Heideggers Erörterungen zur Aussagenwahrheit

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Seminar: Martin Heidegger – Sein und Zeit
FS/HS 2014
Dozent: Dr. Dominique Kuenzle
Heideggers Erörterungen zur
Aussagenwahrheit
Eine Rekonstruktion der ontologischen Prämissen
Abgabedatum:12.09.2014
Anzahl Zeichen: 51'284
Lucien Baumgartner
Am Glattbogen 121
8050 Zürich
076 396 87 41
[email protected]
13-751-376
BA 2.Semester (FS14)
Politikwissenschaften 120, Philosophie 30,
Islamische Welt 30
Erfolgreich abgeschlossene Module:
Einführung in die Geschichte der Philosophie, Vorlesung mit Lektürekurs: René Descartes
Einführung in die Praktische Philosophie. Einführung in die Ethik
Klassiker der Praktischen Philosophie (Einführung). Seminar: Immanuel Kant: Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten
Systematische Theoretische Philosophie (Einführung). Seminar: Wahrheit
Einführung in die formale Logik I
Philosophische Fakultät
Seminararbeit Heidegger: Sein und Zeit
Lucien Baumgartner
Heideggers Erörterungen zur Aussagenwahrheit
Einleitung.........................................................................................................................................................2
Die „traditionelle“ Korrespondenztheorie der Wahrheit und ihre Schwierigkeiten...........................................3
Das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit....................................................................................................4
Die drei Existenziale des Daseins: Verstehen, Befindlichkeit und Rede.........................................4
Das „vorthematische Erkennen“ in der Auslegung...........................................................................................7
Das „theoretische Erkennen“ in der Aussage....................................................................................................9
Heideggers Konzept von Sprache und das Charakteristika der Prädikation in der Aussage...........9
Der Logos als Vorbedingung der Wahrheitswertfähigkeit von Aussagesätzen..............................11
Die Wahrheit der Aussage als Bewährung.....................................................................................12
Heideggers Erörterungen zur Aussagenwahrheit – eine neue Auffassung der Korrespondenztheorie?...........13
Fazit................................................................................................................................................................ 16
Bibliographie..................................................................................................................................................17
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Philosophische Fakultät
Seminararbeit Heidegger: Sein und Zeit
Lucien Baumgartner
Einleitung
Heidegger befasst sich im letzten Paragraphen des Ersten Abschnitts von Sein und Zeit mit der Wahrheit. Er
beendet darin seine „vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“ und geht anschliessend im Zweiten
Abschnitt dazu über, die Sorge (das Sein des Dasein) eingehender zu thematisieren.
Doch wieso befinden sich seine Ausführungen zum Wahrheitsbegriff an dieser emblematischen Position? Die
textarchitektonisch herausragende Stellung legitimiert sich durch die Notwendigkeit, das Wahrheitsphänomen im Zusammenhang mit seiner Daseinsanalyse zu besprechen. Und zwar deshalb, weil die „Philosophie
von alterseher Wahrheit und Sein zusammenstellt“ (212), wodurch sich die Frage stellt, in welchem Zusam menhang Wahrheit und Dasein sind: „In welchem ontisch-ontologischen Zusammenhang steht „Wahrheit“
mit dem Dasein und dessen ontischer Bestimmtheit, die wir Seinsverständnis nennen?“ (213) Zudem bleibt
zu klären, inwiefern die Aussagen über das Dasein in Sein und Zeit überhaupt wahr sein können und was
Heidegger unter der Aussagenwahrheit versteht.
Diese Arbeit versucht eine Brücke zwischen diesen beiden Punkten zu schlagen und zu zeigen, wie wir aus
Heideggers fundamentalontologischer Position überhaupt von Aussagenwahrheit sprechen können. Dabei
geht es weder darum, das ursprüngliche Phänomen der Wahrheit an sich gänzlich zu erfassen, noch werde ich
mich primär damit befassen, wie Heidegger die Wahrheit seiner Aussagen theoretisch auslegt. Mein Anliegen
besteht darin, Heideggers Schluss von ontologischen Prämissen auf die Aussagenwahrheit aufzuzeigen. Dabei soll geklärt werden, wie Aussagenwahrheit ermöglicht wird und was es mit diesem ontologischen Fundament überhaupt bedeutet, wenn eine Aussage wahr ist.
Ich gehe dabei, wie Heidegger, vom traditionellen Wahrheitsbegriff der Korrespondenztheorie aus und stelle
die Schwierigkeiten ihrer Grundthesen dar. Das hat den Vorteil, dass die Korrespondenztheorie Wahrheit als
Aussagenwahrheit versteht und ich anhand ihrer Schwierigkeiten zeigen kann, welche Prämissen verworfen
und durch neue, ontologische ersetzt werden müssen. Obwohl Heidegger die Korrespondenztheorie scharf
kritisiert, resultieren seine Erörterungen in einem Ansatz, der ihr ziemlich ähnlich ist. Um den Bogen von der
Kritik der Korrespondenztheorie zu Heideggers eigener Charakterisierung der Aussagenwahrheit zu spannen, werde ich abschliessend darauf eingehen, ob Heideggers Ausführungen eine neue Auffassung der Korrespondenztheorie entwickeln. Aufgrund der Kürze der Arbeit und der Komplexität der Thematik, habe ich
mich jedoch auf eine durchsichtig vereinfachte Rekonstruktion der Korrespondenztheorie beschränkt und erhebe dabei weder den Anspruch Aristotels' noch Thomas' Auffassung wiederzugeben. Diese Seminararbeit
geht zudem primär auf die Aussagenwahrheit ein und wird die fundamentalontologische Falschheit, sowie
die Falschheit von Aussagen nur am Rand thematisieren. Auf dieser Grundlage wird auch die Gegenüberstel lung mit Heideggers Ausführungen nur punktuell erfolgen und hat nicht den Anspruch, eine komplette systematische Übersicht zu bilden.
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Seminararbeit Heidegger: Sein und Zeit
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Die „traditionelle“ Korrespondenztheorie der Wahrheit und ihre Schwierigkeiten
Heidegger setzt sich in seinem Paragraphen zur Wahrheit (§44) mit der Korrespondenztheorie (KT) auseinander. Die wohl älteste und bekannteste sowie die verbreitetste Theorie der Wahrheit (vgl. Puntel, 26) bildet
für ihn einen optimalen Startpunkt, da er an ihr die Schwierigkeiten des „traditionellen“ Denken aufzeigen
kann. Dazu stellt er die Theorie sehr „durchsichtig vereinfacht“ dar und verkürzt ihren Wahrheitsbegriff auf
die Übereinstimmung (Korrespondenz) von Aussage und Ding und präsentiert die drei Kernthesen der KT:
1. Der »Ort« der Wahrheit ist die Aussage (das Urteil). 2. Das Wesen der Wahrheit liegt in der „Übereinstimmung“ des Urteils mit seinem Gegenstand [adaequatio intellectus et rei]. 3. Aristoteles, der Vater der Logik, hat sowohl die Wahrheit dem Urteil als ihrem ursprünglichen Ort zugewiesen, er hat
auch die Definition der Wahrheit als „Übereinstimmung“ in Gang gebracht.“ (214)
In der Korrespondenztheorie wird Wahrheit also als eine Beziehung zwischen zwei Relata aufgefasst, dem
Urteil und dem Gegenstand. Was jedoch als Relation und was als Relata (Beziehungsglied) gelten soll, ist
von Auffassung zu Auffassung verschieden: Bei Thomas befinden sich anima („Seele“) und ens („Seiendes“)
in einer Relation (vgl. 59), doch Puntel macht in seiner systematischen Analyse der KT noch andere
Relata-/Relationsstufen aus: „Denken – Sein, Subjekt – Objekt, Bewusstsein – Welt, Erkenntnis – Wirklich keit“ (Puntel, 28). Für unsere Zwecke genügt es, dass bei nahezu allen Auffassungen zwischen einem idealen
und realen Beziehungsglied unterschieden wird (vgl. 216). In Heideggers Auseinandersetzung mit der KT
wird „Aussage“ als pauschaler Ausdruck für alle ideale Relata verwendet. Das legitimiert sich dadurch, dass
in der Aussage Erkenntnis oder Denken mitgeteilt wird und ist zudem besonders nah am alltäglichen Wahrheitsverständnis. Dabei ist nicht die Aussage als sprachlicher Prozess wahrheitswertfähig, sondern lediglich
das, was in ihr ausgesagt wird, ihr assertorischer Gehalt (vgl. 216).
Der assertorische Gehalt der Aussage wird nach traditioneller Auffassung ideal gefasst, weil die Erkenntnis
selbst ideal ist. Wir können uns vereinfacht den Inhalt der Aussage als „Vorstellungen“ im Verstand denken,
die mit einem realen Seienden korrespondieren können. Die Aussage „Der Baum ist grün.“ wäre demnach
genau dann wahr, wenn die mitgeteilte Vorstellung eines grünen Baumes mit der realen Tatsache (dass der
Baum tatsächlich grün ist) übereinstimmt. In der KT ist damit immer eine ideal/real-Dichotomie zwischen
den Relata vorausgesetzt und genau diese metaphysische Trennung bildet die erste Prämisse. Mit der ersten
Prämisse geht jedoch noch eine zweite einher: Die Subjekt/Objekt-Trennung. Nur weil das Subjekt vom Objekt getrennt angesehen wird, können sich im Subjekt lediglich ideale Abbilder („Vorstellungen“) des realen
Objektes ausbilden. Aufgrund dieser beiden Annahmen findet die Übereinstimmung nach traditioneller Auf fassung zwischen assertorischem Gehalt der Aussage und Ding, also zwischen verschiedenen Kategorien von
Seiendem, statt (idealen und realen). Infolge des vorausgesetzten kategorialen Unterschieds kam Thomas
zum Schluss, dass die Übereinstimmung eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen idealem und realem Relat sei.
Die Aussage ist also darum der „Ort“ der Wahrheit, weil sich darin zeigt, ob das Ausgesagte mit dem realen
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Ding übereinstimmt, bzw. ihm ähnlich ist.
Gemäss Heidegger sind jedoch die beiden oben genannten Prämissen unlegitimiert, weil sie rein meta physisch vorausgesetzt werden und in diversen Problemen enden: Wie muss die Übereinstimmung qua Ähn lichkeitsbeziehung von „Geurteiltem im Verstand“ und „Ding“ ontologisch gefasst werden? Ist sie ihrerseits
real oder ideal? Und besteht sie nicht darüber hinaus auch zwischen dem „Geurteilten“ und dem „realen psychischen Urteilsvollzug“? (vgl. 216)
Heidegger verwirft mit diesen Fragen die real/ideal-Dichotomie sowie die Subjekt/Objekt-Trennung und da mit auch die Auffassung von „Erkenntnis“ als Effekt der Ähnlichkeitsbeziehung, welche die Wahrheit traditionellerweise ausmacht. Heidegger stösst sich an einem Erkenntnisbegriff, in dem das Ding durch die Er kenntnis lediglich ähnlich „gegeben“ würde, wie es ist: „Aber die Erkenntnis soll doch die Sache so „geben“,
wie sie ist. Die „Übereinstimmung“ hat den Relationscharakter: „So – Wie“.“ (216). Um diesen Anspruch an
die Übereinstimmung legitimieren zu können, zeigt er in seinen darauffolgenden Erörterungen im Paragraphen §44, mit welchen ontologischen Prämissen man notwendigerweise auf Gleichheitsbeziehung zwischen Aussage und Seiendem schliessen muss.
Das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit
Heidegger beginnt seine Erörterung mit der oben erwähnten Destruktion metaphysischer Prämissen und geht
dann dazu über, die Wahrheit phänomenologisch von der Erkenntnis und deren Wahrsein aus zu ergründen.
Die Erörterungen chronologisch zu rekonstruieren macht jedoch für diese Arbeit keinen Sinn. Denn die ganze Diskussion der Erkenntnis und der Wahrheit als ihre Bewährung baut auf der ganzen Daseinsanalyse des
ersten Abschnitts auf.
Für Heidgger ist die Aussagenwahrheit nur ein Modus der Wahrheit, weil die Erkenntnis, welche im Ausgesagten der Aussage ausgedrückt wird, ihrerseits lediglich eine Weise der Erkenntnis neben der „auslegenden
Erkenntnis“ oder der „reinen Anschauung“ ist (vgl. 61 u. 67). Alle Erkenntnisarten gründen wiederum in der
Erschlossenheit des Daseins, die Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht und von Heidegger als „ursprünglichstes Phänomen der Wahrheit“ bezeichnet wird (vgl. 220).
Ich beginne darum zuerst mit dem ursprünglichsten Phänomen der Wahrheit als Vorbedingung des theoreti schen Erkennens und gehe dabei auf wichtige Stellen des ersten Abschnitts ein, um im Anschluss auf diesem
Fundament klären zu können, was Aussagenwahrheit ist.
Die drei Existenziale des Daseins: Verstehen, Befindlichkeit und Rede
Wenn wir das Sein des Dasein innerhalb der fundamentalontologischen Analyse betrachten, ist unser Gegen stand das Sein des Dasein überhaupt und nicht das des einzelnen Daseins (vgl. Henschen, 99). Heidegger
charakterisiert nun dieses „Sein des Daseins überhaupt“ als seine Erschlossenheit (vgl. 133). Was die Wahrheit anbelangt, ist Dasein aufgrund seiner existenzialen Erschlossenheit „in der Wahrheit“: „Sofern das Dasein wesenhaft seine Entschlossenheit ist, als erschlossenes erschliesst und entdeckt, ist es wesenhaft
»wahr«, Dasein ist »in der Wahrheit«.“ (221). Dieser Satz bezeichnet das „ursprünglichste Phänomen der
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Wahrheit“, dessen Modus die Aussagenwahrheit ist und hat stark axiomatischen Sinn (vgl. 220f). Selbst
Heidegger räumt ein, dass die Notwendigkeit, dass Dasein in der Wahrheit sei, weder beweisbar, noch
innerhalb des traditionellen Wahrheitsparadigmas voll einsichtig werden könne (vgl. 227 und besonders
Bemerkung [b]). Weil dieser Satz notwendig wahr und zugleich nicht beweisbar ist, kann man ihn durchaus
als Axiom bezeichnen.
Mit der Erschlossenheit des Daseins geht auch die Entdecktheit der Welt einher (vgl. 220). Das ist für die
Aussagenwahrheit besonders wichtig, denn Heidegger bezeichnet den assertorischen Gehalt der Aussage als
das, was das „Seiende an ihm selbst [...] in seiner Entdecktheit“ (218) aufzeigt. Was genau diese „Entdecktheit“ meint, kann anhand der Seinscharakteren der Erschlossenheit bestimmt werden, den sog. Existenzialen.
Als solche „existenziale Weisen zu sein“ (133) nennt Heidegger das Verstehen und die Befindlichkeit (vgl.
142), sowie die Rede (vgl. 161). Diese drei existenzialen Seinsweisen spannen einen „vorprädikativen Rahmen existenzieller Möglichkeiten“, innerhalb dessen das Seiende dem Dasein als Entdecktes begegnet.
Es geht mir im Folgenden darum, zu zeigen, wie Seiendes dem Dasein primär begegnet und wie es dieses
versteht, bzw. erkennt. Gemäss Heidegger gründet nämlich das Erkennen in der Erschlossenheit des Dasein,
in welcher das Dasein die Welt schon immer versteht (vgl. 67). Wie kann aber etwas verstanden werden,
wenn dieses etwas noch gar nicht erkannt wurde? Henschen klärt prägnant, wie dieses vorkognitive und -prä dikative „Verstehen“ der Welt zu deuten ist: „>Verstehen< meint für Heidegger das Haben oder Sein von
Möglichkeiten, zu deren Realisierung das Dasein eine praktische Fähigkeit hat. Und entsprechend ist die
Realisierung einer existenziellen Möglichkeit die Ausübung einer praktischen Möglichkeit.“ (Henschen, 101)
Wenn ich mich bspw. als fähig verstehe, einen Nagel in ein Brett zu hämmern, habe ich zu gleich auch verstanden, dass mir der Hammer zum Hämmern zuhanden ist und ich weiss, wie ich damit umgehen muss. Primär verstehen wir also den „Verweisungszusammenhang“ eines „Zuhandenen“ (vgl. 76) oder seine „Bewandtnisganzheit“ (84) und nicht das Seiende selbst. Darunter versteht Heidegger die Werkstatt, welche für
Hammer, Nägel und Bretter einen Verweisungsrahmen bildet (vgl. 84). Innerhalb der Werkstatt verweist der
Hammer auf die Nägel und die Bretter, weil sein Zweck das Hämmern ist. Diesen Zweck mit ebenjenen Ver weisungen hat er jedoch nur innerhalb der Werkstatt. Das zeigt sich schön, wenn wir einen Hammer auf der
Strasse finden: Wir müssen ihn zuerst nach Hause bringen, zu den Nägeln und zu den Brettern (in die „Werkstatt“), um überhaupt mit ihm Hämmern zu können.
Weil wir die Welt hinsichtlich unserer Fähigkeiten verstehen, sehen wir in dem uns begegnenden Seienden
primär Zuhandenes, dessen Zusammenhang in einer Bewandtnisganzheit seine Zuhandenheit konstituiert
(vgl. 68 u. 84). Das Seiende hat immer einen Zweck (das Um-zu), der uns befähigt unsere praktische Fähigkeit zu realisieren (vgl. 149). Seiendes wird immer in seiner Zweckmässigkeit verstanden, welche an den
Verweisungsrahmen (die Bewandtnisganzheit) gebunden ist, weil er aufzeigt, womit wir es mit diesem Seienden zu tun haben (vgl. 84f).
Verstehendes Dasein ist für Heidegger dabei immer „geworfene Möglichkeit“ (144). Es ist je schon seine
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existenziellen Möglichkeiten. Wir sind ständig in einer Weise tätig und schon wieder im Übergang zur nächs ten Tat, wir „entwerfen“ uns ständig in unsere nächsten Möglichkeiten. Nur weil Dasein sich selbst und so
seine Möglichkeiten verstanden hat, ist es auch immer dieser Übergang von der einen Realisierung der Möglichkeit zur nächsten. Dasein entscheidet sich nicht kognitiv eine Möglichkeit zu ergreifen, vielmehr ist es
diese schon (vgl. Henschen, 108). Als Mensch habe ich die Möglichkeit einen Hammer zu nehmen und zu
hämmern und insofern ich sie „habe“, „gehört“ sie zu mir oder „bin“ ich sie.
Das Verstehen ist jedoch nur ein Konstutitivum des „vorprädikativen Rahmens“. Rein verstehendes Da sein
könnte nicht auswählen, welche Fähigkeiten faktisch realisierbar sind. Dazu bedarf es nämlich zusätzlich
noch der Befindlichkeit, einer Art „Offenheit“ des Daseins. Sie wird von Heidegger als primär „umsich tig
besorgendes Begegnenlassen“ (vgl. 137) charakterisiert. Lediglich durch sie ist das Dasein überhaupt an sprechbar und sensitiv auf seine faktischen Fähigkeiten oder Möglichkeiten (vgl. Henschen, 120), also diejenigen praktischen Fähigkeiten, die in einer bestimmten Situation überhaupt realisierbar sind. Wenn kein
Hammer in der Nähe ist, kann ich auch keine Hütte zimmern, also ist diese Fähigkeit faktisch nicht gegeben.
Heidegger bezeichnet, wie eingangs erwähnt, an manchen Stellen die Rede als drittes Existenzial, (vgl. 220)
an anderen nimmt diese Stellung die Verfallenheit ein (vgl. 349). Meiner Ansicht nach ist die Rede jedoch
eine ontologisch-transzedentale Bedingung von Sprache und Auslegung und strukturiert die Befindlichkeit,
sowie das Verstehen (vgl.161) und somit ein Existenzial.
Im Folgenden muss „Rede“ als eine vorsprachliche Gliederung der Welt verstanden werden, auf der Sprache
überhaupt erst entstehen kann. Denn damit das Dasein den Hammer und die Möglichkeit zu Hämmern (also
„das, was das Dasein ist“) überhaupt als vom Schraubendreher und dem Schraubendrehen verschieden ver stehen kann, muss die Welt immer schon gegliedert sein. Rede ist in diesem Sinn die Artikulation der existenziellen Möglichkeiten des Daseins, wodurch eine Möglichkeit von der anderen als verschieden verstanden
wird. Innerhalb dieser Möglichkeiten wird das, womit sie realisierbar und in welcher Weise sie realisiert wer den, wiederum gegliedert: Seiendes, das dem Dasein begegnet, wird als Zuhandenes mit seinen Verweisungen gegliedert. Diese Einheit von Zuhandenem und dessen Verweisen nennt Heidegger „Bedeutung“. Zusammen bilden alle „Bedeutungen“ innerhalb einer existenziellen Möglichkeit ein Bedeutungsganzes, die „Bedeutsamkeit“ (87). Die Rede gliedert also das Bedeutungsganze (vgl. 161), sprich: die Werkstatt oder eine
bestimmte Operation, innerhalb derer die Schnitte eines Chirurgen Bedeutung haben (vgl. Henschen, 123).
Dabei ist die Bedeutsamkeit die Vorbedingung der einzelnen Bedeutungen; wo keine Operation stattfindet,
können Schnitte mit dem Skalpell nicht die Bedeutung eines Teils des chirurgischen Eingriffs haben.
Die drei Existenziale bilden die ursprüngliche Entdecktheit des Seienden für das Dasein. Als solches ist Sei endes immer schon vor dem eigentlichen Erkennen „da“, „bei ihm“ und somit „wahr“ (vgl. 62). Es ist näm lich insofern wahr, als dass es tatsächlich „da“ sein muss, um überhaupt vom Dasein verstanden, gegliedert
und in einer Befindlichkeit aufgewiesen werden kann (vgl. 226). Die Wahrheit, welches das Seiende betrifft
(die Entdecktheit) ist notwendigerweise vorausgesetzt, weil sie wesenhaft mit der Erschlossenheit einher
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geht.
Oben erwähnte ich, dass Dasein „in der Wahrheit“ sei, was so verstanden werden kann: „Wahrheit »gibt es«
nur, sofern und solange Dasein ist.“ (226). Das geht darauf zurück, dass es ohne Dasein keine Erschlossenheit und somit keine Entdeckung und Entdecktheit des Seienden gibt (vgl. 226). Dasein ist darum „in der
Wahrheit“, weil es sich in seiner Erschlossenheit auch immer selbst voraussetzt, da es sonst gar nichts er schliessen könnte. Eine solche Selbstvoraussetzung ist wiederum immer damit verbunden, dass wir dieses
Selbst notwendigerweise auch als „wahr“ vorrausetzen. Sobald „wir“ sind, setzen wir wesenhaft voraus, dass
es dieses „wir“ auch tatsächlich gibt:
„Weil zum Sein des Daseins dieses Sichvoraussetzen gehört, müssen »wir« auch »uns«, als durch Erschlossenheit bestimmt, voraussetzen. [...] Die vorausgesetzte Wahrheit, bzw. das »es gibt«, womit ihr
Sein bestimmt sein soll, hat die Seinsart bzw. den Seinssinn des Dasein selbst. Die Wahrheitsvorausset zung müssen wir »machen«, weil sie mit dem Sein des »wir« schon »gemacht« ist.“ (228)
Damit sind wir beim ursprünglichsten Phänomen der Wahrheit angekommen (220). Doch indem das Dasein
praktisch tätig ist, versteht es nicht nur vorsprachlichen Bedeutungen (die Verweisungen von Zuhandenem)
sondern legt diese auch aus. Wir dürfen die fundamentalontologische Wahrheit lediglich als unterste Schicht
verstehen, quasi als Fundament, das sich im Tätigwerden ausdrückt (vgl. 223). Darüber gibt es jedoch noch
weitere Schichten, in denen Modi der Wahrheit zum Tragen kommen, wie die Auslegung und die praktische
Erkenntnis oder die Aussage und die theoretische Erkenntnis. Da die Auslegung von Heidegger als Basis für
die Aussagenstruktur verstanden wird, werde ich als Nächstes darauf eingehen.
Das „vorthematische Erkennen“ in der Auslegung
Wie oben erwähnt, wird die Welt vom Dasein als Konsortium existenzieller Möglichkeitsräume verstanden,
weil es durch die Rede zugleich auch immer die Bedeutsamkeit gliedert. Doch mit dieser Gliederung hat das
Dasein das Seiende in den Möglichkeitsräumen noch nicht als einzelnes Seiendes erschlossen, sondern nur
das Relationssystem der Verweise (vgl. 88). Der Hammer wird durch die drei existenzialen Seinsweisen des
Daseins noch nicht als etwas, das zum Hämmern da ist, ausgewiesen, einzig die Werkstatt wird von anderen
Möglichkeitsräumen abgegliedert. Erst im „umweltlichen Besorgen“ zeigt sich das „vorthematische
Seiende“: „Dieses Seiende ist dabei nicht Gegenstand eines theoretischen »Welt«-Erkennens, es ist das Gebrauchte, Hergestellte und dgl.“ (67). Die Erkenntnisart des alltäglichen Gebrauchens und des Umgangs mit
Seinden in der Welt wird von Heidegger als Auslegung charakterisiert (vgl. 148)
Da das Dasein in seinem In-der-Welt-sein die Werkstatt immer schon verstanden hat, kann ihm der Hammer
in der Werkstatt als etwas, mit dem man Hämmern kann, begegnen. Dabei muss die Bedeutsamkeit „Werk statt“ als Relationssystem begriffen werden, ohne die der Hammer „an sich“ nicht sein kann (vgl. 88). Erst in
der Werkstatt ist der Hammer zum Hämmern da, weil er erst da auf Bretter und Nägel stossen kann, auf die
er „an sich“ schon immer verweist. Für diese Auslegung müssen wir die Werkstatt schon verstanden haben,
also ist die Bedeutsamkeit und die Bedeutungen die Vorbedingung der Auslegung (vgl. Henschel, 72).
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Während in der Erschlossenheit lediglich das Seiende im Bedeutungsganzen entdeckt wird, wird in der Auslegung immer etwas als etwas ausgelegt (vgl. 159). Dabei ist diese „Als“-Struktur der Auslegung immer
existenzial-hermeneutisch (vgl. 158): Dasein ist primär tätig und genau in diesem „besorgenden Begegnen“
(dem „Tun“), indem das Dasein den Hammer in die Hand nimmt und hämmert, legt es den Hammer als etwas aus, das zum Hämmern da ist. Ich verstehe die Auslegung daher als rein praktisches Erkennen, für was
der Hammer innerhalb der Bedeutsamkeit („Werkstatt“) zuhanden, bzw. da ist. Das Seiende begegnet dem
auslegenden Dasein damit immer als Zeug, als etwas Zuhandenes (vgl. 157). Dieses „praktische Erkennen“
ist also, insofern es in Rede, Verstehen und Befindlichkeit gründet, ein „Bestimmen der Strukturen des
Seins“ (67). Das Fundament dazu bildet dabei die Erschlossenheit gegenüber dem Sein überhaupt. Sein wird
jedoch erst durch die Auslegung ontisch „lebendig“, in dem es in einzelnes Zeug strukturiert wird (vgl. 67).
Die „praktische Erkenntnis“ (Auslegung) darf jedoch nicht kongnitiv verstanden werden:
„Der je auf das Zeug zugeschnittene Umgang, darin es sich einzig genuin in seinem Sein zeigen kann,
z.B. das Hämmern mit dem Hammer, erfasst weder dieses Seiende thematisch als vorkommendes
Ding, noch weiss etwa gar das Gebrauchen um die Zeugstruktur als solche.“ (69)
Auslegung ist in diesem Sinne immer ein unbewusstes Verstehen, wozu ein Seiendes gut ist, das sich im Umgang mit diesem artikuliert. Nur schon indem ich den Löffel in die Hand nehme, um mein Joghurt zu essen,
lege ich ihn daraufhin aus, dass er adäquat für diese Tätigkeit ist – er ist mir zu diesem Gebrauch zuhanden.
Erst in der Auslegung zeigt sich Seiendes in seiner „Zuhandenheit“ als die „ontologisch-kategoriale Bestimmung von Seiendem, wie es «an sich» ist“ (71), obwohl sie bereits in der Erschlossenheit entdeckt ist. Mei ner Auffassung nach muss „Seiendes »an sich«“ phänomenologisch gefasst werden als „so wie Seiendes sich
dem Dasein am ursprünglichsten zeigt“ und nicht als „so wie das Seiende selbst und in sich ist“. Denn im Paradigma der Phänomenologie wird jedes Phänomen als „das Sich-an-ihm-selbst-zeigende“ begriffen (vgl.
31), so auch das Seiende „an sich“. Was sich also dem Dasein in dessen umsichtigen Besorgen zeigt, ist das
Seiende und seine Verweise innerhalb der Bewandtnisganzheit: Der Löffel „an sich“ ist demnach das Seiende
„Löffel“ sowie sein Verweis auf zu löffelnde Nahrung oder zu messende Mengen (beim Kuchenbacken) in nerhalb der Bewandtnisganzheit „Küche“.
Durch seine Erschlossenheit ist das Dasein schon immer in der Wahrheit, aber bedeutet das, dass auch die
Auslegung immer wahr sein muss? Meiner Auffassung nach würde Heidegger diese Frage verneinen. Viel
mehr findet sich bereits bei ihr etwas, was wir von Aussagen her kennen: Die wahr/falsch-Dichotomie. Eine
Auslegung kann bspw. falsch sein, wenn ich einen defekten Hammer als einen funktionierenden auslege und
dieser beim Hämmern auseinanderfällt. Es ist nun genau in dieser „Defizienz des besorgenden Zu-tun-habens
mit der Welt“ (61), dass die Erkenntnisart der Aussage phänomenal zum Ausdruck kommt, welche als
Nächstes betrachtet werden soll.
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Das „theoretische Erkennen“ in der Aussage
Weil das Dasein in seinem umsichtigen Besorgen durch die Defizienz des Hammers gestört wird und es ihn
aus der Hand legen muss, da dieser nicht mehr zu gebrauchen ist, nimmt es Abstand vom Hammer. Dabei
wechselt das Dasein seinen Modus des In-seins vom „umsichtigen Besorgen mit Zeug“ zum „Nur-noch-verweilen-bei“ (vgl. 61). Laut Heidegger geht mit diesem Wechsel der Seinsart des Daseins auch ein Wechsel
des Modus, in welchem das Seiende ihm begegnet, einher: Lediglich das Aussehen des Seienden begegnet
dem Dasein noch, weil alles „tätig sein“ mit ihm aufgrund seiner Defizienz unmöglich geworden ist (vgl.
61). Doch mit diesen beiden Wechseln geht noch ein dritter einher, nämlich insofern das Seiende anders er kannt wird, sobald es nicht mehr zuhanden ist. Für das Dasein bleibt nur noch das Hinsehen übrig:
„Dieses Hinsehen ist jeweils eine bestimmte Richtungsnahme auf..., ein Anvisieren des Vorhandenen.
Es entnimmt dem Seienden im Vorhinein einen »Gesichtspunkt«. [...] In sogeartetem »Aufenthalt« - als
dem Sichenthalten von jeglicher Hantierung und Nutzung – vollzieht sich das Vernehmen des Vorhandenen. Das Vernehmen hat die Vollzugsart des Ansprechens und des Besprechens von etwas als etwas.
Auf dem Boden dieses Auslegens im weitesten Sinne wird Vernehmen zum Bestimmen. Das Vernommene und Bestimmte kann in Sätzen ausgesprochen, als solches Ausgesagtes behalten und verwahrt
werden.“ (61f)
Heidegger charakterisiert in diesem Zitat die Aussage als ein Auslegen „im weitesten Sinne“, was er fast
hundert Seiten präzisiert, nämlich insofern, dass die Aussage ein „abkünftiger Modus der Auslegung“ (153)
sei. Weiter geht aus dem Zitat hervor, dass der assertorische Gehalt von Aussagen Bestimmungen von vor handenen Seienden sind. Während in der Auslegung, das Seiende in seiner Zuhandenheit, d.h. „an sich“, erkannt wird, ist das theoretische Erkennen das Vernehmen und Bestimmen des Seinden in seiner Vorhandenheit. „Vorhandenheit“ definiert Heidegger als das „Sein des Seienden [...], das in einem eigenständigen entdeckenden Durchgang durch das zunächst begegnende Seiende vorfindlich und bestimmbar wird“ (88) und
ist somit die Grundlage jeder Prädikation von Eigenschaften. In diesem Sinne hängt theoretisches Erkennen
immer mit einer modalen Veränderung der Weise, in welcher Seiendes uns begegnet, zusammen, welche nur
stattfinden kann, weil das Dasein Erschlossenheit ist und primär auslegend erkennt (vgl. 61). Somit ist geklärt, inwiefern Heidegger die Aussage als Modus der Auslegung versteht und es zeichnet sich langsam ab,
wieso er die Aussagenwahrheit lediglich als Modus der Wahrheit charakterisiert. Es bleibt jedoch zu klären,
wodurch sich Aussagen als wahr oder falsch auszeichnen, bzw. was Aussagenwahrheit ist. Dafür müssen wir
uns damit auseinandersetzen, was Sprache für Heidegger bedeutet.
Heideggers Konzept von Sprache und das Charakteristika der Prädikation in der Aussage
Für Heidegger ist Sprache nichts anderes als die Hinausgesprochenheit der Rede (vgl. 161). Damit kennzeichnet er unsere tägliche Kommunikation als das Mitteilen der Struktur der Welt, bzw. des Bedeutungsganzen und der einzelnen Bedeutungen (vgl. 161). Zur Erinnerung: Eine einzelne Bedeutung ist ein Seiendes mit
all seinen Verweisen innerhalb des Bedeutungsganzen und kein Objekt im traditionellen Sinne (vgl. 87). Fra9
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gen wir den Nachbar nach einem Hammer, kommunizieren wir ihm auch immer, dass wir verstanden haben,
dass wir einen Hammer zum Hämmern brauchen. Daraufhin muss der Nachbar nicht zuerst fragen, ob ich
denn weiss, wofür man einen Hammer benutzt; er hat verstanden, dass wenn ich nach einem Hammer frage,
ich eine existenzielle Möglichkeit des Hämmerns habe. Mitteilen der Struktur der Welt meint also nichts weiter, als dass wir aussprechen, wie wir die Welt erschlossen haben.
Wir verstehen die Sprache intuitiv immer schon als ein Medium der Kommunikation, also als Mitteilung. So
sind Bitten, Befehle, Wünsche, Entsetzensrufe genauso mitteilend wie auch Aussagen (vgl. 161). Was unterscheidet also letztere von den restlichen sprachlichen Äusserungen? In Aussagen werden immer Erkenntnis,
bzw. Urteile kundgegeben, welche sich bewähren können oder nicht. Wie oben dargelegt, geht die Aussage
einher mit dem theoretischen Erkennen, durch welches uns Seiendes als Vorhandenes begegnet. Der assertorische Gehalt der Aussage muss also als Erkenntnis von vorhandenem Seienden verstanden werden. Als sol che hat sie immer die Form einer Prädikation, einer Bestimmung eines Subjekts („Der Baum“) durch seine
Eigenschaft, das Prädikat („... ist grün“) (vgl. 154). Das theoretische Erkennen wurde oben als „ Hinsehen“
charakterisiert, welches dem Vorhandenen immer schon einen „Gesichtspunkt“ entnimmt. Vorhandenes wird
sozusagen auf eine Eigenschaft, auf die das Sehen gerichtet ist, eingeschränkt: „Das Bestimmen entdeckt
nicht erst, sondern schränkt als Modus der Aufzeigung das Sehen zunächst gerade ein auf das Sichzeigende
[...] als solches, um durch die ausdrückliche Einschränkung des Blickes das Offenbare in seiner Bestimmtheit ausdrücklich offenbar zu machen.“ (155).
Die Einschränkung durch die prädikative Form der Aussage ist so zu verstehen, dass das Sehen eines Gartens
in der Aussage „Der Baum ist grün“ auf den Baum als Subjekt und seine Eigenschaft, grün zu sein, einge schränkt wird. Dabei wird der Baum aus der Bewandtnisganzheit „Garten“ herausgenommen und seine Ver weisungen abgebrochen. Das bedarf als Vorbedingung immer schon einer Auslegung, in der der Baum als
zuhandender Baum (als Baum „an sich“) schon verstanden ist und somit auch der Erschlossenheit (vgl.
156f). Als zweite Vorbedingung muss die Zuhandenheit durch eine Defizienz eingeschränkt werden, wodurch erst das Zeug zum Vorhanden „verkommen“ kann. Defizienz darf hier aber nicht negativ aufgenommen werden – auch ein Zeug, dessen Zuhandenheit aufgrund fehlender existenzielller Möglichkeiten zu seiner Nutzung nicht gebraucht wird, ist defizient. Käse kann nur in einem Labor auf seine Eigenschaften ana lysiert werden, weil er nicht mehr dazu gebraucht wird, den Hunger zu stillen oder eine Maus in die Käsefalle zu locken.
Durch die Defizienz und der mit ihr einher gehenden Änderung des Erkennens, ändert sich auch die Aufwei sung von etwas als etwas vom hermeneutisch-existenzialen „Als“ der Auslegung zum apophantischen „Als“
der Aussage, mit dem das Vorhandene in seinen Eigenschaften bestimmt wird (vgl. 158). Heidegger versteht
sowohl die Auslegung als auch die Aussage als aufweisende Tätigkeit, wobei erstere die Zuhandenheit und
letztere die bestimmten Eigenschaften des Vorhandenen entdeckt (vgl. 148f, bzw. 154). Ich werde als Nächs tes die Aussage in ihrer Aufweisung darstellen, um zu zeigen, was eigentlich nun die Wahrheit in der Aussa-
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ge gemäss Heidegger ist.
Der Logos als Vorbedingung der Wahrheitswertfähigkeit von Aussagesätzen
Heidegger charakterisiert die Aufzeigung als dritte Bedeutung der Aussage, neben der bereits besprochenen
Mitteilung und Prädikation (vgl. 154f). Die Aussage in ihrem Charakter der Aufzeigung ist ein Modus der
Rede, der mit „Logos“ bezeichnet wird: „λόγoϛ als Rede besagt [...] soviel wie δηλoΰν, offenbar machen das,
wovon die Rede in der »Rede« ist.“ (32)
Man kann sich den Logos durchaus als eine Art Lichtstrahl vorstellen, der auf Seiendes gerichtet wird, so bald wir darüber etwas aussagen wollen. Aussagen haben nur deshalb einen Bezug zur Realität, weil der Lo gos Tatsachen „erleuchtet“, er ist also Vorbedingung dafür, dass Dasein Seiendes als etwas sehen lassen, bzw.
bestimmen kann (vgl. 33). Das Aufweisen des Logos ist demnach immer ein Zeigen von Sachver halten,
nämlich dem, was in einer Aussage über ein Subjekt ausgesagt wird. Wir sind mit der Auslegung be reits einer Form der Aufweisung begegnet, die das Seiende in seiner Zuhandenheit vortheoretisch aufweist und von
der nun die Aufweisung des Logos unterschieden werden muss. Anders gefasst, kann das Konzept des auf weisenden Logos so verstanden werden: Wir kommunizieren in Aussagen immer zusätzlich zum assertorischen Gehalt, dass etwas tatsächlich so sei, wie wir es in der Aussage (als Ausgesagtes) intendieren. Der
Sachverhalt in der Welt wird dabei in der Aussage durch Worte angezeigt, weil sie die Intention der Worte ist.
Worte sind nichts anderes als phonetische Zeigefinger, die auf ihre Intention verweisen, welche nach Heidegger jedoch nie eine Vorstellung, sondern immer ein Seiendes in der Welt ist (vgl. 33 u. 216). Der Logos kann,
meiner Auffassung nach, darum als Intentionalität der Aussage verstanden werden.
Der Logos hat als Intentionalität die Strukturform der Synthesis und Diaraisis (vgl. 33 u. 159), des Verbindens und Trennens: „Gemäss dieser Struktur wird etwas auf etwas hin verstanden – in der Zusammennahme
mit ihm, so zwar, dass dieses verstehende Konfrontieren auslegend artikulierend das Zusammengenommene
zugleich auseinandernimmt.“ (159). In der Prädikation „Der Baum ist grün.“ habe ich vorprädikativ den
Baum schon als Teil der Zeugganzheit verstanden (Erschlossenheit), existenzial-hermeneutisch auslegend als
defizient erkannt (Auslegung) und im dadurch ermöglichten theoretischen Erkennen das Prädikat als zum
Subjekt gehörend ausgelegt (Aussage). Wenn ich aber den Baum mit der Eigenschaft grün bestimmte, konfrontiere ich ihn auf seine Grünheit hin und nehme dadurch beide (Baum und Grünheit) zusammen. Diese
auslegende Zusammennahme von Subjekt und Prädikat wird jedoch durch die Sprache prädikativ getrennt
(in „Der Baum“ und „ist grün“), was wiederum die Struktur der theoretischen Erkenntnis wiedergibt. Denn
auch hier zeigt sich der Charakter der Sprache als Mitteilung der Weltstruktur, weil die Prädikation aufzeigt,
worauf meine Hinsicht gerichtet ist, nämlich den Baum als Vorhandenes in seiner Grünheit. Die Struktur der
Synthesis und Diaraisis ist also eine Vorbedingung dafür, dass wir theoretische Erkenntnisse überhaupt
sprachlich äussern können. Erschlossenheit und Auslegung hingegen sind Voraussetzungen für das theoretische Erkennen und damit zugleich auch für die sprachliche Äusserung.
Die Falschheit und Wahrheit des Logos ist nun in dessen Entdeckend-sein zu suchen. Falsche Aussagen über
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den Hammer bestimmen ihn so, wie er mir gerade nicht begegnet in meiner Erschlossenheit. Sage ich, „Ein
Hammer ist immer aus Gelatine.“, zeige ich eine Gliederung der Welt auf, die falsch ist, weil sie kontradiktorisch zu den erschlossenen und entdeckten Tatsachen ist. Ich entdecke zwar auch mit dieser Aussage den
Hammer, jedoch nicht als den Hammer, der er ist, sondern als Hammer, der er eben gerade nicht ist. Mit
falschen Aussagen entdecke ich falsche Sachverhalte, welche die wahren Tatsachen verdecken. Das „Falsch sein“ des Logos bestimmt Heidegger darum als „Täuschung im Sinne von verdecken: etwas vor etwas stellen
(in der Weise des Sehenlassens) und es damit ausgeben als etwas, was es nicht ist.“ (33)
Wenn ich dagegen den Hammer in der Aussage wahr bestimme, dann besagt ihr „Wahrsein“: „das Seiende,
wovon die Rede ist [...] aus seiner Verborgenheit herausnehmen und es als Unverborgenes (ἀλήϑέϛ) sehen
lassen, entdecken.“ (33). Warum sollten aber Seiende für das Dasein verborgen sein, wenn es doch existenzial Erschlossenheit und somit Entdecktheit des Seienden ist? Heidegger verweist dafür auf das Existenzial der
Verfallenheit:
„Zur Seinsverfassung des Daseins gehört das Verfallen. Zunächst und zumeist ist das Dasein an seine
»Welt« verloren. Das Verstehen als Entwurf auf die Seinsmöglichkeiten, hat sich dahin verlegt. [...]
Das Entdeckte und Erschlossene steht im Modus der Verstelltheit und Verschlossenheit durch das Gerede, die Neugier und die Zweideutigkeit. Das Sein zum Seienden [Erschlossenheit] ist nicht ausgelöscht, aber entwurzelt. Das Seiende ist nicht völlig verborgen, sondern gerade entdeckt, aber zugleich
verstellt; es zeigt sich – aber im Modus des Scheins. Imgleichen sinkt das vordem Entdeckte wieder in
die Verstelltheit und Verborgenheit zurück. Das Dasein ist, weil wesenhaft verfallend, seiner Seinsverfassung nach in der »Unwahrheit«. (221f)
Nach dieser Auffassung muss Aussagenwahrheit als „Raub“ angesehen werden, in dem das Seiende der Ver borgenheit entrissen wird (vgl. 222). Ich möchte darauf nicht mehr vertieft eingehen, da sonst die ganze alltägliche Seinsart der Erschlossenheit thematisiert werden müsste, inklusive dem Gerede, der Neugier und der
Zweideutigkeit (vgl. 180). Stattdessen soll nun gezeigt werden, wie anhand der „ontologischen Konstitution
der zum Dasein wesentlich gehörenden Erschlossenheit“ (180) Aussagenwahrheit qua „Entdeckend-Sein“
geklärt werden kann.
Die Wahrheit der Aussage als Bewährung
Aussagenwahrheit ist, wie wir gesehen haben, nur aufgrund der Erschlossenheit des Daseins möglich. Zu Beginn meiner Ausführungen, bei der Problematik metaphysischer Dichotomien, habe ich erwähnt, dass Hei degger von der Beziehung zwischen assertorischem Gehalt der Aussage und dem Seienden fordere, dass sie
eine Gleichheitsbeziehung sei. Diese Forderung, dass die Aussage die Sachverhalte so geben müsse, wie sie
tatsächlich sind, wird durch nun durch seine ontologischen Prämissen erfüllt:
„Die ausgesprochene Aussage enthält in ihrem Worüber die Entdecktheit des Seienden. Diese ist im
Ausgesprochenen verwahrt. Das Ausgesprochene wird gleichsam zum innerweltlichen Zuhandenen,
das aufgenommen und weitergesprochen werden kann. Aufgrund der Verwahrung der Entdecktheit hat
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das zuhandene Ausgesprochene an ihm selbst einen Bezug zum Seienden, worüber das Ausgesprochene jeweils Aussage ist.“
Was nämlich in Worten intendiert wird, hat das Dasein durch seine existenziale Erschlossenheit bereits er schlossen und befindet sich in einer Entdecktheit. Erschlossenheit ist also Vorbedingung für die in der Aussa ge mitgeteilte theoretische Erkenntnis, wie auch für die Intention von Worten, bzw. von Sprache überhaupt.
Aussagenwahrheit „zeigt“ sich genau dann, wenn sich das Erkennen als wahres Erkennen ausweist (vgl.
217), sich also der Bezug der Aussage zum Seienden bewährt (vgl. 218). Ob die Aussage „Honolulu ist die
Hauptstadt Hawaiis.“ wahr ist, zeigt sich genau dann, wenn sie sich in der Realität bewährt, Honolulu also
tatsächlich die Hauptstadt Hawaiis ist. Diese Bewährung kann nun auf verschiedene Arten erfolgen: Ich kann
einen Hawaiianer aufsuchen und ihn danach fragen oder einen Atlas aufschlagen und nachschauen. Oder
aber ich suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Hauptstädten diverser Länder und argumentiere theoretisch,
dass aufgrund verschiedener Kriterien Honolulu die Hauptstadt Hawaiis sein muss. Wie die Be währung vor
sich geht, ist jedoch sekundär. Zentral ist hingegen, dass sich in der Bewährung das Intendieren der Aussage
als ein Bezug zu Tatsachen ausweist. Dabei sind sowohl das bestimmte Seiende, sowie der assertorische Gehalt der Aussage Vorhandenes und so muss auch das Intendieren selbst in der Weise der Vorhandenheit sein:
„Die Entdecktheit des Seienden rückt mit der Ausgesprochenheit der Aussage in die Seinsart des innerweltlich Zuhandenen. Sofern sich nun aber in ihr als Entdecktheit von... ein Bezug zu Vorhandenem
durchhält, wird Entdecktheit (Wahrheit) ihrerseits zu einer vorhandenen Beziehung zwischen Vorhandenen (intellectus und res).“ (225)
Heidegger hat damit das Problem, welcher Seinsart die Wahrheit ist, durch ontologische Prämissen aufgelöst
und die Aussagenwahrheit als ein vorhandener Bezug bestimmt, in dem die Aussage in ihrer Intention das
Seiende so zeigt, wie es selbst ist (vgl. 218). Es ist in diesem Sinne eine Gleichheit vorhanden zwischen intendiertem Seienden und dem Seienden selbst, welche durch die Erkenntnisart des Hinsehens ermöglicht
wird. So gesehen ist es nur dann wirklich wahr, dass der Baum grün ist, wenn er tatsächlich grün ist. Die In tention der Aussage bewährt sich an dieser Tatsachenwahrheit und kann dadurch als „wahr“ bezeichnet werden (vgl. 218). Sie ist jedoch nur deshalb wahr, weil das Seiende in seiner Entdecktheit und das durch den
Logos entdeckte Seiende identisch sind (vgl. 218).
Heideggers Erörterungen zur Aussagenwahrheit – eine neue Auffassung der Korrespondenztheorie?
Nachdem nun Heideggers Wahrheitskonzept auf Aussagenebene geklärt wurde, bleibt zu erläutern, ob er da mit eine eigenständige Theorie entwickelt hat oder es sich dabei um eine neue Auffassung der Korrespon denztheorie handelt.
Die erste These der KT, wonach die Aussage der „Ort“ der Wahrheit ist, ist nach Heidegger ganz klar „abkünftig“ und verfehlt das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit (vgl. 219ff). Selbst innerhalb seines Konzept der Aussagenwahrheit wird Wahrheit keineswegs in der Aussage (bzw. der Erkenntnis) primär ausdrück13
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lich, sondern in der Bewährung der Intention des assertorischen Gehalts. Der eigentliche „Ort“ der Aussa genwahrheit ist das tatsächliche Seiende, denn an ihm bewährt sich die Intention der Aussage und nicht an irgendeiner „Vorstellung“, die durch die Aussage mitgeteilt wird (vgl. 218). Der Grund, warum das Seiende
selbst zum Prüfstein der Wahrheit wird, liegt einerseits in der Erschlossenheit des Daseins und andererseits in
Heideggers Verständnis von Sprache. Worte sind in traditionellen Korrespondenztheorie meist Träger von
idealen Inhalten („Vorstellungen“) oder intendieren auf diese. Ganz anders bei Heidegger: Bei ihm intendie ren Worte immer auf das tatsächlich Seiende. Dass eine solche Intention überhaupt möglich ist, wird durch
die Erschlossenheit des Daseins garantiert, die das tatsächliche Seiende vorprädikativ schon immer entdeckt.
So gesehen hat die Aussage keinen eigenen idealen Gehalt, sie ist lediglich ein Intendieren auf Tatsachen in
der Welt. Doch auch wenn die Bewährung dieser Intention beim Seienden selbst stattfindet, ist die Aussage
als Mitteilung der Träger dieser Intention und erscheint uns wahr, wenn sich die Intention bewährt, und
falsch, wenn sie sich nicht bewährt. Heidegger verwirft meiner Meinung nach die erste These, weil die Bewährung der Intention der Aussage (Aussagenwahrheit) beim Seienden stattfindet und dadurch notwendiger weise in der Erschlossenheit (ursprünglichste Wahrheit) gründet.
Was die zweite These betrifft, ist es schwieriger einen klaren Bruch ausfindig zu machen. Heidegger spricht
zwar davon, „die Idee der Übereinstimmung aus dem Wahrheitsbegriff auszuschalten“ (219) und was das
ganze fundamentalontologische Wahrheitskonzept anbelangt, mag das zutreffen. Doch er gibt auch zu verste hen, dass „Übereinstimmung“ eine Gleichheitsbeziehung sein müsse, was jedoch mit der traditionellen Auf trennung der Relata in einen idealen Aussageninhalt und ein reales Seiendes nicht zu erreichen sei (vgl. 216).
Heidegger selbst erreicht aber durch seine ontologische Prämissen eine solche Gleichartigkeit, indem sowohl
das Wort, wie auch dessen Intention und das intendierte Seiende allesamt die Seinsweise der Vorhan denheit
aufweisen (vgl. 225). Dabei ist wichtig, dass wir die Gleichartigkeit nicht zwischen Worten und Sei endem
suchen, sondern zwischen dem durch die Aussage entdeckten Seienden und dem tatsächlichen Seien den. Lediglich das Seiende wird durch eine wahre Aussage als dasselbe ausgewiesen, das es ist (vgl. 218) und zwar
durch die Intention des Ausgesagten. Die adaequatio besteht also bei Heidegger nur zwischen dem tatsächlichen Seienden und – dem tatsächlichen Seienden. Denn eine Aussage ist nur insofern wahr, als dass das von
ihr intendierte und das tatsächliche Seiende identisch sind, bzw. das Seiende in seiner Entdecktheit und das
durch den Logos entdeckte Seiende dasselbe sind (vgl. 218). Heidegger bricht also, was die Aussagenwahrheit betrifft, nicht mit der zweiten These, denn auch bei ihm sind Aussage und tatsächliches Seiendes in einer
Übereinstimmungsbeziehung. Nur dass bei ihm diese Beziehung zwischen dem Seienden, von dem etwas
ausgesagt wird, und dem tatsächlichen Seienden besteht und eine Identifizierung der beiden ist (vgl. 218).
Ganz anders in der traditionellen Auffassung, wo ideal und reales Seiendes sich lediglich ähnlich sind.
Die dritte These, wonach Aristoteles der Vater der KT sei, verwirft Heidegger ganz klar. Seine ganzen Ausführungen zum ursprünglichen Wahrheitsbegriff finden auf dem Fundament der vorsokratischen Philosophie
und dem vorontologischen Verständnis der Wahrheit bei Aristoteles statt (vgl. 225). Heidegger argumentiert,
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Aristoteles sei missverstanden worden und vor allem die thomistische Adäquationswahrheit basiere auf Aus sagen, die von Aristoteles „keineswegs als ausdrückliche Wesensdefinition der Wahrheit vorgelegt ist“ (214).
Für Heidegger ist seine „Definition“ der Wahrheit „kein Abschütteln der Tradition, sondern die ursprüngliche
Aneignung“ (220). Dabei spielt der Begriff der Aletheia eine entscheidende Rolle, vor allem in Verbindung
mit dem des Logos. Aletheia bedeutet »die Sachen selbst«, das, was sich zeigt, das Seiende im Wie seiner
Entdecktheit“ (219) und findet sich bei Heidegger als die Entdecktheit, die mit der Erschlossenheit einhergeht (vgl. 222). Das, was Heidegger in seiner Ontologie ausarbeitet, sieht er bei Parmenides, Hera klit und
vor allem Aristoteles vorontologisch schon verstanden (vgl. 225). Auch das Entdeckend-sein des Logos, das
die Aussage wahrheitswertfähig macht, ist bereits in der antiken Philosophie bekannt: „Der λόγoϛ sagt, wie
das Seiende sich verhält. [...] Also gehört zum λόγoϛ die Unverborgenheit, ἀ-λήϑεια [Aletheia]” (219).
Diese Etymologien sind jedoch umstritten (Merker, 128). Dennoch sieht Heidegger sein eigenes
Wahrheitskonzept als ein Ausarbeiten der ontologischen Prämissen, welche die Griechen “als
vorphilosophisches Verständnis dem terminologischen Gebrauch von Aletheia »selbstverständlich« zugrunde
legten” (219).
Heideggers Erörterungen zur Wahrheit überhaupt können unter keinen Umständen als eine neue Auffassung
der KT angesehen werden, das sollte klar geworden sein durch meine Arbeit. Was die Aussagenwahrheit
betrifft, ist der Fall keineswegs so klar und es hängt davon ab, inwiefern man die metaphysischen Prämissen
unverrückbar zum Paradigma der KT zählt. Meiner Meinung nach müssen sie das, da das ganze traditionelle
Wahrheitsverständnis auf einem (vielleicht missverstandenen) Fundament an Aussagen von Aristoteles
beruhen, welche die genannten Dichotomien voraussetzen (vgl. 214). Obwohl Heideggers Argumentation in
derselben These resultiert, wie sie die KT postuliert (2.These), hat sie aufgrund der ontologischen Prämissen
einen völlig anderen Sinn. Die ideal/real-Dichotomie wird selbst noch in modernen Wahrheitstheorien bei
Russel oder dem frühen Wittgenstein vorausgesetzt und scheint mir fundamental für die ganze Theorie (vgl.
Puntel, 36ff). Es ist zudem umstritten, ob man Heideggers Erörterungen zur Wahrheit überhaupt als Theorie
verstehen darf, aufgrund der mangelnden Wissenschaftlichkeit der phänomenlogischen Methode (vgl. Puntel,
3). Ich für meinen Teil würde Heideggers Erörterungen für sich stehen lassen, weil sie zwar in sich relativ
schlüssig sind und dennoch, was die Erschlossenheit selbst betrifft, auf axiomatischen Fundamenten
aufbauen, welche nicht immer ganz durchsichtig sind.
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Fazit
Zusammenfassend lassen sich in Heideggers Wahrheitskonzept verschiedene Stufen oder Schichten
unterscheiden, welche in der Praxis jedoch immer zugleich im Dasein und seiner Welt sind. Die
Erschlossenheit ist dabei deshalb so zentral, weil Dasein durch sie immer schon in der Welt ist, bzw. selbst
sein kann, sowie in der Welt „da” ist und so eine Welt „hat”. Aus diesem Grund ist das Dasein auch „in der
Wahrheit”, sofern es seine eigene Existenz, sowie die der Welt notwendigerweise vorraussetzen, also als
“wahr” annemen muss. Diese Welt ist jedoch nicht einfach ein Raum voller vorhandener Objekte, sondern
vielmehr eine Vielzahl von existenziellen Möglichkeiten, in denen das Seiende dem Dasein immer schon
begegnet. Indem das Dasein sich diese Möglichkeiten erschliesst, entdeckt es das ihm begegnede Seiende.
Durch das Existenzial des Verstehens ist das Dasein immer schon seine Möglichkeiten, insofern es
verstanden hat, dass es gewisse Fähigkeiten hat, mit welchen die Möglichkeiten realisierbar sind. Indem es
die Möglichkeiten versteht, gliedert es zugleich die Welt in die einzelnen Verweisungszusammmenhänge von
Seiendem, mit dem das Dasein lediglich innerhalb dieser Einheiten tätig werden kann. Welche Möglichkeit
überhaupt faktisch gegeben ist, entscheidet sich für das Dasein wiederum durch seine Befindlichkeit.
Aufgrund dieses „Haben” von Welt und ihrer Vorstrukturierung legt das Dasein, sofern es tätig ist, das
Seiende in der Welt als etwas aus, mit dem es umgehen und das es gebrauchen kann. Im Tätigsein ist dem
Dasein Seiendes somit zuhanden und in dieser Zuhandenheit begegnet es als das, was es „an sich” ist. Die
praktische Erkenntnis, die sich in der Auslegung artikuliert, vollzieht sich also, sobald ich mit einem
Seienden umgehe, bei dem ich intuitiv weiss, was ich damit tun kann. Die Auslegung kann dabei genauso
wahr und falsch sein wie Aussagen: Dasein kann bspw. Seiendes als zuhanden auslegen, obwohl es seinen
Zweck nicht mehr erfüllt, weil es defekt ist. Diese Defizienz des Zuhandenen macht, dass das Seiende dem
Dasein nur noch als Vorhandenes begegnet.
Mit diesem Wechsel in der Seinsart des Seienden vom Zuhandenen zum Vorhandenen geht auch ein Wechsel
in der Art der Erkenntnis einher. Wo das Dasein vorher das Seiende gebrauchend in die Hand nahm, kann es
durch die Defizienz nur noch hinsehend auf es eingehen. Dieses Hinsehen geht immer mit einer
Einschränkung einher, einem Gesichtspunkt, auf den das Seiende hin angeschaut wird. Hinsehen ist in
diesem Sinne auch immer ein Bestimmen von Eigenschaften an einem Seienden. Als sprachliche
Mitteilungen nehmen diese theoretischen Erkenntnisse die Form von Aussagen an, die prädikativ die
Vorhandenheit des Seienden und seiner bestimmten Eigenschaften wiedergeben. Dabei sind Aussagen, weil
sie hinausgesprochene Rede sind, immer auch entdeckend. Was Heidegger dabei als das „Entdeckend-sein
des Logos” oder das „Aufweisen des Seienden in seiner Entdecktheit” charakterisiert ist die Intentionalität
der Aussage. Anders als in der KT intendieren Aussagen jedoch nicht auf ideale Abbilder („Vorstellungen”)
von Dingen, sondern auf das tatsächlich Seiende. Somit kann das Wahrsein der Aussage als die Bewährung
dessen charaktersiert werden, dass die intendierten Sachverhalte und die tatsächlichen Tatsachen
übereinstimmen, d.h. identisch sind.
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Bibliographie
Heidegger, Martin (2006): Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 19. Auflage
Henschen, Tobias (2010): Gebrauch oder Herstellung? Heidegger über Eigentlichkeit, Wahrheit und
phänomenologische Methode, mentis Verlag Paderborn, 1. Auflage
Merker, Barbara (2007) in: Rentsch, Thomas (Hg.) (2007): Klassiker Auslegen, Band 25: Martin Heidegger.
Sein und Zeit., Akademie Verlag Berlin, 2. Auflage
Puntel, Lorenz Bruno (1993): Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie: Eine kritisch-systematische
Darstellung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 3. Auflage
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