Landtagswahl in Baden-Württemberg 27. März 2011 Zeitenwende in Stuttgart der Befragten „Zeit für neue Parteien an der Regierung“. Diese Wechselstimmung wird verstärkt durch das Top-Thema Atomkraft: Auch wenn das Moratorium die CDU wohl vor noch größerem Schaden bewahrt hat und nur 20% der CDU-Anhänger (alle Befragten: 10%) für die Laufzeitenverlängerung bis 2035 sind, sehen 67% im Kurswechsel von Regierungschef Mappus (CDU) ein wahltaktisches Manöver. Lediglich 18% fühlen sich beim Thema Atomkraft von der CDU, aber 53% von den Grünen am besten vertreten. Resultat ist eine im CDU- und FDP-Stammland bislang atypische Koalitionspräferenz: „Gut“ fänden 47% Rot-Grün und 44% Grün-Rot, aber nur noch 32% Schwarz-Gelb. In Baden-Württemberg ist die politische Landschaft nicht mehr die alte: Zwar bleibt die CDU auch nach fast 60 Jahren stärkste Partei, hat aber genau wie die FDP klare Verluste. 39,0% für die CDU (-5,2) bzw. 5,3% für die FDP (-5,4) bedeuten jeweils das schlechteste Ergebnis seit der Gründung des Landes. Wahlergebnis Landtagswahl Baden-Württemberg Anteile der Stimmen in Prozent Ergebnis in % Gewinne und Verluste 39,0 24,2 23,1 12,5 5,3 CDU SPD 0,5 -0,3 -2,1 -5,2 Bewertung von Koalitionsmodellen 5,6 2,8 CDU FDP -5,4 GRÜNE FDP LINKE 49 eher nein Mappus‘ Haltung zur Atomkraft: „Hat er nur wegen der Wahl geändert.“ 8 CDU/FDP-Regierung: „Kümmert sich zu wenig um die Belange der Bürger.“ 8 SPD: „Man weiß nicht genau, wofür sie in Baden-Württemberg steht.“ 12 Regierung aus SPD und GRÜNEN: „Würde wirtschftl. Stärke gefährden.“ 17 eher ja voll und ganz 24 24 32 gut schlecht egal 34 gut schlecht egal gut schlecht egal Dass die CDU dennoch stärkste Kraft bleibt, verdankt sie einer treuen, überwiegend älteren Wählerschaft, in der die Verbundenheit mit der Traditionspartei noch relativ viel Bedeutung hat. Hinzu kommt ein Standortvorteil: In einem Bundesland mit ökonomischer Spitzenposition, das 87% der Befragten besser aufgestellt sehen als die anderen West-Bundesländer, attestieren die Bürger der CDU bei Wirtschaft und Jobs nach wie vor den eindeutig höchsten Sachverstand. w.n. Parteikompetenzen CDU 20 20 14 Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl 03/11 Atomkraft 23 36 8 32 29 47 45 16 43 32 44 32 Aussagen zur Politik in Baden-Württemberg überhaupt nicht SPD GRÜNE Sonstige Spektakulärer Gewinner sind die Grünen, die mit Zuwächsen von 12,5 Prozentpunkten das stärkste Plus in ihrer Parteigeschichte und mit 24,2% ihr mit Abstand bestes Ergebnis bei Landtagswahlen erzielen. Erstmals liegen die Grünen knapp vor der SPD, die im Südwesten mit 23,1% genau wie CDU und FDP auf ein Rekordtief sinkt, aber trotz der grünen Rekorde nicht einbricht. Die Linke bleibt mit 2,8% (-0,3) sehr schwach, die sonstigen Parteien kommen auf 5,6% (+0,5). Die Wahlbeteiligung – 2006 auf ein Rekordtief eingebrochen – steigt auf 66,2% (+12,8). Zustimmung: GRÜNE SPD Stuttgart 21 18 Bildung/Schule Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl 03/11 Die Hauptgründe für den Wahlausgang liegen zunächst vor Ort: Nach heftigen Imageverlusten von CDU und FDP im Land, einer mageren Regierungsbilanz, einem wenig beliebten Ministerpräsidenten und mehreren polarisierenden Politikinhalten ist es für 57% Arbeitsplätze Wirtschaft Zukunft SPD 18 FDP 11 33 27 keine 4 12 40 25 43 20 22 w.n. 3 28 32 36 LINKE 53 12 Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl 03/11 1 GRÜNE 12 22 5 8 18 9 14 4 13 16 14 8 16 Bei „Stuttgart 21“ sowie Bildung und Schule, hinter Atomkraft beherrschende Landesthemen, hat die CDU dagegen Defizite, die exemplarisch für die Leistungsbilanz insgesamt stehen: Auf der +5/-5-Skala wird die CDU-Kabinettsarbeit nach 1,2 vor fünf Jahren jetzt nur noch mit 0,5 bewertet. Die FDP fällt von +0,5 auf -0,4. Und während sich die Regierung für 64% „zu wenig um die Belange der Bürger kümmert“, haben sich die Grünen in der Opposition auf 0,6 (2006: 0,0) verbessert. Die SPD – ebenfalls bezeichnend – stagniert bei 0,6 (2006: 0,6), und 49% meinen, „man weiß nicht genau, wofür die SPD in Baden-Württemberg steht“. CDU fast eingeholt, erzielen bei den 30- bis 44Jährigen 32% (+14) und bei den 45- bis 59-jährigen 31% (+16), und liegen so mit Ausnahme der ab 60Jährigen jetzt überall vor der SPD. Wahlentscheidung in den Altersgruppen CDU Wahlergebnis Gewünschter Ministerpräsident Mappus oder Schmid SPD 39,0 FDP LINKE 23,1 24,2 18-29 Jahre 33 21 26 30-44 Jahre 33 19 32 45-59 Jahre 32 23 60 J. u. älter Mappus oder Kretschmann GRÜNE 5,3 2,8 5,6 13 5 31 49 Sonstige 26 8 5 15 5 6 Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag in Baden-Württemberg, 27.03.2011 33 37 36 24 32 6 Mappus Schmid keiner von beiden Bei Männern kommen die Grünen auf 23%, bei Frauen auf 27%. Insbesondere wählen mit 35% die 30- bis 44jährigen Frauen grün. Stärkste Partei werden die Grünen unter anderem bei Wählern mit Hochschulabschluss (36%) oder knapp in Großstädten mit über 100.000 Einwohnern (31%). Bei Selbstständigen sind die Grünen mit 27% (+16) dreimal so stark wie die FDP, die hier auf 9% (-10) einbricht. 26 6 weiß nicht Mappus Kretschmann keiner von beiden weiß nicht Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl 03/11 Ein signifikantes Manko für Schwarz-Gelb ist schließlich die Kabinettsspitze: Stefan Mappus, dem 46% einen schlechten Job bescheinigen (gut: 41%), ist erst der zweite Regierungschef in einem Bundesland überhaupt mit negativer Gesamtbilanz und einem negativen Imagewert von -0,2, der auf scharfer Polarisierung sowie einem starken Glaubwürdigkeits- und Sympathiedefizit basiert. Nils Schmid (SPD) kommt auf 1,1, wird lagerübergreifend positiv bewertet und liegt mit 37% in der Frage nach dem gewünschten Ministerpräsidenten sogar vor Mappus mit nur 33%. In der Konstellation Mappus versus Winfried Kretschmann (Grüne), beim Ansehen mit 1,0 ebenfalls positiv, geben 36% dem Amtsinhaber und 32% Kretschmann den Vorzug. In diesem Kontext meinen nur 39%, dass die Grünen samt Ministerpräsident eine Regierung führen können, 58% bezweifeln eine grüne Regierungsfähigkeit. Wahlentscheidung in den Bildungsgruppen CDU Wahlergebnis SPD 39,0 Hauptschulabschluss Mittlere Reife Hochschulreife Hochschulabschluss GRÜNE FDP 23,1 47 31 24,2 27 39 34 LINKE 21 20 5,3 2,8 5,6 13 23 24 31 36 Sonstige 5 6 5 6 5 6 7 Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag in Baden-Württemberg, 27.03.2011 Bei einer Wahl, bei der für 57% der Wähler die Landes- und für 38% die Bundespolitik wichtiger war, ist die bundespolitische Komponente zwar relativ schwach, aber keinesfalls unbedeutend. Parallelen zum Bund gibt es beim Koalitionsmodell, in Teilen der Sozialstruktur sowie in politischen Grundsatzfragen, wo in Baden-Württemberg hohe Unzufriedenheit mit schwarz-gelber Politik eine starke Mobilisierung zugunsten des linken Lagers bewirkt hat und die Wähler ein klares Zeichen auch nach Berlin abgegeben haben. Ihren Wahlsieg verdankt die CDU einmal mehr der altersspezifisch stärksten Gruppe der ab 60-jährigen Wähler. Hier holt die CDU 49%, in allen anderen Altersgruppen liegt sie weit unter ihrem Gesamtergebnis. In den mittleren Altersgruppen haben die Grünen die Herausgeber: Forschungsgruppe Wahlen e.V. 68011 Mannheim, Postfach 10 11 21, Tel.: 0621/1233-0, FAX: 0621/1233-199 Internet: www.forschungsgruppe.de E-Mail: [email protected] Die Zahlen basieren auf einer telefonischen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen unter 1.454 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten in Baden-Württemberg in der Woche vor der Landtagswahl sowie auf einer Befragung unter 20.549 Wählern am Wahltag. Weitere Grafiken und Berichte zur Landtagswahl finden Sie auch im Web unter: www.heute.de. Nächstes bundesweites Politbarometer Freitag, den 01.04.2011. Rundungsbedingte Summenabweichungen sind möglich. Dieser Newsletter kann unter der Adresse [email protected] für eine jährliche Schutzgebühr in Höhe von € 15,- bestellt werden. 2