten eine Rolle. Vielfach sehen sich Familien aus Kostengründen gezwungen, in das Umland zu ziehen. Arbeiten die Eltern in der Agglomeration, entstehen nicht-intendierte sozial-ökologische Nebenfolgen durch den beruflich bedingten Pendelverkehr (sog. „Zwangsmobilität“).
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass sowohl bei der Herstellung als auch bei
der Nutzung von Gebäuden ökologische und soziale Probleme entstehen können. Aus
den Interviews mit den Experten wird deutlich, dass der Sensibilisierungsgrad für ökologische Fragen in der Baubranche allgemein recht hoch ist. Sozialen Problemen und
Anliegen, die im Zusammenhang mit der Erstellung, Nutzung und Entsorgung von
Wohn- und Bürogebäuden stehen, werden hingegen noch weniger Aufmerksamkeit
geschenkt. Wird von Unternehmen der Baubranche ein konstruktiver Ansatz im Sinne
des Nachhaltigkeits-Marketing verfolgt, dann ist sowohl sozialen als auch ökologischen Aspekten Rechnung zu tragen. Ein Schlüsselpunkt zur Reduktion der sozialökologischen Schadschöpfung besteht in der Planungsphase sowohl bei Neubauten als
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
125
auch bei Modernisierungen. Hier kann zum Beispiel Einfluss genommen werden auf
den Energieverbrauch während der Nutzungsphase, den Einsatz umweltfreundlicher
und schadstofffreier Baumaterialien sowie die Schaffung behindertengerechten Wohnraums und flexibler Wohn- und Bürokonzepte.
Analyse der Kundengruppen und -bedürfnisse
Das gesamte Wohnungsbauvolumen betrug in der Schweiz im Jahr 1997 knapp
11 Mrd. Euro (Bundesamt für Statistik 1998, S. 45ff.). Auf den Neubau entfallen
8,3 Mrd. Euro (= 75%) und auf die Erneuerung der bestehenden Infrastruktur 2,7 Mrd.
Euro (= 25%). Während der letzten zwei Jahrzehnte ist der Anteil der Instandhaltung
und Modernisierung am gesamten Wohnungsbauvolumen kontinuierlich von 19% auf
25% gestiegen (Bundesamt für Statistik 1998). Diesem Segment kommt auch in Zukunft eine wichtige Rolle als Wachstumsmotor in der Baubranche zu. Insgesamt ist der
Wohnungsbaumarkt jedoch stagnierend, wenn nicht sogar rückläufig. Gegenüber der
Hochphase der Bauwirtschaft während der 1980er Jahre hat das gesamte Marktvolumen um fast 20% abgenommen. Grundsätzlich kann man im Wohnungsbaumarkt drei
verschiedene Kundengruppen unterscheiden, die unterschiedliche Ziele, Wertorientierungen, bevorzugte Objekte und Merkmale aufweisen: Selbstnutzende, kommerziell
orientierte und gemeinnützig orientierte Eigentümer.
Rund 30% der Bauherren benutzen die neu erstellten Wohneinheiten bzw. Häuser selber. Dabei handelt es sich ausschließlich um Privatpersonen, die sich den „Traum vom
Eigenheim“ erfüllen (Bächi 2000, S. 32-33). Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern wie bspw. Norwegen, Schweden, Finnland, Großbritannien, Spanien,
Österreich und Frankreich ist die Wohneigentumsquote in der Schweiz sehr niedrig.
Für die selbstnutzenden Eigentümer sind der Gebrauchswert und die Tragbarkeit der
Gesamtkosten zentral. Bevorzugte Objekte sind Einfamilienhäuser. Entsprechend hoch
ist der Flächenbedarf. Ein typisches Merkmal dieser Gruppe ist, dass sie keine oder
wenig Bauerfahrung besitzt. Die Expertise entwickelt sich allenfalls im Laufe des
Bauprojektes. Daraus resultiert zumindest in der Anfangsphase eine hohe Abhängigkeit vom Architekten bzw. Planer. Nichtsdestotrotz finden sich nach den Aussagen der
Interviewpartner gerade bei den Privatpersonen eine Reihe von Öko- und Nachhaltigkeits-Pionieren. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine homogene Zielgruppe. Wie
eine breit angelegte Längsschnittstudie mit 500 Käufern von Niedrigenergiehäusern in
Deutschland zeigt, kann man im Hinblick auf die Wertüberzeugungen und typischen
Aktivitäten drei verschiedene Lebensstilgruppen bzw. Käufersegmente differenzieren
(Winkler/Niedergesäss 2000, S. 3): Für die Gruppe der „moralisch Umweltorientier-
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Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
ten“ spielen neben den ökologischen Werten auch die sozialen Werte eine große Rolle.
Umwelt- und sozialpolitische Anliegen werden eher emotional und moralisch als strategisch-praktisch gesehen und angegangen. Diese Gruppe ist sehr skeptisch gegenüber
technischem Fortschritt eingestellt. Im Gegensatz dazu steht die Gruppe der „technisch-praktisch Umweltorientierten“, die Umweltschutz und Energiesparen als wichtige gesellschaftspolitische Ziele betrachten und offen gegenüber modernen Technologien bzw. technischen Lösungen sind. Dieses Segment ist sehr praktisch veranlagt und
sieht zahlreiche Möglichkeiten, eigene Beiträge zum Umweltschutz zu liefern. Für die
dritte Gruppe der „wirtschaftlich Erfolgsorientierten“ haben Umweltschutz und Energiesparen einen geringeren Stellenwert. Sie sind vor allem an der Familie und dem
beruflichen Erfolg interessiert. Ökologische Angebote wie das Niedrigenergiehaus
beurteilen sie vorrangig im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit und die finanzielle Belastung. Im Nachhaltigkeits-Marketing gilt es, den unterschiedlichen sozialökologischen Kundenbedürfnissen aufzuspüren und in der konkreten Umsetzung
Rechnung zu tragen.
Die kommerziell orientierten Eigentümer, die einen Anteil von ca. 60% am gesamten
Wohnungsbaumarkt haben, sind beim Häuserbau vor allen Dingen an einer sicheren
Geldanlage und der Wertsteigerung interessiert (Bächi 2000, S. 33-34). Dabei handelt
es sich um so unterschiedliche Gruppen wie Privatpersonen, institutionelle Anleger
sowie Bau- und Immobiliengenossenschaften. Für sie sind der Tauschwert und die
Marktfähigkeit der Wohnung, d.h. die Miete, zentral. Anstatt Einfamilienhäuser bevorzugen sie in der Regel Mehrfamilienhäuser, die eine größere Rendite versprechen.
Bei institutionellen Anlegern dürfen im Gegensatz zu den Privatpersonen gute Baukenntnisse vorausgesetzt werden.
Gemeinnützig orientierte Eigentümer wie Wohnungsbaugenossenschaften, die öffentliche Hand, Stiftungen und Vereine haben einen Anteil von rund 10% am schweizerischen Wohnungsbaumarkt. Für sie steht die Gemeinnützigkeit im Vordergrund. Wohnungsbaugenossenschaften nehmen eine Doppelrolle ein: Einerseits sind sie Nachfrager nach Leistungen am Wohnungsbaumarkt, andererseits Anbieter von Leistungen am
Mietwohnungsmarkt (ebd., S. 35). Wohnungsbaugenossenschaften stellen vorwiegend
günstige Mietwohnungen für sozial Schwächere in städtischen Agglomerationsgebieten zur Verfügung. Ein gutes Beispiel ist die Baugenossenschaft Milchbuck (bgm), die
rund 1000 Wohnungen im Großraum Zürich verwaltet und vermietet (bgm 2002). Die
Unternehmenspolitik der bgm orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. In den
Unternehmensgrundsätzen heißt es (bgm 1997): „Wir agieren: ökologisch bewusst,
sozial verantwortlich, ökonomisch erfolgreich.“ Ökologisch bewusst heißt für die bgm
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
127
vor der Beschaffung bereits an die Entsorgung zu denken, ökologische Baumaterialien
einzusetzen und auf Alternativenergien umzusteigen (z.B. Sonnenkollektoren, Holzschnitzel, Fernwärme). Die soziale Verantwortung wird in der Form wahrgenommen,
dass der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit auf familien- und kinderfreundlichen
Wohnungen liegt, dass preisgünstige Alterswohnungen erhalten bzw. erweitert werden
und dass überbaute Wohnungen rollstuhlgängig gemacht werden. Der ökonomische
Erfolg bemisst sich in der Vermeidung jeglichen Leerwohnungsbestandes, der dauerhaften Wertsicherung des Vermögens und der überdurchschnittlichen Verzinsung des
Anteilscheinkapitals. Mit diesen Zielsetzungen leistet die bgm substantielle Beiträge
zur Reduktion der sozial-ökologischen Schadschöpfung und gibt als Nachfrager von
Bauleistungen wichtige Impulse für die vorgelagerten Stufen, d.h. für die Bauunternehmen und Baumaterialhersteller.
3 Nachhaltigkeits-Marketing von Unternehmen in der Baubranche
Normative Ebene
Nachhaltigkeits-Marketing orientiert sich am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung,
welche die Bedürfnisse der heutigen Generation auf eine Art und Weise befriedigen
will, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können (Hauff
1987). Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen Ökonomie, Ökologie und
Soziales (sog. „Drei-Säulen-Modell“), die von Unternehmen verantwortungsvoll integriert werden müssen (Dyllick/Hockerts 2002, S. 130-141). Die integrierte Betrachtung
von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten erhöht die Anforderungen im
Produkt- und Leistungsbereich (Kirchgeorg 2001, S. 3-4). Dabei geht es nicht um die
einmalige Aussöhnung der Trias, sondern vielmehr um ein permanentes Abwägen vor
dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen. Die Verankerung der Nachhaltigkeit in Unternehmensleitbildern und -grundsätzen erleichtert diese anspruchsvolle Aufgabe und gibt normative Orientierungen für das Management und die Mitarbeiter (Beitrag Belz). Ein exemplarisches Beispiel für die Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens im Unternehmensleitbild ist die Ernst Schweizer AG, die mit knapp
500 Mitarbeitern und einem Umsatz von 72 Mio. Euro im Jahr 2003 eines der größten
Metallbauunternehmen der Schweiz ist (Ernst Schweizer AG Metallbau 2004, S. 2).
Sie bietet Lösungen für den Neubau und die Instandhaltung und Modernisierung von
Wohn- und Bürohäusern an und ist in den Bereichen Fassaden, Fenster, Metallbau und
Sonnenenergie tätig. Das Nachhaltigkeits-Leitbild der Ernst Schweizer AG Metallbau
besteht aus vier Eckpfeilern (Abb. 1).
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Kundenorientierung
MitarbeiterInnen
Gesellschaft
Schweizer
Umwelt
Wirtschaftlichkeit
Abbildung 1: Nachhaltigkeits-Leitbild der Ernst Schweizer AG Metallbau
(Quelle: Ernst Schweizer AG Metallbau 2004, S. 4)
An erster und oberster Stelle des Leitbilds steht die Kundenorientierung. Zentrale Erfolgsfaktoren sind innovative Lösungen, die den Bedürfnissen der Kunden entsprechen, und Zuverlässigkeit im Hinblick auf Qualität und Zeit, der im Laufe eines Bauprojektes sehr große Bedeutung zukommt. Durch kundenorientiertes Verhalten und
aktive Kommunikation werden langfristige Kundenbeziehungen geschaffen. In dem
zweiten Punkt kommt die Mitarbeiter- und Gesellschaftsorientierung zum Ausdruck.
Die Ernst Schweizer AG Metallbau reduziert ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
nicht auf die Rolle als Arbeitskräfte, sondern sieht sie im umfassenden Sinn als Menschen. Sie informiert offen über die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Geschäftstätigkeit, setzt sich für korrektes, ehrliches Geschäftsverhalten ein
und unterstützt eine gerechte Gesellschaftsentwicklung. Damit wird auch die gesellschaftspolitische Mitverantwortung angesprochen, welche die Unternehmungsleitung
und die Führungskräfte der Unternehmung aktiv wahrnehmen. In Verbänden und
Gremien setzen sie sich für soziale und ökologische Anliegen ein. Neben der Qualität
und der Zuverlässigkeit ist die Umweltorientierung ein weiterer Erfolgsfaktor der
Ernst Schweizer AG Metallbau. Sie achtet auf eine geringere Umweltbelastung entlang des gesamten Lebenszyklus der Produkte von der Rohstoffgewinnung über die
Herstellung, Montage und Anwendung bis zum Recycling und zur Entsorgung. Einen
besonderen Umweltbeitrag leistet die Ernst Schweizer AG durch ihre Produkte zur
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
129
Energieeinsparung und Sonnenenergienutzung. Die Wirtschaftlichkeit und der Erfolg
als vierter Eckpunkt ist nicht ein Wert per se, sondern dient der Werterhaltung und
Weiterentwicklung der Unternehmung, dem Mitarbeiterbonus und der Dividende. Eine
ausreichende Eigenkapitalfinanzierung ist notwendig, um die Selbständigkeit als Familienunternehmen auf Dauer zu bewahren (Ernst Schweizer AG Metallbau 2004).
Elemente der Nachhaltigkeit finden sich auch in der Unternehmensphilosophie der
Renggli AG, einem Familienunternehmen, welches 1923 in Schötz (Luzern) gegründet
wurde. Mit einer Reihe von Innovationen gehört die Renggli AG zu den führenden
Holzbauunternehmen der Schweiz: 1995 wurde ein neues Werk für industrielle Fertigung von Holzbauelementen eingeweiht, 1998 wurden die ersten Minergiehäuser der
Schweiz erstellt und 1999 die erste Passivhaus-Siedlung der Schweiz. Zahlreiche Auszeichnungen belegen die innovativen Leistungen im Bereich des nachhaltigen Bauens.
Die Unternehmensphilosophie lautet „Das Ziel heißt Zukunft“: „Das Empfinden für
Schönheit ist individuell. Stil ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Die Bauten von
Renggli setzen Ihre Wünsche an den Wohnkomfort der Zukunft schon heute um. Bei
uns stehen Sie im Mittelpunkt. Das ständige Streben nach Verbesserungen hat zu neuen Dimensionen in der Produktionstechnologie geführt. Die Renggli Produktionstechnologie ist führend, nachhaltiges Bauen und der Einsatz von umweltschonenden Materialien ist selbstverständlich. Der Rohstoff Holz vermittelt hohen Wohnkomfort und
ein angenehmes Wohnklima. Holz ist der einzige nachwachsende Baustoff – ein intelligentes, natürliches Hightech Material. Nutzen wir die Gelegenheit!“ Im ersten Teil
der Philosophie kommt die Kunden-, Zukunfts- und Qualitätsorientierung der Unternehmung zum Ausdruck. Im zweiten Teil wird die Bedeutung des Holzes als ein Element nachhaltigen Bauens hervorgehoben und in Verbindung mit den Wünschen der
Kunden nach hohem Wohnkomfort und angenehmem Wohnklima gebracht (Renggli
AG 2005).
In beiden Fällen handelt es sich um mittelständische Familienunternehmen, die tragende Säulen der schweizerischen Wirtschaft darstellen und nicht lediglich auf das
nächste Quartal fixiert, sondern langfristig orientiert sind. Viele solcher Familienunternehmen empfinden eine besondere ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung, die in den Leitbildern zum Ausdruck kommt. Durch ein hohes Maß an Eigenkapitalfinanzierung bewahren sie sich die Selbständigkeit. Anders sieht es bei großen Bau-/Generalunternehmen aus, die an der Börse kotiert und in besonderem Maß
gegenüber Fremdkapitalgebern verpflichtet sind. Ein solches Beispiel wäre die Allreal
Holding, die im Bau- und Immobilienmarkt tätig ist. Ihr Motto lautet: „Allreal schafft
Werte“. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dabei kein umfassender Wert-
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Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
begriff im Sinne der Nachhaltigkeit zugrunde gelegt wird, sondern dass Unternehmenswert und Shareholdervalue sehr stark im Vordergrund stehen.
Damit die Leitbilder handlungsleitende Wirkung entfalten, ist die Erweiterung der
Marketingziele um ökologische und soziale Kriterien sinnvoll. So könnte sich ein
Bau-/Generalunternehmen etwa zum Ziel setzen, den Anteil an energieeffizienten
Häusern zukünftig zu steigern. Doch wie verhalten sich die ökologischen und sozialen
Zielsetzungen zu den ökonomischen? Sind die Zielbeziehungen komplementär, konkurrierend oder indifferent? Diese Fragen lassen sich kaum allgemein beantworten,
sondern allenfalls in Abhängigkeit von der jeweiligen Unternehmung und Situation.
So bekommt man bspw. aus den Interviews mit diversen Branchenvertretern den Eindruck, dass Holzbauunternehmen trotz der angespannten Wirtschaftslage größere
Handlungsspielräume zur Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie sehen als Massivbauunternehmen. Liegt das in der „Natur der Sache“, sprich in dem regenerierbaren
Rohstoff Holz, oder sind die Holzbauunternehmen generell agiler als Massivbauunternehmen?
Strategische Ebene
Wie eingangs dargestellt, ist der schweizerische Baumarkt durch ein stagnierendes bis
rückläufiges Volumen gekennzeichnet. Die Stagnation bzw. der Rückgang des Gesamtvolumens sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Teilsegmente im
schweizerischen Baumarkt gibt, die im Wachsen begriffen sind. Seit den 1980er Jahren sind Instandhaltung bzw. Modernisierung am gesamten Wohnungsbauvolumen in
der Schweiz kontinuierlich von 19% auf 25% gestiegen. Dieses Teilsegment weist
wirtschaftliches Wachstum auf, erweist sich gegenüber dem Neubau als ökologisch
vorteilhaft und kann bei bedürfnisgerechtem Umbau einen sozialen Mehrwert generieren (z.B. betreutes, altersgerechtes Wohnen). Für Unternehmen der schweizerischen
Baubranche, die den Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing verfolgen, ist es wichtig,
sich als führender Anbieter in einem solchen Teilsegment klar zu positionieren. Eine
solche Positionierung weist bspw. die Batimo AG Bau und Energie auf, ein Architektur- und Planungsbüro, welches 1987 gegründet worden ist und sich ausschließlich auf
die Planung und Realisierung von Bauerneuerungsprojekten fokussiert (Batimo 2005).
Beim Umbau spielen aus der Sicht der Batimo AG Nutzungsanforderungen und deren
Veränderung, Substanzerhaltung und Erneuerung, Verbesserung und Optimierung der
funktionalen und räumlichen Qualität eine wesentliche Rolle. Neben rein ökonomischen Kriterien werden auch soziale und ökologische Aspekte in den Bauerneuerungsprojekten berücksichtigt, so z.B. in der Modernisierung eines Mehrfamilienhauses im
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
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Kanton Aargau, die energetisch als mustergültig gilt (Bürgi/Raaflaub 1998, S. 16-19;
Belz 2001, S. 124-125).
Ein wachsendes Teilsegment im Neubau sind energieeffiziente Wohn- und Bürogebäude, worunter Niedrigenergie- und Passivhäuser subsummiert werden können. Erstere weisen einen Energieverbrauch von 30-70 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche
und Jahr auf, während letztere bei etwa 10-15 kWh liegen. Beiden ist gemeinsam, dass
sie sehr gut gedämmt sind, Fenster mit Dreifachverglasung und kontrollierte Lüftungssysteme haben. Passivhäuser verzichten auf ein aktives Heizsystem und nutzen die
Energie der Sonneneinstrahlung, der Körperwärme und der Elektrogeräte, die im
Haushalt verwendet werden. In der Schweiz können energieeffiziente Häuser mit dem
Minergie-Label ausgezeichnet werden, was für ein Minimum an Energie steht. Das
Minergie-P-Label kennzeichnet Passivhäuser, das Minergie-Label Niedrigenergiehäuser (Verein Minergie 2004, S. 4-6; Verein Minergie 2005). Das Architekturbüro Donat
Kamber mit Sitz in Basel, welches 1986 gegründet worden ist, fokussiert sich ausschließlich auf energieeffiziente und nachhaltige Architektur. Alle Neu- und Umbauten werden gemäß Niedrigenergie- oder Passivhaus-Standard verwirklicht (Donat
Kamber Architekt 2005). In der Realisierung arbeitet das Architekturbüro eng mit der
Renggli AG zusammen, dem führenden Hersteller von ökologischen, industriell vorgefertigten Holz-Systembauten in der Schweiz. Durch die langjährige Erfahrung und die
intensive Zusammenarbeit können nicht nur energie-, sondern auch kosteneffiziente
Lösungen realisiert werden. Durch die strategische Kooperation zwischen dem Architekturbüro und der Bau-/Generalunternehmung entsteht eine Situation, die beiden
Partnern zugute kommt und Mehrwert für die Bauherren stiftet. Die oben angeführten
Unternehmen konzentrieren sich bewusst auf (nachhaltige) Nischen bzw. Segmente
anstatt den gesamten Markt zu bedienen. Sie verfolgen eine sog. Nischenstrategie.
Damit gehen Vor- und Nachteile einher: Ein Vorteil besteht darin, dass sie Kunden
besser oder kostengünstiger bedienen können. Ein Nachteil ist in der hohen Abhängigkeit von einem Produkt- bzw. Marktsegment zu sehen.
Um vom Wachstum der (nachhaltigen) Segmente zu profitieren und nicht ein zu großes Risiko einzugehen, bietet es sich für etablierte Unternehmen an, eine neue strategische Geschäftssparte oder -einheit zu gründen, die zwar auf die Ressourcen der Gesamtunternehmung zurückgreifen kann, aber eigenständig mit Gewinnverantwortung
in den neu entstehenden Marktsegmenten agiert. Ein Beispiel hierfür ist die Kästli AG
Bauunternehmung, die mit rund 200 Mitarbeitern vor allem im Erd-, Tief-, Straßenund Belagsbau tätig ist. Die Kästli AG hat die Ecksteine der Nachhaltigkeit („wirtschaftlich – gesellschaftlich – ökologisch“) im Leitbild verankert. Die Umsetzung wird
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durch ein integriertes Managementsystem sichergestellt, welches gemäß ISO 9001 und
ISO 14001 inklusive Arbeitssicherheit zertifiziert ist. Im Jahr 2002 hat die Kästli AG
eine neue Geschäftssparte etabliert, die sich am gesamten Bauzyklus (Planung, Erstellung, Nutzung, Unterhalt, Rückbau, Verwertung) ausrichtet. Die Sparte „Umweltbau“
bietet ihren Kunden Leistungen wie Umweltbauberatung, Coaching, Bauvorbereitung
und -erstellung, die phasenübergreifend sind (Kästli AG Bauunternehmung 2005). Ein
weiteres Beispiel ist die Ernst Schweizer AG Metallbau, welche oben mit dem Unternehmensleitbild bereits vorgestellt worden ist. Die Produktpalette der Ernst Schweizer
AG Metallbau umfasst neben Fassaden, Fenstern und Metallbau auch Sonnenergie
(Sonnenkollektoren, Solarkompaktanlagen, Transparente Wärmedämmung). Der
Kerngedanke der Produkte besteht in der passiven und aktiven Sonnenenergienutzung.
Nach Ansicht der Ernst Schweizer AG Metallbau werden Fassaden zukünftig vermehrt
die Rolle von aktiven Energielieferanten übernehmen. Die Geschäftseinheit Sonnenergie wurde bereits Anfang der 1980er Jahre aufgebaut. Trotz großer Anstrengungen und
Investitionen macht die Geschäftseinheit aufgrund der schwierigen Marktbedingungen
auch nach 25 Jahren immer noch einen relativ kleinen Anteil des Gesamtumsatzes aus.
Viele Unternehmen, die ausschließlich auf dieses Segment gesetzt haben, sind in der
Zwischenzeit wieder Konkurs gegangen oder aufgekauft worden. Dessen ungeachtet
hält die Ernst Schweizer AG Metallbau konsequent an der aktiven Sonnenenergienutzung fest und setzt konsequent auf weitere Produkt- und Systeminnovationen (Ernst
Schweizer AG Metallbau 2004, S. 11).
Grundsätzlich stellt sich für die Unternehmen die Frage, in welchem Maß die sozialökologischen Aspekte im Wettbewerb herausgestellt werden sollen: Dienen Ökologie
und Soziales als dominante, gleichberechtigte oder flankierende Profilierungsdimensionen neben Preis, Qualität und Zeit? Eine solche Positionierungsentscheidung ist situativ zu entscheiden und hängt von produkt-, kunden- und wettbewerbsbezogenen
Faktoren ab (Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 280-281). Wie eingangs dargestellt, herrscht
in der Baubranche ein ausgeprägter Preis- und Verdrängungswettbewerb. Die Kosten
und der Preis sind neben Zuverlässigkeit und Termintreue ausschlaggebende Kriterien
für die Vergabe von Aufträgen (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 558). Aufgrund des ausgeprägten Preis- und Zeitwettbewerbs während der letzten 10 Jahre hat die Möglichkeit, sich über Ökologie und Soziales zu profilieren, nach Einschätzung der Experten
eher ab- als zugenommen. Daher ist von der Option einer dominanten Positionierung
abzuraten, die zu einer unnötigen Markt- bzw. Segmentverengung führt. Gemäß Aussagen der Interviewpartner ist die große Mehrheit der Bauherren und Architekten nicht
(von sich aus) sozial-ökologisch aktiv. Für sie stellen sozial-ökologische Aspekte kein
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
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(primäres) Entscheidungskriterium dar. Viele Bauherren und Architekten sind jedoch
sozial-ökologisch sensibilisiert und aktivierbar. Dieser Gruppe der sozial-ökologisch
Aktivierbaren sind herkömmliche und bewährte Nutzenaspekte wie Qualität, Sicherheit, Gesundheit und Ästhetik wichtig. Um sozial-ökologische Produkte und Leistungen für diese Zielgruppe attraktiv zu gestalten, muss es gelingen, Ökologie und Soziales mit herkömmlichen Kaufkriterien sinnvoll zu verknüpfen und dadurch einen Kundenmehrwert zu schaffen, d.h. zum Beispiel Ökologie in Verbindung mit Design, Ästhetik, Wohnkomfort und Werterhaltung, soziale Aspekte in Verbindung mit Lebensqualität und Kostenersparnis zu bringen (Lehmann 2003, S. 33-34). Nachhaltigkeit
kann so bei der Ansprache der sozial-ökologisch Aktivierbaren eine flankierende Profilierungsdimension neben den herkömmlichen Produkteigenschaften darstellen und
dem Kunden zur Steigerung des Selbst- und Fremdachtungsnutzen dienen. In diesem
Fall ergeben sich durchaus gewisse Preisspielräume.
Ein Vergleich ausgewählter Bau-/Generalunternehmen zeigt, dass auch segment- und
größenspezifische Unterschiede bestehen: Holzbauunternehmen können offenbar eher
von der Ökologie als flankierende oder gleichberechtigte Profilierungsdimension Gebrauch machen als Massivbauunternehmen. Dies hängt damit zusammen, dass Holz
ein nachwachsender Rohstoff ist, der von den Bauherren als besonders umwelt- und
gesundheitsverträglich wahrgenommen wird. Beispiele für Holzbauunternehmen, die
sehr innovativ sind und sich erfolgreich mit sozial-ökologischen Aspekten im Wettbewerb profilieren, sind die Blumer-Lehmann AG und die Renggli AG. Ein weiterer Unterschied besteht in der Unternehmensgröße, der Marktabdeckung und der Anteilseignerstruktur. Klein- und mittelständische Unternehmen, die im Familienbesitz sind,
können offenbar eher sozial-ökologische Segmente ansprechen und abdecken als
Großunternehmen, die führend im Gesamtmarkt und an der Börse kotiert sind (z.B.
Allreal).
Operative Ebene
In der Untersuchung wurden die Experten befragt, was sie unter nachhaltigen Produkten und Leistungen verstehen bzw. welche Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Produktgestaltung berücksichtigt werden. Dabei wurden u.a. folgende Aspekte hervorgehoben:
y
Ökologie: Energieeffizienz/-einsparung, Recycling, Verwendung nachwachsender
und natürlicher Rohstoffe, verdichtetes Bauen.
134
Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
y
Soziales: Lebensstil gerechtes Bauen (z.B. Angebote für sozial Benachteiligte, familienfreundliche Bauweise).
y
Ökonomie: Wirtschaftlichkeit der sozialen und ökologischen Bauweise.
Der Expertenspiegel zur nachhaltigen Produktgestaltung zeigt, dass Energieeffizienz
und der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen zwei Leitthemen im schweizerischen
Baumarkt sind. Sie eignen sich zur erfolgreichen Ansprache von potenziellen Bauherren, wie auch die Marktanteile belegen: Im Jahr 2000 wurden in der Schweiz rund
30.000-35.000 Wohnungseinheiten erstellt. Dies bedeutet einen Rückgang von ca.
25% gegenüber dem Jahr 1990. Während der Bausektor insgesamt rückläufig ist,
konnte der Holzbau einen deutlichen Anstieg während der 1990er Jahre verzeichnen.
Im Neubau liegen die Anteile von Holz mittlerweile bei knapp 20% und im Umbau bei
rund 10% (Holzmarktbericht des Waldwirtschaftsverbandes St. Gallen 2003). Auch
die Anteile von energieeffizienten Häusern haben im Neubau während der letzten Jahre zugenommen. Im Jahr 2003 wurden über 750 Neubauten mit dem Minergie-Label
ausgezeichnet, was einem Marktanteil von rund 13% entspricht (Verein Minergie
2004, S. 5). Niedrigenergiehäuser (Minergie) weisen einen Energieverbrauch von
max. 45 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr auf, während Passivhäuser (Minergie-P) weniger als 15 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr verbrauchen.
Minergie-Häuser werden ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien gerecht:
Sie weisen einen niedrigeren Energieverbrauch während der Nutzungsphase auf, verursachen weniger Heizkosten und steigern den Wohnkomfort aufgrund des angenehmen Raumluftklimas (Belz/Egger 2001, S. 3-14). Die Erfüllung des MinergieStandards ist in der Schweiz keine gesetzliche Pflicht, sondern beruht auf Freiwilligkeit. Warum weisen Minergie-Häuser keine höheren Anteile im Baumarkt auf? Worin
bestehen die zentralen Kaufbarrieren?
Eine zentrale Barriere für die Diffusion von energieeffizienten Häusern ist der höhere
Anschaffungspreis, der auf die bessere Dämmung und das kontrollierte Lüftungssystem zurückzuführen ist und bis zu 5-10% gegenüber herkömmlichen Gebäuden betragen kann. Ein solcher Mehrpreis hält viele potenzielle Kunden vom Kauf ab. Insbesondere für selbst nutzende Eigentümer stellt der Hausbau eine hohe finanzielle Belastung dar, die nur wenig Spielraum für zusätzlich anfallende Kosten lässt. Eine zweite
Barriere ist in der Unsicherheit zu sehen, die mit den neuen Technologien verbunden
ist. Vielfach sind die privaten und kommerziellen Bauherren skeptisch im Hinblick auf
die Funktionsweise und Zuverlässigkeit von Niedrigenergie-/Passivhäusern. Wie können diese Barrieren überwunden werden? Welche Instrumente setzen Bauunternehmen
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
135
ein, um Niedrigenergie- und Passivhäuser erfolgreich jenseits von Nischen zu vermarkten?
Eine Möglichkeit zur Überwindung der Preisbarriere besteht in dem Ausnutzen von
Kostensenkungspotenzialen und dem Schaffen von Preisgestaltungsspielräumen. Vielfach ist festzustellen, dass die Pioniere des ökologischen Bauens auch Vorreiter im
Bereich des Kosten sparenden Bauens sind (Belz 2001, S. 114). Um die Mehrkosten,
verursacht durch erhöhte Dämmung, Dreifachverglasungen der Fenster und kontrollierte Lüftung, auszugleichen, sahen sich die Anbieter gezwungen, andere Kostensenkungspotenziale konsequent auszunutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Solche
Kostensenkungspotenziale bestehen zunächst in einem einfachen Grundriss und dem
frühzeitigen Einbezug aller beteiligten Handwerksbetriebe zwecks Verkürzung der
Plan- und Bauzeit. Ein weiteres Kostensenkungspotenzial ist in der Verwendung von
Elementen zu sehen, die auf modernen Produktionsanlagen serienmäßig hergestellt
werden. Insbesondere die führenden schweizerischen Holzbauunternehmen wie die
Renggli AG in Schötz (Luzern) und die Blumer-Lehmann AG in Gossau (St. Gallen)
haben sich während der 1990er Jahre von traditionellen Handwerksbetrieben zu modernen Industrieunternehmen weiterentwickelt. Die Holzbauelemente werden industriell gefertigt. Dadurch werden hohe Qualitätstandards sichergestellt und Kosten gesenkt. Auf der Baustelle vor Ort werden die einzelnen Elemente innerhalb kürzester
Zeit zusammengefügt. Die Renggli AG geht in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter und verfolgt eine Strategie der Massenindividualisierung (mass customization). Sie
bietet ihren Kunden fünf verschiedene Haustypen in drei unterschiedlichen Baustandards (Economy, Minergie oder Passivhaus) und mit verschiedenen Zusatzmodulen an
(Beispiel: Solarkollektoren). Jeder Kunde kann sich – ähnlich wie in der Automobilindustrie – individuell nach seinen Wünschen und Preisvorstellungen bestimmte Haustypen, Baustandards und Zusatzmodule auswählen. Aufgrund der Standardisierung
kann die Renggli AG die Kosten senken und feste Preis- und Terminzusagen machen,
was die Unsicherheit beim Kunden abbaut.
Nimmt man eine gesamthafte Betrachtung der Kosten vor, sind nicht nur der Anschaffungspreis, sondern auch die Verwendungs- und Post-Verwendungskosten zu berücksichtigen (Belz 2001, S. 105-109). Die Vorteilhaftigkeit von energieeffizienten Häusern im Vergleich zu herkömmlichen kommt erst durch eine Betrachtung der gesamten
Lebenszykluskosten zum Tragen. Vielfach werden diese bei der Entscheidung für den
Kauf eines Hauses nicht oder nur ungenügend berücksichtigt. Dabei kann es sich insbesondere für Eigentümer, die das Haus selber nutzen, allein aus ökonomischen Gründen schnell bezahlbar machen, in moderne energieeffiziente Häuser und Anlagen wie
136
Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
bspw. solare Warmwasseraufbereitung zu investieren. Marketingaufgabe der Anbieter
ist es, den Kunden auf die Lebenszykluskosten aufmerksam zu machen und die Vorteilhaftigkeit ggf. mittels verschiedener Szenarien aufzuzeigen (nach dem Motto: „Was
wäre, wenn der Preis für Heizöl bis zum Jahr 2010 um 50% oder 100% steigt?“).
Sicherlich ist es in der Kommunikation wichtig, den Investitionscharakter der höheren
Anschaffungskosten und die langfristige Vorteilhaftigkeit von energieeffizienten Häusern zu vermitteln. Es wäre jedoch problematisch, lediglich auf Kostenaspekte und
rationale Argumente abzuheben. Ebenso wichtig, wenn nicht viel wichtiger sind Nutzenaspekte und emotionale Ansprache der potenziellen Bauherren (Beitrag Schrader).
Ein exemplarisches Beispiel hierfür ist das Holzbauunternehmen Blumer-Lehmann,
welches in der Kommunikation insbesondere gegenüber privaten Bauherren, die ihr
Haus selber nutzen, ein Zwei-Ebenen-Konzept von Emotio und Ratio verwendet. In
diesem Segment sind die Vorbehalte gegenüber dem Produkt besonders groß, so dass
auf der ersten Ebene (z.B. mittels Informationsbroschüren) versucht wird, vorwiegend
mit emotionalen Argumenten (wohlige Atmosphäre, modernes Design) „das Eis zu
brechen“ und Interesse zu wecken. Fühlt sich der Kunde angesprochen, dann folgt ein
persönliches Gespräch. Hier wird mittels emotionaler Argumente auf ein vorrangiges
Kundenbedürfnis selbst nutzender Eigentümer – die Erfüllung eigener Wünsche – eingegangen. Zugleich werden auf der zweiten Kommunikationsebene verstärkt rationale
Argumente (Energieeinsparung, Ressourcenschonung, etc.) eingesetzt, für die der
Kunde nach der vorausgegangenen Interessensweckung offener ist. Bei den kommerziell nutzenden Kunden sind die anfänglichen Vorbehalte geringer, so dass von Beginn
an eher rationale Argumente eingesetzt werden (Blumer-Lehmann 2005, BlumerLehmann 2003 o.J.). Herkömmliche Leistungs- und Qualitätskriterien wie Design, Ästhetik und Behaglichkeit werden geschickt mit ökologischen Kriterien (Energieeffizienz, Holz als nachwachsender Rohstoff) zu Motivallianzen verknüpft (Lehmann
2003, S. 33-34). Neben der Kundenkommunikation sind auch Markt- und Mitarbeiterkommunikation sehr wichtig (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 562-563). Als Geschäftsführerin hält Katharina Lehmann jährlich eine Reihe von Fach- und Publikumsvorträgen, in denen sie das Unternehmen, die innovativen Holzprodukte und Dienstleistungen vorstellt. Um das Segment der kommerziell orientierten Nutzer zu erreichen, wird
auf Referenzprojekte und die Zusammenarbeit mit Architekten gesetzt, durch die
kommerziell orientierte Kunden aufmerksam werden. So beteiligte sich BlumerLehmann mit Holzbauten an der Weltausstellung 2000 in Hannover und an der
Schweizer Expo 2002.
Nachhaltigkeits-Marketing in der Baubranche
137
Die Entscheidung für den Bau eines Wohn- oder Bürogebäudes ist mit hohen finanziellen und persönlichen Risiken verbunden. Insbesondere private Bauherren verfügen
über wenig bis keinerlei Erfahrung bezüglich Bauplanung und -erstellung. Daher besteht ein beträchtliches Maß an Unsicherheit. Darüber hinaus bestehen aufgrund der
Langfristigkeit und Komplexität von Bauprojekten Informationsasymmetrien zu Lasten der Nachfrager (Bruhn/Zimmermann 2001, S. 556). Das hohe Maß an Unsicherheit
und Informationsasymmetrien wird durch neue Technologien wie die Niedrigenergie/Passivhausbauweise zusätzlich noch verstärkt. In solchen Situationen verhalten sich
potenzielle Kunden vielfach risikoavers und greifen auf Bewährtes zurück, um das
Risiko zu minimieren. Um energieeffiziente Häuser erfolgreich zu vermarkten, ist es
für den Anbieter unerlässlich, Unsicherheit und Informationsasymmetrien abzubauen.
Dies kann in persönlichen Gesprächen und durch den Aufbau einer Vertrauensbeziehung geschehen. Darüber hinaus ist der Verweis auf langjährige Erfahrung und Referenzprojekte im Bereich energieeffizienter Häuser wichtig. Um die Vertrauenseigenschaften in Quasi-Sucheigenschaften zu überführen, erweist sich auch der Einsatz eines Labels als sinnvoll, welches von einer unabhängigen Organisation vergeben wird.
Ein solches Label ist Minergie bzw. Minergie-P, welches beim Verein Minergie für
Niedrigenergie- und Passivhäuser beantragt werden kann. Nach der Akkreditierung
und Zertifizierung kann der einzelne Anbieter das Minergie-Label kommunikativ einsetzen. Zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und dem Aufbau eines positiven
Images betreibt der Verein Minergie auch Kommunikation auf der Verbandsebene.
Dabei werden insbesondere herkömmliche Nutzenaspekte wie Wohnkomfort, Lebensqualität und Werterhalt der Liegenschaften neben der Energieeffizienz hervorgehoben.
4 Zusammenfassung
Nachhaltigkeits-Marketing ist ein konstruktiver Ansatz, um den destruktiven Markttendenzen in der schweizerischen Baubranche entgegenzuwirken. NachhaltigkeitsMarketing generiert Kundenmehrwert durch Ökologie und Soziales. Die vorliegende
Studie zeigt, dass diese Möglichkeit zur Profilierung am Markt noch zu wenig genutzt
wird, obwohl durchaus eine Schnittmenge zwischen sozial-ökologischen Problemen
und individuellen Kundenbedürfnissen besteht. Im Hinblick auf das NachhaltigkeitsMarketing kommt den Holzbauunternehmen eine Vorreiterrolle zu, der sich nicht nur
auf den Einsatz regenerativer Roh- bzw. Baustoffe begründet. Generell verstehen es
insbesondere klein- und mittelständische Pionierunternehmen, sozial-ökologische Aspekte in der Kommunikation geschickt mit herkömmlichen Kaufkriterien wie Ästhetik,
Design, Komfort, Gesundheit, Umwelt und Zukunftsorientierung zu Motivallianzen zu
138
Frank-Martin Belz/Katharina Sammer/Rita Pant
verbinden. Dadurch sprechen sie nicht nur die kleine Gruppe der sozial-ökologisch
aktiven Bauherren an, sondern auch die größere Gruppe der sozial-ökologisch aktivierbaren Bauherren. Anstatt einseitig den Preis in den Vordergrund zu stellen, heben
sie verstärkt die Nutzenaspekte hervor. Um Kosten einzusparen und Preisspielräume
zu vergrößern, verfolgen sie Ansätze der Massenindividualisierung, d.h. sie bieten
Konzepthäuser mit frei wählbaren Energiestandards (z.B. Niedrigenergiehaus, Passivhaus) und Zusatzmodulen an (z.B. Gesundheit, Feng Shui). Für schweizerische Bauund Generalunternehmen gilt es angesichts des sich verstärkenden Preis- und Verdrängungswettbewerbs vermehrt zu prüfen, ob der Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing
nicht auch für sie erfolgversprechend sein kann. Bei der Konzeptionalisierung sind die
verschiedenen Ebenen des Nachhaltigkeits-Marketing zu berücksichtigen (normative,
strategische und operative), damit der Ansatz Stoßkraft entfalten kann und auf Dauer
glaubwürdig ist.
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Strom hat keine Vitamine. Kritische Anmerkungen
zur Vermarktung von Ökostrom1
Michael Bilharz
1 Ökostrom-Angebote: Ein neuer Markt entsteht
Die Liberalisierung der Strommärkte in vielen Ländern hat Strom zu einem Produkt
werden lassen, das beworben werden muss. Sie hat gleichzeitig Hoffnungen genährt,
dass Ökostrom zu einem Produkt werden könnte, das nachgefragt wird. Viele Umweltverbände sehen deshalb in der neu entstandenen Wahlmöglichkeit die Chance einer „Abstimmung mit den Füßen“ zugunsten einer umweltfreundlicheren Stromversorgung. Unternehmen sprechen in diesem Zusammenhang von einer neuen „Spielführer-Rolle für den Kunden“ (Süss 2000, S. 68). Für etablierte und neue Stromhändler
ergibt sich hierdurch ein Differenzierungspotenzial „zum gewinnorientierten regenerativen Marktauftritt“ (ebd., S. 70). Dem professionellen Marketing wird für eine erfolgreiche Markterschließung durch Ökostrom-Produkte gemeinhin eine Schlüsselrolle
zugewiesen, um von der Öko-Nische zum ökologischen Massenmarkt zu gelangen
(Wüstenhagen 2000). Mit Blick auf die weitere Marktentwicklung stellen sich u.a. folgende Fragen:
1. Wird der Markt für Ökostrom zukünftig ein ähnliches Wachstum aufweisen wie
bspw. Bioprodukte im Lebensmittelbereich? Lassen sich daraus im Analogieschluss Handlungsempfehlungen für Unternehmen ableiten?
2. Welche Bedeutung kommt bei der Entwicklung des Ökostrom-Marktes der Angebotsseite zu? Was sind die zentralen Erfolgsfaktoren für ein Marktpotenzial jenseits
der Nische? Welche Konsequenzen beinhaltet dies für ein NachhaltigkeitsMarketing für Ökostrom?
Im folgenden Beitrag werden diese beiden Fragenkomplexe unter der Perspektive des
Nachhaltigkeits-Marketing (Beitrag Belz) eingehend diskutiert. NachhaltigkeitsMarketing unterscheidet sich vom Öko-Marketing dadurch, dass soziale Aspekte neben ökonomischen und ökologischen explizit bei Marketingentscheidungen Berücksichtigung finden.
142
Michael Bilharz
Zuerst werden im Sinne des Nachhaltigkeits-Marketing die sozial-ökologischen Problemlagen und die Kundenbedürfnisse im Stromsektor analysiert, um Aussagen über
ihre (potenzielle) Schnittmenge treffen zu können. Anschließend wird auf der Ebene
des Marketing-Mix der Frage nachgegangen, ob der Ökostrom-Markt mit dem BioLebensmittelmarkt vergleichbar ist. Dieser wird deshalb als Vergleichsmaßstab gewählt, weil er als besonders erfolgreiches Beispiel für ein Nachhaltigkeits-Marketing
jenseits der Öko-Nische gilt (Beitrag Leitner). Der Vergleich liefert erste Hinweise auf
die Bedeutung von Rahmenbedingungen und damit auch auf die Bedeutung von transformativem Marketing (Beitrag Belz) im Ökostrom-Markt. Zur Beantwortung der
zweiten Frage wird deshalb das im Sinne eines „Best Practice“ ausgewählte Fallbeispiel Deutschland im Hinblick auf Angebot und Nachfrage nach Ökostrom analysiert.
Die gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich im letzten Kapitel zusammengefasst
und pointiert in Form von vier Thesen dargestellt.
2 Sozial-ökologische Problemlagen und Kundenbedürfnisse
Es sind zwei grundsätzliche ökologische Problembereiche, die direkt mit der konventionellen, d.h. fossilen und atomaren Stromerzeugung verbunden sind: Die Endlichkeit
der Ressourcen und die Umweltbelastungen durch ihre Umwandlung in Strom. Nicht
nur die Erdölreserven gehen nach heutigem Kenntnisstand im Laufe des 21. Jahrhunderts bei unverändertem Verbrauch zur Neige. Auch beim Uran reicht die statische
Reichweite der weltweit nachgewiesenen Reserven nur noch weniger als 50 Jahre
(BMU 2002c, S. 8). Bei der Stromerzeugung wären insbesondere die CO2-Belastung
(„Treibhauseffekt“) sowie der radioaktive Fallout („Restrisiko“) zu nennen. In Schwellen- und Entwicklungsländern führen unzureichende Filtertechniken nach wie vor zu
gravierenden Versauerungsproblemen („Waldsterben“).
Die Endlichkeit sowie die zentrale Verteilung der Vorkommen auf wenige Regionen
hat aber auch zwei bedeutsame gesellschaftspolitische Aspekte. Zum einen besteht die
Gefahr von kurzfristig stark ansteigenden Energiepreisen aufgrund von Verknappung
mit den bekannten negativen wirtschafts-, insbesondere arbeitsmarktpolitischen Folgen. Zum anderen führt die zentrale Verteilung zu geopolitischen Krisenherden mit
dauernder Kriegsgefahr wie dies seit etlichen Jahren im Nahen Osten zu beobachten
ist. Die Ereignisse des 11. Septembers 2001 haben ein weiteres Problemfeld offenbart:
Gas- und Ölpipelines, aber auch AKWs stellen ein mögliches Ziel für terroristische
Angriffe dar. Die gezielte Herbeiführung eines Super-GAUs und damit die Kontaminierung einer großen Zahl von Menschen mit radioaktivem Fallout rückt damit in den
Bereich des Möglichen (Stollberger 2004). Die zentrale Energieerzeugungsstruktur
Strom hat keine Vitamine
143
führt zusätzlich im Falle eines Strukturwandels zu wirtschaftspolitischen und sozialen
Problemgebieten (vgl. z.B. die Kohleabbauregionen in Deutschland).
Die Förderung bzw. der Ausbau erneuerbarer Energien ist – neben Energiesparen
durch Effizienz und Suffizienz – eine allgemein anerkannte und geförderte Strategie,
um die hier nur kurz skizzierten ökologischen und sozialen Probleme zu reduzieren.
Sie sind erneuerbar, erzeugen CO2-freien bzw. CO2-neutralen Strom und reduzieren
gesundheitliche sowie gesellschaftspolitische Gefahrenquellen. Durch regionale Wertschöpfung tragen erneuerbare Energien aufgrund ihrer in der Regel dezentralen Erzeugungsstruktur zum Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen bei. Die Bundesregierung
geht von mittlerweile ca. 130.000 Arbeitsplätzen im Bereich der neuen erneuerbaren
Energien aus (BMU 2003, S. 20).
Im Hinblick auf die Kundenbedürfnisse kann man feststellen, dass die Zustimmungswerte für erneuerbare Energien beachtlich sind. In einer zwischen 1984 und 2003 regelmäßig durchgeführten repräsentativen Studie für Deutschland spiegelt sich dies wider (Abb. 1): Rund die Hälfte der Bevölkerung erwartet von der Solarenergie einen
wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung in den nächsten 20-30 Jahren. Die diesbezüglichen Erwartungen an die Kernenergie sinken in der Tendenz seit 1987 und
wurden 2003 erstmalig von den Erwartungen an die Windenergie übertroffen. Diese
Entwicklung läuft parallel zum in Deutschland realisierten Ausbau der Windenergie.
Anteil in Prozent (Deutschland-West)
Frage: Welche Energieträger werden in den nächsten 20, 30 Jahren
den grössten Beitrag zur Energieversorgung leisten?
80
70
68
70
60
61
60
58
50
40
53
48
40
17
52
46
42
42
30
20
50
16
34
35
1991
1999
Kernenergie
Sonnenenergie
Windenergie
24
10
0
1984
1987
1989
2003
Abbildung 1: Wandel der öffentlichen Meinung zur Bedeutung einzelner Energieträger
(Quelle: Allensbach 2003, S. 10).
144
Michael Bilharz
Für die Segmentierung des Marktes ist interessant, dass die Erwartungshaltung um so
höher ist, je jünger die Befragten sind. Außerdem sind auch konservative (72%) und
liberale (63%) Wähler für eine weitere Förderung der erneuerbaren Energien auf mindestens dem aktuellen Niveau (Allensbach 2003, S. 23). Dies ist ein starkes Indiz für
die breite Diffusion der positiven Wertschätzung von erneuerbaren Energien.
Die Bevölkerung findet die Förderung erneuerbarer Energien aber nicht nur „gut“,
sondern ist – im Gegensatz zu Energiesparaktionen – von ihnen regelrecht fasziniert.
Auf einer Faszinationsskala von 0 bis10 rangieren die alternativen Energien mit einem
Wert von 5,0 noch vor Formel 1 Rennen mit 3,7 oder der Fußball-Bundesliga mit 3,3
(IRES 2003). Betrachtet man die allgemeinen hohen Zustimmungswerte für erneuerbare Energien genauer im Hinblick auf das theoretische Marktpotenzial für ÖkostromAngebote, bleiben die Ergebnisse ähnlich. Bei einer repräsentativen Befragung in
Deutschland äußerten 11% der Befragten, dass sie bereits Ökostrom beziehen oder
dies beabsichtigen, und 45% gaben an, dass sie ihn vielleicht beziehen werden. 44%
wollen hingegen explizit keinen Ökostrom kaufen (Kuckartz/Grunenberg 2002, S. 78).
In der erwähnten Befragung von Allensbach waren 21% bereit, mehr für erneuerbare
Energien zu zahlen, 62% waren hierzu nicht bereit und 17% wollten sich nicht festlegen (Allensbach 2003, S. 24-25).
Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die zentralen Voraussetzungen für
ein Nachhaltigkeits-Marketing im Energiebereich gegeben sind. Es existiert ein Produkt (Ökostrom)2, das sowohl die sozial-ökologischen Probleme verringern hilft, als
auch bei Kunden auf breite positive Resonanz stößt.
3 Marktpotenzial analog zu Bio-Lebensmitteln?
Die Vermarktung biologisch angebauter Lebensmittel (kurz: Bio-Lebensmittel) kann
auf eine jahrzehntelange Entwicklung zurückblicken. Sie gilt – insbesondere in der
Schweiz, aber auch in anderen europäischen Ländern – als Beispiel für erfolgreiches
integratives Nachhaltigkeits-Marketing (Beiträge Belz/Ditze und Leitner). Kann die
Vermarktung von Ökostrom auf eine ähnliche Entwicklung hoffen? Ist die Vermarktung der beiden Produktbereiche vergleichbar und damit der Verkaufserfolg von Ökostrom prognostizierbar? Die vergleichende Betrachtung von Bio-Lebensmitteln und
Ökostrom anhand der vier Teilbereiche des Marketing-Mix liefert erste Antworten auf
diese Fragen.
Strom hat keine Vitamine
145
Produkt: Ökostrom ist nicht erfahrbar.
Bio-Lebensmittel sind gegenständliche Produkte, die man kaufen, tragen, lagern und
verzehren kann. Letzteres beinhaltet eine hohe persönliche Betroffenheit. Dies erklärt,
dass für viele Menschen der gesundheitliche Aspekt eine starke Motivation zum Kauf
von Bio-Lebensmitteln darstellt (Schäfer 2002, S. 64). Sie unterscheiden sich sowohl
real als auch in der Wahrnehmung der Kunden von konventionellen Produkten im Geschmack, in den Zutaten und teilweise auch im Aussehen. Während letzteres in den
letzten Jahren als negativ für den Verkaufserfolg betrachtet wird, hatte der „schrumplige“ Apfel oder der „verlauste“ Salat zu Beginn der Öko-Bewegung vermutlich
durchaus eine wichtige vertrauensbildende Funktion. „Bio“ war keine reine Vertrauens-, sondern auch eine Sucheigenschaft. Der Kunde erhält bei Bio-Lebensmitteln einen z.T. sinnlich erfahrbaren Zusatznutzen für sein Geld.
Anders verhält es sich beim Ökostrom. Zu der bei der Vermarktung von nachhaltigen
Produkten üblichen Schwierigkeit, den Sozial- in einen Individualnutzen zu überführen (Kaas 1992, S. 476; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 26), kommt beim Ökostrom erschwerend hinzu, dass Strom erstens nicht sichtbar ist, zweitens der Strom auch ohne
Kaufentscheidungen aus der Steckdose kommt und drittens sich Ökostrom nicht „unvermischt“ zum Kunden „transportieren“ lässt. Er ist zwar ein materielles, aber sehr
abstraktes und aufgrund der Normierung von Spannung und Frequenz ein völlig homogenes Commodity-Gut (Timpe/Fritsche 2000, S. 2). Dies ist insofern ein Problem,
weil Befragungen zeigen, dass Ökostrom-Kunden gerne den Strom genau von der von
ihnen geförderten Anlage beziehen würden (Wortmann et al. 1996, S. 27). Damit hat
Ökostrom gegenüber Bio-Lebensmitteln einen grundsätzlichen Erfahrungsnachteil.
Dieser beinhaltet auch die Kontrollmöglichkeit. Neben dem erwähnten Augenschein
ist – theoretisch – die Kontrolle der Bio-Lebensmittel durch den Kunden denk- bzw.
durchführbar. Er kann direkt auf dem Bauernhof einkaufen oder diesen besichtigen.
Die Kontrolle des Bezugs von Ökostrom ist hingegen ausschließlich in Form der Überprüfung der Buchhaltung möglich. Man kann zwar ein Windrad des ÖkostromHändlers besuchen, aber man kann dort nicht „seinen“ Strom mitnehmen. Das Stromnetz verhindert die Erfahrbarkeit der Kontrolle.
Der Verkauf von Ökostrom ist nichts anderes als ein Versprechen, dass der verbrauchte Strom in dieser Menge (gegebenenfalls auch zur gleichen Zeit) ökologisch erzeugt
wird. Ökostrom ist demnach in viel stärkerem Maße von Vertrauenseigenschaften gekennzeichnet als dies bei Bio-Lebensmitteln der Fall ist, ohne dass er einen Zusatznutzen stiftet. Pointiert ausgedrückt: Strom hat keine Vitamine! Deshalb legen die Pro-
146
Michael Bilharz
dukteigenschaften einen höheren Verkaufserfolg von Bio-Lebensmitteln nahe als von
Ökostrom-Produkten.
Preis: Hohe Preissensibilität ermöglicht nur geringe Preisaufschläge.
Die Abstraktheit eines Produktes ist nicht grundsätzlich ein Verkaufshindernis. Aber
es verringert das Differenzierungspotenzial und erhöht die Preisdominanz. Diese erwartbare Preissensibilität wird verstärkt durch die Tatsache, dass es sich beim Strommarkt primär um einen Business-to-Business-Markt handelt. Nur 28% des Stromverbrauchs wird von den Privathaushalten verbraucht (VDEW 2001, S. 1). Die hohe
Preissensibilität lässt sich empirisch bestätigen (Bird et al. 2002, S. 532). Die billigsten
Ökostrom-Anbieter haben mit Abstand die höchsten Kundenzahlen. Größere Umsatzsteigerungen gibt es nur bei den „Preisbrechern“ (Lichtblick, NaturEnergie und EWS
Schönau). Zwar wird auch das Marktwachstum bei Bio-Lebensmitteln zunehmend von
niedrigeren Verkaufspreisen in Lebensmittelketten gegenüber Bioläden getragen.
Trotzdem werden weiterhin bei Bio-Lebensmitteln Preisaufschläge von teilweise
100% und mehr von den Kunden toleriert. Selbst Premium-Ökostrom-Produkte kommen hingegen meist mit einem Aufschlag von max. 30% aus. Eine mögliche Erklärung
könnte der unterschiedliche Zahlungszeitpunkt und ein unterschiedliches Preisbewusstsein sein. Die Stromrechnung erhält man einmal im Jahr. Anhand des
Verbrauchs von Kilowattstunden lässt sich der Preis einfach mit anderen Anbietern
vergleichen. Bei einem normalen Drei-Personen-Haushalt sind dies bei 30% Aufschlag
rund 180 Euro im Jahr3. Bei Bio-Lebensmitteln werden jedoch im Normalfall keine
„Jahresmehrverbrauchsrechnungen“ gemacht, sondern Kilo- oder Einzelpreise miteinander verglichen. Diese sind absolut betrachtet viel geringer und liegen in der Größenordnung von Cents oder wenigen Euros. Würde man hingegen die Kosten auf das Jahr
umrechnen, würde man feststellen, dass der gezahlte Preisaufschlag vermutlich weit
über dem Preisaufschlag von Ökostrom liegt.
Ein weiterer Aspekt ist die Konkurrenzsituation. Sowohl für den Lebensmittel- als
auch für den Strommarkt gilt, dass ein Produkt um so günstiger angeboten werden
kann, desto weniger ökologische Aspekte berücksichtigt werden (Bsp.: EUZertifizierung versus Demeter-Label). Im Bio-Lebensmittelmarkt werden größtenteils
zertifizierte Produkte vermarktet. Das unterste Preisniveau wird durch das Label mit
den geringsten Anforderungen bestimmt (= EU-Zertifizierung). Beim Ökostrom-Markt
gibt es hingegen (noch) keinen Labelstandard. Da es zudem mit der Großwasserkraft
eine erneuerbare Energie gibt, die erstens im konventionellen Strommarkt konkurrenzfähig und zweitens in einem Umfang vorhanden ist, der ein Vielfaches der Nachfrage
Strom hat keine Vitamine
147
der heutigen Ökostrom-Kunden darstellt4, orientiert sich das unterste am konventionellen Preisniveau. Konsequenterweise werben Ökostrom-Anbieter damit, dass Strom aus
erneuerbaren Energien nicht teuer sein müsste: „Sparen Sie sich Atomstrom. Und sparen Sie dabei Geld“ (Lichtblick 2002). Die Stiftung Warentest überschrieb ihren Ökostrom-Anbieter-Test mit „Grün, gut, günstig“ (Stiftung Warentest 2001). Der günstige
Preis erhöht die potenzielle Kundenzahl bei „grau-grünen“ Anbietern, während er für
Premium-Anbieter die Marktsituation erschwert. Möglicherweise ist beim Ökostrom
auch eine stärkere Staatsorientierung vorhanden, die eine geringere Preisbereitschaft
beim Kunden für individuelle Aufschläge nach sich zieht. So existieren in allen Ländern Förderprogramme, die eine Nachfrage nach teureren erneuerbaren Energien auch
jenseits der Nachfrage von Endverbrauchern garantieren (Kap. 4).
Im Hinblick auf den Preis gibt es demnach ebenfalls grundlegende Unterschiede. Allerdings ist deren Wirkungsrichtung auf das Kundenpotenzial nicht eindeutig. Geringere relative Preisaufschläge legen aber längerfristig ein höheres Kundenpotenzial von
Ökostrom-Produkten nahe. Die Preisentwicklung selbst ist dabei u.a. abhängig von
den Anforderungen und der Akzeptanz eines Ökostrom-Labels.
Kommunikation: Hohe Werbeanstrengungen sind nötig.
Zwei Erklärungsprobleme können im Hinblick auf die Kommunikationsanstrengungen
für Ökostrom unterschieden werden:
y
Wie kommt der Ökostrom zum Kunden?
y
Warum ist Ökostrom besser als konventioneller Strom?
Beim ersten Aspekt liegt der Unterschied zu Bio-Lebensmitteln auf der Hand. Die Gegenständlichkeit von Lebensmitteln ist ein zentraler Kommunikations-Vorteil gegenüber Ökostrom. Beim zweiten Erklärungsaspekt ist es sinnvoll, zwei Ebenen im Hinblick auf die Kundenbedürfnisse zu unterscheiden: „Umweltstandard der Stromlieferung“ und „Förderwirkung“ (Markard/Timpe 2000, S. 204). Im einen Fall genügt es
den Kunden, die individuelle Ökobilanz zu optimieren (Bilharz 2003, S. 31). Dies beinhaltet, dass ihre verbrauchte Strommenge mit erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Da es bereits ein großes Angebot an erneuerbaren Energien jenseits der Nische gibt
(v.a. Großwasserkraft), lassen sich somit ohne Änderungen in der Produktionsstruktur
eine große Anzahl von Kunden mit Ökostrom-Angeboten versorgen, die die Optimierung der individuellen Ökobilanz anstreben. Diesen genügt der Hinweis „Strom aus
erneuerbaren Energien“. Allerdings sind derartige Angebote einem hohen Rechtfertigungsdruck gegenüber Anspruchsgruppen, insbesondere Umweltschutzverbänden,
148
Michael Bilharz
ausgesetzt. Für diese steht ebenso wie für den „global engagierten Kunden“ (Markard/Timpe 2000, S. 204) die Frage der Förderwirkung im Vordergrund: Wäre der
Ökostrom auch ohne ihre Zahlungsbereitschaft produziert worden? Die Ermittlung der
zusätzlichen Förderwirkung ist jedoch bei vielen Ökostrom-Angeboten schwierig und
strittig (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 41). Dieser Aspekt der „zusätzlichen Förderwirkung“ erfordert daher wiederum verstärkte Kommunikationsanstrengungen, die in
dieser Ausprägung im Bio-Lebensmittelbereich nicht notwendig sind. Dort gilt: Je
mehr ökologische Lebensmittel verkauft werden, um so mehr werden produziert und
um so größer ist die ökologische Förderwirkung.
Auch beim gefühlsmäßigen Erfassen haben Bio-Lebensmittel trotz allgemeiner hoher
Zustimmungswerte für erneuerbare Energien möglicherweise Vorteile. Pestizide haben
negative Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere (Schädlinge wie Nützlinge). Was andere Lebewesen tötet, erweckt – verständlicherweise – ein ungutes Gefühl, zumal
wenn die Produkte verzehrt werden und die Gefahr besteht, dass man Pestizidrückstände mitisst. Daneben ist die emotionalisierende Wirkung der Massentierhaltung
bekannt. Der Ökostrom bemüht sich auf einem abstrakteren Niveau um Anerkennung:
Atomare Strahlung und Treibhauseffekt sind unsichtbar und müssen erst „erlebbar“
gemacht werden. Zudem ist die anhaltende Zustimmung zu erneuerbaren Energien mit
zunehmendem Erfolg nicht garantiert. Windräder stören den „freien Blick“, BiomasseKraftwerke produzieren auch Abgase, Wasserkraftwerke müssen den ökologischen
Eingriff in die Gewässer rechtfertigen. Nicht umsonst erhält bisher die Photovoltaik als
emissionsfreie und kleinflächige Erzeugungsanlage die höchsten Zustimmungswerte.
Diese Überlegungen sowie die bisherigen empirischen Ergebnisse zeigen, dass für
Ökostrom sehr hohe Kommunikations-Anstrengungen nötig sind (Beitrag Schrader).
Das seit Jahrzehnten relativ geringe Energiewissen in der Bevölkerung (Borsutzky/Nöldner 1989, S. 30; Dietrich-Damm 1994, S. 119; Gräsel/Bilharz 2002; Allensbach 2003) erleichtert diese Aufgabe nicht. Es macht aber verständlich, dass bisher
fast alle Ökostrom-Anbieter (noch) rote Zahlen schreiben. Der hohe notwendige Werbeaufwand würde eine Vermarktung v.a. über größere Unternehmen nahe legen. Neben der bisher allgemein sehr geringen Wechselbereitschaft in Deutschland (TrendProfile 2002) sprechen auch Aspekte der Distribution gegen diesen Schritt.
Distribution: Gatekeeper mit gegenläufigen Interessen.
Biologische Lebensmittel kann jeder Bauer auf dem Wochenmarkt ohne große Werbeanstrengungen verkaufen. Betrachtet man die historische Entwicklung des Biomarktes,
so war genau dies der Fall (Belz 2004). Beim Ökostrom sind größere Kommunikati-
Strom hat keine Vitamine
149
onsanstrengungen notwendig und die Netzgebundenheit von Strom verhindert einen
Verkauf analog zum Wochenmarkt. Allerdings hat man beim Stromhandel aufgrund
der Netzgebundenheit und der historisch gewachsenen monopolistischen Struktur die
besondere Situation, dass man mit relativ geringem Mehraufwand sämtliche Kunden
erreichen kann. Da fast jeder Energieversorger ein spezielles Ökostrom-Angebot im
Portfolio hat, kann man davon ausgehen, dass die flächendeckende Kundenansprache
zumindest in rudimentärer Form tatsächlich geschieht.
Doch die Netzbetreiber sind im Stromsektor die zentralen Gatekeeper. Aus diesem
Grund wurde 1990/91 in Deutschland das Stromeinspeisungsgesetz (StrEG) verabschiedet, um den Betreibern von erneuerbaren Energieanlagen überhaupt erst die Möglichkeit zu geben, Strom verkaufen zu können (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 14).
Auch nach der Liberalisierung der Strommärkte stellen die – gewollten oder ungewollten – Behinderungen durch die Netzbetreiber sowohl bei konventionellen als auch bei
Ökostrom-Händlern ein zentrales Wettbewerbshindernis dar. Es ist die Logik der dezentralen Energieversorgung, die den ökonomischen Interessen der traditionellen
Stromversorger, die gleichzeitig auch Netzbetreiber sind, grundsätzlich widerspricht.
Neue erneuerbare Energien führen im Normalfall zu einer dezentralen Produktion.
Ausnahmen davon stellen Offshore-Windanlagen und solarthermische Kraftwerke dar.
Die dezentrale Produktion von erneuerbaren Energien geht einher mit einem geringeren Kapitalbedarf pro Kraftwerk, d.h. die Markteintrittsbarrieren sind wesentlich niedriger und die potenzielle Konkurrenz entsprechend größer. Auf die Netzbetreiber
kommen neue Anforderungen aufgrund der durch unterschiedliche Witterungsbedingungen verursachten Angebotsschwankungen (Volatilität) hinzu. Das unternehmerische Interesse an neuen erneuerbaren Energien ist dementsprechend bei den meisten
traditionellen Stromversorgern eher nebensächlich bis negativ. Folgerichtig werden
Projekte in diesem Bereich aus dem Werbeetat finanziert.5
Im Lebensmittelsektor hingegen gilt der Handel als Gatekeeper. Dies hat lange Zeit
ein stärkeres Wachstum im Bio-Sektor verhindert. Inzwischen hat sich dies v.a. in der
Schweiz, aber auch in Deutschland grundlegend gewandelt, weil sich autonome Distributionskanäle als erfolgreich erwiesen und die Gatekeeper-Stellung des konventionellen Handels unterlaufen konnten. Der Handel hat darauf nicht nur mit eigenen BioSortimenten reagiert (z.B. „Füllhorn“ (Rewe), „Naturkind“ (Tengelmann)), sondern
nutzt diese auch proaktiv zur Differenzierung und zur Gewinnsteigerung im Wettbewerb (Beitrag Belz/Ditze und Leitner). Im Gegensatz zum Stromsektor besteht hier
kein grundsätzlicher Interessenskonflikt beim Gatekeeper, da durch das Bio-Sortiment
150
Michael Bilharz
lediglich die Produktvielfalt erhöht wird, aber nicht grundlegend neue Anforderungen
gestellt werden.
Unter der Perspektive der Distribution zeichnet der Vergleich zwar ebenfalls ein ambivalentes Bild. Der grundlegendere Interessenskonflikt bei den Gatekeepern im
Stromsektor legt aber auch hier eine vorsichtigere Marktschätzung als beim Lebensmittelsektor nahe. Dies kann sich ändern, wenn der Interessenskonflikt durch staatliche
Regelungen aufgelöst wird. So erreichten in Holland innerhalb von zwei Jahren Ökostrom-Angebote einen Marktanteil von rund 30% bei Haushaltskunden, weil jene u.a.
von der Ökosteuer befreit wurden und dadurch in etwa auf dem Preisniveau konventioneller Angebote lagen (Sambeek/Thuijl 2003). Damit wird aber die Marktabschätzung und -entwicklung auf eine politische Ebene verlagert und es stellt sich die Frage,
wie Unternehmen im Sinne eines transformativen Marketing hierauf Einfluss üben
können.
4 Ökostrom-Markt: „Anders als andere“
Bio-Lebensmittel und Ökostrom: Der Vergleich hinkt
Sowohl im Lebensmittel- als auch im Strommarkt fallen zentrale soziale und ökologische Probleme auf den Stufen der Rohstoffgewinnung und der Produktion an. Die
Wahrnehmung des Zusatznutzens der Öko-Varianten durch den Kunden ist hingegen
der kritische Faktor für das Marktpotenzial. So fördert der zugeschriebene Gesundheitsnutzen den Absatz von Bio-Lebensmitteln, während der Mangel an vergleichbaren Motivallianzen vermutlich ein wichtiges Hindernis für die Vermarktung von Ökostrom darstellt. Da Ökostrom der direkte Zusatznutzen (mit Ausnahme des guten Gewissens) fehlt, geht der Bezug von Ökostrom nicht über den Status einer „Spende für
erneuerbare Energien“ hinaus. Es ist ein äußerst abstraktes Produkt, das einen hohen
Erklärungsaufwand erfordert. Die bisher auf dem Markt befindlichen Angebote lassen
kein Potenzial für Prestige oder Statuseffekte erkennen (im Gegensatz z.B. zum Besitz
von Photovoltaik-Anlagen; Hübner/Felser 2001, S. 25). Eine Ausnahme könnten hierbei Gewerbekunden sein, die mit dem Bezug von Ökostrom werben können, wie erste
Beispiele in Deutschland (z.B. Rittersport, Deutsche Post) und der Schweiz (z.B.
Swisscom) zeigen. Allerdings dürfte hier ebenfalls der Preis eine zentrale Rolle spielen. Die Unterschiede zu Bio-Lebensmitteln sind demnach zu groß, als dass man aus
deren Marktentwicklung fundierte Rückschlüsse für die Marktentwicklung von Ökostrom ziehen könnte. Es wird deutlich, dass die Vermarktung von Ökostrom vor einer
Strom hat keine Vitamine
151
Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten steht, welche die Unterstützung durch staatliche
Maßnahmen notwendig erscheinen lassen (Wüstenhagen 2000, S. 198).
Angebot größer als die Nachfrage: Dominanz politischer Rahmenbedingungen
Allerdings bezog sich die bisherige Argumentation und die damit einhergehende skeptische Einschätzung des Marktpotenzials auf das Ökostrom-Marketing, d.h. auf den
Verkauf von Ökostrom. Betrachtet man hingegen die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien, lässt sich eine dynamische Marktentwicklung in vielen Ländern
feststellen. Dabei ergibt sich im allgemeinen die scheinbar paradoxe Situation, dass
das Angebot an Strom aus erneuerbaren Energien weit über der Nachfrage nach Ökostrom liegt (Abb. 2). Der Grund liegt in politischen Förderinstrumenten, die die Erzeugung und nicht den Verbrauch von Ökostrom honorieren.
Angebot und Nachfrage
30
25
25
21
Mrd. kWh
20
17,8
15
13,2
10
7,9
6,8
3,7
5
1
1,3
1,6
2,3
Angebot (ohne
Großwasserkraft)
Nachfrage nach
Ökostrom
4,8
2,8
0,1
0,7
1
1,3
1,6
1,7
0
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
Abbildung 2: Angebot von Strom aus neuen erneuerbaren Energien und Nachfrage nach Ökostrom in
Deutschland (Quelle: BMU 2002a, S. 7; VDEW 2004; eigene Berechnungen)
Deutschland hat es auf diese Weise trotz suboptimaler geografischer Voraussetzungen
zum Marktführer hinsichtlich neuer erneuerbarer Energien geschafft. Im Jahr 2003
entfielen innerhalb der EU bspw. rund 50% der neu installierten Leistung an Windenergie auf Deutschland (Bundesverband Windenergie 2004). Von 1991 bis 2003 vervielfachte sich die durch neue erneuerbare Energien erzeugte Strommenge von einer
auf 25 Mrd. kWh (Abb. 2). Damit verdoppelte sich im gleichen Zeitraum der Anteil
aller erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von rund 4% auf 8%. Grund für
152
Michael Bilharz
dieses Wachstum sind die seit 1991 gültigen Mindestvergütungen durch das Stromeinspeisungsgesetz (StrEG) bzw. seit 2000 durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG). Wesentliche Elemente des EEG wurden von verschiedenen Ländern, z.B. den
Nachbarländern Frankreich und Tschechien, übernommen (BMU 2002b, S. 7).
Demgegenüber nehmen sich die Absatzzahlen für Ökostrom relativ gering aus. Im Jahr
2003 lag das Marktvolumen für Ökostrom bei 1,7 Mrd. kWh (Abb. 2) bzw. rund einer
halben Million Kunden (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 37). Hieraus errechnet sich ein
Marktanteil in Höhe von 0,4% bezogen auf den gesamten Stromverbrauch. Dies entspricht in etwa dem durchschnittlichen Marktvolumen im internationalen Vergleich,
welches Bird et al. in ihrer Untersuchung mit kleiner als 1% beziffern (dies. 2002,
S. 534).
An dieser Dominanz des EEG als zentralem Fördermechanismus für erneuerbare Energien wird sich auch bis auf weiteres nichts ändern. Die Gründe hierfür liegen auf
der Hand. Das EEG bietet den Investoren einen Individualnutzen in Form einer (wahrscheinlichen) Kapitalverzinsung. Der Kauf von Ökostrom hat hingegen den Charakter
einer Spende für die Umwelt. Es gilt: „Wer erneuerbare Energien fördern bzw. wer die
Umwelt schützen will, der muss zahlen.“ Die Marktentwicklung beim Verkauf von
Ökostrom hinkt auf diese Weise der Marktentwicklung bei der Erzeugung von Ökostrom dauerhaft hinterher.
5 Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien: Vier Thesen
Die bisherigen Ausführungen lassen sich zusammenfassen als Kritik am Optimismus
in Bezug auf die Vermarktung von Ökostrom. Dieser Optimismus ignoriert die Besonderheiten des Ökostrom-Marktes. Das Marktpotenzial ebenso wie dessen ökologische
Förderwirkungen sind sowohl beim Vergleich mit dem Bio-Lebensmittelmarkt als
auch aufgrund der Analyse der erfolgreichen Marktentwicklung von erneuerbaren Energien in Deutschland eher skeptisch einzuschätzen. „Skeptisch“ heißt aber nicht „überflüssig“. Denn es gibt mehr Gründe zum Optimismus, wenn man die Perspektive
vom Ökostrom-Marketing auf ein umfassenderes Konzept des NachhaltigkeitsMarketing für erneuerbare Energien erweitert (Abb. 3). Dieses fokusiert nicht nur auf
den Verkauf von Ökostrom an Endkunden, wie dies beim Ökostrom-Marketing der
Fall ist (Pfeil 4), sondern stellt den Ausbau erneuerbarer Energien in den Mittelpunkt.
Hierdurch geraten zusätzliche Ansatzpunkte für das Marketing ins Blickfeld (Pfeile 1-5).6 Vier grundlegende Aspekte gilt es hierbei zu berücksichtigen. Diese werden
in Form von vier Thesen abschließend diskutiert.
Strom hat keine Vitamine
153
Fokus des Nachhaltigkeits-Marketing
für erneuerbare Energien
d
Ausbau
erneuerbarer
Energien
e
c
Investor
Produzent
g
Stromhändler
f
Konsument
Fokus des Ökostrom-Marketing
Abbildung 3:
Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien und Ökostrom-Marketing.
These 1: Maßstab für erfolgreiches Nachhaltigkeits-Marketing ist der Ausbau von
erneuerbaren Energien.
Während bei Bio-Lebensmitteln im Laufe der letzten Jahrzehnte im Wechselspiel zwischen Angebot, Nachfrage und staatlichen Maßnahmen ein Markt auch jenseits der
Öko-Nische aufgebaut wurde, war und ist der Ökostrom-Markt sehr stark von staatlichen Förderbedingungen geprägt. Diese Förderbedingungen haben ein Marktwachstum jenseits der Öko-Nische ohne entsprechende Konsumnachfrage bewirkt. Umgekehrt führt die Nachfrage nach Ökostrom nicht automatisch zum Ausbau von erneuerbaren Energien, solange das Angebot größer als die Nachfrage ist. Dies bedeutet, dass
die Gleichsetzung von Kundennachfrage und sozial-ökologischem Fördereffekt, wie
sie im Lebensmittelmarkt grundsätzlich möglich ist, im Ökostrom-Markt keine Gültigkeit besitzt. Primäres Erfolgskriterium eines Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien, welches zur Verringerung der sozial-ökologischen Problemlagen beiträgt,
kann daher nur der ausgelöste Ausbau von erneuerbaren Energien sein. Dabei müssen
sowohl die direkt installierten Kapazitäten als auch die durch das NachhaltigkeitsMarketing indirekt ausgelösten Effekte berücksichtigt werden (z.B. öffentliche Meinungsbildung durch Werbung für erneuerbare Energien).
Aufgrund der für Kunden kaum durchschaubaren Komplexität im Hinblick auf die
Förderwirkung von Ökostrom-Angeboten kommt Labels eine wichtige ordnende
154
Michael Bilharz
Funktion zu. Sie sollten die Komplexität und Varietät für interessierte Kunden handhabbar machen und einen über staatliche Fördermaßnahmen hinausgehenden Umweltnutzen sicher stellen (vgl. z.B. die beiden Labels „ok-power“ sowie „Grüner Strom“ in
Deutschland).
These 2: Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien fokussiert primär auf
die Erzeugung, weniger auf den Konsum von Ökostrom.
Der erfolgreiche Ausbau von erneuerbaren Energien erfolgt bisher über die Förderung
der Erzeugung von Ökostrom (wie z.B. mittels Mindestvergütungen in Deutschland),
nicht jedoch über die Förderung des Bezugs von Ökostrom. Letzteres ist bspw. in Holland ohne nennenswerten Ausbaueffekt geschehen. Zwar führten entsprechende Rahmenbedingungen in Holland (z.B Befreiung von der Ökosteuer) zu einem Marktanteil
von Ökostrom-Angeboten von rund 30% bei Haushaltskunden im Jahr 2002. Der
Strom wurde aber fast ausschließlich aus bestehenden Anlagen im Ausland bezogen
(primär Wasserkraft und Biomasse in Skandinavien), so dass kaum Wachstum bei erneuerbaren Energien vorzuweisen war. Dies führte u.a. zur Wiedereinführung von
Mindestvergütungen, um auch in Holland eine Neubauleistung bei erneuerbaren Energien realisieren zu können (Sambeek/Thuijl 2003).
Erfolgreiches Nachhaltigkeits-Marketing sollte sich deshalb in Theorie und Praxis im
Hinblick auf das Leistungsangebot nicht so sehr auf die Vermarktung des Konsums
von Ökostrom, sondern viel stärker auf die Vermarktung der Erzeugung von Ökostrom
konzentrieren, wie es verschiedene Unternehmen bereits vormachen (Wüstenhagen
2004, S. 25). Dies schließt die Endverbraucher als Zielgruppe nicht aus. Verschiedene
Optionen sind hier denkbar. Als Beispiele seien genannt:
y
Beteiligungen an erneuerbaren Energien in Ländern mit Mindestvergütungen können über Ländergrenzen hinweg vermarktet werden.
y
Ein freiwilliger Aufpreis auf den Strompreis könnte zum Aufbau einer Kapitalbeteiligung an erneuerbaren Energien genutzt werden (im Sinne eines „SolarSparens“ in Analogie zum Bausparen).
y
Neue Formen dezentraler Energieversorgungssysteme (z.B. Brennstoffzellen)
könnten auch von klassischen Stromversorgern erfolgreich vermarktet werden.
y
Je nach Unternehmung können auch andere Aspekte einer nachhaltigen Energieversorgung Teil des Leistungsangebots werden (z.B. erneuerbare Energien im Bereich von Wärmeerzeugung oder Treibstoffen; Dienstleistungen zur Energieeinsparung).
Strom hat keine Vitamine
y
155
Erneuerbare Energien können im Rahmen spezieller Kommunikationsmaßnahmen
eine wichtige Rolle spielen (z.B. Sponsoring von Elektrifizierungsprojekten in
ländlichen Regionen der „Dritten Welt“).
These 3: Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien basiert auf einer konsistenten Ausrichtung aller Marketing-Schritte.
Die hohe Akzeptanz erneuerbarer Energien führt dazu, dass Stromversorger in ihrer
Kommunikationspolitik ihr Engagement zur Förderung erneuerbarer Energien betonen. Da die dezentrale Erzeugungsstruktur jedoch den Interessen etablierter Stromversorger widerspricht (Kap. 3), besteht die Gefahr, dass das Engagement nicht über den
Status eines „grünen Mäntelchens“ hinaus geht oder gar auf transformativer Ebene
konterkariert wird. So wurden und werden in Deutschland die offensichtlich erfolgreichen gesetzlichen Mindestvergütungen (StrEG, EEG) von etablierten Stromversorgern
weder unterstützt noch akzeptiert. Vielmehr klagten und klagen sie aktiv öffentlich
und rechtlich gegen das StrEG und das EEG. Exemplarisch sei auf die abgewiesene
Klage gegen das StrEG vor dem Europäischen Gerichtshof verwiesen sowie auf die
Vielzahl an verunsichernden Formulierungen in Einspeiseverträgen mit Photovoltaikbetreibern (von Fabeck 2001).Vielerorts kam und kommt es auch zu Behinderungen
und Desinformationen privater Anlagenbetreiber durch die Netzbetreiber. Vertreter
von Stromversorgern betonen gewöhnlich die unterstellte Ineffizienz des EEG und die
Unvereinbarkeit des EEG mit einem liberalisierten Markt: „In dieser Zeit [vor der Liberalisierung; M.B.] entstandene Förderkonzepte wie das Stromeinspeisungsgesetz
basierten auf der Überlegung, dass man in einem monopolähnlichen System Förderwege beschreiten könne, die für marktwirtschaftlich operierende Branchen undenkbar
wären“ (Süss 2000, S. 68).
Ökostrom-Marketing kann demnach eine Strategie im Sinne eines Anti- oder PseudoNachhaltigkeits-Marketing sein:
y
Auf strategischer Ebene kann Ökostrom-Marketing auf die Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften gerichtet sein, ohne dass ein realer Beitrag an zusätzlicher
Umweltleistung erbracht oder angestrebt wird. Bei vielen traditionellen Stromversorgern werden dementsprechend Ökostrom-Angebote primär als defensive Marktabsicherungsstrategien eingesetzt (Graehl et al. 2001, S. 225). Dies kann trotzdem
einhergehen mit positiven indirekten Effekten (z.B. durch hohe Werbeausgaben für
erneuerbare Energien; Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 49).
156
y
Michael Bilharz
Auf transformativer Ebene kann Ökostrom-Marketing eingesetzt werden, um offensiv gegen effektivere Rahmenbedingungen zu argumentieren. Motive können
die grundsätzliche Verhinderung eines Marktes für erneuerbare Energien oder die
Verhinderung eines größeren Marktwachstums sein. In beiden Fällen wird aber gegen den Ausbau von erneuerbaren Energien gearbeitet.
Abgesehen davon, dass letztlich nur eine kritische Öffentlichkeit Unternehmen an
Pseudo-Nachhaltigkeits-Marketing hindern kann, besteht ein weiteres Problem in der
Tatsache, dass die Frage nach den „richtigen“ Rahmenbedingungen durchaus kontrovers diskutiert wird. Dies erfordert eine weitere Klärung.
These 4: Nachhaltigkeits-Marketing unterstützt auf transformativer Ebene die erfolgreichsten Strukturen zur Förderung erneuerbarer Energien.
Im Konzept des Nachhaltigkeits-Marketing wird den Rahmenbedingungen sowie der
unternehmerischen Verantwortung zur Gestaltung derselben ein besonderer Stellenwert zugewiesen (Beitrag Belz). Dies geschieht auf der Basis der Idee: Je sozialökologischer die Rahmenbedingungen sind, desto besser sind auch die Marktchancen
für nachhaltige Produkte. Legitimieren lässt sich dies durch Verweis auf die durch sozial-ökologische Probleme verursachten externen Kosten, die von den Marktpreisen
nicht erfasst werden. Unter sozial-ökologischer Perspektive ist es daher ein zentrales
Ziel, diese externen Kosten zu internalisieren. Dies kann durch Unternehmen in einem
ersten Schritt durch die Bildung von Motivallianzen geschehen (Beitrag Belz). In einem weiteren Schritt gilt es, die Internalisierung der externen Kosten durch die Änderung von Rahmenbedingungen zu erreichen, woran sich auch Unternehmen – im positiven wie im negativen Sinne – beteiligen (können) (Schneidewind 1998). Unter dieser
Perspektive sei es daher legitim, dass Unternehmen sich im Sinne eines „wohlverstandenen Eigeninteresses“ für bessere Rahmenbedingungen einsetzen (transformatives
Nachhaltigkeits-Marketing; Beitrag Belz).
Das Beispiel Deutschland hat aber gezeigt, dass das Eigeninteresse von Anbietern von
Ökostrom-Produkten (nämlich der höhere Absatz von Ökostrom) nicht automatisch
zur Verringerung sozial-ökologischer Problemlagen führt. Bei genauerer Betrachtung
lässt sich feststellen, dass Stromversorger eher auf die Vermarktung von ÖkostromProdukten an die Endkunden bzw. auf den „freien Markt“ setzen, während Betreiber
und Herstellerindustrie eher die staatlichen Fördergesetze unterstützen. Eine zentrale
Ursache v.a. in Bezug auf die reinen Ökostrom-Händler liegt darin, dass Mindestvergütungen die Preise für „förderwürdigen Strom“ tendenziell verteuern, da kein Erzeuger seinen Ökostrom unterhalb der Höhe der gesetzlich garantierten Mindestvergütun-
Strom hat keine Vitamine
157
gen verkaufen wird. Die Absatzchancen von Ökostrom werden deshalb durch Mindestvergütungen verringert (Langniss/Markard 1999, S. 276). D.h. aber, dass es im
Eigeninteresse von Ökostrom-Anbietern liegen würde, wenn es keine Mindestvergütungen für erneuerbare Energien gäbe. Mit anderen Worten: Ein langsameres Marktwachstum bei den erneuerbaren Energien wäre für die Ökostrom-Anbieter vorteilhaft.
Dies macht deutlich, dass das „wohlverstandene Eigeninteresse“ auf dem Markt für
erneuerbare Energien nicht homogen ist, sondern dass insbesondere die Interessen von
Stromhändlern und Netzbetreibern auf der einen sowie der Hersteller und Projektierer
auf der anderen Seite divergieren. Der Aufruf zum Einsatz von transformativem Nachhaltigkeits-Marketing muss deshalb in diesem Falle kritisch in Bezug zu der eigentlichen Zielgröße nachhaltiger Entwicklung, nämlich der Verringerung sozialökologischer Probleme hinterfragt werden. Wenn – wie im Falle der erneuerbaren Energien – die Rahmenbedingungen dem strategischen Schnittmengen-Marketing vorauseilen, kann man im Rahmen des Nachhaltigkeits-Marketing das Rad nicht zurückdrehen wollen. Statt für den Erhalt alter, wenig nachhaltiger Strukturen zu kämpfen,
müssen Ökostrom-Unternehmen über ihren eigenen Schatten springen und gegebenenfalls ihr Leistungsangebot an die neuen Strukturen anpassen (Abb. 3). Denn ein Eigeninteresse bei der Vermarktung nachhaltiger Produkte ist nur dann ein „wohlverstandenes“, wenn es zur Verringerung sozial-ökologischer Problemlagen beiträgt. Nachhaltigkeits-Marketing ist demnach ebenso wie das Nachhaltigkeitskonzept insgesamt kein
Konsenskonzept (Brand 1997, S. 12), sondern muss unterschiedliche Interessen aufdecken und berücksichtigen. Mithin eine Herausforderung für Theorie und Praxis!
1
2
3
4
Als Ökostrom wird Strom aus erneuerbaren oder anderen umweltverträglichen Energieträgern bezeichnet. Ökostrom-Marketing betrifft demnach die Vermarktung dieses Stroms an Endkunden
(Wüstenhagen 2004, S. 19). Dabei kann man unterscheiden zwischen „neuen“ (Windkraft, Photovoltaik, Biomasse- und Biogasanlagen) und solchen erneuerbaren Energien, welche schon länger
eingesetzt werden (z.B. größere Wasserkraftanlagen). Der Begriff „neue erneuerbare Energien“
wird hier in diesem Sinne verwendet.
Da es sich beim Begriff Ökostrom um einen geläufigen Fachterminus handelt, wird an diesem Begriff festgehalten und nicht von „nachhaltigem Strom“ gesprochen, auch wenn dieses Produkt einen
Beitrag zur Verringerung ökologischer und sozialer Probleme liefert.
Die Vereinigung der deutschen Elektrizitätswirtschaft geht von durchschnittlichen Kosten in Höhe
von 50 Euro pro Monat für einen Drei-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500
kWh aus (VDEW 2003).
So beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Deutschland ca. 8% und in
der Schweiz sogar ca. 60%. Daraus folgt, dass in Deutschland ca. 25% und in der Schweiz 100%
der Privatkunden bereits heute mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden könnten.
158
5
6
Michael Bilharz
Im Workshop „Nachhaltigkeits-Marketing in der Strombranche: Eine Chance für die Kleinen?" auf
dem 5. St. Galler Forum für Nachhaltigkeits-Management am 25.11.2003 (Belz/Bilharz 2003)
wurde diese Aussage z.B. von Franco Milani, Marketing-Leiter der Rätia Energie, bestätigt. Rätia
Energie ist einer der erfolgreichsten Schweizer Ökostrom-Anbieter.
Durch den Einbezug von Energieeffizienztechnologien und Dienstleistungen zur Energieeinsparung ließe sich das Nachhaltigkeits-Marketing für erneuerbare Energien nochmals zu einem Nachhaltigkeits-Marketing für Energie erweitern. Diese interessante Perspektive würde jedoch den
Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Literaturverzeichnis
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Potenziale, IWÖ-Diskussionsbeitrag Nr. 107, St. Gallen.
Bilharz, M. (2003): Individuelle Ökobilanzen für einen nachhaltigen Konsum: Eine
explorative Studie, IWÖ-Diskussionsbeitrag Nr. 109, St. Gallen.
Bird, L./Wüstenhagen, R./Aabakken, J. (2002): A review of international green power
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http://www.bmu.de/fset1024.php.
BMU – Bundesumweltministerium (2002b): EEG und Biomasseverordnung auf Erfolgskurs – Bundesregierung legt Erfahrungsbericht vor, Download [17.12.02]:
http://www.bmu.de/download/dateien/eeg_erfahrungsbericht_hintergrund.pdf.
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Entwicklung, Berlin.
Borsutzky, D./Nöldner, W. (1989): Psychosoziale Determinanten des Energiesparverhaltens, Regensburg.
Brand, K.-W. (1997): Probleme und Potenziale einer Neubestimmung des Projekts der
Moderne unter dem Leitbild „Nachhaltiger Entwicklung“. Zur Einführung; in:
Ders. (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung. Eine Herausforderung an die Soziologie, Opladen, S. 9-34.
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Die Vermarktung von Bio-Käse, Regional-Spezialität
oder Fair Trade-Kaffee: Eine Analyse der NachhaltigkeitsMarketingansätze Schweizer Lebensmittelproduzenten
Katharina E. Leitner
1 Einführung
Lebensmittelproduzenten sprechen durch Nachhaltigkeits-Marketing zwei Kundengruppen an, den Detailhandel als Absatzmittler und den Endverbraucher. Der Lebensmittelhandel agiert als „Diffusionsagent“ für sozial-ökologische Produkte und Leistungen (Kull 1998, S. 86-91; Hansen/Kull 1996, S. 92-93) und kontrolliert somit die
Schnittstelle zum Endverbraucher (Feige 1996, S. 5-8). Es obliegt seiner Entscheidung, welche sozial-ökologischen Lebensmittelprodukte in den Handelsregalen zu finden sind und wie sie positioniert werden. Die Lebensmittelhersteller versuchen daher
die Sortimentsentscheidungen durch eine handelsgerichtete Absatzförderung zu beeinflussen und die Produkte mittels Push-Strategie durch den Absatzkanal zu „drücken“
(Kotler/Bliemel 2001, S. 920-921). Mit Hilfe einer Pull-Strategie sprechen die Unternehmen den Endverbraucher direkt an und erzeugen eine vom Konsumgütermarkt
ausgehende Sogwirkung. Die Lebensmittelprodukte werden durch Stimulierung der
Nachfrage durch den Distributionskanal „gezogen“.
Die Nachfragemacht des Handels hat durch Konzentrationsprozesse im stagnierenden
Lebensmittelmarkt in den letzten Jahren erheblich zugenommen (Gordon 1998,
S. 102-110; Feige 1996, S. 5-12; Schmidt/Jasper 2001, S. 64-65; Tansey/Worsley
1995, S. 124-125). Sie manifestiert sich in den Preiskonditionen für die Produzenten,
in den Regalgebühren bei der Lancierung neuer Produkte und in der Auslistung von
Artikeln, wenn die Bedingungen des Handels nicht akzeptiert werden (Gordon 1998,
S. 104). Generell haben Industriemarken im Vergleich zu Handelsmarken in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, und „es ist der Industrie in den meisten Fällen nicht
mehr möglich, die eigenen Konzepte durch den Handel hindurch zu steuern“ (Feige
1996, S. 6). Das verschärft den horizontalen Wettbewerb zwischen den Herstellern, die
bei der Vermarktung ihrer Produkte in zunehmendem Maße auf die Sortiments- und
Distributionspolitik des Handels angewiesen sind (Hofer 2001, S. 164-168; Tan-
162
Katharina E. Leitner
sey/Worsley 1995, S. 124-125). In diesem Kontext bietet Nachhaltigkeits-Marketing
den Lebensmittelunternehmen möglicherweise Profilierungspotenzial im stagnierenden Markt und die Stärkung ihrer Verhandlungsposition gegenüber dem Handel.
Die folgende Untersuchung soll anhand von drei Fallstudien aufzeigen, unter welchen
Umständen es kleinen, mittelständischen und multinationalen Schweizer Lebensmittelproduzenten gelingen kann, sich durch Nachhaltigkeits-Marketing zu profilieren
und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Es gilt festzustellen, inwieweit die Größe und
Marktausrichtung der Unternehmen die Gestaltung des Nachhaltigkeits-Marketingansatzes und dessen Erfolgspotenzial bestimmen. In Ahnlehnung an den entscheidungsorientierten Ansatz (Belz 2003, S. 352-355, Beitrag Belz) werden die gewählten
Fallstudien auf drei Ebenen analysiert.
1. Normatives Nachhaltigkeits-Marketing: Formulierung des Leitbilds, der Nachhaltigkeitsgrundsätze und -ziele des Unternehmens
2. Strategisches/operatives Nachhaltigkeits-Marketing: Gestaltung der Nachhaltigkeits-Marketingstrategie und Umsetzung im Nachhaltigkeits-Marketing-Mix
3. Transfomatives Nachhaltigkeits-Marketing: Mitgestaltung sozial-ökologischer Rahmenbedingungen in der Lebensmittelbranche.
Das Nachhaltigkeits-Marketing kleiner Anbieter wird mittels der unternehmerischen
Selbsthilfeorganisation Napfmilch dargestellt. Das Familienunternehmen BAER dient
als Beispiel für mittelständische Lebensmittelproduzenten. Die NachhaltigkeitsMarketingpraxis in multinationalen Unternehmen wird anhand des Lebensmittelkonzerns Nestlé erörtert. Die Wahl fiel auf diese drei Unternehmen, da
y
sie als Öko- bzw. Nachhaltigkeitspioniere in der Lebensmittelindustrie gelten
(SAM 2003; Belz 1995, S. 77-79; Siebenhaar-Ofner 2002, S. 36-37),
y
sie wirtschaftlich erfolgreich sind,
y
sie eine unterschiedliche Größe und Marktausrichtung haben,
y
Dokumentation über ihre Nachhaltigkeits-Marketingansätze erhältlich ist,
y
Entscheidungsträger in den Unternehmen am anwendungsorientierten Forschungsprojekt „Sustainability Marketing Switzerland (SMS)“ interessiert waren und für
Interviews zur Verfügung standen (Anhang).
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
163
2 Fallstudie Napfmilch
Die Napfmilch AG wurde im Jahr 1998 von Kleinbauern aus dem Napfgebiet gegründet (geografische Lage: Luzerner Hinterland bis Emmental). Die Selbsthilfeorganisation führt die Kernkompetenzen der Landwirte der Region in Milchherstellung und
Kräuteranbau zusammen und produziert einen Kräuterfrischkäse, der nahezu die einzige Alternative zu den über 90% importierten Kräuterkäseprodukten darstellt. Das Sortiment von Napfmilch umfasst heute 30 Produkte. Das Unternehmen beschäftigt sechs
Mitarbeiter und erwirtschaftete im Jahr 2002 rund 2,3 Millionen Euro Umsatz.
Normatives Nachhaltigkeits-Marketing
Für Napfmilch ist der ökonomische Erfolg kein Selbstzweck, sondern die Unternehmensentwicklung ist eng mit der nachhaltigen Entwicklung der Napfregion verbunden.
Daher ist ein wichtiger Grundsatz des Unternehmens, vorwiegend Produkte aus dieser
Region zu verwenden und – wenn das nicht möglich ist – Schweizer Produkte.
„Die Napfmilch AG ist bestrebt, ihr Sortiment unter Einbezug der Ressourcen der Napfregion zu
pflegen und auszubauen. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei die Napfregion als Kompetenzzentrum für den Anbau von Kräutern.“ (Napfmilch 2001, S. 15)
Die langfristige ökonomische Entwicklung des Unternehmens dient der Erhöhung der
Wertschöpfung in der Region, und kurzfristige ökonomische Ziele sichern das Überleben der Aktiengesellschaft.
y
„Die Napfmilch AG will dazu beitragen, die bäuerlichen Einkommen in der Napfregion für
die Zukunft zu sichern.
y
Die Napfmilch AG will in der Napfregion Arbeitsplätze schaffen.
y
Die Napfmilch AG ist bestrebt, die Attraktivität der Napfregion als Wirtschaftsgebiet zu
fördern.
y
Die Napfmilch AG verfolgt das Ziel, genügend Gesamtkapitalrendite zu erwirtschaften, um
ihre Zinsen und Abschreibungen zu finanzieren.“ (Napfmilch 2001, S. 15)
Wichtige soziale bzw. ökologische Zielsetzungen sind die „Pflege“ der Mitarbeiter
und der Umwelt.
y
„Die Napfmilch AG betrachtet ihre Mitarbeitenden als den wichtigsten Erfolgsfaktor und
geht entsprechend pfleglich mit ihnen um.“
y
Die Napfmilch AG will helfen, die Napfregion als unversehrte Region zu erhalten.
y
Die Napfmilch AG geht mit den Ressourcen der Napfregion sorgsam um und pflegt bei ihrer Tätigkeit die Grundsätze der Ökologie.“ (Napfmilch 2001, S. 15)
Die Kundenperspektive wird im Leitbild vernachlässigt, obwohl Napfmilch marktorientiert wirtschaftet.
164
Katharina E. Leitner
Strategisches/operatives Nachhaltigkeits-Marketing
Die Napfmilch AG vermarktet Lebensmittel aus Integrierter Produktion (IP) und aus
biologischem Landbau. 50% der Milchprodukte (gemessen am Umsatz) stammen aus
IP und werden unter der Marke Napfmilch als regionale Spezialitäten schweizweit im
Detailhandel angeboten (z.B. Waro, Jumbo, Carrefour und Spar). 50% der Produkte
werden für die Bio-Programme des Handels hergestellt (z.B. Manor Bio Natur Plus,
Coop Naturaplan). Außerdem beziehen industrielle Großkunden Frischkäseprodukte
bei Napfmilch (z.B. Hiestand).
Die Listung von Produkten im Detailhandel verdankt das Klein-Unternehmen u.a.
y
einer Vertriebspartnerschaft mit dem Käse-Hersteller Emmi, welche die für ein
Kleinunternehmen ungewöhnlich effiziente und professionelle Logistikstruktur
gewährleistet,
y
innovativen, teilweise mit Preisen ausgezeichneten Produktideen
y
und einer professionellen Kommunikation.
Da die Landwirte der Region gleichzeitig Lieferanten und Aktionäre von Napfmilch
sind, ist das Engagement groß. Sie sind die Hauptvermittler der Werbebotschaft und
betreiben Mund-zu-Mund Werbung für Napfmilch Produkte auf lokalen Märkten. Ein
Kontakt auf dem Bauernmarkt führte z.B. zu einem wöchentlichen Lieferauftrag von
Bio-Produkten nach Hongkong. Außerdem veranstalten die Landwirte 300 Degustationstage im Jahr in Coop Filialen, auf Messen und Veranstaltungen. Konsumenten
empfinden die Kommunikation durch die Erzeuger der Lebensmittel als besonders
glaubwürdig. Deshalb tragen die Degustationen wesentlich zur Absatzsteigerung der
Napfmilchprodukte bei. Neben Direktmarketing und Verköstigungen sind PRAktivitäten eine Stärke der Selbsthilfeorganisation. Napfmilch hat z.B. die aus dem
Napfgebiet stammende Sängerin Francine Jordi als Werbeträgerin unter Vertrag, koordinierte Werbeaktivitäten beim Auftritt der Sängerin beim Grand Prix d’Eurovision
mit Coop und sicherte sich somit einen TV-Auftritt. Eine weitere Marketingschiene
stellt die Schaukäserei des Unternehmens dar, welche auch Restauration von regionalen Produkten in den Kellergewölben und die Organisation von Tages-Events anbietet.
Transformatives Nachhaltigkeits-Marketing
Die als Aktionäre an dem Unternehmen beteiligten Landwirte „setzen ein Zeichen für
eine neue, selbstbewusste und eigenverantwortliche Landwirtschaftspolitik“ (Napfmilch 2003). Sie unterstützen die regionale Entwicklung und wirken somit „der Entkopplung von Produktionsprozess und Konsum“ entgegen (Hofer/Stalder 2000, S. 41).
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
165
Die von Napfmilch verwendete Face-to-Face Kommunikation spielt eine wichtige
Rolle bei der Bildung von Einstellungen und Handlungen im Ernährungsbereich (Hofer/Stalder 2000, S. 135) und sensibilisiert möglicherweise den Konsumenten für
Nachhaltigkeitsthemen in der Schweizer Landwirtschaft.
3 Fallstudie BAER
Der Schweizer Familienbetrieb BAER wurde 1922 in Küssnacht am Rigi im Kanton
Luzern gegründet. Das Unternehmen stellt Weich-, Schmelz- und Halbhartkäse, vegetarische Produkte und Käse-Fertig-Produkte her. Die Aktiengesellschaft beschäftigt ca.
170 Mitarbeiter und generierte rund 28,5 Millionen Euro Umsatz und 400.000 Euro
Gewinn im Jahr 2002 (Aktionäre: Familie Baer 65%, Emmi AG 35%). BAER ist die
führende Marke im Weich-Käse sowie Käse-Convenience Bereich am Schweizer
Markt und genießt einen hohen Bekanntheitsgrad (gestützt: 85%, IHA-GfM 2003).
Seit dem Jahr 2001 verfolgt das Familienunternehmen eine Internationalisierungsstrategie, die zurzeit vor allem auf den deutschen Weichkäse-Markt ausgerichtet ist.
Normatives Nachhaltigkeits-Marketing
BAER legt im Leitbild explizit die wirtschaftliche, ökologische und soziale Stoßrichtung des Unternehmens fest.
„Wir entwickeln unser Unternehmen wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig erfolgreich:
y
Wir begeistern unsere Kundinnen und Kunden und sichern damit unseren wirtschaftlichen
Erfolg.
y
Wir pflegen eine partnerschaftliche Kultur – so erbringen wir gemeinsam hervorragende
Leistungen, entwickeln uns weiter und erreichen persönliche Zufriedenheit.
y
Wir tragen unserer natürlichen Umwelt Sorge und helfen damit, die Lebensgrundlagen für
uns und die nachfolgenden Generationen zu sichern.“ (BAER 2003, S. 3)
Es wird außerdem im Nachhaltigkeits-Bericht erklärt, wie das Familienunternehmen
die im Leitbild festgehaltenen Werthaltungen in die Praxis umsetzt. Kundenzufriedenheit ist der Maßstab für ökonomischen Erfolg, und der Ausbau der Stärken, wie z.B.
Natürlichkeit, Kundennähe oder Innovationskraft, ist ein zentrales Unternehmensziel.
Soziale Nachhaltigkeit bedeutet für BAER „gegen innen und außen eine partnerschaftliche Kultur zu leben“ (BAER 2003, S. 8). Dazu gehört unternehmerisches Denken
und Handeln des Einzelnen, gegenseitige Wertschätzung, offene und konfliktfähige
Kommunikation, Zusammenarbeit und Lernbereitschaft. Außerdem ist die Förderung
der fachlichen und sozialen Kompetenz des Mitarbeiters eine zentrale Zielsetzung des
166
Katharina E. Leitner
Nachhaltigkeitsansatzes. Zur Erfolgskontrolle erhebt das Unternehmen soziale Kennzahlen u.a. über die Mitarbeiterzufriedenheit und die Langfristigkeit der Lieferantenbeziehungen. Aus ökologischer Perspektive übernimmt BAER explizit Verantwortung
für die Erhaltung der Lebensgrundlagen jetzt und für die Zukunft. Den Weg zur Sicherung der natürlichen Ressourcen führt für den Familienbetrieb einerseits über die ÖkoEffizienz und andererseits über „ökologisch bewusstes Handeln über die Grenzen des
eigenen Unternehmens hinaus“ (BAER 2003, S. 3). Damit deutet das Lebensmittelunternehmen das Engagement für sozial- und ökologisch-fortschrittliche Rahmenbedingungen auch im Sinne eines transformativen Nachhaltigkeits-Marketing an.
Strategisches/operatives Nachhaltigkeits-Marketing
BAER gelang zu Beginn der 1990er Jahre als erstem Schweizer Lebensmittelhersteller
ein Bio-Markenprodukt im Detailhandel zu lancieren. Der Öko-Tomme – Marke
BAER – war das erste Produkt aus biologischem Anbau, das schweizweit im Handelsunternehmen Coop vertrieben wurde. Zu diesem Zeitpunkt existierte die ökologische
Handelsmarke Coop Naturaplan noch nicht.
Die Markteinführung des Öko-Tomme wurde von einer Pull-Strategie begleitet. Degustationen und PR-Maßnahmen sollten den Bekanntheitsgrad des Bio-Käse erhöhen
(z.B. Medientag mit Besuch beim Biobauern, Pressekonferenz, Plakatkampagne).
BAER profitierte von dem Image-Gewinn als Öko-Pionier und entwickelte ein BioSortiment bestehend aus Öko-Tomme, Öko-Chäs und Öko-Hüttenkäse (Belz 1995,
S. 105), das mit dem Knospen-Label der Bio Suisse gekennzeichnet wurde. Den steigenden Bedarf an Bio-Milch deckte das Unternehmen durch ökologisches Beschaffungs-Marketing, das zahlreiche Landwirtschaftsbetriebe aus der Region zum Umstieg
auf biologische Produktion veranlasste. In den Folgejahren, als Coop das NaturaplanSortiment aufbaute, hatte BAER die Möglichkeit, Bio-Produkte mit Dual-Branding
(Coop Naturaplan/BAER) zu vermarkten. Seit 2001 existiert diese Option jedoch nicht
mehr. Heute ist der Familienbetrieb ein Produzent für die Handelsmarken Coop Naturaplan und Manor Bio Natur Plus, wie viele mittelständische Lebensmittelhersteller in
der Schweiz. Der Handlungsspielraum des Unternehmens hat sich im Bio-Sektor im
Vergleich zum Lebensmittelhandel in den letzten Jahren stark verringert.
Neue Vertriebskanäle für Bio-Markenprodukte zu erschließen, ist für BAER aufgrund
der gegebenen Markt- und Machtverhältnisse fast unmöglich. Spezialproduktkanäle in
der Schweiz sind für das mittelständische Unternehmen wegen geringer Absatzmengen unrentabel. Marketing-Spezialisten rieten BAER zudem davon ab, Bio-Produkte
im Export in Deutschland und Österreich anzubieten, da die Schweizer Käsepreise im
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
167
europäischen Vergleich sehr hoch seien, und der Schweizerkäse ohnehin ein ÖkoImage habe. Da sich das Lebensmittelunternehmen kaum noch mit der Marke BAER
im Bio-Markt profilieren kann, beschränken sich die Marketingaktivitäten auf konventionelle Produkte. Mit der Kampagne „Voller Persönlichkeit“ versucht BAER im Jahr
2002 das Markenimage zu stärken und den Bekanntheitsgrad der Unternehmensmarke
zu erhöhen. Der langjährige Slogan „Natürlich schmeckts besser“ wurde aufgegeben,
da „naturnah“ den Bio-Handelsmarken vorbehalten ist, und sich deshalb mit Natürlichkeit „keine scharfe Kampagne mehr fahren lässt“ (Interview Baer/BAER). Die einzige Maßnahme im sozial-ökologischen Bereich ist heute die jährliche Publikation des
Nachhaltigkeits-Berichtes. 30.000 Stück werden bei Degustationen gemeinsam mit
Produktprospekten abgegeben und an Interessierte versandt.
Neben Bio-Produkten vermarktet BAER auch vegetarische Lebensmittel. 1986 wurde
Yasoya, ein vegetarisches Frischprodukt, am Schweizer Markt lanciert. In den ersten
Jahren nach der Einführung wurde die Produktgruppe aktiv gefördert (z.B. durch
Kochkurse). Da der Ertrag im Vergleich zum Aufwand jedoch gering war, schränkte
man die Aktivitäten ein. Heute ist die ursprüngliche BAER-Marke Yasoya mit DualBranding (BAER/Coop Handelsmarke Betty Bossi) oder in Bioqualität als Coop Naturaplan Produkt erhältlich. Im Gegensatz zu den Sojaprodukten, deren Absatz stabil ist,
sind die Bio-Burger des Unternehmens „extreme Nischenprodukte“ (Interview Baer/BAER). Sie wurden ebenfalls zuerst als Markenartikel geführt und später in Coop
Naturaplan Programm integriert.
Transformatives Nachhaltigkeits-Marketing
BAER hat zu Beginn der 1990er Jahre, als noch keine Bio-Handelsmarke existierte,
zur Entwicklung des Biomilch-Sektors in der Schweiz beigetragen. Die Voraussetzungen für die breite Vermarktung des Öko-Tomme hatte das Unternehmen einerseits
durch Beschaffungs-Marketing, das die Landwirte zum Umstieg auf Bio-Landbau bewog, und andererseits durch Platzierung eines Bio-Produktes im Detailhandel, geschaffen. BAER hatte damit ein Zeichen gesetzt, dass der Verkauf von Bio-Produkten
nicht nur auf alternative Läden beschränkt sein muss, sondern dass die Möglichkeit
besteht, diese Produkte über konventionelle Distributionskanäle zu vermarkten.
Außerdem hat das ökologische Pionierunternehmen wesentlich zur Bekanntmachung
des Knospen-Labels beigetragen und sich politisch für ökologische Rahmenbedingungen in Unternehmensverbänden eingesetzt (z.B. Schweizerische Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung – ÖBU) (Belz 1995, S. 106-111). Auch zur
168
Katharina E. Leitner
Bekanntmachung der Sojaprodukte engagierte sich BAER in Verbänden und gründete
den Yasoya-Fond für Ernährung, Umwelt und Entwicklung.
4 Fallstudie Nestlé
Nestlé wurde 1866 gegründet und ist heute der weltweit größte Lebensmittelkonzern.
Das Unternehmen beschäftigt 254.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 59 Milliarden
Euro Umsatz und 5 Milliarden Euro Nettogewinn im Jahr 2002. Nestlés Hauptproduktgruppen sind Kaffee, Mineralwasser/Getränke, Milchprodukte, Schokolade/Süßwaren und Fertiggerichte (Betschinger/Meisterhans/Wallimann 1998, S. 32).
Normatives Nachhaltigkeits-Marketing
Die Unternehmenswerte sind in den Nestlé-Grundsätzen festgehalten, welche die neun
Grundsätze im Bereich Umwelt, Arbeitsbedingungen und Menschenrechte des UN
Global Compact widerspiegeln (Nestlé 2002a). Sie sollen respektiert, mit Anspruchsgruppen diskutiert und umgesetzt werden (Nestlé 2004, S. 26-31).
Nestlé verbindet nachhaltige Entwicklung mit wirtschaftlich nachhaltiger, langfristiger
Unternehmensentwicklung. Das Unternehmen verpflichtet sich, keinen kurzfristigen
Gewinn auf Kosten der Nachhaltigkeit zu machen.
„At Nestlé, we define sustainable development as the process of increasing the world's access to
higher quality food, while contributing to long term social and economic development, and preserving the environment for future generations.
In the 135-year life of Nestlé, our fundamental approach to business has been the creation of
long term sustainable value for our consumers, customers, employees, shareholders, and society
as a whole. The Nestlé Corporate Business Principles state openly that we favour long term
business development over short term profit. While we are committed to making a healthy
profit, we instruct managers not to do so at the expense of long term, sustainable development.”
(Nestlé 2002b, S. 2)
Der Nachhaltigkeitsansatz des Lebensmittelkonzerns beruht auf der Verbesserung unterschiedlicher Unternehmensaktivitäten nach sozial-ökologischen Gesichtspunkten.
Das entspricht der Qualitätsorientierung von Nestlé, die z.B. auch eine treibende Kraft
für die Beschaffung nachhaltig produzierter Rohstoffe darstellt (Nestlé 2002b, S. 3). In
der Forschung & Entwicklung und im Marketing scheint hingegen die nachhaltige Unternehmensentwicklung eher eine geringe strategische Rolle zu spielen. Es gibt keine
Hinweise auf sozial-ökologische Produktinnovation, Nachhaltigkeits-Marketing oder
die Erschließung neuer sozial-ökologischer Geschäftsfelder in Nestlé Publikationen.
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
169
Auch Sozial-Kennzahlen, die den Nachhaltigkeitsfortschritt belegen könnten, fehlen
im Nachhaltigkeits-Bericht des Unternehmens.
Strategisches/operatives Nachhaltigkeits-Marketing
Die Bedeutung biologisch produzierter und fair gehandelter Güter am Weltmarkt ist
gering. Der Anteil der Bio-Produkte am globalen Markt wird im Jahr 2002 auf ca.
1-3% geschätzt (Kortbesch-Olesen 2002, S. 29-32). Daher ist man bei Nestlé überzeugt, dass trotz hoher Marktwachstumsraten Lebensmittel aus biologischem Anbau
oder Fairem Handel Nischenprodukte bleiben werden, und dass auch in Zukunft nur
relativ geringes Kundeninteresse für diese bestehen wird (Interview Jöhr/Nestlé).
Nichtsdestotrotz startete das Unternehmen einen Versuch, sich im Bio-Kaffeemarkt zu
profilieren und lancierte einen biologischen Nescafé am schwedischen Markt. Dieser
wurde jedoch wegen schlechter Umsatzzahlen wieder eingestellt. Im Babynahrungsbereich betreibt Nestlé seit den 1980er Jahren teilweise Bio-Vertragsanbau für die Marke
Alete (Alete 2004), und das Lebensmittelunternehmen stellte die im Jahr 1998 akquirierte Babynahrungs-Marke Milasan auf biologisch produzierte Inhaltsstoffe um
(Kreuzer 2004). Milasan wird als preiswerte Bio-Marke unter dem Motto „Gutes muss
bezahlbar sein“ – „Bio-Qualität zum Baby-Preis“ am deutschen Markt positioniert
(Milasan 2004). Sie steht in Konkurrenz mit der marktführenden, qualitätsorientierten
Unternehmensmarke des Bio-Pioniers Hipp.
Ferner testet Nestlé in einzelnen Projekten, ob und wie eine globale Beschaffung
nachhaltiger Rohstoffe funktionieren könnte (z.B. Milchprojekt in Pakistan, Kaffeeprojekt auf den Philippinen). Das Ziel ist, die konventionellen Lebensmittelprodukte
des Unternehmens nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten zu verbessern.
Eine Kennzeichnung dieser Lebensmittel und eine Preis- und Produktpolitik im Sinne
des Nachhaltigkeits-Marketing ist jedoch nicht vorgesehen. Die Verbindung sozialökologischer mit herkömmlichen Qualitätsdimensionen ist Teil des Beschaffungsmanagement und der Qualitätssicherung, dient jedoch nicht als Profilierungsdimension im
Marketing. Die Motive für das Engagement Nestlés in der Landwirtschaft sind u.a. die
Vermeidung von Imageschaden, Erhaltung der nicht bzw. bedingt erneuerbaren Ressourcen und Qualitätsprobleme durch zu geringe Weltmarktpreise.
Das Unternehmen bezieht einen Großteil seiner Rohstoffe über Großhändler, Makler
und Exporteure zu Weltmarktpreisen, weil es keine landwirtschaftlichen Betriebe besitzt. 85% des Rohstoffs Kaffee werden von Nestlé auf diese Weise beschafft. 15% des
Kaffees kauft der Konzern direkt bei Produzenten, Genossenschaften oder Pflanzerverbänden. Da Nestlé durch Direktkauf in der Regel zahlreiche Zwischenstellen aus-
170
Katharina E. Leitner
schaltet und Qualitätsprämien an die Produzenten ausbezahlt, profitiert einerseits das
Unternehmen von den sinkenden Beschaffungskosten, anderseits erzielt der Produzent
einen höheren Verkaufspreis (Nestlé 2000, S. 14-15). Das Lebensmittelunternehmen
verweist darauf, dass man durch Direkteinkauf 110.000 Tonnen Kaffee jährlich erwirbt und dem Landwirt somit ein höheres Einkommen sichert, wobei der Anteil des
mit Fair Trade-Labeln gehandelten Rohkaffees im Vergleich nur bei 25.000 Tonnen
liegt (Nestlé 2003, S. 4). Inwieweit die Beschaffungsstrategie Nestlés jedoch jener von
Fair Trade-Organisationen ähnelt, bleibt unklar, da außer der Bezahlung von Preisaufschlägen für Qualitätskaffee und der Beratung von Landwirten keine sozialen Kriterien
publiziert wurden.
Transformatives Nachhaltigkeits-Marketing
Multinationale Lebensmittelproduzenten engagieren sich für nachhaltige Entwicklung
in der globalen Landwirtschaft im Rahmen der Sustainable Agriculture Initiative
(SAI). Nestlé ist neben Danone und Unilever ein Gründungsmitglied dieses Unternehmensverbandes. Eine Motivation zur Lancierung der Initiative war, sozialökologische Probleme in der konventionellen Landwirtschaft zu verringern.
Bei der „anonymen“ Beschaffung über Dritthändler kennt Nestlé die Herkunft und
Vorgeschichte der verwendeten Rohstoffe nicht, ist aber gegenüber dem Konsumenten
für ökologische oder soziale Probleme am Beginn der Lebensmittelkette verantwortlich. Die unbefriedigende Situation ist vom Unternehmen nicht im Alleingang z.B.
durch ein verbessertes Beschaffungsmanagement und -marketing zu lösen. Politische
Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft und gesellschaftliche Spielregeln in Entwicklungsländern sind nur zwei von zahlreichen Faktoren, welche nicht-nachhaltige
Agrar- und Handelspraktiken unterstützen. Nestlé gründete daher mit seinen Mitbewerbern die SAI mit den Zielsetzungen, den Dialog über sozial-ökologische Themen
in der Lebensmittelkette anzuregen, und gemeinsam Nachhaltigkeitsrichtlinien zu
entwickeln. Ihre Aktivitäten stellt die SAI folgendermaßen dar:
“SAI Platform's ultimate goal is the definition and implementation of commodity-specific guidelines for sustainable agriculture which are harmonised along the food chain. In this view, SAI
Platform conducts a number of activities around four main themes: 1) Stakeholder involvement;
2) Knowledge building & management; 3) Awareness raising; and 4) Support to the implementation of SAI practices (within the supply chain as well as in compliance with trade policies and
regulations).” (SAI Platform 2003)
Seit der Gründung im Jahr 2001 sind den ersten drei Mitgliedern noch vierzehn weitere gefolgt. Mehr als die Hälfte davon sind Kaffeeproduzenten, welche die „Working
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
171
Group on Green Coffee“ bilden. Diese erarbeitet Richtlinien für nachhaltige Kaffeeproduktion. Das Engagement der Unternehmen hat neben sozial-ökologischen auch
ökonomische Gründe. Da der Weltmarktpreis für Kaffee in den letzten Jahren erheblich gesunken ist und kaum die Kosten der Produzenten deckt, hat Nestlé Schwierigkeiten, qualitativ hochwertigen Kaffee über den internationalen Handel zu beziehen.
Außerdem führen die zu niedrigen Kaffeepreise unweigerlich zu Preisschwankungen
und zukünftigen Preissteigerungen (Nestlé 2002b, S. 15).
5 Nachhaltigkeits-Marketing in der Schweizer
Lebensmittelindustrie: Eine situative Betrachtung
Die gewählten Fallstudien verdeutlichen die Unterschiede zwischen den Nachhaltigkeits-Marketingansätzen der kleinen, mittelständischen und multinationalen Schweizer
Lebensmittelunternehmen. Daher ist in der folgenden Analyse der Profilierungs- und
Wettbewerbschancen durch Nachhaltigkeits-Marketing eine situative Relativierung
gemäß Unternehmenstyp vorzunehmen.
Kleine Produzenten
Die Napfmilch AG ist ein Teil der breit gefächerten und heterogenen RegionalMarketing Szene in der Schweiz, der Produzenten mit unterschiedlicher Ausrichtung
sowie Organisations- und Rechtsform angehören. Das Spektrum „Regionaler Produktorganisationen“ reicht von „landwirtschaftlichen Selbsthilfeprojekten“ bis zu „regionalen Verbandskonglomeraten“ (Hofer/Stalder 2000, S. 57-86). Gemeinsame Zielsetzungen regionaler Anbieter sind erstens, die Sicherung bestehender bzw. die Erschließung
von neuen Absatzmärkten und zweitens, die Wahrung der Autonomie regionaler Produktionsstrukturen (Hofer/Stalder 2000, S. 85). Die Klein-Unternehmen verbinden
häufig – wie auch das Leitbild von Napfmilch zeigt – regionale Wertschöpfungsziele
mit unternehmensspezifischen Zielen. Sie bedienen alternative Handelskanäle mit ökologischen und regionalen Produkten, sind jedoch in vielen Fällen auf einen national
agierenden Absatzpartner angewiesen, da der Verkaufsanteil der Lebensmittelprodukte
in der Region häufig nur 1-10% beträgt (Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 7-37).
Die Bio-, IP- und die vor kurzem entstandenen Regional-Marken des Handels eröffnen
den Klein-Unternehmen Marktchancen und ermöglichen ihnen eine flächendeckende
Distribution am nationalen Markt. Kritisch für die Gewinnung des Schweizer Detailhandels als Marktpartner ist jedoch die Bereitstellung einer professionellen Distributions- und Logistikinfrastruktur (Interview Fraefel/Napfmilch). Napfmilch hat z.B. diese
Hürde durch eine Vertriebspartnerschaft mit Emmi überwunden und konnte dadurch
172
Katharina E. Leitner
Coop als ersten Großkunden gewinnen. In abgelegenen Regionen können unterschiedliche Kooperationsformen in Verarbeitung Distribution und Logistik zwischen Regionalproduzenten die effiziente Belieferung des Bio-Absatzkanals unterstützen
(Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 42-43).
Die Kooperation mit einem bedeutenden Handelspartner hat jedoch nicht nur Vorteile
für kleine Produzenten, sondern birgt auch das Risiko der Abhängigkeit von Abnahmegarantien. Deshalb gewinnen Pull-Strategien zur Vergrößerung des Handlungsspielraums der Hersteller zunehmend an Bedeutung. Wie das Beispiel Napfmilch zeigt,
tragen innovative Nachhaltigkeits-Marketingkommunikation, Degustationen und PR
maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg der kleinen Lebensmittelproduzenten bei.
Auch durch die Nutzung alternativer Vermarktungskanäle, wie z.B. Wochenmärkte,
Hausbelieferung, Schaukäsereien, können die Unternehmen erfolgreich ihre Botschaften vermitteln. Neue Vermarktungsoptionen bietet u.a. das Internet als Distributionsund Kommunikationsmedium, das Erlebnis-Marketing oder die Vernetzung der Nachhaltigkeits-Marketingansätze mit Unternehmen anderer Branchen. Ein Beispiel für die
Verbindung von Nachhaltigkeits-Marketing in Lebensmittelerzeugung und Tourismus
stellt der Verein Ökomarkt Graubünden dar (Villiger 2000, S. 114-115; Hofer/Stalder
2000, S. 74). Er unterstützt die Erzeugung und den Vertrieb ökologischer, regional
produzierter Lebensmittelprodukte mit dem Ziel, Wirtschaftskreisläufe in der Region
aufzubauen. Nebst Bündner Hotels, die sich durch ökologische Betriebsführung und
Abnahme von lokalen Bio-Produkten für die Auszeichnung mit dem „Öko-Grischun“
(Bündner Steinbock) qualifizieren, können auch Lebensmittelproduzenten das Zeichen
erhalten. Dabei spielen nicht nur die biologische Herstellung, sondern auch die Distribution, Entsorgung und soziale Aspekte eine Rolle.
Kritiker bezweifeln jedoch, dass regionale Produktion einen positiven Beitrag zur
nachhaltigen Entwicklung der Schweiz leistet. Kleine Lebensmittelhersteller unterstützen zwar die Erhaltung der Wertschöpfung oder die Pflege der Kulturlandschaft in
ihrer Region. Aber es besteht die Gefahr, dass durch die Lösung der wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Problematiken in einer Region, ähnliche Schwierigkeiten in
einer anderen Schweizer Region entstehen bzw. sich verstärken (Hofer/Stalder 2000,
S. 106). Zudem sind Lebensmittel aus regionaler, integrierter Produktion in der
Schweiz wegen hoher Umweltstandards in der Landwirtschaft und kurzer Transportwege kaum ökologischer als herkömmliche Produkte (Jungbluth 2000, S. 200-216).
Dennoch können kleine Lebensmittelhersteller durch transformatives NachhaltigkeitsMarketing einen indirekten, schwierig nachzuweisenden Nachhaltigkeitsbeitrag leisten. Sie informieren Schweizer Konsumenten über Nachhaltigkeitsprobleme im Le-
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
173
bensmittelbereich und unterstützen unter Umständen als idealistisch motivierte Pioniere die Bewusstseinsbildung für sozial-ökologische Probleme in der Schweizer Landwirtschaft. Sie haben ferner in den 1980er und 1990er Jahren durch ihre „Sensibilisierungsarbeit“ möglicherweise den Weg für einflussreichere Akteure wie z.B. Nachhaltigkeitspioniere im Detailhandel bereitet (Villiger/Wüstenhagen/Meyer 2000,
S. 32-36).
Mittelständische Produzenten
Mittelständische Pionierunternehmen verankerten sehr früh – wie am Beispiel BAER
ersichtlich – Nachhaltigkeitsanforderungen im Unternehmensleitbild und setzten sich
für sozial-ökologisch bewusstes Handeln im und außerhalb des Unternehmens ein. Sie
versuchten außerdem, sich mit Umwelt und Sozialem im Wettbewerb zu profilieren
und hatten zu Beginn der 1990er Jahre bei der Vermarktung von Bio-Produkten im
Detailhandel eine Pionierrolle inne. Die Leader-Unternehmen betrieben informativargumentative Kommunikation, um eine Pull-Wirkung für die innovativen Lebensmittelprodukte zu erzeugen. Ihre Kapazitäten in Distribution und Logistik, die bereits auf
die Bedürfnisse des Detailhandels ausgerichtet waren, verschafften ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleinen Herstellern. Da Rohstoffe in biologischer Qualität
nicht in entsprechender Menge verfügbar waren, versuchten die mittelständischen Produzenten ihre Lieferanten von den Vorteilen des Umstiegs von konventioneller oder
integrierter auf biologische Produktion zu überzeugen. Außerdem waren sie Mitglieder
sozial-ökologischer Unternehmensverbände und sensibilisierten mit möglicherweise
größerer Breitenwirkung als kleine Lebensmittelunternehmen die Öffentlichkeit.
Mit steigender Beliebtheit und Professionalisierung der sozial-ökologischen Handelsprogramme verringerte sich jedoch der Wettbewerbsvorteil der Pioniere stetig. Während der Lebensmittelhandel sehr zufrieden mit den Umsatzwachstumszahlen der sozial-ökologischen Marken ist und teilweise ehrgeizige Wachstumsziele verfolgt, sprechen mittelständische Lebensmittelunternehmen von Nischenprodukten. Der Handel
erreicht die steigenden Umsatzzahlen mit Sortimentserweiterungen und mit der Kreation neuer ökologischer und sozialer Programme. Den Lebensmittelherstellern hingegen gelingt es nicht, genügend innovative sozial-ökologische Produkte in den Supermarktregalen zu platzieren, um so gleichermaßen vom Wachstum der Handelsprogramme zu profitieren. Außerdem kann in stagnierenden Marktsegmenten eine Kannibalisierung konventioneller Produkte auftreten, die absatzstärker als Bio-Produkte
sind. Das Beispiel BAER zeigt, dass sich der Handlungsspielraum der Produzenten
trotz Nachhaltigkeits-Marketing in den letzten Jahren deutlich verringert hat. Für man-
174
Katharina E. Leitner
che Unternehmen scheint es heute fast unmöglich zu sein, sich mit sozial-ökologischen
Produkten von der Konkurrenz zu differenzieren. Es ist ein relativ hoher finanzieller
Aufwand nötig, um innovative, sozial-ökologische Produkte zu lancieren und am
Markt zu etablieren, aber Pioniervorteile sind oft nur kurzfristig zu erzielen. BAER
konnte z.B. den Vorsprung im Bio-Sektor nicht bewahren, da die BioMilchverarbeitung keine spezifische Kernkompetenz des Unternehmens darstellt. Bei
gesichertem Rohstoffangebot ist oft nur eine Warenflusstrennung in der Fabrikation
vorzunehmen, um den Bio-Käse herzustellen (Interview Baer/BAER). Das Familienunternehmen agiert daher als ein Anbieter unter vielen in der wettbewerbsintensiven
Milchbranche. Auch transformatives Nachhaltigkeits-Marketing scheint kaum zur
langfristigen Marktdifferenzierung beizutragen.
Kleinere Lebensmittelunternehmen hingegen, die auf die Produktion von „Private Labels“ des Handels oder der Industrie spezialisiert sind, nutzen Exportmöglichkeiten
und beliefern teilweise alternative Handelskanäle. Die Molkerei Biedermann (40 Mitarbeiter) zum Beispiel, die keine namhafte Marke herstellt, vertreibt Milchprodukte im
Biofachhandel und begann im Jahr 2001 Bio-Yoghurt nach Deutschland zu exportieren (Schmid/Sanders/Richters 2003, S. 32-33). Obwohl es heute kaum noch mittelständische Schweizer Markenartikelhersteller gibt, die Bio-Marken am Schweizer
Markt vertreiben, gelingt es dem mittelständischen Schweizer Müsli-Hersteller Familia, Bio-Müsli sowohl im Schweizer Lebensmittelhandel (z.B. Manor, Spar, Volg) als
auch im deutschen Einzelhandel unter der Unternehmensmarke Familia zu vertreiben.
Gründe für den größeren Handlungsspielraum von Familia gegenüber BAER sind unter Umständen eine geringere Konkurrenz im Schweizer Müsli- als im Käse-Markt
und unterschiedlich hohe Subventionszahlungen des Bundes zur Angleichung der
Schweizer Rohstoffpreise an das internationale Preisniveau. Milch wird im wesentlich
geringeren Maße subventioniert als Rohstoffe, die man im Rahmen des „Schoggigesetzes“ fördert (Baer 2003, S. 6-7).
Multinationale Produzenten
Die Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung ist für multinationale sozialökologische Pionierunternehmen eine Voraussetzung für wirtschaftlich-nachhaltige
Unternehmensentwicklung. Sie beginnen daher ihre Lebensmittelprodukte nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten zu verbessern. Dieser „Upgrading Conventionals“ Weg wurde in der Vergangenheit kaum als Marktoption angesehen, da „im intensiven Preiswettbewerb in der Regel die Spielräume für ökologische Optimierungsmaßnahmen fehlen“ (Villiger 2000, S. 108). Das Lenkungssystem Politik wurde als
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
175
Initiator der Anhebung sozial-ökologischer Standards betrachtet (Villiger 2000,
S. 108). Jedoch zeigen die transformativen Nachhaltigkeits-Marketingansätze multinationaler Lebensmittelunternehmen, dass die Marktakteure nicht nur auf Impulse des
Gesetzgebers reagieren, sondern „freiwillig“ zur Entwicklung sozial-ökologischer
Branchenstandards beitragen. Den Antrieb, sich mit Nachhaltigkeitsproblemen zu beschäftigen, gibt wahrscheinlich einerseits das erfolgreiche Nachhaltigkeits-Marketing
sozial-ökologischer Nischenanbieter in der Lebensmittelbranche und andererseits die
zunehmend kritische Haltung des Konsumenten gegenüber konventioneller Landwirtschaft und „Massenproduktion“.
Die Unternehmen reagieren u.a. mit der Lancierung von Nachhaltigkeitsinitiativen auf
diese Impulse. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Lebensmittelhersteller von der
Erhöhung der sozialen und ökologischen Qualität ihrer herkömmlichen Produkte profitieren können, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren oder von NGOs des PseudoNachhaltigkeits-Marketing bezichtigt zu werden. Manche Produzenten wie z.B. Unilever versuchen, durch die Kommunikation des Nachhaltigkeitsengagements das Image
ihrer Marken zu stärken und deklarieren in Einzelfällen (z.B. Nachhaltigkeitsprojekt
Erbsen) Initiativen auf Produktverpackungen (Forum for the Future 2002, S. 26). Sie
binden außerdem unterschiedliche Anspruchsgruppen wie etwa Umweltschutzgruppen
oder Forschungsinstitute in die Entwicklung und Durchführung der Projekte mit ein.
Andere Unternehmen fürchten die Reaktion kritischer Anspruchsgruppen und kommunizieren Fortschritte von Nachhaltigkeits-Initiativen kaum.
Neben der Verbesserung konventioneller Produkte versuchen multinationale Lebensmittelunternehmen durch Akquisitionen und strategische Partnerschaften mit Bio- und
Fair Trade-Pionieren von den Wachstumsraten „alternativer“ Märkte zu profitieren.
Der französische Lebensmittelkonzern Danone erwarb z.B. im Jahr 2001 einen Anteil
von 40% an Stonyfield Farm, dem größten US Produzenten für Bio-Yoghurt. Heinz ist
eine strategische Partnerschaft mit der Hain Celestial Group eingegangen, einem Spezialanbieter für koschere, zuckerfreie und biologisch produzierte Produkte. Unilever
Bestfoods akquirierte im Jahr 2000 den britischen Saucen & Suppenhersteller „Go Organics“, und weitere Unilever Unternehmen wie z.B. Ben & Jerry’s sowie Eskimo-Iglo
lancierten Bio-Produkte. Diese Beispiele weisen darauf hin, dass sich die Lebensmittelkonzerne ihren Anteil am sozial-ökologischen Wachstumssegment zu sichern versuchen.
176
Katharina E. Leitner
6 Chancen und Risiken im Vergleich
Ein wichtiger Erfolgsfaktor für kleine, mittelständische sowie multinationale Unternehmen ist die Listung der sozial-ökologischen Produkte im Detailhandel. Dabei haben zahlreiche Pull-Anreize eine sehr große Bedeutung für den Erfolg einer Marke
beim Handel (Feige 1996, S. 192-204). Push-Anreize haben hingegen eine geringe
Wirkung (mit Ausnahme mittelständischer Unternehmen). Das heißt, bei Verwendung
einer Markenstrategie ist nach der Listung im Lebensmittelhandel in erster Linie der
Konsument durch Nachhaltigkeits-Marketing vom Mehrwert der sozial-ökologischen
Produkte zu überzeugen. Für kleine, aber auch mittelständische Lebensmittelunternehmen mit beschränkten Ressourcen ist die direkte Kommunikation ein zentrales
Marketinginstrument, das Glaubwürdigkeit vermittelt. Außerdem sind Innovativität in
der Produktentwicklung, Professionalität in der Nachhaltigkeits-Marketingkommunikation und Zusammenarbeit mit Marktpartnern möglicherweise ausschlaggebend für die erfolgreiche Lancierung von Produkten im Detailhandel. Multinationale
Hersteller, die zwar über hohe Marketingkompetenz und -ressourcen verfügen, haben
hingegen unter Umständen Probleme, das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen
und sind zur Verminderung von Glaubwürdigkeitsdefiziten auf Partnerschaften mit
NGOs oder auf unabhängige Berichterstattung durch „neue Kommunikatoren“ angewiesen (Beitrag Schrader).
Geringes Profilierungspotenzial für Markenartikelhersteller besteht in aktuellen Wettbewerbsfeldern (z.B. ökologische Anbauweise und Tierhaltung) und in qualitätsorientierten Märkten mit renommierten, professionell geführten sozial-ökologischen
Handelsmarken (z.B. Österreich, Schweiz), da der Detailhandel wenig an der Unterstützung von Konkurrenzprodukten interessiert ist. Im Schweizer Markt können mittelständische und multinationale Unternehmen auch kaum von der Erschließung neuer
sozial-ökologischer Wettbewerbsfelder profitieren, da für die beiden dominierenden
Detailhandelsunternehmen Coop und Migros „Umwelt“ und „Soziales“ hohe strategische Relevanz hat, und sie bereits eine Vielfalt an sozial-ökologischen Handelsmarken
und -programmen in unterschiedlichen Wettbewerbsfeldern entwickelt haben (Beitrag
Hildesheimer/Borsani). Kleine Unternehmen haben hingegen unter Umständen die
Möglichkeit, alternative Handelskanäle aufzubauen, vorhandene Vertriebswege verstärkt zu nutzen und Nischenprodukte weiterhin im Detailhandel zu platzieren (z.B.
regional erzeugte Delikatessen).
Nachhaltigkeits-Marketing von Lebensmittelproduzenten
177
Marktchancen eröffnen sich auch für kleine und mittelständische Lebensmittelunternehmen, die auf die Produktion von Handelsmarken spezialisiert sind. Einige Schweizer Unternehmen verfolgen heute im konventionellen Bereich eine Markenstrategie
und ergänzen diese durch die Produktion für sozial-ökologische Handelsprogramme.
Schwierigkeiten treten auf, wenn durch diese Strategie eine Kannibalisierung herkömmlicher Markenprodukte durch Handelsmarken stattfindet, oder die duale Ausrichtung als Marken- und „Private Label“- Hersteller zu Kompetenzverlusten und einer
mangelnden Innovativität führt. Multinationale Unternehmen produzieren i.d.R. keine
sozial-ökologischen Marken für den Handel. Sie versuchen entweder sozialökologische Marken zu akquirieren oder durch strategische Partnerschaften bzw. CoBranding vom Image bekannter sozial-ökologischer Pioniere zu profitieren.
Für die Konzerne stehen auch am Weltmarkt viele Möglichkeiten offen, da einkommensschwache Bevölkerungsschichten insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern bisher kaum als Kundengruppen erkannt wurden, und ihre Bedürfnisse im
Nachhaltigkeits-Marketing bisher wenig Beachtung gefunden haben (Beitrag Kirchgeorg). Auch sozial-ökologisch Passive, die aus unterschiedlichen Gründen nicht
durch das derzeitige Angebot bzw. durch das praktizierte Nachhaltigkeits-Marketing
erreicht werden (z.B. Preispolitik oder Kommunikationspolitik), sind potenzielle Kunden für multinationale Lebensmittelunternehmen. Die Kundenakquisition in beiden
Zielsegmenten erfordert die Entwicklung neuer Nachhaltigkeits-Marketingansätze.
Die Nachhaltigkeits-Marketinginitiativen der Konzerne zur Verbesserung konventioneller Lebensmittel sind möglicherweise ein erster Schritt in diese Richtung, können
jedoch aus dem Blickwinkel der nachhaltigen Entwicklung auch als Rückschritt interpretiert werden. Die Grenzen zwischen biologisch produzierten, fair gehandelten und
konventionellen Produkten verschwimmen zusehends. Im Fair Trade-Sektor kreieren
z.B. multinationale Unternehmen heute eigene Marken oder werden mit Labels zertifiziert, die nur niedrige Sozial-Standards (z.B. „Better Banana“ für Chiquita Bananen)
vorschreiben (Murray/Raynolds, 2000, S. 70). Das bewirkt eine „Verwässerung“ des
Bio- und Fair Trade-Begriffs, trägt zur Verwirrung des Konsumenten bei und führt
möglicherweise zu Glaubwürdigkeitsverlust des gesamten „alternativen“ Marktes. Die
Nachhaltigkeitsherausforderung für die Lebensmittelunternehmen besteht somit in der
gewinnbringenden Vermarktung von innovativen Lebensmittelprodukten für sozialökologisch aktivierbare als auch passive Kunden bei gleichzeitigem Erhalt der Ideale
der Öko- und Fair Trade-Bewegung.
178
Katharina E. Leitner
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180
Katharina E. Leitner
Anhang
Interviewpartner
Unternehmen/
Organisation
Namen der Interviewpartner
Funktion der Interviewpartner
Ort und Datum des
Interviews
BAER
Herr Baer
Geschäftsführender
Eigentümer
Küssnacht, 30.10.2002
Napfmilch
Herr Fraefel
Geschäftsführer
Bern, 12.11.2002
Nestlé
Herr Jöhr
Head of Agro-Business
Vevey, 6.11.2002
Leitfragen der Interviews
y
Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeits-Marketing im Bereich Ernährung? Was
sind Ihrer Meinung nach die Chancen und Risiken des Nachhaltigkeits-Marketing
in diesem Bereich?
y
Was ist der ökologische und soziale Kundennutzen im Lebensmittelbereich?
y
Was ist die Nachhaltigkeits-Marketingstrategie des Unternehmens? Wie wird die
Strategie umgesetzt?
y
Betreibt das Unternehmen transformatives Nachhaltigkeits-Marketing?
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens am Beispiel von EOSTA und „Nature & More“
Hugo Skoppek/Birte Karstens
1 EOSTA als sozial-ökologischer Diffusionsagent
zwischen Erzeuger und Kunde
Unternehmensportrait
Das holländische Unternehmen EOSTA ist eines der führenden Großhandelsunternehmen in Europa, welches mit biologisch und biologisch-dynamisch angebautem
Obst und Gemüse handelt. Das Kerngeschäft besteht im Einkauf und der Vermarktung
von Obst aus der südlichen Hemisphäre (insbesondere Äpfel, Birnen und Mangos) und
Gemüse aus holländischen Gewächshäusern (insbesondere Tomaten, Paprika und
Gurken). Vom Firmensitz in Waddinxveen bei Rotterdam beliefert das Unternehmen
Naturkost-Großhändler und Lebensmittel-Einzelhandelsketten in ganz Europa, aber
auch in den USA. EOSTA beschäftigt derzeit ca. 40 Mitarbeiter und hat neben dem
Geschäft mit Obst und Gemüse auch andere Produkte zur Marktreife gebracht. Ein
Beispiel dafür ist FLORGANICS, ein Sortiment biologisch erzeugter Blumen, welches
heute erfolgreich von einem anderen Anbieter vertrieben wird.
Seit der Firmengründung im Jahr 1982 ist EOSTA beständig gewachsen, doch dem
Grundsatz, ausschließlich mit biologischen und biologisch-dynamischen Produkten zu
handeln, ist das Unternehmen über die Jahre treu geblieben. Die drei Firmengrundsätze lauten „healthy“, „organic“ und „fair“. Für EOSTA sind Ökologie, Soziales und
Ökonomie untrennbar miteinander verbunden. Das Unternehmen verpflichtet sich in
seinen Leitlinien, globales ökonomisches Denken mit lokalem ökologischem und sozialem Handeln zu verbinden. Dies spiegelt sich auch im Firmenslogan „EOSTA – where ECOLOGY meets ECONOMY” wider. Eine gesunde wirtschaftliche Ausgangsposition stellt für EOSTA die Grundlage für ökologisches und soziales Engagement dar.
Um diese Grundlage auszubauen, hat sich das Unternehmen von Anfang an um starke
partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen bemüht, die auf gemeinsamen Werten basieren und langfristig allen Beteiligten einen Nutzen stiften. EOSTA versteht sich weniger als Händler, sondern vielmehr als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage
182
Hugo Skoppek/Birte Karstens
und engagiert sich deshalb entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Anbau
beim Erzeuger bis hin zur Vermarktung beim Endkunden. Folgende Fragestellungen
stehen dabei im Vordergrund:
y
Welcher Form der Zusammenarbeit bedarf es, um gute biologische Lebensmittel zu
erzeugen? Wie können Landwirte ermutigt werden, nachhaltige Landwirtschaft zu
betreiben? (Nachhaltigkeits-Marketing auf der Beschaffungsseite).
y
Wie ist Qualität im umfassenden Sinn zu definieren? Wie kann der sozialökologische (Mehr-) Wert von Lebensmitteln vermarktet werden? Lässt sich das
Internet nutzen, um Glaubwürdigkeit und Transparenz zu schaffen? (Nachhaltigkeits-Marketing auf der Absatzseite).
Um ein Produkt vermarkten zu können, welches einerseits den hohen biologischen
Anforderungen gerecht und andererseits auch vom Kunden nachgefragt wird, bemüht
sich EOSTA neben der Orientierung am direkten Kunden (Groß- und Einzelhandelsunternehmen) auch darum, seine Lieferanten und die Endverbraucher besser zu verstehen. Insbesondere die Erzeuger werden gezielt in den Vermarktungsprozess eingebunden und mit der Unternehmensphilosophie vertraut gemacht.
Ein Unternehmen, welches eine zentrale Stellung in der Wertkette einnimmt und großen Einfluss auf die Verbreitung nachhaltiger Produkte hat, kann man als sozialökologischen Diffusionsagenten bezeichnen (Hansen/Kull 1996, S. 90-93). EOSTA
nimmt als Großhandelsunternehmen diese Rolle aktiv wahr und versucht sowohl auf
die Angebotsseite (ecology-push-Strategien) als auch auf die Beschaffungsseite (ecology-pull-Strategien) in dem Sinn einzuwirken, dass mehr sozial-ökologische Produkte
angebaut und verkauft werden. Als Vermittler zwischen Anbietern und Verbrauchern
ist EOSTA am Erfolg aller Beteiligten interessiert.
Die Rolle eines Diffusionsagenten kann ein Großhandelsunternehmen insbesondere
daher gut erfüllen, weil im Unternehmen die Kenntnisse über die Produktentwicklung
der Erzeuger und die Bedürfniswünsche der Kunden zusammenlaufen (Abb. 1). Während auf der Stufe des Erzeugers das Interesse an und das Wissen um die Produktentwicklung sehr hoch ist, sinkt es im Verlauf der Wertschöpfungskette. Die Wahrnehmung der Kundenbedürfnisse ist hingegen beim Erzeuger am geringsten und steigt im
Verlauf der Wertschöpfungskette immer weiter an. Im Schnittpunkt beider Kurven
steht z.B. als importierendes Großhandelsunternehmen EOSTA, welches sowohl um
die Vorgänge bei der Produktentwicklung auf der Stufe der Erzeuger als auch um die
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
183
Bedürfnisse seiner Konsumenten weiß. Als Diffusionsagent kann EOSTA so beide
Enden der Wertschöpfungskette, den Erzeuger und den Verbraucher berücksichtigen
und auch selber Einfluss nehmen.
Produktentwicklung
Bedürfniswahrnehmung
hoch
Wahrnehmung der
Konsumentenbedürfnisse
Kenntnisse
zur Produktentwicklung
niedrig
Erzeuger
Im und
Export
Großhandel
Einzelhandel
Verbraucher
Diffusionsagent
Akteure
der Wertschöpfungskette
Abbildung 1: Kenntnis zur Produktentwicklung und zur Bedürfniswahrnehmung
Abbildung 2 stellt die Weiterentwicklung von Abbildung 1 dar und symbolisiert in
Form einer Lemniskate den „unendlichen Dialog“, der innerhalb des NachhaltigkeitsMarketing zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette geführt werden muss,
um die vorhandenen Informationsasymmetrien zwischen den Erzeugern und den Verbrauchern in Bezug auf die Produktentwicklung und die Bedürfniswahrnehmung zu
überwinden. Während auf der Seite des Erzeugers das Bestreben darin besteht, das
Wissen um die sozial-ökologischen Produkteigenschaften zu den Verbraucher zu
transportieren, hat auf der anderen Seite der Verbraucher konkrete Produktvorstellungen und Bedürfnisse, die den Erzeugern vermittelt werden müssen.
Als Großhändler nimmt EOSTA daher zwei unterschiedliche Aufgaben wahr: Zum
einen muss das Unternehmen den Verbraucher auf die sozial-ökologischen Produkteneigenschaften aufmerksam zu machen, die einen gesellschaftlichen Mehrwert darstellen und zum anderen muss EOSTA die Erzeuger von den Bedürfnissen der Konsumen-
184
Hugo Skoppek/Birte Karstens
ten überzeugen. Um erfolgreich zusammenzuarbeiten ist es daher unumgänglich, dass
ein großer „unendlicher Dialog“ zwischen allen Beteiligten der Wertschöpfungskette
geführt wird, der einen ständigen Informationsfluss zwischen den Erzeugern und den
Verbrauchern garantiert. Ziel ist neben dem finanziellen Erfolg, dass bei den Erzeugern ein Bewusstsein für die Verbraucher erzeugt wird und umgekehrt. Ein derartiges
Nachhaltigkeits-Marketing zeigt allen Akteuren der Wertschöpfungskette ihre gegenseitige Abhängigkeit auf und fördert somit eine konstruktive Zusammenarbeit.
Erzeuger
Im- und
Export
Großhandel
Einzelhandel
Verbraucher
Akteure
der Wertschöpfungskette
Wahrnehmung der Konsumentenbedürfnisse
Kenntnisse zur Produktentwicklung
Abbildung 2: Nachhaltigkeits-Marketing als „unendlicher“ Dialog
Beschaffungs- und Absatzmärkte
EOSTA legt einen besonderen Fokus auf den Beschaffungsmarkt, d.h. auf die Herkunft
der Produkte. So wird das Obst ausschließlich in der südlichen Hemisphäre angebaut.
Dies hat zur Folge, dass EOSTA im Frühjahr frisch geerntetes Obst liefern kann, wenn
andere Anbieter Waren auf den Markt bringen, die bereits drei bis fünf Monate gelagert wurden. Neben Äpfel, Birnen und Mangos wird das Obstsortiment durch Zitrusfrüchte, Tafeltrauben und Avocados ergänzt. Im Gegensatz zur Herkunft des Obstes
wird der größte Teil des Gemüses in niederländischen Gewächshäusern angebaut. Es
handelt sich dabei vorwiegend um Tomaten, Paprika und Gurken. Deshalb ist EOSTA
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
185
sowohl beim Obst als auch beim Gemüse in der Lage, auch dann Ware anzubieten,
wenn lokal wenig erzeugt wird.
EOSTA sieht sich jedoch mit der Frage konfrontiert, ob importierte biologische Produkte nicht aufgrund des langen Transportwegs umweltbelastender sind als einheimische konventionelle Produkte (Carbotech 1994, Konsumentinnenforum Schweiz/
Greenpeace Schweiz 1994, Geier 2003, S. 31). Zum einen müssen aber die Energieund Ressourcenaufwendungen für die Lagerung und Haltbarmachung regionaler Produkte dagegen gerechnet werden und zum anderen trägt der Transport – bezogen auf
den gesamten Produktlebenszyklus – häufig nicht in dem Maße zur Umweltbelastung
bei, wie vielfach angenommen wird (Jungbluth 2000, S. 27). So beträgt bspw. im Fall
von Kaffee der Energieverbrauch für den Schiffstransport von den Erzeugerländern
nach Westeuropa gerade mal ein Zehntel des Energieverbrauchs für den Röstprozess
(Belz 1995, S. 169). Neben der Transportentfernung haben insbesondere die Art des
gewählten Transportmittels, die Transportauslastung und die sogenannten „versteckten“ Transporte einen großen Einfluss auf die Höhe der Umweltbelastung (Jungbluth
2000, S. 26). Während bspw. Containerschiffe einen wesentlich geringeren Anteil zur
Umweltbelastung bezogen auf den gesamten Produktlebenszyklus beitragen, führt der
Transport mit dem Flugzeug zu einer sehr viel größeren ökologischen Belastung, die
die Umweltentlastungen durch den biologischen Anbau im jeweiligen Anbaugebiet bei
weitem übertreffen. Die pauschalisierende Aussage, dass das Importieren ökologisch
und sozial verträglicher Produkte aufgrund der hohen Umweltbelastungen beim
Transport negative Auswirkungen auf die Umwelt hätte, ist daher differenziert zu betrachten. Bei effizienteren Anbaubedingungen können sich unter Umständen auch weitere Transportwege ökologisch lohnen (Jungbluth 2000, S. 28). Daher kann nicht generell behauptet werden, dass Produkte, die einen weiten Transportweg zurücklegen, über eine schlechtere Umweltbilanz verfügen als regionale Produkte. EOSTA importiert
seine Produkte fast ausschließlich mit dem Containerschiff, um so die Umweltbelastung trotz des langen Transportes so gering wie möglich zu halten.
Der Absatzmarkt von EOSTA konzentriert sich auf fast alle Länder Europas sowie auf
einzelne Kunden in Nordamerika. Dabei werden unterschiedliche Absatzkanäle bedient. EOSTA hat früh erkannt, dass es wichtig ist, sowohl an den Naturkosthandel als
auch an herkömmliche Supermärkte zu liefern, um den Markt für biologische Lebensmittel weiter zu entwickeln und zu vergrößern. Mit der Umstellung von immer mehr
landwirtschaftlichen Betrieben auf biologische Anbaumethoden war es dem Naturkosthandel nicht länger möglich, die gesamte am Markt angebotene Menge zu verkaufen. Supermärkte spielen daher eine wichtige Rolle, um den Absatzmarkt für biolo-
186
Hugo Skoppek/Birte Karstens
gisch erzeugte Produkte zu erweitern, auch wenn der Anteil biologischer Produkte in
Supermärkten nur einen kleinen Teil ihres gesamten Angebots ausmacht. Heute beliefert EOSTA den Großteil der führenden Supermarktketten in Europa u.a. in Deutschland die REWE Gruppe, Edeka und Tengelmann sowie in der Schweiz Coop und Migros.
2 Nachhaltigkeits-Marketing auf der Beschaffungsseite
In den 1980er Jahren, als EOSTA gegründet wurde, stieg die Nachfrage nach biologischen Nahrungsmitteln in Westeuropa und den USA vermehrt an. Die Gründe dafür
lagen in der zunehmenden Sensibilisierung der Konsumenten im Hinblick auf Umweltthemen im Allgemeinen und auf mögliche Schadstoffe in konventioneller Nahrung im Speziellen. Doch EOSTA konnte dieser steigenden Nachfrage zu Beginn nicht
nachkommen. Es gab häufiger Lieferprobleme, da zum einen die Nachfrage nach biologischen Produkten größer als das Angebot und zum anderen die (biologische) Qualität einiger Bioprodukte zweifelhaft war. In dieser Situation beschloss EOSTA, sich auf
die Suche nach vertrauenswürdigen Erzeugern zu machen. Es ging darum, einerseits
neue glaubwürdige Erzeuger zu finden und andererseits bereits bekannte Erzeuger und
deren Arbeitsweisen genauer kennenzulernen, die Erzeuger zu beraten und Beziehungen zu pflegen. Im Rückblick war dieser Schritt für die Entwicklung von EOSTA von
großer Bedeutung, da so das Unternehmen vertrauenswürdige Erzeuger finden konnte,
um erfolgversprechende und langfristige Geschäftsbeziehungen einzugehen. Strategische Überlegungen müssen allerdings bei ethisch orientierten Unternehmen zu Beginn
der Marketingaktivitäten nicht im Vordergrund stehen. Sie können sich im Laufe der
Zeit aus einer ethisch motivierten Anfangsidee des Unternehmens heraus entwickeln
(Ulrich 1998, S. 430-433). Dies war auch bei EOSTA der Fall. Die Strategien waren
Resultat des Wechselspiels von Unternehmensphilosophie und Unternehmenspraxis
und stellten sich zunehmend als sehr erfolgreich heraus.
Im Umgang mit den Erzeugern wurde nicht nur darauf geachtet, dass biologische Anbaurichtlinien eingehalten wurden, sondern es wurden auch Hilfestellungen geleistet,
sofern diese notwendig waren. Ob es sich um landwirtschaftliche Beratung, Abnahmezusagen oder Vorauszahlungen handelte, hing ganz von den individuellen Bedürfnissen des Erzeugers ab. Bei den finanziellen Leistungen ging es nicht darum, einen geringeren Preis zu erzielen oder Lieferanten in Abhängigkeit zu bringen, sondern darum, engagierte biologische Anbauer langfristig für EOSTA zu gewinnen. Es wurde
dabei auch schnell ersichtlich, dass viele Erzeuger bereits ein besonderes Interesse an
biologischer oder sogar biologisch-dynamischer Landwirtschaft hatten. In vielen Fäl-
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
187
len fehlten jedoch die Kenntnisse und die Erfahrungen, um erfolgreich auf diese Form
der Lebensmittelerzeugung umzustellen. Herkömmliche Hochschulen und Universitäten hatten zwar in Europa vereinzelt Lehrstühle für biologische Landwirtschaft eingerichtet, aber in den Erzeugerländern waren diese Anbaumethoden noch unbekannt.
EOSTA war nicht das einzige Unternehmen, das sich bemühte, diese Lücke zu schließen. Wie auch andere Unternehmen in Europa und den USA stellte EOSTA Berater
ein, die den Erzeugern helfen sollten, auf biologische Anbaumethoden umzustellen
oder diese weiter zu verbessern (Belz 2004, S. 142). Diese langfristig angelegten Beratungstätigkeiten bei den Erzeugern bestehen noch heute.
Um den hohen Erwartungen der kritischen Verbraucher gerecht zu werden, legt
EOSTA großen Wert auf ein umfangreiches Qualitätsentwicklungssystem, welches im
Rahmen des „Nature & More“ Konzeptes (Kap. 3) durchgeführt wird. Für die Entwicklung und Überprüfung der unterschiedlichen Qualitätskriterien bei den Erzeugern
verwendet das Unternehmen einen Fragebogen und ein Auditformular. Diese beiden
Methoden zur Weiterentwicklung der Qualität sind insbesondere darauf ausgelegt, diejenigen Aspekte zu erfassen, die die einzelnen Erzeuger voneinander unterscheiden.
Durch offene Fragen sollen die selbst gesteckten Ziele der Erzeuger erfasst werden.
Dabei geht es nicht nur um das Einhalten von vorgeschriebenen Regeln und Normen,
sondern insbesondere um Eigeninitiative, Innovation und Kreativität. Erzeuger haben
die Möglichkeit, sich und ihren Betrieb darzustellen. Sie können selbst beschreiben,
wie sie als Landwirte biologischen Landbau betreiben und inwieweit sie sich als sozial
verantwortliche Arbeitgeber betrachten. Die intensiven Gespräche zwischen EOSTA
und den Erzeugern tragen zu einer ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung der
Qualitäten bei und bedeuten einen kontinuierlichen Lernprozess auf beiden Seiten.
Um die von den Erzeugern gemachten Qualitätsangaben zu überprüfen, wird jeder Erzeuger durch EOSTA einmal pro Jahr zusätzlich zu den regulären Kontrollen beurteilt.
Da es für außergewöhnlich gute „biologische Leistungen“ kaum festgelegte Kriterien
gibt, ist es wichtig genau zu verstehen, welche Ziele ein Erzeuger verfolgt und inwieweit diese mit denen EOSTAs übereinstimmen. Dazu ist häufig ein intensiver Dialog
zwischen EOSTA und den Erzeugern notwendig. Diese müssen in der Lage sein zu
beweisen, dass das von ihnen Dargestellte wirklich zu einer besseren Umwelt und einer größeren sozialen Gerechtigkeit beiträgt. Deshalb werden auch Akten eingesehen,
Felder besichtigt und Mitarbeiter mit in die Gespräche einbezogen. Die endgültige
Entscheidung über die Bewertung der unterschiedlichen Qualitäten wird im Konsens
mit dem Erzeuger getroffen, denn es geht bei diesem Prozess auch um den Aufbau von
Vertrauen und von langfristigen Geschäftsbeziehungen.
188
Hugo Skoppek/Birte Karstens
Auch wenn EOSTA und seine Erzeuger gemeinsame Ziele verfolgen wie Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit, so zeigen sich doch immer wieder unterschiedliche
Beurteilungen einzelner Maßnahmen. Um diese Unterschiede auszugleichen und
sichtbar zu machen, hat EOSTA ein Bewertungssystem entwickelt, welches die Ziele
EOSTAs im Detail beschreibt. Anhand dieses Systems ist es möglich, gemeinsam zu
einer einheitlichen und vergleichbaren Beurteilung zu kommen. Dieses Bewertungssystem erlaubt es, die unterschiedliche Schwerpunktsetzung der einzelnen Erzeuger
aufzuzeigen: Während der eine fortschrittlicher im biologischen Landbau ist, zeigt der
andere ein stärkeres Engagement im sozialen Bereich. Diese unterschiedlichen Bewertungen machen den einzelnen Erzeugern aber auch klar, wo sie sich noch verbessern
können. Anhand eines Punktesystems werden die unterschiedlichen Qualitäten beurteilt und in einer Gesamtnote dargestellt.
Dieses intensive Beschaffungs-Marketing führt zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen, zur Sicherung des Beschaffungsmarktes und zur Früherkennung von Risiken und
Möglichkeiten. Im Bereich des Beschaffungs-Marketing arbeitet EOSTA häufig mit
anderen Unternehmen zusammen, die einen anderen Markt bedienen, aber die gleichen
Ansprüche an die Erzeuger stellen. Aufgrund dieser engen Zusammenarbeit genießen
sowohl EOSTA als auch die kooperierenden Unternehmen großes Vertrauen bei den
Lieferanten und den Kunden, da die intensive Zusammenarbeit Loyalität und Glaubwürdigkeit signalisiert. EOSTA konnte so in den letzten Jahren Wettbewerbsvorteile
aufbauen und sich von der Konkurrenz im Markt absetzen. Auch die zusätzlichen
Leistungen wie die Vorfinanzierung und die Abnahmezusagen, die EOSTA ihren Erzeugern gewährt, machen sich bezahlt. Stellten sie zunächst noch einen zusätzlichen
Kostenfaktor dar, rentierten sich diese anfänglichen Mehrkosten im Laufe der Zusammenarbeit. So war EOSTA in der Vergangenheit aufgrund der Abnahmezusagen und
Vorfinanzierungen häufig lieferfähig, wenn Konkurrenten nicht mehr über ausreichende Mengen an Produkten verfügten. Aber auch die umfangreiche Beratungstätigkeit
zahlt sich aus. Diese beschränkt sich nicht nur auf Aspekte des biologischen Anbaus.
Oft müssen auch entsprechende Nach-Ernte Verfahren entwickelt oder logistische
Probleme gelöst werden. Sowohl EOSTA als auch die Erzeuger ziehen daraus einen
Vorteil, denn kostenspielige Schäden können so vermieden werden. Über diese direkte
Kostenvermeidung hinaus spielt der Berater auch eine wichtige Rolle in der Beziehungspflege zwischen EOSTA und den Erzeugern. Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit dem Erzeuger lernt der Berater den Anbaubetrieb häufig besser kennen als ein
externer Inspektor einer biologischen Kontrollbehörde. Der Berater übernimmt so für
EOSTA eine wichtige Vertrauensfunktion.
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
189
Dieses beschaffungsmarktorientierte Nachhaltigkeits-Marketing ist neben dem absatzmarktorientierten Nachhaltigkeits-Marketing Teil des „Balanced Marketing” (Raffée 1979, S. 5). Bei diesem so genannten Gleichgewichts-Marketing werden sowohl
auf dem Absatzmarkt als auch auf dem Beschaffungsmarkt intensive Marketingbemühungen durchgeführt (Belz/Dyllick 1996, S. 174-175, Fallbeispiel Coop Naturaplan
Schweiz; Villiger 2000, S. 136). Eine wesentliche Stärke EOSTAs liegt also in der
konsequenten Ausrichtung des Nachhaltigkeits-Marketing auf den Erzeuger und dessen ständige Einbeziehung in den Wertschöpfungsprozess.
3 Nachhaltigkeits-Marketing auf der Absatzseite
Die Geschäftsidee, biologische und biologisch-dynamische Produkte zu verkaufen,
kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Abnehmer bereit sind, den
Mehrpreis, den diese Produkte kosten, auch zu bezahlen. Um dieses zu erreichen, ist es
zum einem notwendig, dass die individuell wahrgenommene Nutzen-Kosten-Bilanz,
die jeder Konsument für sich aufstellt, einen Nettonutzen ausweist (Belz 2001, S. 78)
und zum anderen, dass die ökologischen und sozialen Produkteigenschaften mit herkömmlichen Kaufkriterien zu so genannten Motivallianzen kombiniert werden (Beitrag Belz).
Um den geschaffenen Mehrwert auch für Verbraucher sichtbar zu machen und beurteilen zu können, wurde von EOSTA das Konzept „Nature & More” entwickelt. Dabei
handelt es sich um ein Qualitätsforum, das die sozial-ökologische Qualität der Erzeugung und die Produktqualität offenlegt und den Akteuren der Wertschöpfungskette die
Möglichkeit geben soll, sich über die verschiedenen Qualitätseigenschaften der Produkte zu informieren. Die Qualität wird in drei verschiedenen Kategorien bewertet:
Die Beurteilung der ökologischen Anbauweise, die Beurteilung der sozialen Verträglichkeit sowie die Beurteilung der Produktqualität. Die Ziele von „Nature & More”
bestehen darin, zum einen die Qualität der angebotenen Produkte immer weiter zu erhöhen und zum anderen größere Transparenz in Bezug auf die Qualitätseigenschaften
der Produkte zu liefern.
Die Untersuchungsresultate der verschiedenen Qualitäten stehen insbesondere den
Endverbrauchern, aber auch den Erzeugern und den Groß- und Einzelhändlern zur
Verfügung. Die verschiedenen Handelspartner können so diejenigen Obst- und Gemüsesorten auswählen, die ihren Qualitätsansprüchen genügen. Sie können sich somit im
Markt von ihren Konkurrenten differenzieren.
190
Hugo Skoppek/Birte Karstens
Darüber hinaus bezeichnet „Nature & More” EOSTAs eigene Marke. Auf jedem Produkt von EOSTA befindet sich ein kleiner Aufkleber, der den Käufer auf die „Nature
& More“ Internetseite aufmerksam macht (Abb. 3).
Welcome to the Nature & More Forum!
Enter the code form your
product sticker right here
ENTER
at:
www.natureandmore.com
HEALTHY 9
ORGANIC 9
FAIR 9
You are seconds away
from learning about the
product you have just
purchased.
ENTER WITH CODE
ENTER WITHOUT CODE
Abbildung 3: „Nature & More“: Eingangsseite zum Qualitätsforum im Internet
„Nature & More“ stellt keine zusätzliche Zertifizierung dar und konkurriert auch nicht
mit bestehenden Bio- oder Fair Trade-Zertifizierern. Es ist primär ein Marketinginstrument, um einerseits die Erzeuger für die von ihnen geschaffenen ökologischen und
sozialen Werte zu entlohnen und andererseits den Verbrauchern eine Möglichkeit zu
bieten, sich umfangreich zu informieren. Damit spricht „Nature & More“ den mündigen Verbraucher an, der ein landwirtschaftliches Erzeugnis nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Ergebnis einer ökologischen und sozio-kulturellen Wertschöpfung versteht. Erzeuger, die einen solchen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen, haben dadurch eine Möglichkeit, Verbraucher zu finden, die bereit sind, für diese außergewöhnliche Leistung auch mehr zu bezahlen. Oder anders ausgedrückt: Verbraucher
können mit Hilfe des „Nature & More” Forums die Werte finden, die sie suchen.
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
191
Die „Nature & More” Produkte erfüllen alle die „Nature & More” Qualitätsgrundsätze,
die folgende Bereiche umfassen (Tab. 1).
Kriterien der
ökologischen Qualität:
y Bodenpflege und -fruchtbarkeit
y Erhaltung der Artenvielfalt
y Verantwortungsvolle Bewässerung
y Schädlingsbekämpfung und Krankheitsprävention
y Instandhaltung, Sauberkeit und Hygiene
y Nach-Ernte-Verfahren
y Recycling, Natur- und Kulturschutz
y Forschung und Innovation
Kriterien der
sozialen Qualität:
y Verträge und Vereinbarungen
y Arbeitszeiten und Freizeit
y Gehälter und Löhne
y Aus- und Weiterbildung
y Arbeitsplatz und Sicherheit
y Gegenseitiger Respekt und Anerkennung
y Hierarchie der Unternehmensstruktur
y Entwicklung der Gemeinschaft
Kriterien der
Produktqualität:
y
Rückstandsfreiheit von Düngerstoffen, Pflanzenschutzmitteln und Gen-Technik
y
Analyse der physiologischen Inhaltstoffe
y
Sensorische Beurteilung
y
Vitalitätsbestimmung
Tabelle 1: Kriterien der ökologischen und sozialen Qualität sowie der Produktqualität
Ökologische Qualität
Die ökologische Qualität von „Nature & More” zeichnet sich dadurch aus, dass alle
Produkte die European Council Regulation 2092/91 oder den U.S. Organic Foods Production Act (OFPA) erfüllen. Sie unterliegen ständigen Kontrollen durch zertifizierende Stellen. Darüber hinaus werden die biologischen und biologisch-dynamischen Produkte nach den nationalen und internationalen Standards wie EKO und Demeter angebaut. EOSTA begreift den Anbau biologischer und biologisch-dynamischer Produkte
als Teil einer komplexen Umwelt mit dem Ziel diese zu schützen:
192
Hugo Skoppek/Birte Karstens
„At EOSTA, we encourage farmers to consider the larger context and the uniqueness
of their farming operation, because as stewards of the land, they are not only producing crops, but contributing actively towards improving the environment.”
(EOSTA 2004)
Soziale Qualität
Verbraucher wählen heute in zunehmendem Maße auch ganz bewusst Produkte aus,
die neben ökologischen auch soziale Aspekte berücksichtigen. Im Fall von Obst und
Gemüse stehen Produkte im Mittelpunkt, die fair gehandelt werden. Als global agierendes Handelsunternehmen sieht sich EOSTA in der Verantwortung, jedem Mitglied
der Wertschöpfungkette ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das Ziel der
sozialen Qualität, deren Inhalte auf der Erklärung der Menschenrechte basieren, ist die
Menschen dabei zu unterstützen ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben zu führen. EOSTA betrachtet sich selbst als einen fairen Handelspartner. Darüber hinaus
müssen sich auch EOSTAs Lieferanten, d.h. die Erzeuger, für bessere soziale Bedingungen in ihren Unternehmen einsetzen. Darunter fallen Maßnahmen wie die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen, die Bereitstellung medizinischer Leistungen sowie
Fortbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Produktqualität
Unabhängig von der Anbaumethode erwartet der Verbraucher von biologischen Lebensmitteln, dass sie besser schmecken und gesünder sind. Insbesondere sollen die
Produkte frei von möglichen gesundheitsschädlichen Rückständen sein. Deshalb werden die unter der Marke „Nature & More” verkauften Lebensmittel routinemäßig auf
eine Vielzahl von möglichen Rückständen untersucht, um das Risiko von Verunreinigungen so gering wie möglich zu halten. Aber auch Geschmack und Nährwert werden
im Rahmen von „Nature & More” getestet und beurteilt. Zunächst geht es dabei um
eine allgemeine Nährstoffanalyse, d.h. um die Bestimmung von Kohlehydraten, Eiweißen, Fetten und Vitaminen. Ferner werden die Produkte von einem Expertenteam
sensorisch beurteilt. Dabei stehen Kriterien wie das Aussehen, der Geruch und der Geschmack im Vordergrund. Um weitere Aussagen über die Haltbarkeit zu machen, werden die Produkte auch einem Vitalitätstest unterzogen.
Kooperationsbereitschaft in Form von Beratungstätigkeit, Abnahmeverpflichtungen,
Vorauszahlungen und Loyalität sind wichtige Voraussetzungen, die für die jeweiligen
Partner in der Wertschöpfungskette von großer Bedeutung sind, um gemeinsam gute
biologische Produkte auf den Markt zu bringen. Dennoch spielen diese Voraussetzun-
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
193
gen für viele Verbraucher nur eine untergeordnete Rolle, da es diesen in den meisten
Fällen beim Verzehr biologischer Produkte um ihre Gesundheit geht. Die weit verbreitete (jedoch noch nicht bewiesene) Annahme, dass biologisch erzeugte Lebensmittel
gesünder seien als herkömmliche Produkte, macht es zwar einfacher, kurzfristig biologische Ware zu vermarkten, doch reichen derartige Verkaufsargumente nicht aus, um
langfristig das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Die Qualitätsbewertung von „Nature & More” wird in Form eines Qualitätsindexes als ein Marketinginstrument für die
Absatzseite verwendet. Jedes einzelne „Nature & More” Produkt wird mit einem eigenen dreistelligen Code ausgewiesen. Dieser befindet sich auf einem Aufkleber an jedem Produkt und verweist den Käufer für detailliertere Informationen zu den Produktqualitäten auf die Internetseite. Anhand des dreistelligen Codes erhält der Verbraucher
Zugang zu der produktspezifischen Internetseite (Abb. 4, Birne mit dem Code 111).
Dort kann sich jeder Kunde schnell einen Überblick sowohl über die Gesamtbewertung als auch über die Einzelbewertungen der drei Qualitäten eines Produktes verschaffen. Die Qualitätsbeurteilung wird numerisch dargestellt. Die Informationen beziehen sich ganz spezifisch auf ein Produkt eines bestimmten Erzeugers. Der Verbraucher kann nicht nur das Herkunftsland und die Sorte des Produktes in Erfahrung bringen, sondern auch den Namen des Erzeugers. Weitere Informationen zu untergeordneten Qualitätskategorien sind durch „Anklicken“ des Bewertungsbalkens abrufbar. Das
„Nature & More“ Forum wurde im Februar 2004 lanciert. In der Startphase verzeichnete das Forum bereits knapp 1000 Zugriffe pro Tag.
Durch die mit Bildern und einer „Slideshow“ gestützte Präsentation der Ergebnisse im
Internet schafft EOSTA eine emotionale Bindung zwischen seinen Erzeugern, seinen
Abnehmern und dem Endverbraucher. Die Fülle an Informationen wird zunächst in
den Hintergrund gestellt, so dass sich der Betrachter nicht überfordert fühlt. Die
Kommunikation verläuft auf einer emotional-argumentativen Ebene. Dies ist bei der
Vermarktung biologischer Lebensmittel von großer Bedeutung (Lichtl 1999, S. 19), da
die oftmals komplizierte Darstellung reiner Informationen die meisten Verbraucher
nicht interessiert und somit auch nicht anspricht (Beitrag Schrader). Kritische Käufer,
die einen tieferen Einblick in die Einzelkriterien wünschen, finden auf zusätzlichen
Internetseiten weiterführende und detailliertere Informationen.
Damit stellt der Internetauftritt des „Nature & More“ Forums ein interessantes Instrument dar, die Informationsasymmetrie zwischen Erzeugern und Endverbrauchern zu
reduzieren (Beitrag Schrader). Gerade bei sozial-ökologischen Produkten herrscht
große Unsicherheit bezüglich ihrer zugesicherten ökologischen Eigenschaften (Kaas
194
Hugo Skoppek/Birte Karstens
Enter Product Code
The Pear you are holding in your hand is a
Alexander Lucas, it was grown by Fruempac
Farms in Argentina and has been awarded
6.4 points on the Nature & More Quality Index
GROWERS
OUR MISSION
QUALITY
OUR VALUES
ABOUT US
100% certified organic
PRODUCTS
PRODUCT QUALITY
5.0
ECOLOGICAL QUALITY
7.4
… that many European
pear varieties came
from the orchards of
monasteries and
convents because the
friars and nuns were
highly educated people.
Also On This Farm . . .
Apple
SOCIAL QUALITY
6.9
NEWS
MEDIA
Did You Know . . .
Organic Certification: Argencert – Produccion Organica Cerificada
Apple
Braeburn
Gala (Royal
Gala)
Braeburn
Granny Smith
Gala (Royal Gala)
Red Delicious
Granny Smith
Pear
Red Delicious
PearAbate Fetel
Alexander Lucas
Abate Fetel
Beurre Bosc
Alexander Lucas
9 d‘Anjou
Beurre
Beurre Bosc
Conderence
Beurre d‘Anjou
Packhams
Red Anjou
Conderence
Red Bartlett
Packhams
Williams Bartlett
Red Anjou
Williams Bartlett
Abbildung 4: „Nature & More”: Internetseite zur Qualitätsbeurteilung
1992, S. 478-479). Zwischen den Erzeugern und den Kunden bzw. Konsumenten besteht eine Informationsasymmetrie: Während der Erzeuger meist sehr gute Kenntnisse
über die verschiedenen Eigenschaften seines Produktes hat, besitzt der Konsument so
gut wie keine Informationen (Hüser 1996, S. 27-30). Die ökologische Produkteigenschaft stellt in den meisten Fällen eine Vertrauenseigenschaft dar (Kaas 1992, S. 481482; Hüser 1996, S. 29). EOSTA versucht diesem Glaubwürdigkeitsproblem mit Hilfe
von „Nature & More” entgegenzuwirken. Durch die Offenlegung der Informationen
signalisiert das Unternehmen ihren Kunden Transparenz und Glaubwürdigkeit der
Qualitäten. Darüber hinaus senkt dieses Forum die Informations- und Kontrollkosten
der Konsumenten, die bei Produkten mit Vertrauenseigenschaften einen großen Anteil
an der individuell wahrgenommenen Kosten-Bilanz haben (Belz 2001, S. 76).
Hauptanliegen des Qualitätsindex ist es, die unterschiedlichen Qualitätsaspekte der
verschiedenen Erzeuger schnell und einfach zu kommunizieren, um den Verbrauchern
die Möglichkeit zu geben, genau die biologischen Produkte zu kaufen, die sie sich
auch wünschen. Dies gilt in gleicher Weise für den Groß- und Einzelhandel wie für
den Endverbraucher. Der Qualitätsindex ist zur Zeit noch stark numerisch gewichtet,
Nachhaltigkeits-Marketing eines europäischen Großhandelsunternehmens
195
kann aber entsprechend mit mehr Information ausgestattet werden, wenn ersichtlich
wird, dass die Verbraucher der „Nature & More” Marke dieses wünschen. Ziel ist es,
dem Verbraucher die Informationen anzubieten, die er benötigt, um der Marke zu vertrauen. Allerdings geht es hier nicht um (leere) Versprechungen, sondern um nützliche
Informationen, die auch den Tatsachen entsprechen und den Bedürfnissen der Verbraucher gerecht werden. Ohne Zweifel lässt sich der intensive Dialog, der bereits zur
Erzeugerseite besteht, auch weiter zur Verbraucherseite ausdehnen. Im Gegensatz zu
den traditionellen Medien ermöglicht das Internet einen direkten Dialog zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungskette. Das „Nature & More” Forum möchte in der
Zukunft Erzeuger und Verbraucher an einem virtuellen Marktstand zusammen bringen, um so neben der reinen Informationsdarstellung auch ein konstruktives „Gespräch“ mit gegenseitigem Informationsaustausch zu ermöglichen.
4 Zusammenfassung
EOSTA hat einen sehr hohen Anspruch an die ökologische und soziale Qualität sowie
an die Produktqualität ihrer Obst- und Gemüsesorten. Mit der konsequenten Bewertung und der langfristigen Sicherung der unterschiedlichen Qualitäten will EOSTA
diesen hohen Qualitätsanspruch verdeutlichen und ihre Glaubwürdigkeit erhöhen.
Durch Offenheit und Ehrlichkeit soll Vertrauen geschaffen werden. EOSTA erreicht
dieses Ziel insbesondere durch das lückenlose Engagement entlang der gesamten
Wertschöpfungskette vom Erzeuger bis zum Endverbraucher. Die gleichgewichtige
Ausrichtung der Marketingaktivitäten sowohl auf den Beschaffungs- als auch auf den
Absatzmarkt führt dazu, dass EOSTA großes Vertrauen in ihre sozial-ökologischen
Produkte hat und dieses dem Kunden auch in Form des „Nature & More“ Forums signalisieren kann. Den zentralen Erfolgsfaktor auf der Beschaffungsseite stellt dabei die
auf lange Sicht angelegte Zusammenarbeit mit den Erzeugern dar. Hieraus ergeben
sich für EOSTA Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern. Auf der Absatzseite ist das „Nature & More“ Forum im Internet ein geeignetes Marketinginstrument
um die Verbraucher emotional-argumentativ anzusprechen und um mehr Transparenz
und Glaubwürdigkeit zu signalisieren. Mit Hilfe dieser Eigenschaften hat EOSTA es
geschafft, sich erfolgreich als Großhandelsunternehmen im europäischen Markt für
Bio-Gemüse und -Obst zu profilieren und etablieren.
196
Hugo Skoppek/Birte Karstens
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Migros: Nachhaltigkeits-Marketing
zwischen Tradition und Innovation
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
1 Einleitung
Migros ist die größte Detailhandelskette der Schweiz. Sie besteht aus 10 Genossenschaften und besitzt über 580 Filialen. Supermärkte, Läden und Fachmärkte erwirtschaften rund zwei Drittel des Konzernumsatzes in Höhe von 20 Mrd. SFr (Anhang 1).
Migros gilt nach dem IHA GfK Image Barometer als die angesehenste Firma und die
bekannteste Marke der Schweiz (Brand Asset Valuator 2003). Bereits der Gründung
der Migros durch Gottlieb Duttweiler lagen starke soziale Motive zu Grunde. Im
Nachhaltigkeits-Ranking der Züricher Kantonalbank erreichte Migros fast die höchste
Bewertung (AA auf einer Skala AAA bis C). Migros war einer der Hauptpartner des
Forschungsprojektes Sustainability Marketing Switzerland (SMS).
Gabi Hildesheimer, Geschäftsleiterin der schweizerischen Unternehmensvereinigung
für ökologisch bewusstes Wirtschaften sprach mit Fausta Borsani, Projektleiterin Ethik
und Umwelt bei Migros, über das Nachhaltigkeits-Marketing in der Migros-Praxis.
2 Nachhaltigkeits-Marketing bei Migros
Hildesheimer: Wenn wir der Konzeption des Nachhaltigkeits-Marketing folgen, wie
sie Frank-Martin Belz in diesem Buch ausgeführt hat, steht am Anfang die Analyse der
sozial-ökologischen Problemfelder. Als Detailhändler stehen Sie vor der Schwierigkeit, dass Sie angesichts der Produktvielfalt im Prinzip mit allen Problemen konfrontiert werden, die durch unseren Konsum verursacht werden. Wie finden Sie als Verantwortliche für Umwelt und Ethik sich in diesem Problem-Dickicht zurecht? Auf
welche Weise setzen Sie Tätigkeitsschwerpunkte für ein Nachhaltigkeits-Marketing?
Borsani: Wir werden direkt von Anspruchsgruppen (z.B. Nicht-Regierungsorganisationen) angesprochen und erfahren, was sie bewegt und womit sie sich beschäftigen. Aber – das scheint mir noch wichtiger – wir sind alle Menschen mit einem
eigenen Verstand und eigenen ethischen Vorstellungen. Jede und jeder von uns hat die
Möglichkeit zu erkennen, wo er oder sie in dem jeweiligen Arbeitsgebiet Verbesse-
198
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
rungen vorschlagen kann. Daraus – aus dem Gefühl der kollektiven Verantwortung –
sind die meisten Projekte der Migros entstanden: Im Bereich der Betriebsökologie
(z.B. großer Einsatz für Solarstrom oder für den Schienentransport), im Bereich Beschaffung (z.B. das Palmölprojekt, unser Engagement beim Kaffee), das sortimentsumfassende Projekt des Verhaltenskodex Non-Food oder auch die KIDS Schule.
Hildesheimer: Das klingt nach einem „bottom-up-approach“. Haben Sie besonders
motivierte Mitarbeiter oder fördern Sie gezielt das Einbringen von eigenen Ideen
durch die Mitarbeiter?
Borsani: Beides: Gute Projekte setzen ein gutes Arbeitsklima voraus. Außerdem haben
wir ein gutes, breit abgestütztes neues Leitbild (Anhang 2). Der Kernsatz darin lautet:
„Die Migros ist das Schweizer Unternehmen, das sich mit Leidenschaft für die Lebensqualität seiner Kundinnen und Kunden einsetzt.“ Dieses Leitbild wurde von einer
großen Arbeitsgruppe entwickelt und intensiv diskutiert. Es basiert auf den Grundwerten Gottlieb Duttweilers und dient als Leitstern für alle Aktivitäten auf allen Stufen.
Hildesheimer: Kennen Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden?
Borsani: Wir sind am Markt und merken unmittelbar, was Konsumentinnen und Konsumenten wollen. Wir kommunizieren sehr direkt mit ihnen und merken zum Beispiel,
wie sie mit dem Portemonnaie entscheiden, was sie kaufen oder eben nicht kaufen. Als
Ergänzung führen wir natürlich auch Kundenbefragungen durch.
3 Normatives Nachhaltigkeits-Marketing
Hildesheimer: Migros hat eine lange Tradition im Hinblick auf ethisches Wirtschaften,
von Gottlieb Duttweiler bis heute …
Borsani: Der Einsatz der Migros, der auf der Grundlage der Ideen des Gründers Gottlieb Duttweiler gewachsen ist, ist heute immer noch wichtiger Teil der Unternehmenskultur, eine Art Imprägnierung.
Hildesheimer: Migros macht sich mit diesen hohen Ansprüchen aber gleichzeitig auch
angreifbar. Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass Umweltorganisationen oder
Gewerkschaften sie bei „Fehltritten“ ertappen.
Borsani: Das sind die zwei Seiten derselben Medaille bei Migros: Einerseits ist sie
Schrittmacherin, andererseits exponiert sie sich durch die Auseinandersetzung mit den
Anspruchsgruppen. Doch dieser Austausch bewirkt auch etwas, das finde ich gut. Das
ist für mich der Motor des Fortschritts. Kritische Leute geben Impulse.
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation
199
Hildesheimer: Wir haben bisher nicht explizit zwischen Food und Non-Food unterschieden. Vor kurzem hat Migros den Verhaltenskodex für Non-Food-Produkte eingeführt. Produzenten, die diesem Kodex, der unter anderem etwa den Verzicht auf Kinderarbeit enthält, nicht nachkommen, werden von der Liste gestrichen. Ist dies auch
ein Element der Philosophie, das ganze, breite Produktsortiment auch im Non-FoodBereich mit sozial-ökologischen Standards anzuheben?
Borsani: Unsere Politik lautet: Wir wollen, dass die Konsumentin und der Konsument
überall ins Migros-Regal greifen können und ein gutes Gewissen dabei haben. Das
bedeutet doch, dass alle, d.h. auch Non-Food-Produkte in der Migros einem minimalen
Standard in ökologischer und sozialer Hinsicht entsprechen müssen. Das ist eine Art
Eintrittspforte in die Migros. Konkret bedeutet dies z.B. Eurepgap-Standards im FoodBereich (Anhang 3) oder Verhaltenskodex Migros im Non-Food-Bereich (Anhang 4).
Wir wollen grundsätzlich bestehende Lieferantenbeziehungen erhalten. Wir wollen die
Lieferanten durch Beratung und Information auf den Standard des Kodex bringen.
Wenn wir aber sehen, dass ein Lieferant nicht mitmacht und diese Standards nicht
fristgerecht umsetzt, wird ihm in letzter Konsequenz gekündigt.
4 Strategisches und operatives Nachhaltigkeits-Marketing
Hildesheimer: Das Unternehmen Migros hat in seiner Gesamtheit ökologische und
soziale Ansprüche, nimmt seine Verantwortung integral wahr. Aber interessiert denn
das die Konsumentinnen und Konsumenten? Kann ein solches Engagement für das
Marketing nutzbar gemacht werden? Aus der Wissenschaft ist bekannt, dass primär für
Produkte Marketing betrieben werden kann, weniger für Haltungen.
Borsani: Wir gehen da einen anderen Weg. Migros ist immerhin die angesehenste und
bekannteste Marke der Schweiz. Durch unser breites Engagement für Mensch, Tier
und Natur laden wir diese Marke Migros auf. Schließlich geht es auch darum, dafür zu
sorgen, dass die Konsumenten weiterhin bei uns einkaufen, weil sie uns als verantwortungsvoll wahrnehmen.
Hildesheimer: Unterstützt Migros sie dabei? Denken Sie an den viel zitierten „Labelsalat“. Migros wurde vorgeworfen, dass die Vielzahl unterschiedlicher Labels – ich
glaube, es sind 11 Stück – statt Transparenz zu schaffen nur Verwirrung stiften und die
Motivation der an sich verantwortungsbewussten Käuferinnen und Käufer eher verringern würden.
200
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
Borsani: Mit dem Dachlabel „Engagement“ haben wir den so genannten „Labelsalat“
sehr viel transparenter gemacht. Labels wie die 7-Punkte-Fleisch-Garantie (M-7) oder
IP-Suisse haben eine deutliche Differenzierung zur konventionellen Produktion und
haben einen großen Marktanteil. Labels wie Max Havelaar und Bio sind PremiumLabels, sie haben aber einen sehr kleinen Marktanteil. Für Migros ist es vor allem
wichtig, dass viele profitieren, nicht nur wenige. Mit Produkten, die deutlich ökologischer und sozialer als die konventionellen produziert werden, deren Produktionskosten
aber nicht so hoch sind wie bei den Premium-Labels, erreichen wir eine breite Käuferschicht. Dieser bieten wir einen Mehrnutzen mit einem günstigen Preis/Leistungsverhältnis an. Die mittlere Ebene wie M-7 oder IP-Suisse weist zwar weniger strenge Richtlinien auf, hat aber – weil sie einen größeren Markt abdeckt – viel
bewirkt. Migros will sich nicht nur in den Marktnischen der obersten Label positionieren. Bio-Produkte machen 2,9% des Food-Anteils aus, mit M-7 visieren wir 70% beim
Fleisch an. Das sind doch andere Zahlen und sie zeigen die Philosophie der Migros:
Wir wollen den Massenmarkt verbessern – das heißt, den Boden anheben und nicht
den Himmel ausbauen. Es ist legitim und nötig, auch die Hintergründe der „mittleren“
und nicht nur der Premium-Labels zu kommunizieren.
Hildesheimer: Konnte durch die Einführung des Dachlabels „Engagement“ der Umsatz gesteigert werden? Gibt es einen Imagegewinn?
Borsani: Im Jahr 2003 hatten wir ein erneutes Umsatzwachstum mit den Labelprodukten (Anhang 5). Unsere Kundschaft hat das Dachlabel „Engagement“ begrüßt und verstanden. Ob wir wegen dem Dachlabel „Engagement“ mehr Chips oder Unterhosen
verkaufen, kann ich nicht sagen. Aber sicher trägt unser Einsatz auch dazu bei, dass
unser Gesamtumsatz im letzten Jahr wieder gewachsen ist – trotz schwierigem Markt.
Hildesheimer: Sie erwarten ein weiteres Wachstum der Engagement-Produkte?
Borsani: Trotz der schwierigen konjunkturellen Lage haben diese Produkte großes
Potenzial. 2010 wollen wir 2,5 Milliarden Franken mit Labelprodukten umsetzen.
Daneben verbessert sich auch die konventionelle Produktion stark. Die großen Konzerne sind dabei, vermehrt ökologische und soziale Basisstandards zu formulieren und
durchzusetzen (z.B. Chiquita).
Hildesheimer: Gleichzeitig boomt der Umsatz am unteren Ende der Skala, bei
M-Budget. Wie ist das zu verstehen?
Borsani: Mit der Tiefpreislinie M-Budget wollen wir der starken Nachfrage einer ganzen Reihe von Kundinnen und Kunden entsprechen, die bestimmte Artikel zu günsti-
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation
201
gen Preisen zu kaufen wünschen. Auch bei M-Budget wollen wir eine gute ökologische und soziale Qualität gewährleisten. Die Preisdifferenz lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären. Einmal kalkuliert Migros auf diesen Produkten weniger Marge, dann ist die Verpackung recht einfach gehalten. Die Rezepturen sind ebenfalls anders zusammengestellt. Dies führt zu Kostenreduktionen im Produktionsprozess. In
der M-Budget-Linie bieten wir auch meist größere Packungen an, die klar auf Familien und Großhaushalte ausgerichtet sind, was diese Artikel ebenfalls vergünstigt. Ansonsten unterliegen die Produkte der gleichen Qualitätskontrolle wie unser gesamtes
Sortiment. Mit dem M-Budget-Sortiment geht es Migros weniger darum, neue Käuferschichten zu erschließen, sondern darum, die bestehenden - speziell in ökonomisch
schwierigen Zeiten - nicht an Discounter zu verlieren. Dieses Ziel konnte erreicht werden.
Hildesheimer: Wie binden Sie denn Engagement-Produkte in Ihre Werbekampagnen
ein? Gibt es eine bestimmte Engagement-Quote (z.B. 10% der Sonderangebote sind
Engagement-Produkte)? Oder werden diese Produkte mit eigenständigen Kampagnen
beworben?
Borsani: Es gibt keine Quoten. Wir machen eigenständige Kampagnen, um die Hintergründe und die Bedeutung von „Engagement“ zu erklären.
Hildesheimer: Erfordern die Engagement-Produkte besondere Anstrengungen in der
Distribution? In welcher Größenordnung schlägt sich dies im Preis wieder?
Borsani: Das ist von Produkt zu Produkt sehr verschieden. Ziel bleibt es, der Konsumentin und dem Konsumenten unabhängig vom Portemonnaie ethisch gute Produkte
anzubieten. Natürlich kostet die Einführung neuer Standards, es geht um höhere Logistikkosten, es geht um Qualitätssicherung, es geht um Kontrollkosten. Bessere Produktionsbedingungen schlagen sich aber nicht immer im Verkaufspreis nieder, weil ein
besseres Management aus ethischer Sicht auch häufig hilft, in finanzieller Hinsicht zu
sparen.
5 Transformatives Nachhaltigkeits-Marketing
Hildesheimer: Im Lebensmittel-Workshop auf dem St. Galler Forum für Nachhaltigkeitsmanagement am 25.11.2003 waren mehrheitlich ausländische Teilnehmerinnen
und Teilnehmer anwesend. Wiederholt wurde auf den „Sonderfall Schweiz“ verwiesen. Migros und Coop beherrschen den Markt und liefern sich nicht nur einen Kampf
um die Umsatz-Spitzenposition, sondern – das wurde beneidet – auch um die Position
als Nachhaltigkeits-Leader. Können Sie diese Beobachtung kommentieren?
202
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
Borsani: Die Beobachtung stimmt. Und das bringt die Nachhaltigkeit sicher weiter.
Hildesheimer: Trotzdem liegt auch in der Schweiz das Nachhaltigkeits-Gold nicht auf
der Straße. Sie nannten 2.9% Bio-Anteil bei Lebensmitteln, das Bedürfnis von Kunden
nach billigen Produkten. Was unternimmt Migros jenseits strategisch-operativer Maßnahmen, um die Grenzen des Nachhaltigkeits-Marketing zu verschieben, den potenziellen Markt für nachhaltige Produkte zu vergrößern?
Borsani: Migros war an vielen politischen Veränderungen in der Schweiz beteiligt.
Wir haben die Schweizer Landwirtschaftspolitik bereits vor Jahren durch die integrierte Produktion (IP) revolutioniert. Diese wurde von Migros lanciert und ist heute in der
Schweizer Landwirtschaft Standard. Wir haben die Tierhaltung auf breiter Basis verbessert (7-Punkte-Fleisch-Garantie). Nun sind wir daran, dasselbe bei den tropischen
Gütern wie dem Palmöl zu tun. Dies sind wichtige Beispiele für das so genannte transformative Nachhaltigkeits-Marketing, wo die Rahmenbedingungen verändert werden
und so der Einfluss weit über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus ausgedehnt
wird.
6 Das Palmöl-Projekt
Hildesheimer: Das ist ein gutes Stichwort. Mir scheint, dass an diesem Palmöl-Projekt
sehr viel von dieser schon oft zitierten Migros-Philosophie sichtbar wird. Wie kamen
Sie denn auf das Palmöl?
Borsani: Palmöl ist ein Rohstoff, der in den unterschiedlichsten Endprodukten vorkommt, z.B. in Backwaren, Fertigsuppen, aber auch in Kosmetika. Die Produktion des
Rohstoffs ist sehr häufig verknüpft mit erheblichen ökologischen und sozialen Problemen (z.B. Brandrodungen und Verlust der Subsistenzgrundlagen). 1999 beendete der
Tages-Anzeiger einen Bericht über die Problematik mit den Worten: „Die ahnungslosen Konsumenten des Palmöls sitzen in Europa. Dieselben umweltbewussten Bürger,
die einen Importboykott für Tropenhölzer aus nicht nachhaltigem Anbau unterstützten,
verspeisen den Regenwald zum Frühstück, schmieren ihn auf ihre Lippen und halten
ihre delikaten Hände zart.“
Hildesheimer: Was hat Migros hieraus für Schlüsse gezogen?
Borsani: Migros kontaktierte den WWF Schweiz, als sich die Umweltorganisation
selber mit dem Thema zu beschäftigen begann. Wir erarbeiteten zusammen mit engagierten Umweltfachleuten Kriterien für einen verantwortungsvollen Anbau von Palmöl. Nachhaltiges Palmöl stammt nicht aus Plantagen, für die kürzlich Naturwald gero-
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation
203
det wurde. Die Plantage muss möglichst alle Auswirkungen des Palmölanbaus auf die
natürliche Umwelt untersuchen und Pläne zur Minimierung der negativen Auswirkungen ausarbeiten. Der verbleibende natürliche Wald wird geschützt. Faire Arbeitsbedingungen sind ein Muss, ausbeuterische Kinderarbeit ist verboten. Die Plantage muss
sich mit weiteren sozialen Auswirkungen auseinander setzen. Diese betreffen Fragen
wie Landzugang, Wanderbewegungen in und aus einer Region, Nahrungsmittelbeschaffung, Sicherheit, Gesundheit sowie kulturelle Einflüsse.
Hildesheimer: Frank-Martin Belz zeigte am Beispiel der Kaffeeproduktion, wie den
ökologischen und sozialen Problemen mit einem Bio- und Fair Trade-Produkt umfassend begegnet werden kann. Ist Ihr Palmöl ohne biologischen Anbau überhaupt nachhaltig?
Borsani: Bio und Fair Trade allein sind in diesem Fall keine optimale Lösung. Sehen
Sie: Es ist möglich, ein Stück Regenwald zu roden, und darauf eine Bio-Plantage zu
errichten. Somit kann mit Bio allein die Zerstörung des Tropenwaldes nicht aufgehalten werden. Außerdem werden die meisten Plantagen aufgrund der höheren Produktionskosten in nächster Zukunft nicht auf Bio umsteigen. Da müssen wir die Frage beantworten: Wollen wir drei Plantagen weltweit oder wollen wir die Palmölproduktion
auf den großen Flächen etwa in Malaysia und Indonesien nachhaltig verändern? Wollen wir die wertvollen verbleibenden Naturwaldgebiete schnell schützen, indem wir
alle Akteure einbeziehen? Die Antwort hieß für uns: Möglichst viel, möglichst gut,
möglichst schnell. Unter dieser Voraussetzung kann man zwar Bio anvisieren, aber
nicht sofort vorschreiben. Bio kostet pro Tonne 1000 SFr. mehr als der Weltmarktpreis, das wäre ökonomisch nicht tragbar für die Industrie. Und wir wollten ja die ganze industrielle Produktion im Food-Bereich möglichst schnell umstellen, um auch international Signale zu senden. Wir wollten nicht ein paar tugendhafte Produkte verwirklichen, sondern eine neue Beschaffungspolitik für das gesamte Palmöl von Migros
realisieren.
Hildesheimer: Das Palmölprojekt gelang, weil einerseits in der Migros die Verantwortlichen für Produktion, Detailhandel und Nachhaltigkeit ganz nahe beieinander
sind und andererseits weil intensive Beziehungen zu den Anspruchsgruppen bestehen
(Umweltorganisationen, Interessenvertreter von sozialen Gruppen etc.). Heute ist der
gesamte Eigenbedarf der Migros im Nahrungsmittelbereich aus nachhaltiger Produktion. Können Sie weitere Erfolgsfaktoren beschreiben, weshalb dieses doch sehr anspruchsvolle Projekt in überraschend kurzer Zeit umsetzungsreif war?
204
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
Borsani: Wir haben das Glück, eine Eigenindustrie zu haben, das heißt, sobald Migros
als Ganzes überzeugt war, das Projekt durchzuführen, konnte man loslegen und anders
einkaufen. Das wird bei den Lieferanten von Produkten, die wir nicht selbst herstellen,
langwieriger sein.
Hildesheimer: In der Schweiz hat sich nun auch Coop entschlossen, Palmöl aus nachhaltiger Produktion einzusetzen. Und die Idee wird weiter in die Welt hinaus getragen:
Zusammen mit dem WWF wurde ein „Runder Tisch“ mit vielen betroffenen Akteuren
initiiert. Man versucht analog zur integrierten Produktion (IP) diesmal die Rahmenbedingungen auf dem internationalen Parkett zu beeinflussen. Hat dieser „Runde Tisch“
schon etwas bewirken können?
Borsani: Zusammen mit dem WWF und anderen wichtigen Akteuren der Palmölindustrie hat Migros im August 2003 eine internationale Konferenz zum Thema Palmöl organisiert. Deren Ziel war die Förderung der Produktion und Nachfrage von nachhaltigem Palmöl. In diesem Fall wurde für die nachhaltige Gewinnung eines wichtigen
Rohstoffes ein Lösungsprozess eingeleitet, an dem wirklich alle interessierten und betroffenen Parteien teilnahmen. Nun werden weitere konkrete Schritte folgen. Als
nächstes sind die Formulierung und die Umsetzung gemeinsamer Regeln geplant. Diese Regeln werden ökologische und soziale Aspekte einschließen, wie auch die geeigneten Gebiete für Neupflanzungen definieren, damit der natürliche Tropenwald intakt
bleibt. Das Beispiel hat gezeigt, dass eine nachhaltige Produktion von Palmöl möglich
ist. Die Migros-Kriterien für nachhaltiges Palmöl sowie die Erfahrungen, welche wir
gemacht haben, werden hierzu einen wichtigen Beitrag liefern.
Hildesheimer: Und was sagen die Kundinnen und Kunden? Kann Migros in Bereichen
aktiv sein, wo diese von sich aus gar keine Bedürfnisse haben? Kann Migros hier aufklären und letztlich sogar neue Bedürfnisse schaffen? Oder konkret gefragt: Gehen Sie
davon aus, dass die Investitionen in das Palmöl-Projekt rentabel werden, weil mehr
entsprechende Margarine verkauft wird?
Borsani: Natürlich muss Migros immer einen Schritt voraus denken, gerade weil sie
auf internationalen Märkten aktiv ist und sie sehr sensibilisiert ist auf Probleme, die
mit der Beschaffung zusammenhängen. Unsere Kommunikation beschränkt sich deswegen nicht auf klassische Werbung. Wir bringen Hintergrundberichte in unseren Eigenmedien, informieren Medienschaffende umfassend und ohne zu beschönigen über
Probleme und Lösungsansätze, über Fortschritte und Rückschläge. Es ist bei diesen
Projekten nicht wichtig, mehr Margarine zu verkaufen, obwohl wir sicher die nachhaltigste Margarine auf dem Markt haben (lacht), sondern die Marke Migros aufzuladen:
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation
205
Migros setzt sich Ziele, versucht überall, wo sie kann, Verantwortung zu übernehmen,
Verbesserungen zu erreichen, Probleme zu lösen.
Hildesheimer: Sie sagen, wo Migros kann. Wo können Sie? Was ist Ihre Strategie zur
Festlegung von Schwerpunkten?
Borsani: Einerseits überlegen wir uns, wo wir uns engagieren können, wo unsere Verantwortung im Feld der Nachhaltigkeit liegt. Wir stellen also den Zusammenhang dar
zwischen unserem Kerngeschäft, der Beschaffung und dem Wiederverkauf von Waren, und den Imperativen der Nachhaltigkeit: Soziale Beschaffung, ökologische Produktion und Erfolg am Markt. Aus diesen drei Gesichtspunkten leiten wir unsere Strategie ab. So ist die Entstehung des Dachlabels „Engagement“ zu erklären, welches der
Kundschaft den Mehrnutzen des gelabelten Produkts, aber auch die Orientierung im
Laden, sowie vertiefte Hintergrundsinformation bringt. Aus der stetigen Analyse der
Kundenbedürfnisse und der ökologischen und sozialen Probleme, mit denen wir als
Beschaffer konfrontiert werden, entstehen dann auch Projekte, die einen eher transformativen Charakter haben wie z.B. das Palmölprojekt. Die Projekte von Migros sind
zwar einerseits pionierhaft, aber immer auch sehr realistisch. Es werden alle Aspekte
analysiert, bevor ein Produkt auf den Markt gelangt: Kann man das Projekt über eine
längere Zeit durchziehen, kann man es auch weiterverfolgen, wenn die Konjunktur
schlecht läuft? Auch in den letzten zwei, drei Jahren der Konjunkturflaute hat Migros
an solchen Projekten festgehalten. Das kann man auch als nachhaltig in einem ökonomischen Sinne sehen, denn nur glaubwürdige Unternehmen bestehen im Konkurrenzkampf.
Hildesheimer: Zum Abschluss: Im bereits erwähnten Workshop wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefragt, welche Erfolgsfaktoren für das NachhaltigkeitsMarketing wichtig sind. Zwei Begriffe wurden als absolut zentral und unabdingbar
genannt: Glaubwürdigkeit und Durchhaltevermögen. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?
Borsani: Mut, etwas anzupacken, auch wenn die Lösung noch nicht perfekt ist und
man sich Kritiken aussetzt. Demut, auch mal eine Entscheidung zu überdenken.
206
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
Anhang 1: Migros in Kürze
Die Migros …
… wurde 1925 von Gottlieb Duttweiler in der Schweiz gegründet.
… fühlt sich hohen sozialen und ökologischen Werten verpflichtet.
… ist die grösste Detailhandelskette in der Schweiz.
… hat über 580 Filialen.
… besteht aus 10 regionalen Genossenschaften.
… hat zentrale Unternehmens-Funktionen im Migros-Genossenschaftsbund zusammengefasst.
… besitzt Supermärkte, Läden und Fachmärkte (zwei Drittel des Konzernumsatzes)
sowie die Globus-Gruppe, Produktionsbetriebe und Dienstleistungsunternehmen
(ein Drittel des Konzernumsatzes).
… hatte 2003 einen Konzernumsatz von rund 20 Mrd. SFr.
… beschäftigt 81.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
… ist in der Schweiz die angesehenste Firma und die preisgünstigste Marke.
Aufteilung des Detailhandelumsatzes
Non-Food:
5.3 Mrd.
SFr.
Food:
9.9 Mrd.
SFr.
Quelle:
http://www2.migros.ch/ccnet/files/display.php?id=901
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation
207
Anhang 2: Unternehmensleitbild und -grundsätze von Migros
"Unser Engagement für die Lebensqualität"
Leitsatz:
Die Migros ist das Schweizer Unternehmen, das sich mit Leidenschaft für die Lebensqualität seiner Kundinnen und Kunden einsetzt.
Migros 2010: Unternehmensauftrag
Als Schrittmacherin am Markt wollen wir unsere Marktführerschaft ausbauen, indem
wir unser Leistungsangebot für unsere Kundinnen und Kunden noch attraktiver machen. Im kulturellen, sozialen und ökologischen Engagement bleiben wir beispielhaft.
Kundinnen und Kunden: Unser Engagement
Wir bieten Qualitätsprodukte und -dienstleistungen zu günstigen Preisen an.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Unser Engagement
Als vorbildliche Arbeitgeberin schaffen wir Voraussetzungen für ein motivierendes
und leistungsorientiertes Arbeitsklima, das die besten Kräfte anzieht.
Lieferanten: Unser Engagement
(…) Wir verbessern Produkte und Dienstleistungen laufend und setzen zudem ökologische und soziale Standards bei Arbeits- und Produktionsbedingungen.
Genossenschafterinnen und Genossenschafter: Unser Engagement
Gegenüber unseren Genossenschafterinnen und Genossenschaftern verpflichten wir
uns Werte zu schaffen, die den langfristigen und unabhängigen Fortbestand der Migros
sicherstellen.
Gesellschaft: Unser Engagement
(…) Mit dem Kulturprozent unterstützen wir einerseits das aktive künstlerische Schaffen und damit die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, andererseits fördern wir
den breiten Zugang zu Kultur und Bildung. (…)
(…)
Quelle:
Unternehmensleitbild von Migros, Download unter:
http://www2.migros.ch/ccnet/files/display.php?id=451
208
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
Anhang 3: Migros-Verhaltenskodex Non-Food
Aus der Präambel:
"Migros trägt eine große Verantwortung für alle Aktivitäten des Unternehmens weltweit (…). Migros anerkennt, dass diese Verantwortung sich auf alle ArbeitnehmerInnen erstreckt, die Produkte für die Migros herstellen, unabhängig davon, ob sie Beschäftigte von Migros sind oder nicht.
Um Einfluss auf sozialverträgliche Produktionsbedingungen zu nehmen und damit
eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Produktionsländern zu bewirken, hat
Migros einen Verhaltenskodex entwickelt. Diesem Verhaltenskodex sind weltweit alle
Kontraktnehmer der Migros im Bereich Non-Food unterworfen. (…)
Migros (…) möchte bestehende Geschäftsbeziehungen aufrecht erhalten (…) und innerhalb der nächsten Jahre eine kontinuierliche Verbesserung erreichen. Dadurch werden unsere Kontraktnehmer auf bestehende und zukünftige Markt- und gesetzliche
Anforderungen vorbereitet. Die Sozialperformance unserer Kontraktnehmer und ihrer
Hersteller soll systematisch verbessert und Boykotteffekte vermieden werden. (…)
Die Sozial-Kriterien werden in zwei Schritten erreicht. Sowohl «Basis-» wie auch
«Optimierungskriterien» müssen erfüllt werden. (…)"
Der Verhaltenskodex umfasst Angaben zu folgenden Sozial-Standards:
y
y
y
y
y
y
y
y
Gewerkschaftsfreiheit
Gleichbehandlung/Verbot der Diskriminierung
Entlohnung
Arbeitszeiten
Gesundheit und Sicherheit
Beschäftigungssicherheit
Verbot von Kinderarbeit
Freiwillige Beschäftigung.
Die Lieferanten müssen sich zur Einhaltung des Migros Verhaltenskodex Non-Food
verpflichten. Dies beinhaltet z.B. auch das Recht der Migros, in den Betrieben Audits
durchführen zu dürfen.
Quelle:
Migros: Verhaltenskodex Non-Food, Download unter:
http://www.miosphere.ch/d/library/pdf/Verhaltenskodex_d.pdf
Migros: Nachhaltigkeits-Marketing zwischen Tradition und Innovation
Anhang 4: Umsätze Engagement-Produkte (2003)
7-Punkte-Fleisch-Garantie: 657,5 Mio. Franken
Migros-Bio: 285,6 Mio. Franken
IP-Suisse: 224,4 Mio. Franken
Max Havelaar: 50,5 Mio. Franken
Delphin Safe: 29,1 Mio. Franken
Marine Stewardship Council (MSC): 12,4 Mio. Franken
Eco: 410,8 Mio. Franken
Bio-Baumwolle: 3,7 Mio. Franken
Mioplant natura: 115,2 Mio. Franken
Forest Stewardship Council (FSC): 28,2 Mio. Franken
Quelle:
http://www.engagement.ch/d/produkte/labels.php3
209
210
Fausta Borsani/Gabi Hildesheimer
Anhang 5: EUREPGAP "Obst und Gemüse"
EUREGAP ist ein weltweiter Produktionsstandard für Obst und Gemüse für internationale Zertifizierung, akkreditiert nach ISO 65 (EN 45011).
EUREPGAP startete 1997 als Initiative des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) und
wird inzwischen von Vertretern der gesamten Lebensmittelkette des Obst- und Gemüsesektors getragen. Ein technischer Beirat, bestehend aus Mitgliedern der Einzelhandels- und Erzeuger/Lieferantenstufe, ist verantwortlich für die korrekte und effiziente
Umsetzung und die ständige Verbesserung von EUREPGAP.
EUREPGAP ist ein Weg zur Anwendung des Integrierten Pflanzenschutzes (IPS) und
des Integrierten Pflanzenbaus (IPB). Die Anwendung von IPS/IPB wird von den EUREPGAP Mitgliedern als notwendig für die Verbesserung und Nachhaltigkeit der
landwirtschaftlichen Produktion angesehen. EUREPGAP unterstützt die Prinzipien der
Gefahrenanalyse (HACCP) und fördert deren Anwendung.
Alle Produzenten müssen darlegen können, dass sie die sie betreffenden Vorschriften
nationalen und internationalen Rechts einhalten. Alle Produzenten sollten darlegen
können, dass sie sich gegenüber folgenden Punkten verpflichtet fühlen:
a) Wahrung des Verbrauchervertrauens in die Qualität von Lebensmitteln
b) Minimierung von negativen Einflüssen auf die Umwelt
c) Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln
d) Effizienzsteigerung bei der Nutzung natürlicher Ressourcen
e) Verantwortliches Handeln im Hinblick auf die Gesundheit der Beschäftigten.
Erzeugergemeinschaften oder Einzelerzeuger erhalten die EUREPGAP Anerkennung
durch das EUREPGAP Zertifikat, welches von einer EUREPGAP anerkannten Zertifizierungsstelle ausgestellt wird. EUREPGAP anerkannte Zertifizierungsstellen werden
regelmäßig geschult und geprüft und sind auf der EUREPGAP Website in einer aktuellen Liste veröffentlicht. Bestehende nationale oder regionale Qualitätssicherungssysteme können durch ein spezielles Anerkennungsverfahren, die Benchmarking Option,
ihre Übereinstimmung mit den EUREPGAP Anforderungen nachweisen. Dadurch
werden Mehrfachaudits beim Produzenten vermieden und die Entwicklung von regionalen Qualitätssicherungssystemen des integrierten Anbaus vorangetrieben.
Quelle:
http://www.eurep.or
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen
Problemen und Kundenbedürfnissen
Andreas Walser
1 Einleitung
Informations- und Kommunikationstechnologien sowie -dienstleistungen sind in der
modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts von großer wirtschaftlicher, sozialer und
ökologischer Bedeutung. Allein das Marktvolumen für Telekommunikationsdienste
betrug im Jahr 2001 in den EU-Ländern und der Schweiz rund 225 Mrd. Euro, wovon
85 Mrd. Euro auf Mobilfunkdienste entfallen. Insbesondere der Markt für Mobilfunk
weist ein sehr dynamisches Wachstum auf. In Abbildung 1 wird die Entwicklung des
schweizerischen Mobilfunkmarktes 1993-2001 dargestellt. Daraus geht hervor, dass
das schweizerische Gesamtvolumen von Handys 2001 bei über 5.000.000 Mio. und die
Penetrationsrate bei rund 75% lag.
80%
6.000.000
70%
5.000.000
60%
4.000.000
50%
40%
3.000.000
30%
2.000.000
20%
1.000.000
10%
Marktvolumen
Penetration in %
Abbildung 1: Penetration und Teilnehmerzahl im Schweizer Mobilfunkmarkt
(Quelle: Bundesamt für Kommunikation 2003, S. 66)
Jan 01
Jan 00
Jan 99
Jan 98
Jan 97
Jan 96
Jan 95
Jan 94
0%
Jan 93
0
212
Andreas Walser
Während sich bei Mobilfunkanbietern anfangs der Wettbewerb unter den einzelnen
Anbietern auf die Netzabdeckung konzentrierte, wird diese in der Zwischenzeit aus der
Sicht der Kunden bei allen Anbietern als gleich gut wahrgenommen. In der Folge entwickelte sich ein harter Preiskampf, um bestehende Kunden halten und neue gewinnen
oder von der Konkurrenz abwerben zu können. Momentan zeichnet sich eine Stabilisierung der Preise für mobile Telekommunikationsdienstleistungen ab, was dazu führt,
dass sich die Unternehmen über neue Wettbewerbsfelder zu differenzieren versuchen
werden (Bundesamt für Kommunikation 2003, S. 54-56 und S. 69-73). Eine solche
Möglichkeit besteht im Nachhaltigkeits-Marketing für Mobiltelefone.
Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob sich ökologische und soziale Aspekte
als Differenzierungsfaktoren für Mobiltelefone eignen und ob diese aus der Sicht des
Kunden einen Mehrwert stiften. Dabei wird untersucht, ob und in welcher Form bei
Mobiltelefonen eine Schnittmenge zwischen den sozial-ökologischen Problemen und
den Kundenwünschen besteht. In einem ersten Schritt werden die ökologischen Belastungen und sozialen Aspekte von Mobiltelefonen analysiert (Kap. 2). Die Ergebnisse
basieren auf Dokumentenanalysen und halbstrukturierten, offenen Interviews mit Experten aus der Mobilfunkbranche. Im zweiten Schritt werden die Kundenbedürfnisse
respektive -wünsche untersucht (Kap. 3). In einem dritten Schritt werden die Schnittmenge zwischen sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen ausgelotet
sowie Handlungsfelder für Mobilfunkanbieter identifiziert (Kap. 4).
2 Sozial-ökologische Probleme von Mobiltelefonen
Bei den sozial-ökologischen Problemen kann unterschieden werden zwischen wissenschaftlichen Analysen einerseits und der Wahrnehmung bzw. Interpretation dieser Analysen durch die Kunden andererseits (Dyllick/Belz 1994, S. 22-26; Schneidewind
1995, S. 49-53; Dyllick/Belz/Schneidewind 1997, S. 10-12 und S. 28-30). Erstere
wurden mittels Literaturanalysen recherchiert. Die darauf basierenden Erkenntnisse,
insbesondere die ökologische Belastungsmatrix, wurden zusätzlich durch Interviews
und Diskussionsrunden mit Experten einer Konsensvalidierung unterzogen. Die
Wahrnehmung der Kunden, die für das Marketing von Bedeutung ist, wurde durch
Literaturrecherche und eine eigene Umfrage erhoben. Die Umfrage wurde im Sommer
2003 mittels eines standardisierten Fragebogens durchgeführt (Walser 2004). Der Fragebogen bestand aus insgesamt 10 Fragen und Unterfragen zu den Teilbereichen Produkte, Dienstleistungen und Sponsoring, sowie Angaben zu Geschlecht und Alter der
jeweils befragten Personen. Befragt wurden Kunden vor den Swisscom Shops der
Städte Genf, Freiburg (Schweiz), Bern, St. Gallen und Thun. Insgesamt haben 104
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen
213
Personen den Fragenbogen vollständig ausgefüllt. Die Studie ist als explorativ und
nicht repräsentativ anzusehen. Gut ein Drittel der Befragten waren Frauen. Die meisten der Befragten lagen im Alter von 20 bis 60 Jahren.
Ökologische Belastungen – Analyse
Die ökologischen Belastungen eines Mobiltelefons von der Rohstoffentnahme bis zur
Entsorgung lassen sich in Form einer ökologischen Belastungsmatrix darstellen
(Tab. 1). Auf der horizontalen Achse der Belastungsmatrix finden sich die verschiedenen Stufen des Produktlebenszyklus und auf der vertikalen Achse die unterschiedlichen Belastungsdimensionen wieder. Die weißen Felder entsprechen einer geringen,
die grauen einer mittleren und die schwarzen Felder einer hohen Belastung. Auf diese
Weise lassen sich die größten ökologischen Belastungen aufzeigen: Energieverbrauch
bei der Herstellung und der Nutzung, der Ressourcenverbrauch sowie die Entsorgung
des Mobiltelefons.
Rohstoff- &
Komponentenherstellung
Transport
Montage &
Herstellung
Nutzung &
Betrieb
Entsorgung
Abfall
Ökosysteme
Luft
Lärm
Energie
Gesundheit
Ressourcenverbrauch
Geringe Umweltbelastung
Mittlere Umweltbelastung
Tabelle 1: Ökologische Belastungsmatrix von Mobiltelefonen
(Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Dyllick/Belz 1994, S. 23)
Hohe Umweltbelastung
214
Andreas Walser
Betrachtet man den Energieverbrauch eines Mobiltelefons entlang des gesamten Lebenszyklus, so kann festgestellt werden, dass über 50% der Energie für die Rohmaterialien und Herstellung der Komponenten verbraucht wird vor allem für Leiterplatinen
und Mikroprozessoren. Etwas weniger als 50% des Gesamtenergieverbrauchs wird in
der Nutzungsphase des Mobiltelefons benötigt. Die Produktion beim MobiltelefonHersteller hat nur sehr geringe Auswirkungen auf das Gesamtresultat (Stutz o.J.). Der
Energieverbrauch in der Nutzungsphase wird stark durch das Konsumentenverhalten
beeinflusst. Hier wird Energie für das Aufladen der Akkus benötigt, wobei technische
Eigenheiten der Ladegeräte ebenfalls eine Rolle spielen. Auch im Stand-by-Betrieb
verbrauchen Ladegeräte Energie. Durch das Wegnehmen des Ladegerätes vom Netz
während der Nichtinanspruchnahme der Ladeleistung könnte in diesem Bereich bis zu
20% des Energieverbrauchs gespart werden.
Ein wichtiger ökologischer Aspekt von Mobiltelefonen ist ihre materielle Zusammensetzung. Moderne Handys zeichnen sich trotz ihrer geringen Maße und Größe durch
eine hohe Materialvielfalt aus. In der prozentualen Zusammensetzung haben Kunststoffe in Gehäuse, Leiterplatten und Komponenten mit fast 60% den größten Anteil.
Der vergleichbar hohe Anteil von Edelmetallen (ca. 25%) ist ein weiteres charakteristisches Merkmal. Neben Kupfer und Kupferlegierungen, die etwa 16% ausmachen,
finden sich eine Vielzahl anderer Metalle und Legierungen (Umweltbundesamt 2002,
S. 8). Beim Recycling spielt die Materialvielfalt und die Beigabe teils toxischer Elemente eine entscheidende Rolle: So wird der auf den ersten Blick unkritische Kunststoffanteil durch die Beigabe halogenisierter Flammenhemmer sowie durch die Vielzahl der zum Einsatz kommenden Kunststoffe in Bezug auf ein werkstoffliches Recycling zum Problem (Umweltbundesamt 2002, S. 8).
Ökologische Belastungen – Wahrnehmung durch die Kunden
Dass die Mobilkommunikation ökologische Belastungen mit sich bringt, ist den Konsumenten durchaus bekannt. In der Befragung, die im Sommer 2003 vor SwisscomShops durchgeführt worden ist, waren sich 78% bewusst, dass Mobiltelefone ökologische Belastungen verursachen. Nur 13% waren gegenteiliger Meinung. Der Rest hat
keine Angaben dazu gemacht. Auf die Frage nach den Arten der Belastungen nannten
91% die elektromagnetische Strahlung als eine der Hauptbelastungen, gefolgt vom
Elektronikschrott mit 54% und dem Stromverbrauch mit nur 33% aller Nennungen
(Abb. 2). Die Gewichtung der ökologischen Belastungen durch die Kunden ist demnach konträr zur Gewichtung in der ökologischen Belastungsmatrix. Vermutlich lässt
sich die hohe Zahl der Nennungen von Elektrosmog darauf zurückführen, dass Elekt-
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen
215
rosmog ein kontroverses Thema ist, welches in den Medien hohe Aufmerksamkeit erfährt. Die Antworten zwischen den jeweiligen Altersklassen waren jedoch unterschiedlich. So scheint die Altersklasse der 41- bis 60-jährigen elektromagnetische Strahlung
kritischer zu betrachten, da in dieser Altersklasse Elektrosmog von jeder (!) Person
genannt wurde. Es ist davon auszugehen, dass sich die Menschen mit zunehmendem
Alter vermehrt Gedanken über die eigene Gesundheit machen, was die sehr hohe Zahl
der Nennungen in der Altersklasse der über 41-jährigen zu erklären vermag. Die Tatsache, dass der Stromverbrauch nicht als zentrales Problem wahrgenommen wird,
kann damit zusammenhängen, dass Handys neuerer Generationen über (theoretische)
Betriebszeiten von weit über 200 Stunden verfügen. Man wird demnach als Nutzer
seltener daran erinnert, dass Mobiltelefone ständig Energie benötigen.
Zahl der Nennungen (in Prozent)
100%
91%
75%
54%
50%
33%
25%
0%
Elektrosmog
Elektroschrott
Stromverbrauch
Abbildung 2: Zentrale ökologische Belastungen aus Kundensicht
(Quelle: Eigene Kundenbefragung)
Soziale Probleme – Analyse
Zentrale soziale Problembereiche bei Mobiltelefonen sind: Arbeitsbedingungen beim
Abbau wichtiger Rohstoffe, gesundheitliche Gefährdung durch Elektrosmog und Verschuldungsprobleme bei intensiver Nutzung.
Der Abbau von Rohstoffen – nicht nur für Mobiltelefone – findet meist in Entwicklungs- oder Schwellenländer statt, nicht selten unter Missachtung grundlegender
216
Andreas Walser
Menschenrechte. Im Falle des Mobiltelefons lässt sich dies insbesondere für den Rohstoff Tantal sehr gut nachvollziehen, da dieser einerseits für die Elektroindustrie unersetzlich ist und sich andererseits 80% der weltweiten Vorkommen in der Demokratischen Republik Kongo befinden. Dort wird Tantal vielfach von Hand und mit einfachsten Mitteln unter sozial und ökologischen bedenklichen Bedingungen abgebaut
(Werner/Weiss 2001, S. 50-51). Der Hauptanteil der Weltproduktion wird für elektronische Kondensatoren verwendet und findet vor allem in Mobiltelefonen, Computern
und Spielkonsolen seinen Einsatz (Werner/Weis 2001, S. 50-51).
Bei der Nutzung von Mobiltelefonen steht die gesundheitliche Gefährdung durch elektromagnetische Strahlung im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Das Maß für
die Feldstärke der Strahlung ist die spezifische Absorbtionsrate, kurz SAR-Wert genannt (Jörn 2003, S. 41). Hierbei herrscht jedoch große Unsicherheit hinsichtlich der
Bewertung der Gefährdung. Elektromagnetische Wellen dienen seit rund 100 Jahren
der Übertragung von Informationen. Sie sind Grundlage für das Fernsehen, das Radio
und die Mobilkommunikation. Das Spektrum reicht von niederfrequenten langen Wellen bis zu hochfrequenten sehr kurzen Wellen. Ab einer bestimmten Frequenz haben
die elektromagnetischen Wellen genügend Energie, um Moleküle zu spalten. In diesem Zusammenhang spricht man von ionisierender Strahlung. Die elektromagnetischen Wellen der Mobilfunkkommunikation dagegen sind nicht energiereich genug,
um Moleküle zu spalten. Sie besitzen eine tiefere Frequenz, die dafür aber günstigere
Eigenschaften für die drahtlose Kommunikation haben (Steyer o.J., S. 31). Elektromagnetische Wellen dringen jedoch ins menschliche Gewebe ein. Bei den typischerweise in der Mobilkommunikation verwendeten Frequenzbändern ist das etwa ein
Zentimeter. Diese Wellen werden vom Körper absorbiert und produzieren dadurch
Wärmeenergie. Diese Wärme wird durch die natürliche Wärmeregulation des Organismus abgegeben. Bisher hat noch keine Studie nachweisen können, dass Strahlungen
unterhalb der internationalen Grenzwerte gesundheitsschädigende Wirkungen haben.
Es ist jedoch anzumerken, dass sich die meisten Studien zu diesem Thema mit der
Aussetzung durch elektromagnetische Strahlen des ganzen Körpers befassten und
nicht mit einer lokalen Belastung, wie es beim Mobiltelefon üblicherweise der Fall ist.
Nach dem aktuellen Stand des Wissens gilt es als unwahrscheinlich, dass elektromagnetische Strahlung, wie sie durch die Mobilkommunikation entsteht, die Entstehung
von Krebs verursacht oder begünstigt. Nimmt man jedoch die hohe Zahl von 1,3 Milliarden Mobilfunkkunden im Jahr 2003 weltweit, so könnten bereits kleinste gesundheitsschädigende Effekte große Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben
(WHO 2000).
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen
217
Ein weiteres soziales Problem ist die Verschuldung Jugendlicher aufgrund erhöhter
Kommunikationskosten. Schuldenberater schätzen, dass jeder dritte Schweizer unter
25 Jahren verschuldet ist. Knapp 25% aller Deutschschweizer zwischen 16 und 25 Jahren geben mehr Geld aus als sie sich leisten können (Rigendinger 2003, S. 46). Vermeintliche Gratishandys animieren zum Sofortkauf. Drei viertel aller jungen Schweizer besitzen zwei oder mehr Handys (Rigendinger 2003, S. 44). Zu beachten gilt auch
die Tatsache, dass vier von fünf Menschen, die im erwachsenen Alter verschuldet sind,
schon als Jugendliche verschuldet waren. Und vielfach beginnt die Verschuldung bereits mit dem Mobiltelefon. Das Handy gehört neben Auto, Ausgang und Kleidern zu
den vier wichtigsten Gründen, warum Jugendliche Kredite aufnehmen (Rigendinger
2003, S. 50). Der Wettbewerb im Telekommunikationssektor ist jedoch groß und die
Jugendlichen sind eine wichtige Zielgruppe. Deshalb werden sie intensiv umworben.
Gerade hier spielen die vermeintlichen Gratisangebote der Anbieter eine wichtige Rolle. Denn das „Gratis“ bezieht sich ausschließlich auf den Produktpreis, jedoch nicht
auf die regelmäßig anfallenden Verwendungskosten.
Soziale Probleme – Wahrnehmung durch die Kunden
Auch die Verschuldung Jugendlicher durch erhöhte Kommunikationskosten ist den
Konsumenten als Problem bewusst. Über 65% aller Befragten erachteten Verschuldung als Problem, 30% davon als sehr starkes Problem. Dieser hohe Wert lässt sich
sicherlich auch damit erklären, dass im Jahr 2003 in der Schweiz zahlreiche Artikel in
namhaften Zeitungen und Zeitschriften mit dem Thema der Jugendverschuldung befassten. Weitere mit Mobiltelefonen verbundene soziale Probleme wurden hingegen
nicht genannt und sind dem Kunden offenbar nicht bewusst.
3 Klassische Kaufkriterien und sozial-ökologische Aspekte
Der Kauf eines Mobiltelefons befriedigt gewisse Kundenbedürfnisse. Soll ein Mobiltelefon, das sozial-ökologischen Anforderungen gerecht wird, vom Kunden akzeptiert
werden und auf dem Markt erfolgreich sein, müssen bisherige Kundenbedürfnisse berücksichtigt werden. Im Folgenden werden deshalb in einem ersten Schritt verschiedene Kosten- und Nutzen-Aspekte eines Öko-Handys analysiert. Die Ergebnisse werden
dann in Beziehung gesetzt zu klassischen Kaufkriterien einerseits und zu sozialökologischen Kundenwünschen andererseits.
218
Andreas Walser
Kosten-Nutzen-Analyse eines Öko-Handys
Die zentrale Aufgabe des Nachhaltigkeits-Marketing besteht darin, den Nettonutzen
nachhaltiger Produkte aus Sicht des Kunden zu erhöhen, d.h. den Nutzen zu steigern
und/oder die Kosten zu senken (Belz 2001, S. 78). Aus dieser Sicht lässt sich eine
Kosten-Nutzen-Analyse eines möglichen Öko-Handys erstellen (Tab. 2). Hieraus können nachfolgend geeignete Handlungsfelder ausgewählt und Marketing-Maßnahmen
abgeleitet werden, die den Nutzen erhöhen oder die Kosten senken.
Nutzen
y
Risikovorsorge aufgrund tieferer
Strahlung
y
gutes ökologisches Gewissen (Selbstachtungsnutzen)
y
evtl. Anerkennung bei Freunden und
Bekannten (Fremdachtungsnutzen)
Kosten
y
höherer Produktpreis
y
höhere Informations-, Such-, und
Kontrollkosten
y
„niedrigere“ Energiekosten während
der Nutzungsphase
Tabelle 2: Kosten-Nutzen Analyse eines Öko-Handys
Auf der Kostenseite ist zunächst der höhere Produktpreis für ein Öko-Handy zu nennen. Dieser ergibt sich hauptsächlich aus gestiegenen Produktionsanforderungen und
niedrigeren Absatzzahlen. Positiv könnten sich jedoch mögliche Energieeinsparungen
während der Nutzungsphase auf die Kosten auswirken, da moderne Ladegeräte im
Stand-by-Betrieb keine Leistungsaufnahme besitzen. Gemäß eigenen Berechnungen
liegt das Einsparpotenzial aber lediglich in der Größenordnung von wenigen Rappen,
so dass hierdurch die Kosten-Nutzen-Analyse kaum beeinflusst wird. Des Weiteren
fallen höhere Informations-, Such- und Kontrollkosten für die Kunden bei der Beschaffung eines Öko-Handys an. So kann z.B. der Käufer nicht ohne größeren Aufwand überprüfen, ob die angegebenen ökologischen oder sozialen Produkteigenschaften auch wahrheitsgemäß sind. Der Käufer muss den Angaben des Herstellers respektive des Anbieters vertrauen. Auch sind die Informationskosten höher, wenn die Produkte nicht entsprechend gekennzeichnet sind.
Auf der Nutzenseite spielt wiederum die elektromagnetische Strahlung eine entscheidende Rolle. Aufgrund der tieferen Strahlungswerte des Öko-Handys im Vergleich zu
konventionellen Mobiltelefonen bietet das Öko-Handy die Möglichkeit einer individuellen Risikovorsorge bezüglich gesundheitlichen Auswirkungen. Hierbei ist es nicht
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen
219
von großer Bedeutung, dass noch keine direkten Auswirkungen der elektromagnetischen Strahlung wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Vielmehr ist die Kundensicht, d.h. die vom Kunden wahrgenommene Gefährdung der eigenen Gesundheit,
entscheidend. Ein weiterer Nutzen liegt sicherlich in einem guten ökologischen Gewissen, das sich einstellen kann, wenn der Konsument sich zum Kauf eines ÖkoHandys entscheidet. Des Weiteren ist auch ein Fremdachtungsnutzen durch die Anerkennung bei Freunden oder Bekannten denkbar. Dies hängt jedoch maßgeblich von der
jeweiligen Bezugsgruppe ab.
Kaufkriterien und Kundenwünsche
Das Handy dient einer Vielzahl von Kunden vor allem als Kommunikationsinstrument. Deshalb sind Displaygröße und Bedienerfreundlichkeit zentrale Kaufkriterien.
Bei der Kaufentscheidung spielen aber auch weitere Aspekte eine wichtige Rolle. So
lässt sich bei vielen Käufern eine starke Markenbindung nachweisen. Häufig sind
Konsumenten nicht bereit die Marke zu wechseln, sondern bleiben aus Gewohnheitsgründen lieber bei der bisherigen Marke. Auch steht bei sehr vielen Konsumenten der
Preis klar im Mittelpunkt der Kaufentscheidung. Da – wie in der Kosten-NutzenAnalyse ausgeführt – Öko-Handys teurer als vergleichbare Handys sind, ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung.
60%
Zahl der Nennungen (in Prozent)
52%
50%
40%
32%
30%
20%
12%
10%
3%
0%
Nein
Ja, bis zu 10%
Ja, bis zu 20%
Ja, über 20%
Abbildung 3: Bereitschaft einen Mehrpreis für ein ökologisches Handy zu zahlen
(Quelle: Swisscom 1999)
220
Andreas Walser
In einer Kundenbefragung der Swisscom ergab sich hinsichtlich der Zahlungsbereitschaft für Öko-Handys folgendes Bild (Abb. 3): 32% sind nicht bereit einen höheren
Preis zu zahlen, während 52% bereit wären einen Aufpreis von maximal 10% zu leisten. Nur 15% sind bereit, Mehrkosten von über 10% zu zahlen. Bei der Befragung
dürfte jedoch das Problem der sozialen Erwünschtheit eine Rolle spielen, so dass die
Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren sind. Die tatsächliche Bereitschaft, einen Aufschlag zu Gunsten eines sozialeren und ökologischeren Handys zu zahlen, ist eher geringer einzustufen.
Zahl der Nennungen (in Prozent)
100%
80%
77%
60%
47%
42%
40%
32%
20%
0%
SAR-Wert
Materialien
Produktion
Energieverbrauch
Abbildung 4: Konkrete Verbesserungswünsche aus Kundensicht
(Quelle: Eigene Kundenbefragung)
In der eigenen Studie aus dem Sommer 2003 wurden die Swisscom-Kunden nach konkreten Verbesserungswünschen bzgl. Umweltauswirkungen gefragt (Abb. 4): Dabei
nannten 77% die Verringerung elektromagnetischer Strahlung, 47% äußerten den
Wunsch nach Verwendung recyclierbarer Materialien und 42% wünschten sich Einsparungen der Schadstoffe in der Produktion. Nur 32% wollten Verbesserungen im
Stromverbrauch. Die Häufigkeit der Nennungen der Verbesserungswünsche entspricht
dabei den wahrgenommenen ökologischen Problemlagen (Kap. 2), die allerdings nur
bedingt mit den tatsächlichen Problemen übereinstimmen.
Diese Resultate und Werte zeigen eine große Unsicherheit bezüglich elektromagnetischer Strahlung. Der Elektrosmog wird als potenzielle Bedrohung für die persönliche
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen
221
Gesundheit gesehen. Dass der Energieverbrauch wiederum an letzter Stelle liegt,
bestätigt die Annahme, dass diesem Bereich keine große Bedeutung beigemessen wird.
Zur Lösung des Problems der Entsorgung des Elektroschrotts hatten die Befragten ebenfalls eine klare Präferenz. Den Befragten wurden drei verschiedene Szenarien als
potenzielle Lösungen zur Auswahl gestellt: Normales Recycling, die Verlängerung der
Nutzungsdauer der Geräte mittels Export noch funktionstüchtiger Apparate z.B. in
Schwellenländer oder Anreize für die längere Nutzung der eigenen Geräte wie etwa
Garantieverlängerungen bei Vertragsverlängerung. An erster Stelle nannten die Befragten klar das Recycling. An zweiter Stelle lag die Nutzungsdauerverlängerung mittels Export und die wenigsten Nennungen erhielt die längere Nutzung des eigenen
Handys. Eine Ausnahme stellt die Gruppe der 41- bis 60-Jährigen dar, welche die Nutzung des eigenen Handys vorziehen würden. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich sein: Einerseits mag diese Altersgruppe nicht bereit sein, sich immer wieder
auf neue Produkte und Technologien einzulassen. Andererseits kann dies aber auch
mit Qualitätsdenken, Dauerhaftigkeit der Produkte und Ökologie einhergehen. Insgesamt lässt sich sagen, dass bei den Konsumenten offenbar kein allzu großes Bedürfnis
gibt, die Handys über die durchschnittliche Lebensdauer von 18 Monaten zu nutzen.
4 Handlungsfelder und Motivallianzen
Als zentrales Ergebnis der Kundenbefragung kann festgehalten werden, dass die elektromagnetische Strahlung klar im Zentrum der Kundenwahrnehmung liegt. Dieser Bereich erhält nicht nur die meisten Nennungen, sondern die Befragten wünschen sich in
diesem Bereich auch Verbesserungen. Offenbar besteht große Unsicherheit und Angst
bei den Konsumenten, nicht selten hervorgerufen durch teils übertriebene, teils widersprüchliche Medienberichte. Für die Anbieter von Handys beinhaltet dies ein zukünftiges Marktrisiko, da das Thema „elektromagnetische Strahlung“ auf absehbare Zeit
vermutlich nicht aus der öffentlichen Diskussion verschwinden wird. Man denke hierbei nur an neue Dienste wie etwa Wireless Lan. Sollte sich in Zukunft herausstellen,
dass elektromagnetische Strahlungen der Mobiltelefone im Zusammenhang stehen mit
z.B. Erkrankungen im lokalen Bereich wie dem Ohr oder der Hüfte, dann wird dies
auch für Telekommunikationsanbieter zum Problem und sie werden zum Reagieren
gezwungen. Es scheint hier sinnvoller, rechtzeitig aktiv tätig zu werden, anstatt sich
nur reaktiv den Problemen zu stellen. Anstrengungen zur Verringerung des SARWertes können unter diesem Aspekt einerseits als Risikominimierung des Unternehmens und andererseits als gesundheitliche Vorsorge für den Kunden interpretiert werden. Da Kunden diesem Thema zentrale Bedeutung zuweisen, kann auf diese Weise
222
Andreas Walser
eine erfolgreiche Motivallianz erzeugt werden, um so dem Kunden einen Mehrwert zu
stiften und sich gegenüber den Konkurrenten zu differenzieren.
Der Energieverbrauch bei der Produktion und während der Nutzungsphase ist eine der
ökologischen Hauptbelastungen eines Handys, wird aber von den Kunden nicht als
solche wahrgenommen. Nur bei einem Drittel aller Nennungen werden in diesem Bereich Verbesserungen gewünscht. Denkbar und möglich sind v.a. technische Lösungen. Intelligente Ladegeräte sind bei verschiedenen Mobilfunkherstellern in der Entwicklung oder bereits auf dem Markt. So bietet SonyEricsson mit dem C1002S in Japan bereits ein Mobiltelefon in Kombination mit einem Ladegerät an, das über eine
sehr geringe Leistungsaufnahme im Stand-by-Betrieb verfügt. Da der absolute Energieverbrauch und damit auch die Kostenersparnis sich in einem kaum wahrnehmbaren
Bereich bewegen, stellt sich die Frage, inwiefern sich der Energieverbrauch als Differenzierungsmerkmal auf der Produktseite eignet, und wie hoch der dadurch beim Kunden tatsächlich gestiftete Mehrwert ist. Die hohe Leistungsfähigkeit der bestehenden
Akkus und die damit verbundenen seltener werdenden Aufladezyklen erschweren eine
Sensibilisierung der Kunden für den Energieverbrauch zusätzlich. Ein anderer Ansatz
wäre die Entwicklung eines Standardladegerätes, welches für alle Marken und Modelle passend ist. Bisher gibt es keine derartigen Geräte, obwohl sie technisch machbar
sind. Es ist allerdings fraglich, ob sich die Mehrkosten für ein selbst entwickeltes
Standardladegerät beim Kunden monetär rechnen. Der niedrigere Energieverbrauch
könnte jedoch trotzdem ein Verkaufsargument sein, wenn es gelingt, an das ökologische Gewissen des Kunden zu appellieren. Dies erscheint jedoch im Hinblick auf die
Ergebnisse der durchgeführten Kundenbefragung nur dann Erfolg versprechend, wenn
es in Verbindung mit relevanten Kaufkriterien oder etwa mit einem niedrigeren SARWert gebracht werden kann. Mit minimalen Kostenersparnissen alleine lässt sich die
große Mehrheit der Kunden nicht überzeugen.
Ein weiteres Handlungsfeld ist die materielle Zusammensetzung der Handys. Wie aus
den ökologischen Aspekten und der Kundenbefragung ersichtlich, besteht hier sowohl
eine Handlungsnotwendigkeit als auch Bedarf. Verbesserungen werden gewünscht und
entsprechen auch einem der tatsächlichen ökologischen Probleme der Handys. Die
steigenden Mengen an Elektroschrott werden zunehmend zu einem Problem. Mittels
Recycling respektive Wertstoffrückgewinnung kann dies gemindert und dem Ressourcenverbrauch entgegengewirkt werden. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass ab 2006
verschiedene europäische Direktiven über Elektro- und Elektronikschrott wirksam
werden, und damit Materialien wie Blei, Quecksilber, Cadmium und Chrom verboten
sind. Gemäß den europäischen Verordnungen müssen die Geräte eine Recyclingfähig-
Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen
223
keit von mindestens 65% vorweisen. Zusätzlich müssen die Hersteller ihre Produkte
kostenlos zurücknehmen. Eine frühzeitige Adaption dieser Direktiven würde einem
„first-mover advantage“ mit relativ geringem Risiko entsprechen. Möglicherweise
könnte das damit gewonnene Image auch dann noch aufrecht erhalten werden, wenn
andere Hersteller und Anbieter diese Direktiven umsetzen müssen. Allerdings muss
angesichts der bei den Kunden festgestellten Dominanz der Problematik durch elektromagnetische Strahlungen darauf hingewiesen werden, dass auch eine vorgezogene
Schadstofffreiheit und Recyclebarkeit nicht einen niedrigen SAR-Wert ersetzen kann.
Wenn ein Handy z.B. über keine toxischen Inhaltsstoffe verfügt, wie etwa Blei oder
Halogene, dafür aber gleichzeitig über einen überdurchschnittlichen hohen SAR-Wert,
so gerät das Merkmal Schadstoffarmut in den Hintergrund. Sie ist daher als alleiniges
Merkmal nur bedingt geeignet, um sich von der Konkurrenz zu differenzieren und dem
Kunden einen Mehrwert zu generieren.
Motivallianzen lassen sich auch hinsichtlich der sozialen Probleme von Handys ausmachen. Die Befragung zeigt, dass die Kunden für die zunehmende Verschuldung Jugendlicher sensibilisiert sind. Viele Provider bieten bereits Prepaid-Abonnements an,
welche dem Kunden eine einfache Überprüfung der Kosten ermöglichen. Es ist aber
durchaus denkbar, diese Kostenkontrolle auf Postpaid-Abonnements auszudehnen. So
könnte der Anbieter dem Kunden mittels einer Kurzmitteilung (SMS) bekannt geben,
wann er für mehr als einen gewissen im Voraus festgelegten Betrag telefoniert hat.
Dies würde auch diesen Kunden eine einfache Kostenkontrolle ermöglichen und so
einen Mehrwert stiften. Für die Telekommunikationsanbieter ergibt sich hingegen das
Dilemma, dass eine effektive Kostenkontrolle bei den Kunden zu geringeren Umsätzen führt. Dies kann verhindert werden, wenn es gelingt, das Engagement für Kostentransparenz zur Kundenakquise zu nutzen, und/oder das Engagement zum Transparenz-Standard für die Branche wird.
5 Fazit
Die Schnittmenge zwischen den sozial-ökologischen Problemen und den Kundenwünschen scheint im Vergleich zu anderen Bedürfnisfeldern wie etwa Ernährung (Beiträge
Leitner, Skoppek/Karstens und Borsani/Hildesheimer) relativ klein zu sein. Konsumenten sind nicht oder nur in beschränktem Ausmaß bereit, Mehrkosten für ein ÖkoHandy auf sich zu nehmen. Sozial-ökologische Belange stellen kein (zentrales) Kaufkriterium dar. Der Mobilfunkmarkt ist geprägt durch ständige technologische Innovationen und sehr kurze Produktlebenszyklen. Noch ist keine Marktsättigung erreicht, so
224
Andreas Walser
dass der Differenzierungsdruck über Zusatznutzen wie Ökologie und Soziales (noch)
nicht sehr ausgeprägt ist.
Nichtsdestotrotz lassen sich erste Ansätze eines Nachhaltigkeits-Marketing bei Mobilfunkanbieter beobachten, die prospektiv handeln: So setzt sich bspw. Vodaphone dafür
ein, die Möglichkeiten eines Marktes für Tantal aus der Demokratischen Republik
Kongo zu untersuchen, das unter sozial- und umweltverträglichen Bedingungen gefördert wird. Vodaphone möchte damit den Friedensprozess und die wirtschaftliche Erholung fördern. Dies geschieht zum beiderseitigen Nutzen. Vodaphone arbeitet dabei mit
Fauna and Flora International (FFI) zusammen, um die Tantal verarbeitende Industrie
und andere Anspruchsgruppen zu einem pro-aktiven Ansatz zu bewegen (Vodaphone
2004). Auch im Bereich des Recyclings gibt es diverse Projekte. So verbinden z.B. die
Deutsche Telekom und die Mobilkom Austria ihre Rücknahmekonzepte mit einem
sozialen oder ökologischen Engagement. Im ersten Fall geschieht dies zugunsten der
Deutschen Umwelthilfe und im zweiten Fall zugunsten „Ärzte ohne Grenzen“ (Beitrag
Bucher). Die kostenlos entgegengenommenen alten Handys werden entweder recycelt
oder weiterverkauft. Der Telekommunikationsanbieter spendet pro Handy einen bestimmten Betrag an die entsprechenden Organisationen. Ein solches Rücknahmekonzept ist eine relativ einfache Lösung, um einen nachweisbaren Mehrwert für den Kunden zu generieren.
Literaturverzeichnis
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Öko- und Sozio-Sponsoring in der
Telekommunikationsbranche
Fabian Bucher
1 Telekommunikationsmarkt zwischen
Wachstumsdynamik und Sättigung
Informations- und Kommunikationstechnologien sowie -dienstleistungen sind in der
modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts von großer wirtschaftlicher, sozialer und
ökologischer Bedeutung. Allein das Marktvolumen für Telekommunikationsdienste
betrug im Jahr 2001 in den EU-Ländern und der Schweiz rund 225 Mrd. Euro. Dabei
entfallen 113 Mrd. Euro auf Festnetztelefondienste und 85 Mrd. Euro auf Mobilfunkdienste. Mietleitungen und Datendienste machen mit 27 Mrd. Euro den kleinsten Teil
aus. Die durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Telekommunikationsdienste
(Festnetz, Mobilfunk, Datendienste, Mietleitungen, Kabel-TV) sowie für Telekommunikationsgeräte und -netzwerktechnik betrugen im Jahr 2000 im europäischen Durchschnitt 762 Euro pro Jahr. Mit Pro-Kopf-Ausgaben von 1356 Euro lagen die Ausgaben
der Schweizer weit über dem EU-Durchschnitt. Ähnlich hohe Pro-Kopf-Ausgaben
wies kein anderes EU-Land aus (Bundesamt für Kommunikation 2003b, S. 186-190).
Die Wachstumsraten im Telekommunikationssektor lagen in den letzten Jahren deutlich über den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten. In der Schweiz wuchs das
Marktvolumen im Jahr 2000 um 18% bzw. im Jahr 2001 um 6%. Dieses überdurchschnittliche Wachstum wurde im Wesentlichen durch das Wachstum des Mobilfunkmarktes verursacht. So nahm der Anteil der Mobilfunkumsätze am gesamten Marktvolumen von rund 20% in 1999 auf 31% in 2001 zu, während der Anteil von Festnetzdiensten entsprechend sank (Bundesamt für Kommunikation 2003a, S. 65). Dieser
Trend wird sich in der Zukunft voraussichtlich weiter fortsetzen.
Aus der Sicht etablierter Telekommunikationsanbieter ergibt sich in dieser Situation
für das Marketing die besondere Herausforderung, sich einerseits auf dem stagnierenden Festnetzmarkt zu behaupten und andererseits am Wachstum im Mobilfunksektor
zu partizipieren. Allerdings wird sich die Wachstumsdynamik im Gesamtmarkt nach
Ansicht des European Information Technology Observatory bei 2-3% stabilisieren, so
dass sich die Situationen in beiden Marktsegmenten zunehmend angleichen, zumal
228
Fabian Bucher
bereits rund 75% aller Schweizer ein Handy besitzen (ebd., S. 66). Auch im Mobilfunkbereich entsteht auf diese Weise ein stärkerer Differenzierungsdruck.
Während sich bei Mobilfunkanbietern anfangs der Wettbewerb unter den einzelnen
Marktteilnehmern auf die Netzabdeckung konzentrierte, wird diese heute aus der Sicht
der Mehrheit der Kunden bei allen Anbietern als gleich gut wahrgenommen. Die Folge
war ein harter Preiskampf, um bestehende Kunden halten und neue gewinnen oder von
der Konkurrenz abwerben zu können. Momentan zeichnet sich eine Stabilisierung der
Preise für mobile Telekommunikationsdienstleistungen ab, was dazu führt, dass sich
die Unternehmen über neue Wettbewerbsfelder zu differenzieren versuchen werden
(ebd., S. 54-56, 69-73, 78-79).
Der vorliegende Beitrag untersucht auf der Basis des Konzeptes NachhaltigkeitsMarketing, ob Öko- und Sozio-Sponsoring einen interessanten Ansatz zur Differenzierung im Wettbewerb darstellen könnte. Für die Zukunft wird ein erheblicher Anstieg
der Sponsoringausgaben in den Bereichen Ökologie und Soziales prognostiziert. Dies
wird damit begründet, dass sozial-ökologisches Engagement von Unternehmen gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein signalisiert und in der Öffentlichkeit Sympathie schafft. Damit können Imagevorteile für Unternehmen und/oder Marken erzielt
werden (Busch/Dögl/Unger 1995, S. 278; Zollinger 1995, S. 122; Bruhn 1998, S. 51).
Im Rahmen des Beitrags stehen folgende Fragen im Vordergrund:
y
Welche Erwartungen haben Kunden im Hinblick auf Öko- und Sozio-Sponsoring
an Telekommunikationsanbieter?
y
Welche Sponsoringaktivitäten mit sozial-ökologischem Hintergrund gibt es bereits
von Telekommunikationsanbietern? Lassen sich hieraus spezifische Faktoren für
den Erfolg des Öko- und Sozio-Sponsoring ableiten?
Zuerst erfolgt eine begriffliche Bestimmung des Öko- und Sozio-Sponsoring (Kapitel 2). Anschließend werden zentrale Ergebnisse einer Kundenumfrage vorgestellt
(Kapitel 3). In Kapitel 4 werden ausgewählte Öko- und Sozio-Sponsoringprojekte von
europäischen Telekommunikationsanbietern dargestellt. Den Abschluss bildet eine
Analyse der beschriebenen Öko- und Sozio-Sponsoringprojekte. Neben allgemeinen
werden spezifische Faktoren herausgearbeitet, die für den Erfolg des Öko- und SozioSponsoring maßgeblich sind.
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche
229
2 Vom Sponsoring zum Öko- und Sozio-Sponsoring
Begriffliche Bestimmungen
Sponsoring kann allgemein definiert werden als „die Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, die mit der Bereitstellung von Geld,
Sachmitteln, Dienstleistungen oder Know-how durch Unternehmen und Institutionen
zur Förderung von Personen und/oder Organisationen in den Bereichen Sport, Kultur,
Soziales, Umwelt und/oder Medien verbunden sind, um damit gleichzeitig Ziele der
Unternehmenskommunikation zu erreichen” (Bruhn 1991, S. 21). In diesem Sinne ist
Sponsoring ein Geschäft, das auf Gegenseitigkeit beruht, d.h. dass für eigene Leistungen auch immer konkrete Gegenleistungen erwartet werden. Im Unterschied dazu stehen das Mäzenatentum und das Spendenwesen, welche primär aus altruistischen Motiven erfolgen. Beim Sponsoring ist aus Sicht des Sponsors das Werbemotiv dominanter
als das Fördermotiv und die Bedingungen über Leistung und Gegenleistung werden
intensiv ausgehandelt und vertraglich geregelt (ebd., S. 24). Sponsoring stellt einen
wichtigen Bestandteil der integrierten Unternehmenskommunikation dar und ist ein
Instrument, das vielfältig eingesetzt werden kann.
Öko-Sponsoring stellt eine Kooperation zwischen Unternehmen und Einzelpersonen
oder Organisationen dar, die sich ausschließlich und nicht-kommerziell mit der Thematisierung von ökologischen Problemen und/oder dem Schutz beziehungsweise der
Sanierung der natürlichen Umwelt des Menschen befasst (Hermanns 1997, S. 85). Analog dazu kann man Sozio-Sponsoring verstehen als eine Kooperation zwischen Unternehmen und Einzelpersonen oder Organisationen, die ausschließlich und nichtkommerziell humanitäre Probleme von Individuen, Gruppen und/oder der Gesellschaft
aufgreifen, thematisieren und/oder lösen (ebd., S. 90).
Trotz der klaren Abgrenzung der Begriffe Sponsoring, Mäzenatentum und Spendenwesen in der Literatur hat sich in der Sponsoring-Praxis ein teilweise sehr weitgefasstes Verständnis des Begriffes Sponsoring eingestellt. Dies führt dazu, dass in der Umgangssprache nahezu jede Form der Förderung von Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen durch Unternehmen als „Sponsoring“ bezeichnet wird (Bruhn 1991,
S. 19). Darin dürfte auch ein wesentlicher Grund liegen, dass eine eindeutige Zuweisung der unternehmerischen Aktivitäten in den Bereichen Ökologie und Soziales zum
Sponsoring oder Mäzenatentum/Spendenwesen sich nicht nur für Außenstehende,
sondern oftmals auch für das Unternehmen selbst als schwierig erweist. Deshalb ist
davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Unternehmen ihre ökologischen und
230
Fabian Bucher
sozialen Engagements vielmehr dem Mäzenatentum anstatt dem Sponsoring zuordnen
und dadurch Marketingpotenziale ungenutzt lassen (Hermanns 1997, S. 87).
Entwicklung und Status Quo des Sponsoring
In den 1980er Jahren ließ sich feststellen, dass in den Printmedien und im Fernsehen
ein zunehmender Information-Overload entstand und als Folge davon Werbebotschaften und Werber vom Kunden immer weniger wahrgenommen werden (KroeberRiel/Weinberg 2003, S. 380-382). Zusätzlich wirkten sich Preissteigerungen bei den
klassischen Werbeträgern und Kommunikationsmitteln, gesetzliche Restriktionen sowie die zunehmende Ähnlichkeit im Werbeauftritt der konkurrierenden Unternehmen
negativ auf den Imagetransfer und die Erreichung von Kommunikationszielen aus.
Daraus erfolgte die Ergänzung der klassischen Kommunikationsmittel durch die so
genannten nicht-klassischen, modernen Kommunikationsmittel, wozu auch das Sponsoring zählt.
Im Jahre 2002 wurden in der Schweiz insgesamt über 5 Mrd. Franken in Werbung investiert (Werbemedienforschung AG 2004). Die jährlichen Ausgaben für Sponsoringengagements machen bei Schweizer Unternehmen mit fast 12% den drittgrößten Anteil des gesamten Kommunikationsbudgets aus. Dies zeigt auf, dass dem Sponsoring
als Kommunikationsinstrument eine wichtige Bedeutung zukommt (Abb. 1).
Die Entstehung und Verbreitung von Sponsoring ging mit der generellen Tendenz einher, verstärkt Freizeitinteressen der Bevölkerung für Zwecke der Unternehmenskommunikation zu nutzen. Sponsoringaktivitäten wurde von der Öffentlichkeit und den
Medien anfangs viel Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb das Sponsoring in den
1980er und 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen hat (Bruhn 1998, S. 28-37). In den
letzten Jahren ist im Sponsoring ein „Burn-Out-Effekt“ zu erkennen. Da immer mehr
Unternehmen Sponsoring betreiben, zeichnet sich auch hier ein Information-Overload
ab, was sich wiederum negativ auf die Wahrnehmung der Sponsoringaktivitäten seitens der Zielgruppen auswirkt. Dies ist vor allem im Bereich des Sport-Sponsoring der
Fall. Vor 10-15 Jahren konnte die Mehrheit der Besucher eines Fußballstadions oder
Sport-Events noch sagen, wer der (Haupt-)Sponsor war. Dies ist heute nicht mehr in
dem Maße der Fall. Ein möglicher Grund dafür ist darin zu sehen, dass der Marktbereich Sport aus Sicht des Sponsoring gesättigt ist (Bruhn 1998, S. 31, S. 49-50). Es
stellt sich deshalb die Frage, ob in anderen Sponsoring-Bereichen wie dem Öko- und
Sozio-Sponsoring noch Wachstumspotenziale vorhanden sind.
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche
0%
5%
10%
15%
20%
231
25%
30%
Verkaufsförderung
19%
Sponsoring
12%
PR
11%
Eventmarketing
11%
6%
Multimedia / E-Comm.
Anderes
40%
34%
Werbung
Spenden
35%
4%
3%
Abbildung 1: Verteilung des Kommunikations-Budgets in der Schweiz
(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung 2002)
Wie die Abbildung 2 zeigt, fließt ein Großteil der Sponsoringmittel schweizerischer
Unternehmen in den Sportbereich. Für das Öko- und Sozio-Sponsoring werden knapp
10% der zur Verfügung stehenden Mittel verwendet. Aus folgenden Gründen ist zukünftig mit einen Anstieg des Öko- und Sozio-Sponsoring zu rechnen (Bruhn 1998,
S. 274):
y
Umweltthemen und soziale Fragestellungen weisen in der Bevölkerung einen immer größeren Stellenwert auf und ihre Lösung wird als besonders dringlich angesehen.
y
Der Staat verfügt nicht über ausreichende finanzielle Mittel, um all die ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme eigenständig lösen zu können.
y
Unternehmen werden sich ihrer ökologischen und gesellschaftlichen Verantwortung vermehrt bewusst und nehmen diese auch vermehrt wahr.
y
Unternehmen erkennen zusehends, dass Öko- und Sozio-Sponsoring dazu beitragen kann, angestrebte Positionierungen erreichen und „weiche“ Ziele der Unternehmenskommunikation realisieren zu können.
232
Fabian Bucher
Es stellt sich die Frage, wie die Kunden von Telekommunikationsunternehmen ein
solches Engagement beurteilen.
24%
3%
43%
6%
Soziales
Ökologie
Kultur
Sport
Event-Marketing
Sonstiges
7%
16%
Abbildung 2: Aufteilung des Sponsoringbudgets im Jahr 2002 in der Schweiz
(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung 2002)
3 Öko- und Sozio-Sponsoring von TelekommunikationsUnternehmen aus der Sicht der Kunden
Im Juli 2003 führte das Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen
(IWÖ-HSG) eine explorative Studie mit Kunden der Swisscom zum Thema „Öko- und
Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche“ durch (vgl. auch Beitrag Walser). Der standardisierte Fragebogen setzte sich aus insgesamt zehn Fragen aus den
Teilbereichen Produkte, Dienstleistungen und Sponsoring sowie aus Angaben zur Person zusammen. Die Datenerhebung erfolgte in Swisscom-Shops der Städte Genf, Fribourg, Bern, St. Gallen, Chur und Thun. Insgesamt wurden 104 Fragebögen komplett
ausgefüllt. Rund 85% der Befragten waren zwischen 21 und 60 Jahre alt. Zwei Drittel
aller Befragten waren Männer. Obwohl die Stichprobe nicht repräsentativ ist und damit auch nicht ohne weiteres auf die gesamte schweizerische Bevölkerung geschlossen
werden kann, liefert die Befragung doch erste Hinweise auf das Öko- und SozioSponsoring aus Kundensicht. In einer Teilfrage wurden die Personen aufgefordert, die
vier Sponsoringbereiche Sport, Kultur, Ökologie und Soziales ihrer subjektiven Wichtigkeit nach zu ordnen. Die Frage lautete: „Wie würden Sie persönlich das Sponsoring-
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche
233
budget von Swisscom aufteilen? Ordnen Sie die zur Auswahl stehenden Bereiche nach
deren Wichtigkeit (1 = am wichtigsten; 4 = am wenigsten wichtig).“
Der Frage lag die Annahme zugrunde, dass Sport-Sponsoring aufgrund des breiten
öffentlichen und medialen Interesses sowie den intensiven Sponsoringaktivitäten am
häufigsten auf Platz eins genannt werden würde. Das empirische Ergebnis hat aber
gezeigt, dass vielmehr der Bereich Soziales von einem Drittel der befragten Personen
am häufigsten auf Platz eins gesetzt wurde. Auf den Plätzen zwei und drei folgten die
Bereiche Ökologie und Kultur. Der Bereich Sport schnitt eindeutig am schlechtesten
ab. Auf den ersten Blick ist dieses Ergebnis sehr überraschend, sollte aber mit Vorsicht
interpretiert werden. Möglicherweise hat das Phänomen der sozialen Erwünschtheit
Einfluss auf die Antworten der Befragten gehabt. Demnach haben die Personen Antworten gegeben, von denen sie glauben, dass sie von ihnen erwartet bzw. erwünscht
werden. Man kann die Ergebnisse aber auch dahingehend interpretieren, dass sich die
befragten Personen tatsächlich vermehrt Engagements von Telekommunikationsunternehmen in den Bereichen Ökologie und Soziales wünschen. Zumindest mag das unerwartete Ergebnis der Kundenumfrage Anlass sein, die Verteilung der Sponsoringbudgets zu überdenken und gegebenenfalls neue Akzente im sozial-ökologischen Bereich
zu setzen. Voraussetzung hierfür ist eine originelle und professionelle Durchführung
der entsprechenden Sponsoringaktivitäten. Im Folgenden werden ausgewählte Projekte
von Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Öko- und Sozio-Sponsoring
beschrieben und miteinander verglichen, um Erfolgsfaktoren daraus abzuleiten.
4 Ausgewählte Öko- und Sozio-Sponsoringprojekte
von Telekommunikationsanbietern in Europa
In der Schweiz und in Europa konzentrieren sich die Telekommunikationsanbieter
hauptsächlich auf die Sponsoringfelder Sport, Kultur, Soziales und Bildung. Tabelle 1
gibt einen Überblick über die Anzahl der Sponsoringaktivitäten in den einzelnen Bereichen. Die Anzahl sagt noch nichts über die Größe des zur Verfügung gestellten
Budgets aus. Es ist aber ersichtlich, dass sich gewisse Unternehmen stark diversifizieren, während andere ihre Ressourcen auf einige wenige Aktivitäten konzentrieren. Die
Unternehmen und ihre Sponsoringaktivitäten wurden im Rahmen einer Internetrecherche, die der Autor in der Zeit von November 2003 bis März 2004 durchgeführt hat,
ausgewählt. Entscheidendes Kriterium dabei war, dass das Unternehmen Ökound/oder Sozio-Sponsoring betreibt. In Tabelle 1 finden sich auch Engagements wieder, die im Sinne der obigen Definitionen nicht als Sponsoring-Engagement gezählt
werden dürften, sondern unter Mäzenatentum oder Spenden einzuordnen sind. Damit
234
Fabian Bucher
bestätigt sich die Aussage, dass viele Unternehmen trotz der klaren Definition der
Begriffe Sponsoring, Mäzenatentum und Spendenwesen Mühe haben, ihre Sponsoringaktivitäten klar abzugrenzen. Vier der 26 recherchierten Öko- und SozioSponsoringaktivitäten erscheinen geeignet, sie eingehender zu beschreiben und im
Hinblick auf Erfolgsfaktoren zu analysieren: Swisscom und SMARAGD, Orange und
UNICEF, mobilkom austria und Ärzte ohne Grenzen sowie British Telecom (BT) und
Am I Listening?
Orange
Sport
Kultur
2
Sunrise
Deutsche
Telekom
2
6
2
Bildung
1
Wirtschaft
British
Telecom
2
2
Swisscom
16
1
Ökologie
Soziales
Mobilkom
Austria
17
1
1
4
8
3
1
4
5
2
2
4
Tabelle 1: Engagements im Überblick
(Quellen: Orange 2004, Sunrise 2004, Deutsche Telekom 2004, mobilkom austria 2004, British Telecom 2004, Swisscom 2004)
SMARAGD ist ein Öko-Sponsoringprojekt von Swisscom. Swisscom war 1998 das
erste nach ISO 14001 zertifizierte Telekommunikationsunternehmen in Europa und
bekennt sich auf ihrer Homepage zu einer ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen Unternehmensführung. Zudem informiert sie interessierte Kunden ausführlich
über Ihre Sponsoringphilosophie. Der europaweite Schutz von gefährdeten Tier- und
Pflanzenarten und die Vernetzung von Arten und Lebensräumen ist die Aufgabe des
WWF-Projektes SMARAGD, die Vernetzung von Menschen die Aufgabe von Swisscom Fixnet. Somit stellt der Begriff Vernetzung die Verbindung zwischen Swisscom
Fixnet, WWF und dem Projekt SMARAGD her. WWF wird von Swisscom mit Finanz- und Sachmitteln, Dienstleistungen, Know-how und Personal unterstützt. So
werden zum Beispiel Naturschutzeinsätze im Feld durchgeführt, an denen sich Mitarbeiter von Swisscom beteiligen. Des Weiteren integriert Swisscom ihr Öko-
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche
235
Sponsoring in die Unternehmenskommunikation, indem bspw. Rechnungsbeilagen zu
diesem Thema versendet und Informationsblätter in den Swisscom Shops aufgelegt
werden (Swisscom 2004).
Orange for UNICEF ist ein Sozio-Sponsoringprojekt von Orange Schweiz. Orange
informiert Kunden auf ihrer Homepage sehr detailliert über ihre Unternehmens- und
Sponsoringphilosophie und bekennt sich öffentlich dazu, das Unternehmen sozialökologisch verantwortungsvoll zu führen. Die Glaubwürdigkeit dieses Bekenntnisses
wird durch die freiwillige Implementierung eines Corporate Social Responsibility Management (CSR) unterstrichen. Dieses Managementsystem definiert klare Ziele in den
Bereichen Soziales, Umwelt und Kultur, sucht den offenen Dialog zu den Anspruchsgruppen und nimmt eine Kontrollfunktion war. Die Begriffe Kommunikation und Bildung stellen die Verbindungslinie zwischen dem Sponsor, dem Gesponserten und dem
Projekt dar, denn Orange vertritt die Ansicht, dass Bildung die Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis und Kommunikation darstellt. Da weltweit aber ca. 100 Millionen Kinder nicht zur Schule gehen, ist Orange mit UNICEF eine langfristige Partnerschaft mit dem Ziel eingegangen, in verschiedenen Entwicklungsländern den Aufbau
von Schulen zu ermöglichen. Orange unterstützt die Hilfsorganisation mit Finanzmitteln und Dienstleistungen. Eine dieser Dienstleistungen besteht darin, dass OrangeKunden per SMS einen Betrag von zwei Franken in vollem Umfang direkt an
UNICEF spenden können (Orange 2004).
Ärzte ohne Grenzen ist ein Sozio-Sponsoring von mobilkom austria. Das Unternehmen
erhielt für dieses Engagement im November 2002 in München den Internationalen
Sponsoring Award in der Kategorie „Public Sponsoring“. Zum Anlass des 30-jährigen
Bestehens von Ärzte ohne Grenzen im Jahre 2001 beschloss mobilkom austria, eine
langfristige Partnerschaft mit der österreichischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen
einzugehen. Fortan warben die beiden Partner gemeinsam im Rahmen einer breit angelegten Informationskampagne für die Anliegen der Hilfsorganisation. mobilkom
austria finanziert Werbekampagnen und stellt technologisches Know-how sowie Handys für den Einsatz zur Verfügung. Darüber hinaus bietet mobilkom austria ihren
Kunden einen SMS-Spenden-Service an. Die Partnerschaft mit Ärzte ohne Grenzen
basiert laut mobilkom austria auf einer gemeinsamen Wertehaltung. Die Begriffe Mobilität und Flexibilität sind der gemeinsame Nenner. Seit Oktober 2003 verknüpft mobilkom austria das Sozio-Sponsoring Ärzte ohne Grenzen erfolgreich mit einem ÖkoSponsoring. Gemeinsam mit der Stadt Wien hat mobilkom austria eine Alt-HandySammelaktion lanciert, bei der alte, nicht mehr gebrauchte oder nicht mehr funktionstüchtige Handys und Zubehör in die Shops zurückgebracht oder gratis per Post
236
Fabian Bucher
zurückgesendet werden können. mobilkom austria kümmert sich einerseits um eine
Wiederverwendung oder eine umweltgerechte Verwertung der Geräte und spendet andererseits für jedes zurückgegebene Handy drei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Durch
die thematische Verknüpfung des Öko- und Sozio-Sponsoring von mobilkom austria
entstehen Synergieeffekte, die nicht nur den gesponserten Projekten, sondern auch
dem Unternehmen zugute kommen. So wirken sich beispielsweise Kommunikationsanstrengungen für die Alt-Handy-Sammelaktion auch auf das Projekt Ärzte ohne Grenzen aus und die Glaubwürdigkeit beider Sponsoringprojekte wird erhöht. Dies beeinflusst wiederum das Image von mobilkom austria in einem positiven Sinne (mobilkom
austria 2004).
Am I Listening? ist ein Sozio-Sponsoringprojekt von British Telecom in Zusammenarbeit mit ChildLine. British Telecom hat ein integriertes Managementsystem, welches
ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten Rechnung trägt. Ebenso wie
Swisscom ist British Telecom seit 1999 gemäß ISO 14001 zertifiziert. Aufgrund von
Kunden- und Mitarbeitergesprächen identifizierte British Telecom zwei relevante
Themenfelder – Kommunikation und Kinder. Nach weiterführenden Studien in diesen
beiden Bereichen stellte sich heraus, dass im Bereich der Telefonseelsorge Handlungsbedarf bestand. Vor der Zusammenarbeit mit British Telecom konnte ChildLine
von den täglich 4000 Anrufern nur knapp die Hälfte betreuen. British Telecom entschied sich zu einer langfristigen Partnerschaft mit ChildLine mit dem klaren Ziel, die
Kapazitäten von ChildLine soweit auszubauen, dass in Zukunft sämtliche Anrufe bearbeitet werden können. Die Unterstützung erfolgt durch Finanz- und Sachmittel,
Dienstleistungen, Know-how-Transfers und Personal. Mitarbeiter von British Telecom
unterstützen ChildLine als freiwillige Helfer bei Events, als Telefonseelsorger oder als
Spendensammler. Durch den aktiven Einbezug der Mitarbeiter von British Telecom in
die gesamte Kampagne wird der soziale Gedanke im Unternehmen selbst gelebt und
somit die Glaubwürdigkeit des Engagements nach außen erhöht. Das Engagement ist
auf der Homepage von British Telecom sehr gut dokumentiert. Interessierte, aber auch
skeptische Kunden können sich ausführlich darüber informieren. Zusätzlich liefert der
Begriff Kommunikation dem Kunden eine klare Verbindungslinie zwischen British
Telecom, ChildLine und dem Projekt Am I Listening? Diese beiden Faktoren wirken
sich positiv auf die Glaubwürdigkeit des Engagements aus (British Telecom 2004).
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche
237
5 Kritische Erfolgsfaktoren für Öko- und Sozio-Sponsoring
in der Telekommunikationsbranche
Es gibt eine Reihe von allgemeinen Faktoren, die zum Erfolg des Öko- und SozioSponsoring beitragen. Dazu zählen u.a. eine klare Zielgruppenbestimmung, die Festlegung von Sponsoringzielen, eine gute Planung und Durchführung, die Langfristigkeit
des Engagements sowie die Integration des Öko- und Sozio-Sponsoring in den Kommunikations-Mix der Unternehmung. Worin sind die Erfolgsfaktoren zu sehen, die
spezifisch für das Öko- und Sozio-Sponsoring sind? Die Analyse der ausgewählten
Projekte und Unternehmen im Telekommunikationsbereich lässt auf mindestens drei
spezifische Erfolgsfaktoren des Öko- und Sozio-Sponsoring schließen.
Ein erster spezifischer Erfolgsfaktor des Öko- und Sozio-Sponsoring ist die Glaubwürdigkeit. Nur wenn die sozialen und ökologischen Werte im Unternehmen fest verankert sind und gelebt werden, lässt sich ein solches Engagement glaubwürdig kommunizieren (Bruhn 1998, S. 317). Im Fall von British Telecom geschieht dies in vorbildlicher Art und Weise. Es kann als „Best Practice“ bezüglich NachhaltigkeitsManagement im Telekommunikationssektor bezeichnet werden. Das britische Telekommunikationsunternehmen fühlt sich einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet
und bekennt sich öffentlich zu seiner gesellschaftlichen Verantwortung. Um soziale,
ökologische und ökonomische Aspekte in das Alltagsgeschäft zu integrieren, hat British Telecom ein umfassendes Corporate Social Responsibility (CSR) System implementiert. Der „BT Social and Environmental Report“ aus dem Jahr 2004 gibt ausführlich Auskunft über die sozialen und ökologischen Leistungen des Unternehmens. Der
Sozial- und Umweltbericht ist nach den Richtlinien der Global Reporting Initiative
(GRI) erstellt und von unabhängiger Stelle verifiziert worden. Der Bericht dient als
wichtige Grundlage für einen aktiv und intensiv geführten Anspruchsgruppendialog.
Für sein sozial-ökologisches Engagement ist British Telecom mehrfach ausgezeichnet
worden (u.a. The Queen’s Award for Sustainable Development 2003). Im Rahmen des
Dow Jones Sustainability Index 2004 wird British Telecom zum drittenmal in Folge
als das beste Unternehmen im Telekommunikationssektor geführt.
Ein zweiter spezifischer Erfolgsfaktor des Öko- und Sozio-Sponsoring ist die Verbindungslinie zwischen dem Unternehmen und den geförderten Projekten. Die zentrale
Frage lautet: Inwiefern kann der Kunde und die Öffentlichkeit einen sinnvollen Zusammenhang zwischen dem Sponsor und den Gesponserten erkennen? Solche Verbindungslinien können sehr unterschiedlicher Natur sein und werden abgeleitet aus:
Verantwortungs-, Zielgruppen- , Regional- , Produkt-/Dienstleitungs-, Image- oder
238
Fabian Bucher
Know-how-Bezug (Bruhn 1998, S. 336-340). Unter Verantwortungsbezug wird die
ethische Verpflichtung des Unternehmens verstanden, sich an der Lösung sozialökologischer Probleme der Gesellschaft zu beteiligen. Ein Zielgruppenbezug ist dann
gegeben, wenn durch den neu zu initiierenden Dialog mit ausgewählten Zielgruppen
(z.B. Umweltschutzorganisationen) ein Beitrag zur Lösung sozial-ökologischer Probleme erreicht werden kann. Beim Regionalbezug liegt der Fokus auf der Lösung regional begrenzter Probleme oder lokalen Fragen. Beim Produkt-/Dienstleistungsbezug
bestehen Zusammenhänge zu den Produkten bzw. Dienstleistungen des Unternehmens,
deren Herstellung, Verwendung oder Post-Verwendung. Ein Imagebezug kann dann
hergeleitet werden, wenn sich das Unternehmen bereits in der Vergangenheit sozialökologisch verhalten hat und deshalb über gewisse sozial-ökologische Merkmale verfügt. Ein Know-how-Bezug begründet sich daraus, dass die vorhandenen Ressourcen
eines Unternehmens dazu geeignet sind, bestimmte ökologische und soziale Probleme
zu lösen.
Den vier ausgewählten Telekommunikationsunternehmen ist gemeinsam, dass sie sich
aus Verantwortung für soziale und ökologische Projekte engagieren. Ein solcher Verantwortungsbezug ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für
den Erfolg des Öko- und Sozio-Sponsoring. Im Fall von British Telecom und dem Sozio-Sponsoringprojekt Am I Listening? besteht die Verbindungslinie in der Kommunikation. Darüber hinaus lässt sich ein klarer Produkt-/Dienstleistungsbezug und KnowHow-Bezug herstellen: British Telecom stellt ChildLine Telefone und Telefonleitungen gratis zur Verfügung und die Mitarbeiter von British Telecom unterstützen
ChildLine als freiwillige Helfer. Orange sieht Bildung als eine wichtige Voraussetzung
für gegenseitiges Verständnis und Kommunikation, worin die Verbindungslinie zu
dem Sozio-Sponsoringprojekt mit UNICEF besteht. Der Dienstleistungsbezug ist dadurch gewährleistet, dass Orange-Kunden per SMS einen Betrag von zwei Schweizer
Franken in vollem Umfang direkt an UNICEF spenden können. Kritisch stellt sich die
Frage, wie viele Kunden davon tatsächlich Gebrauch machen. Swisscom sieht den Zusammenhang zum Öko-Sponsoringprojekt SMARAGD in der Vernetzung: Hat Swisscom Fixnet die Aufgabe, Menschen zu vernetzen, so besteht die Aufgabe des WWFProjektes SMARAGD in der Vernetzung von Arten und Lebensräumen zum Schutz
von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Dieser Zusammenhang ist sehr abstrakt und
es stellt sich kritisch die Frage, inwiefern er für den Durchschnittskunden der Swisscom einsichtig ist.
Ein dritter spezifischer Erfolgsfaktor kann in der geschickten Verknüpfung des Ökound Sozio-Sponsoring bestehen. Wie aus den obigen Zahlen hervorgeht, sind die
Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche
239
Budgets für das Öko- und Sozio-Sponsoring im Vergleich zum Sport- und Kultursponsoring knapp bemessen. Dementsprechend weisen die Öko- und SozioSponsonsoringprojekte vielfach nur eine begrenzte Reichweite auf. Um so wichtiger
ist das Ausnutzen von Synergieeffekten. Ein gutes Beispiel hierfür ist mobilkom austria, die das Öko- und Sozio-Sponsoring geschickt miteinander verknüpfen: Für jedes
zurückgegebene Mobiltelefon spendet das österreichische Telekommunikationsunternehmen automatisch einen Betrag von drei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Dies erhöht
den Anreiz für die Kunden, die nicht mehr funktionstüchtigen oder gebrauchten Mobiltelefone in die Shops zurückzubringen. Der Kunde hat damit wenig zusätzlichen
Aufwand. Die Rückgabe und die damit verbundene Spende hingegen verleihen dem
Kunden ein gutes ökologisches und soziales Gewissen.
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Teil IV:
Nachhaltigkeits-Marketing:
Perspektiven
Aktive Verantwortungsübernahme von
Unternehmen durch Nachhaltigkeits-Marketing:
Implikationen für Theorie und Praxis
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz
1 Einführung
Nachhaltigkeits-Marketing ist ein theoretisches Konzept zur systematischen Ausrichtung von Marketing im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, d.h. es integriert ökonomische, ökologische und soziale Aspekte und Ziele. Nachhaltigkeits-Marketing
dient somit nicht nur der Verwirklichung ökonomischer Ziele von Unternehmen, wie
dies im herkömmlichen Marketing der Fall ist, sondern verfolgt auch ökologische und
soziale Ziele. Nachhaltigkeits-Marketing ist dann erfolgreich, wenn sich die Unternehmung langfristig im Wettbewerb behaupten kann und einen wahrnehmbaren Beitrag zur Verringerung sozial-ökologischer Probleme leistet. Dieser Beitrag steht –
sinnvollerweise – primär in Zusammenhang mit den durch die Unternehmung angebotenen Produkten und Dienstleistungen. Erst der direkte Bezug zur Unternehmenstätigkeit schafft den angestrebten Zusatznutzen im Marketing.
Nachhaltigkeits-Marketing ist aber nicht nur ein theoretisches Konzept, sondern längst
auch erprobte Praxis. Soziale und ökologische Lösungsbeiträge werden vielerorts in
die Marketing-Aktivitäten von Unternehmen integriert. Die vielfältigen Beispiele im
Buch zeigen dies eindrücklich. Sie verdeutlichen, dass die sozial-ökologischen Problemlagen auch eine Chance darstellen, nicht trotz, sondern wegen NachhaltigkeitsMarketing Erfolg zu haben. Meist werden entsprechende Marketing-Aktivitäten jedoch noch ohne direkten Bezug auf ein Nachhaltigkeits-Marketingkonzept und dementsprechend eher zufällig angewandt.
Als erste große Herausforderung für Theorie und Praxis ergibt sich somit die Aufgabe, die noch nebeneinander stehenden Praxiserfahrungen mit Hilfe des Konzeptes
Nachhaltigkeits-Marketing in einen konsistenten Zusammenhang zu stellen. Auf diese
Weise können die Erfahrungen systematisch weiterentwickelt und verbessert werden.
Dabei gilt es zu beachten – und auch dies machen die Fallstudien im Buch sehr deutlich – dass Nachhaltigkeits-Marketing keine Patentlösung für alle Probleme ist. Es gibt
244
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz
allgemeine Faktoren, die dem Nachhaltigkeits-Marketing Grenzen setzen (bspw. sehr
weitreichende Konsumentenbedürfnisse oder das ungünstige Verhältnis der steuerlichen Belastung auf Arbeit und Energie). Neben diesen allgemeinen gibt es aber auch
vielfältige branchenspezifische Faktoren, welche die Erfolgschancen des Nachhaltigkeits-Marketing erhöhen oder begrenzen. Und selbst innerhalb einer Branche sind situative Spezifizierungen notwendig (Beitrag Leitner). Nachhaltigkeits-Marketing ist
nicht pauschal, sondern jeweils an die entsprechenden Kontexte situativ anzupassen.
Entsprechende Lösungsansätze finden sich im zweiten Teil des Buches. Aus den von
den Autoren gegebenen Antworten lässt sich eine ebenso interessante wie brisante Erkenntnis ableiten: Der entscheidungsorientierte Ansatz des Nachhaltigkeits-Marketing
(Beitrag Belz) ist so offen, dass er prinzipiell überall Anwendung finden kann. Selbst
in einem für den Nachhaltigkeits-Diskurs eher schwer zugänglichem Feld wie der Telekommunikationsbranche (Beitrag Walser) gibt es erfolgreiche Ansätze des Nachhaltigkeits-Marketing (Beitrag Bucher). Auch die Unternehmensgröße ist für den Erfolg
des Nachhaltigkeits-Marketing nicht maßgeblich (Beitrag Leitner). Eine Zuordnung
des Konzeptes Nachhaltigkeits-Marketing als „Nischenansatz“ ist dezidiert zurückzuweisen. „Nur für Kleinunternehmen“, „nur im Lebensmittelmarkt“ oder andere „Nischenzuweisungen“ können auf der Basis der vorliegenden Beiträge als widerlegt angesehen werden.
Hieraus lässt sich eine zweite große Herausforderung ableiten: Herkömmliches Marketing kann und sollte konsequent mit dem Konzept des Nachhaltigkeits-Marketing
konfrontiert und verbunden werden. Das Aufzeigen der vielfältigen Chancen für die
Anwendung von Nachhaltigkeits-Marketing beinhaltet nicht nur eine Handlungsoption, sondern auch einen normativen Anspruch. Wenn Nachhaltigkeits-Marketing
grundsätzlich möglich ist, dann kann man von den Unternehmen als Teil ihrer unternehmerischen Verantwortung erwarten, dass sie dieses auch anwenden. Der zentrale
Unterschied zum herkömmlichen Marketing liegt eben nicht in besonderen Kommunikationsinstrumenten oder ähnlichem (Beitrag Schrader; Beitrag Konrad/Scholl), sondern in der Anerkennung dieser Mitverantwortung der Unternehmen an gesellschaftlichen Problemen. Es ist offensichtlich, dass die vielfältigen negativen Nebenwirkungen
des herkömmlichen Marketing nicht länger ignoriert, aber auch nicht länger ausgelagert werden können. Bereits einfache Überlegungen verleihen diesem „ethischen
Mehrwert“ des Nachhaltigkeits-Marketing Überzeugungskraft, in dem sie zeigen, dass
die bestehenden Produktions- und Konsummuster, insbesondere in den Ländern der
OECD, zunehmend aber auch in den aufstrebenden Ländern China und Indien (Gardner/Assadourian/Sarin 2004, S. 6-8) nicht nachhaltig sind. Sie sind weder auf die ge-
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen
245
samte Weltbevölkerung übertragbar (räumliche Beschränkung) noch auf Dauer aufrecht zu erhalten (zeitliche Begrenztheit). Insofern verstoßen sie sowohl gegen die
intra- als auch gegen die intergenerative Gerechtigkeit. Als ausgewählte Beispiele nehme man das Ernährungs- und Mobilitätsverhalten in Deutschland: Jährlich verzehrt
jeder Deutsche rund 90 kg Fleisch und trinkt ca. 120 Liter Bier. Würde jeder Chinese
ebenso viel Fleisch essen und Bier trinken wie der durchschnittliche Deutsche, gäbe es
weltweit nicht genügend Getreide (Brown 1995). Ebenso verhält es sich im Mobilitätsbereich: Mehr als jeder zweite Deutsche besitzt ein Automobil. Damit werden jährlich im Durchschnitt rund 11.000 Kilometer gefahren. Würde man dieses Ausmaß an
individueller motorisierter Mobilität auf China übertragen, wären die Ölvorräte binnen
weniger Jahre aufgebraucht – mit der Folge ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher
Instabilitäten (Dyllick 1982). Nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die zukünftigen Generationen wären davon erheblich betroffen.
Gemäß dem Verantwortungsprinzip ist jeder Einzelne und jede Organisation für die
Folgen des eigenen Handelns verantwortlich. Nach diesem Leitprinzip tragen alle Verantwortung für den Erhalt und die Sicherung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen der Menschen (Meffert/Kirchgeorg 1993, S. 34; Balderjahn 2004, S. 4).
Bezogen auf Unternehmen und Konsumenten heißt das, dass beide eine geteilte Verantwortung tragen. Sowohl Unternehmen als auch Konsumenten sind aufgefordert,
ökonomische, ökologische und soziale Aspekte in ihre Entscheidungen einzubeziehen.
In dem Maß, in dem Unternehmen ihrem Teil der Verantwortung für eine nachhaltige
Entwicklung gerecht werden, in dem Maß können sich auch Konsumenten danach
richten und vice versa: In dem Maß, in dem Konsumenten ihrem Teil der Verantwortung für eine nachhaltige Um- und Mitwelt nachkommen, in dem Maß gibt es für Unternehmen Anreize, sich entsprechend zu verhalten. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeits-Marketing und nachhaltiger Konsum bedingen einander. Was bedeutet dies für
die Verantwortung von Unternehmen? Welche Schlussfolgerungen können aus den
vorliegenden Beiträgen zum Nachhaltigkeits-Marketing gezogen werden?
246
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz
2 Drei Ebenen aktiver Verantwortungsübernahme
von Unternehmen durch Nachhaltigkeits-Marketing
Die Verantwortung von Unternehmen für nachhaltige Produktions- und Konsummuster, welche die Grundlage für das Nachhaltigkeits-Marketing darstellt, kann auf
drei Ebenen verortet werden (Belz/Pobisch 2004):
y
Angebot von sozial-ökologischen Produkten;
y
Förderung von nachhaltigem Konsum;
y
Aktive Mitwirkung an sozial-ökologischen Rahmenbedingungen.
Angebot von sozial-ökologischen Produkten
Das Angebot von sozial-ökologischen Produkten liefert einen wertvollen Beitrag zur
Veränderung der vorhandenen Produktions- und Konsumstrukturen. Mit dem bloßen
Angebot von sozial-ökologischen Produkten eröffnen Unternehmen den Konsumenten
Wahlfreiheiten jenseits der Nulloption, d.h. jenseits des Konsumverzichts. Aus der
Sicht der Unternehmen geht es nicht nur darum, die Herstellung der Produkte sozial zu
gestalten und ökologisch zu optimieren, sondern auch die Beschaffung nach sozialökologischen Kriterien auszurichten. In diesem Fall spricht man von integrierten Lieferantenketten („integrated supply chains“), welche die vorgelagerten Stufen mit berücksichtigen (Roome 1998, S. 263; Welford 1998). Umwelt- und Sozialmanagementsysteme wie ISO 14001, EMAS und SA 8000 dienen dazu, sozial-ökologische Aspekte systematisch in die Entscheidungsprozesse und den Managementzyklus von „PlanDo-Check-Act“ einzubeziehen. Aus den vorliegenden Beiträgen des Buches wird deutlich, dass es Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und Ländern gibt, die ihrer
Verantwortung nachkommen und sozial-ökologische Produkte im Sortiment anbieten.
Nach dem Alter der Unternehmen (etabliert/neu gegründet) und dem Ausmaß der Sortimentsumstellung (teilweise/vollständig) kann man vier verschiedene Typen von sozial-ökologischen Unternehmen unterscheiden (Tab. 1).
Beim ersten Typ handelt es sich um etablierte Unternehmen, die ihr Sortiment zumindest teilweise auf sozial-ökologische Produkte umstellen. Vielfach sind es innovative
Leaderunternehmen, die auf nationaler oder internationaler Ebene eine marktführende
Position einnehmen. Beispiele aus dem Lebensmittelbereich sind das schweizerische
Familienunternehmen Baer (Beitrag Leitner), die schweizerischen Handelsunternehmen Migros (Beitrag Borsani/Hildesheimer) und Coop (Beitrag Belz/Ditze) sowie das
international tätige Unternehmen Unilever. Im Automobilbereich bietet Volkswagen
neben Mittelklassewagen und Nobelkarosserien seit dem Jahr 1999 den VW Lupo
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen
247
auch als Drei-Liter-Auto serienmäßig an. DaimlerChrysler hat sich mit dem energieeffizienten smart als Zweisitzer erfolgreich in der Nische der Klein(st)wagen etabliert
(Belz 2001, S. 202-206). Toyota und Honda setzen vermehrt auf Hybridautos, die sowohl mit Benzin- als auch Elektromotoren ausgestattet sind und die nicht nur in Japan,
sondern auch in Nordamerika und Westeuropa wachsende Absatzzahlen verzeichnen.
Im Energiebereich kann man Unternehmen wie BP und Shell nennen, die neben der
Exploration, Förderung und Vermarktung von Erdöl und Gas damit begonnen haben,
auch erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind und Biomasse zu nutzen und zu
vermarkten. Die etablierten marktführenden Unternehmen verfügen in der Regel über
finanzielle und personelle Ressourcen, welche die erfolgreiche Einführung von sozialökologischen Produkten am Markt ermöglichen. Eine besondere Herausforderung besteht darin, die „mental maps“, die Barrieren im Kopf zu überwinden. So hat bspw.
Migros das strategische Erfolgspotenzial von Bioprodukten lange Zeit verkannt, weil
sie es als Nischenphänomen abgetan haben (Villiger 2000, S. 215-222). Teilweise besteht die Ansicht, dass die Doppelgleisigkeit von konventionellen und sozialökologischen Produkten im Sortiment zu Glaubwürdigkeitsproblemen führen könnte.
Dies hat sich jedoch in der Praxis als unberechtigt erwiesen. Der durchschnittliche
Konsument vertritt diesbezüglich keine radikal-fundamentalistische Position des „entweder oder“, sondern eher eine pragmatische nach dem Motto „sowohl als auch“.
Sortimentsumstellung
Teilweise
Vollständig
Etabliert
I
II
Neu gegründet
III
IV
Alter des
Unternehmen
Tabelle 1: Typologie sozial-ökologischer Pionier- und Leaderunternehmen
248
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz
Der zweite Typ kennzeichnet Unternehmen, die seit längerem am Markt etabliert sind,
aber vollständig auf sozial-ökologische Produkte umsteigen. Im Automobilbereich, der
von wenigen großen Konzernen beherrscht wird, erscheint dies kurz- und mittelfristig
unmöglich (auch wenn Toyota hier hohe Erwartungen weckt, indem es mit dem Slogan wirbt: „Nichts ist unmöglich!“). Eine vollständige Umstellung würde in dieser
Branche bei gegebenen Rahmenbedingungen die internationale Wettbewerbsfähigkeit
gefährden. Im Lebensmittelbereich und auf regionaler Ebene kann das eher gelingen,
wie etwa das Beispiel der Hofpfisterei Stocker belegt. Sie hat in den 1980er Jahren
begonnen, Brot mit Bio-Getreide aus der Region zu backen. Die Umstellung des gesamten Brotsortiments auf Bio hat aufgrund von Engpässen in der Beschaffung rund
10 Jahre in Anspruch genommen. Mit über 150 eigenen Filialen in Bayern und BadenWürttemberg nimmt die Hofpfisterei Stocker eine führende Stellung im Qualitätssegment ein und ist weitgehend unabhängig vom Preisdiktat des konventionellen Lebensmittelhandels. Erfolgt die vollständige Umstellung des gesamten Produktsortiments nach sozial-ökologischen Kriterien, besteht die Gefahr der Segmentverengung.
Wie die empirische Untersuchung von Unternehmen in der Schweiz zeigt, ist diese
Option allenfalls für klein- und mittelständische Unternehmen interessant, die mit einer solchen Profilierung eine attraktive Nische bzw. ein attraktives Marktsegment besetzen (Beitrag Belz).
Der dritte Typ charakterisiert Unternehmen, die neu gegründet worden sind oder sich
neu formiert haben und die sowohl konventionelle als auch sozial-ökologische Produkte anbieten. Da Neugründungen im Normalfall eine sehr geringe Produktdiversifikation haben, sind Kombinationsangebote eher selten und erst mit der Etablierung des Unternehmens zu erwarten. Dann entsprechen sie aber Typ 1 oder Typ 2.
Im zahlenmäßigen Gegensatz steht hierzu der vierte Typ, die nachhaltigen Pioniere,
die mit dem Zweck gegründet worden sind bzw. werden, sozial-ökologische Produkte
zu entwickeln, einzuführen und erfolgreich zu vermarkten. In diesem Zusammenhang
kann man auch von „Ecopreneuren“ oder „Sustainable Champions“ reden (Petersen
2003, S. 18-19). Beispiele aus dem Lebensmittelbereich sind das niederländische
Großhandelsunternehmen Eosta (Beitrag Skoppek/Karstens) oder die deutsche Supermarktkette Basic. Diese wurde 1998 gegründet, führt ausschließlich Bio- und teilweise
Fair Trade-Produkte im Sortiment und expandiert sukzessive in deutschen Großstädten. Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist der deutsche Windenergiemarkt, der den weltweit größten nationalen Markt darstellt. Dieser wird heute noch v.a.
im Bereich der Projektierung von Start-up-Unternehmen dominiert. Auch der deutsche
Marktführer bei der Produktion von Windkraftanlagen Enercon ist ein unabhängiges
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen
249
Unternehmen der ersten Stunde (Wüstenhagen/Bilharz 2004, S. 12). Ein anderes Beispiel ist die schweizerische Genossenschaft Mobility CarSharing, die 1997 aus der
Fusion von AutoTeilet und ShareCom entstanden ist (Belz 2002, S. 21-22). Mobility
CarSharing verfügt über eine Flotte von 1700 Fahrzeugen, die an 1000 Standorten in
der Schweiz verteilt sind und genutzt werden können. Mit über 60.000 Kunden im Jahr
2004 ist Mobility weltweit die größte Car Sharing Organisation. Mobility CarSharing
baut Brücken zum öffentlichen Verkehr und ermöglicht kombinierte Mobilität. Es beruht auf der Idee des Nutzens statt Besitzens und möchte die Mobilitätslandschaft in
der Schweiz nachhaltig verändern. Weitere Firmen, die erfolgreich ausschließlich
nachhaltig positionierte Produkte herstellen und vertreiben sind z.B. die Schweizer
Firma Held, welche Produkte für das umweltschonende Waschen und Putzen produziert oder der ökologische Supermarkt Vatter in Bern: „Wir treten täglich den Tatbeweis an, dass die Schonung unserer Lebensgrundlagen nicht mit Verzicht verbunden
ist, sondern im Gegenteil ein Plus an Lebensqualität bedeutet“ (Vatter 2004). Ganz
anders positioniert ist die Firma Freitag, die Taschen aus Recyclingmaterial herstellt,
welche zehn Jahre nach Gründung der Firma schon zum Kultobjekt avanciert sind und
globale Verbreitung gefunden haben. Hauptausgangsmaterial sind gebrauchte Lastwagenplanen, was jede Tasche individuell aussehen lässt. Hier wird mit einem jugendlichen, kreativen, hedonistischen Lifestyle Marketing gemacht. Der Umweltschutz ist
der Firma zwar wichtig, aber er wird nicht als Argument im Verkauf eingesetzt, weil
bewusst keine „Verzichtsphilosophie“, sondern Lebenslust mit dem Produkt verbunden sein soll.
Förderung von nachhaltigem Konsum
Das Angebot von sozial-ökologischen Produkten ist eine notwendige, aber noch keine
hinreichende Bedingung für die erfolgreiche Vermarktung. Wird das Produkt zu einem
relativ hohen Preis verkauft, wenig beworben und ist es schwer erhältlich, dann trägt
das nicht zur Förderung eines nachhaltigen Konsums bei. Ein solches Beispiel ist das
Drei-Liter-Auto von Volkswagen, der VW Lupo 3L TDI, von dem lediglich einige
Tausend Exemplare jährlich verkauft werden und der somit auf eine Nische beschränkt
bleibt. Ein zentraler Grund dafür dürfte in dem vergleichsweise hohen Anschaffungspreis liegen. In Meinungsumfragen bezeugen die Befragten zwar eine höhere Preisbereitschaft, aber häufig besteht eine wesentliche Diskrepanz zwischen dem Sozial-/
Umweltbewusstsein und entsprechendem Verhalten (Balderjahn 2004, S. 152-170).
Tatsächlich ist die Bereitschaft, für sozial-ökologische Produkte mehr zu bezahlen,
sehr gering (Balderjahn 2003, S. 387-404; Umweltbundesamt 2002, S. 81). Ein Lö-
250
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz
sungsansatz besteht darin, die Kosten und damit den Preis zu reduzieren oder eine
Mischkalkulation zugunsten nachhaltiger Produkte vorzunehmen. So bietet bspw. Coop als zweitgrößtes schweizerisches Handelsunternehmen ausschließlich Bananen an,
die aus Fair Trade-Produktion stammen. Durch den direkten Einkauf, das Überspringen von Zwischenstufen und die Senkung der Logistikkosten können die Fair TradeBananen zum selben Preis angeboten werden wie konventionelle. Der Kunde erhält
einen sozial-ökologischen Mehrwert „zum Nulltarif“ (Kaas 1992, S. 475-476). Die
Geschäftsphilosophie der Supermarktkette Basic ist, Bio für alle anzubieten. In ihrem
Sortiment haben sie Bio-Eigenmarken, die zu günstigen Preisen angeboten werden. Im
Car Sharing entstehen neue Leistungs- und Preiskategorien, die sich schwer mit privatem Automobilbesitz vergleichen lassen. Nimmt der Kunde dennoch einen einfachen
Kostenvergleich zwischen individuellem Automobilbesitz und Car Sharing Angeboten
vor, dann wird er bei einer jährlichen Fahrleistung von wenigen Tausend Kilometern
die finanzielle Überlegenheit des Konzepts „Benutzens statt Besitzens“ erkennen.
Neben der klassischen Preisstrategie stehen dem Nachhaltigkeits-Marketing eine Vielzahl moderner Marketing-Instrumente offen, die in Theorie und Praxis hinreichend
erprobt und erforscht sind. Es geht dementsprechend beim Nachhaltigkeits-Marketing
auf strategischen und operativen Ebenen nicht darum, „das Rad neu zu erfinden“, sondern konventionelle Methoden wie bspw. Kundenbindungsprogramme oder Sponsoring zieladäquat einzusetzen (Beitrag Konrad/Scholl; Beitrag Bucher). Eine zentrale,
aber keine unlösbare Herausforderung ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen
Information und Animation in der Kommunikation (Beitrag Schrader; Beitrag
Belz/Ditze). Für den Erfolg von Nachhaltigkeits-Marketing ist es v.a. bei sozialökologischen Pionierunternehmen wichtig, die Erkenntnisse aus Theorie und Praxis
des herkömmlichen Marketing verstärkt einzubeziehen. Es muss berücksichtigt werden, dass sich Nachhaltigkeits-Marketing nicht durch die Methoden, sondern durch die
erweiterte Zielperspektive und die Übernahme von Verantwortung vom klassischen
Marketing unterscheidet. Umgekehrt – und dies leitet zur dritten Ebene über – müssen
v.a. Leaderunternehmen anerkennen, dass sich die aktive Verantwortungsübernahme
nicht nur auf die Produkte und Leistungen bezieht, sondern auch auf die Rahmenbedingungen.
Aktive Mitwirkung an sozial-ökologischen Rahmenbedingungen
Die Rahmenbedingungen, die eine wichtige Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg
von sozial-ökologischen Produkten und Dienstleistungen sind, werden auch von Unternehmen – bewusst oder unbewusst – beeinflusst. Diese Beeinflussung kann sich auf
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen
251
Gesetze, auf allgemeine Normen und Produktkennzeichnungen (z.B. Labels), aber
auch auf allgemeine Deutungsmuster beziehen (z.B. „Öko = teuer“). Neben der erweiterten Zielperspektive ist dieser Gestaltungsaspekt das zweite Spezifikum des Nachhaltigkeits-Marketing gegenüber dem herkömmlichen Marketing. Gesellschaftliche
Strukturen und menschliches Verhalten sind nicht exogen vorgegeben, sondern endogen, d.h. sie können im Laufe der Zeit geändert werden. Während dies im herkömmlichen Marketing entweder ignoriert und als unbeeinflussbare Randbedingung akzeptiert
oder nur unter dem Blickwinkel des unternehmerischen Eigeninteresses verfolgt wird,
steht im Nachhaltigkeits-Marketing das „wohlverstandene Eigeninteresse“ im Vordergrund. Wohlverstanden ist ein Eigeninteresse bei der Vermarktung nachhaltiger Produkte dann, wenn es erstens zur Verringerung sozial-ökologischer Problemlagen (relativ zum Status Quo) beiträgt und es zweitens effektivere Lösungsansätze nicht verhindert (Beitrag Bilharz). Dies beinhaltet auch die Bereitschaft zum Wandel in der Produktpolitik, wenn das Eigeninteresse konträr zu effektiven sozial-ökologischen Problemlösungen ist. Für die einzelne Unternehmung ist dies zwar ein besonders schwieriges Terrain, aber nicht alles, was im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und der
Allgemeinheit als sinnvoll angesehen werden kann, erweist sich auch für die einzelne
Unternehmung als zweckmäßig. Mit anderen Worten: Es gibt Gewinner, aber durchaus
auch Verlierer im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung. Hier gilt es, intelligente
Übergänge zu entwickeln wie z.B. der viel diskutierte und wenig vollzogene Weg von
der Energieproduktion zur Energiedienstleistung (Göllinger 2001, S. 231-340) oder
von der Autoproduktion zur Mobilitätsdienstleistung (Liebehenschel 1999, S. 307366). Außerdem zeigt sich auch hier die hohe Anschlussfähigkeit des NachhaltigkeitsKonzeptes. Es kann unter sozialer Perspektive sinnvoll sein, einen entsprechenden
Strukturwandel abzufedern oder zu verlangsamen, nicht aber als kritisch eingestufte
Produktionsmuster aufrecht zu erhalten.
Transformativem Marketing, das sich auf die Veränderung von gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen bezieht, kommt deshalb beim Nachhaltigkeits-Marketing besondere Bedeutung zu (Belz 2001, S. 91-99). Beispiele hierfür sind die Lancierung von
Labels wie die „Bio-Knospe“ oder die von vielen Unternehmen unterstützten Vergütungssätze für erneuerbare Energien in Deutschland durch das Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG). Das transformative Marketing stellt nicht nur einen wichtigen Baustein
im Konzept des Nachhaltigkeits-Marketing dar, sondern liefert Unternehmen auch eine
hohe gesellschaftliche Legitimation.
Transformatives Marketing kann durch einzelne Unternehmen, aber auch im Verbund
betrieben werden. Dazu gehört im engeren Sinne ein politisches Lobbying für die
252
Frank-Martin Belz/Gabi Hildesheimer/Michael Bilharz
Ausgestaltung nachhaltigkeitsfreundlicher Rahmenbedingungen. Die ÖBU beispielsweise setzt dies um, indem sie den Schweizer Bundesparlamentariern regelmäßig ein
Dialogforum anbietet, parteiübergreifend und mit sozial-ökologischen Themen jenseits
der tagespolitischen Agenda. Ziel sind nicht kontroverse, sondern konstruktive Gespräche zwischen Wirtschaft und Politik. In immer neuen Variationen wird den Politikern präsentiert, dass ökologisches und sozialverantwortliches Wirtschaften profitabel
sein kann. Das persönliche Eintreten von erfolgreichen Nachhaltigkeits-Pionieren für
entsprechende Regulierungen wirkt dabei vertrauensbildend und überzeugend.
Im weiteren Sinne unterstützt auch eine fokussierte Öffentlichkeitsarbeit das transformative Marketing. In den Medien, an Seminaren und Konferenzen wird durch die
Nachhaltigkeitsverbände der Unternehmen regelmäßig die Botschaft kommuniziert,
dass Nachhaltigkeit die Wettbewerbskraft stärken kann. Das Zielpublikum besteht
nicht nur in Unternehmen, sondern die breite Öffentlichkeit ist angesprochen, welche
als Konsumenten und Wähler die Entwicklung maßgeblich mit beeinflussen. Die Diskussionen zeigen, dass nachhaltige Entwicklung bzw. Nachhaltigkeit noch nicht in den
Köpfen der Bevölkerung verankert ist. Die gezielte, professionelle Vermittlung der
entsprechenden Informationen (und Emotionen) kann zu einer maßgeblichen Erhöhung des Umsatzes nachhaltiger Produkte und Dienstleitungen beitragen. Die Unternehmensverbände erfüllen bei dieser „Aufklärungsarbeit“ eine wichtige Koordinationsaufgabe, damit die begrenzten Mittel effizient eingesetzt werden.
3 Ausblick
Unternehmen, die aktiv ihre Verantwortung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung
übernehmen, benötigen Unterstützung sowohl von Seiten der Politik durch die Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen als auch von Seiten der Konsumenten. So kann
man als Spiegelbild zur Verantwortung von Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung auch die Verantwortung von Konsumenten auf drei verschiedenen Ebenen
ansiedeln:
y
Nachfrage nach sozial-ökologischen Produkten;
y
Einfordern von Transparenz und Information zu den Produkten durch kritische
Konsumenten bzw. Konsumentengruppen;
y
Aktive Mitwirkung an der Veränderung institutioneller Rahmenbedingungen in
Richtung Nachhaltigkeit (z.B. Mitgliedschaft und Teilnahme bei Food Watch,
WWF oder Greenpeace).
Aktive Verantwortungsübernahme von Unternehmen
253
Damit die wechselseitige Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage nicht in lähmenden Dilemma-Situationen verharrt, in denen jeder mit dem Zeigefinger auf den anderen zeigt, ist es notwendig, dass alle Akteure aktiv den für sie möglichen nächsten
Schritt unternehmen, um so die Schnittmenge zwischen Ökologie und Sozialem einerseits und Ökonomie andererseits kontinuierlich zu erhöhen. Unternehmen können somit nicht aus der hier aufgezeigten Verantwortung – die sich auf den drei skizzierten
Ebenen manifestiert – entlassen werden. Es liegt an den Unternehmen, aus dieser Verantwortung eine Chance für die eigene Unternehmung zu machen. Das Konzept des
Nachhaltigkeits-Marketing bietet jedenfalls – davon sind wir überzeugt – einen geeigneten Ansatz hierzu. Die theoretischen Chancen sind ausgeleuchtet, praktische Erfolgsbeispiele weisen den Weg.
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Autorenangaben
Prof. Dr. Frank-Martin Belz ist seit Sommer 2003 Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre Brau- und Lebensmittelindustrie an der TU München (TUM Business
School). An der Universität St. Gallen (HSG) in der Schweiz promovierte er 1995 zum
Thema „Ökologie und Wettbewerbsfähigkeit von Lebensmittelunternehmen“ und habilitierte sich 2001 zum Thema „Integratives Öko-Marketing“. Als AssistenzProfessor wirkte er bis 2003 an der Universität St. Gallen. Seit April 2004 ist er Studiendekan des neu eingerichteten Masterstudiengangs Consumer Science an der TU
München. Aktuell koordiniert er zudem das interdisziplinär ausgerichtete Verbundforschungsprojekt "Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert",
welches im Frühjahr 2004 angelaufen ist.
E-Mail: [email protected]
Michael Bilharz war von 2002 bis 2004 Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft und
Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Er studierte von 1993 bis 1999 an
der Universität Regensburg Pädagogik und Betriebswirtschaftslehre. Von 2000 bis
2002 arbeitete er im DFG-Forschungsprojekt „Förderung ökologischer Kompetenz“
am Lehrstuhl für empirische Pädagogik und pädagogische Psychologie an der LMU in
München. 2003-2004 war er Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Green Energy Market
Development in Germany: Effective Public Policy and Emerging Customer Demand“.
Seit August 2004 bearbeitet er im Rahmen des Verbundforschungsprojektes „Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert“ an der TU München das
Teilprojekt „Nachhaltiger Konsum als strukturpolitisches Instrument der Verbraucherpolitik“.
E-Mail: [email protected]
Fausta Borsani ist seit 2000 Projektleiterin Ethik beim Schweizer Detailhändler
Migros. Sie studierte von 1982 bis 1988 Agrarwirtschaft an der ETH Zürich und war
danach bei einer Kleinbauerninitiative und einem privaten Ökologie-Büro tätig. Von
1989 bis 1995 arbeitete sie als Umweltbeauftragte in der Gemeinde Uster. Gleichzeitig
machte sie 1995 den Abschluss des 2-jährigen Nachdiplomstudiengangs „Nachhaltige
256
Autorenangaben
Ressourcenbewirtschaftung“ am Technikum Rapperswil. Von 1995 bis 2000 war sie
Projektleiterin bei der Stiftung für Konsumentenschutz für den Bereich „Publikationen
in Ethik- und Umweltfragen“.
E-Mail: [email protected]
Fabian Bucher studiert seit 2001 an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre. Nach der Matura im Jahr 1999 folgte ein halbjähriger Auslandsaufenthalt in Australien. Von 2000 bis 2001 war er als Flight Attendant bei der Swissair beschäftigt. Im
Rahmen seiner Bachelor-Arbeit über Öko- und Sozio-Sponsoring in der Telekommunikationsbranche arbeitete er am Institut für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) im Forschungsprojekt „Sustainability Marketing Switzerland (SMS)“ (2003-2004).
E-Mail: [email protected]
Daria Ditze arbeitet zur Zeit bei Man Investments in Pfäffikon/Schweiz im ProductManagement. Nach der Matura im Jahr 1998 studierte sie Betriebswirtschaftslehre mit
Vertiefung Finanzen, Rechnungslegung und Controlling an der Universität St. Gallen.
Im März 2004 schloss sie ihr Studium erfolgreich ab. 2001 arbeitete sie zudem bei Hisalba (Holcim) in Madrid im Bereich Personalmanagement und Marketing.
E-Mail: [email protected]
Gabi Hildesheimer ist seit 1998 Geschäftsleiterin der Schweizerischen Vereinigung
für ökologisch bewusste Unternehmungsführung (ÖBU) in Zürich. Sie studierte von
1979-1985 Biologie an der Universität Zürich und war von 1982 bis 1987 Assistentin
an der Schule für Gestaltung in Zürich. Danach arbeitete sie von 1988 bis 1997 als
Projekt- und stellvertretende Geschäftsleiterin bei envico. Projekte waren u.a. Umweltverträglichkeitsstudien (z.B. für Straßenbauprojekte in den neuen deutschen Bundesländern). Sie war und ist Mitglied in verschiedenen Gremien, u.a. im beratenden
Organ des Bundesrates in Klimafragen, im Stiftungsrat von Documenta Natura (seit
1993) und in der Expertengruppe Raum, Umwelt, Energie des Bundesamtes für Statistik (seit 2000).
E-Mail: [email protected]
Autorenangaben
257
Birte Karstens ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Betriebswirtschaftslehre Brau- und Lebensmittelindustrie der Technischen Universität München.
Dort arbeitet sie in der Forschungsgruppe „Nachhaltigkeits-Marketing im 21. Jahrhundert“ mit dem Ziel der Promotion. Sie studierte von 1998 bis 2004 Betriebswirtschaftslehre und Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg mit den
Schwerpunkten Marketing und Kommunikation. In ihrer Diplomarbeit befasste sie
sich mit dem Thema „Vom Öko- zum Nachhaltigkeits-Marketing: eine theoretische
Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen des Verkaufs ökologischer Produkte“.
E-mail:
[email protected].
Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg ist Inhaber des Lehrstuhls Marketingmanagement an
der HHL – Leipzig Graduate School of Management. In drei Competence Centers
werden an seinem Lehrstuhl Forschungsprojekte auf die Bereiche „Ganzheitliche
Markenforschung“, „Medienmanagement“ und „Nachhaltigkeits-Marketing“ ausgerichtet. Vor zwanzig Jahren begann Prof. Kirchgeorg am Institut für Marketing der
Universität in Münster mit seinen ersten Forschungen zum Umweltmanagement und
Öko-Marketing. Nach seiner Promotion über den "Einfluss der Ökologie auf das Unternehmensverhalten" beschäftigte er sich im Rahmen seiner Habilitationsschrift mit
dem Themenkomplex des „Marktstrategischen Kreislaufmanagements“. Er hat vielfältige Lehraufträge an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland wahrgenommen
und ist Mitglied in zahlreichen betriebswirtschaftlichen Vereinigungen.
E-Mail: [email protected]
Dr. Wilfried Konrad ist seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Büro Heidelberg. Er studierte von 1980 bis
1984 Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz in Mainz und
von 1984 bis 1991 Soziologie an der Universität Frankfurt am Main. Von 1991 bis
1998 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in
Frankfurt am Main beschäftigt. Hier promovierte er 1996 über die europäische Telekommunikationspolitik und arbeitete in industrie- und techniksoziologischen Projekten, bis er 1998 an das IÖW nach Heidelberg wechselte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte
sind nachhaltiger Konsum, ökoeffiziente Dienstleistungen, Innovationsforschung und
produktbezogener Umweltschutz.
E-Mail: [email protected]
258
Autorenangaben
Katharina Leitner promoviert am Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität
St. Gallen (IWÖ-HSG) zum Thema „Einfluss sozial-ökologischer Pionier- und Folgerstrategien auf die Entwicklung von Wettbewerbsfeldern in der Lebensmittelbranche“.
Sie studierte von 1993-1999 Biologie und hält einen Magister (Master of Science) der
Naturwissenschaften (Biologie/Genetik) der Paris Lodron Universität Salzburg sowie
den European Master in Environmental Management der EAEME. Von 2000-2003
war sie in Basel an dem Schweizerischen Zentrum für Biosicherheit und Nachhaltigkeit (BATS) beschäftigt. Während der gesamten Laufzeit des Projektes Sustainability
Marketing Switzerland (SMS) (2002-2004) leitete sie verschiedene Teilprojekte zur
Lebensmittelbranche. Zur Zeit arbeitet sie bei Swisscom Innovations und erstellt im
Rahmen des Forschungsprojektes Vision 2015 eine historische Analyse der Telekommunikationsbranche.
E-Mail: [email protected]
Rita Pant ist in der Textilfirma Cosmosupplylab (Hong Kong) als Vizedirektorin der
Einkaufsabteilung tätig. Nach ihrer Schulausbildung in Freiburg nahm sie 1991 bis
1992 am American Culture Programm des Randolph Macon Woman’s College (USA)
teil. Es folgte von 1992 bis 1995 die Ausbildung zur Mode Designerin im Studio Bercot (Frankreich). Von 1995 bis 2001 studierte sie Wirtschaftswissenschaft an der Universität Witten/Herdecke (Deutschland). Anschließend war sie bis 2003 Assistentin am
Institut für Wirtschaft und Ökologie, Universität St. Gallen (Schweiz).
E-Mail: [email protected]
Katharina Sammer arbeitet seit 2000 als Lehrstuhlassistentin am Institut für Wirtschaft
und Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Sie studierte von 1992-2000
Volkswirtschaft und Umweltsystemwissenschaften an der Karl-Franzens Universität in
Graz. 1997 legte sie ein Auslandssemester im Rahmen des Erasmus-Programms in
Lund/Schweden ein. Innerhalb des Forschungsprojektes "Sustainability Marketing
Switzerland" (SMS) behandelte sie die Aspekte des Nachhaltigkeits-Marketing in der
Schweizer Baubranche. Derzeit arbeitet sie an einem Projekt des Bundesamt für Energie (Schweiz), in welchem die Einflussnahme der Energieetikette (EU-Energielabel)
auf den Kaufentscheid ermittelt wird.
E-Mail: [email protected]
Autorenangaben
259
Gerd Scholl ist Senior Researcher und Projektleiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Büro Berlin. Er hat von 1987 bis 1993 Volkswirtschaftslehre in Göttingen und Bonn studiert und ist seit 1993 als Mitarbeiter im Forschungsfeld „Ökologische Produktpolitik“ am IÖW beschäftigt. Seine Arbeitsschwerpunkte
sind nachhaltiger Konsum, nachhaltige Dienstleistungen, produktbezogene Umweltpolitik sowie Umwelt- und Soziallabelling. Auftraggeber waren u.a. das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), das Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) und die Europäische Kommission.
E-Mail: [email protected]
Dr. Ulf Schrader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Lehrstuhl Marketing I: Markt und Konsum an der Universität Hannover. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, Politologie und Soziologie in Göttingen, Dublin und Hannover. Neben
seiner Lehrtätigkeit leitete er verschiedene Forschungsprojekte im Themenfeld „Nachhaltiger Konsum“, unter anderem das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderte Projekt „Eigentumsloser Konsum – Untersuchung und exemplarische Umsetzung eines ökologischeren Konsumstils“ (1997-2000), den deutschen Part des von der
EU-Kommission geförderten Forschungsprojekts „Strategies towards the Sustainable
Household“ (1998-2001) sowie die Arbeit des Lehrstuhls im BMBF-geförderten Projekt „Investorenentscheidungen als Determinanten einer nachhaltigen Unternehmensführung“ (2001-2003). Seine Dissertation beschäftigte sich mit der Konsumentenakzeptanz eigentumsersetzender Dienstleistungen. Seine Forschungsschwerpunkte sind
Ökologisches Marketing, Wirtschafts- und Marketing-Ethik, Konsumentenverhalten,
Dienstleistungsmarketing, Nachhaltiger Konsum.
E-Mail: [email protected]
Hugo Skoppek ist bei Eosta als Projektleiter von Nature & More für die inhaltliche
Gestaltung und Entwicklung des dynamischen Qualitätssystems verantwortlich. Er hat
mehr als 30 Jahre Erfahrung in der „Bio-Szene“. Nach dem Studium von Betriebswirtschaft und „Social Development“ arbeitete er während seiner beruflichen Laufbahn in
den verschiedensten Bereichen entlang der Bio-Handelskette. 1985 begann er sich im
Bereich der Qualitätssicherung zu spezialisieren. Seine Kenntnis und Kompetenz liegen im Bereich der Projektentwicklung und Zertifizierung/Akkreditierung. Von 1987
bis 2000 hat er als „Certification Manager“ und „Executive Director“ führender Kon-
260
Autorenangaben
trollorganisationen in den USA maßgeblich an deren inhaltlicher Gestaltung und Qualitätspolitik beigetragen. Bevor er die neue Herausforderung bei Eosta annahm, konzentrierte er sich als Geschäftsführer von „Fair Trade Labelling Organisations International“ auf den sozialen Bereich.
E-Mail: [email protected]
Andreas Walser studiert seit 2001 an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre. Nach der Matura im Jahr 1998 absolvierte er bis 2000 seinen Militärdienst bei der
Schweizer Armee. Im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit über „Mobiltelefone im Spannungsfeld von sozial-ökologischen Problemen und Kundenbedürfnissen“ war er am
Institut für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) im Forschungsprojekt „Sustainability Marketing Switzerland (SMS)“ beschäftigt (2003 bis
2004).
E-Mail: [email protected]
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