MENSCHLICHE ETHIK IM STREIT DER KULTUREN Hans-Martin Sass ETHIK UND BIOETHIK AUF DEM PRÜFSTAND Seit den mörderischen Anschlägen religiöser und politischer Extremisten auf unschuldige Menschen im September 2001, erneut ausgebrochenem religiösen und kulturellem Hass in Palästina und Indien und untauglichen Versuchen der Selbstrechtfertigung politischer Unterdrückungssysteme in Kuba, Irak, Nordkorea und anderswo wird schon gleich am Beginn eines neuen Jahrtausends wieder vom Kampf der Kulturen gesprochen und geschrieben [7]. Die These soll besagen, dass es einen unauflösbaren Gegensatz zwischen dem Reich des Guten und dem Reich des Bösen gibt und dass dieser Gegensatz die 'Söhne des Lichts' auffordert, die 'Bösen zu liquidieren, zu bestrafen oder im besten Fall zu 'bekehren'. Dieses theologische und philosophische Modell des Zarathustra zur Interpretation und Selbstermächtigung von Terror und Verfolgung der 'Anderen' wurde seit 2500 Jahren immer wieder aufgegriffen, von den Manichäern, den Repräsentanten des religiösen Fanatismus und des rechten und linken Faschismus und politischen Dogmatismus. Konfrontationen zwischen Kulturen sind nicht neu und Grenzziehungen zu anderen Traditionen gehören zum Charakter einer Kultur wie ja auch Individuen ihre Identität aus dem Verhältnis zu ihrer sozialen und sonstigen Umwelt bestimmen und bestätigen. Rückbindung ethischer Prinzipien oder Gebote an 'letzte' oder 'absolute' Werte ist Markenzeichen von Kultur, gleichgültig ob diese Rückbindung durch göttliche Offenbarung oder Vertragstheorie, Naturrecht, Herrscherdiktat oder eine Mischung aus allen innerhalb der Kultur oder in der Interaktion zwischen Kulturen validiert wird. Gibt es dann aber überhaupt universale Werte, die allen Kulturen, Religionen oder Verhaltensnormen gemeinsam sind? Gibt es eine Ethik, spezieller: gibt es eine Bioethik, die alle Menschen gleichermaßen verpflichten kann und auf die alle gleichermaßen vertrauen können? Oder sind Werte und Wünsche, Hoffnungen und Ängste kulturrelativ? Ist der manichäische (Vernichtungs-)Kampf zwischen den Kulturen das einzige Modell der Interaktionen zwischen Kulturen und Individuen unterschiedlicher Kulturen oder gibt es andere Modelle der Erklärung und der Selbstfindung in einer heute nicht weniger wertpluralen Welt als es die Welt des Zarathustra vor mehr als 2500 Jahren war? Am Beginn des 21. Jahrhunderts bestätigt 1 sich immer noch die These des Moses Mendelsohn von 1783: „auch die Ohnegötterei hat, wie eine leidige Erfahrung lehrt, ihren Fanatismus“ [18:1999]. Klassische Revolutionsstrategien sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowohl in säkularerö wie in religiöser Verkleidung modifiziert weiterentwickelt worden [36]. Auch die deutsche Diskussion um die Bioethik ist durch manichäische Positionen der Diffamierung und der Verweigerung von Kommunikation und Kooperation gekennzeichnet. Die diffamierende Stellungsnahme der „Grafenecker Erklärung zur Bioethik“ vom Juni 1996 ist nach wie vor unter weltanschaulichen Fundamentalisten und bei einigen Medienvertretern meinungsbildend; hier heißt es: 'Mit großer Besorgnis stellen wir fest, dass die Bioethik kein Instrument zur Bewahrung der Menschenrechte ist, sondern im Gegenteil an entscheidenden Stellen den Boden der Menschenrechte verlässt, die geschichtlichen Erfahrungen missachtet und den menschenrechtlichen Schutz des Einzelnen zweckdienlichen Wertschätzungen unterwirft'. Arrogant pauschalierend und die weitverzweigte, auch kontroverse, Diskussion innerhalb der internationalen Bioethik missachtend, wird festgestellt: 'Die Bioethik lehnt letzte Werte ab, so auch die Unantastbarkeit menschlichen Lebens. Menschliches Leben ist für sie prinzipiell ohne Sinn und ohne Wert, kann aber durch Handlungen Sinn und Wert erwerben. Voraussetzung für diese sinnstiftenden Handlungen sind im Denken der Bioethiker Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle, Gedächtnis, Kommunikationsfähigkeit sowie Sinn für Zukunft und Zeit. Menschliches Leben wird für die Bioethiker erst durch diese Qualitätsmerkmale zu personalem Leben. Ohne sie sei menschliches Leben unpersonal, ohne Würde, ohne Wert und ohne Recht.- Die Bioethik bestreitet damit die Universalität der Menschenrechte, die jedem Menschen, - unabhängig von seiner Hautfarbe, seinem Geschlecht, seiner Leistung oder seiner Gesundheit - die Unverletzlichkeit seiner Person und die Unantastbarkeit seiner Würde garantieren. - Auf der Grundlage dieser bioethischen Grundaussage werden Menschen mit Behinderungen oder Alterserkrankungen abgewertet und zu Forschungsobjekten und Materiallagern für Transplantate degradiert, werden Sterbende als Kostenfaktor betrachtet und Embryonen zu Sachen erklärt' [35]. Dogmatiker, Fanatiker und Radikale orientieren sich bevorzugt an einem antikommunikativen und antikooperativen Kampfmodell und nicht an Modellen von Kommunikation, Kooperation, Ausgleich und Toleranz. Das ist aber ein methodisch wie konzeptionell sehr enger Ansatz, der ethische und kulturelle Konfliktsituationen eher begründet und 2 verstärkt als erklärt oder verringert. Weniger das Modell des Kampfes, als vielmehr das von Kommunikation und Kooperation der Kulturen scheint deshalb ein methodisch und konzeptionell flexibleres und optimales Modell zum Verstehen der gegenwärtigen kulturellen und ethischen Konflikte und Konfrontationen zu sein. Kommunikation und Kooperation sind unabhängig und vor ihren philosophischen oder theologischen Bestätigungen immer schon erfolgreiche menschliche Formen des Umgangs miteinander und der Schaffung und Erhaltung der Märkte von Werten und Waren gewesen. Nicht erst seit Lessings Vision von einem kommunikativen und kooperativen Wettkampf zwischen den Kulturen, insbesondere der drei monotheistischen Weltreligionen, zur Humanisierung und Zivilisierung der Menschen und der Menschheit sind Prinzipien von gegenseitigem Verstehen und gegenseitiger Hilfe zentrale Themen vieler Weltanschauungen und Religionen. Die Ideen von Menschenrecht und Menschenwürde und die Idee der einen Menschheit gehören zusammen: Zum Konzept der Einheit der Menschheit und der Idee von der Unveräußerlichkeit von Menschenrechten gehört die Vermutung auf eine Universalität menschlicher Werte und menschlicher Würde jenseits aller kulturellen oder religiösen Ausprägungen. Die gegenteilige Position müsste zwischen Menschen und 'Unter-Menschen', zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben unterscheiden und kann keinen Begriff von Menschheit, Menschenrecht oder Menschenwürde bilden. Die allgemeine Akzeptanz eines allgemeinen Sittengesetzes ist nach Kant die Bedingung der Möglichkeit überhaupt über Ethik reden und ethisch handeln zu können. Die inhaltliche Ausgestaltung dieses von Kant als kategorisch verbindlich beschriebenen Sittengesetzes allerdings war und ist kontrovers, deshalb hat Kant sich bemüht, den formalen Charakter des kategorischen Geltungsanspruchs so kompromisslos zu unterstreichen. 'Anima humana originaliter religiosa' heißt es bei den christlichen Kirchenvätern. Ihres spezifisch religiösen Gehalts entkleidet, heißt das wohl, dass es zur 'materia humana' gehört, sich an etwas rückzubinden, das Identität stiftet, das orientiert und Handeln rechtfertigt. Zu diesen Rückbindungen wären dann auch die säkularen Rückbindungen demokratischer, sozialistischer, anarchistischer, faschistischer, hedonistischer oder umweltbesorgter Weltanschauungen ebenso zu rechnen wie säkulare und nichtsäkulare Kultbewegungen oder Neoreligionen. Die theologische Diskussion hat übrigens immer auch die 'anderen' unter die Religionen gerechnet und als 'Götzendiener' oder 'Ketzer' bezeichnet. Das 'Böse' oder personifiziert der 'Satan' 3 waren und sind immer potentielle Autoritäten für Referenz von Rückbindung und Auftrag. In den heiligen Schriften von Judentums, Christentum und Islam erscheint der Satan als reale Gegenmacht Gottes, des Allmächtigen und Barmherzigen. In anderen Religionen und Weltanschauungen wird weder das Böse als solches noch die Existenz 'böser Menschen' bestritten. Im Gegenteil, Kultur wird zumeist als Überwindung des Bösen und als Daueraufgabe in dessen Kontrolle verstanden. Über Jahrhunderte war die jeweils von interessierten Staaten geschützte oder sogar geförderte Seeräuberei auf den wichtigsten Handelsrouten endemisch, bis vom Ende des 18. Jahrhunderts an die Engländer damit begannen, sie brutal zu bekämpfen und auszurotten; andere Länder, die ebenso wie die Engländer früher im eigenen Interesse die Piraten gefördert hatten, unterstützten sie. Jetzt wurden sie auch als das bezeichnet, was sie immer schon waren 'hostes humani generis', Feinde der menschlichen Rasse. Die Methoden des Umgangs mit dem 'Bösen', das nach biblischem Zeugnis und allgemeiner Erfahrung bevorzugt gern in der Maske des 'Guten' auftritt, waren unterschiedlich: teils diskursiv oder adhortativ, teils einschüchternd, folternd, mordend. Wichtig für die Selbstverständigung des Gläubigen ist die sowohl im Judentum wie im Christentum und Islam bekannte Überlieferung, dass das Böse auch und nicht selten und dann in besonders gefährlicher Form unter der Maske des Guten, der Kultur, im Namen Gottes oder im Interesse der Menschenrechte, des Friedens und der Gerechtigkeit auftreten kann und auftritt. Ethik und Bioethik stehen also wieder einmal auf dem Prüfstand, genauer: religiöse oder philosophisch Autorisierungen ethischer Prinzipien und religiös oder ideologisch begründete Handlungen müssen sich befragen und prüfen lassen, ob sie Humanität und Menschlichkeit befördern oder verhindern. Nach Jakob Burckhardts Einsicht in den 'Weltgeschichtlichen Betrachtungen' (1904) gilt es, insbesondere kritisch zu sein gegenüber den jeweiligen ethischen Empörungsmoden und kulturellen Prioritätssetzungen, da nach seiner Erfahrung Humanität und Menschlichkeit nicht selten gegen die Modetrends und nicht durch dieselben geschützt oder befördert werden. Ethische Konzeptionen argumentieren, dass sie sich auf Theorien über Erkenntnis oder Menschen oder auf Offenbarung eines höheren Wesens, auf das Gesetz der Geschichte oder die Einsicht in natürliche Gesetzmäßigkeiten gründen. Insofern diese Gründungen und ihre Authentizität falsch oder widersprüchlich sein können, fehlt es solchen Begründungen gerade in kontroversen Auseinandersetzungen an Autorität. Oft ist Ethik nichts anderes als die Anwendung von Theorien 4 oder Geboten in der Praxis oder sie wird als Mittel zum Zweck von Theorieherrschaft oder politischer Herrschaft entworfen und eingefordert. Schließlich können Theorien, Prinzipien, Tugenden und Gebote wie alle Instrumente sowohl zu guten wie auch zu schlechten Zielen eingesetzt werden. Menschliche Ethik orientiert sich an Mitmenschen, deren Verletzlichkeit und Bedürftigkeit, nur sekundär an Theorien und Geboten und nur insofern dieselben Kommunikation und Kooperation, Helfen und Heilen motivieren und implementieren können. Für die menschliche Ethik ist der Mensch das Maß des Argumentierens und Intervenierens; Gebote und Theoreme sind für Ethik und Kultur nur von subsidiärer Bedeutung. Dieser methodische Ansatz einer menschlichen Ethik könnte naturrechtlich, aufklärerisch oder kommunikationstheoretisch im einzelnen begründet werden. Im Gegensatz zu der eher paternalistischen Position der Verantwortungsethik von Jonas [10], in der Obrigkeiten sich verantwortlich fühlen sollen, die Bürger umfänglich vor den Risiken der modernen Technik zu schützen, geht die menschliche Ethik von einer individuellen Verantwortungsethik aus und von der These, dass die Ermunterung, Stärkung und Respektierung individueller Verantwortung Mittel und Ziel der Ordnungsethik in einer wertpluralen Kultur und Gesellschaft sein muss [26;27]. Die aktuelle Frage nach der Einheit von Ethik und nach einer menschlichen Ethik, in der der Mensch als Mitmensch im Mittelpunkt von Kommunikation und Kooperation steht, soll unter den Bedingungen in einer wertpluralen Welt in drei Schritten diskutiert werden, (a) in einer situationsethischen Diskussion einer Narration über menschliche Ethik, (b) in einer Analyse des konfliktreichen Verhältnisses von Moraltheologie und menschlicher Ethik, schließlich (c) in einem ordnungsethischen Entwurf für eine individuelle Verantwortungsethik innerhalb einer pluralen Wertewelt. EINE NARRATION ZUR KONKRETEN MENSCHLICHEN ETHIK Ein Mensch wird auf einsamer Strasse überfallen, verprügelt und ausgeraubt. Er bleibt halbtot liegen. Danach kommen andere Leute vorbei, unter anderem ein Priester von höherem Rang und ein Geistlicher von niederem Rang und einer anderen religiösen Gruppierung. Beide helfen nicht. Schließlich kommt ein Mann vorbei, der zu einer mehrheitlich verachteten religiösen Sekte gehört; der versorgt das Opfer mit erster Hilfe, bringt den Menschen in ein Gästehaus und zahlt aus eigener Tasche für Aufenthalt und Behandlung. 5 Diese Narration ist im christlichen Kulturkreis als die 'Geschichte vom barmherzigen Samariter' bekannt und wurde zuerst von Jesus erzählt [Luk 10]. Sie ist hilfreich vorläufig eine 'prima facie' Antwort auf die Frage nach der Relevanz religiöser Ethik in pluralistischer Gesellschaft zu suchen. Es ging damals um die philosophische und moraltheologische Frage nach Umfang und Grenzen mitmenschlicher Solidarität sowie nach der Gemeinsamkeit oder Unterschiedlichkeit ethischer Prinzipien und Tugenden: genauer nach der Bestimmung des 'anderen' als des Adressaten von Solidarität innerhalb einer glaubenspluralen Welt. Jesus weicht der metaphysischen und theologischen Frage aus, setzt vielmehr eine Welt pluralistischer und nicht mehr allgemeinverbindlicher Wertbegründungen voraus und erläutert seinen Lösungsvorschlag situativ und narrativ. Einige vorläufige Thesen zu einem Modell einer menschlichen Ethik lassen sich aus dieser Geschichte ableiten: (1) Es gibt einen Unterschied zwischen Moraltheologie, menschlicher Ethik und menschlichem Handeln, zwischen genereller Begründung, individueller Akzeptanz und faktischer Anwendung von Prinzipien. Diese Einsicht Jesu lässt sich auch auf säkulare Formen der Begründung und Durchsetzung von Handlungen ausweiten und in einer These zusammenfassen: der Unterschied zwischen unterschiedlichen Formen ethischen Redens und ethischen Handelns ist selbst von ethischer Bedeutung. (2) Gute menschliche Ethik und ihre Praxis hängen nicht von der intellektuellen Qualität einer dogmatischen Lehre oder philosophischen Theorie ab. Der intellektuelle Qualitätsstandard einer Ethiktheorie, gleichgültig ob durch Offenbarung, Hierarchie Vernunft, Konsens, Vertrag oder sonst wie autorisiert, entscheidet nicht über ihre Durchsetzung in der Praxis. Eine gut gemachte Theorie ist noch keine Gewähr für eine gute Praxis. Das ethische Handeln wird konstituiert durch persönliche Bereitschaft zum Handeln, dessen Erfolg von der Situation und der angemessenen Anwendung einer angemessenen Theorie abhängt. Es gibt also durchaus ethische Theorien, die in der Theoriefolgenabschätzung in bezug auf ihre Praxisbedeutung negativ bewertet werden können. In diesem Fall könnte das eine theoriekonstituierte exklusive Einschränkung des Begriffs vom Nächsten auf Angehörige der eigenen Gruppe gewesen sein. Andererseits gilt entsprechend, dass allgemein als intellektuell oder anderweitig wenig ansprechend geltende Theorien oder Frömmigkeitskulturen durchaus genuine Mitmenschlichkeit und menschliche Ethik konstituieren können. Es ist gleich, wie Deng Xiao Ping bemerkte, ob eine Katze weiß oder schwarz ist: die 6 Hauptsache ist, sie fängt Mäuse. (3) Gute ethische Theorie und gutes ethisches Handeln sind nicht exklusiv, sondern inklusiv. Beide beschränken sich nicht auf die Angehörigen der eigenen Rasse, Glaubensgemeinschaft oder Gruppe. Dem 'Fremden' gilt als einem Mitmenschen das ethische Handeln ebenso wie dem Freund und Glaubensgenossen. Der Samariter war der Nächste für den, dem er geholfen hatte, nicht weil beide der gleichen Religion oder Gruppe zugehörten. Mit Absicht erwähnt Jesus die Gruppenzugehörigkeit des Hilfsbedürftigen nicht. Gleichgültig ob das Opfer ein gläubiger Jude gewesen war oder nicht, die beiden Priester, die ihm die Hilfe verweigerten, waren situativ zunächst zwar die ihm Nächsten, ethisch aber die ihm Fernsten. Der 'Fremde', als 'moral stranger' - kulturell, religiös, ethnisch - kann und darf ausdrücklich aus Kommunikation und Kooperation nicht ausgeschlossen werden. Im Gegenteil, der 'Andere' soll in besonderer Weise gerade wegen eines unterschiedlichen Wert- und Weltverständnisses ein Recht der Akzeptanz und des Respekts der Würde des anderen Gewissens und der anderen Glaubens- und Lebensweise anmelden und erwarten können [3. Mos 19:34]. (4) Es gibt gewisse mittlere ethische Prinzipien menschlicher Ethik, die von religiösen und weltanschaulichen Positionen jeweils auf ihre Weise autorisiert werden. Über mittlere Prinzipien ethischen Handelns und deren Geltung lässt sich Konsens erzielen unabhängig davon, wie sie jeweils innerhalb der einzelnen Glaubensgruppe begründet werden. (5) Das Prinzip der Solidarität oder Nächstenliebe gehört zu diesen für jede menschliche Ethik konstitutiven ethischen Prioritäten, ohne welche Einheit von Menschheit und Menschenwürde, Menschsein und menschlich sein nicht denkbar sind. Das Prinzip der Nächstenliebe oder Solidarität beispielsweise lässt sich moraltheologisch, naturrechtlich, kommunikations- oder vertragstheoretisch begründen. Solidarität, Barmherzigkeit, Nächstenliebe gehören auch in buddhistischen, konfuzianischen und taoistischen Modellen von Glauben und Orientierung, ebenso im Christentum und Islam, auch in agnostischen Weltanschauungen, in humanistischer Aufklärung und sozialistischer wie anarchistischer Gesellschaftstheorie zu den Grundprinzipien ethischen Orientierens und Handelns. Der Anarchist Kropotkin gab seinem Hauptwerk den Titel 'Mutual Aid' (1902). (6) Von allen möglichen ethischen Forderungen sind diejenigen ethischen Grundprinzipien, die sich auf die Sicherung der Bedingungen von Freiheit, Sicherheit und Lebensqualität beziehen, am 7 ersten universalisierbar und vermutlich a-priori einsichtig [25]. Freiheit von Folter, Hunger, Durst, Vergewaltigung, Ausbeutung, Recht auf eigene Gedanken und Selbstverteidigung, das sind solche ethischen Grundforderungen in Religionen und Kulturen, die einen Litmustest im Respekt vor einer zunächst nur formal beschreibbaren Würde vom Menschen und Menschsein bestehen könnten. Insofern jeder Mensch Krankheit, Schmerzen, Ausbeutung und Unterdrückung erfahren kann, sind diese negativen Primärerfahrungen Grund für eine quasi a-priori - aus der ethischen Intuition und Erfahrung ohne jede weitere Begründbarkeit - universalisierbar. (7) Ohne sogenannte Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Vertragstreue sind persönliche und berufliche Interaktionen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Glaubens-, Rechts- oder Verhaltenskulturen nicht möglich, gleichgültig ob diese speziellen Sekundärtugenden innerhalb der kulturinternen Verhaltenskultur eine hohe oder niedrige Priorität haben. Je mehr ethische Prinzipien in Alltagszenarien innerhalb einer Kultur oder zwischen Kulturen und Lebensformen für die Kommunikation und Kooperation unentbehrlich sind, umso mehr erhalten sie deshalb einen transkulturellen Charakter. (8) Die Rolle ethischer Theorien für die ethische Praxis wird häufig überschätzt. Beides, die Situation, in der gehandelt und verantwortet werden muss, und die ethischen Prinzipien, die Anwendung finden, bestimmen gemeinsam die gelungene ethische Tat. Der Verantwortungserfahrene weiß, dass gutes Abwägen erst das Gelingen ethischen Handelns sichern kann. Theorien spielen dabei natürlich eine Rolle; insofern ist abwägende differentialethische Methode nicht mit Utilitarismus zu verwechseln. Nicht die Utilität, sondern die Angemessenheit der Auswahl und Gewichtung von ethischen Prinzipien sind entscheidend für ein an religiösen oder nichtreligiösen Normen sich orientierendes Handeln menschlicher Ethik. (9) Verordnungen und Gesetze werden nicht eingehalten, wenn die Motivation nicht vorhanden ist. Sie werden aber eingehalten, wenn situative Rahmenbedingungen, die nicht nur durch Theorien begründet werden, gegeben sind. 'Je mehr Tabus und Verbote vorhanden sind, umso ärmer werden die Leute. Je genauer die Gesetze und Verordnungen, umso mehr Räuber und Diebe wird es geben' heißt es bei Laotse [13:57]. Es ist eine Frage ordnungspolitischer Klugheit, keine Regeln verbindlich zu machen, die doch nicht eingehalten werden, weil sie individuellen Werten oder Frömmigkeits- und Verhaltenskulturen widersprechen. In gleicher Weise gilt ordnungsethisch, dass entsprechend dem ethischen Prinzip der Subsidiarität inhaltliche Überzeugungen von Gruppen und 8 Individuen für die Lösung gemeinschaftlicher Aufgaben akzeptiert und gefördert werden sollten, dass individuelle Verantwortungsethik nicht nur ein Ziel, sondern auch das bevorzugte Mittel menschlicher Ethik und zivilisierter Kommunikation und Kooperation ist. (10) Narrationen sind die methodisch bevorzugten Instrumente, menschliche Herausforderungen situativ zu erkennen und tradierte Inhalte von Glaubensethik und Aufklärungsethik, von Theologie und Weltanschauung, auf ihre Hilfe für die konkrete Situation zu befragen und ethische und situative Prioritäten abzuwägen. Jesus und seine Gesprächspartner stimmten überein, dass derjenige, der geholfen hatte, dem Hilfsbedürftigen der 'Nächste' gewesen war, nicht die anderen. In seinem 'Dictionaire Philosophique Portatif' stellt der Aufklärer Voltaire die Problematik wie folgt dar: Während sich die Christen seit dem Konzil von Nicaea gegenseitig verbrannt, gefoltert oder totgeschlagen haben über so komplizierte Fragen, ob Gott eine oder drei Personen oder drei in einer seien, haben gläubige Juden, Christen unterschiedlicher Konfession, Mohammedaner, Mazedonier, chinesische Deisten, Hindi und Brahmanen auf den Märkten von Basra, Amsterdam und London Geschäfte von großem Wert im Vertrauen und durch Handschlag abgeschlossen [33]. Jesus, Laotse, Voltaire und Deng Xiao Ping scheinen sich bezügliche eines Primats des ethischen Handelns vor und über dem ethischen Reden einig zu sein, auch in einer Geringschätzung theoretischer Argumentationen, Spitzfindigkeiten oder Zänkereien im Vergleich mit ethischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leistungen. Die ethische Praxis einer Theorie kann eine höhere ethische Autorität beanspruchen als die Theorie selbst. Letztbegründungen sind kulturrelativ. Philosophien und Religionen tragen nicht immer zu Menschlichkeit, Menschenrechten, Menschenwürde und menschlicher Ethik bei; sie sind oft auch Teil des Problems ihrer Verletzung. Das Faktum, dass wir Menschen nicht uniform alle einer Meinung und einer Religion sind, mag mit der Würde der Freiheit von Entscheidung und Gewissen zusammenhängen. Warum das so ist, bleibt nach dem Koran ein Geheimnis Gottes: 'Wenn Dein Herr gewollt hätte, wären die, die auf der Erde sind, alle zusammen gläubig geworden. Willst Du nun die Menschen dazu zwingen?' [Sure 10:99] Die Narrationen von Jesus und Voltaire basieren auf der Evidenz der These, dass nur die gelungene Praxis die Beweise in der ethischen Theoriefolgenabschätzung liefern kann. Die skizzierten prima facie Thesen einer menschlichen Ethik im Anschluss an Jesus, Laotse, Voltaire und Deng Xiao Ping leben aus diesem mitmenschlichen aufklärerischen Geist einer sich Menschen 9 orientierenden Verantwortungsethik, die gerade deshalb von der regulativen Idee eines allgemeinen Sittengesetzes ausgehen kann. Sie thematisieren die Einheit und Unteilbarkeit des Menschlichen und der Menschheit und setzen je in anderer Weise eine zumindest latent vorhandene gemeinsame Idee von Menschlichkeit, menschlicher Ethik, Menschenrechten und Menschenwürde voraus. Das eröffnet einen ersten Zugriff zur Frage nach dem Verhältnis unterschiedlicher und wertpluraler Kulturen zur einen Welt zwischenmenschlichen Handelns, Kommunizierens und Verantwortens. Wenn wir mit Kant von der Existenz eines trotz aller kulturellen Unterschiede allgemeinen Sittengesetzes als der leitenden Idee für ethisches Argumentieren und ethisches Handeln ausgehen, dann ergibt sich daraus eine These nicht sehr zum inhaltlichen als vielmehr zum prozeduralen Ermessen konkreter Inhalte moralischen Handelns von Individuen und Gruppen: Idee und Realisierung von Menschlichkeit, menschlicher Ethik, Menschenrechten und Menschenwürde verlangen nach einer kleinen Zahl ethischer Prinzipien, die transkulturell verstehbar und durchsetzbar sein können. Zu den Grundprinzipien menschlicher Ethik gehören der Schutz vor Totschlag, Hunger, Folter, sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Zu den mittleren ethischen Prinzipien sind unter anderem Solidarität und Subsidiarität, Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit zu rechnen. Insofern müssen Individuen und ethische, kulturelle und religiöse Gemeinschaften sich der Herausforderung stellen, traditionelle und individuelle Werte, Prinzipien und Ziele ethischen Handelns für sich selbst und untereinander in fairer Kommunikation und Kooperation und im gegenseitigen Respekt vor der Würde von Gewissensentscheidungen und Glaubensüberzeugungen abzuwägen und angesichts von kulturellem und ethischem Dissens nach zivilisierten und kultivierten Wegen des Zusammenlebens und der Verwirklichung menschlicher Ethik und menschlichen Handelns zu suchen. DIFFERENTIALETHIK UND SITUATIVE VERANTWORTUNG Schauen wir uns das Verhältnis von religiöser Theorie, religiöser Ethik und faktischem Moralverhalten oder vergleichsweise von philosophischer Theorie, philosophischer Ethik und faktischem Moralverhalten genauer an. Das klassische Modell für die Beschreibung dieses Verhältnisses ist das von Begründung durch Offenbarung oder Vernunfteinsicht oder das der informellen oder formellen Verabredung und Anwendung. Schon Thomas von Aquin, in der Nachfolge von Aristoteles ein Meister nicht nur der Theoriekonstruktion sondern auch der 10 Theoriefolgenabschätzung, hatte bemerkt, dass die Anwendung von Moraltheologie nicht einfach einer Rezeptanweisung 'man nehme ...' folgen kann, sondern dass andere Kriterien technischen, gesellschaftlichen, kulturellen, menschlichen und nichttechnischen und nichtethischen Charakters hinzukommen und eindimensionale Rezepturen verbieten: 'Quanto magis ad particularia descenditur' [S. Th. I-II, art 4], je mehr man sich in die komplexen Handlungssituationen des Alltags einlässt, umso mehr spielen situative und individuelle Variablen eine Rolle, die nicht theoriegetrieben sind. Der Begründungsstrenge bei der theologischen und metaphysischen Ableitung ethischer Normen muss also eine Strenge der Misch- und Mikroallokation ethischer, technischer, rechtlicher und anderer Prinzipien in einer konkreten Situation entsprechen. Es gelten dann nicht mehr nur Ableitungskriterien, sondern vor allem solche der Abwägung, Anwendung, Mischung und Zweckmäßigkeit. Wie bei der Differentialdiagnostik geht es darum, Alternativen auszuschließen, das Problem so eng wie möglich zu umschreiben und Begriffe so eng wie möglich für die Diagnose, Prognose und die Möglichkeiten der Intervention zu ermitteln. Die neueren Überlegungen und Erfahrungen in der Bioethik schließen sich den thomistischen und aristotelischen Überlegungen an. So schreibt Onora O'Neill: 'The ethical principles that have received the most attention are highly indeterminate rather than quasi-alogorithmic. They may constrain but do not regiment action; they are more likely to recommend types of action, policy and attitudes than offer detailed instructions for living' [20:21]. Maggie Little unterstreicht, dass Prinzipienethik nicht von einem zu schmal angelegten Konzept der Anwendung von Prinzipien ausgehen darf: 'For "pricipled" can mean mastery of the set of relevant concepts - having a deep understanding of the concepts, not just the surface competence, and the skills to navigate them when they tangle together in concrete situations' [16]. In einem Commom Framework for the Ethics of the 21rst Century der UNESCO heißt es: 'Too much legislation numbs the sense of individual responsibility. Too little legislation leads to anarchy and disorder. legislation is best when it is conductive to promotion of individual responsibility' [11]. Jesus, Voltaire und Kant, Deng Xiao Ping und auch Laotse, hätten dem zustimmen können; ich schließe mich an, vermutlich auch Kropotkin. Ich habe an anderer Stelle [27] auf den Unterschied zwischen Grundstoffen, Halbfertigprodukten und Endprodukten hingewiesen, der uns aus den technischen und produzierenden Wissenschaften und Künsten bekannt ist. Zu den Grundstoffen religiösen Glaubens gehört für Juden, Muslime und Christen der Glaube an ein persönliches Verhältnis zu einem 11 persönlichen Gott, die Hoffnung auf Auferstehung und das Gebot eines göttlichen Gesetzes; in der postmodernen pluralistischen Gesellschaft sind dem vergleichbar die Grundprinzipien von Freiheit, Sicherheit, und Demokratie. Die Grundstoffe beider Orientierungsansätze sind unterschiedlich und aus diesem Grunde kann und wird es natürlich zu gegensätzlichen Antrieben und Begründungen für ethisches Handeln kommen. Halbfertigprodukte, bearbeitet und zugeschnitten, aber noch nicht direkt nutzbar. sind generelle Formeln wie Nächstenliebe oder Solidarität, Meinungsfreiheit oder Glaubensfreiheit, Recht auf Arbeit und Bestimmung der eigenen Lebensqualität. Diese Halbfertigprodukte finden schließlich konkrete Ausformung als Endprodukte. Im Sozialstaat technisch-wissenschaftlicher Zivilisation beispielsweise erscheint das Prinzip der Sicherheit in so unterschiedlicher Form wie in der Konstruktions- und Bedienungssicherheit von Maschinen, der Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Umwelt, der Sicherungen unserer Sozialsysteme, der öffentlichen Sicherheit und der Sicherheit vor militärischem oder wirtschaftlichen Krieg, dem Schutz vor Computerviren und betrügerischer Werbung, um nur einige zu nennen. Erst eine konkrete Situation aber entscheidet, welches der Endprodukte und mit welchem Gewicht bei situativen differentialethischen Entscheidungen zwischen technischen und ethischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten angewandt werden kann oder muss. Dabei kann es immer wieder zur Benutzung zwar richtig konstruierter, aber für diesen bestimmten Zweck nicht geeigneter Instrumente aus einem durchaus wohlsortierten Arsenal ethischer Prinzipien und Konfliktlösungsprozeduren kommen. Zahnärzte und Chirurgen haben unterschiedliche Zangen für unterschiedliche Situationen; Sozial- und Gesundheitssysteme haben verschiedene Instrumentarien im Umgang mit Not, Armut, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit. Auch die moderne Medizinethik hat spezialisierte Halbfertigprodukte entwickelt, bioethische Prinzipien genannt, deren bekanntestes Set das sogenannte Georgetown Mantra ist: Autonomie, Schadensverbot, Hilfsgebot, Gerechtigkeit [2;5]. Diese gelten aber nicht unmittelbar und nicht in einer vorgegebenen Priorität. Sie sind vielmehr gegeneinander und gegen andere Prinzipien abzuwägen. Als utilitaristische Prinzipien können sie ethische Sachkompetenz fördern, nicht jedoch als solche schon das ärztliche Ethos, das personengebunden und nicht prinzipiengebunden ist. Für die patientenethische und arztethische situative Interaktion habe ich vorgeschlagen, statt Prinzipienkatalogen Ausschluss- und Abwägungsmodelle zu benutzen analog den Methoden der Differentialdiagnose oder denen der Kasuistik in talmudischer Tradition: für den Arzt die Abwägung 12 zwischen Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten und der eigenen professionellen Expertise und Ethik, zwischen dem Schadensverbot und dem Hilfs- und Heilsgebot; für den medizinischen Laien oder Patienten die Abwägung zwischen Lebensstil und Gesundheitspflege, zwischen Selbstbestimmung und Compliance [27]. Dieser differentialethische Ansatz kann sich auf die klassische Tradition der Güterabwägung nach technischen und ethischen Prinzipien mit engen Begriffen, Szenarien und vergleichen Fallstudien [10;13]. Grundsätzlich stehen die beiden Prinzipien des primum nil nocere und des bonum facere in Spannung; sie sind nur im Einzelfall aufzulösen und für spezielle Szenarien vorzuentscheiden; gleiches gilt für die Spannung zwischen paternalistischer Verantwortung des Arztes und selbstbestimmender Autonomie des Patienten, die nur selten in idealen Formen der Partnerschaft, viel häufiger in asymmetrischen Formen der Interaktion zwischen Arzt und Patient sich ausdrückt. Dieser handlungstheoretische und risikotheoretische Ansatz bezieht ethische Risiken, Unsicherheiten, Vorteile und Nachteile in die medizinischen Risikoüberlegungen mit ein. Die vier miteinander verschränkten Prinzipien des nil nocere, des bonum facere, der responsibilitas und der libertas können niemals je allein, sondern immer nur in ihrer Interaktion bewertet werden. Quasi als Generalprobe wie als Mittel und Ziel der Arzt-Patient Interaktion sehe ich das Vertrauen sowohl in seinem an die Person gebundenen Ethos wie auch als ethisches Prinzip, ohne dessen Erhaltung und Stärkung überhaupt keine zwischenmenschliche und auf Werten basierende Interaktion möglich ist, erst recht nicht, wenn es um Krankheit, Schmerz, Leid und Tod geht. Als zusätzliche, aber für das einzelne Szenarium oder den Einzelfall noch zuzuschneidende Prinzipien sehe ich die Wahrheit am Krankenbett, die Schweigepflicht und die Zustimmung nach Aufklärung an; sie sind den vier genannten Gütern und auch dem Vertrauensprinzip nachgeordnet und finden von dort ihre differenziertere Ausprägung. Insgesamt ist das Prinzip der Verantwortungspartnerschaft zwischen dem Experten und dem Laien handlungsleitend für die medizinische Intervention und oder den Verzicht auf sie. Entscheidend bei diesem Modell einer differentialethischen wie partnerschaftlichen Gesundheitsethik ist die Integration und Interaktion von Arztethik und Laienethik, von Arzt und Patient, welche insgesamt erst das Szenarium künftiger Gesundheitsethik und der für sie konstitutiven Kriterien für Intervention und Interaktion abgibt. Auf der einen Seite steht die Arztethik mit der klassischen Abwägung zwischen dem nil nocere und dem bonum facere und der 13 neuen Abwägung zwischen ärztlicher Verantwortung und Selbstbestimmung des Patienten, beide Abwägungen zusammengehalten im Modell der Verantwortungspartnerschaft und unterstützt durch ärzteethische Zusatzprinzipien wie der Pflicht zum Einholen der Zustimmung nach Aufklärung, der Wahrheit am Krankenbett, der Schweigepflicht und der Solidarität. Auf der anderen Seite steht die Patientenethik mit den Abwägungen zwischen Lebensqualität und Gesundheitsrisiko, und zwischen Compliance und Selbstverantwortung, beides wiederum zusammengehalten in einer Partnerschaft von Verantwortung und unterstützt durch Zusatzprinzipien wie Informationsrecht und -pflicht, Präventionsrecht und -pflicht, Recht zu Verfügungen für den Betreuungsfall und Pflicht zur Solidarität. Diese Partnerschaft in der Verantwortung modifiziert die medizinisch-technische Indikation und die Statistik der Prognosesicherheit. Eine nicht in Vertrauenspartnerschaft durchgeführte Chemotherapie mit relativ guter Prognose ist medizinisch-ethisch weniger indiziert als eine vertrauensgestützte Behandlung mit einer statistisch viel schlechteren Aussicht auf Heilung. Bei einer medizinisch-technisch und damit arztethisch sehr starken Indikation für eine bestimmte Intervention wird in einer asymmetrischen Partnerschaft das directive counselling und das Bemühen um die Einwilligung zur Behandlung im Vordergrund ethischer Überlegungen stehen. Bei technisch weniger zwingenden oder nichtvitalen Indikationsstellungen, bei Vorhandensein von Interventionsalternativen mit durchaus unterschiedlicher Wirksamkeit, bei Interventionsverzicht oder Interventionsreduktion, vor allem in Fällen von infauster Prognose oder Multimorbidität, auch in der Nähe des Todes, werden wichtige entscheidungsleitende Bewertungskriterien asymmetrisch durch Selbstverantwortung und -bestimmung von Patienten, auch durch Betreuungsverfügungen oder benannte Betreuer, vorgegeben und sollten in ärztlicher Beratung, Begleitung und Betreuung entsprechend umgesetzt werden. Auch für die moderne Arztethik lässt sich ein Prinzip der Compliance mit dem wertrational vom Patienten formulierten 'Heilauftrag' oder 'Begleitungsauftrag' des Experten formulieren. Für das differentialethische Ausmessen der meisten Szenarien der Interaktion von Arzt und Patient genügt, eine kleine Liste von konsensfähigen mittleren ethischen Prinzipien abzuwägen, zu denen der Respekt vor der Würde des anderen als Person sowie saubere technische wie ethische Risikobilanzen gehören. Ethische Prinzipien werden in Büchern diskutiert, Ethos lernt man nicht aus Büchern, sondern im Leben. Über Ethik kann man diskutieren und räsonieren, Ethos wird gelebt. Diese Einheit von Expertise, Ethik und Ethos macht die Verantwortungspartnerschaft zwischen 14 medizinischen Laien und medizinischen Experten klarer als die nur auf Arztethik zugeschnittenen Prinzipienkataloge. Bei situativen und differentialethischen Abwägungen wird die Problematik der Identifizierung und Belastbarkeit der primären Verantwortungs- oder Handlungsträger zumeist unterschätzt, die Rolle der Theorien dagegen überschätzt. Das größere Szenarium, in dem gehandelt und verantwortet werden muss, und die menschliche Ethik, die aus einem größeren Gesamtkonzept des Glaubens oder Denkens kommt, beide gemeinsam bestimmen die gelungene ethische Tat. Jeder Verantwortungserfahrene weiß, dass es eher Erfahrung und Abwägen sind als feststehende Prinzipien, die ein Gelingen ethischen Handelns sichern können. Theorien und Frömmigkeitsinhalte sind wichtig, ersetzen aber nicht die Einheit von Ethik und Ethos in Kommunikation und Kooperation in einer menschlichen Ethik im Gewande der Experten-Laien Interaktion. Insofern ist die differentialethische Methode auch nicht mit der utilitaristischen zu verwechseln. Nicht die Utilität, sondern die Angemessenheit der Auswahl und Gewichtung von ethischen Prinzipien innerhalb einer Ethik des Ethos sind entscheidend für ein an religiösen oder nichtreligiösen Normen sich orientierendes Handeln und Verantworten. Natürlich geht es nicht ohne individuelle Rückbindung ethischer Normen an den Willen Gottes, das Naturgesetz, den Gesellschaftsvertrag oder das Diktat des Despoten. Das gleiche gilt für die Rückbindung der Ingenieurkunst an die newtonschen und gallileischen Gesetze. Kein vernünftiger Ingenieur oder Konstrukteur wäre aber so vermessen, allein mit den gallileischen Fallgesetzen oder den newtonschen Regeln allein im beruflichen Alltag auszukommen. Ein vergleichbarer ethischer Kunstfehler ist es, konkrete situative Herausforderungen von komplexen Gemengelagen ethischen und nichtethischen Inhalts durch den einfachen hermeneutischen Schluss auf den Willen Gottes oder die 'Natürlichkeit' oder 'Unnatürlichkeit' einer Handlung zu entscheiden. Zumindest müssten für ernannte oder erwählte Kirchenführer gegenüber ihrer Glaubensgemeinschaft die Prinzipien der Autorisierung (Autorisation) durch die Gruppe oder deren Interessen und der Freiwilligkeit und Freiheit der Zugehörigkeit (limited protection und limited solidarity) nachgewiesen werden, - Prinzipien, welche Engelhardt für ethische Forderungen durch säkulare Obrigkeiten fordert [4:10-12], die aber ebenso für religiöse Führer oder Sprecher gelten. MENSCHLICHE ETHIK UND GRENZEN DER TOLERANZ 15 Insofern bestimmte moderne wertplurale Gesellschaften vorherrschend durch die eine oder andere Religions- oder Aufklärungskultur geprägt sein können, ist eine Übereinstimmung von Bürgern über Prinzipien und Prioritäten menschlicher Ethik und die Rangordnung der Verantwortungsträger nicht immer gegeben. Dagegen konnte Jesus in der Narration vom barmherzigen Samariter von einem prima facie gegebenen Konsens in der Rangordnung von Prioritäten und Verantwortungsträgern in dieser extremen Not- und Leben-Tod-Situation ausgehen. Sehr häufig jedoch besteht für die religiöse Ethik wie für die Ethik der pluralistischen Gesellschaft das Problem der Harmonisierung von religiösen und nichtreligiösen Geboten. 'Die Leute sollen nicht versuchen, ihre eigene "Wahrheit" anderen aufzuzwingen', sagte Papst Johannes Paul II in seiner Neujahrsansprache 1991. Wenn versucht wird, das religiöse Gesetz zum Bürgergesetz zu machen, dann, so fährt er fort, 'erstickt es die Freiheit der Religion, engt andere Menschenrechte ein oder verweigert sie ..., Intoleranz kann das Resultat aufkeimender Versuchungen des Fundamentalismus sein, der leicht zu ernsthaftem Missbrauch, zum Beispiel der radikalen Unterdrückung aller öffentlichen Manifestationen von Pluralität führt'. Der Papst wandte sich in seinem Plädoyer für die 'öffentliche Manifestation von Pluralität' gegen den islamischen Fundamentalismus; seine Argumente lassen sich jedoch auf Unterdrückungen und Usurpationen christlicher, jüdischer und anderer Religionen und ihrer Hierarchien anwenden. Kulturelle Unterschiede sind ein reicher Ausdruck von Menschenwürde. Individuen und Gemeinschaften müssen kulturelle Werte für sich selbst und in fairer Kommunikation und Kooperation abwägen und ihre Kultur dadurch bestätigen, dass sie auch im Dissens zivilisiert miteinander leben. Die päpstlichen Enzykliken 'Quadrogesimo Anno'[31] und 'Veritatis Splendor'[33] geben für eine gemeinsam verantwortete menschliche Ethik bei bestehendem dogmatischen oder ideologischen Dissens weitere Hinweise für säkulare und religiöse Wertegemeinschaften: Respekt vor dem Gewissen und Subsidiarität. Das Prinzip der Subsidiarität [31;26;28] besagt, dass die jeweils der Herausforderung am nächsten Stehenden auch die primären Verantwortungs- und Handlungsträger sein sollen, also beispielsweise Eltern für ihre Kinder, die Nachbarschaft für die in ihres Schutzes oder der Hilfe der Nachbarschaft oder Gemeinde Bedürftigen. Erst wenn diese primär Geforderten versagen, dann sind höhere Verantwortungsebenen gefragt und zur Aktion berechtigt und gefordert. Im Gebiet der neueren Sozialethik hat sich dieses vor Jahrhunderten entwickelte Prinzip christlicher Ethik bewährt. Es lässt sich aber auch mit Gewinn in andere Bereiche angewandter Ethik, beispielsweise in die 16 Gesundheits- und Bioethik übertragen. Es ist ein bewährtes Prinzip zur Herausforderung der Verantwortungskompetenz der zunächst Betroffenen und zur Entlastung des Zwanges zum Konsens bei kontroversen Problemen in einer multikulturellen Gesellschaft mit reichen und sehr verschiedenen kulturellen Werten und Inhalten. Das Modell der ethischen Subsidiarität erhält immer dann verantwortungsethische und ordnungsethische Bedeutung in einer wertpluralen Gesellschaft, wenn Theologen, Ethiker, Juristen und Politiker verschiedener Couleur sich streiten, wie im Fall des moralischen Status von embryonalen Stammzellen, des frühen Embryo oder der Kriterien des menschlichen Todes der Fall ist. Solange kein 'volontee generale', keine plausible und vom 'volontee des tous' getragene ethische Wertung beispielsweise des Status von embryonalen Stammzellen erreichbar ist, sollten die zunächst Betroffenen ihre Verantwortung und Wertung einbringen: das sind die Partner, von denen die Zellen kommen, die Forscher oder Ärzte, die mit ihnen umgehen und die prospektiven Rezipienten von Medikamenten oder Geweben, die aus diesem Material gewonnen werden. Wenn jemand stellvertretend für diese Zellen sprechen soll, sofern man ihnen überhaupt Willen und Interesse unterstellen kann, was hier dahingestellt bleiben soll, dann wären das die Menschen, von denen sie kommen. Wann immer Theologen, Ethiker, Juristen und Politiker in einer pluralistischen Gesellschaft keinen breiten und von der öffentlichen Kultur getragenen inhaltlichen Konsens finden, dürfen die primär betroffenen und nächststehenden Individuen und natürlichen Kleingruppen nicht in ihrer Verantwortung eingeschränkt werden. Gesellschaftliche, weltanschauliche und religiöse Gruppen sollten im Gegenteil alles tun, um die individuelle Kompetenz zu Güterabwägung, Verantwortung und menschlicher Ethik zu stärken. Aber es gibt Grenzen der Toleranz dort, wo ethische Grundprinzipien und mittlere Prinzipien, die vielfältig gestützt sind, verletzt werden [24]. Diese Grenzen der Toleranz gelten selbstverständlich für die Sklaverei, Gewalt gegen Gewaltlose, den sexuellen Missbrauch, die Ausbeutung oder die Folter von Mitmenschen. Die Grenzen der Toleranz gelten aber auch für kulturell sanktionierte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, wie schon Kant am Beispiel der Kastration zum Zweck eines wirtschaftlichen Erfolgs als Sänger in der Opera Sera begründet hat und wie die aktuelle bioethische Diskussion sie kritisiert am Beispiel der euphemistisch 'female circumcision' genannten Verstümmelung der Genitalorgane bei jungen Mädchen aus kultureller Tradition [12;17]. Diese Prozedur ist grausam und schmerzhaft. Den Mädchen wird keine Gelegenheit zur Aufklärung und Zustimmung gegeben. Es handelt sich um eine Verstümmelung, die 17 ungesund und möglicherweise lebensgefährlich sein ist. Es schränkt das Opfer ein in der künftigen individuellen und sexuellen Entwicklung und Freiheit. Es ist ein Eingriff in das natürliche Recht auf den eigenen Körper und dessen Unversehrtheit. Gleiches gilt wohl auch für die frühere Sitte des Fußbindens in China [14]. Es gilt nicht für die rituelle Beschneidung von Knaben, über die keine gesundheitlichen Risiken berichtet werden, eher für das Kennzeichnen von Kindern mit Stammeszeichnungen im Gesicht oder an sichtbaren Stellen des Körpers, wenn diese Zugehörigkeitszeichen sichtbar bleiben und nicht beseitigt werden können. Die Mensurnarben der Angehörigen schlagender Verbindungen in Deutschland sind demgegenüber selbstgewollt und werden vom Träger und seiner Umwelt je individuell und unterschiedlich bewertet; sie schaden keinem Dritten und fallen nicht unter das Toleranzverbot ebenso wenig wie selbstgewählte Tattoos, auch wenn später deren Vorhandensein von den Trägern bereut wird. Es wird kontrovers diskutiert, ob Toleranz auch gegenüber dem indischen Kastenwesen angezeigt ist, wo Mitmenschen nach ihrer Kastenzugehörigkeit definiert werden oder sich selbst definieren. Falls jeder ohne gesellschaftliche oder berufliche Sanktionen aus der Kaste aussteigen könnte, wären die Kasten eine Angelegenheit, in die man hineingeboren aber in der man aber nicht bleiben muss. Falls das Kastenwesen aber die freie Entfaltung hindert oder zu Diskriminierung führt, dann ist es mit der Idee der gleichen und unteilbaren und unveräußerbaren Würde des Menschseins von uns allen nicht vereinbar und unakzeptabel und widerspricht der Idee der einen menschlichen Ethik [18]. Das Institut der 'Unberührbaren' in der indischen Kultur scheint aber eindeutig gegen das Recht auf Nichtdiskriminierung zu verstoßen. Unaussprechliche Grausamkeiten und Missachtungen der Menschenwürde wurden und werden im Namen religiöser Gebote, auch im Namen Gottes verübt. Die Folterungen der heiligen Inquisition gehören ebenso dazu wie die feige Ermordung tausender Unschuldiger im New Yorker World Trade Center. Auch viele der unzählbaren Judenpogrome wurden im Namen Gottes ausgeführt. Die Apokalypse des Johannes beschreibt sehr detailliert den massiven Missbrauch religiöser Sprache und Inhalte durch den Antichristen in der Postmoderne. Insofern müssen sich auch theologische Äußerungen und Kampagnen religiöser Hierarchien gefallen lassen, auf Doppelzüngigkeit geprüft und nach ihrem Beitrag zur Respektierung und Durchsetzung von Menschenwürde und menschlicher Ethik befragt zu werden. Religionen sind nicht als solche schon oder wegen ihrer Berufung auf Offenbarung ein sicherer Hort der Menschenwürde. Das zeigt leider 18 auch die Geschichte der jüdischen, christlichen und islamischen Religionsgruppen. Der Koran ist eindeutig in der absoluten Verurteilung des Mordens von Unschuldigen und ebenso im eindeutigen Lob der Rettung von Menschenleben durch Gesundheitspflege und im Krieg: 'Wenn einer jemanden tötet, jedoch nicht wegen eines Mordes oder weil er auf der Erde Unheil stiftet, so ist es, als hätte er alle Menschen getötet. Und wenn jemand ihn am Leben erhält, ist es, als hätte er alle Menschen am Leben erhalten'[Sure 5:32]. Hegel hat es in seiner Rechtsphilosophie (1817) deutlich gemacht, dass die Idee von Menschenwürde und Menschenrechten irgendwann auch einmal in Bürgerrechten festgelegt und einklagbar sein muss. Ein Menschenrecht des Schutzes vor Verstümmelung des eigenen Körpers durch andere und der Nichtdiskriminierung wegen Religions- oder Kasten- oder Rassenzugehörigkeit muss als Bürgerrecht einklagbar sein, wenn es mehr sein soll als eine philosophische Proklamation oder eine unverbindliche staatliche oder zwischenstaatliche Absichtserklärung. Die Missachtung der Menschenwürde unterscheidet die Unkultur von der Kultur, die menschliche Ethik von vielen Spielarten religiös oder ideologisch überfrachteter oder verzerrter 'Ethik', wo Unkultur sich im Gewande religiöser oder philosophischer Sprache und Ziele versteckt. Toleranz gegenüber der Unkultur ist ethisch und kulturell kontraproduktiv und nicht akzeptabel. THEOLOGISCHE MORAL UND MENSCHLICHE MORAL Es gibt andere unschöne, aber unvermeidbar zu unserem Diskussionszusammenhang gehörende Narrationen zur Relevanz menschlicher Ethik in wertpluralen und glaubenspluralen Gesellschaften. Zu diesen negativen und peinlichen Geschichten gehören die Geschichten von der ethnischen Säuberung Palästinas im Zuge der israelischen Landnahme, beispielsweise die Ausrottung der gesamten Bevölkerung und die Verbrennung der Städte Jericho und Ai auf Geheiß Gottes [Jos. 6-8], auch die Geschichten von der Folter, der 'hochnotpeinlichen Befragung' und Verbrennung andersgläubiger Christen in der Gegenreformation, die Verbrennung von Johannes Hus in Basel und die von Giordano Bruno auf dem Campo Fiori in Rom, die Gräuelgeschichten der Judenpogrome, die Geschichten der jahrhundertelangen kirchlichen Sanktionierung der Sklavenhalterei und der Kastration von Knaben für die Opera Sera und den Chorgesang, die theologische Rechtfertigung und politische Verteidigung des 'Gottesgnadentums' feudaler Obrigkeiten gegen die Einklagung von Menschenrechten und gegen die Forderung nach gerechteren 19 politischen und sozialen Strukturen. Diese Geschichten sind zu zahlreich und zu unappetitlich, als dass eine einzelne herausgegriffen werden müsste. Sie werden heute teilweise gern als 'Abweichungen vom rechten Wege' bezeichnet, waren damals aber ebenso Ausdruck religiöser Ethik wie heutige religiöse Forderungen nach dem Unterlassen von Empfängnisverhütungsmitteln oder das Unterlassen der Forschung an Stammzellen. Nicht nur Kulturen und säkulare Traditionen ändern sich, auch kirchliche Lehren, Konzilsmeinungen und die Prioritäten religiöser Empörung. Insofern sind die Protagonisten religiöser Forderungen unberechenbar, weil nicht auszumachen ist, warum gerade diese Position mit dem Hinweis auf den 'Willen Gottes' oder das 'Naturgesetz' eingenommen wird und nicht eine andere: warum heute die Ablehnung der Nutzung embryonaler Stammzellen für die Forschung zur Heilung von Krankheiten schwer leidender Mitmenschen, warum damals die Verteidigung des Gottesgnadentums gegen Hunger, Ausbeutung, Armut, Unwissenheit und Rechtlosigkeit. Kirchliche Hierarchien und moraltheologische Theoreme sind sowohl ein Teil der Lösungen in der menschlichen Ethik wie auch ein Teil der Probleme, mit denen menschliche Ethik konfrontiert ist. Der Diskurs mit Kirchenführern oder Gläubigen und der Prozess der Verabredung gemeinsamer mittlerer Handlungsprinzipien und Tugenden ist aus verschiedenen Gründen schwierig, von denen ich sechs nennen will. Jeder dieser Punkte muss als ein Warnsignal gelten, innerhalb von wertpluralen Kulturen und Gesellschaften ethische Forderungen aus religiösen Lagern kritisch zu prüfen und zu hinterfragen. (1) Ethische Forderungen, die sich aus gruppeninternen Offenbarungs- oder Glaubensinhalten ergeben, sind als solche nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft plausibel zu machen, nicht denjenigen gegenüber, die die spezifischen Glaubensinhalte nicht kennen oder nicht teilen wollen oder können. Missionierung durch Überzeugung - nicht mit Zwang - ist ein Weg, zusammen mit dem dogmatischen Inhalt auch die daraus sich ergebenden ethischen Gebote zu vermitteln und zu fordern. Unter Verzicht auf Missionierung wird aber häufig ein anderer Weg eingeschlagen, konfessionsinterne Überzeugungen direkt als Forderungen in eine pluralistische Gesellschaft hineinzutragen. Dogmenbefrachtete ethische Maxime werden in diesem Fall nicht als solche vorgetragen, sondern als dogmenfreie selbstevidente, humanistische Forderungen. Sie werden mit Argumenten des Naturrechts und der Menschenwürde abgelöst von den Sondervoraussetzungen des jeweiligen Glaubens- oder Dogmenzusammenhanges begründet. Ein Beispiel hierzu ist die 20 schon erwähnte Diskussion um die Nutzung embryonaler Stammzellen in medizinischer Forschung und Therapie. Stammzellenforschung soll der Menschenwürde widersprechen, weil sich embryonale Stammzellen möglicherweise nach Rückverbindung mit mitochondrischer Zellsubstanz und Einpflanzung in einen menschlichen Uterus zu einem menschlichen Fötus entwickeln könnte und deshalb auch wohl als beseelt gedacht werden müssten. Diese Argumentation ist seit dem 1. Vatikanischen Konzil eine verbindliche Auslegung der erst 1870 entwickelten Doktrin von der unmittelbaren und direkten Beseelung der befruchteten menschlichen Eizelle vom Zeitpunkt der Empfängnis an [28;32]; die Änderung des Kirchenrechtes im Corpus Juris Canonici folgte 25 Jahre später [15]. Die Enzyklika der Glaubenskongregation von 1987 setzt den Beginn des Personseins mit dem der Fertilisation als identisch [31]. Wäre die römisch-katholische Moraltheologie bei der ursprünglichen Animationslehre geblieben und damit auch in der Nähe der mosaischen und aristotelischen Lehre, dann hätte sie keine oder nur geringe Akzeptanzprobleme mit medizinischer Forschung zur Therapie der menschlichen Infertilität, zur in-vitro-fertilisation, zur Forschung am frühen Embryo und an embryonalen Stammzellen, auch kein Problem mit der enorm hohen, circa 50% betragenden Rate natürlicher Aborte [28]. 'Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm ein den lebenden Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele' [1. Mos 2:7]. Im traditionellen Judentum wurde erst der nachhaltig atmende Neugeborene als beseelt und damit als Ebenbild Gottes angesehen. Vor der Geburt war er 'pars viscerum matris' (ein Teil der Mutter), und erhält erst nach der Geburt den unbedingten moralischen Status eines Menschen (nefesh adam), wie das mosaische Gesetz und der Talmud es auslegen [23;21]. Im Gefolge der thomistischen Theologie hatte die römisch-katholische Kirche jahrhundertelang zwischen unbeseelten Embryonen vor dem 40. bzw. dem 80. Tage der Schwangerschaft und beseelten Föten danach unterschieden [28]. (2) Während die römisch-katholische kirchliche Doktrin die Forschung an embryonalen Stammzellen ablehnt und diese Ablehnung mit säkularen Argumenten der Menschenwürde und der Menschenrechte vorträgt, ist sie andererseits inkonsequent darin, dass sie für spontan absterbende frühe Embryonen nicht einmal liturgisch aktiv wird oder Initiativen zur medizinischen Aufklärung und Reduktion der natürlichen Abortrate im Interesse dieser frühen 'Mitmenschen' unternimmt. Auch Früh- oder Totgeburten oder die 'Opfer' selektiver Aborte werden nicht mit Sakramenten, deren Entwicklung und Administration allein in der Autorität und Verwaltung der Kirche liegen 21 würde, bedacht. Im jüdischen Verständnis ist das ungeborene menschliche Leben [1, Synhedrin 72b] zwar künftig potentiell ein Mensch, sein eigentlicher moralischer Status ist jedoch ein Teil der 'Geheimnisse von Gott' und das 'Entreißen einer Sache von ihrem Wachstum', wie der Abort bezeichnet wird [1, Sabbat 107b] ist kein Tötungsdelikt und ein weit geringeres Vergehen als das Töten eines Insekts am Sabbat. Sollte also ein Angehöriger dieser Religion in einer wertpluralen Gesellschaft das Recht zur Forschung mit embryonalen Stammzellen erhalten und der Anhänger einer anderen, beispielsweise der römisch-katholischen, das Recht haben, nicht an dieser Forschung und ihren Ergebnissen teilhaben zu müssen? (3) Die selektive Durchsetzung von kongregationsinternen Glaubensinhalten führt zu einer selektiven Vernachlässigung von anderen moraltheologischen Forderungen und ethischen Maximen. Im Falle der Ablehnung von Forschung und Therapie mit embryonalen Stammzellen kommt es zu einer Ablehnung von möglicher Therapie, Linderung oder Heilung kranker Mitmenschen, zu einer staatlichen und gesellschaftlichen Diskriminierung real existierender und leidender kranker Mitbürger im Interesse von potentiellen Föten, die bei Vorhandensein vieler anderer Voraussetzungen möglicherweise künftig einmal geboren werden könnten. (4) Interessanterweise konzentrieren sich kirchliche Hierarchien in der wertpluralen Gesellschaft nicht darauf, für ihre Gläubigen Gewissensklauseln bei neuen Gesetzgebungen oder Verordnungen zu erzielen, sondern Gesetze und Verordnungen generell in ihrem Sinne zu dominieren und zu bestimmen [19]. Im Falle der gesellschaftlichen und politischen Diskussion um die embryonalen Stammzellen wäre das für die Gläubigen der römisch-katholischen Kirche ein Schutz vor der Nutzung embryonaler Stammzellen römisch-katholischer Provenienz ohne Zustimmung der Hierarchie, für weniger hierarchisch strukturierte Glaubensgemeinschaften die Forderung nach Zustimmung der Eltern zu Umfang und Inhalt der Forschung und Therapie mit embryonalen Stammzellen. Diese religiösen Stimmen müssten auf einer Kennzeichnungspflicht für durch Stammzellen gewonnene Arzneimittel oder Behandlungsmethoden und für ihre Anhänger auf dem Recht der Verweigerung solcher Medikamente und Heilverfahren bestehen, auch wenn andere Verfahren weniger erfolgreich oder teurer sind. Die Pflicht zur Kennzeichnung von koscherer, vegetarischer oder gentechnisch veränderter Nahrung und das Recht von Gläubigen gewisser Denominationen, Blutkonserven für sich abzulehnen, sind Beispiele wie in pluralistischen Gesellschaften und Ordnungssystemen pluralen Glaubens- und Wertunterschieden Rechnung 22 getragen werden kann Stammzellendiskussion und nicht auch sollte. Weil bei vom Schutz glaubender der derzeitigen Minderheiten, europäischen sondern von glaubensüberfrachteten, nicht jedem einsichtigen Theorien über Menschenwürde gesprochen wird, ist es naheliegend zu vermuten, dass nicht menschliche Ethik, sondern politische Einflussnahme kirchlicher Hierarchien eine entscheidende Rolle spielen. (5) Viele moraltheologische Forderungen werden nicht nur für die eigenen Gläubigen aufgestellt, sondern sollen für alle Menschen insgesamt verbindlich sein. Hier zeigt sich eine mögliche Diskrepanz zwischen einer relativ geringen kircheninternen Intensität des Predigens und Ermahnens und einer hochaktiven Beeinflussung politisch Verantwortlicher. Eine Statistik beispielsweise über die Beichtpraxis und Predigtpraxis katholischer Priester im Vergleich mit kirchlichen Verlautbarungen zu sexueller Ethik bei Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch, in-vitro-fertilisation und der Forschung mit embryonalen Stammzellen würde die Frage aufkommen lassen, wo denn die eigentlichen Adressaten kirchlicher Ermahnung und Unterweisung sind, unter den Gläubigen der eigenen Konfession oder in den Parlamenten und Medien pluralistischer Gesellschaften. Haben wir es hier mit Biopolitik oder Biokirchenpolitik statt mit Bioethik, mit Machtpolitik statt mit Moraltheologie zu tun? Meinungsumfragen unter Gläubigen bestätigen einen nicht geringen Gegensatz zwischen öffentlichen ethischen Forderungen von kirchlichen Hierarchien und der Meinung der Gläubigen; für die Einstellung zu Empfängnisverhütung, Abort und in-vitro-fertilisation sind diese Diskrepanzen bekannt, was die Forschung mit embryonalen Stammzellen betrifft, so akzeptieren 61% der Gläubigen römischkatholischer Provenienz in den USA dieselbe, während 24% sie ablehnen [19:A8]. Wie ist dieser Gegensatz zu erklären; haben kirchliche Hierarchien es aufgegeben, Gläubige zu ermahnen oder sind die Ermahnungen erfolglos geblieben; in beiden Fällen ist der Aus- und Umweg über die biopolitische Pression suspekt und ethisch nicht zu rechtfertigen. (6) Konflikte gibt es schließlich auch, wenn Religionsgemeinschaften von ihren Anhängern Handlungen verlangen, die gegen das ethische Empfinden und die Regeln von Gesetz und Verordnung in pluralistischen Gesellschaften stoßen. Mit Schmerzen verbundenes rituelles Schlachten von Tieren entspricht nicht den Prinzipien der Tierethik und ist nicht konform mit den geltenden Verordnungen und Gesetzen. Staaten sind aber gegenüber ihren religiösen Minderheiten nicht selten großzügig und nehmen solche Verstöße entweder nicht zur Kenntnis oder erlauben sie 23 unter gewissen Bedingungen, so wie jetzt beispielweise das rituelle Schlachten durch Juden und Muslime in der Bundesrepublik. Nicht religiös begründeter Missbrauch von Tieren, Hahnenkämpfe oder dog-fights beispielsweise, wird dagegen widerspruchslos strikt verboten und bestraft. Insgesamt lässt sich festhalten, dass religiöse Forderungen, die sich in nichttheologischer, vielmehr in säkularer Menschenrechtsterminologie nicht nur an Gläubige, sondern an die Bürger pluralistischer Staaten und ihre Regierungen insgesamt wenden, kritisch überprüft werden sollten, ob sie innerhalb der eigenen Glaubensgeschichte autorisiert sind, ob sie innerhalb ihrer eigenen Argumentation konsequent oder nur selektiv sind, ob sie die Sprache pluralistischer Diskurse und Konsensbildungen zu usurpieren oder umzudefinieren versuchen, ob sie auch andere Positionen in einer wertpluralen Gesellschaft als ethisch valide akzeptieren oder vielmehr diffamieren und ob sie damit ethische Kommunikation und Kooperation unterminieren und sabotieren. Wenn diese Fragen negativ beantwortet werden müssen, dann tragen allerdings diese Hierarchien zu einem Kampf der Kulturen und zur Polarisierung und möglicherweise Zerstörung der wertpluralen Gesellschaft bei. Nicht der Kampf der Kulturen, sondern die Kommunikation und Kooperation zwischen den Kulturen scheint aber nach den heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islam auch für die Glaubens- und Frömmigkeitskulturen konstitutiv zu sein. 24 ORDNUNGSETHIK DER EUROPÄISCHE WERTEGEMEINSCHAFT Als Mohammed wegen der Verfolgung von Mekka nach Medina fliehen musste, suchte er in einer Stadt Zuflucht, in der drei große Gruppierungen - Juden, Christen, Muslime - das Sagen hatten. Sie schlossen untereinander einen Vertrag, die Gemeindeordnung von Medina, in der sie sich als 'eine einzige "umma" (Gemeinde) gegenüber den Menschen' erklärten. Dies war ein frühes Modell einer wertpluralen Gesellschaft, die vorlebte, wie trotz aller theologischen und weltanschaulichen Gegensätze gemeinsam Regeln eines zivilisierten gemeindlichen Lebens, einer menschlichen Ethik und eines menschlichen Ethos gefunden und praktiziert werden können [9]. Ausgehend vom historischen Beispiel der Gemeindeordnung von Medina und der gegenwärtigen Diskussionen um den Kampf der Kulturen können die ordnungsethischen Bemühungen um eine europäische Harmonisierung als ein naheliegendes Beispiel für eine menschliche Ethik innerhalb einer wertpluralen Gesellschaft und politischen Gemeinschaft dienen. In einem nicht wertuniformierten Europa gibt es heute für europäische Bürgerinnen und Bürger bei Freizügigkeit des Reisens die Möglichkeit der Abkopplung des eigenen Gewissens von der jeweiligen nationalstaatlichen Gesetzgebung und Verordnung. Die bürokratische Harmonisierung von Verordnungen und Gesetzen - abfällig auch Eurokratie genannt - soll zu einem neuen spezifisch europäischen zivilisierten und kultivierten Umgang unter Europäern führen. Harmonisierung ist das Schlagwort der Europapolitik. Wie lassen sich aber Gesetze harmonisieren, wenn jeweils unterschiedliche kulturelle, ethische und auch parteipolitische Vorbedingungen für nationalstaatliche Gesetze gegeben waren. Das heutige Verfahren, Euroharmonisierung als Ergebnis obrigkeitlicher Verhandlungen zu erreichen, nimmt die kulturspezifischen und ethischen Voraussetzungen, die zu jeweils anderen Regelungen in Europa geführt haben, nicht ernst. Es ist ethisch und kulturell bedenklich und ordnungspolitisch fragwürdig. Es entsteht der Eindruck, dass traditionelle für Recht und Verordnung geltende ethische Vorannahmen um des wirtschaftlichen Vorteils oder einer politischen Uniformisierung willen aufgegeben werden sollen. Das stärkt nicht das Vertrauen europäischer Bürger in ihre jeweiligen Obrigkeiten und den europäischen Harmonisierungsprozess. Werte und Verantwortungen europäischer Bürger können nicht wie die Zahl der Lastwagenachsen auf Europas Strassen oder Heringsfangquoten eurokratisch harmonisiert werden. Im Zuge der Freizügigkeit und Mobilität für europäische und deutsche Bürger ist es inzwischen allerdings zu einer indirekten - leider nach dem Geldbeutel selektiven - Harmonisierung 25 von Werten gekommen, insofern jedem reicheren Bürger freisteht, sich innerhalb einer regionalen Werte-, Verordnungs- und Rechtskultur in Europa von der jeweils in der eigenen Region geltenden Werte- und Normenkultur abzukoppeln und durch kurzfristigen oder längeren Aufenthalt Angebote, Freiheiten und Möglichkeiten von Selbstentwurf und Selbstverantwortung zu realisieren, welche die eigenen regionalen Gesetzlichkeiten verbieten oder unmöglich machen. Wir leben heute wie vor 350 Jahren zur Zeit des Westfälischen Friedens von 1648 in einer ethisch unakzeptabel heiklen und unstabilen Situation der Pseudoharmonisierung und Pseudotoleranz nach dem Prinzip des 'cujus regio, ejus religio'. Vor 30 Jahren kostete die Abkopplung des Gewissens von der bundesrepublikanischen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs einer ungewollt schwanger gewordenen deutschen Bürgerin eine Rückfahrkarte nach Holland. Abkopplungskosten für ein bundesrepublikanisches Gewissen bei der Präimplantationsdiagnostik, gewissen Formen ärztlichen Sterbebeistandes und von bestimmten Abortiva entsprechen heute den höheren Kosten für Reisen nach England, Holland oder Frankreich und der privaten Finanzierung des entsprechenden Service, Kosten welche für die Reicheren und Informierteren unter unseren Mitbürgern tragbar sind, aber leider nicht für die anderen. Den in ihrer Gewissensentscheidung nicht ernstgenommenen Bundesbürgerinnen, die in andere europäische Länder reisen, um dort ethisch zu verantworten, was bei uns kriminalisiert ist, werden demnächst in umgekehrter Richtung touristisch diejenigen menschlichen Zellen (in ethisch bequemer Definition derzeit pluripotent genannt) und solche DNASequenzen folgen, welche den Regelungen des deutschen Embryonenschutzgesetzes widersprechen. So wird auf eine zynische Weise auch die rechtliche Garantie eines freien europäischen Waren- und Dienstleistungsverkehrs eingelöst. Wer konnte es sich schon vor 350 Jahren finanziell leisten, aus Gewissensgründen das Heimatland für immer oder für eine Zeit zu verlassen. Der Westfälische Kompromiss sah einerseits für die Obrigkeiten Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit für Werte und Ethik vor, für die Bürger nur unter der Bedingung der Migration, akzeptierte aber andererseits auch die jeweils andere Position als 'nicht vom Teufel', als akzeptierbar oder tolerierbar innerhalb Europas, nur nicht im eigenen Land. Es war ein eurokratischer Obrigkeitsfriede, der den Respekt vor der Würde individueller Wert- und Verantwortungsentscheidung ausdrücklich nicht einschloss und auch heute nicht einschließt. Man darf trotzdem davon ausgehen, dass pharmakologischer Abort, Embryonenforschung 26 und Präimplantationsdiagnostik [16] in England und Frankreich, aktive medizinische Sterbehilfe auf Verlangen entscheidungskompetenter schwerkranker Bürger in Holland offensichtlich - auch nach der Bewertung deutscher Obrigkeiten - nicht den Menschenrechten und europäischen Bürgerrechten widerspricht? Hätte im andern Fall unsere Regierung nicht beim europäischen Gerichtshof klagen oder den Ausschluss dieser Staaten aus der Europäischen betreiben oder selbst austreten müssen? Nichts dergleichen ist passiert oder ist zu erwarten. Vielmehr haben die Signaturstaaten der Europäischen Bioethikkonvention den Staaten, in denen ethisch und rechtlich zulässig ist, was in ihren eigenen Staaten politisch nicht akzeptiert und rechtlich verboten ist, zugestanden so zu verfahren, wie sie nun mal verfahren. Und die bestehenden Regelungen gehen nun einmal wie schon vor 350 Jahren davon aus, dass deutsche Bürgerinnen vor dem zu schützen sind, was in anderen Staaten der europäischen Wertegemeinschaft Recht und billig ist. Der in der Europäischen Bioethikkonvention eingegangen Verpflichtung, aktiv einen Bürgerdiskurs innerhalb der einzelnen Länder über bioethische Fragen anzuregen und zu fördern, sind weder in Deutschland noch anderswo eindrucksvolle Aktionen gefolgt. Vom politischen Münsteraner Modell einer Toleranzharmonie zwischen Obrigkeiten von 1648 bis zu Spinozas und Lockes normativen ethischen Visio0nen einer innergesellschaftlichen Harmonisierung durch Nichteinmischung europäischer Obrigkeiten in die Märkte individueller Werte und Visionen und der Respektierung der Würde des individuellen Gewissens jenseits und gegen die Macht der jeweiligen Obrigkeit war es in der Vogelperspektive gesehen nur ein kurzer Weg. Heute ist uns die Pluralität individueller religiöser Glaubenshaltungen und der Respekt vor dem religiösen Gewissen des anderen selbstverständlich. Wir wundern uns darüber, dass es vor Jahrhunderten überhaupt in Europa zu solchen Scheußlichkeiten, Verfolgungen, Unterdrückungen und Kriminalisierungen kommen konnte. Wie würde der europäische Humanist Spinoza aus dem nicht fernen niederländischen Leiden in der Vogelperspektive von drei Jahrhunderten die heutigen europäische Scheintoleranzen und Scheinharmonisierungen bewerten? Er würde unsere Situation vermutlich ähnlich bewerten, wie man die ängstliche Münsteraner Scheinharmonisierung von 1648 bewerten muss und wie er in seinem Theologisch-Politischen Traktat seinerzeit ausführte, dass es ein Fehler ist, zu befürchten, dass mit der Freigabe des Gewissens europäischer Bürgerinnen und Bürger in Sachen bioethischer Kontroversen der innergesellschaftliche Frieden und die individuelle wie kollektive Moral leiden würden, dass im Gegenteil der Respekt vor der Würde des Gewissens die 27 Freigabe ebendieses Gewissens von den jeweiligen regionalen Bevormundungen zulassen sollte, jedenfalls soweit wie diese Positionen in anderen europäischen Regionen Recht, Gesetz und akzeptierte Praxis sind. Wie lässt sich jenseits von Verordnungsharmonisierung eine Werteharmonisierung und tolerierung diskursfähig machen? An anderer Stelle habe ich eine Umkehrharmonisierung (reverse harmonisation) vorgeschlagen, die man auch grenzüberschreitende Toleranzharmonisierung nennen könnte und die an die bestehenden Rechts- und Verordnungskulturen in den europäischen Staaten anknüpfen würde [29:216f]. Dieser Vorschlag geht von der Voraussetzung aus, dass kein europäischer Staat in die europäische Gemeinschaft aufgenommen werden dürfte, in dem nicht Werte respektiert und geschützt werden, deretwegen es auch in anderen europäischen Staaten freiheitseinschränkende Gesetze und Verordnungen gibt. Sollten entgegen den Beteuerungen der europäischen Obrigkeiten und ihrer zwischenstaatlichen Behörden aber dennoch Staaten aufgenommen worden sein, deren Gesetze und Verordnungen den Vorstellungen von Menschenwürde der Bürger und Regierungen anderer europäischer Staaten widersprechen, dann sollten unverzüglich solche Staaten ihre Regelungen ändern oder aber aus der Wertegemeinschaft ausgeschlossen werden. Wenn dem aber nicht so ist und trotz unterschiedlicher Rechts- und Verordnungssysteme in allen europäischen Staaten ein vergleichbarer und akzeptabler Respekt vor der Menschenwürde herrscht, dann könnte der Prozess europäischer Harmonisierung vom Bestehenden ausgehen und die weitere Entwicklung einem demokratischeren Prozess von harmonisierender Gesetzgebung und Verordnung und einem in Kommunikation und Kooperation gewachsenen Verständnis des Umgangs miteinander in einem durch mehr Migration und mehr Verständnis für andere Formen des Lebens- und Verantwortungsentwurfs überlassen. Die ordnungsethische Formel für politische Entscheidungen entsprechend der Maxime einer Toleranzharmonisierung könnte lauten: Solange in einer auf gemeinsamen Werten beruhenden Staatengemeinschaft für Gewissensentscheidungen unterschiedliche staatliche Regelungen existieren, sollten im Einzelfall Bürgerinnen und Bürger des einen Staates das Recht haben, für sich Regelungen eines der anderen Staaten in Anspruch zu nehmen, ohne in diesen Staat reisen zu müssen. Das kann natürlich nur für weltanschaulich kontroverse Gewissensentscheidungen gelten. Fragen des Steuer-, Bau- und Verkehrsrechts beispielsweise würden nicht unter diese Maxime fallen; für Teile anderer Bereiche sind Zuordnungen schwieriger, aber nicht unmöglich. Die Geltung 28 einer solchen Maxime würde bestehende Regierungen und zwischenstaatliche Behörden zwingen, bestehende und geplante Gesetze und Verordnungen einer Ethikfolgenabschätzung und einer Kulturfolgenabschätzung zu unterwerfen und damit überhaupt der Prüfung, ob enge Regelungen im Interesse mündiger Bürger und einer funktionierenden Verantwortungsgesellschaft überhaupt notwendig sind. Wenn europäischen Bürgern das Recht der Freizügigkeit eines ethischen Tourismus aus Gewissensgründen nicht verwehrt wird, dann sollte es möglich sein, dass anstelle der zusätzlichen Fahrkarte dieses Recht auch im eigenen Land wahrgenommen werden kann. Eine solche Regelung würde auch zu mehr Gleichheit unter europäischen Bürgern beitragen bei Fragen, in denen Reiche ohne viel Mühe und Geld ihr Gewissen abkoppeln können von der jeweiligen nationalstaatlichen Obrigkeit, Arme aber nicht. Für andere Bereiche europäischer Harmonisierung, beispielsweise für das Wirtschaftsbinnenrecht, gelten seit dem 'Cassis di Dijon' Urteil (1978) des Luxemburger Europäischen Gerichtshofes über die Berechtigung, französischen Johannisbeerlikör als (hochprozentigen) Wein auch außerhalb Frankreichs anzubieten und zu verkaufen in der Europäischen Union bereits solche Harmonisierungen; auch das Reinheitsgebot für Bier, auf das Deutsche stolz sind, gilt nicht außerhalb der Bundesrepublik und innerhalb Deutschland kann als Bier auch verkauft werden, was nicht diesem Reinheitsgebot entspricht. Warum werden die Gewissen europäischer Bürgerinnen und Bürger anders behandelt als der 'Cassis di Dijon' und die verschiedenen Formen Bier zu brauen? Warum gibt es neben dem Wirtschaftsbinnenrecht kein Ethikbinnenrecht in der europäischen Wertegemeinschaft? Die Diskussion um den frühen Embryo, die Stammzellen oder um das Recht des Selbstentwurfs und der prospektiven Selbstbestimmung für mögliche dunkle Stunden von künftigem Leiden oder Demenz skizziert nur einige Bereiche, die in wertpluralen Gesellschaften besser der Verantwortungsethik mündiger Bürger überlassen blieben als dem obrigkeitlichen Paternalismus kirchlicher oder staatlicher Hierarchien. Insofern stehen diese Beispiele aus dem engeren Raum der Bioethik nur stellvertretend für viele andere Bereiche eines immer noch anwachsenden Reichtums an technischer und ethischer Komplexität, an zuwachsenden individuellen und kollektiven Möglichkeiten der Gestaltung menschlicher Ethik und Kultur, aber auch des individuellen Versagens in der Gestaltung. Die zunehmenden technischen und die ethischen Risiken der modernen Welt lassen sich nicht durch zunehmende Bevormundung mündiger Bürgerinnen und Bürger lösen. Im 29 Gegenteil, je komplexer die ethischen und zivilisatorischen Herausforderungen werden, umso mehr wird ihr gelingendes Gestalten von der Verantwortungsmündigkeit der Bürgerinnen und Bürger abhängen, Zivilisation, Kultur und Ethik menschlich zu gestalten. Eine Ordnungsethik und Ordnungspolitik, die diese individuelle Verantwortungsethik akzeptiert und fördert, ist jedem paternalisierenden Eingriff, der über das Setzen von generellen Rahmenbedingungen für technische und ethische Sicherheit hinausgeht, überlegen [26]. Der Philosoph und Medizinethiker Galen, Leibarzt des Kaisers Marc Aurel, formulierte für die Berufsethik der Ärzte vor fast 2000 Jahren 'non homo universalis curatur, set unus quique nostrum': es gibt nicht den Einheitsmenschen, der unserer Heilkunst anvertraut ist, sondern den jeweils einzigartigen Mitmenschen in seiner individuellen Persönlichkeit. Für die Berufsethik der ordnungspolitisch Tätigen würde diese Maxime bedeuten, individuelle Werte und Verantwortungen zu akzeptieren und zu fördern und den Obrigkeitsstaat in einen Verantwortungsstaat umzubauen. Für kirchliche Hierarchien gilt es zu unterscheiden zwischen der internen Verantwortung den Angehörigen der eigenen Glaubens- oder Kulturgemeinschaft gegenüber und denen, die dieser nicht angehören [19]. Innerhalb der wertpluralen Gesellschaft kann Kirchenleitungen und bestimmten Naturrechtstheorien keine adhortative, autoritative, regulative oder direktive Zuständigkeit zugesprochen werden, sondern nur eine missionarische, diskursive, edukative und adjuvantive in der gesellschaftlichen Bemühung um Konsens in inhaltlichen Fragen oder um Kooperation und Toleranz innerhalb von Dissens. Es ist aber nicht nur den Hierarchien, sondern auch den demokratischen Obrigkeiten vorzuwerfen, dass dieselben den Hierarchien eine höhere Wertkompetenz und gesellschaftliche Mitsprache einräumen als dem individuellen Gewissen von Gläubigen und Bürgern. Der Beitrag kirchlicher Hierarchien zur gesellschaftlichen und kulturellen Meinungs- und Wertbildung gehört primär in die Hirten- und Pastoralbriefe, in die Kirchen, Moscheen und Synagogen, nicht auf den Marktplatz oder in die Hallen der politischen Lobby [19]. Auch philosophische Theorien, unter Einschluss unterschiedlicher Naturrechtstheorien, können keine autoritative Rolle beanspruchen; sie müssen sich an die Regeln des Diskurses, der Argumentation und der Werbung für den eigenen Standpunkt bei Bürgern und anderen kulturellen oder religiösen Gruppen halten. Jeder Begriff von Natur enthält immer schon ein religiöses, kulturelles oder ethisches Vorverständnis von Natur und des Verhältnisses des Menschen zu ihr; Naturrechtstheorien sind keine Begründungsinstrumente, sondern Instrumente der Vermittlung und 30 Plausibilisierung vortheoretischer lebensweltlicher Orientierung von Individuen oder Gruppen. Individuelle Verantwortung und gesellschaftlicher Konsens, inklusive des Konsenses, dass Dissens in entscheidenden Fragen des Gewissens unumgänglich ist, das sind die moralischen Subjekte des Abwägens, bei dem hilfsweise orientierend, aber nicht dominierend, klassische Naturrechtskonzeptionen beigezogen werden können. Alternativen zum Kalifenstaat sind menschliche Ethik, individuelle ethische Risikokompetenz und -verantwortung und liberale Ordnungsethik und -politik. „Brüder“ schreibt Moses Mendelsohn, gläubiger Jude, mutiger Aufklärer und Visionär einer sowohl pluralistischen Gesellschaft und einer menschlichen Ethik am Ende des ausgehenden 18. Jahrhunderts, „ist es Euch um wahre Gottlosigkeit zu tun, so lasst uns keine Übereinstimmung lügen, wo Mannigfaltigkeit offenbar Plan und Endzweck der Vorsehung ist. Keiner von uns denkt und empfindet vollkommen so, wie sein Nebenmensch. Warum uns einander in den wichtigsten Angelegenheiten unseres Lebens durch Mummerei unkenntlich machen, da Gott einem jeden nicht umsonst seine eigenen Gesichtszüge eingeprägt hat?“ [18:201] MENSCHLICHE ETHIK UND GRENZEN DES ORDNENS UND VERSTEHENS Es gibt Grenzen des Ordnens, Anordnendes und Verordnens durch staatliche, quasi-staatliche und religiöse Obrigkeiten in Angelegenheiten menschlicher Ethik. Diese Grenzen sind teils bedingt dadurch, dass Moraltheologie und Ordnungspolitik überlagert oder motiviert sind durch andere als ethische Ziele. Sie sind aber auch darin begründet, dass Sachkompetenz und Prognose, Risikoanalyse und -kompetenz von Hierarchien und Organisationen nicht als solche schon höher einzuschätzen sind als die von Bürgerinnen und Bürgern; das gilt insbesondere, dann wenn Überzeugungen, Werte, Wünsche und Handlungen individuell geprägt und verantwortet werden wollen. Hinzu kommt, dass religiöse und staatliche Obrigkeiten sich selten einer kritischen Hinterfragung ihrer ethischen Vorentscheidungen stellen oder dieselben gar hintertreiben. Im Gegensatz zu den durch Ethikkommissionen begleiteten klinischen Forschungen in der Medizin fanden und finden in der Schulpolitik und Sozialpolitik Versuche am Menschen in großem Stil statt, die weder durch Ethikkommissionen begleitet noch in ihrem zeitlichen Verlauf begrenzt sind. Seltene kritische Überprüfungen und Änderungsvorschläge, die unliebsam sind, werden in behördlichen Panzerschränken verschlossen, dem Bürgerdiskurs entzogen und geben selten Anlass 31 zu Änderungen. Kirchliche Hierarchien ändern, wie diskutiert wurde, ohne nähere nachträgliche Begründung so wichtige Positionen wie die zur verzögerten Animation des frühen menschlichen Lebens oder zur Autorität hierarchischer Letztentscheidungen. Verfehlungen gegen menschliche Ethik, Menschenrechte und Menschenwürde werden nachträglich mit individuellem menschlichem Versagen und Verschulden erklärt. Die damals geltende theologische Rechtfertigung beispielsweise der gegenreformatorischen Folter- und Verfolgungspraxis ist nicht Gegenstand nachträglicher kritischer Überprüfung und Vorsorge gegen den Rückfall in unethische Praktiken. Derzeit beruft sich das unmenschliche Morden, Foltern und Unterdrücken von Andersgläubigen durch einige islamische Gruppierungen und die sie unterstützenden oder tolerierenden Staaten auf den Koran. Demnächst werden diese unethischen Handlungen und ihre theologische Begründung mit dem Hinweis auf das Verschulden und die Verblendung von einigen wenigen Fanatikern 'erklärt'. Innerhalb der wertpluralen Gesellschaft kann es für keine Religion, erst recht nicht für deren Hierarchie eine Priorität ethischer Autorität geben. Kirchliche Hierarchien und Gläubige könnten und sollten jedoch durch Argumentation, Diskurs, Vorbild und Toleranz an Entwurf, Implementierung und Stabilisierung menschlicher Ethik als einer regulativen Idee für Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit arbeiten. Die Würde des menschlichen Gewissens und die Würde von Ethik und Ethos liegen auch darin, dass sie irren können, dass sie Tugenden und Prinzipien falsch anwenden, falsche Prioritäten setzen, primäre Herausforderungen und kontraproduktive Ergebnisse ihrer Abwägungen und Entscheidungen nicht übersehen. Die Gewissen und die ethische Abwägungen von Politikern, Denkern, Institutionen und Konzilen wurden und werden nicht selten von anderen Interessen überlagert oder gesteuert, haben geirrt und werden irren. Es ist ethisch, kulturell und demokratisch bedenklich, wenn irrende Subjekte in Politik, Verbänden und Kirchen die Kosten des Irrtums auf andere abwälzt. Auch das ist eine Konsequenz des Subsidiaritätsprinzips und des Auftragsprinzips, dass Kosten von Irrtümern oder Vergehen primär den moralischen Subjekten zuzurechnen sind, die den Irrtum begehen. Eine Institutionalisierung europäischer Werteharmonisierung könnte als Prinzip der transnationalen europäischen Subsidiarität (transnational European subsidiarity) wie folgt aussehen: Solange Staaten, die zur europäischen Wertegemeinschaft zählen und die sich selbst dazurechnen, unterschiedliche rechtliche und ethische Bewertungen und Regulierungen bioethischer Entscheidungskonflikte haben, sollten diese Staaten in der Respektierung der Würde des Gewissens 32 europäischer Bürgerinnen und Bürger Gewissensklauseln in ihren Gesetzen und Verordnungen vorsehen, welche im Einzelfall die Abkopplung des individuellen Gewissens von der nationalen Bevormundung im Rahmen der europäischen Rechts- und Wertegemeinschaft erlaubt. Zophar von Naema kritisiert den klagenden Hiob als Schwätzer: 'Meinst Du , dass Du wissest, was Gott weiß; und wollest es so vortrefflich treffen wie der Allmächtige?' [Hiob 11:7f]. Und Gott spricht später selbst zu Hiob: 'Wo warst Du, da ich die Erde gründete? Sag an, bist Du so klug! Weist Du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie eine Richtschnur gezogen hat?'[Hiob 38:4f]. Diese Narration erscheint in den Theologien als die Lehre vom 'deus absconditus' oder dem 'Geheimnis Gottes' und ist der Versuch einer Antwort auf die Frage nach dem Leid der Gerechten und dem Erfolg der Gottlosen, dem Holocaust, auch nach dem Leid, das Kirchen und Obrigkeiten über die Leute bringen. Aus der Diskussion um die Theodizee lässt sich das Bild vom Geheimnis Gottes auf kontroverse ethische Fragen in pluralistischen Gesellschaften übertragen. Wenn der moralische Wert der embryonalen Stammzelle ein Geheimnis Gottes bleibt, dann gibt es für die naturrechtliche Interpretation kein Lehramt sondern nur eine individuelle Gewissensentscheidung 'mit Furcht und Zittern' wie Luther sagen würde. Die Rolle religiöser Hierarchien würde sich beschränken auf die Belehrung und Ermahnung der Gläubigen, die Argumentation und den Diskurs anderen gegenüber, und das Gebet zu Gott, dass er Exhortatio und Argumentatio erfolgreich sein lasse. Wahre Frömmigkeit besteht nicht im Beachten von liturgischen oder dogmatischen Vorschriften, erst recht nicht in der Verfolgung Andersgläubiger oder in der Beeinflussung Andersdenkender in wertpluralen Staaten, sondern im Dienst am Mitmenschen. So heißt es im Koran: 'Die Frömmigkeit besteht nicht darin, dass Ihr Euch (beim Gebet) mit dem Gesicht nach Osten oder Westen wendet. Sie besteht vielmehr darin, dass man an Gott, den jüngsten Tag, die Engel, die Schrift und den Propheten glaubt und sein Geld - mag es einem noch so lieb sein - den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem der dem Weg Gottes gefolgt und dadurch in Not gekommen ist, den Bettlern und für den Loskauf von Sklaven hergibt, das Gebet verrichtet und die Almosensteuer bezahlt. Und Frömmigkeit zeigen diejenigen, die wenn sie eine Verpflichtung eingegangen sind, sie erfüllen, und die in Not und Ungemach und Kriegszeiten geduldig sind. Sie allein sind wahrhaftig und gottesfürchtig' [Sure 2:177]. Im taoistischen Denken findet sich vergleichbar die Idee von der Würde menschlicher Ethik 33 jenseits von religions- oder kulturspezifischen Regeln oder Strategien für Handeln: 'Du regierst ein Reich mit Gesetzen; Du gewinnst einen Krieg durch unerwartete Bewegungen; aber Du gewinnst die Welt, indem Du sie loslässt. Warum weiß ich das? Weil es in mir ist' [13:57]. In der Diskussion mit Jesus über die Frage, was denn das göttliche Gebot genau sei, antwortet der Pharisäer unter Verzicht auf die Detailvorschriften des mosaischen Gesetzes, von denen er eine Fülle hätte anführen können: 'Du sollst Gott Deinen Herren lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte und Deinen Nächsten als Dich selbst'. Jesus stimmt dieser Antwort voll und ganz zu: 'Du hast recht geantwortet, so wirst Du leben' [Luk 10:27f]. Er bezieht sich damit auf die rabbinische Lehre vom Grundprinzip des Gesetzes, dass es nämlich dem Leben und dem Respekt vor dem Leben dienen solle [3. Mos 18:5; auch 19:34 u.ö.]. Sabbatgebote können verletzt werden, wenn das vorgeordnete unbedingte Gebot der Lebensrettung (pekuach nefesh) es verlangt. Das göttliche Gebot ist für das Leben da; das Leben darf nicht für das Gebot geopfert oder verletzt werden; wer das tut, missversteht das gottgegebene Gebot. Schreibt Rabbi Joseph Karo in seinem Code of Jewish Law [Yoreh De'ah 336:1]: 'The Torah gave permission to the physician to heal; moreover this is a religious precept and it is included in the category of saving life; and if the physician withholds this services it is considered sharing blood' [3]. Paul Ramsey, einer der Väter der amerikanischen Bioethik, identifizierte die 'agape' als dienende Liebe zum Nächsten als das Grundprinzip christlicher Ethik, an dem sich auch der Glaube zu messen habe. Nicht die Beachtung dieses oder jenes Prinzips oder der Glaube an dieses oder jenes Dogma entscheidet über einen gottwohlgefälligen Lebenswandel und den rechten Glauben, sondern der glaubende Dienst am Nächsten [22]. Im Islam wird vergleichbar von einer vorgeordneten Glaubenspflicht zum Erhalt und zur Beförderung des Lebens ausgegangen. Bezüglich der Respektierung der Fastengesetze wird argumentiert, dass dieselben nicht eingehalten werden dürfen, wenn Krankheit oder Leiden die Einnahme von Nahrung und Medizin während der Fastenzeit erforderlich sind. Diese Abwägungen sollen jedoch nach Maßgabe der Risiken von Krankheit und Beachtung der Fastengebote erfolgen [8;9:92-98]. Würde das christliche Gebot der Nächstenliebe es für gläubige Anhänger römischkatholischer Lehren von der unmittelbaren Beseelung der befruchteten menschlichen Eizelle und der möglichen Beseelung jeder einzelnen embryonalen Stammzelle erlauben, diese ziemlich komplizierte und primär nicht ethische, sondern dogmatische Theorie hintanzustellen im Interesse 34 der Entwicklung und Anwendung von Medizin für real existierende kranke und leidende Nächste, Mitmenschen, Christen oder Nichtchristen? Das ist die Frage an die Gläubigen dieser Konfession und an die Verantwortlichen ihrer Hierarchie. Für die menschliche Ethik einer wertpluralen Gesellschaft würde die komplementäre Frage lauten: Sollten Katholiken sich nicht gegen eine durch das kirchliche Lehramt sanktionierte Theorie und deren Handlungsfolgen entscheiden wollen, so hätte eine wertplurale Gesellschaft und Gesetzgebung eine solche Gewissensentscheidung zu respektieren, so wie sie ja auch respektiert, wenn jemand keine Kontrazeptiva benutzen, keine Schwangerschaft beenden, keinen vorehelichen Sex oder kein fremdes Blut haben will. Staatliche Regeln und religiöse Vorschriften müssen sich daran messen, wie sie Bürgerinnen und Bürger als Menschen in der Würde ihrer Entscheidungen nach Gewissen und Wissen respektieren, wie sie die Würde und Leben des real existierenden Nächsten achten, insbesondere des leidenden und hilfsbedürftigen, wie sie zu menschlicher Ethik im Sinne einer Ethik der Menschlichkeit beitragen. 35 LITERATUR 1. Baumann E (2001) Die Vereinnahmung des Individuums im Universalismus, Münster: Lit 2. 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Aufklärung und Kritik 9 (2): 19-3 DIE KLEINE STADT AM BERG 37 Die Stadt ist wirklich klein, im Verhältnis zum Berg so wie ein Tropfen am Eimer. Aber es ist die einzige Stadt am Berg und die Leute sind stolz auf sie, auch auf den Berg und auf ihren großen Reichtum. Diesen Reichtum erblicken sie in der Würde der Bürgerinnen und Bürger, ihrer Kultur und der Art und Weise, wie sie mit einander, mit ihren Werten und mit dem Berg, von dem sie leben, umgehen. Die Freiheit und Sicherheit der Bürger geht ihnen über alles. Sie helfen sich gegenseitig, und vor allem der jungen Generation, verantwortlich zu handeln, 'andere' zu respektieren, auch wenn sie deren Meinungen oder absoluten Werte nicht teilen. Und sie verabscheuen Lüge, Diebstahl, Totschlag, Ungerechtigkeit, Egoismus, Arroganz und Intoleranz. Lügen, Stehlen und Morden wird bestraft, auch wenn Diebe und Mörder vorgeben, im Namen Gottes oder aus einer höheren Einsicht zu handeln. Nicht alle glauben übrigens an Gott, aber alle sind der Meinung, dass, sollte es einen Gott geben, er Töten, Stehlen und Lügen verbieten würde. Das sagen auch die in den jüdischen, christlichen und muslimischen Häusern und Straßen von dem 'Allmächtigen und Barmherzigen'. Wer an Gott glaubt, ist sich auch der Macht des Satans bewusst; alle aber wissen um das Böse im Menschen und um böse Menschen, die sie zu bekämpfen sich verpflichtet fühlen. Sie verabscheuen Intoleranz und Arroganz und versuchen durch Zuhören und Argumentieren eine Kultur von vertrauensbasierter Kommunikation und Kooperation zu schaffen. Sie meinen, die Menschenwürde liege vor allem in der Würde, dem Recht und der Pflicht zur individuellen Entscheidung nach Werten, und sie halten die Würde des Rechtes jedes Mitmenschen auf religiöse oder philosophische Letztüberzeugungen für unverletzlich. Vor allem respektieren sie deshalb die Würde der individuellen Gewissensentscheidung und werfen sich nicht gegenseitig Unmoral oder Unkultur vor, wenn sie andere moralische oder kulturelle Urteile fällen als ihre Mitmenschen. Auch wenn sie die Überzeugungen von Mitbürgern nicht für sich selbst akzeptieren wollen oder sie gar für abstrus halten, tun sie alles, damit diese Mitbürger nicht gegen ihre Überzeugung zu etwas gezwungen werden. Nahrungsmittel beispielsweise sind gekennzeichnet, so dass man ersehen kann, ob sie koscher oder vegetarisch oder aus biologischem Anbau sind. Niemand wird gezwungen Medikamente zu nehmen, ungeborenes Leben abzutreiben, Organe zu spenden oder zu empfangen, oder Arbeiten zu übernehmen, wenn das den eigenen Werten widerspricht. Wenn das Gewissen anderer bedrängt oder verachtet, dann werden alle sehr böse, weil sie die Fundamente der kleinen 38 Stadt und die Würde aller ihrer Bürger bedroht sehen. Die Freiheit und Sicherheit von Gewissen und Kultur ist für sie ebenso wichtig wie die politische und wirtschaftliche Sicherheit und Freiheit. Neben der kulturellen Abschätzung von Technologie beschäftigen sich Forscher auch mit der Abschätzung von Theoriefolgen und Gesetzesfolgen. In der Regel haben Gesetze eine Mondscheinklausel, die angibt zu welchem Zeitpunkt ein Gesetz ausläuft, wenn es nicht ausdrücklich verlängert oder modifiziert wird. Viele Gesetze haben eine Gewissensklausel, die es Bürgern erlaubt im Einzelfall, sofern das ohne Schaden für andere möglich ist, eine Ausnahme zu erwirken. Das betrifft natürlich nicht die Gesetze gegen Mord, Raub und Lüge, auch nicht die Steuergesetze oder die des Straßenverkehrs. Ein Blick auf die Architektur der Häuser zeigt am klarsten die kulturelle und ethische Konstruktion der Stadt. Unterschiedlich wie sie sind, sind Häuser nach identischen Strukturprinzipien gebaut: in den untersten Stockwerken gleichen sie sich, in den obersten sind sie so unterschiedlich voneinander wie der Reichtum der gemeinsamen Kultur. In den verbundenen Erdgeschossen geht es um die Sicherung der Einwohner und der ganzen Stadt vor Hunger, Mord, Folter, die Solidarität mit den Armen und Kranken und mit denjenigen, die sich selbst nicht helfen können. Die Grundrisse und Gegenstände in den oberen Geschossen aber zeigen den Reichtum unterschiedlicher Werte ihrer Besitzer. In einem Haus wird darüber gestritten, ob menschliche Föten eigene moralische oder gar juristische Rechte haben oder ob sie nur erst mal 'pars viscerum matris', Teil des mütterlichen Körpers und der Würde einer Schwangeren sind. In einem anderen Haus wird diskutiert, ob religiöse Fastengebote bei Krankheit gebrochen werden dürfen im Interesse des Lebens von 'pekuach nefesh' als einer Gabe Gottes. Eine jahrhundertealte Diskussion, ob jemand als Todkranker in der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode um den Giftbecher bitten dürfe, ist wieder abgeflacht; statt dessen wird sehr heftig gefordert, dass Ärzte nun endlich eine anständige Schmerzbehandlung machen sollen, damit die Euthanasiediskussion überflüssig wird. Im obersten Stockwerk schließlich wird am lautesten und intensivsten gestritten um so komplizierte Fragen, ob denn Gott eine Person in drei oder drei in einer sei, ob es einen Hauptpropheten gibt oder gar ein Stellvertreter Gottes auf Erden, auch ob menschliche Zygoten, die weggeworfen oder nicht ausgetragen wurden, beseelt waren und dann auch etwas mehr als 50% der Auferstandenen im Paradies ausmachen werden, ob es eine Seelenwanderung gibt, ob Pflanzen und 39 Tiere eine Seele haben, ob man überhaupt an eine höhere Macht glauben müsse um ein anständiger Mensch und Bürger zu sein. Solche Diskussionen laufen schon eine lange Zeit und werden wohl nie aufhören; sie repräsentieren auf ihre Weise den großen Reichtum dieser kleinen Stadt. In manchen Häusern versteht man exzentrische Palaver bei den 'anderen' nicht, hält sie auch teilweise für absurd oder albern. Andere meinen, es handele sich hier um Gegenstände, deren Wahrheit ein 'Geheimnis Gottes' sei und die deshalb eher Bescheidenheit als Rechthaberei verlangen. Aber man würde alles tun, den Diskutanten das Recht zu Überzeugung, Diskurs, Streit und Dissens zu sichern. Man weiß auch und schätzt, dass diese Gegenstände aus den oberen Stockwerken die Aktivitäten der niederen beeinflussen und findet das richtig. Aber man akzeptiert nicht, wenn die Grundfesten der gemeinsamen unteren Etagen, der Plätze, Strassen und Infrastruktur durch Indoktrination und Bevormundung gefährdet werden oder wenn einzelne Hausgemeinschaften sich aus der Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger ausschließen oder diese gar aktiv bedrohen. Wem die Regeln oder Gebräuche eines Hauses nicht passen, dem steht es frei auszuziehen und sich woanders einzumieten. Es gilt aber als selbstverständlich, dass man dort, wo man wohnt, die Hausund Gastregeln beachtet. Die Namen der Strassen und Plätze erinnern die Bürger an die gemeinsame Geschichte und die Wurzeln der Stadtkultur. Ein Platz ist den Opfern von Mord, Gewalt und Terrorismus gewidmet, den gemordeten und verbrannten Bürgerinnen und Bürgern der Städte Jericho und Ai, Nanking und Dresden, den Opfern unzähliger Judenpogrome, den Gefolterten und Verbrannten der sogenannten heiligen Inquisition, den Opfern globaler Kriminalität des sogenannten World Trade Center. Andere Plätze und Straßen erinnern an die Sklaverei, die vielen Formen von Genozid, an menschliche Vorbilder und die Mitgeschöpflichkeit von Tier und Pflanze. Den Berg, an dem sie leben, sehen sie täglich und verehren ihn. Insgesamt schließen sich die Einwohner der Einsicht des Taoisten an, dass zwar Fenster und Türen die Dimension von Räumen und Häusern vorgeben, dass es aber auf die freien Räume und ihre jeweilige Ausgestaltung innerhalb der Zimmer ankommt, ob und wie man in ihnen leben kann. So haben sie ihre Stadt gebaut und so versuchen sie, ihre Würde und die ihrer Stadt gegen Unkultur und Unwürde zu erhalten, auch weil es keine andere Stadt am Berg gibt oder geben wird. Hans-Martin Sass 40 41 ZUSAMMENFASSUNG: Gegen die These vom 'Kampf der Kulturen' entwirft Hans-Martin Sass ein Modell vom 'Kommunikation und Kooperation der Kulturen'. In der Stärkung und Respektierung individueller Verantwortungsethik sieht er das bevorzugte Mittel und Ziel im Streben nach einer menschlicheren, friedvolleren und zivilisierteren Kultur. Seine Kritik am moraltheologischen und ordnungspolitischen Paternalismus in Europa verbindet er mit einem Plädoyer für Gewissensklauseln bei nationalen und supranationalen Gesetzgebungen und Verordnungen. ABSTRACT: Discussing the 'Clash of Cultures' theory Hans-Martin Sass presents a model of 'Communication and Cooperation of Cultures'. Trust and respect in an ethics of individual responsibility is the preferred means and end in striving towards a more humane, peaceable, and civilized culture. A critical review of paternalism in moral theology and in European politics and regulation calls for Conscience Clauses in European national and transnational legislation and regulation. ISBN 3-931993-13-2 Hans-Martin Sass ist Professor für Philosophie an der Ruhr Universität in Bochum und Senior Research Scholar am Kennedy Institute of Ethics der Georgetown Universität in Washington DC. Er hat Philosophie, evangelische Theologie und Geistesgeschichte in Erlangen, Marburg und Münster studiert. Herausgeber: Prof. Dr. med. Burkhard May Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass Prof. Dr. med. Herbert Viefhues Zentrum für Medizinische Ethik Bochum Ruhr-Universität Gebäude GA 3/53 44780 Bochum TEL (0234) 32-22749/50 FAX +49 234 3214-598 Email: [email protected] Internet: http://www.medizinethik-bochum.de Inhalt: Menschliche Ethik im Streit der Kulturen Die kleine Stadt am Berg Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge deckt sich nicht immer mit der Auffassung des ZENTRUMS FÜR MEDIZINISCHE ETHIK BOCHUM. Er wird allein von den Autoren verantwortet. Das Copyright liegt beim Autor. © Hans-Martin Sass Schutzgebühr: Bankverbindung: ISBN 3-931993-13-2 € 6,00 Sparkasse Bochum Kto.Nr. 133 189 035 BLZ: 430 500 01 Heft 132 MENSCHLICHE ETHIK IM STREIT DER KULTUREN Hans-Martin Sass 2. Auflage Januar 2003 Bestellschein An das Zentrum für Medizinische Ethik Ruhr-Universität Bochum Gebäude GA 3/53 44780 Bochum Tel: (0234) 32 22749 /50 FAX: (0234) 3214 598 Email: [email protected] Homepage: http://www.medizinethik-bochum.de Bankverbindung: Konto Nr. 133 189 035, Sparkasse Bochum BLZ 430 500 01 Name oder Institut: Adresse: ( ) Hiermit abonniere(n) wir/ich die Reihe MEDIZINETHISCHE MATERIALIEN zum Sonderpreis von € 4,00 pro Stück ab Heft Nr.____. Dieser Preis schließt die Portokosten mit ein. ( ) Hiermit bestelle(n) wir/ich die folgenden Einzelhefte der Reihe MEDIZINETHISCHEN MATERIALIEN zum Preis von € 6,00 (Bei Abnahme von 10 und mehr Exemplaren € 4,00 pro Stück). Hefte Nummer: ____________________________________________ Zentrum für Medizinische Ethik Medizinethische Materialien Die unterstrichenen Hefte sind derzeit leider vergriffen und nicht lieferbar. Heft 74: Kielstein, Rita; Sass, Hans-Martin: Ethik in der klinischen Forschung. April 1992. Heft 75: Viefhues, Herbert: Behinderung und Ungestalt - zugleich ein diskursanalytischer Versuch zur medizinischen Ethik -. Juni 1992. Heft 76: Sass, Hans-Martin; Kielstein, Rita: Die Wertanamnese. Methodische Überlegungen und Bewertungsbogen für die Hand des Patienten. 2. überarb. Aufl. Dezember 1992. Heft 77: Uhlenbruck, Wilhelm: Selbstbestimmung im Vorfeld des Sterbens - rechtliche und medizinische Aspekte. September 1992. Heft 78: Sass, Hans-Martin: Informierte Zustimmung als Vorstufe zur Autonomie des Patienten. September 1992. Heft 79: Tausch, Reinhard: Vergeben. Von der Bedeutung des Vergebens in zwischenmenschlichen Beziehungen, auch in der Medizin. Mai 1993. Heft 80: Schara, Joachim: Patientenaufklärung vor Krebsschmerztherapie. Juni 1993. Heft 81: Sass, Hans-Martin; Kielstein, Rita: Wertanamnese und Betreuungsverfügung. 3. überarb. Aufl. Juli 1995. Heft 82: Kielstein, Rita: Klinik, Genetik und Ethik der autosomal dominant polyzystischen Nierenerkrankung. 2. überab., erw. Aufl. März 1995. Heft 83: Ilkilic, Ilhan: Der Bochumer Arbeitsbogen und der türkische Patient. Pratik Tip Etigi Icin Bochum Calisma Tablosu Ve Türk Hastasi. Juli 1993. Heft 84: Materialien zur Erstellung von wertanamnestischen Betreuungsverfügungen. Eingeleitet und zusammengestellt von R. Kielstein, H.-M. Sass. Übersetzt von S. Eschen. 3. Aufl. September 1995. Heft 85: Timmermann, Jens: Das Thema Sterbehilfe in Thomas Morus' "Utopia". November 1993. Heft 86: Tausch, Reinhard: Sinn-Erfahrungen. Förderung, Chancen und Grenzen bei Betroffenen und Helfenden. November 1993. Heft 87: Vliegen, Josef: Moderne Psychiatrie und ihr Bild vom Menschen. Dezember 1993. Heft 88: Hinrichsen, K.V. (Hg.): Sterben und Schwangerschaft. Mit Beiträgen von M. Bissegger, K. Hinrichsen, E. Reichelt, H.-M. Sass, K.-E. Siegel, I. Wolf. 3. Aufl. Juni 1994. Heft 89: Sass, Hans-Martin: Die Würde des Gewissens und die Diskussion um Schwangerschaftsabbruch und Hirntodkriterien. 3. Aufl. Juni 1994. Heft 90: Jakobs, Günther: Geschriebenes Recht und wirkliches Recht beim Schwangerschaftsabbruch. März 1994. Heft 91: Sass, Hans-Martin: Ethische und bioethische Herausforderungen molekulargenetischer Prädiktion und Manipulation. 2. Aufl. Juni 1994. Heft 92: Sass, Hans-Martin: Hippokratisches Ethos und Nachhippokratische Ethik. Juni 1994. Heft 93: Koch, Hans-Georg; Sass, Hans-Martin; Meran, Johannes Gobertus: Patientenverfügung und Stellvertretende Entscheidung in rechtlicher, medizinischer und ethischer Sicht. 3. Auflage April 1996. Heft 94: Fuchs, Christoph: Allokation der Mittel im Gesundheitswesen - Rationalisierung versus Rationierung. Juni 1994. Heft 95: Schroeder-Kurth, Traute: Das "Slippery Slope"- Argument in der Medizin und Medizinethik. Dezember 1994. Heft 96: Pohlmeier, Hermann: Selbstmordverhütung - Zur Ethik von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Dezember 1994. Heft 97: Epplen, Jörg T.; Rieß, Angelika; Rieß, Olaf: DNA-Diagnostik in der Humangenetik: Voraussetzungen und Tendenzen. März 1995. Heft 98: Stotz, Gabriele: Theoretische und ethische Probleme der psychiatrischen Diagnose. März 1995. Heft 99: Vollmann, Jochen: Fürsorgen und Anteilnehmen: Ethics of Care. April 1995. Heft 100: Hinrichsen, Klaus V.; Sass, Hans-Martin: 10 Jahre Zentrum für Medizinische Ethik. Juni 1996. Heft 101: Schreiber, Hans-Ludwig: Die Todesgrenze als juristisches Problem - Wann darf ein Organ entnommen werden? Juli 1995. Heft 102: Hartmann, Fritz: Lebens- und Hilfeleistungen im Sterben. 2. Aufl. Februar 1995. Heft 103: Kielstein, Rita (Hg.): Ethische Aspekte in der Nephrologie. 2. Aufl. Februar 1995. Heft 104: Bernat, Erwin: Antizipierte Erklärungen und das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Januar 1996. Heft 105: Richter, Gerd; Schmid, Roland M.: Ethische Perspektiven der Gentherapie 1995. Januar 1996. Heft 106: Bauer, Axel: Braucht die Medizin Werte? Gedanken über die methodologischen Probleme einer „Bioethik“. März 1996. Heft 107: Tausch, Reinhard: Empirische Untersuchungen zu Sinn-Erfahrungen und Wertauffassungen. Juli 1996. Heft 108: Sass, Hans-Martin: Ethik-Unterricht im Medizinstudium; Methoden, Modelle und Ziele der Integration von Medizinethik in die medizinische Aus- und Fortbildung. August 1996. Heft 109: Meyer, Frank P.: Salus aegroti suprema lex; Probleme klinischer Studien aus der Sicht eines Mitgliedes einer Ethikkommission - Schwerpunkt Onkologie. August 1996. Heft 110: Sass, Hans-Martin: Reform von Gesundheitswesen und Krankenhäusern in verantwortungsethischer Perspektive. August 1996. Heft 111: Sass, Hans-Martin, Kielstein, Rita: Die medizinische Betreuungsverfügung in der Praxis. Vorbereitungsmaterial, Modell einer Betreuungsverfügung, Hinweise für Ärzte, Bevollmächtigte, Geistliche und Anwälte. 7. Auflage Dezember 2000. Heft 112: Spittler, Johann F.: Sterbeprozess und Todeszeitpunkt - Die biologischen Phänomene und ihre Beurteilung aus medizinischer Sicht. August 1996. Heft 113: May, Arnd; Gawrich, Stefan; Stiegel, Katja: Empirische Erfahrungen mit wertanamnestischen Betreuungsverfügungen. 2. Auflage Juli 1997. Heft 114: Biller, Nikola: Der Personbegriff in der Reproduktionsmedizin. September 1997. Heft 115: Kaminsky, Carmen: Gesagt, gemeint, verstanden? Zur Problematik der Validität vorsorglicher Patientenverfügungen. Oktober 1997. Heft 116: Baumann, Eva: Gesellschaftliche Konsensfindung und Humangenetik. Oktober 1997. Heft 117: May, Arnd: Betreuungsrecht und Selbstbestimmung am Lebensende. September 1998. Heft 118: Zülicke, Freddy: Chancen und Risiken von Gentechnik und Reproduktionsmedizin. September 1998. Heft 119: Meyer, Frank P.; Sass, Hans-Martin: Klinische Forschung 2000. Oktober 1998. Heft 120: Grossmann, Wilfried; Maio, Giovanni, Weiberg, Anja: Ethik im Krankenhausalltag Theorie und Praxis. Oktober 1998. Heft 121: Das Ulmer Modell medizinethischer Lehre: Sponholz, Gerlinde; Allert, Gebhard; Keller, Frieder; Meier-Allmendinger, Diana; Baitsch, Helmut: Sequenzierte Falldiskussion für die praxisnahe Vermittlung von medizinethischer Kompetenz (Ethikfähigkeit); Uhl, Andreas; Lensing; Claudia: Perspektiven und Gedanken zur medizinethischen Ausbildung. August 1999. Heft 122: Schmitz, Dagmar; Bauer, Axel W.: Evolutionäre Ethik und ihre Rolle bei der Begründung einer zukünftigen Medizin- und Bioethik. März 2000. Heft 123: Hartmann, Fritz: Chronisch Kranksein als Grenzlage für Kranke und ihre Ärzte. März 2000. Heft 124: Baberg, Henning T.; Kielstein, Rita; Sass, Hans-Martin (Hg.): Der Behandlungsverzicht im Blick des Bochumer Inventars zur medizinischen Ethik (BIME). April 2000. Heft 125: Spittler, Johann F.: Locked-in-Syndrom und Bewusstsein – in dubio pro vita. August 2000. Heft 126: İlkılıç, İlhan: Das muslimische Glaubensverständnis von Tod, Gericht, Gottesgnaden und deren Bedeutung für die Medizinethik. September 2000. Heft 127: Maio, Giovanni: Ethik und die Theorie des "minimalen Risikos" in der medizinischen Forschung. September 2000. Heft 128: Zenz, Michael; Illhardt, Franz Josef: Ethik in der Schmerztherapie. November 2000. Heft 129: Godel-Ehrhardt, Petra; May, Arnd T.: Kommunikation und Qualitätssicherung im Betreuungsrecht – Ergebnisse einer Befragung zur Mailingliste [email protected]. März 2001. Heft 130: Dabrock, Peter; Klinnert, Lars: Würde für verwaiste Embryonen? Ein Beitrag zur ethischen Debatte um embryonale Stammzellen. Juli 2001. Heft 131: Meyer, Frank P.: Ethik der Verantwortung. Verkommt »Evidence Based Medicine« zu »Money Based Medicine«? März 2002. Heft 132: Sass, Hans-Martin: Menschliche Ethik im Streit der Kulturen. 2. Auflage Januar 2003. Heft 133: Knoepffler, Nikolaus: Menschenwürde als Konsensprinzip für bioethische Konfliktfälle in einer pluralistischen Gesellschaft. März 2002. Heft 134: Quante, Michael: Präimplantationsdiagnostik, Stammzellforschung und Menschenwürde. März 2002. Heft 135: Köchy, Kristian: Philosophische Grundlagenreflexion in der Bioethik. März 2002. Heft 136: Hengelbrock, Jürgen: Ideengeschichtliche Anmerkungen zu einer Ethik des Sterbens. Juli 2002. Heft 137: Schröder, Peter: Vom Sprechzimmer ins Internetcafé: Medizinische Informationen und ärztliche Beratung im 21. Jahrhundert. Juli 2002. Heft 138: Zühlsdorf, Michael T. und Kuhlmann, Jochen: Klinische und ethische Aspekte der Pharmakogenetik. August 2002 Heft 139: Frey , Christofer und Dabrock, Peter: Tun und Unterlassen beim klinischen Entscheidungskonfliktfall August 2002