PDF-Download - Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie eV

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Conrad Wilhelm Hase und die Neugotik
Zum Geleit
In jeder Epoche gab es Persönlichkeiten unter den Baumeistern, welche die Baukunst und die Bauweise ihrer Zeit maßgeblich beeinflussten.
Zu ihnen gehören auch jene, die das Bauen mit Ziegeln weiterentwickelten und
Meisterwerke der Architektur schufen.
Die von ihnen geschaffenen Bauwerke gehören heute zu unserem kulturellen Erbe
und künden von der Nachhaltigkeit des Baustoffs Ziegel.
Mehrere dieser Baumeister und Architekten haben wir in früheren Broschüren dieser
Reihe gewürdigt, beispielsweise:
• Hinrich Brunsberg und die spätgotische Backsteinarchitektur in der
Mark Brandenburg
• Karl Friedrich Schinkel und die Wiederbelebung der norddeutschen
Backsteingotik in Berlin
• Richard Brademann – der Architekt der Ziegelbauten für die Berliner S-Bahn
Das nun vorliegende Heft widmet sich einem nicht weniger bedeutenden und
einflussreichen Architekten Norddeutschlands:
• Conrad Wilhelm Hase
Sein Einfluss auf die norddeutsche Architektur im 19. Jahrhundert ist trotz vieler im
Zweiten Weltkrieg zerstörter Gebäude noch deutlich erkennbar.
„Er hat den Ziegel als Fassadenelement wieder hoffähig gemacht. Ohne ihn wären
vermutlich die prachtvollen expressionistischen Backsteingebäude der 1920er
Jahre wie das Chilehaus, der Sprinklerhof in Hamburg oder das Anzeiger-Hochhaus in Hannover kaum denkbar,“ ist sich der Autor dieser Broschüre sicher.
Unseren Mitgliedern, Partnern und allen Freunden des Ziegels wünschen wir frohe
Festtage und ein erfolgreiches neues Jahr.
Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie e.V., Bonn
Titelfoto: Altes Rathausin Hannover, Südwestgiebel
Links und Rückseite: Diverse Zierbänder an Häusern
Conrad Wilhelm Hase – einflussreicher Archikekt des
Backsteinbaus
Sein Name ist Hase, Conrad Wilhelm Hase. Als er am 2. Oktober 1818 als zehntes
Kind des Steuereinnehmers Heinrich Adam Carl Hase in Einbeck zur Welt kam,
konnte noch niemand ahnen, dass er zum einflussreichsten Architekten des
19. Jahrhunderts in Niedersachsen und ganz Norddeutschland werden würde. Er
war maßgeblich daran beteiligt, dass der Ziegel als Fassadenstein salonfähig
wurde. Gleichzeitig führte die Rückbesinnung und Neuinterpretation der Gotik zu
einer Vielfalt der Formsteine und glasierten Ziegel. Seine Architektur und die seiner
Schüler setzte sich deutlich vom mit Stuckverzierungen überladenen Klassizismus
der Gründerzeit ab.
Nach dem Abschluss des Progymnasiums begann C. W. Hase 1834 das Studium
der Baukunst in Hannover, das er 1838 abschloss. Die Bemühungen um einen
Arbeitsplatz im Baugewerbe verliefen zunächst erfolglos, so dass er nach Einbeck
zurückkehrte. Sein Architekturlehrer aus Hannover, Ernst Ebeling, empfahl
C. W. Hase, eine Maurerlehre aufzunehmen. Nachdem er 1840 erfolgreich seine
Gesellenprüfung abgelegt hatte, ging Hase auf die Walz mit dem Ziel München.
Dort fand er Arbeit als Maurer bei Leo von Klenze. Der wiederum war ein berühmter
Architekt des Klassizismus.
Als die Stadt Einbeck C. W. Hase ein Architekturstudium an der Münchener Akademie ermöglichte, kam er mit dem Rundbogenstil von Friedrich von Gärtner in
Kontakt. Von Gärtner hatte die klassizistische Formensprache weiterentwickelt,
lehnte verputzte Fassaden ab und benutzte Ziegel als Verblendsteine.
Der Hannoversche Stadtplaner und Hofbaumeister Georg Ludwig Friedrich Laves
hatte den Auftrag übernommen, ein Mausoleum für die Familien Carl August von
Alten zu entwerfen. Von Alten hatte sich in
den napoleonischen Kriegen große Verdienste erworben. Er war u. a. Teilnehmer
der Schlacht bei Waterloo und kämpfte
mit dem Herzog von Wellington in vorderster Linie. Für seine Tapferkeit ernannte man ihn zum General und erhob
ihn in den Adelsstand.
Laves entwarf für das Familiengrab ein
Gebäude im Stile der Gotik. In England
Abb. 01
Abb. 01: Mausoleum in Hemmingen
hatte bereits 1806 der Architekt John Claudius Loudon die Neugotik als Universalstil propagiert. Auch die Wiederbelebung der Kölner Dombauhütte, aus der auch
Lehrwerkstätten hervorgingen, trug dazu bei, die Gotik wieder gesellschaftsfähig
zu machen. So wurde das Mausoleum zum ersten Bau der Neugotik, die später
auch als Hannoversche Schule bekannt wurde.
Zurück in Hannover arbeitete C. W. Hase zunächst als Maurer und Bauführer bei
seinem Lehrmeister, dem Maurermeister Christoph August Gersting. Der hatte die
Aufgabe von Laves übernommen, das Mausoleum zu bauen und übertrug
C. W. Hase die Aufgabe des Poliers. Um 1840 waren die Techniken der Ziegelherstellung noch vergleichsweise einfach. Handstrichziegel und einfache Ofentechnik
waren charakteristisch. So formte Hase persönlich einige Schmuckelemente und
signierte sie eigenhändig.
Leider ist das Mausoleum in Hemmingen bei Hannover nach 1950 zu einer Ruine
verkommen, mehrfach sind Baumaterialien geplündert worden, so dass von dem
Schlüsselbau der Neugotik nur klägliche Reste im dichten Wald zu finden sind.
Auch die von Hase signierten Steine sind Sammlern zum Opfer gefallen.
C. W. Hase hatte sich am Ende seines Studiums in München auf den Eisenbahnbau spezialisiert. Das erwies sich jetzt als Vorteil und 1843 konnte er die Stelle des
Bauführers der Königlich Hannoverschen Staatseisenbahn antreten. Als die neue
Bahnstrecke von Hannover nach Göttingen geplant wurde, zeichnete er sechs von
19 neuen Bahnhöfen, darunter auch den in Elze.
Abb. 02
Abb. 03
Das 1853-54 erbaute Gebäude im Rundbogenstil zeigt deutlich den Einfluss
seines Professors in München. Deutlich wird aber auch seine Vorliebe für Verblendziegel. In den Simsen, Gurtbändern und Friesen werden Schmuckelemente übernommen und später weiterentwickelt, wie sie bereits in der Gotik des 15. Jahrhunderts Verwendung fanden.
Abb. 02: Fries am Bahnhof Elze
Abb. 03: Bahnhof Elze
Abb. 04
Auch der Entwurf für das Museum für Kunst und Wissenschaft in Hannover 1852
war in der Tradition des Rundbogenstils. C. W. Hase gewann die Ausschreibung
und König Georg V. legte am 27. Mai 1853 den Grundstein.
Mit diesem Bau wurde C. W. Hase über Hannover hinaus bekannt. Aber es war sein
letzter Bau im Rundbogenstil, denn nach 1853 entwickelte er sich zu einem kompromisslosen Neugotiker.
Das Gebäude wurde am 8. Oktober 1943 durch Bomben schwer beschädigt und
anschließend nur zum Teil wieder aufgebaut. Erst 1999 entschloss man sich, das
Gebäude nach den originalen Plänen wieder herzustellen, so dass die Fassade
heute im alten Glanz erstrahlt.
C. W. Hase hatte seit 1863 die Position des Konsistorialbaumeisters der Hannoverschen Landeskirche und konnte seine gotische Stilauffassung für Kirchen
wirkungsvoll umsetzen. Nicht nur die Restaurierung, Ergänzung oder Erweiterung
von Kirchen, sondern zahlreiche neugotischen Kirchen selbst stammen aus seiner
Feder, so auch die 1878-1880 erbaute St. Johanneskirche in Tostedt. In ihren Ausmaßen ist sie für eine Kleinstadt verblüffend groß. Sie ist eine Mischung von Hallenkirche und Basilika mit dem typisch gotischen Kreuzrippengewölbe. Ungewöhnlich
sind die aufwändig gemauerten Seitenemporen. Sie enden in einer angedeuteten
Vierung und betonen so den Raum für die Kanzel und den Chorraum mit Altar als
Zentrum des Gottesdienstes. Die Detailaufnahme einer Säule zeigt, wie kompliziert
die Säulen gemauert sind. Zahllose Formsteine mussten per Hand geschnitten und
geformt werden, die Vorlagen dazu hatte C. W. Hase in genauen Profilzeichnungen
geliefert.
Abb. 04: Museum für Kunst und Wissenschaft in Hannover
Abb. 05
Abb. 07
Abb. 06
Abb. 08
Auch das Kirchengestühl und die Kronleuchter sind nach seinen Entwürfen gearbeitet.
Große Anerkennung erwarb sich C. W. Hase mit der Restaurierung des mittelalterlichen Rathauses in Hannover. Noch 1826 wollte Stadtbaudirektor Wilhelm
Rumann das Rathaus abreißen, scheiterte mit den Plänen aber an dem Bürgervorsteher-Kollegium. C. W. Hase legte einen überzeugenden Plan vor, wie der alte Teil
des Rathauses behutsam restauriert werden konnte. Dabei verzichtete er darauf,
dem Bau seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Zwischen 1877 und 1882
rekonstruierte Hase in mehreren Bauphasen den mittelalterlichen Bau und ergänzte ihn mit einem passenden neugotischen Anbau.
Die dabei verwendeten Ziegel waren den mittelalterlichen so gut nachempfunden,
dass eine Unterscheidung heute kaum möglich ist. Mit den Wimpergen, glasierten
Ziegeln und Zierfriesen knüpfte er unmittelbar an die hansische Bautradition der
Gotik an.
Abb. 05: Kirche in Tostedt
Abb. 06: Kirche Innenraumaufnahme
Abb. 07: Säulendetail
Abb. 08: Kirchenbänke
Bei den Einweihungsfeiern
1882 versammelten sich
345 Stadtbauräte und
Fachleute im neu gestalteten Ratshaussaal. Sie
müssen beeindruckt gewesen sein, denn in vielen
Städten ist ein Umdenken
zu beobachten. Statt Abriss und Neubau entschieden sich Städte immer
häufiger zur Rekonstruktion der alten Bausubstanz.
Abb. 09
Das 19. Jahrhundert war geprägt durch eine rasante Bevölkerungszunahme, die
Industrialisierung und das explosionsartige Wachstum der Städte. Neue Gebäude
schossen wie Pilze aus dem Boden. Viele Architekten waren an den Aufbauleistungen beteiligt, aber keiner war so einflussreich wie C. W. Hase. Es stellt sich die
Frage: Warum?
Conrad Wilhelm Hase war Zeit seines Lebens immer ein sehr
geselliger Mensch. Er versuchte nicht nur seine Schüler um
sich zu scharen, sondern gründete oder leitete wichtige Vereine und war Mitglied in zahllosen Organisationen.
Seine einflussreichste Position aber erhielt Hase am 1. Dezember 1849. Der Wiener Karl Karmasch hatte in Hannover 1831
die Polytechnische Anstalt gegründet. Sie war eine von mehreren Baufachschulen. Bisher war das Maurerhandwerk auf die
Abb. 10
langjährigen Erfahrungen der Maurermeister gegründet. Im
Zuge der großen Bautätigkeit im 19. Jahrhundert gab es die Notwendigkeit zur
Verwissenschaftlichung der Baugewerke. Nicht mehr eine auf tradierten Erfahrungen, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Ausbildung war
gefragt. In den neu entstehenden Baugewerkschulen wurden Maurer oder Architekten erstmals gründlich und einheitlich ausgebildet. Ein Lehrfach war die Kunst
und das Entwurfszeichnen. Jeder Maurer sollte auch zum Teil ein Künstler sein.
C. W. Hase vertrat zunächst die Stelle in Hannover als Architekturlehrer, nachdem
der Lehrer für Baukunst, Friedrich Osten, überraschend gestorben war.
Abb. 09: Rathaus Hannover, neuer Anbau
Abb. 10: Portrait von C. W. Hase
1851 wurde er offiziell eingestellt. In dieser Position hatte Hase einen erheblichen
Einfluss auf seine Schüler. Zwischen 1849 und 1894 hat er ca. 3.500 Schüler ausgebildet, davon wurden etwa 1.000 Architekten. Haseschüler waren Professoren
an Universitäten, in 12 Städten Lehrer an Baugewerkschulen. 25 Baudirektoren in
deutschen Städten waren Haseschüler und vermutlich über 500 frei arbeitende
Architekten. Alle hatten seine Veranstaltungen zur Stilkunde belegt und waren von
seinen Vorstellungen der Gotik beeinflusst.
Auch der Leiter der Baudeputation in Hamburg, Architekt und Ingenieur Franz
Andreas Meyer, war ein Haseschüler. Er war mit dem Bau der Hamburger Speicherstadt beauftragt, die seit 1883 im Hafen entstand. Er setzte durch, dass nur
Architekturbüros mit Haseschülern Aufträge bekamen, denn er wollte einen Speicherkomplex in neugotischer Form. Trotz einiger Bombenschäden präsentiert sich
die Speicherstadt heute immer noch in imposanter einheitlicher Form. Die Speicherblöcke X und V am Kehrwiederfleet mit ihren Treppentürmen und den mit Takelbalken gekrönten Reihen der Ladeluken bieten ein imposantes Bild im größten
zusammenhängenden Speicherkomplex der Welt.
Abb. 11
Abb. 12
Auch der Speicher am Zollkanal, fast schon ein gotisches Rathaus, zeugt vom
Stolz hansischer Kaufleute.
Es sind aber weniger die repräsentativen Einzelbauten, die die Hannoversche
Schule oder die „Hasik“ so bekannt machten. Vielmehr sind es die zahllosen
Maurermeister, die bei C. W. Hase studiert und gelernt hatten, wie man mit sehr
einfachen Mitteln aus Ziegeln Zierfriese und Ornamente an den Außenwänden
gestaltete. Auch wenn die gotischen Spitzfenster aufgrund ihrer Form in Etagenhäusern die Ausnahme blieben, finden sich Bänder, Friese oder Ornamente in vielfältiger Form.
Abb. 11: Speicherblöcke X und V in Hamburg
Abb. 12: Speicher am Zollkanal in Hamburg
Abb. 13
Das gesamte Werk von C. W. Hase zu erfassen, fällt schwer, derzeit sind es 340
Gebäude. Leider wurde sein Archiv in der Hasenburg, seinem 1860-61 natürlich in
der Neugotik erbauten Privathaus, durch Bomben zerstört. Auch viele neugotische
Häuser sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Dennoch ist der Einfluss von
Conrad Wilhelm Hase überall zu sehen. Er hat den Ziegel als Fassadenelement
wieder hoffähig gemacht. Ohne ihn wären vermutlich die prachtvollen expressionistischen Backsteingebäude der 1920er Jahre wie das Chilehaus, der Sprinkenhof in
Hamburg oder das Anzeiger-Hochhaus in Hannover kaum denkbar.
Die Ziegler haben das Material dafür geliefert. Denn ohne die Entwicklung der Produktionstechnik und eine leistungsfähige Ziegelindustrie wären die wunderschönen
Gebäude wohl kaum gebaut worden.
Abb. 13: Wohnhäuser in Lüneburg
Abb. 14
Impressum
Quellen:
http://glass-portal.privat.t-online.de/cwhase/biografie.htm
http://glass-portal.privat.t-online.de/cwhase/werke_a.htm
http://glass-portal.privat.t-online.de/cwhase/literatur.html
Dahms, G.; Wiese, G.; Wiese, R. (Hrsg.) 1999: Stein auf Stein; Ländliches Bauen zwischen
1870 und 1930;
Kokkelink, G., Lemke-Kokkelink, M. 1998: Baukunst in Norddeutschland. Architektur und
Kunsthandwerk der Hannoverschen Schule 1850 – 1999, Hannover;
Maak, Karin 1985: Die Speicherstadt im Hamburger Freihafen, Hamburg
Text: Dr. Martin Pries, Lüneburg; [email protected]
Bildnachweis: Abb. 1-9, 11-14 Dr. Martin Pries; Abb. 10 entnommen aus: Kokkelink, G.,
Lemke-Kokkelink, M. 1998: Baukunst in Norddeutschland. Architektur und Kunsthandwerk der
Hannoverschen Schule 1850 – 1900, Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hannover
Redaktion: Dr. Wolfgang Müller, Weimar; [email protected]
Layout: Eva Weeger, Bonn; [email protected]
Herausgeber: Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie e. V., Bonn, 2013
www.ziegel.de
Abb. 14: Wohnhaus in Lüneburg
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