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Gliederung
1.
Die Musik als Gegenstand, das Gesetz als Gegenstand
1.1
Die Beschreibung der Musik als Gegenstand
1.1.1
Musik als sinnlich wahrnehmbares Ereignis
1.1.2
Frühe Musikausübung und Entwicklung des Menschen
1.1.3
Die Erfahrung von Musik durch den Musikausübenden an sich selbst und
durch den Zuhörer
1.1.3.1
Die Erfahrung von Musik durch den Musizierenden
1.1.3.2
Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer
1.1.3.2.1
Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf die allgemeine
Frage der Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Aufführung
1.1.3.2.2
Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer allgemein im Hinblick auf die
Qualität der Aufführung
1.1.3.2.3
Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den oder die
Solisten
1.1.3.2.4
Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den Dirigenten
1.1.3.2.5
Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den
Komponisten
1.2
Die Beschreibung des Gesetzes als Gegenstand und Gesetzesrecht als
Gegenstand in Gegenüberstellung zur Musik
1.2.1
Das Gesetz in Abgrenzung zum Rechtsgeschäft
1.2.2
Das Gesetz als solches
1.2.3
Die Dogmatik als Teil des Rechts
2.
Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation
2.1
Das Wie der Musikinterpretation
2.1.1
Die historische Werkauffassung
2.1.1.1
Festlegung des Verständnisses "historische Werkauffassung"
2.1.1.2
Einer der Anlässe für die historische Aufführungspraxis
/..
-22.1.1.3
Technische Vorgehensweisen zur Erzielung eines authentischen
Klangbildes
2.1.1.4
Gedankliche Voraussetzungen für die historisierende Aufführungspraxis
2.1.1.5
Die Gründe für die historisierende Werkauffassung im Allgemeinen und im
Besonderen
2.1.1.6
Zusammenfassung von Ziff. 2.1.1.1 bis 2.1.1.5
2.1.2
Die romantisierende Werkauffassung
2.1.2.1
Festlegung des Verständnisses von "romantisierende Werkauffassung"
2.1.2.2
Anlässe für die romantisierende Werkauffassung
2.1.2.3
Technische Vorgehensweisen zur Erzielung eines "romantisierenden"
Klangbildes
2.1.2.4
Gedankliche Voraussetzungen für die romantisierende Aufführungspraxis
2.1.2.5
Die Gründe für die romantisierende Werkauffassung
2.1.2.6
Zusammenfassung von Ziff. 2.1.2.1 bis 2.1.2.5
2.1.3
Gegenüberstellung der historisierenden und der romantisierenden
Werkauffassung
2.2
Das Wie der Gesetzesinterpretation
2.2.1
Der Gegenstand des Wies der Gesetzesinterpretation
2.2.2
Ursachen für die Notwendigkeit der Befassung mit dem Wie des
Verstehens von Gesetzen
2.2.2.1
Die unrichtige Entscheidung als Bewegungsgrund für die Befassung mit
Fragen der Methode
2.2.2.2
Die Nachvollziehbarkeit der Gedankenführung als Grundlage für das
Ergebnis als Beweggrund für die Befassung mit Fragen der Methode
2.2.2.3
Die Richtigkeit der Entscheidung als Hauptursache für die Notwendigkeit
der Befassung mit dem Wie des Verstehens von Gesetzen
2.2.3
Drei Schwerpunkte der in der Jurisprudenz gegenwärtig geführten
Methodendiskussion aus meiner Sicht
2.2.3.1
Das ergänzte bekannte Methodenschema
2.2.3.1.1
Die Auslegungsregeln
2.2.3.1.1.1
Die wörtliche Auslegung
2.2.3.1.1.2
Die systematische Auslegung
/..
-32.2.3.1.1.3
Die historische Auslegung
2.2.3.1.1.4
Die Auslegung des Gesetzes nach dem heutigen Sinn und Zweck
(objektiv-teleologische Auslegung)
2.2.3.1.1.5
Die verfassungskonforme Auslegung
2.2.3.1.1.6
Die vergleichende Auslegung (komparative Auslegung)
2.2.3.1.1.7
Die richtlinienkonforme Auslegung
2.2.3.1.2
Die Auslegungsziele bzw. –theorien
2.2.3.1.2.1
Die subjektive Theorie
2.2.3.1.2.1.1
Methodische Durchführbarkeit des Anliegens der subjektiven Theorie
2.2.3.1.2.1.2
Wahrung der Legitimation des historischen Gesetzgebers bei
Anerkennung der objektiv-teleologischen Auslegung vor dem Hintergrund
der subjektiven Theorie
2.2.3.1.2.1.3
Keine rechtsstaatlichen Sanktionen auf der Grundlage der subjektiven
Theorie wegen Ergebnissen, die vor dem Hintergrund der objektiven
Theorie getroffen wurden
2.2.3.1.2.1.4
Zusammenfassung von Ziff. 2.2.3.1.2.1.1 bis 2.2.3.1.2.1.3
2.2.3.1.2.2
Die objektive Theorie
2.2.3.1.2.3
Einwände von Vertretern des bekannten Methodenschemas gegen dieses
selbst
2.2.3.1.2.4
Die richtlinienkonforme Auslegung als weitere Auslegungstheorie
2.2.3.2
Neue Ansätze zur Lösung von Methodenfragen
2.2.3.3
Europäisches Rechtserkenntnis als Aufgabe für die juristische Methode
2.2.3.4
Meine Auffassung von juristischer Methode
2.2.3.5
Zusammenfassung zu Ziff. 2.2.3
3.
Zusammenfassung
3.1
Musik und Gesetz als Gegenstände
3.1.1
Die Gegenstände als solche
3.1.2
Der Zweck von Musik und Gesetz
3.1.2.1
Der Zweck von Musik
3.1.2.2
Der Zweck des Gesetzes
/..
-43.1.3
Die gelungene Musik, das gelungene Gesetz
3.1.3.1
Die gelungene Musik
3.1.3.2
Das gelungene Gesetz
3.1.4
Die Wahrnehmungserfahrung betreffend Musik und Gesetz
3.1.4.1
Die Wahrnehmungserfahrung betreffend Musik
3.1.4.2
Die Wahrnehmungserfahrung betreffend das Gesetz
3.1.5
Der Inhalt von Musik und Gesetzen außerhalb des Kreises derer, die
musizieren bzw. das Gesetz anwenden
3.1.5.1
Der Inhalt von Musik außerhalb des Kreises der Musizierenden
3.1.5.2
Der Inhalt des Gesetzes außerhalb des Kreises derer, die das Gesetz
anwenden
3.1.6
Der Inhalt von Musik und von Gesetzen außerhalb der Handlungen der
Musiker bzw. der Gesetzesanwender
3.1.6.1
Der Inhalt der Musik aufgrund Handlungen der Musiker
3.1.6.2
Der Inhalt von Gesetzen aufgrund der Handlungen der Gesetzesanwender
3.1.7
Die Musik und das Gesetz
3.1.7.1
Die Musik
3.1.7.2
Das Gesetz
3.2
Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation
3.2.1
Die Begriffe, wie sie in Fragen der Methode in der Musik und im Recht
eine Rolle spielen
3.2.2
Der Gegenstand des Wies bei der Findung des zutreffenden
Gesetzesverständnisses
3.2.3
Schwerpunkt des Belangs von Methode
3.2.3.1
Schwerpunkte des Belangs von Methode in praktischer Hinsicht
3.2.3.2
Schwerpunkte des Belangs von Methode in theoretischer Hinsicht
3.2.4
Mittel zur Verwirklichung methodischer Vorstellungen
3.2.5
Gedankliche Rechtfertigung des gewählten methodischen Ansatzes
3.2.5.1
Die Rechtfertigung der verschiedenen Ansätze, ein Musikwerk zu
interpretieren
/..
-53.2.5.2
Die Rechtfertigung des Verstehens von Gesetzestexten und der Vergleich
mit der Musikinterpretation
3.2.5.2.1
Die Rechtfertigung der grammatischen Auslegung und der Vergleich zur
Musikinterpretation
3.2.5.2.2
Die Rechtfertigung der systematischen Auslegung und der Vergleich mit
der Musikinterpretation
3.2.5.2.3
Die Rechtfertigung der historischen Auslegung und der Vergleich mit der
Musikinterpretation
3.2.5.2.4
Die Rechtfertigung der objektiv-teleologischen Auslegung und der
Vergleich mit der Musikinterpretation
3.2.5.2.5
Die juristische Auslegungstheorie und ihre Parallelen in der historischen
bzw. romantischen Werkauffassung
3.2.5.2.6
Neuansätze in methodischer Hinsicht
3.2.5.2.7
Methodische Probleme aufgrund von Eigenvorgaben durch den
europäischen Gesetzgeber
3.2.6
Der Zweck von Musik und Recht
3.2.6.1
Der Zweck von Musik
3.2.6.2
Der Zweck des Rechts
3.2.6.3
Der Zweck von Musik und Recht
4.
Musik und Recht und die Entwicklung der Naturwissenschaften
/..
-6-
musikundgesetzesinterpretationbernreuther.de
Um der Vergleichbarkeit der Methoden, der
Vergleichbarkeit
von
Musikund
Gesetzesinterpretation nachgehen zu können,
müssen die Gegenstände der Interpretation als
erstes klar sein.
Denn
die
technische
Beherrschung
der
vorgegebenen Noten sagt noch nichts über deren
Spielweise und Wirkung aus, nimmt man als
Beispiel die Wiedergabe der Brandenburgischen
Konzerte aufgrund zuvor erfolgter Programmierung
ohne
Tonerzeugung
auf
herkömmlichen
Instrumenten. Das gedankliche Erfassen des
Worttextes als Inhalt von Gesetzen zeitigt ähnlich
kein Ergebnis für die Gesetzesanwendung als
Grund der Falllösung. Dass die hier vorgenommene
Trennung zwischen Ton und Interpretation,
zwischen Text als Bestandteil eines Gesetzes und
dessen Anwendung nicht unerheblich willkürlich ist,
wird
eingestanden.
Denn
eine
Notenlinie
wiederzugeben, ohne sie zu interpretieren, dürfte
annähernd unmöglich sein, lässt man die
dilettierende
Musikwiedergabe
als
Hauptausnahmefall außer Betracht. Dies gilt auch
für angeführte Beispiele der Brandenburgischen
Konzerte, bedenkt man die Notwendigkeit der
Programmierung.
Desgleichen
Rechtssatzes
vorhandener
gelingen, so
Wiedergabe
übergehen.
dürfte jedes Verstehen eines
nur vor dem Hintergrund bestimmter
Erfahrungs- und Erkenntnisweisen
dass auch hier das Erfassen, die
und die Interpretation ineinander
Zum Zweck der Gegenüberstellung von Musik und
Gesetz scheint es jedoch berechtigt, diese
Gegenstände losgelöst von ihrer Interpretation zu
umreissen.
1. Die Musik als Gegenstand, das Gesetz als
Gegenstand
1.1 Die Beschreibung der Musik als Gegenstand
1.1.1
Musik als sinnlich wahrnehmbares Ereignis
/..
-7Musik ist Ton, also beinahe ausschließlich über das
Ohr
wahrnehmbar;
und
Rhythmus.
Die
Ausnahmebegabungen unter uns, welche beim
Lesen einer Partitur das Werk zugleich selbst
hören, bleiben außer Betracht, so dass zugleich die
Unterscheidung entfällt, ob diese Partitur als
bekannte oder gar als neues Werk gelesen wird.
1.1.2 Frühe Musikausübung und Entwicklung des
Menschen
Frühe Musikausübung, das frühe Erlernen eines
Instruments, fördert die Entwicklung der Intelligenz.
Kreatives Denken, das rasche Erfassen einer und
die schnelle Reaktion auf die durch die Note
bedingte Situation lassen sich früh erlernen. Das
Einwirken eines Musikstückes, das Singen oder
Spielen vom Blatt erfordert eine hohe Konzentration
nebst rascher Auffassungsgabe, was jeweils
geschult werden kann. Bereiche des Gehirns
werden aktiviert, die bei der Übersetzung eines
Textes beispielsweise von römischen Schriftstellern
weniger bemüht werden.
Es bestehe ein Zusammenhang zwischen
hormoneller und musikalischer Entwicklung.
1.1.3
Die Erfahrung von Musik durch den Musikausübenden an sich selbst und durch den
Zuhörer
1.1.3.1 Die Erfahrung von Musik durch den
Musizierenden
Der Musizierende spürt körperlich seine von ihm
erzeugten
Töne,
in
der
musizierenden
Gemeinschaft gilt dies nicht nur hinsichtlich der
eigenen Töne, sondern in Bezug auf deren
Gesamtheit. Das Spüren der selbst erzeugten Töne
liegt bei Blasinstrumenten auf der Hand oder
besser, ist erfahrbar mit Lippe, Herz und Mund,
Streichinstrumente berühren gleichfalls unmittelbar
den Körper, sind in dessen Hand. Lediglich bei
Tasteninstrumenten ist der körperlich erfahrbare
Zusammenhang nicht unmittelbar. Am stärksten
und innigsten berührt der eigene Ton beim Singen,
denn ihn bringt die menschliche Stimme selbst
hervor.
In der musizierenden Gemeinschaft werden die
Töne der anderen nicht nur gehört, um die
rhythmische und musikalische Einheit herzustellen,
/..
-8sondern gleichfalls gespürt. Dies gilt nicht nur für
die Basstöne etwa der Kontrabässe, sondern für
die gesamte musikalische Spannung, innerhalb
derer sich der jeweils Musizierende verwirklicht.
Dieses Aufeinanderachten, das Vorwegerkennen
von Beschleunigungen oder eines Verlangsamens
des Tempos durch den Dirigenten oder den
Solisten, seinen Ausdruck, seine Lautstärke sind
nicht allein durch den physiologisch ablaufenden
Hörvorgang des Ohres erklärbar, sondern verlangt
eine Wahrnehmung durch den ganzen Menschen.
Hierin liegt der Unterschied zum Publikum, auch
wenn dort musikalische Menschen sitzen mögen,
die wie Ensemblemitglieder empfinden.
Das Wahrnehmen der Musik über den physikalisch
einholbaren Ton nebst Rhythmus hinausgehend in
der Gemeinschaft ist erneut am stärksten beim
gemeinsamen
Singen.
Meine
Behauptung
bewahrheitet sich möglicherweise am Ergebnis:
wer gemeinsam singt, verlässt die Gemeinschaft
nicht böse.
1.1.3.2 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer
1.1.3.2.1
Die Erfahrung von Musik durch den
Zuhörer im Hinblick auf die allgemeine
Frage der Teilnahme oder Nichtteilnahme
an der Aufführung
Beim Zuhörenden als dem Empfänger von Musik,
außerhalb des Kreises als Mitwirkender, kann
zwischen dem Anwesenden einer Aufführung oder
einer Probe einerseits und dem bei einer
wiedergebenden
Aufnahme
Anwesenden
unterschieden werden.
Dass Musik einen anderen Inhalt hat, wenn in
einem Konzertsaal anlässlich einer Probe niemand
oder nur ein kleiner Kreis von Zuhörern zugegen ist
im Gegensatz zum vollbesetzten Auditorium, wird
niemand ernsthaft bestreiten. Musik als Gegenstand wird also auch bestimmt durch den an der
praktischen Aufführung teilhabenden Zuhörer,
wobei die Anzahl der Zuhörer über den Inhalt der
Musik – in geringem Umfang und nur in gewisser
Weise – mitentscheidet.
Musik scheint keinen anderen Inhalt zu haben,
wenn ich als Einzelner sie aufgrund einer
vorausgegangenen
Aufnahme
höre.
/..
-9Demgegenüber gilt: jeder hat schon dieselbe
Musikwiedergabe
als
unterschiedlich
zu
verschiedenen Zeiten an sich wahrgenommen.
Auch
insoweit
gibt
es
keine
Gegenstandsbestimmung von Musik außerhalb der
Beziehung zwischen Subjekt (der oder die
Musizierende[n]) und Objekt (der einzelne oder
mehrere, regelmäßig später und anderenorts
anwesende[n] Zuhörer). Darüber hinaus hat jeder
schon im Hinblick auf dieselbe Musikwiedergabe
aufgrund vor-ausgegangener Aufnahme erfahren,
dass diese Musik eine andere sein kann oder
zumeist ist, wenn deren Wahrnehmung einzeln
oder in einer Gruppe erfolgt.
Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von
Musik bei demselben Werkgegenstand kann
zusätzlich anhand der Unterscheidung zwischen
Studioaufnahme als Vorzeigebeispiel einer in
Abschnitten unterteilten Aufnahme und einer
unwiederholbaren, also an einen bestimmten Ort
und eine bestimmte Zeit gebundenen Aufführung
getroffen werden. Ob die Wiedergabe von Musik
auf die erste oder zweite hier genannte Weise
erfolgen soll, war in der jüngeren Vergangenheit ein
viel beachteter Gegenstand gegensätzlicher
Stellungnahmen. Stellvertretend für die beiden
Lager sei auf den auch nach seinem Tod
berühmten kanadischen Pianisten einerseits und
den langjährigen leitenden Dirigenten der
Philharmoniker einer süddeutschen Metropole
andererseits verwiesen (s.u. Ziff. 3.2.5.2.6)
Was nun Studioaufnahmen anbelangt, so werden
diese nicht nur kaum durch jene die musikalische
Spannung erfassenden Zuhörer getragen; sie
bilden zudem keine mit dem Werk gleiche zeitliche
Einheit. Auch wenn die musikalische Spannung
nicht vom Zuhörer getragen wird, bedeutet dies
aber
nicht,
dass
Spannungsbögen
mit
eindringlicher Gegenwart, mit einem tonlichen
Heraus-, will heißen: Herantreten an den Zuhörer
fehlen, das Gegenteil kann der Fall sein. Es ist also
fraglich,
ob
den
Studioaufnahmen
ein
lebensweltlicher Zusammenhang entbehrt, vor dem
allein Musik wiederholbar bzw. zu schaffen wäre.
Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass die im
Lauf der Zeit immer stärker auf technische
Vollkommenheit angelegte Werkwiedergabe als
Ziel immer mehr musizierend tätiger Personen nicht
wenige Aufnahmen hervorgebracht hat, die –
bezogen beispielsweise auf Bach – als
Technokratiebach bezeichnet werden kann (was für
den vorerwähnten kanadischen Pianisten mit
Sicherheit nicht gilt). Grundsätzlich allerdings für
/..
- 10 eine Studioaufnahme zu sagen, sie sei eine
schäbige Fotografie der Wirklichkeit, verstehe ich
schon deshalb nicht, weil ich nicht weiß, was eine
schäbige Fotografie ist.
Was an einen bestimmten Ort und eine bestimmte
Zeit gebundene Aufführungen anbelangt, so
können diese ohne Publikum stattgefunden haben.
Insoweit handelt es sich hauptsächlich um Proben.
Demgegenüber
verstehe
ich
hier
unter
unmittelbaren
Aufführungen
solistische
Darbietungen oder Konzerte, bei denen das
Publikum zugegen ist.
Es ist richtig, dass solche Aufführungen eine
Lebenswelt umfassen, die über Studioaufnahmen
nicht einholbar ist. Beides aber in einen Gegensatz
von totaler Verfälschung und Wahrheit zu stellen,
widerspricht
meinen
Erfahrungen.
Diese
Lebenswelt
ist
getragen
oder
beinhaltet
Wahrnehmungen
und
Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen, die
auf den konkreten Ort und die konkrete Zeit
bezogen sind und mit dieser Punktualität entstehen
und
erlöschen.
Außerhalb
dieser
Aufführungsmöglichkeit von Musik sodann jeder
anderen Musik deren Qualität als solche
abzusprechen, ist deshalb problematisch, weil als
Folge die Einordnung der Aufzeichnung einer
derartigen unwiederholbaren Aufführung schwierig
wird.
Will heißen, eine derartige Aufnahme ist und bleibt
etwas
anderes,
als
der
Regelfall
der
Studioaufnahme, dasselbe gilt zur Aufführung am
Ort und im Zeitpunkt ihres Ereignisses.
Der ereignete musikalische Raum ist zwar nicht
wiederholbar, das heißt aber auch nicht, dass
Musik sich selbst als Musik eingebüßt hat, wenn sie
im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit
reproduziert wird.
1.1.3.2.2
Die Erfahrung von Musik durch den
Zuhörer allgemein im Hinblick auf die
Qualität der Aufführung
Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von
Musik bei demselben Werkgegenstand ist des
Weiteren bedingt durch die musikalische Qualität
des oder der Aufführenden. Es beinhaltet eine
Binsenweisheit, dass dasselbe Werk, dargeboten
durch ein der Musikalität und damit auch den
technischen Erfordernissen abholdes Ensemble zu
/..
- 11 einem
Klangerlebnis
–
auf
derselben
Notengrundlage – führen kann, welches den
Wiedererkennungswert des vom Komponisten und
seinem Werk Gewollten nicht sofort beinhaltet.
1.1.3.2.3
Die Erfahrung von Musik durch den
Zuhörer im Hinblick auf den oder die
Solisten
Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von
Musik bei demselben Werkgegenstand ist neuerlich
und stärker bedingt durch den Solisten. Je stärker
ein Solist in seiner Musikalität und in seiner
Persönlichkeit ist, umso mehr prägt er den Inhalt
der von ihm dargebotenen Musik in Sachen Tempo,
Zeit, Phrasierungsbögen, harmonische Auffassung
der Notenlinien, der gesungenen Wörter, der
Lautstärke, der Anpassung der Mitmusizierenden,
der Bedeutung seiner Passage beim Spiel ohne
Begleitung nebst deren Gewichtung innerhalb des
Werks, um nur einige von Solisten beeinflussbaren
Umstände zu nennen.
Bei der Beachtung solistischer Leistungen – und
dieser Hinweis ist wichtig vor allem vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass ein mitunter durch
Unwissenheit
sich
repräsentierendes
Angeberpublikum
durch
modische
und
wichtigtuerische Vorgaben geleitet ist – darf nie die
Bedeutung
der
nichtsolistischen
Begleiter
unterschätzt werden. Wird beispielsweise bei einem
Oratorium oder einer Passion durch das Continuo
bestehend aus Cembalo, Kontrabass, Cello und
Fagott nicht sofort und von selbst jedes ritardando,
accelerando, crescendo, diminuendo ohne jede
zeitliche Verzögerung erfasst und verwirklicht, ist
der ganze solistische Vortrag wenig wert. Will
heißen: Je weniger man insbesondere vom
Continuo in derartigen Augenblicken etwas
bemerkt, desto besser sind die Bedingungen für
den solistischen Vortrag zur Entfaltung der Musik
als Musik.
1.1.3.2.4
Die Erfahrung von Musik durch den
Zuhörer im Hinblick auf den Dirigenten
Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von
Musik bei demselben Werkgegenstand ist ferner
bedingt durch den ein Werk leitenden Dirigenten.
Der Dirigent gibt das Tempo vor, wobei zu erinnern
ist,
dass
die
Musikalität
der
dirigierten
Instrumentalisten und Sänger im besten Fall so
stark vorhanden sein sollte, dass sie jede
/..
- 12 Gestaltung und damit auch diejenige des Tempos
von einer zur anderen Aufführung musikalisch
mitzugehen vermögen bei gleich bleibender
musikalischer Einheit.
Der Dirigent gibt die Lautstärke vor, jede
Veränderung insoweit, die Einsätze ohnehin, die
Phrasierungsbögen, die Betonung der Stimmen
und Klangkörper im Rahmen der Gestaltung der
Klangperspektiven, die Zeit, die Anpassung der
Stimm- oder Instrumentengruppen untereinander,
die Betonung der Themen, die Harmonie des
Ganzen, d.h. die Einheit von Ton und Rhythmus in
allen
Erscheinungsund
Kombinationsmöglichkeiten.
1.1.3.2.5
Die Erfahrung von Musik durch den
Zuhörer im Hinblick auf den Komponisten
Womit wir beim Hauptbestimmungsgrund der
Frage, was macht die Musik zur Musik, was ist der
Gegenstand von Musik als Musik, wären: Der Ton
macht die Musik und der Rhythmus. Ton und
Rhythmus stammen als Werkschöpfung vom
Komponisten, die Ausnahmefälle der nicht im
Notensystem gefassten und gegliederten System
bleiben hier ebenso außer Betracht wie das
notengraphische Einholen von Volksmusik, wir
denken hier sofort vor allem an einen ungarischen
Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Wenn also Musik mehr ist als Rhythmus und Ton,
so ist Musik schwerpunktmäßig ganz entscheidend
eben dieses. Erkennbar sind Rhythmus und Ton
vor jeder Aufführung anhand des in Takten
gegliederten Notensystems. Diese machen – vor
jeder Aufführung – das Musikwerk aus, geschaffen
durch seinen Schöpfer, den Komponisten als
Urheber.
Wenn mithin im nachfolgenden unter Ziff. 2 die
Musikinterpretation
der
Gesetzesinterpretation
gegenübergestellt und erörtert wird, im Rahmen der
Musikinterpretation sich Darlegungen allein zu den
von
Dirigenten
verwirklichten
Möglichkeiten
unterschiedlicher Aufführungspraxis finden, welche
zu dem Stichwort historisierende Werkauffassung
gegen romantisierende Werkauffassung höchst
bekannte Kontroversen bilden und Gegenstand
beinahe jeder Musikkritik sind, muss klar sein, dass
die Bedeutung der Dirigenten und sonstiger
Interpreten gegenüber dem Werk und seinem
Schöpfer zweitrangig ist.
/..
- 13 -
1.2
Die Beschreibung des Gesetzes als Gegenstand und Gesetzesrecht als Gegenstand in
Gegenüberstellung zur Musik
Das Gesetz stellt den die Schwierigkeit der
Rechtsanwendung ausmachenden Gegenstand
dar. Allerdings dürfte das Gesetz in weniger als der
Hälfte aller Rechtsstreitigkeiten den alleinigen
Bezugspunkt der rechtlichen Überlegungen bilden.
Denn der Abstraktionsgrad grundlegender Gesetze
wie beispielsweise des Bürgerlichen Gesetzbuches,
aber auch des Gesetzes gegen den unlauteren
Wettbewerb ist regelmäßig hoch, so dass es häufig
im Streitfall nicht – allein – um die richtige
Anwendung des Gesetzes, sondern um das richtige
Verständnis der auf mittlerer Abstraktionshöhe
zwischen Norm und Sachverhalt angesiedelten
Dogmatik, allzumeist in Gestalt von Judizien der
Rechtsprechung geht. Recht existiert also in ganz
erheblichem Maße in dieser vorhandenen
Ausdifferenzierung, welche vor allem von den
Gerichten
her
stammt.
Gerade
in
der
Gegenüberstellung zum Gegenstand "Musik" ist
diese rechtliche Dogmatik ebenso Teil des Rechts,
wie das Gesetz selbst, geht man allein von der
Sichtweise aus, was als Anknüpfungspunkt in
rechtlicher Hinsicht für die Falllösung in Betracht
kommt.
1.2.1
Das
Gesetz
Rechtsgeschäft
in
Abgrenzung
zum
Stellt man das Gesetz der Musik als Gegenstand
der Auslegung gegenüber, taucht als erstes die
Frage
auf,
aus
welchen
Gründen
eine
Beschränkung auf diesen Gegenstand erfolgt
mithin, weshalb die Gegenüberstellung nicht unter
der Überschrift Musik- und Rechtsauslegung
erörtert wird.
Nachdem man im Bereich des Rechts zwischen
Gesetzesund
Rechtsgeschäftsauslegung
unterscheidet, ist also die Ausklammerung der
Rechtsgeschäftsauslegung zu rechtfertigen.
Dies bedingt es zunächst, dem Gegenstand des
Rechtsgeschäfts
und
der
Auslegung
dort
nachzugehen.
Erscheinungsformen schlechthin des von einzelnen
Umständen
losgelösten
Gedankengebildes
"Rechtsgeschäft" – eine Besonderheit der
deutschen
Rechtsordnung
(andere
/..
- 14 Rechtsordnungen
kennen
die
Abstraktion
"Rechtsgeschäft" nicht) – sind Willenserklärung und
Vertrag. Die Auslegung von Willenserklärungen als
im Alltag zu lösende Fragestellung ergibt sich bei
Gestaltungserklärungen (z.B. Kündigungen) und
bei Erklärungen des letzten Willens (also vor allem
bei Testamenten). Während Auslegungsfragen
insoweit in der Tat einen Gegensatz zur
Gesetzesauslegung deshalb aufweisen, weil die
der Erklärung zugrunde liegenden tatsächlichen
Umstände – ohne konkrete tatsächliche Umstände
kommen die Gesetzeswortlaute aus – für die
Auslegung
maßgeblich
oder
zumindest
mitbestimmend sind, lässt sich die Auslegung von
Verträgen nur gedanklich der Gesetzesauslegung
gegenüberstellen. Gedanklich ist der Gegensatz
zwischen Vertrag und Gesetz deshalb, weil die
Begründung des Gegensatzes zwischen Vertrag
und Gesetz und damit die Begründung des
Vertrags – das freie Aushandeln von Inhalten nebst
Einigung auf das übereinstimmend gewollte – so
selten ist, wie Vertragsschlüsse des geneigten
Lesers auf Flohmärkten und im Zuge des Kaufs von
gebrauchten PKWs. Will heißen: Geht es heute um
den Inhalt von Verträgen, sind beinahe
ausschließlich maßgebend die zugrunde liegenden
Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Diese
ähneln allerdings in ihrem Aufbau, ihrer Struktur
einem Gesetz sehr. Darüber hinaus kommen
konkrete tatsächliche, nur durch diesen Fall
bedingte Umstände bei AGB nicht vor und
schließlich ist allgemein anerkannt, dass die zur
Konkretisierung
von
Gesetzen
bekannten
Auslegungsregeln mit Ausnahme der historischen
Auslegung auch bei der Auslegung von AGB zur
Anwendung
kommen
(vgl.
hierzu
meine
Ausführungen in GRUR 2003, 114, 116 Fn 14
sowie www.agbrecht-bernreuther.de, Ziffer 4).
Damit ist als Frage lediglich noch offen, weshalb
bei der Gegenüberstellung von Musik- und
Gesetzesinterpretation lediglich das Gesetz, nicht
aber das Rechtsgeschäft und zwar in seinen
Erscheinungsformen
der
einzelnen,
empfangsbedürftigen
Willenserklärung
(z.B.
Kündigung) oder der nichtempfangsbedürftigen
Willenserklärung
(letztwillige
Verfügung,
insbesondere Testament) als Gegenstand in
Betracht kommt, ferner, ob das Fehlen der
historischen Auslegung es rechtfertigt, die
Auslegung von AGB als Hauptform der
Vertragsauslegung der Vergleichbarkeit mit der
Gesetzesauslegung genügen zu lassen mit der
Folge einer Nichterwähnung der Vertragsauslegung
in Gegenüberstellung zur Musikauslegung.
/..
- 15 -
Die
Rechtsgeschäftauslegung
in
den
Erscheinungsformen
der
einzelnen,
empfangsbedürftigen
oder
nichtempfangsbedürftigen Willenserklärung eignet
nach meinem Dafürhalten deshalb wenig, um in
einer Gegenüberstellung zur Musikauslegung
Erhellendes für den rechtlichen und den
musikalischen Bereich zu ergeben, weil durch die
konkreten
tatsächlichen
Umstände
die
Besonderheit des Falles ein Gewicht hat, welchem
die Entsprechung bei der Interpretation eines
Musikwerkes entbehrt.
Ferner: Die Unbeachtlichkeit der historischen
Auslegung bei AGB ist der Grund dafür, dass die
Auslegung von AGB nicht in Gegenüberstellung zur
Musikauslegung Erhellendes für beide Bereiche zu
leisten vermag, bedenkt man die Tatsache, dass
der Streit um die zutreffende Aufführungspraxis in
der Musik schlechthin durch den Gegensatz
zwischen
historischer
und
romantischer
Auffassung, (wenn man diese unerträglich
verkürzenden Schlagwörter benutzen will) geprägt
ist.
Relativierend kann hinzugefügt werden, dass auch
die Rechtsgeschäftauslegung im Allgemeinen, also
über
AGB
hinausgehend,
das
bekannte
Auslegungsschema kennt, ohne – wegen der
Bedeutung der tatsächlichen Umstände – hierauf
beschränkt
zu
sein
(vgl.
hierzu
meine
Ausführungen in GRUR 2003, 114, 116 Fn 11).
Wird letztlich eingewandt, es gebe auch eine
Vertragsauslegung außerhalb der Auslegung von
AGB gilt, dass insoweit die zur sonstigen
Rechtsgeschäftauslegung vorgetragenen Gründe
der Nichteignung einer Gegenüberstellung zur
Gesetzesauslegung verfangen: Die Bedeutung der
nur
insoweit
vorhandenen,
maßgeblichen
Einzelumstände machen eine Gegenüberstellung
zu Musikauslegung ungeeignet.
1.2.2 Das Gesetz als solches
Gesetze sind Sätze, die abstrakt– hypothetische
Anordnungen enthalten, gerichtet an einen
generellen Personenkreis und bezogen auf die
Entfaltung
von
Außenwirkung,
wobei
die
Besonderheit dieser Anordnungen im Gegensatz
zur moralischen oder sozialen Regel in der Chance
auf Durchsetzung mit staatlicher Gewalt liegt. Diese
im herkömmlichen Rahmen sich bewegende
/..
- 16 Festlegung des Inhalts und der Grenzen des
Begriffs
"Gesetz"
bedarf
ergänzender
Feststellungen. Zum einen enthalten die ein Gesetz
ausmachenden Sätze nicht ständig Bewertungen
menschlichen Verhaltens, also nicht ständig
abstrakt-hypothetische Anordnungen, sondern – in
der
Mehrzahl
–
die
Festlegung
von
Voraussetzungen hierzu, auch und gerade mittels
Begriffsbestimmungen und Beschreibung der
tatsächlichen
Voraussetzungen
für
eine
Anwendbarkeit der Regeln.
Des Weiteren ist das wichtigste gesetzliche
Werkzeug der Gegenwart, die Richtlinie, nicht an
einen generellen Personenkreis gerichtet, sondern
an den nationalen Gesetzgeber. Nachdem dieser
Auftrag allerdings ein zeitlich begrenzter ist, die
Richtlinie sodann als nationales Gesetz wirkt, wenn
sie vom Gesetzgeber umgesetzt ist bzw. – dies war
Gegenstand der Entscheidung des BGHs mit dem
Stichwort "Testpreisangebot" im Hinblick auf die
Richtlinie über die vergleichende Werbung,
www.markenrecht-bernreuther.de Ziffer 4.1.2.1.1 –
durch die Rechtsprechung im Rahmen einer
Generalklausel unmittelbar angewandt wurde,
ändert das Bezogensein einer Richtlinie auf den
Gesetzgeber an der vorstehend wiedergegebenen
Definition nichts. Dies gilt auch dann, wenn die
Richtlinie weder umgesetzt noch von der
Rechtsprechung
unmittelbar
über
eine
Generalklausel
angewandt
wurde:
nach
Überschreitung der Umsetzungsfrist kann sich der
Einzelne auf die Richtlinie wie auf ein Gesetz sonst
gegenüber dem Staat berufen.
Interessant ist schließlich, dass manche Gesetze
nur indirekt das Verhalten von Bürgern regeln, will
heißen, Wirksamkeit lediglich in der Hinsicht
entfalten, dass strengere Regeln in bestimmten
Fällen, also insbesondere im Fall eines
grenzüberschreitenden Warenverkehrs, für nicht
anwendbar erklärt werden, so z.B. § 4 Abs. 2 TDG.
In diesem Zusammenhang sind ferner die Regeln
des EG-Vertrages und des Grundgesetzes zu
sehen.
1.2.3 Die Dogmatik als Teil des Rechts
Die Sätze der Dogmatik, also diejenigen
Bestandteile,
die
angesiedelt
auf
einer
Zwischenhöhe unterhalb des abstrakten Gesetzes
und oberhalb des zu lösenden Falles eine
Gesetzesanwendung häufig erst ermöglichen,
teilen selbstredend mit dem Gesetz nicht dessen
/..
- 17 Rang
und
Prädikat einer
demokratischen
Mehrheitsentscheidung. Sätze der Dogmatik
stammen in der Regel von der Rechtssprechung
und insoweit zumeist von den Bundesgerichten her,
also nicht vom Parlament, darüber hinaus können
sie von der Rechtssprechung geändert werden und
schließlich sind auch die im Instanzenzug
nachfolgenden Gerichte lediglich tatsächlich, also
insoweit an diese Vorgaben gebunden, als jede
Abweichung keine Gesetzesverletzung oder gar
einen Gesetzesbruch bedeutet, wohl aber das
Wagnis einer Urteilsaufhebung beinhaltet.
Nimmt man allerdings die durch das Thema
bedingte
Gegenüberstellung
Musikund
Gesetzesauslegung, muss gesagt werden, dass
der Gegenstand "Musik" zwar nahezu ausnahmslos
die in Takten vorfindliche Notenniederschrift
darstellt, welche sodann Bezugspunkt der
Auslegung, der Musikinterpretation ist. Das Gesetz
demgegenüber besitzt nicht dieselbe Alleinstellung
als das, was Recht ausmacht. Wie dargetan hat die
Dogmatik eine erhebliche Bedeutung für den
Bereich, der als Recht zu verstehen ist. Nachdem
aber gleichermaßen gesagt werden muss, dass die
Dogmatik selbst allenfalls in systematischer
Hinsicht Gegenstand von Bemühungen der
Auslegung, Gegenstand der Bemühungen um die –
weitere – Konkretisierung von Recht im Sinne von
Interpretation ist, scheint es gerechtfertigt, in
Gegenüberstellung zur Musikinterpretation diesen
Bereich methodisch nicht weiter zu erörtern.
2. Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation
Musikinterpretation,
die
Möglichkeit
einer
Aufführungspraxis, wurde in der jüngeren
Vergangenheit beinahe ausschließlich anhand der
in
ein
Gegensatzverhältnis
gestellten
Eigenschaftswörter "historisch" oder "authentisch"
einerseits und "romantisch" andererseits erörtert.
Die nachfolgenden Gedanken beziehen sich auf
diese Gegenüberstellung als Grundlage. Dies gilt
auch, um das Thema überschaubar zu gestalten,
ein Ziel, dessen Erreichbarkeit durch diese
Themenstellung noch nicht eingelöst ist eingedenk
der immer noch vorhandenen Weite der
notwendigen Gedanken insoweit.
Bei der Gesetzesinterpretation werden das
herkömmliche, ergänzte Methodenschema, also die
Auslegungsregeln
sowie
die
bekannten
/..
- 18 Auslegungsziele erörtert, ergänzt durch Hinweise
insbesondere zur richtlinienkonformen Auslegung
als zusätzlich mögliches Auslegungsziel. Neuere
Ansätze in der juristischen Methodendiskussion
finden bereits aus Gründen der räumlichen
Begrenzung nur kurze Erwähnung, dasselbe gilt für
die Tatsache, dass inhaltliche Vorgaben des
Gemeinschaftsrechts
möglicherweise
neue
Rechtfertigungsgründe betreffend die Einordnung
dieser Ergebnisse in das Rechtssystem und damit
auch möglicherweise neue Wege im Bereich der
Methode erforderlich machen. Ob sich die auf den
ersten Blick einstellende Wahrnehmung bestätigt,
wonach der stärkste Berührungspunkt zwischen
Musikund
Gesetzesinterpretation
in
der
Gegenüberstellung zwischen historischer und
romantisierender Werkauffassung einerseits und
der subjektiven und der objektiven Theorie
andererseits sich bestätigt, werden wir sehen.
2.1 Das Wie der Musikinterpretation
Vereinfachend kann gesagt werden, dass zur Frage
der Auffassung einer Musikwiedergabe von
Musikwerken die historische und die romantische
Werkauffassung
einander
gegenübergestellt
werden. Mein erster Gegenstand ist somit die so
genannte historische Werkauffassung.
2.1.1 Die historische Werkauffassung
Als erstes wird kurz dargelegt, was unter
historischer Werkauffassung bzw. historischer
Aufführungspraxis zu verstehen ist, erwähnt wird
sodann einer der Auslöser dieser Musikweisen,
mein Belang ist es weiter, einen kurzen Hinweis auf
die Verwirklichung der Tongebung in diesem
Zusammenhang zu geben, sodann komme ich zu
den mir bekannten Erwägungen für diese
Musizierweise und letztlich frage ich, ob diese
Erwägungen auf gute Gründe verweisen können.
2.1.1.1 Festlegung des Verständnisses "historische
Werkauffassung"
"Historische" Interpretation oder "historische"
Werkauffassung bedeutet, ein Musikwerk klanglich
entsprechend der Vorstellung seines Komponisten
wiederzugeben. Nahm der Komponist als
Werkschöpfer
nach
der
Uraufführung
Veränderungen vor, die nicht allein auf die
Konzeption, sondern allein oder zusätzlich auf die
/..
- 19 Aufführungspraxis bezogen waren, ist diese
Veränderung für die Wiedergabe maßgebend.
Wurde
ein
Werk
im
Zeitpunkt
seiner
Erstwiedergabe entgegen dem Willen seines
Komponisten aufgeführt, kam es mithin zu einer
bewussten
oder
unbewussten
Nichtberücksichtigung
des
Willens
des
Komponisten, im zweiten Fall auch deshalb, weil
dieser Wille etwa wegen des Todes des
Komponisten im Zeitpunkt der Ur-, Erst- oder
Wiederaufführung nicht – mehr – bekannt war,
entscheidet weiterhin der Wille des Komponisten
mit dem Inhalt, wie er rekonstruierbar ist bzw. war.
Der "historischen" Interpretation oder "historischen"
Werkauffassung liegt die Vorstellung zugrunde,
dass jede Aufführungspraxis, die nicht vom Urheber
stammt
oder
legitimiert
ist,
eine
nicht
"authentische", nicht wahrheitsgetreue, sondern
verfälschende ist. Dem Werk selbst wird kein
eigener, vom Komponisten losgelöster Gehalt nach
Werkvollendung
zuerkannt.
Jedes
andere
Werkverständnis stammt allein vom Interpreten her
und ist somit illegitim wie die Fälschung gegenüber
dem Original.
2.1.1.2 Einer der Anlässe für die historische
Aufführungspraxis
Einer
der
Anlässe
für
die
historische
Aufführungspraxis war die Feststellung eines ihrer
heute renommiertesten Vertreter, dass die
Wiedergabe des zur Aufführung anstehenden
Barockwerkes geändert werden müsse, wolle man
zu klanglich befriedigenden Ergebnissen gelangen.
Folge der sodann gefundenen historischen oder
authentischen Aufführungspraxis war es, dass das
betroffene Barockwerk in einer zuvor nicht erzielten
Klangdurchsichtigkeit,
Stimmenklarheit
und
Nachverfolgbarkeit der instrumentalen, stimmlichen
und musikalischen Linien erklang.
2.1.1.3 Technische Vorgehensweisen zur Erzielung
eines authentischen Klangbildes
Was Violinen anbelangt, so werden diese mitunter,
also nicht von sämtlichen Vertretern der
historischen Aufführungspraxis, entsprechend den
technischen
Voraussetzungen
der
Werkentstehungszeit ohne Kinnhalter gespielt. Dies
führte dazu, dass bei größerer Entfernung zum
Zwecke der Beibehaltung der Stabilität des
Instrumentes die Griffhand nicht ohne Zwischenhalt
/..
- 20 zur anderen Position gelangen kann, da
anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Violine
herunterfällt.
Was Celli anbelangt, so werden diese mitunter,
also nicht von sämtlichen Vertretern der
historischen Aufführungspraxis, entsprechend den
technischen
Voraussetzungen
der
Werkentstehungszeit, ohne Teleskopstab, mithin
lediglich durch Kniedruck gehalten.
Was Tasteninstrumente anbelangt, so wird das
wohltemperierte Klavier auf Klavieren gespielt,
denen mehrere Generationen veränderte und
verbesserte Instrumente nachfolgen.
Orgeln werden lediglich als mechanische
akzeptiert, auch wenn der Tastenweg erheblich ist
und somit das Wort "toccata" mitunter nur im
wahrsten Sinne des Wortes eingelöst werden kann.
Holzblasinstrumente aus der Zeit der Entstehung
des betreffenden Werkes haben mitunter nicht
dasselbe Volumen, die Mechanik klappert nicht
unerheblich, will heißen, ist manchmal auch in der
letzten Reihe deutlich vernehmbar. Diese
Schilderung ist nicht abschließend.
Was die Tonerzeugung selbst anbelangt, so ist
zwischen Instrumental- und Vokalmusik zu
unterscheiden. Bei Streichern wird der Ton häufig
angespielt und zwar in der Weise, dass von einem
kräftigen Ton in ein Ausklingen übergegangen wird,
das ganze geschieht ohne Vibratos (ich habe
allerdings schon beobachtet, dass Musiker, wenn
sie von der Schönheit der Passage menschlich
besonders berührt waren, mit der linken Hand das
Tremolo bewirkten und beinahe erschrocken
innehielten, als sie sich ihres tatsächlichen oder
vermeintlichen Fehlgriffs bewusst wurden), auch
der Umkehrfall ist möglich, nämlich das vibratolose,
leise Anspielen des Tons nebst Steigerung der
Lautstärke.
Bei
Blasinstrumenten
schwingt
insbesondere bei den Holzbläsern gleichfalls der
Ton nicht gleich bleibend, sondern in einem
unmittelbaren Nachlassen nach dem Tonbeginn
aus, dieselbe Erscheinung vermag ich bei den
Blechbläsern nicht zu erkennen, hier ist lediglich
der Ton spröder, als Beispiel wähle ich die
Trompete.
In Rezitativen wird von den Instrumenten der Ton
nicht gehalten, dies betrifft sowohl Streicher, Bläser
und in erster Linie das zum Einsatz kommende
Positiv.
/..
- 21 -
Was den Gesang anbelangt, so wird weder beim
Solo- noch beim Chorgesang das Ansingen eines
Tones in der Weise gepflegt, wie dies bei den
Streichern eingängig ist. Gleichwohl ist die
Tongebung schlanker.
Ensembles musizieren in kleinerer Besetzung. Die
Alt-Stimme wird durch Counter-Tenöre gesungen,
je strenger die historische Aufführungspraxis
gepflegt wird, desto häufiger sind Counter-Tenöre
anzutreffen; diese Vorstellung auch in Chören zu
verwirklichen, scheitert möglicherweise zumeist an
der Zahl solcherart vorhandener Sänger.
Erstaunlicherweise verzichten viele Orchester oder
Chöre der Alten Musik nicht auf den Dirigenten,
obschon es zur Zeit des Barocks diese nicht gab;
Bach leitete seine Orchesterwerke von der
Bratsche oder von dem Cembalo aus. Das
Dirigieren entstand zu Zeiten des Titans der
deutschen Klassik, es ist mithin zumeist mit der in
einen
Gegensatz
gestellten
romantischen
Werkauffassung verknüpft.
2.1.1.4
Gedankliche Voraussetzungen
historisierende Aufführungspraxis
für
die
Die historisierende Aufführungspraxis kommt ohne
Befassung mit den in der Werkentstehungszeit
gepflegten Wiedergabevoraussetzungen nicht aus.
Ob dieserhalb Dirigenten und Mitglieder von
Ensembles der Alten Musik musikgeschichtlich und
musiktheoretisch einen größeren Kenntnisstand als
ihre Kollegen der so genannten romantisierenden
Werkauffassung besitzen, ist für mich mangels
Kenntnis
von
Ergebnissen
einschlägiger
Forschungsarbeiten Spekulation.
2.1.1.5
Die Gründe für die historisierende
Werkauffassung im Allgemeinen und im
Besonderen
Allgemein
gilt,
dass
die
historisierende
Werkauffassung häufig zugleich als authentische
Musikweise bezeichnet wird. Dem liegt die
Vorstellung
zugrunde,
dass
Aufführungsmöglichkeiten,
die
nicht
vom
Komponisten als Urheber, als auctor, in dem
betreffenden Musikwerk verankert sind, dort ihren
Ursprung und ihre Verankerung nicht haben
können,
so
dass
nichthistorische
Aufführungsweisen keine Berechtigung besitzen.
/..
- 22 -
Insbesondere
aus
der
Veränderung
der
Besetzungen von Werken der Barockzeit (etwa
eine
völlig
übertriebene
Besetzung
der
Feuerwerksmusik) wird die Notwendigkeit zur
historischen Aufführungspraxis zurückzukehren, als
allgemeines Anliegen gefolgert. Die historische
Werkauffassung ermöglicht – so ihre Vertreter –
erstmals Durchsichtigkeit und Klarheit, die das
betreffende Werk in romantischer Interpretation
entbehrte. Rigoristisch gesprochen stehen sich die
historische und die romantische Werkauffassung
gegenüber wie Original und Fälschung.
Hinsichtlich der vorstehend unter Ziff. 2.1.1.3
beschriebenen instrumentalen, also konkreten
Musikweisen ist maßgebend erneut der Gedanke,
dass eine andere Tonerzeugung als die mittels
seinerzeit
verwendeten
Instrumente,
keine
Rechtfertigung durch den Urheber besitzt.
Theoretische Ausführungen oder zumindest
Anweisungen seitens der Urheber in dieser Hinsicht
fehlen allerdings zumeist. So ist gerade Bach ein
Vorzeigebeispiel dafür, dass interpretatorische
Anweisungen einfachster Art, also bereits
betreffend den Vortrag als laut, leise, crescendo
oder diminuendo, ritardando oder accelerando ja
sogar Registrieranweisungen betreffend das
Orgelspiel, fehlen, so dass es nur folgerichtig ist,
wenn bei einem solchen Komponisten darüber
hinausgehend zusätzliche Hinweise zur Spielweise
von Instrumenten ausbleiben. Beachtet werden
muss, dass die erwähnten Hinweise zur Spielweise
von Instrumenten ohnehin nur allgemeine Fragen
betreffen können. Der Ansatz einer Querflöte
beispielsweise ist alleinige Sache des Flötisten
oder der Flötistin, jede andere Anweisung griffe in
die Musikalität des Musizierenden selbst ein und
führte lediglich zum Beweis der Abwesenheit von
Kunstverständnis in der Person des Anweisenden.
Hinsichtlich der vorstehend unter Ziff. 2.1.1.3
beschriebenen gesanglichen und damit konkreten
Musizierweise müsste zusätzlich ins Feld geführt
werden, dass die Auffassung vertreten wurde, die
Ersetzung der Altistin durch den Counter-Tenor sei
notwendig, um dem Auftritt eine allzu starke
sexuelle Ausstrahlung zu nehmen. Auch wenn dies
in der Barockzeit ein Grund dafür war,
entsprechend zu verfahren, wird dieser Grund
heute zumindest selten als Rechtfertigungsgrund
genannt oder gar anerkannt.
2.1.1.6 Zusammenfassung von Ziff. 2.1.1.1 bis
/..
- 23 2.1.1.5
Historische Aufführungspraxis
bedeutet,
ein
Musikwerk
klanglich
entsprechend
den
Vorstellungen seines Komponisten wiederzugeben.
Jede anderweitige Musikwiedergabe verhält sich
zum historisierend musizierten Werk wie die
Fälschung gegenüber dem Original.
Ein konkreter Anlass für die Entwicklung dieser
Musizierweise war die fehlende klangliche Wirkung
eines Barockwerks oder mehrerer dieser opera
insbesondere aufgrund fehlender Transparenz
nebst fehlender perspektivischer Wahrnehmbarkeit
der Stimmen.
Die technischen Vorgehensweisen beim Spielen
auf historischen Instrumenten nebst Einlösung des
historischen Klangbildes sind so erheblich, dass
eigene Studiengänge an den Musikhochschulen
und Konservatorien zu dem Behufe der
Erlernbarkeit dieser Praxis angeboten werden. Am
deutlichsten wird dies bereits bei den Streichern:
Bogenund
Griffhaltung
(ohne
Vibrato)
unterscheiden sich von der so genannten
romantisierenden
Aufführungspraxis,
mitunter
fehlen sogar Kinnhalter (Geige; Bratsche) oder
Teleskopstab (Cello); klanglich gilt, dass der Ton
schmäler ist, auf ein Anfangsbetonen folgt ein
rascher Abfall in der ersten Phase des Ausklingens
hinsichtlich Lautstärke und Intensität (möglich ist
auch der Umkehrfall), vornehmlich in Rezitativen
fehlt ein Aushalten des Tones bei den Instrumenten
völlig. Das Pianoforte, im Barock gerade als
Instrument
entwickelt,
wird
in
dieser
Frühausfertigung genutzt. Die Klaviatur ist mithin
noch so, dass das "Hammerklavier" seinem Namen
alle Ehre macht, es werden nicht zwei oder gar drei
Saiten angeschlagen, obschon das Anreißen
mehrerer Saiten zur Hervorbringung eines
farbigeren, schwingenden Tones im Cembalo
durchaus schon damals verwirklicht war.
Die technische Vorgehensweise beim Singen ist
nur in Teilen ähnlich dem Hervorbringen von
Instrumentalmusik. Das Ansingen des Tons mit
einem Ausklingenlassen nach anfänglich stärkerer,
nicht linearer Rücknahme hinsichtlich Lautstärke
und Intensität habe ich weder beim Sologesang
noch in Chorkonzerten wahrgenommen. Gleichwohl
ist die Tongebung der Sänger häufig schlanker, auf
zu vieles gesangliche Vibrato oder gar Tremolo
kann ich – ohne dass es hierauf im Rahmen dieser
allgemeinen Ausführungen ankäme – ohnehin
verzichten.
/..
- 24 -
Erstaunlicherweise verfügen die Ensembles der
Alten Musik nicht selten über Dirigenten.
Rechtfertigungsgrund für die historisierende
Aufführungspraxis ist die Vorstellung, dass in einem
Musikwerk nicht mehr an Inhalt vorhanden sein
kann, als durch den Komponisten dort vermittelt ist.
Einen zweiten Rechtfertigungsgrund stellt dar, dass
nur auf diese Weise Tontransparenz und klangliche
Perspektive erreichbar ist.
2.1.2 Die romantisierende Werkauffassung
Musiktheoretiker oder zumindest die, die sich mit
ihrem Sprachgebrauch im Feld des Nachdenkens
über Musik durchsetzen können, besitzen die
erstaunenswürdige Gabe, durch die Verwendung
zweifelhafter Begriffe den Gegenstand ihrer
Überlegungen
nicht
immer
treffend
zu
kennzeichnen.
Gemeint ist als Vorzeigebeispiel der Begriff
"Parodie", mit dem ausgedrückt werden soll, dass
ein Komponist einen Satz oder den sonstigen Teil
seines
Musikwerks
erneut
in
anderem
Zusammenhang verwendet. So ist es im Rund der
kompetenten und der sich diesem Eigenschaftswort
annähernden Kritiker durchaus bekannt, dass Bach
beispielsweise einige sehr wenige Teile seiner
weltlichen Kantaten nahtlos und damit ohne
jeglichen musikalischen, systematischen oder
sonstigen Bruch im Weihnachtsoratorium oder
sogar in der h-moll Messe wieder verwendete. In
Abwandlung eines in der Jurisprudenz bekannten
Satzes lässt sich insoweit füglich, aber auch zu
dem in Gegenüberstellung verwendeten Wörtern
"historisierende
oder
romantisierende
Werkauffassung" sagen: "communis error facit
linguam".
Will heißen: Weshalb die Auffassung, ein Werk sei
entsprechend
seiner
heutigen
Aussage
wiederzugeben,
als
romantisierende
Werkauffassung bezeichnet wird, erschließt sich
nicht nur vom Inhalt
dieser Begriffe her nicht, sondern gibt der
Werkinterpretation
vor
dem
gegenwärtigen
zeitlichen Horizont eine Färbung, die nicht ganz an
die Bezeichnung "Parodie" zur Kennzeichnung der
Wiederverwendung
von
Kompositionsteilen
heranreicht, allerdings schon schlimm genug ist.
2.1.2.1
Festlegung
des
Verständnisses
von
/..
- 25 "romantisierende Werkauffassung"
Romantisierende Werkinterpretation bezeichnet ein
Musikverständnis, welches das Werk vor dem
heutigen
zeitlichen
Zusammenhang
unter
Einbeziehung der Tradition und des auf die Zukunft
gerichteten musikalischen Gehaltes entfaltet.
2.1.2.2
Anlässe
für
Werkauffassung
die
romantisierende
Der Anlass, ein Werk vor dem Zusammenhang der
Geschichte, des Heute und seiner auf die Zukunft
gerichteten Dynamik zu interpretieren, ist keine
Besonderheit, sondern die Wahrnehmung der in
dem Werk vorhandenen musikalischen Möglichkeit
und deren Verwirklichung in einem mit dem Heute
stehenden harmonischen Zusammenhang. Und
trotz dieser lediglich aus allgemeinen Erwägungen
ableitbaren Gedanken lässt sich ein konkretes
Beispiel nennen. Der ehemalige erste Leiter des
Sinfonieorchesters des in einer süddeutschen
Metropole
ansässigen
Rundfunks
erregte
zusätzliches Aufsehen nicht nur durch die Tatsache
einer außerordentlichen Frühbegabung als Geiger,
sondern auch als Schöpfer und damit als Urheber
von Musikwerken. In dieser zuletzt genannten
Eigenschaft – so sein Bericht – legte er ein selbst
gefertigtes Werk dem Orchester mit der Maßgabe
vor,
dieses
so
aufzuführen,
wie
es
niedergeschrieben ist. Einer Interpretation oder
sonstiger vorausgehender Aufführungshinweise
bedürfe es nicht. Beim Musizieren dieses Werkes
erkannte
der
dirigierende
Urheber
die
Notwendigkeit, sich selbst interpretieren zu
müssen. Die Aufführung des eigenen Werkes
bedurfte der schöpferischen Auseinandersetzung
vor allem zwischen Werk und Dirigenten – als
dessen Werkschöpfer.
2.1.2.3 Technische Vorgehensweisen zur Erzielung
eines "romantisierenden" Klangbildes
Was die Instrumentalmusik anbelangt, so werden
zunächst diejenigen Instrumente verwendet, die im
Wesentlichen heutigem technischen Standard
entsprechen. So zählt es zum Bestand des
Alltagswissens, dass Instrumente ganz bestimmter
Instrumentenmacher
begehrte
Objekte
des
Musizierens sind unabhängig davon, wie alt diese
Instrumente sind, sofern sie sich nicht lediglich zur
Erzeugung eines historischen Klangbildes eignen.
Als Vorzeigebeispiel gelten Violinen eines
/..
- 26 bestimmten italienischen Geigenbauers.
Holzblasinstrumente
fallen
nicht
durch
Weckgeräusche für die geistig abwesenden
Konzertbesucher bis in die hinterste Reihe auf, bei
Klavieren wird der heutige technische Standard
(Mechanik; zwei Saiten in den Basstönen, drei
Saiten in den Mittel- und Obertönen), im Klavierbau
genutzt.
Was die Tonerzeugung selbst anbelangt, so
werden hinsichtlich Dauer sowie Art und Weise
zwischen der Vokal- und Instrumentalmusik keine
solchen Unterschiede offenbar, wie im Bereich der
historisierenden Werkauffassung. Will heißen,
gegen eine volle Klangentfaltung stimmlicher wie
instrumenteller Art bestehen im Rahmen dieser
Aufführungspraxis keine Vorbehalte. Danach dürfen
Töne auch sättigen, sie sind nicht lediglich
entschlackte Gesundheitskost zum Zweck der
inneren Reinigung und Enthaltsamkeit. Diese
Werkauffassung bedeutet nicht, einen Verzicht zu
üben hinsichtlich eines ins Nichts führenden
Diminuendos. Sie bedeutet nicht, die Forderung
aufzugeben, wonach eine Sinfonie so durchsichtig
und klar vor allem bei mehrfacher Stimmführung zu
musizieren ist, wie ein Quartett. Diese Forderung
stellte so im Übrigen der soeben zu Ziff. 2.1.2.2
erwähnte Künstler, bekannt geworden als
violinistische
Frühbegabung,
Dirigent
und
Komponist, auf.
Will heißen, Töne werden – dies betrifft vor allem
die Streicher - nicht lediglich angespielt, mit einem
starken Rückgang der Intensität des Klanges nach
Erzeugung, Ziel ist vielmehr die Entfaltung eines
rundes Tones (oder umgekehrt). Dass hierbei auch
ein sich positionierendes Gehabe insbesondere bei
Vokalsolisten und dort insbesondere in der Oper
entfaltet wird, lässt sich nicht leugnen. Dass dies
mehr ist als die Folge subjektiver Befindlichkeit der
Interpreten,
sondern
Ergebnis
einer
"romantisierenden" Werkauffassung, wird von mir
bestritten. Solistische Vibratos oder gar Tremolos
stärkeren Grades, sich überschlagende Chöre,
deren Sänger vornehmlich von sich selbst bewegt
sind oder deren Homogenität aus der Tatsache des
sich Zusammenfindens von solistisch geprägten
oder gar ausgebildeten Einzelstimmen folgt, sind
deshalb nicht Resultat einer romantisierenden
Werkauffassung, weil auch schlanke Tongebung,
Durchsichtigkeit des Klangs, Nachverfolgbarkeit der
Linienführung der Stimmlagen, perspektivische
Klangwiedergabe als Gegensatz zum Tonbrei,
verwirklicht werden kann und verwirklicht sind von
/..
- 27 Chören, die dem sogenannten romantisierenden
Klangideal anhängen. Homogenität, Transparenz
und Klarheit lässt sich also auch verwirklichen mit
Chören in großer stimmlicher Besetzung, nicht
zwingend notwendig sind verdoppelte Quartette
oder Oktette.
Das Ideal eines schlanken Tones bedeutet nicht,
auf Bewegung innerhalb des Tons selbst zu
verzichten. Dies gilt vornehmlich für Streicher, wo
der von der historischen Auflösungspraxis
bevorzugte statische Ton in auffallendem
Gegensatz
zum
Ton
mit
Tremolo
der
romantisierenden Musikweise steht.
2.1.2.4
Gedankliche Voraussetzungen für
romantisierende Aufführungspraxis
die
Dirigenten und Ensemblemitglieder müssen sich
mit dem zu musizierenden Werk weder
musikgeschichtlich
oder
musiktheoretisch
befassen, um zu dem nach jener Auffassung
zutreffenden Klangideal zu gelangen. Dies heißt
aber nicht, dass bei entsprechender Befassung die
romantisierende Werkauffassung ausgeschlossen
wäre, das Gegenteil ist vielmehr der Fall, bedenkt
man beispielsweise, dass der Vorgänger des
derzeitigen leitenden Dirigenten der Philharmoniker
der deutschen Hauptstadt sich ausgiebig mit den
musiktheoretischen
Veröffentlichungen
eines
Werks befasste, bevor er zur Aufführung dieses
Werkes schritt. Und dies, ohne jemals in den
Verdacht zu geraten, musica antiqua zu betreiben.
Auch ist beachtlich, dass der wohl bekannteste
lebende
Musikkritiker,
ansässig
in
einer
süddeutschen Metropole und schreibend für eine
dort
erscheinende,
bundesweit
vertriebene
beachtliche
Zeitung,
eine
Professur
für
Musikgeschichte in der schwäbischen Metropole
innehat, was allerdings nicht dazu führt, dass dieser
Kritiker
Anhänger
der
historisierenden
Werkaufführungspraxis ist (er ist derlei "Exerzitien"
abhold). Aus diesen Beispielen erhellt, dass die
Beschäftigung mit der Historie eines Musikwerks
nicht
notwendig
zur
historisierenden
Aufführungspraxis führt.
2.1.2.5
Die Gründe für
Werkauffassung
die
romantisierende
Die so genannte romantisierende Werkauffassung
sieht es als gerechtfertigt an, ein Werk vor dem
Hintergrund des Heute und Hier zu interpretieren.
/..
- 28 Dies deshalb, weil im Musikwerk – und darüber
hinaus jedes Kunstwerk – eine eigene Wirklichkeit
entfaltet wird, sobald es aus der Hand seines
Schöpfers entlassen ist (vgl. hierzu meine
Ausführungen in WRP 2003, 846, 867 Fn 117.
"Nicht verfehlt ist demgegenüber der Satz, dass
das Gesetz klüger ist als der Gesetzgeber […..]. Ist
das Gesetz aus der Hand des Gesetzgebers
entlassen, entfaltet es insoweit eine eigene
Wirksamkeit, als die Zwecksetzung sich ändern,
vervollständigen kann, so dass Fälle regelbar
werden, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat.
Die vor allem im Kunstwerk sich offenbarende
Übersteigerung der Endlichkeit des menschlichen
Schöpfers wird aber erneut nicht durch das Gesetz
oder augenfälliger durch das Kunstwerk geleistet,
sondern
durch
die
Vorstellungsund
Wahrnehmungskraft der Menschen in ihrem
Rückbezug und Austausch auf Gott und die Welt"
[s.u. Ziff. 2.2.3.1.1.4], ferner meine Ausführungen in
WRP 2003, 846, 851 Fn 19 nebst Hinweis auf die
Bibel [der Buchstabe tötet, aber der Geist macht
lebendig], s.u. Ziff. 2.2.3.1.1.4). Dies wird auch
durch die Tatsache bewiesen, dass selbst der
Komponist nunmehr gestaltend mit seinem Werk
umgeht und umzugehen hat, auf meine
Ausführungen oben zu Ziff. 2.1.2.2 darf ich
verweisen.
2.1.2.6 Zusammenfassung von Ziff. 2.1.2.1 bis
2.1.2.5
Das Anliegen, ein Werk entsprechend seiner
Aussage vor dem Heute und Hier wiederzugeben,
wird nur sehr unvollkommen durch das Wort
"romantisierend"
gekennzeichnet.
Diese
Werkauffassung bezweckt es also, Musik vor dem
heutigen
zeitlichen
Zusammenhang
unter
Einbeziehung der Tradition und des auf die Zukunft
gerichteten musikalischen Gehalts wiederzugeben.
Der Anlass für dieses Anliegen liegt darin, dass
anderenfalls ein Sichverabschieden von dieser
Welt, in der wir leben, vorliegt.
Was die technische Vorgehensweise anbelangt, so
werden
im
Wesentlichen
die
Instrumente
verwendet, welche dem heutigen technischen
Standard entsprechen. Insbesondere im Hinblick
auf Geigen bedeutet dies, dass dieser Standard
sich
seit
einem
bestimmten
italienischen
Geigenbauer – um ein bekanntes Beispiel zu
nennen – nicht wesentlich weiterentwickelt hat.
Kinnhalter und Teleskopstangen sind keine Tabus,
bei Orgeln geht man davon aus, dass eine
/..
- 29 Verknüpfung von Mechanik und elektronischer
Tonauslösung die Orgelpfeifen am besten und
schönsten zum Klingen bringt.
Was die Tonentfaltung selbst anbelangt, so geht es
um den runden vollen Ton, erzeugt bei den
Streichern mit Tremolo. Dies bedeutet aber nicht
zugleich, dass Vertreter der romantisierenden
Werkauffassung
die
Forderung
nach
Durchsichtigkeit und Klarheit auch bei großer
Orchestrierung, bei mit vielen Sängern besetzten
Chören aufgegeben haben, vom Gegenteil darf
insbesondere im Hinblick auf einen den besten
Chöre, in Franken ansässig, ausgegangen werden.
Tonbrei ist auch hier die verachtete Kost.
2.1.3 Gegenüberstellung der historisierenden und
der romantisierenden Werkauffassung
Die Missverständnisse, die vor Auftauchen der
musica antiqua auch als Grundlage der
Werkinterpretation von Meistern des Barock und
der Klassik (wobei für mich Bach – in Übertragung
einer
Kennzeichnung
zu
dem
Jahrtausendphilosophen
aus
Königsberg
–
Vollender und Überwinder des Barocks ist) dienten,
rechtfertigen
nicht
die
Abschaffung
eines
Kunstverständnisses aus dem Heute und Hier das
Wort zu reden.
Die Forderung nach so genannten "Authentizität"
erlaubt es nicht nur nicht, sondern geht sogar mit
der Ungeeignetheit einher, "historisch" losgelöst
vom Heute und Hier zu erfassen. Will heißen: es
gibt keine Vorstellung von dem, was historisch ist,
welche nicht zugleich durch das heutige
Bewusstsein bestimmt ist. Geschichte ist immer die
Erarbeitung bislang unbekannter Tatsachen und
deren Einfügung in einen als historisch
betrachteten Zusammenhang. Und Geschichte ist
darüber hinaus die Wahrnehmung von wahren und
unwahren Geschichten über Geschichte.
Kurz:
-
Gegen die Auffassung einer Interpretation in
Entsprechung oder gar auf dieselbe Weise, wie
sie
vom
Komponisten
zur
Zeit
der
Werkschöpfung durch ihn gewollt war, spricht
die Möglichkeit, solches objektiv erkennen zu
können. Es gibt keine Musikaufnahme der
Uraufführung der Feuerwerksmusik oder der
Eroika, es gibt keine musiktheoretische
/..
- 30 Beschreibung der richtigen Aufführungspraxis
ungeachtet der Schwierigkeit, dass über Musik
trefflich reden auch bedeuten kann, den Ton zu
verfehlen.
-
Gegen die Auffassung einer Interpretation in der
Weise, wie sie vom Komponisten zur Zeit der
Werkschöpfung durch ihn gewollt war, spricht
die Möglichkeit des Vorhandenseins eines
entsprechenden Erkenntnissubjekts. Wir leben
nicht in der Zeit von Bach, haben andere
Wahrnehmungen im Hinblick auf Gott und die
Welt. Wir tragen keine Perücke, wir waten nicht
durch Dreck zur Kirche oder zum Konzertsaal,
wir fahren nicht in einer Kutsche und pudern
uns nicht pausenlos bei Nichtbenutzung von
Bad oder Toilette. Gleichwohl beweist die
Gegenwart insbesondere der Musik von Bach,
wie sehr wir uns dieser Musik nähern können,
bei
Unterschiedlichkeit
des
Erkenntnissubjektes.
-
Gegen die Auffassung einer Interpretation in
Entsprechung der Deutung des Komponisten im
Zeitpunkt der Werkschöpfung sprechen die
Absichten des Komponisten, es sei denn, dieser
hatte ausdrücklich verboten, von seiner
interpretatorischen Vorgabe abzuweichen; es
sei
denn
ferner,
dieser
verbot,
die
Fortentwicklung der Technik bei dem für das
Werk vorgesehenen Instrumenten zu nutzen. In
beiden Fällen steht hiergegen allerdings, dass
Bach als Anfang und Ende und Ende und
Anfang aller Musik nicht nur äußerst sparsam
sogar mit Anmerkungen zur Musizierweise – die
noch nicht die Aufführungspraxis selbst
beinhaltet – umging (dies führte bei Bach sogar
soweit, dass Registrierungsvorgaben für
Orgelwerke fehlen); Bach war im Gegenteil
technischen Neuerungen, verwirklicht auch
nach der Schöpfung vieler seiner Werke, höchst
aufgeschlossen, das Wohltemperierte Klavier ist
das bekannteste Beispiel der Reaktion auf ein
solches Geschehen. Mehr noch, Bach selbst
wartete mit Vorschlägen zu technischen
Neuerungen auf, die Orgel, die so genannte
Bach-Trompete, die Laute, aber auch das Cello,
sind hierfür nicht abschließend genannte
Beispiele. Von daher ist es nicht gerechtfertigt,
die historisierende Werkauffassung mit der
Erwägung zu rechtfertigen, mehr als der
Komponist bei Schöpfung seines Werks gewollt
hatte, könne im Werk interpretatorisch nicht
angelegt sein. Mit dieser Haltung wäre man
nicht nur klüger als das Werk, sondern
/..
- 31 zusätzlich klüger als der Komponist, was die
Rechtfertigung
der
historisierenden
Werkauffassung
aus
dem
Willen
des
Werkschöpfers zuwiderliefe. Das Wollen der
historisierenden Aufführungspraxis durch den
Komponisten ist häufig nichts anderes als eine
Unterstellung.
-
Gegen die Auffassung einer Interpretation in
Entsprechung der Deutung des Komponisten im
Zeitpunkt der Werkschöpfung spricht das Werk
selbst. Um ein Beispiel zu geben: wie oft schon
sind wir mit eigenen Aussagen durch die sich
ständig wandelnde Wirklichkeit widerlegt
worden, wobei mitunter allerdings die
unveränderte Aussage mit einem gänzlich
anderen Gehalt bestehen blieb. Es ist einfach,
den Satz, wonach insbesondere ein Kunstwerk
nach Vollendung eine eigene Dynamik
entwickelt, als Hokuspokus abzutun, ich selbst
war vor etwa 30 Jahren nahe dieser Meinung.
Und doch ist die Wirklichkeit eines Kunstwerks
so, dass es dynamisch wirkt.
-
Gegen die Auffassung einer Interpretation in
Entsprechung der Deutung des Komponisten im
Zeitpunkt der Werkschöpfung spricht der
Zeitablauf selbst und damit die Geschichte des
Menschen in anthropologischer Hinsicht.
-
Gegen die Auffassung einer Interpretation in
Entsprechung der Deutung des Komponisten im
Zeitpunkt der Werkschöpfung spricht die
Tatsache, dass Komponisten – ebenso wie
Schriftsteller oder wissenschaftlich tätige
Personen – Teile ihres Werkes ganz
unterschiedlich wiederholt verwendet und
eingesetzt haben, so dass es dieses eine
Klangideal zu dem betreffenden Notenteil
überhaupt nicht gibt.
2.2 Das Wie der Gesetzesinterpretation
2.2.1
Der
Gegenstand
Gesetzesinterpretation
des
Wies
der
Die Frage, auf welchem Weg man zur Falllösung
auf der Grundlage des Gesetzes gelangt, mithin
welche
–
im
Gegensatz
zur
Musik
ausschließlichen gedanklichen Mittel erforderlich
sind, um zur richtigen Entscheidung zu gelangen
bzw. eine solche zu unterstützen, stellt sich für den
an Fragen der Methode interessierten Juristen.
/..
- 32 -
An Methodenfragen sind allerdings nur wenige
Juristen interessiert, so dass möglicherweise der
starke Gegensatz zur Musikinterpretation in der in
diesem Bereich vorhandenen Tatsache besteht,
wonach es keine Musikdarbietung beginnend auf
einem bestimmten Niveau ohne Interpretation der
Musikdarbietung gibt.
Hier stehen zu bleiben, hieße allerdings, die
verschiedenen Inhalte von Methoden, also den im
Verhältnis zur Musikinterpretation anderen Inhalt
von Gesetzesinterpretation auf die gleiche Stufe zu
stellen.
Im Sprachgebrauch der Jurisprudenz wird nämlich
die Sachlogik des Rechts, bedingt durch den
Stufenbau der Rechtsordnung und bestehend aus
den
verschiedenen
Zusammenhängen
des
nationalen und gemeinschaftsweiten Rechts, ferner
bedingt durch die Sachlogik des einzelnen
Gesetzes selbst, nicht zur Methode im engeren
Sinn und damit zur Methode als solcher gezählt.
Dass demgegenüber der Aufbau einer Falllösung
notwendigerweise die Einhaltung von gedanklichen
Schritten in der richtigen Reihenfolge, also die
Einhaltung von gedanklichen Bedingungen als
Folge der juristischen Logik erfordert, wird von
keinem Juristen bestritten. Solches Tun ist im
Übrigen ein gedankliches Geschäft, welches von
der ersten Sekunde im Umgang mit dem Gesetz
geübt und bis zur letzten Sekunde im Umgang mit
dem Gesetz fortgeführt wird, zeitigend ein stetes
Gelingen aber auch ein ständiges Scheitern bis
zum Schluss. Denn der erfahrenste Jurist im
höchsten Amt (sofern es letzteren gibt) wird nicht
von sich behaupten können, ihm seien zum
Schluss keine Fehler mehr nachgewiesen worden
oder
gar
unterlaufen;
dies
stellt
einen
entscheidenden Unterschied zur Künstlernatur dar.
Beim Aufbau einer Falllösung notwendig die
Einhaltung von gedanklichen Schritten in der
richtigen Reihenfolge einzuhalten, dieser Tatsache
haftet durchaus die Vorgabe des richtigen Wegs
zum Erkennen und damit die Einhaltung einer
Methode an. Hierin besteht aber auch der
entscheidende Unterschied zur Ergebnisfindung im
Bereich der Literatur oder der Philosophie, wo jeder
gute
Grund,
nicht
aber
nur
bestimmte
Ausgangspunkte
maßgeblich
sein
können
ungeachtet der Tatsache, dass es in Literatur und
Philosophie nicht um Ergebnisse (die richtige
Entscheidung)
gehen
muss,
sondern
/..
- 33 möglicherweise nur
weiterer Fragen.
um
die
Herausarbeitung
Für die Tatsache, dass der Gegenstand ein Spiel,
ein Experiment oder der Umgang mit dem
Absurden sein kann, nicht aber die gerechte
Entscheidung zu sein hat, ist insbesondere die
Literatur ein erhellendes und im Gegensatz zum
Recht stehendes Beispiel. Bei dieser Aussage
bleibt es, weil dieses Verständnis vom Umgang mit
Recht nicht durch die Absurdität des illegalen und
in seiner Abscheulichkeit nicht steigerbaren
Ausrottungsplanes der Juden widerlegt wird.
Das Einhalten von Vorgaben betreffend den
richtigen Weg zur juristischen Erkenntnis wird jeder
Laie schon erlebt haben, wenn er bemerken
musste, dass sein Einwand möglicherweise ohne
jegliche Bedeutung, weil nicht in das Wie der
juristischen Erkenntnis passend, blieb.
Die Ursache, weshalb das Einhalten von Vorgaben
betreffend den richtigen Weg zur juristischen
Erkenntnis innerhalb der Jurisprudenz nicht zur
Methode derselben gerechnet wird, liegt darin, dass
man unter Methode regelmäßig den Weg zur
Erkenntnis versteht, welcher nicht vorschreibbar ist
(vgl. meine Ausführungen in WRP 2001, 513, 517
Fn 27 und WRP 2002, 368, 370 Fn 18. Zur
fehlenden Möglichkeit des Gesetzgebers, Fragen
der Dogmatik durch Gesetz [anders: als Gesetz] zu
regeln, mein Beitrag in WRP 1995, 452, 459).
Demgegenüber beruht das Einhalten von Vorgaben
auf dem Weg zur richtigen juristischen Erkenntnis
in
der
Beachtung
der
gesetzlichen
Voraussetzungen. Wenn man – wie dargelegt –
auch diesen Erkenntnisweg als Methode ansieht,
ist der Gegenstand der juristischen Methode nicht
mehr ganz so unterschiedlich zur Methode der
Darbietung
der
Musik,
welche
von
der
Musikerzeugung kaum zu trennen ist.
Nachfolgend bleibt es aber bei dem herkömmlichen
Verständnis von Methode im Rahmen der
Gesetzesanwendung als Frage nach dem Wie der
Gesetzesauslegung, der Gesetzeskonkretisierung.
Das Argumentieren insoweit auf vertrautem Boden
hat den Vorteil, auf bekannte und abgesicherte
Begründungen
zurückgreifen
zu
können.
Interessant ist schließlich, dass das Wie der
Erkenntnis zwar auch im Recht nicht vorschreibbar
ist (wie vorstehend erwähnt), sehr wohl aber die
Nichtvornahme einer Auslegung möglicherweise
Rechtsfolgen auslösen kann. Gemeint ist die
/..
- 34 Tatsache,
dass
die
Nichtbefassung
mit
gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben
bei
der
Auslegung
eines
nationalen,
auf
Gemeinschaftsrecht beruhenden Gesetzes, zu
einem
Grundrechtsverstoß
unter
dem
Gesichtspunkt des Entzugs des gesetzlichen
Richters führen kann (vgl. meine Ausführungen in
www.markenrecht-bernreuther.de, Ziff. 4.1.2.2.2
und 4.1.2.3.2).
2.2.2
Ursachen für die Notwendigkeit der
Befassung mit dem Wie des Verstehens von
Gesetzen
2.2.2.1
Die
unrichtige
Entscheidung
als
Bewegungsgrund für die Befassung mit
Fragen der Methode
Mit Methodenfragen befassen sich auch die, die
sich sonst mit Methodenfragen nicht befassen. Dies
gilt insbesondere dann, wenn eine gerichtliche
Entscheidung der eigenen Vorstellung von einer
richtigen Entscheidung widerspricht und zudem
oder zumindest oder möglicherweise hauptsächlich
methodische Mängel aufweist. Dann entsteht in
scheinbarer Wachheit für Methodenfragen ein
Interesse, welches den mehr oder minder
einmaligen Griff zu dem Lehrbuch mit dem Titel
"Methodenlehre der Rechtswissenschaft" zeitigt,
um sich nach tief greifenden Äußerungen insoweit
alsbald in die "praktische Haltung" zurückzuziehen.
Auch wenn in dieser Art des Grundes mit der
Befassung
von
Methodenfragen
keine
Ernsthaftigkeit dieser Haltung insoweit aufscheint,
insbesondere, weil nicht erkannt wird, dass es eine
praktische Haltung als solche nicht gibt sondern
immer nur eine Praxis, die auch theoriegeleitet ist
und umgekehrt, jede Theorie auch praxisgeleitet ist,
bleibt doch die Tatsache bestehen, dass falsche
Ergebnisse bedingt oder mitbedingt durch falsche
Vorgehensweisen, die Frage nach der richtigen
Methode mit Notwendigkeit aufwerfen.
2.2.2.2
Die
Nachvollziehbarkeit
der
Gedankenführung als Grundlage für das
Ergebnis als Beweggrund für die Befassung
mit Fragen der Methode
Wer die Macht, will heißen, die letztinstanzliche
Entscheidungsgewalt im Rechtssystem hat, hat
auch
Recht.
Wer
sich
außerhalb
des
/..
- 35 Rechtssystems bewegt, wird möglicherweise die
Macht begrenzende Wirkung von Recht zu spüren
bekommen. In letzter Instanz fallen Macht und
Recht zusammen. Will heißen: Die Entscheidungen
des
Bundesgerichtshofs,
des
Bundesverfassungsgerichtes, des Europäischen
Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs
für
Menschenrechte
sind
nicht
deshalb
unangreifbar, weil sie aus höchster Einsicht heraus
gefällt wurden; vielmehr sind sie unangreifbar, weil
sie im Rahmen der Äußerung staatlicher Gewalt
das letzte Wort bilden. Hierbei kann durchaus
gesagt werden, dass uns gerade die in den
Entscheidungsgründen enthaltene Einsicht und
Rechtfertigung zumeist stark überzeugt.
Hieraus erhellt: Wer Recht behalten darf – was im
Rechtsstaat nur für letztinstanzliche Gerichte oder
Träger von gerichtlich nicht überprüfbaren
politischen Entscheidungen gilt - soll im Bereich
des Rechts gehalten sein, die Nachverfolgbarkeit
seiner zur Entscheidung führenden Gedanken offen
zu legen. Nur so hat er einen Anspruch,
Gefolgschaft
hinsichtlich
des
staatlichen
Machtanspruchs verlangen zu können, anderenfalls
verlangt er ein Bekenntnis. Bekenntnisse passen
allerdings nur zu Glaubensgemeinschaften und sie
werden – bedauerlicherweise – von manchen
Großunternehmen verlangt.
Die Nachverfolgbarkeit der zur gerichtlichen
Entscheidung führenden Gedanken ist häufig
wesentlich
durch
methodische
Erwägungen
bedingt. Nochmals: Zwar kann die Entscheidung
auch
zutreffend
sein,
ohne
dass
die
Entscheidungsgründe oder gar methodische
Erwägungen zutreffend sind. Hierin unterscheidet
sich die Tätigkeit des Juristen wesentlich von der
Tätigkeit des Musikers, der nicht auf ein Ergebnis
am Schluss eines Konzertes oder einer Aufführung,
sondern die Richtigkeit und Schönheit eines jeden
Tones
verwiesen
ist.
Die
zutreffende
letztinstanzliche
Entscheidung
kann
aber
Gefolgschaft nur bei Offenlegung der Begründung
und damit auch der dort enthaltenen methodischen
Erwägungen verlangen. Was die auch in
methodischer Hinsicht fehlerhafte letztinstanzliche
Entscheidung anbelangt, so ist die Offenlegung
ihrer Gründe und damit auch ihrer methodischen
Erwägungen deshalb erforderlich, weil sie nur auf
diese Weise Grundlage des offenen Dialogs über
diese Entscheidung sein kann.
Die zutreffende Instanzentscheidung hat – auch –
die zugrunde liegenden methodischen Erwägungen
/..
- 36 offen zu legen, um der unterlegenen Partei die
Richtigkeit der Ergebnisse zu verdeutlichen, ferner,
um für ein Rechtsmittel die zutreffende
Diskussionsgrundlage zu bilden.
Die auch in methodischer Hinsicht unzutreffende
Instanzentscheidung hat sämtliche Erwägungen
offen zu legen, um im offenen, herrschaftsfreien,
gesichtswahrenden Dialog Ausgangspunkt für
zutreffende Erwägungen sein zu können. Auf diese
Weise lassen sich auch künftige Fehler vermeiden.
2.2.2.3
Die Richtigkeit der Entscheidung als
Hauptursache für die Notwendigkeit der
Befassung mit dem Wie des Verstehens
von Gesetzen
Die richtigen Erwägungen betreffend das Wie zur
richtigen Entscheidung dienen hauptsächlich dazu,
die richtige Entscheidung selbst vorzubereiten,
möglicherweise sogar zu begründen.
Aufgabe eines jeden Juristen ist es, an der
richtigen,
also
in
tatsächlicher
Hinsicht
zutreffenden, die Freiheit verbürgenden und
Gerechtigkeit
herbeiführenden
Entscheidung
mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht gilt somit
auch in methodischer Hinsicht – und für die
Methode selbst. Denn die Methode steht nicht für
sich, sondern hat ebenfalls die Aufgabe, das
Gesetz mit den vorgenannten Zielen zu
verwirklichen.
Der Vorteil der Offenlegung der Methode liegt darin,
dass über das Wie der Erkenntnis nach
allgemeinen, möglicherweise allgemein gültigen
und notwendigen Bestimmungsgründen diskutiert
werden
kann.
Demgegenüber
sind
Entscheidungen,
deren
zugrunde
liegenden
Wertungen nicht mit hinreichend überzeugender
Begründung aus dem maßgeblichen Gesetz
abgeleitet werden können, ausschließlich vernünftig
nicht zu begründen, da sie aus einer Setzung des
Wertenden resultieren. Hierbei wird nicht zugleich
gesagt, die Wertung sei falsch, weil sie aus einer
Wertung folgt.
2.2.3 Drei Schwerpunkte der in der Jurisprudenz
gegenwärtig geführten Methodendiskussion
aus meiner Sicht
Hauptanknüpfungspunkt
methodischer
Überlegungen bei der Gesetzeskonkretisierung ist
/..
- 37 nach wie vor das bekannte Methodenschema,
ergänzt um zwei zusätzliche Auslegungsregeln.
Zum zweiten ist von Belang, wie neue Ansätze zur
Lösung von Methodenfragen als neues oder
ergänzendes
Werkzeug
zur
weiteren
Gesetzeskonkretisierung fruchtbar gemacht werden
können. Und drittens stellt sich die Frage, wie
Vorgaben des europäischen Rechts so in das
nationale Recht eingebunden werden können, dass
die Lösung auch methodisch überzeugt.
2.2.3.1 Das ergänzte bekannte Methodenschema
Im Rahmen der Darstellung des ergänzten
bekannten Methodenschemas unterscheide ich
zwischen
den
Auslegungsregeln,
den
Auslegungszielen und der internen Kritik zum Wert
dieses Schemas.
2.2.3.1.1 Die Auslegungsregeln
Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn, entfaltet
anhand des Verständnisses der Bibel, gehört zum
Bestand des Alltagswissens jedes Juristen in
Deutschland. Diese Lehre besagt, dass sich der
Inhalt eines Textes vermittels Auslegung in
wörtlicher
Hinsicht
(Grammatik),
vermittels
Auslegung
aus
dem
Textzusammenhang
(Systematik), von den Gründen des Gesetzgebers
her (Historie) und nach dem heutigen Sinn und
Zweck (Telos) erschließt.
Hinzukommt in Ergänzung die Einsicht, dass das
Verständnis eines Textes sich auch mit Blick auf
die
Aussagen
der
Verfassung
(verfassungskonforme Auslegung) ergeben kann,
ferner, dass möglicherweise eine vergleichende
Sicht (komparative Auslegung) weiterhilft.
Nach ganz überwiegender Auffassung können die
genannten Auslegungsregeln vor dem Hintergrund
der
subjektiven
Theorie
(Sichtweise
des
historischen Gesetzgebers) bzw. der objektiven
Theorie (heute maßgebliches Verständnis vom
Wortsinn, dem Zusammenhang, der Geschichte,
dem heutigen Sinn und Zweck) verstanden und
angewandt werden. Nach einer zahlenmäßig nicht
so stark vertretenen Auffassung lassen sich
zumindest die vier klassischen Auslegungsregeln
zugleich als deren theoretische Grundlage
verstehen mit der Folge, dass nicht – wie durch die
überwiegende Auffassung vertreten – acht
verschiedene Auslegungsregeln, sondern 16
/..
- 38 Auslegungsregeln Anwendung finden können.
2.2.3.1.1.1 Die wörtliche Auslegung
Die vom Buchstaben der Erklärung ausgehende
Auslegung ist die notwendige Grundlage jeder
Auslegung, welche die fremde Aussage nicht durch
eine eigene ersetzen will. Im Rechtsstaat sichert
die wörtliche Auslegung die Verwirklichung der
Mitteilung des Gesetzgebers. Die Nichtbeachtung
dieser Mitteilung mit Ausnahme der – äußerst
selten vorhandenen – Notwendigkeit einer
Fehlerkorrektur würde ähnlich der Musik zu
falschen Läuterungen führen, was in keiner Weise
zu rechtfertigen ist ungeachtet des sympathischen
Satzes eines durch die Nazis vertriebenen,
weltberühmten und mittlerweile verstorbenen
Pianisten: "Ich bin der letzte große Falschspieler".
2.2.3.1.1.2 Die systematisch Auslegung
Systematische Auslegung wird im Rund der
Methodendiskussion häufig als die auf Vermeidung
von
Widersprüchen
bezogene
Auslegung
verstanden. Nur: Um die Tatsache von
Widersprüchen in fremden und im eigenen Leben,
um
die
Tatsache
des
Vorhandenseins
widerstreitender
Erscheinungen
hinsichtlich
desselben Erkenntnisgegenstandes in der Physik
bzw. im Bereich naturwissenschaftlicher Erkenntnis
überhaupt, mithin um die Tatsache von
Widersprüchen in allen Bereichen kommt niemand
herum. Auch ausgehend von dieser Tatsache sollte
das System des Rechts als organisches Ganzes,
bestehend aus Haupt und Gliedern und
infolgedessen
eine
Einheit
(nicht:
Widerspruchsfreiheit) bildend, verstanden werden.
Systematische Auslegung ist darauf bezogen,
diesen Zusammenhang des Rechts und der
Vermeidung größerer Widersprüche deutlich zu
machen, also den Inhalt eines so verstandenen
Rechts im Wege der Auslegung zu gewinnen.
An zweiter Stelle steht diese Auslegungsregel
deshalb, weil die Bezugnahme auf weitere Stellen
des Gesetzestextes (so genanntes inneres System)
oder anderer Gesetze (so genanntes äußeres
System) die Aussagen des Gesetzgebers
verwirklicht, unter der von keiner Seite bislang
bestrittenen Voraussetzung, dass auch der
Gesetzgeber seine Aussagen in das Recht, zu
verstehen als organisches Ganzes, gestellt hat und
stellt.
/..
- 39 -
Eine gewisse Entsprechung im Bereich der Musik
findet die systematische Auslegung in einer
Musikinterpretation,
die
vor
allem
auf
Werkharmonie achtet. Vor allem Rhythmus, aber
auch Lautstärke, die Linienführung aufgrund der
Linienerfassung des ausgedrückten musikalischen
Gedankens, der Spannungsbögen der betreffenden
größeren oder kleineren Stelle der Darbietung,
müssen zu dem musikalischen Satz und dieser
zum Zweck insgesamt passen, sich also
harmonisch unter Wertung aller Gewichtungen
einfügen. Auf diese Weise stimmt nicht nur der Ton,
sondern auch die Musik.
2.2.3.1.1.3 Die historische Auslegung
Die historische Auslegung zieht zum Verständnis
des Gesetzestextes die Begründungen des
Gesetzgebers heran, welche dieser ausdrücklich zu
den betreffenden Regelungen getroffen hat.
Gegenstand der Gesetzesbegründung sind häufig
Zweckvorstellungen. An dritter Stelle steht diese
Auslegungsregel deshalb, weil die Erklärungen des
Gesetzgebers im Gesetzestext nicht enthalten sind,
das Parlament also über sie keine Abstimmung in
repräsentierter Mehrheit der Bevölkerung getroffen
hat. Für diese Auslegungsregel spricht die
Tatsache, dass mittels der Gesetzesbegründung
Sicherheit über die dem Gesetz zugrunde
liegenden Zweckvorstellungen besteht, mithin das
Argument nicht greift, wonach die betreffende
Zwecküberlegung vom Interpreten selbst stamme.
Die historische Auslegung führt noch nicht zu dem
Ergebnis, dass sämtliche Auslegungsmöglichkeiten
aus der Sicht des historischen Gesetzgebers
vorzunehmen sind. Die historische Auslegung stellt
also unabhängig davon, ob man die Auffassung
des Verstehens von Gesetzestexten vor dem
heutigen
oder
vor
dem
historischen
Erkenntnishorizont vertritt, lediglich eine einzelne
Art und Weise des Verstehens dar. Vor dem
Hintergrund des Verstehens von Gesetzestexten
aus heutiger Erkenntnissicht (objektive Theorie)
wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass
das Gewicht des historischen Arguments im Lauf
der Zeit abnimmt (vgl. meine Ausführungen in WRP
1995, 452, 455 Fn 34).
Das historische Argument kann gleichermaßen im
Zuge der Interpretation eines Musikwerkes eine
Rolle spielen so, wenn auf eine ganz spezielle
Anweisung des Komponisten zur Aufführungspraxis
/..
- 40 zurückgegriffen wird. Ob eine derartige Anweisung
im Lauf der Zeit an Gewicht gegenüber der
Mehrzahl der Interpreten verliert, kann von mir
mangels
Kenntnisses
entsprechender
Forschungsergebnisse nicht beantwortet werden.
Eine Interpretation als verwirklichte Anweisung des
Komponisten, in ganz bestimmter Weise zu
musizieren, führt ungeachtet des Umfangs dieser
Anweisung (enthalten lediglich beispielsweise als
Diminuendo im Notenwerk selbst oder als schriftlich
gesondert niedergelegte Äußerung) noch nicht
dazu, dass das Werk selbst historisierend, also auf
historischen Instrumenten und Ton erzeugend
instrumental oder stimmlich in Abweichung zum
heute im übrigen praktizierten Standard – um einige
Merkmale isoliert zu benennen – aufzuführen ist.
2.2.3.1.1.4 Die Auslegung des Gesetzes nach dem
heutigen Sinn und Zweck (objektivteleologische Auslegung)
"Die Frage nach dem Zweck eines Gesetzes ist
verfehlt. Ein Gesetz bezweckt für sich betrachtet
nichts, will heißen, das Gesetz ist Werkzeug des
Menschen. Von dessen Bewertung hängt es ab, mit
welcher Zwecksetzung ein Gesetz angewendet
wird oder nicht. Nicht verfehlt ist demgegenüber der
Satz, dass das Gesetz klüger ist als der
Gesetzgeber (….). Ist das Gesetz aus der Hand
des Gesetzgebers entlassen, entfaltet es insoweit
eine eigene Wirksamkeit, als die Zwecksetzung
sich ändern, vervollständigen kann, so dass Fälle
regelbar werden, an die der Gesetzgeber nicht
gedacht hat. Die vor allem im Kunstwerk sich
offenbarende Übersteigerung der Endlichkeit des
menschlichen Schöpfers wird aber erneut nicht
durch das Gesetz oder augenfälliger durch das
Kunstwerk
geleistet,
sondern
durch
die
Vorstellungsund
Wahrnehmungskraft
der
Menschen in ihrem Rückbezug und Austausch auf
Gott und die Welt" (vgl. meine Ausführungen in
WRP 2003, 846, 867 Fn 117 [Wiederholung s.o.
2.1.2.5]).
Will heißen: Die Frage nach dem heutigen Sinn und
Zweck eines Gesetzes ist berechtigt. Dies bedeutet
nicht, dass diese Fragestellung die Ergründung der
Zweckvorstellung des historischen Gesetzgebers
unmöglich
macht.
Ob
vielmehr
die
Wahrnehmbarkeit der Sicht des historischen
Gesetzgebers nur aus historischer Sicht, nur aus
heutiger Sicht, aus historischer und heutiger Sicht
oder überhaupt nicht möglich ist, entscheidet sich
/..
- 41 im Rahmen der Erwägungen zur subjektiven (die
Auslegungsregel "historische Interpretation" wird
zum Auslegungsziel und damit zum Hintergrund der
Auslegungsregeln) bzw. zur objektiven (die
Auslegungsregel "objektiv-teleologische Auslegung"
wird zum Auslegungsziel und damit zum
Hintergrund der Auslegungsregeln) Theorie.
Auch ein Musikwerk kann ganz oder teilweise vor
dem Hintergrund des heutigen Verständnisses
dieses Werks interpretiert werden, ohne dass dies
bedeutet, die Noten müssten nicht exakt beachtet,
die inneren und äußeren Werkzusammenhänge
nicht wahrgenommen und verwirklicht sowie
Anweisungen des Komponisten müsste nicht Folge
geleistet werden.
2.2.3.1.1.5 Die verfassungskonforme Auslegung
Die verfassungskonforme Auslegung hat zum
Inhalt,
nach
Erarbeitung
des
Auslegungsergebnisses sich sodann gleichsam
über die Schulter zu schauen und zu fragen, ob
dieses Ergebnis vor den Grundrechten Bestand
hat. Zu überprüfen ist also, ob das vor dem
Hintergrund des einfachen Rechts an sich
zutreffende Ergebnis in seiner insbesondere die
Eigentumsfreiheit, die Berufsfreiheit, die Meinungsund
die
allgemeine
Handlungsfreiheit
begrenzenden Wirkung nicht geändert werden
muss, weil das Gewicht der in den Grundrechten
vorhandenen, auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts
zurückzuführenden
Wertungen im Horizont des so genannten
einfachen Rechts einen zu geringen Einfluss auf
das Ergebnis hatte.
Eine Frage des äußeren Systems ist die
verfassungskonforme Auslegung wohl deshalb
nicht,
weil
die
Bestimmtheit
der
Verfassungsaussage zu gering ist, als dass sie eine
einheitliche Aussage mit den sonstigen Wertungen
als Bestandteil des äußeren Systems ergeben
könnte. Darüber hinaus kann man definieren, dass
zum äußeren System nicht höherrangige Normen,
zumindest nicht solche des Verfassungsrechts
zählen. Beides kann man aber auch anders sehen.
Die verfassungskonforme Auslegung stellt in
besonderer Weise den Zusammenhang mit den
grundrechtlichen Wertungen her, sie rechtfertigt
das gefundene Ergebnis auch und insbesondere
von
Verfassung
wegen
(Wahrung
des
Legitimationszusammenhangs). Darüber hinaus
verhindert diese Auslegung eine zeitliche
/..
- 42 Verschiebung vorhandener Verfassungsfragen in
einem Verfahren, welches nach Rechtskraft zur
Durchbrechung
der
Rechtskraft
beim
Bundesverfassungsgericht eingeleitet werden kann
(Aufrechterhaltung der Staatseffektivität; vgl. hierzu
jeweils meine Ausführungen in WRP 1995, 452,
458).
In der Musik könnte eine Entsprechung dann
vorhanden sein, wenn der oder die für die
Interpretation
zuständige
Künstler/in
nach
Herstellung
des
Interpretationsergebnisses
Überprüfungen dergestalt vornimmt, dass die so
gefundene Deutung vor dem Hintergrund der
Musikgeschichte aufrechterhalten werden kann. Ob
es zu einer solchen Perspektive über die Schulter
kam, mehr noch, ob dies je für erforderlich gehalten
wurde, ist mir nicht bekannt.
2.2.3.1.1.6
Die
vergleichende
(komparative Auslegung)
Auslegung
Die vergleichende Auslegung hat zum Inhalt, auf
das Ergebnis vergleichbar entschiedener Fälle zu
schauen, um die dortige Vorgehensweise evtl. für
das eigene Vorgehen im Zuge der Falllösung zu
nutzen. Die vergleichende Auslegung hat auch zum
Inhalt, auf andere Methoden fremder Rechtskreise
zu schauen. Die vergleichende Auslegung dürfte
insbesondere dort von Bedeutung sein, wo ein
einheitliches
Ergebnis
trotz
verschiedener
Rechtsordnungen
gewünscht
ist.
Auseinandergehende
Begründungen
und
Ergebnisse beispielsweise im Wettbewerbsrecht
oder
im
Urheberrecht
beflügeln
überdies
Harmonisierungsbestrebungen seitens Organe der
EU.
Die vergleichende Auslegung ist vermittels
Verallgemeinerung des Ansatzes auf eine höhere
Ebene gebracht, wenn im Zuge der Erarbeitung der
richtigen Methode der Gesetzeskonkretisierung auf
weitere
Rechtskreise
geschaut,
die
Vorgehensweise
dort
analysiert
und
möglicherweise für den eigenen Rechtskreis oder
zumindest das eigene Rechtssystem fruchtbar
gemacht
wird.
Ein
derart
umfangreiches
Unterfangen wurde in beeindruckender Weise
durch einen Autor bewältigt, so dass Aufrufe, man
solle sich verstärkt dem komparativen Denken
zuwenden, da bei Beibehaltung der in Deutschland
herrschenden
Methodenlehre
"Schizophrenie"
drohe (vgl. meine Ausführungen in WRP 2002, 368,
369 Fn 13) etwas erstaunlich sind.
/..
- 43 -
In der Musik könnte eine Entsprechung dann
vorhanden sein, wenn der oder die für die
Interpretation zuständige Künstler/in vor, während oder nach
der eigenen Werkinterpretation auf anderweitige
Werkauffassungen blickt, um gegebenenfalls
Anregungen für die eigene Sichtweise zu erhalten.
Hierzu muss gesagt werden, dass mit einem
Ansteigen des Könnens und des Niveaus des
musikausübenden Künstlers allgemein die Neigung
sinkt, sich mit fremden Interpretationen zu
befassen. Anders also als in der Jurisprudenz, wo
es ein Zeichen gedanklicher Fähigkeiten und ein
Beweis der für Neuansätze offenen Persönlichkeit
ist, sich mit fremden Vorgehensweisen zu
befassen, besitzen Künstler eine hohe und durch
ihre Persönlichkeit bedingte Sicherheit, so und nur
so mit einem bestimmten Werk umzugehen.
Darüber hinaus gibt es in der Musik nur in
beschränktem Umfang miteinander musikalisch
austauschbare Kulturkreise, wie sie im Bereich des
Rechts etwa im Hinblick auf das kontinentale
Rechtsdenken und das englische Rechtsdenken
gegenwärtig sind.
Der vorerwähnte, zum Vergleich der Rechtskreise
bekannt gewordene, herausragende Autor widmet
sich jüngst dem afrikanischen Rechtsdenken. Ob
es jemals sein wird, dass so genannte westliche
Musik, bewundert von Künstlern in aller Welt, im
Zuge der Interpretation Ergänzungen aus fremden
Kulturkreisen wie dem indischen, dem chinesischen
oder dem afrikanischen aufnimmt, muss offen
bleiben.
Interessant ist jedenfalls, dass die so genannte
westliche Musik einpacken kann, klammert man die
deutschen oder gar die deutschsprachigen
Komponisten aus. Ob dies gleichermaßen für das
deutsche Recht und seine Vertreter gilt, erweist
sich z.B. dann, wenn Berichtigungen durch den
europäischen Gesetzgeber oder durch die
europäische
Rechtssprechung
dergestalt
rückgängig gemacht werden, dass im Ergebnis
durch deutsche Juristen getätigte Reflexionen
eingeholt werden.
Wie gesagt: Ein gelungenes Gesetz und ein
Kunstwerk gleichen sich insoweit, als beide
Gegenstände niemals abgeschlossen sind, sondern
im ersten Fall Handlungsmöglichkeiten erfassen, an
die man zuvor nicht dachte. (Ein Beispiel bildet § 1
UWG a.F.: Der I. Zivilsenat des BGH brachte es
fertig, im Wesentlichen diejenigen Aussagen, wie
/..
- 44 sie heute in § 4 UWG n.F. enthalten sind, in
grundsätzlicher Abkehr von einer 90 Jahre lang
geübten, sich teilweise unerfreulich zuspitzenden
Rechtsprechung, auf der Grundlage eben jener
Regelung des § 1 UWG a.F. zu entwickeln).
Im Fall der Musik zeigt sich das nie
abgeschlossene Musikwerk in der ständigen
Wiederholbarkeit dieser Musik, ohne dass diese
Musik im Geringsten erschöpft oder gar langweilig
wirkt.
Im Umgang mit diesen Gegenständen tritt
allerdings ein deutlicher Unterschied zutage:
während
Juristen
vermehrt
vergleichend
interpretieren, spielt die vergleichende Sichtweise
für Künstler keine Rolle, sie wissen ganz genau,
dass
–
aus
der
Fülle
der
Interpretationsmöglichkeiten – für sie nur diese eine
Sichtweise gültig ist. Letzteres ist keinesfalls
provinziell, wenn man Provinz nicht als Wohnen in
ländlichem Raum, sondern als begrenzte Haltung
des eigenen Geistes versteht. Provinziell ist
allerdings auch ein möglicherweise ausgrenzend
handelnder Künstler, der nur seinen Umgang mit
Musik als richtig akzeptiert ohne zu erkennen, dass
andere
Künstler
in
ihrer
anderweitigen
Auseinandersetzung mit dem Werk Bereiche
eröffnen können, welche auch für ihn fruchtbar
wären, ohne dass damit zugleich gesagt ist, diesen
anderen
Künstlern
gelänge
dieselbe
Musikinterpretation.
2.2.3.1.1.7 Die richtlinienkonforme Auslegung
Die richtlinienkonforme Auslegung besagt, dass die
auf gesetzlicher Grundlage zu findende Lösung mit
Blick auf die Richtlinie als gemeinschaftsrechtliche
Vorgabe
der
anzuwendenden
gesetzlichen
Regelung zu erfolgen hat.
Erster Bezugspunkt der Auslegung ist mithin die
anzuwendende gesetzliche Regelung. Bei dieser
handelt es sich beinahe ausschließlich um ein
Regelungswerk, welches die als weiteren
Bezugspunkt dienende Richtlinie bereits umgesetzt
hat. Umsetzung bedeutet dabei entweder eine
wörtliche Übernahme des Richtlinientextes oder
dessen Präzisierung. In seltenen Fällen wird eine
Richtlinie ohne Umsetzung durch den nationalen
Gesetzgeber unmittelbar über eine vorhandene
Generalklausel angewandt, wobei wichtigstes
Erfordernis insoweit die hinreichende Bestimmtheit
des Richtlinientextes ist. Als Beispiel mag hier die
/..
- 45 Richtlinie über die vergleichende Werbung dienen
(Ergänzung der Irreführungsrichtlinie), vom BGH im
Jahr 1998 unmittelbar angewandt über die
Generalklausel des § 1 UWG a.F. Die
Entscheidung insoweit trägt das Stichwort
"Testpreisangebot"
(www.markenrechtbernreuther.de, Ziff. 4.1.2.1.1.).
Bei der richtlinienkonformen Auslegung ist des
Weiteren zu unterscheiden, ob bereits eine
Auslegungsvorgabe durch den EuGH vorhanden ist
oder ob eine solche noch fehlt.
Ist eine Aussage des EuGH vorhanden, wonach
eine bestimmte Stelle des Richtlinienwortlautes in
besonderer Weise ausgelegt werden muss – eine
derartige Aussage folgt regelmäßig aus einer
Vorlageanfrage durch ein vorlegendes Gericht,
wobei das vorlegende Gericht regelmäßig
Auslegungsvorschläge unterbreitet - , scheint die
Festlegung des Inhalts der "richtlinienkonformen
Auslegung" einfach zu sein. Einfach ist die Lage
aber nur dann, wenn die Festlegung des
Richtlinieninhaltes exakt den zu entscheidenden
Fall betrifft. Gibt es demgegenüber Vorgaben des
EuGH, die nicht unmittelbar zum gegenständlichen
Fall passen, ist die Lösung möglicherweise noch
offen, als Beispiel dient die Rechtsprechung des
BGH zu den so genannten Schrottimmobilien. So
musste der XI. Zivilsenat, der vermeint hatte, den II.
Zivilsenat die Verkennung grundlegender Prinzipien
des Vertragsrechts vorwerfen zu können, obschon
bereits Aussagen des EuGH im Zusammenhang
mit
der
zu
entscheidenden
Fragestellung
vorhanden waren, zur Kenntnis nehmen, dass den
EuGH
das
Denken
in
vertragsrechtlichen
Beziehungen nicht interessiert, wenn es darum
geht,
dem
Widerrufsrecht
aufgrund
einer
Haustürsituation Geltung zu verschaffen und zwar
auch gegenüber der über der im Hinblick auf
Haustürsituation unbeteiligten Bank (s.u. Ziffer
3.2.4 a.E.).
Ist keine Aussage des EuGH vorhanden, hat das
auf
der
Grundlage
nationalen
Rechts
entscheidende Gericht selbst eine Auslegung
vorzunehmen, von der es annimmt, das Ergebnis
der Auslegung wäre so auch vom EuGH getätigt
worden. Dies gilt auch für ein in letzter Instanz
entscheidendes nationales Gericht, auch insoweit
besteht keine – in Deutschland nach nationalem
Verfassungsrecht
sanktionierte (Entzug
des
gesetzlichen Richters) – Pflicht von einer eigenen
richtlinienkonformen Auslegung abzusehen, wenn
nach Auffassung dieses nationalen Gerichts nur
/..
- 46 eine bestimmte, mit dem Gemeinschaftsrecht
konforme Lösung in Betracht kommt.
Maßgebend
für
den
Inhalt
der
gemeinschaftskonformen Auslegung ist also das
Erkennen der mit der betreffenden Richtlinie
verbundenen Zielsetzung des europäischen
Gesetzgebers, wobei diese Art und Weise der
Auslegung sich deshalb von einer historischen oder
objektiv-teleologischen
Auslegungsregel
unterscheidet,
als
der
richtlinienkonformen
Auslegung jede rangmäßige Einordnung und damit
jede
Unterordnung
in
das
bekannte
Methodenschema fehlt.
2.2.3.1.2 Die Auslegungsziele bzw. -theorien
Wie vorstehend zu Ziff. 2.2.3.1.1 ausgeführt,
werden die Auslegungsregeln vor dem Hintergrund
der subjektiven und der objektiven Theorie
verstanden.
Dies
bedeutet,
dass
die
Auslegungsregeln zum einen nach dem Willen des
historischen Gesetzgebers angewandt werden,
nach anderer Auffassung ist die Vorstellung vom
heutigen Willen des Gesetzgebers maßgebend.
Beide Theorien werden nachfolgend kurz
beleuchtet. Sollte sich ergeben, dass beide
Theorien zu vernünftigen Ergebnissen führen, wird
gleichwohl nicht der Frage nachgegangen, ob und
gegebenenfalls in welchem Umfang die übrigen
Auslegungsregeln zugleich als Hintergrund für
sämtliche Auslegungsregeln und damit als weitere
Auslegungstheorien in Betracht kommen. Ursache
für diese Selbstbeschränkung sind allein Gründe
der Übersichtlichkeit sowie der persönliche Belang,
innerhalb angemessener Zeit mit dem eigenen
Manuskript fertig zu werden.
2.2.3.1.2.1 Die subjektive Theorie
Der subjektiven Theorie liegt die Vorstellung zugrunde, dass mehr an Wortsinn, mehr an
Wortbedeutung, folgend aus dem Zusammenhang
mit sonstigen Bestimmungen des betreffenden
Gesetzes bzw. folgend aus dem Zusammenhang
mit anderen seinerzeit gültigen Gesetzen, mehr an
Zwecküberlegung des historischen Gesetzgebers
und mehr an objektiven Zweckvorstellungen,
gehegt durch den historischen Gesetzgeber, in der
auszulegenden Norm nicht enthalten sein kann.
Will heißen: in einer Norm können nur solche
Inhalte enthalten sein, die der Gesetzgeber in diese
/..
- 47 Norm
vermittelt
hat.
Jede
andere
Inhaltsbestimmung ist vom Gesetzgeber und daher
– mittelbar – dem Volk nicht mehr legitimiert. Dem
kann ich nur zustimmen, wenn erstens das
Anliegen der subjektiven Theorie methodische
durchführbar ist, zweitens die objektiv-teleologische
Auslegung vor dem Hintergrund der subjektiven
Theorie die geforderte Legitimation durch den
historischen Gesetzgeber wahrt und drittens eine
plausible Erklärung dafür vorhanden ist, weshalb
die
Nichtwahrung
des
Legitimationszusammenhangs auf der Grundlage
der objektiven Theorie (aus Sicht der subjektiven
Theorie)
und
die
somit
gefundenen
Auslegungsergebnisse
zu
keinen
verfassungsrechtlichen Beanstandungen, bestätigt
durch Gerichte, geführt haben.
2.2.3.1.2.1.1 Methodische Durchführbarkeit des
Anliegens der subjektiven Theorie
Die Bestimmung des Inhalts eines Begriffs vor dem
Hintergrund der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers ist deshalb nicht zur Gänze möglich,
weil diese historischen Vorstellungen insoweit nicht
vollständig rückverfolgbar sind. Zwar kann
anlässlich eines Blicks in Enzyklopädien aus der
Entstehungszeit des Gesetzes (beim Bürgerlichen
Gesetzbuch: vor 1900) festgestellt werden, dass
der Begriff "Sache" nicht zugleich Kugelschreiber,
Atomkraftwerke und ähnliches umfasste. Nachdem
allerdings keine Vorstellung von irgendetwas
möglich ist, welche nicht zugleich durch das heutige
Bewusstsein repräsentiert ist, wird durch die
Ersetzung des heutigen Bewusstseins mittels
Rückgriffs auf ein Lexikon nicht bewiesen, dass der
lexikalische Eintrag dem Bewusstsein des
historischen Gesetzgebers entspricht.
Derselbe Einwand gilt gegenüber der Erfassung
rechtssystematischer
Bezüge
aus
der
Entstehungszeit des Gesetzes ungeachtet der
Tatsache, dass möglicherweise zwischenzeitlich
aufgehobene
Gesetze
kaum
oder
nicht
rekonstruierbar sind.
Welche Zweckvorstellungen der Gesetzgeber
hegte, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung.
Nicht herstellbar ist die Vorstellung vom objektiven
Sinn und Zweck einer Regelung nach Auffassung
des historischen Gesetzgebers: was dieser insoweit
gedacht hat, ist nirgendwo niedergelegt.
Die Nichteinholbarkeit der historischen Situation im
/..
- 48 Zuge
der
Verwirklichung
der
historischen
Musikinterpretation steht hierzu parallel und wurde
oben zu den Ziff. 2.1.1.4 und 2.1.1.5 dargelegt.
2.2.3.1.2.1.2
Wahrung der Legitimation des
historischen
Gesetzgebers
bei
Anerkennung
der
objektivteleologischen Auslegung vor dem
Hintergrund der subjektiven Theorie
Erkennt man an, dass der historische Gesetzgeber
die Möglichkeit einer Auslegung nach dem – im
Gesetz nicht enthaltenen – Sinn und Zweck der
damaligen
Zeit
anerkannt
hat,
ist
die
Voraussetzung, mehr als das vom Gesetzgeber
geregelte und erwähnte könne in einer Regelung
nicht enthalten sein, erheblich entwertet. Darüber
hinaus gehörte zur Folgerichtigkeit dieses
Ansatzes, dass die historischen Gesetzgeber zwar
einer Objektivierung ihrer, nicht aber einer
Objektivierung durch die Gesamtheit sämtlicher
parlamentarischen Nachfolger zustimmen. Eine
derartige Annahme ist nicht bekannt und im
Übrigen aus erkenntnistheoretischer Sicht – nach
uns ist niemand klüger – unhaltbar.
Die Parallele dieser Gedanken findet sich dann,
wenn
die
Vertreter
der
historischen
Musikinterpretation nachweisen können, der
Komponist
habe
keine
–
objektiven
–
Fortentwicklungen hinsichtlich der technischen
Entwicklung der Instrumente, aber auch sämtlicher
Musizierweisen gewollt. Dass dieser Nachweis
kaum gelingen dürfte, liegt auch und gerade mit
Blick auf Bach auf der Hand.
2.2.3.1.2.1.3 Keine rechtsstaatlichen Sanktionen
auf der Grundlage der subjektiven
Theorie wegen Ergebnissen, die vor
dem Hintergrund der objektiven
Theorie getroffen wurden
Verwerfende Richtersprüche, wie sie in der
vorstehend ausgeführten Gliederungsüberschrift
angesprochen sind, fehlen.
2.2.3.1.2.1.4
Zusammenfassung
von
Ziff.
2.2.3.1.2.1.1 bis 2.2.3.1.2.1.3
Die subjektive Theorie kann Fingerzeige liefern, wie
Gesetze – auch – interpretiert werden können.
Nicht mehr und nicht weniger ist der subjektiven
/..
- 49 Theorie zu entnehmen. Die subjektive Theorie
widerlegt nicht die objektive Theorie.
2.2.3.1.2.2 Die objektive Theorie
Der objektiven Theorie liegt die Vorstellung
zugrunde,
dass
wörtliche,
systematische,
historische und zweckgerichtete Auslegungen vor
dem Hintergrund des heutigen Bewusstseins sich
konkretisieren lassen und zu konkretisieren sind.
Erkenntnistheoretisch berechtigt ist diese Haltung
dadurch, dass es keine Vorstellung von dem gibt,
was nicht ausschließlich durch unser heutiges
Bewusstsein repräsentiert ist.
Rechtsstaatlich berechtigt ist diese Haltung
dadurch, dass der Gesetzgeber selbst von einer
zweckentsprechenden
Fortentwicklung
des
Gesetzesinhalts im Lauf der Zeit und entsprechend
der Zeit ausgeht und ausgegangen ist. Allzu große
Abweichungen vom gesetzlich geäußerten Fehlen
des Gesetzgebers im Wege der Interpretation
lassen
sich
insbesondere
über
das
Bundesverfassungsgericht
kontrollieren
und
gegebenenfalls berichtigen.
Geschichtsphilosophisch berechtigt ist diese
Haltung insbesondere mit Blick auf das Kunstwerk:
Dessen Unerschöpflichkeit, vor allem dokumentiert
durch Sprach- und Musikwerke, beweist die
Wirksamkeit des objektiven Geistes (um einen in
Berlin ehedem tätigen Philosophen von Weltruhm
ins Spiel zu bringen) bzw. das, was über endlichen
Menschen in Bezug auf Gott und die Welt
hinausgreift.
2.2.3.1.2.3 Einwände von Vertretern des bekannten
Methodenschemas gegen dieses selbst
Als Haupteinwand gegen die herkömmliche
Interpretation von Gesetzen wird insbesondere
auch von den Vertretern dieser Interpretationsweise
eingewandt, es fehle an verbindlichen Aussagen,
die das Rangverhältnis der Auslegungsregeln
untereinander ergeben. Und man darf hinzufügen,
es fehlt dieselbe Metaregel zur Reihenfolge der
Anwendbarkeit von subjektiver und objektiver
Theorie, sofern man – wie ich – von einer
zumindest teilweise bestehenden Berechtigung
beider (die rückwirkende Erkenntnissicht der
subjektiven Theorie ist dann gerechtfertigt, wenn
sie einen Erkenntnisgewinn zeitigt) Theorien
ausgeht.
/..
- 50 -
Der erwähnte Haupteinwand ist allerdings kein
solcher. Zum einen gibt es theoretische
Ausführungen zur Rangfolge (auch aus meiner
Feder, allerdings unveröffentlicht), zum zweiten
sind die dem Einwand zugrunde liegenden
Voraussetzungen (verbindliches Rangverhältnis
zwischen den Auslegungsregeln) deshalb unrichtig,
weil sie gegenüber einem Problem der allgemeinen
Argumentation (welche Begründung überzeugt
mehr als die andere) Erfordernisse aufrichtet, die in
eben jener allgemeinen Argumentation nicht als
erforderlich angesehen werden, um Wahrheit im
Sinne eines Konsenses zu erzeugen.
Will heißen: Wir alle gehen von der Tatsache aus,
dass manche Begründungen mehr, andere weniger
überzeugen. Die meisten – und auch ich – gehen
davon aus, dass ein Schema, anhand dessen das
Gewicht und der Wert einer Begründung erfasst
und gemessen werden kann, nicht vorhanden ist.
Dies ändert aber nichts an der zuerst erwähnten
Tatsache,
wonach
die
Tatsache
des
Vorhandenseins von Plausibilität ungeachtet der
schwierigen Begründbarkeit von Plausibilität nicht
geleugnet werden kann. Oder anders ausgedrückt:
Da jeder das, was er sagt, für wesentlich hält, ist
jedes Negativurteil über das Vorhandensein von
Wesentlichkeit nicht mehr wert als die dort
getroffene Aussage selbst (vgl. hierzu meine
Ausführungen in WRP 2002, 368, 373 Fn 46).
Geht es also um das Rangverhältnis der
Auslegungsregeln (und der Auslegungstheorien),
entscheiden bessere oder schlechtere Gründe als
Teil der allgemeinen Argumentation. Und solange
sich argumentieren lässt, lässt sich auch im
konkreten Fall die gewählte Vorgehensweise der
Auslegung begründen.
Zum Schluss hier erlaube ich mir die Anmerkung,
dass die juristische Argumentation lediglich ein Teil
der allgemeinen Argumentation ist.
2.2.3.1.2.4 Die richtlinienkonforme Auslegung als
weitere Auslegungstheorie
Die Auslegung nach dem Wortsinn, dem
Zusammenhang mit der Gesetzesaussage im
Übrigen bzw. mit Aussagen weiterer Gesetzen, die
Auslegung nach dem Anliegen des historischen
Gesetzgebers und dem Anliegen eine gedanklich
heute tätigen Gesetzgebers lässt sich – auch – vor
dem Hintergrund des Erkennens und der Deutung
/..
- 51 der vom europäischen Gesetzgeber bezweckten
Zielsetzung vornehmen. Dass dasselbe für die
verfassungskonforme Auslegung gelten können
soll, möchte ich bestreiten, wird von mir allerdings
hier näher nicht begründet.
Diese Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers
kann Züge oder gar Inhalte der subjektiven oder
mehr noch der objektiven Theorie aufweisen.
Maßgeblich dürfte jedoch das Erkennen bestimmter
rechtspolitischer Zielsetzungen sein, die es im Zuge
der Auslegung als durchsetzbare rechtliche
Maßstäbe zu verwirklichen gilt. Eine derart
rechtspolitisch verstärkte Auslegungshaltung hat
den Vorteil, gedankliche Fortschritte schneller als
bisher zu verwirklichen. Eine derart rechtspolitisch
verstärkte Auslegungshaltung hat den Nachteil der
Rechtszersplitterung: Denn Recht hat als
Hauptaufgabe weder, Arbeitsplätze zu erhalten
noch beispielsweise, Frauen in der Werbung nicht
zu diskriminieren oder, den freien Warenverkehr zu
sichern (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP
1999, 792, 800, 801 li Sp).
Das Recht hat die Aufgabe, in der Begründung und
im Ergebnis die Grundlage einer gerechten
Entscheidung zu sein und zwar ausgehend von
zutreffenden Voraussetzungen mit einem auch in
tatsächlicher Hinsicht zutreffenden Ergebnis unter
Einräumung der größtmöglichen Freiheit für alle
Beteiligten. Wer demgegenüber Sonderzwecke in
den Vordergrund rückt, verfehlt auf Dauer das
Recht.
2.2.3.2
Neue
Ansätze
Methodenfragen
zur
Lösung
von
Zumindest die in Deutschland veröffentlichten
Neuansätze zu der Frage darzustellen, auf
welchem Weg Entscheidungen auf der Grundlage
von Gesetzen zustande kommen, hieße jegliche
räumlichen Grenzen hier zu sprengen, ungeachtet
der sich auftuenden Anforderungen in gedanklicher
und geistiger Hinsicht. Dies allzumal deshalb, weil
Ansätze in der Methodendiskussion und damit auch
Neuansätze jeweils vor dem Hintergrund einer
bestimmten philosophischen Strömung entfaltet
werden, was bedeuten würde, auch den
philosophischen Zusammenhang der betreffenden
methodischen Haltung aufzuarbeiten und offen zu
legen. Dass solches ein ziemlich umfassendes
Unterfangen bedeuten würde, liegt auf der Hand.
Nachstehend
greife
ich
somit
auf
eine
/..
- 52 Veröffentlichung von mir (WRP 1995, 452, 460)
zurück, an deren Beginn die Bestätigung der
Bedeutung des bekannten Methodenschemas auch
durch die Vertreter der Neuansätze steht.
"'Dass die Anwendung der Gesetzesregeln nichts
anderes als eine logische Subsumtion unter
begrifflich befasste Obersätze sei, kann ……. im
Ernst niemand mehr behaupten'. Diese Feststellung
(sc: eines der bekanntesten Vertreter der
Methodendiskussion) kennzeichnet einen der
wenigen Punkte in denen innerhalb der
zeitgenössischen juristischen Methodendiskussion
Einigkeit besteht". Dem ist in seiner Richtigkeit
nichts hinzuzufügen.
Wenn gleichwohl das bekannte Methodenschema
Anwendung fand, bedeutet dies deshalb keinen
Widerspruch, weil nicht behauptet wird, die
aufgezeigten Ergebnisse resultierten aus einem
Syllogismus. M.a.W., auch wenn die Vorstellung,
wonach der Richter bei Anwendung strenger
Regeln "Mund des Gesetzes" sei, als überholt
anzusehen ist, so führt dies nicht zur Preisgabe des
traditionellen Methodenkanons, allzumal dieser
auch bei Neuansätzen zur Entscheidungsfindung
unter
evtl.
stark
veränderten
Vorgaben
eingebunden wird.
Die traditionelle Methode nicht aufgegeben zu
haben trotz – teilweise – expliziten Neuansatzes,
gilt namentlich für die meisten Vertreter der
Methodendiskussion.
Was die Nichtnennung eines bedeutenden
Rechtsphilosophen anbelangt, so glauben (!) wir
nicht, dass dieser Autor mit seinem Ansatz, sein
und sollen in die Entsprechung zu bringen,
behauptet, dass traditionelle Methodenverständnis
besitze keinen Aussagewert.
Einer der profiliertesten Vertreter von Rechtstheorie
und Rechtsphilosophie führt – in gleicher Weise wie
die genannten Autoren von einem eigenen Ansatz
ausgehend – zutreffend aus: ‚Die Geschichte der
neueren Methodenlehre ist eine Geschichte der
Angriffe gegen dieses 'Subsumtionsmodell der
Rechtsanwendung', und dennoch hat sich dieses
Subsumtionsmodell im Wesentlichen doch wohl
behauptet………..Ein Teil der Autoren behält das
Subsumtionsmodell
zwar
grundsätzlich
bei,
modifiziert es aber in entscheidenden Punkten. So
ergänzen ……….und ……………das Modell durch
Einfügung einer 'Annäherung von Gesetz und
Lebenssachverhalt bzw. Fall'. ………….(erkennt
/..
- 53 der Subsumtion eine erhebliche Bedeutung zu,
wichtig ist aber auch) wertende Zuordnung. Andere
Autoren,
vor
allem
……….und
…………,
unterlaufen die Problematik gewissermaßen
dadurch, dass sie den Akzent bei der
Rechtsfindung auf die richterliche Entscheidung
legen, ………(gehen) von einer Vermittlung des im
Gesetz liegenden Allgemeinen mit dem im Fall
liegenden Besonderen aus. …..sieht …..Gesetz
und Richterspruch als dialektische Einheit an’.
Nach diesseitiger Auffassung ist die traditionelle
Methode aber auch deshalb so lebendig, weil die
objektiv-teleologische Auslegung für eine Fülle von
Argumenten
(dem
heute
relevanten
Normzweck/Normsinn;
Sachbezogenheit
von
Lösungen;
Zeitgemäßheit
von
Lösungen;
staatsphilosophische
Vorstellungen;
rechtsethischer
Kontext;
Relevanz
eines
bestimmten Begriffs von Recht) steht, was dem
Kanon eine hohe Beweglichkeit dergestalt sichert,
dass in Neuansätzen vorhandene Denkweisen
Eingang
finden
können“.
Soweit
meine
Ausführungen aus dem Jahr 1995, wobei der
Eingangssatz im Zitat im Zitat meines Zitats ist.
Satz 2 ist ein Zitat im Zitat, dasselbe - Zitat im Zitat
- betrifft die Ausführungen, die dem Satz
nachfolgend: "Einer der profiliertesten Vertreter…..
führt …..zutreffend aus".
2.2.3.3 Europäische Rechtserkenntnis als Aufgabe
für die juristische Methode
Von Personen, die in erster Reihe am Vertrag der
Europäischen Gemeinschaft mitgewirkt haben, wird
verlautbart, sie und die Beteiligten hätten es sich
nicht träumen lassen, auf welche Weise der EuGH
den Vertrag und insbesondere die frühere
Regelung des Art. 30 EGV (heute: Art. 28 EG)
auslegen würde.
Nochmals: Es war nicht die Kommission, es war
nicht das Europäische Parlament, welche die
Rechtsharmonisierung in Europa vorantrieben,
sondern der EuGH.
Konkret: Es war allem Anschein nach richtig, dass
der EuGH jede Werbeaussage als eine der
Behinderung des freien Warenverkehrs gleich
wirkende Maßnahme bewertete; es war ferner
richtig, dass der EuGH nach Anerkanntsein dieser
Bewertung ein Stück zurückwich und die
Unterscheidung zwischen bloßer Verkaufsmodalität
(kein Fall von Art. 30 EGV bzw. Art. 28 EG) und
/..
- 54 produktspezifischer Maßnahme (Anwendbarkeit
von Art. 30 EGV bzw. Art. 28 EG) einführte.
Unverständlich
war
die
Zuweisung
der
Verantwortlichkeit für diese Änderung an die Kläger
("da sich die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger
auf Art. 30 EGV berufen, …..hält es der Gerichtshof
für notwendig, seine Rechtssprechung auf diesem
Gebiet zu überprüfen…..", vgl. hierzu meine
Ausführungen in WRP 1999, 475, 478 a.E.; s.u.
Ziffer 3.2.3.2 a.E.).
Will heißen: Umbrüche im herkömmlichen
Rechtsverständnis können durch die Einsicht in die
Notwendigkeit der Verwirklichung europäischen
Rechts bedingt sein. Leistet dann der EuGH oder
der europäische Gesetzgeber die dogmatische
Rechtfertigung, also die Begründung für den nach
wie vor bestehenden Zusammenhang mit dem
Rechtssystem im übrigen nicht, muss diese
Begründung vom nationalen Gesetzgeber oder der
nationalen Rechtsprechung vorgetragen werden.
Ist eine solche Begründung allerdings nicht zu
leisten, stellt sich die Frage, ob die neue Sichtweise
richtiges Recht ist.
So lässt es sich wohl begründen, dass
Verhaltensweisen, die gegen Vorgaben des
europäischen
Rechts
stehen,
keinen
Vertrauensschutz genießen. Es lässt sich wohl
begründen, dass Änderungen der Rechtslage
rückwirkend zu gelten haben.
Es lässt sich zwar begründen, ist jedoch wegen
entgegenstehender bürgerlicher Grundfreiheiten
nicht zu rechtfertigen, wenn der EuGH bei
Sachverhalten, die dem Kartellrecht unterliegen,
von den Betroffenen fordert, sie hätten sich an der
Aufklärung des Sachverhalts auch dann noch zu
beteiligen, wenn dies zu einer Selbstbelastung führt
(zwischenzeitlich durch den EGMR berichtigt,
www.markenrecht-bernreuther.de, Ziff. 2.1. und Ziff.
26.2.2.5).
Es lässt sich zwar begründen, ist jedoch nicht
einsichtig, wenn bei neuerlicher Auftragsvergabe an
ein anderes Unternehmen die Arbeitnehmer des
ersten Unternehmens wegen Betriebsübergangs
einen Beschäftigungsanspruch besitzen.
Es lässt sich innerhalb vertraglicher Beziehungen
kaum begründen, dass mögliche vertragliche
Ansprüche gegenüber den Vertragspartnern des
Vertragspartners
ohne
eigene
vertragliche
/..
- 55 Beziehungen – unter Übernahme der französischen
action directe – geltend gemacht werden können.
Es lässt sich – entgegen erstem Anscheins – wohl
doch begründen, wenn die bloße Haustürsituation
als solche gegenüber der finanzierenden Bank
eingewendet werden kann.
Es lässt sich kaum begründen, weshalb ein
Werbevergleich unter persönlicher Bezugnahme
auf den Mitbewerber nur auf tatsächlicher
Grundlage
(unter
Beachtung
weiterer
Voraussetzungen), nicht jedoch auf der Grundlage
von
durch
das
Grundrecht
der
Meinungsäußerungsfreiheit
geschützten
Bewertungen möglich sein soll.
Man sieht: Es gibt eine Menge zu tun. Packen wir's
an.
2.2.3.4 Meine Auffassung von juristischer Methode
Was meine Haltung in Fragen der juristischen
Methode anbelangt, so sehe ich es als Aufgabe der
an der Rechtsfindung beteiligten Juristen an, eine
gedankliche Brücke zwischen dem Gesetz und der
Bewertungsmöglichkeit
des
Einzelfalles
zu
schaffen. Ich gehe also nicht davon aus, der Jurist
habe die Aufgabe, zwischen Norm und
Sachverhalt, zwischen Sollen und Sein zu
vermitteln.
Der Mandant wird im Gespräch zumindest am Ende
der Schilderung seiner Wahrnehmung des
Sachverhalts und nach ergänzenden Fragen zum
wahrgenommenen Sachverhalt, befragt oder
ungefragt mitteilen, welches Ziel er verfolgt. Dieses
Ziel hat der Mandant in der Regel klar vor Augen.
Will heißen, er bevorzugt die Bewertung seines
Verhaltens als rechtmäßig oder als nicht so
rechtswidrig, wie ihm dies vorgeworfen wird. Zum
Zweck der rechtlichen Durchsetzung dieser
Bewertung ist anwaltliche Hilfe notwendig.
Es ist sodann Aufgabe des Anwaltes, zwischen der
Mandantenbewertung, welche Ausgangspunkt für
sein tatsächliches Ziel ist, und den rechtlichen
Normen eine Brücke zu schlagen, die auf solche
Weise halten muss, dass in der Rolle des
Gläubigers das Gewollte als Recht, mithin die
eigene Bewertung mit der Möglichkeit eines
staatlich ausgeübten Zwangs durchsetzbar ist. Ist
der Mandant Schuldner, Angeklagter oder Adressat
einer
behördlichen
Maßnahme,
hat
der
/..
- 56 Brückenschlag den Zweck, die Inanspruchnahme
oder Bestrafung des Mandanten zu vermindern
bzw. zu vermeiden.
Der Brückenschlag beginnt mit der Prüfung der
Anwendungsvoraussetzungen der für einschlägig
angesehenen Regelungen, er wird fortgeführt mit
der Prüfung, ob das für anwendbar angesehene
Gesetz die für den Einzelfall getroffene Bewertung
des Mandanten in rechtlicher Hinsicht bestätigt.
Wie schwierig es ist, ausgehend vom einschlägigen – Gesetzeswortlaut festzustellen, ob
dieser die für den Einzelfall getroffene Bewertung
des Mandanten bestätigt, wissen alle nicht
betroffenen Juristen sowie die übrigen vom
tatsächlichen
Geschehen
nicht
betroffenen
Personen.
Sodann sind die bereits hier angesprochenen
allgemeinen Regeln von Bedeutung, welche die
Anwendbarkeit des Gesetzes erleichtern oder
sogar erst ermöglichen.
Die Richter haben des Weiteren die einfachere
Aufgabe zu prüfen, ob die von der einen Partei
bejahte oder die von der Gegenpartei verneinte
rechtliche Bewertung zutreffend ist.
Bei dieser Darstellung der Rechtsfindung hier dürfte
es auch dann bleiben, wenn die für den Mandanten
nützliche Bewertung des Einzelfalles oder sogar
das Erfolgsziel vom Anwalt oder von einem
sonstigen Dritten herstammt: erneut ist diese
Bewertung keine Folge der Vermittlung von Sollen
(gesetzlicher Regelung) und Sein (Sachverhalt, wie
dieser den Fall ausmacht). Diese Vermittlung,
welche logisch zu begründen wohl nicht gelingt
unabhängig davon, dass die Antworten auf die
insoweit bedeutsamen Fragen verstärkt in der
Gehirnforschung (vgl. hierzu meine Ausführungen
in WRP 1999, 792, 800 Fn 73 und 74) gesehen
werden, ist in ihrem Funktionieren ein Faktum,
vorhanden in jedem Subjekt selbst. Diese Tatsache
heißt selbstredend nicht, jedes Subjekt würde
zutreffend im moralischen oder juristischen Sinn
bewerten. Sie heißt nur, aber auch, dass jeder
Mensch in der Lage ist, zu werten. Lediglich hieran
knüpfen meine Vorstellungen über den Ablauf von
juristischer
Methode
an.
Dass
dabei
Vorverständnis, unmittelbar zwischenmenschliche
Erfahrungen, sozial oder religiös bedingte
Erfahrungen und Bewertungen, Bedingungen der
Sprechsituation, Einstellungen gegenüber den
Bedingungen des Diskurses, um nur einige
Umstände
zu
nennen,
in
denen
/..
- 57 Bewertungsvorgänge
einfließen
bzw.
ausmachen,
ist
ebenso
gewichtig
selbstverständlich.
sie
wie
Diese Selbstverständlichkeit bedingt zugleich die
Erkenntnis, dass wir Menschen irren. Irren ist
menschlich, irren gehört zum Mensch sein. Wer
sich nicht irrt, ist kein Mensch. Wer Mensch ist, irrt.
Gerade vor diesem Hintergrund sind moderne
Wahrheitstheorien
bedeutsam,
welche
die
Bedeutung der Sprechsituation, die Bedingungen
des Diskurses, erkennbar machen und betonen. In
diesem Zusammenhang geht es nicht mehr so sehr
um das Errichten von Positionen, das Einnehmen
von scheinbar unverrichtbaren Standpunkten.
In Bewusstmachung dieser Tatsache ist es nicht
verwunderlich, dass viele, vielleicht sogar die
Mehrheit der Neuansätze innerhalb der juristischen
Methodendiskussion die Hauptströmungen der
Gegenwartsphilosophie für den Bereich juristischen
Erkennens widerspiegeln. Jedes methodische
Anliegen, welches auf gute Gründe verweisen
kann, ist berechtigt. So bleibt der Rechtsstaat
nachvollziehbarer Rechtsstaat, er wird nicht zum
bevormundenden,
weil
besser
wissenden
Rechtstaat.
2.2.3.5 Zusammenfassung zu Ziff. 2.2.3
Die erste Frage nach der Möglichkeit des
Erreichens
einer
zutreffenden
rechtlichen
Entscheidung ist häufig darauf gerichtet zu
erfahren, wie die vorhandene Stofffülle bewältigt
werden kann. Stofffülle beispielsweise im
Bürgerlichen Recht oder im Markenrecht ist nicht
bedingt durch Anstrengungen und Tätigkeiten des
Gesetzgebers, sondern bewirkt durch eine stetig
ansteigende
und
weiterhin
zunehmende
Rechtsprechung.
Diese Rechtsprechung zu beachten sind wir
gehalten, um staatsrechtliche Vorgaben – Wahrung
des insbesondere durch die höchstrichterliche
Rechtsprechung
ausgewiesenen
Rechtfertigungszusammenhangs zwischen einem
nicht
ohne
weiteres
aufhebbaren
Gesetzesverständnis; Einhaltung von Vorgaben
des europäischen Rechts, vermittelt durch eine
verbindliche Auslegung von Richtlinien – zu
verwirklichen. Die Rechtsprechung selbst ist auch
das
Ergebnis
spezieller
juristischer
Vorgehensweisen, also auch Folge eines
/..
- 58 bestimmten Weges zur rechtlichen Erkenntnis,
mithin ebenso Resultat juristischer Methode.
Vorausgesetzt, die tägliche Arbeit der Juristen beim
Erarbeiten von Falllösungen, wird als Methode
verstanden.
Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dieser
Rechtsprechung,
welche
gerade
in
ihrer
Nachvollziehbarkeit auch die Folge methodischer
Erwägungen ist, stellt selbst einen Gegenstand der
Methode dar.
Denn
die
Anwendbarkeit
dieser
die
Gesetzesbegriffe selbst auf einer niedrigeren
Abstraktionshöhe
verallgemeinernden
Rechtsprechung,
das
widerspruchsfreie
Zusammenfügen dieser allgemeinen Aussagen,
das Wahrnehmen dieser Aussagen vor einem
konkreten Fallhintergrund und der Sinn und Zweck
dieser Aussage sind einordenbar nur als
methodische Anliegen.
Was die Auslegung selbst nach dem bekannten
Methodenschema, also – nochmals – nach dem
Wortsinn, dem systematischen Zusammenhang,
nach dem Willen des Gesetzgebers und nach dem
Willen des Gesetzes anbelangt, so bekennt sich
auch der EuGH zu diesem Weg der Erkenntnis,
tatsächlich
vernachlässigt
er
aber
die
systematische und die historische Auslegung (vgl.
hierzu meine Ausführungen in WRP 2001, 513, 516
nebst Fn 17 bis 19 u. 26; S. 517 Fn 28), was vor
dem Hintergrund der französischen Rechtstradition,
eingeführt in die Rechtsprechung durch die
Tatsache, wonach Beratungen zwischen den
Richtern des EuGH in französischer Sprache
stattfinden (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP
2002, 368, 369 nebst Fn 15 bis 17), ebenso
folgerichtig wie kritisierbar ist.
Wichtiger noch als die verfassungskonforme
Auslegung, die dazu dient, beim Blick über die
eigene Schulter festzustellen, ob im Rahmen des
auf der Grundlage einfachen Gesetzesrechts
geschaffenen schlüssigen Lösung die Wertungen
der Grundrechte hinreichend Berücksichtigung
fanden, ist die richtlinienkonforme Auslegung.
Die richtlinienkonforme Auslegung besagt, dass die
auf gesetzlicher Grundlage zu findende Lösung mit
Blick auf die Richtlinie als gemeinschaftsrechtliche
Vorgabe
der
anzuwendenden
gesetzlichen
Regelung zu erfolgen hat.
Nachdem
Richtlinien
allerdings
regelmäßig
/..
- 59 entweder wörtlich übersetzt und so zum Bestandteil
nationaler Gesetze werden oder aber sogar im
Zuge der Umsetzung einen genaueren Inhalt
erfahren, dient zur Ermittlung des genaueren
Inhalts einer Richtlinie weniger die Richtlinie selbst
als die Rechtsprechung des EuGH dazu,
Erkenntnisse darüber zu vermitteln, was als
"richtlinienkonform"
anzusehen
ist.
Eine
Rechtsprechung
des
EuGH,
welche
als
Auslegungsmöglichkeit
im
Zuge
der
Vergegenständlichung des Richtlinienwortlautes in
Betracht kommt, ist dann vorhanden, wenn
Entscheidungen dieses Gerichts (EuGH) auf
Vorlagefragen, wie die betreffende Textstelle der
Richtlinie auszulegen ist, vorhanden sind.
Vorlagen und somit die in ihnen enthaltenen Fragen
zur Auslegung der Richtlinie enthalten häufig
Auslegungsvorschläge.
Diese
Auslegungsvorschläge stammen von vorlegenden
Gerichten. Damit wird deutlich, dass die
richtlinienkonforme
Auslegung
zwei
Hauptanwendungsfälle kennt: zum einen geht es
um die Ermittlung des genauen Inhalts der
Richtlinie aufgrund vorhandener Vorgaben des
EuGH, zum anderen ermitteln die vorliegenden
Gerichte (in Deutschland vor allem der BGH) den
wahrscheinlichen
Richtlinieninhalt
vor
dem
Hintergrund der Absichten des europäischen
Gesetzgebers und des europäischen Rechts.
Was
nicht
die
Auslegungsmittel
bzw.
Auslegungsregeln, sondern die Auslegungsziele
anbelangt, so wird herkömmlicher Weise zwischen
der subjektiven und der objektiven Theorie
unterschieden. Nach der subjektiven Theorie sind
sämtliche Auslegungsmittel vor dem Hintergrund
der Vorstellung des historischen Gesetzgebers
anzuwenden, maßgebend ist demnach der Wille
des Gesetzgebers. Nach der objektiven Theorie
sind die Auslegungsmittel vor dem Hintergrund des
im
Zeitpunkt
der
Auslegung
gedachten
Gesetzgebers wirksam, maßgebend ist der Wille
des Gesetzes.
Gegen die Möglichkeit der Anwendung der
subjektiven Theorie bestehen nach meiner
Auffassung erhebliche methodische Bedenken.
Nachdem es – zumindest zunächst – keine
Vorstellungen von dem, was ursprüngliches
Wortverständnis,
seinerzeit
gültiger
Regelungszusammenhang, damalige Vorstellung
von tragbarer Gesetzesbegründung und damaliger
Vorstellung vom seinerzeit objektiv gültigen
Gesetzeszweck gibt, welche nicht zugleich durch
/..
- 60 das heutige Bewusstsein vermittelt sind, ist meines
Erachtens der Erkenntniswert der subjektiven
Theorie nicht allzu hoch, auch wenn das
staatsrechtliche Anliegen – keine Ersetzung des
Gesetzes durch eigene Vorstellungen und
Behauptungen – hoch zu preisen ist.
Gegen die Möglichkeit der objektiven Theorie
scheint zu sprechen, dass die Rede vom Willen des
Gesetzes keine sinnvolle Rede ergibt eingedenk
der Tatsache, dass das Gesetz kein Lebewesen,
noch dazu ausgestattet mit einem eigenen Willen,
ist. Sinnvoller wird die Rede vom Willen des
Gesetzes, wenn man eine Erkenntnissicht
einnimmt, welche vom Gesetzeswortlaut nach
heutigem
Verständnis,
vom
Regelungszusammenhang, wie er heute im
Hinblick auf die zu vergegenständlichende
Textstelle besteht, von dem heute festgestellten
des damals in der Gesetzesbegründung gemeinten
und viertens dem heutigen Zweck des Gesetzes
ausgeht, immer entfaltet vor dem Hintergrund eines
gedachten, heute abstimmenden Gesetzesgebers.
Die richtlinienkonforme Auslegung lässt sich
schließlich auch als Auslegungsziel verstehen, vor
dessen
Hintergrund
Wortsinn,
Regelungszusammenhang,
Vorstellung
des
Regelungsgebers und objektiver Sinn und Zweck
der Richtlinie zu entfalten sind.
Gegen die Methode der Rechtsgewinn mittels
Rückgriffs
auf
das
bekannte,
erweiterte
Methodenschema, werden zwei Haupteinwände
vorgetragen: Eine Beanstandung lautet, die
Rechtsfindung sei durch mehr als die das bekannte
und erweiterte Methodenschema ausmachenden
Umstände bedingt.
Zum anderen wird auch von Vertretern, die eine
Rechtsgewinnung in vornehmlich herkömmlicher
Weise bevorzugen kritisiert, es gebe keine
Metaregel, welche die feste Bestimmung eines
Rangverhältnisses
zwischen
den
Auslegungsmitteln ermöglicht.
Zum ersten Haupteinwand wiederhole ich gerne die
Ausführungen eines in Gießen lehrenden
Hochschullehrers, wonach die Geschichte der
neueren Methodenlehre eine Geschichte der
Angriffe gegen dieses Subsumtionsmodell der
Rechtsanwendung ist, wobei festzustellen ist, dass
sich trotz dieser Angriffe das Subsumtionsmodell im
Wesentlichen behauptet hat. Dieser Einsicht
widerspricht in keiner Weise die Erkenntnis, dass
/..
- 61 das Verstehen von Gesetzestexten nicht ohne
Vorverständnis geschieht oder besser, möglich ist.
Die
Annahme,
die
Anwendung
des
Methodenkanons
(Methodenschema)
erfolge
gleichsam von neutralem Boden aus, wird heute
ernsthaft niemand mehr behaupten. Es ist
zutreffend, dass sich der Leser mit dem
Gesetzestext und dem zu lösenden Fall in einer Art
des Hin- und Herwandern des Blicks beschäftigt,
was weniger zu einer Kreisbewegung als zu einer
spiralförmigen
Bewegung
führt,
was
den
Erkenntnisprozess in der Beschäftigung mit dem
Text anlangt. Zusätzlich lassen sich andere
Vorgänge betreffend das Wie der Konkretisierung
des Gesetzestextes beschreiben. All dies widerlegt
das erwähnte Methodenschema nicht, sondern
ergänzt es.
Dessen Beweglichkeit und Überlebensfähigkeit
folgt vor allem aus der Möglichkeit, das Gesetz
auch (und: oder gerade) nach dem heutigen Sinn
und Zweck auszulegen.
Hier scheint bereits der zweite Einwand, mithin der
des Fehlens einer verlässlichen Rangfolge
angesprochen: Die Anwendung der genannten
Auslegungsmittel dient nach Auffassung eines Teils
der Literatur dazu, den Willen des Gesetzgebers zu
verwirklichen,
nach
der
überwiegenden
Gegenmeinung geht es um die Verwirklichung
eines für heute gedachten Gesetzgebers. Wenn
allerdings die objektiv-teleologische Auslegung
regelmäßig an vierter Rangstelle genannt wird,
zugleich aber die Mehrheit der Autoren insoweit
sich für eine Bevorzugung der objektiven Theorie
ausspricht, liegt – wie zu Anfang dieses Absatzes
ausgesprochen – der zweite Einwand scheinbar auf
der Hand.
Die Lösung dieses Problems dürfte mit der
Überzeugungskraft des Methodenkanons als eines
Argumentationsmodells
zusammenhängen,
welches in besonderer Weise die Legitimation des
Rechtsstaates
widerspiegelt.
Vor
diesem
Hintergrund gilt: Es ist in keiner Weise
ausgeschlossen, sondern im Gegenteil eher nahe
liegend anzunehmen, dass die Auslegung vor dem
Hintergrund
des
Willens
des
historischen
Gesetzgebers im Lauf der Zeit nachrangig
gegenüber der Auslegung nach dem Willen des
Gesetzes wird, wobei diese Entwicklung vom
Gesetzgeber mitgetragen wird. Die Novellierung
des am 08.07.2004 in Kraft getretenen UWG ist
hierfür der beste Beweis: Der Gesetzgeber hat eine
vom UWG alter Fassung sich loslösende
/..
- 62 Rechtsprechung bestätigt und damit die Auslegung
nach dem Willen des Gesetzes mit dem Rang und
dem
Prädikat
einer
demokratischen
Mehrheitsentscheidung in Form des Gesetzes
ausgestattet. Ähnliches gilt für das Recht der
Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. hierzu
meine Ausführungen in WRP 1998, 280, 283 nebst
Fn 21).
Will heißen: Sind gute Gründe für eine
Durchbrechung des Rangsverhältnisses der als
Schema dargestellten Auslegungsregeln vorhanden
und wahren diese guten Gründe insbesondere den
Legitimationsanspruch des Gesetzes, können
anderweitige Rangverhältnisse maßgebend sein.
Hierfür lässt sich durchaus ein Theoriemodell
entwickeln, welches von Teilnehmern der jüngeren
Methodendiskussion eingelöst wird (vgl. hierzu
meine Ausführungen in WRP 1995, 452, 456 nebst
Fn 46 bis 48), auch ich habe einen – bislang nicht
veröffentlichten – Beitrag insoweit geleistet.
Neue Ansätze in der Methodendiskussion
widerlegen
das
herkömmliche,
ergänzte
Methodenschema nicht, sondern ergänzen es
durch Rückgriff auf andere Mittel. Vorverständnis,
Hin- und Herwandern des Blicks, Fallnorm,
Herstellung von nicht weiter begründungsfähigen
Voraussetzungen
zur
Ermöglichung
einer
Diskussion,
in
welcher
Wahrheit
durch
Meinungsaustausch in der Atmosphäre eines
herrschaftsfreien Dialogs hergestellt werden kann,
dies alles sind Stichwörter, welche insoweit wichtig
sind.
Und schließlich fordert das Gemeinschaftsrecht
dazu heraus, Begründungen zu finden, die das
Verlassen
des
Denkens
in
vertraglichen
Beziehungen bei der Geltendmachung vertraglicher
Ansprüche rechtfertigen, um ein Beispiel zu
nennen.
3. Zusammenfassung zu Ziff. 1 und 2
Bei der Gegenüberstellung von Musik- und
Gesetzesinterpretation ist zu trennen zwischen den
Gegenständen
der
Interpretation
und der
Interpretation selbst. Eine Interpretation der
Interpretation wird hier nicht geleistet. Dies
widerspricht dem transzendentalen Anliegen - zu
fragen ist nach den Bedingungen der Erkenntnis
innerhalb der Grenzen der Erfahrung -, welches
hier mitunter aufscheint, deshalb nicht, weil der
/..
- 63 hieraus
folgende
infinite
Regress
im
Zusammenhang mit meinem Thema weder auf gute
Gründe noch sonstige Gründe verweisen kann,
wann aufzuhören ist mit der Interpretation der
Interpretation (vgl. hierzu meine Ausführungen in
WRP 2001, 513, 521, Fn 70).
3.1 Musik und Gesetz als Gegenstände
3.1.1 Die Gegenstände als solche
Musik ist die Wiedergabe einer Tonschöpfung, das
Gesetz ist Ergebnis einer Sprachschöpfung.
3.1.2 Der Zweck von Musik und Gesetz
3.1.2.1 Der Zweck von Musik
Musik ist Kunst. Musik ist Kunst, vorausgesetzt, die
notwendige,
aber
nicht
hinreichende
Voraussetzung für Kunst ist erfüllt: Die als
Kunstschöpfer auftretende Person muss zu
allererst etwas können. Wie sagte ein in einer
süddeutschen Großstadt ehemals wohnender
Künstler, zumeist bezeichnet als Komiker: "Kunst
kommt immer noch von Können und nicht von
Wollen".
Anders als in der Dichtung oder gar in der Malerei,
wo jeder Wortposaunist behaupten kann, er sei
Künstler, ist Können oder Nichtkönnen in der Musik
beweisbar. Will heißen: Wer sein Präludium und
seine Fuge spielen kann, kann zumindest etwas.
Das Vorhandensein eines Gedichts oder eines
Gemäldes beweist demgegenüber noch kein
Können.
Kunst zählt philosophisch betrachtet zur Ästhetik.
Ästhetik ist die Lehre vom Schönen, dies sah – in
etwa – so auch der Jahrtausendphilosoph aus
Königsberg, nach dem er neun Jahre vor
Erscheinen der Kritik der Urteilskraft in der ersten
Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft den Begriff
"Ästhetik" noch zur Darlegung der einen reinen
Form der Anschauung benutzte.
Die Frage nach dem Schönen, nach dem
interesselosen Wohlgefallen dem, was ohne Begriff
gefällt, hat vom Ergebnis her betrachtet einen
Wandel erfahren, seit uns und in verstärktem Maße
durch Künstler gegenwärtig ist, dass der Mensch
/..
- 64 das menschliche Unheil in der Welt verantwortet.
Eine schöpferische Auseinandersetzung hiermit,
entfaltet auf dem Boden des Könnens, ist Kunst,
fällt mithin nicht aus dem Begriff des Schönen
heraus, zumal, wenn eine Harmonie mit dem
Menschen hergestellt ist. Dies gilt unabhängig
davon, dass ich mir persönlich wünsche, die gerade
in Auseinandersetzung mit dem Menschen als
möglichen Unheilbringer entstandene Kunst weist
ein versöhnliches Ende auf, heißt es doch: Lasset
euch versöhnen mit Gott.
Musik bezweckt die Entfaltung des Menschlichen,
verlautbart in der Endlichkeit und gerichtet gegen
diese, weil absurd ist, was uns begrenzt: Der Tod.
3.1.2.2 Der Zweck des Gesetzes
Das
Gesetz
bezweckt,
die
Anwendungsvoraussetzungen
der
in
ihm
enthaltenen Handlungsregel festzulegen. Das
Gesetz bezweckt weiter, menschliches Verhalten
insbesondere im Hinblick auf die tatsächlichen
Voraussetzungen des Alltags zweckentsprechend
zu gestalten. Das Gesetz bezweckt, die Freiheit
menschlichen Handelns zu sichern; wir binden uns
an das Gesetz, um frei zu sein, wie ein römischer
Dichter, Redner und Politiker sagte.
Das Gesetz bezweckt, der Wahrheit Geltung zu
verschaffen.
Und
das
Gesetz
bezweckt
Gerechtigkeit (vgl. hierzu meine Ausführungen in
WRP 1999, 792, 797 bis 799 [Ziff. 5.1 bis 5.3],
WRP 2001, 513, 521 Fn 69 und WRP 2003, 846,
882 Fn 193).
Das Gesetz hat kein ästhetisches Anliegen, es ist
nicht auf die Verwirklichung des Schönen in der
Breite menschlicher Existenz und gegen die
Absurdität des Todes gerichtet.
Was es nicht ausschließt, dass Recht – mitunter –
in schöner Sprache vorhanden ist, insbesondere
Sondervoten
von
Richtern
des
Bundesverfassungsgerichts sind hierfür Beleg (sie
werden
dann
Recht,
wenn
das
Bundesverfassungsgericht sich ihnen aus Anlass
eines späteren Falls und damit im Zuge einer
Änderung der Rechtsprechung anschließt).
Durch die Tatsache und die immer wieder
einzulösende Forderung, wonach das Recht auf die
Ethik als den Grund seiner Rechtmäßigkeit
verweist, teilt das Gesetz (obwohl nicht identisch
/..
- 65 mit dem Recht) den Moment der Überzeitlichkeit mit
der Musik.
3.1.3 Die gelungene Musik, das gelungene Gesetz
3.1.3.1 Die gelungene Musik
Zu versuchen, eine Antwort auf die Frage nach der
gelungenen Musik zu geben, scheint vermessen.
Denn jede Stellungnahme führt möglicherweise zu
Bewertungen, die im ungünstigsten Fall das Urteil
einer entarteten Kunst ergeben, was eine kaum zu
übertreffende Abirrung ist, welche nicht weit
entfernt von der Vernichtung unwerten Lebens liegt.
Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass
Musikästhetik zu unserer Frage wesentliche
Antworten beitragen kann. Zu einer derart
umfassenden Musikästhetik bin ich aber –
zumindest bislang – weder in der Lage, noch wäre
hier der geeignete Ort, jene zu entfalten.
Die Berechtigung der Frage nach der gelungenen
Musik
ergibt
sich
somit
nur
aus
der
Gegenüberstellung zum gelungenen Gesetz. So
lautet meine Antwort: Musik ist Kunst. Und Kunst
zeichnet sich für mich dadurch aus, dass sie im
Lauf der Zeit weiterhin als Kunst wahrgenommen
wird, insbesondere, weil sie als Werk vom –
möglicherweise charismatischen – Urheber der
Kunst unabhängig besteht. Hauptmerkmal für Kunst
ist also für mich ihr Bestehen im Lauf der Zeit. Dass
ich nicht zu jedem Komponisten denselben Zugang
besitze, ist eine persönliche Begrenztheit meines
Blicks, nicht jedoch ein Urteil, die Musik dieses oder
jenes Komponisten sei nicht gelungen.
Dass Künstler zu Lebzeiten um Anerkennung
rangen und ringen, was möglicherweise sogar eine
Mitursache für ihren Schöpferdrang war und ist,
bedeutet eine Begrenztheit des Blicks für Kunst,
der uns alle betrifft. Keiner der geneigten Leser wird
für sich sagen können, er hätte auf die Bitte von
Bach um mehr Chorsänger nach der Aufführung
der Matthäus-Passion 1727 nicht ebenso wie der
Rat der Stadt Leipzig mit dem Schlusssatz
geantwortet: "Der Kantor tuet nichts" und dies,
obwohl die ersten drei Kantatenjahrgänge (von
fünf), einige wenige weltliche Kantaten, die Motette
"Singet dem Herrn ein neues Lied" (von welcher
das mit Salzburg in Verbindung zu bringende
Musikgenie nach Besuch der Thomas-Kirche zu
Leipzig sagte: "Das ist ja endlich einmal etwas, von
/..
- 66 dem man noch lernen kann"), einige Messen, die
Johannes-Passion, ein Großteil des Orgelwerks,
ein
Teil
der
Konzertbearbeitungen,
das
Orgelbüchlein, einzelne Choralbearbeitungen, die
Inventionen und Sinfonien (Klavier), die englischen
Suiten, die französischen Suiten, zumindest ein Teil
der Sechs Partiten, das Wohltemperierte Klavier I.
Teil, die Toccaten, Neun Kleine Präludien (aus dem
Klavierbüchlein Wilhelm Friedemann-Bach), das
Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach, Werke
für Laute, sechs Sonaten für Violine und obligates
Cembalo, ein Teil der Violinkonzerte, die
Brandenburgischen Konzerte (als die bekanntesten
und schönsten concerti grossi), ein Teil der
Orchestersuiten, zumindest ein Teil der Kanons,
das Magnaifcat und manch’ anderes mehr
komponiert worden waren; keiner wird von sich
sagen können, er habe das Frühgenie des
schlechthin mit Salzburg in Verbindung gebrachten
Künstlers bereits zu dessen Lebzeiten in vollem
Umfang erkannt, keiner wird von sich sagen
können, er hätte zu Lebzeiten des deutschen
Operngenies dessen erstaunliche Bittbriefe vor
Entstehung seines Ruhmes nicht als peinlich
bewertet.
Will heißen: die Definition von Kunst als Kunst,
wonach sie im Lauf der Zeit weiterhin als Kunst
wahrgenommen wird, weist zwei Bedingtheiten auf.
Zum einen wird nicht alles, was heute als Kunst
bezeichnet wird, zugleich als Kunst Bestand haben.
Zum anderen wird es Kunst geben, von der wir
noch keine – oder schlimmer – nie eine Ahnung
haben. Diese Tatsache, die für Musiker,
Schriftsteller, Maler durchaus gelten kann, vermag
sich gleichfalls bei Philosophen oder sonstigen
Wissenschaftlern einzustellen.
Die gelungene Musik ist also eine solche, die als
solche auch später noch oder gar später und
anderenorts
als
Kunst
geschätzt
wird,
vorausgesetzt, sie ist bereits entdeckt. Bleibt die
Frage, ob es ausgeschlossen ist, dass Musik als
Kunst existiert, obschon diese Kunst in
Vergessenheit geraten ist. Wir müssen uns diese
Möglichkeit offen halten, zu begrenzt ist unser
Blick, auch wenn diese Möglichkeit der Annahme
unserer Definition widerspricht. Als Ausnahmefall
widerlegt sie aber nicht den Grundsatz, dass Kunst
zumindest dann Kunst ist, wenn sie im Lauf der Zeit
als Kunst wahrgenommen wird.
Eine persönliche Bewertung gestatte ich mir zum
Schluss dieses Gliederungspunktes: Musik ist für
mich gelungen, wenn Gesetzmäßigkeit und
/..
- 67 Folgerichtigkeit, ausgehend von einem Thema,
streng eingehalten werden und dabei zugleich ein
Füllhorn von neuem und damit stets neuer
Wahrnehmung über uns ausgebreitet wird.
Verwirklicht hat dies Bach in seinen Fugen. Fugen
sind bekanntlich Musikform und Kompositionsart
zugleich. Ihm gelang es sogar, auf Fugen hin zu
improvisieren.
3.1.3.2 Das gelungene Gesetz
Das gelungene Gesetz hängt zunächst mit
gelungener Sprache zusammen. Das gelungene
Gesetz ist verständlich, weil es verstehbare Begriffe
verwendet; weil sein Aufbau eine nachvollziehbare
Logik besitzt; weil es eine Sprachrhythmik enthält,
die das Lesen, das Verstehen und das
Behaltenkönnen des Gesetzestextes erleichtert;
weil im Falle eines hohen Abstraktionsgehaltes die
allgemeinen
Aussagen
durch
Regelbeispiel
erläutert sind. Das gelungene Gesetz hängt mit
seinem Inhalt zusammen. Das gelungene Gesetz
ermöglicht
es,
ein
bestimmtes,
allgemein
eingrenzbares Verhalten zusammenhängend und
im Wesentlichen einheitlich zu regeln; das
Verhalten zutreffend zu regeln, was auf die meisten
Gesetze schon deshalb zutrifft, weil wir Gesetze
kraft deren inhaltlicher Richtigkeit, nicht aber aus
Angst vor möglicher Strafe befolgen (wäre letzteres
der Fall, würde kein Gesetz befolgt, weil die
Verfolgung
von
Verstößen
an
der
Gesetzesübertretung aller scheitert, vgl. meine
Ausführungen in WRP 1999, 792, 799 Fn 62).
Das gelungene Gesetz hängt mit seinen Zielen
zusammen. Das gelungene Gesetz zielt darauf ab,
Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit zu vermitteln.
Das gelungene Gesetz hängt mit seiner Ästhetik
zusammen: seiner Form und seinem Inhalt nach
führt es als Regelung menschlichen Verhaltens zu
einer Lösung, die in allen Belangen stimmig ist und
daher gefällt.
Auch
die
Überzeugungskraft
von
naturwissenschaftlichen Theorien wird dadurch
befördert, dass derartige Theorien gefallen. Es wird
sogar von nicht wenig prominenter Seite vertreten,
dass – auch – eine solche Theorie schön sein
muss.
Eine persönliche Bewertung gestatte ich mir zum
Schluss dieses Gliederungspunktes: Ein Gesetz ist
für
mich
gelungen,
wenn
seine
stark
/..
- 68 verallgemeinernde
Aussage
betreffend
die
Bewertung
eines
bestimmten
menschlichen
Verhaltens war, freiheitsverbürgend und gerecht ist
und dabei der Wortlaut es zulässt, eine Fülle von
Handlungen, vom Gesetzgeber vorgesehen und
von ihm nicht vorgesehen, mit diesem Wortlaut in
Verbindung zu bringen, ohne dass eingewandt
werden könnte, es liege ein systematischer Bruch
insoweit vor und, es entsteht hierbei ein
unangenehmer Beigeschmack.
3.1.4
Die Wahrnehmungserfahrung
Musik und Gesetz
betreffend
3.1.4.1 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend
Musik
Der Musizierende nimmt Musik mit seinem Ohr,
beim Instrumentenspiel mit seinem Tastsinn, beim
Singen durch die gesamte Körperwachheit wahr.
Das Auge ist nur in geringem Umfang ein die Musik
wahrnehmendes Sinnesorgan, auch wenn die
Unterschiede für jeden augenfällig sind, legt man
beispielsweise eine Partitur von Bach neben eine
solche des Heroens der klassischen Musik. Der
Musizierende
verstärkt
diese
Wahrnehmungsmöglichkeit beim Musizieren in der
Gemeinschaft, am stärksten beim Singen im Chor.
Der Zuhörende nimmt Musik – dies klingt etwas
schlicht zunächst – mit seinem Ohr wahr. Nimmt er
an einer Aufführung oder an einer Probe teil, wird
seine Wahrnehmung durch die Augen unterstützt:
Musik geht immer auch in die Beine, sie ist
Bewegung, welche am Vollkommensten nicht durch
ein Ballett, sondern durch den begabten und
könnenden Dirigenten vorgegeben wird, auch hier
dient der langjährige Leiter eines in Franken
gelegenen Knabenchores als positives Beispiel.
Musik ist Bewegung, dies kann man jedem
musizierenden Künstler anmerken, wobei mich die
Musik ausdrückenden Instrumentalisten nicht, die
Chorsänger sehr wohl stören (weil letztere häufig
von sich selbst bewegt sind, eine Wahrnehmung,
welche allerdings keine intersubjektive Gültigkeit
beansprucht).
Hat der Zuhörer nicht die Möglichkeit, an einer
Aufführung teilzunehmen, bleibt allein das Ohr,
sieht man von der hier nicht erörterten
Ausnahmemöglichkeit einer Video-Aufnahme ab.
/..
- 69 3.1.4.2 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend
das Gesetz
Die einen Gesetzestext lesende Person bleibt bei
ihrer Sinneswahrnehmung auf das Auge begrenzt.
Die Entfaltung des Menschlichen, geweckt durch
eine Vielzahl von Sinnen, ist nicht der Inhalt des
Vorgangs
bei
der
Wahrnehmung
eines
Rechtssatzes; aber letztlich doch auch Zweck.
Ohne
Erfahrung,
zumindest
ohne
Vorstellungsvermögen eines einzigen möglichen
Falles, ist die allgemeine Regel als Inhalt eines
Gesetzes nicht vorstellbar. Die Erkenntnis, welches
menschliche Verhalten wie erfasst und bewertet
wird, folgt nicht aus dem Gesetzestext, dies gilt
zumindest für eine stark von Einzelumständen
losgelöste Regel ohne Regelbeispiele. Wie sagte
der
Jahrtausendphilosoph
aus
Königsberg:
"Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen
ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so
notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.i.
ihnen den Gegenstand in der Anschauung
beizufügen), als, seine Anschauungen sich
verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu
bringen). Beide Vermögen, oder Fähigkeiten,
können auch ihre Funktionen nicht vertauschen.
Der Verstand vermag nichts anzuschauen, und die
Sinne nichts zu denken. Nur daraus, dass sie sich
vereinigen, kann Erkenntnis entspringen."
Dieser Philosoph ist im Übrigen – auch und gerade
durch dieses Zitat – Vorzeigebeispiel dafür, dass
auch Wissenschaft sich in schöner Sprache
entfalten kann, also Ästhetik möglicherweise
besitzt.
3.1.5 Der Inhalt von Musik und Gesetzen außerhalb
des Kreises derer, die musizieren bzw. das
Gesetz anwenden
3.1.5.1 Der Inhalt von Musik außerhalb des Kreises
der Musizierenden
Wird Musik aufgeführt, also unter Beteiligung eines
Publikums im Zuge einer Generalprobe oder eines
Konzertes vorgetragen, ist diese Musik eine andere
als ohne Beteiligung des Publikums.
Das Publikum verändert nicht nur die Akustik,
sondern auch die Spannung, letztere vor allem im
Sinne eine Verstärkung (auch wenn Huster und
Nieser, die nicht unterdrücken, sondern frisch,
fröhlich und frei in Generalpausen oder ungebremst
/..
- 70 in der ersten Sekunde nach dem Verklingen des
Schlusstones eines Satzes oder eines Werkes sich
entsprechend verwirklichen, nichts, aber auch gar
nichts in einem Konzertsaal verloren haben).
Wird Musik für einen Tonträger eingespielt, kann in
besonderer Weise der Anspruch auf Fehlerlosigkeit
verwirklicht werden, derart makellose Aufnahmen
haben mitunter aber auch den Makel, nur noch
perfekt zu sein, will heißen, die Ausdruckskraft der
musikalischen
Gedanken
und
seiner
Spannungsbögen nicht wiederzuspiegeln. Dies
muss allerdings nicht sein.
3.1.5.2 Der Inhalt eines Gesetzes außerhalb des
Kreises derer, die das Gesetz anwenden
Ob die Gesetzesanwendung eine andere ist, wenn
die vom Gesetz im konkreten Fall betroffenen
Personen im Gerichtssaal anwesend sind oder
nicht, ist nicht einheitlich zu beantworten. Er stellt
einen Vorteil des Rechts dar, dass dieses es
ermöglicht, von vielen Bedingungen tatsächlicher
Art wie etwa der seelischen Verfassung der
Parteien anlässlich eines Vertragsschlusses oder
anlässlich der Vertragsdurchführung losgelöst zu
werten. Derartige tatsächliche Bedingungen spielen
aber in manchen Bereichen wie dem Umgangsoder Sorgerecht bei Kindern bzw. bei Straftätern
durchaus eine gewisse Rolle. Was den Einfluss
tatsächlicher,
von
außen
einwirkender
Bedingungen des Weiteren anbelangt, so kommt in
allen rechtlichen Bereichen hinzu, dass in der
Revisionsinstanz diese tatsächlichen Bedingungen
ohne Belang bleiben.
Dieser Gesichtspunkt – die Befassung in der
Revisionsinstanz allein mit der Rechtsfrage – kann
aber
mitunter
dazu
führen,
dass
das
Bundesverfassungsgericht in besonders gelagerten
Fällen die Berücksichtigung der tatsächlichen Lage
einfordert, als Beispiel sei die Berichtigung der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch das
Bundesverfassungsgericht zu dem Stichwort der
gestörten Vertragsparität genannt.
3.1.6 Der Inhalt von Musik und von Gesetzen
außerhalb der Handlungen der Musiker bzw.
der Gesetzesanwender
3.1.6.1 Der Inhalt von Musik aufgrund Handlungen
der Musiker
/..
- 71 -
Blendet man das Vermögen derer aus, die Musik
aufgrund des Lesens einer Partitur zu hören
vermögen, gibt es Musik ohne die Handlung der
Musiker nicht.
3.1.6.2 Der Inhalt von Gesetzen aufgrund der
Handlungen der Gesetzesanwender
Das
Gesetz
ist
auch
ohne
die
vergegenständlichenden Handlungen derer, die an
der Gesetzesanwendung beteiligt sind, in der Welt.
Ob allerdings für den restlichen Personenkreis ein
vernünftiger Gegenstand von dem, was Gesetz
heißt, in der Welt ist, blendet man zusätzlich die
Veröffentlichungen
derer
aus,
die
zur
Konkretisierung des Rechts beigetragen haben, ist
fraglich. Denn ohne Vergegenständlichung durch
die Gesetzesbegründung, die Rechtsprechung und
die juristische Literatur dürfte der Inhalt eines
Gesetzes für Nichtjuristen schwer vorstellbar sein.
3.1.7 Die Musik und das Gesetz
3.1.7.1 Die Musik
Ton, Rhythmus und Harmonie machen die Musik.
Die Harmonie muss in den Tönen, im Rhythmus
und zwischen Ton und Rhythmus stimmen.
In solcher Art Musik kommt es zur Verwirklichung
des Menschlichen als dem, was den Menschen als
Menschen ausmacht. Das Menschliche soll hier –
auch – das sein, worin sich der Mensch als Mensch
im Horizont seiner Endlichkeit und vor der
Absurdität seines Todes und seinem Verlangen,
über den Tod hinaus zu wirken, erblicken kann. In
solcher Art Musik hat sich der Schöpfer der Musik
als die mit Abstand hauptmaßgebliche Person –
dies sollte Erkenntnisgegenstand jeder Musikkritik,
aber auch jedes Selbstverständnisses eines
ausübenden, also nicht komponierenden Musikers
sein – uns offenbart, wobei der kluge Komponist
erkennt, dass er nicht allein schuf, sondern zugleich
in mehr oder minder starker Weise Gott durch ihn
zu uns sprach.
3.1.7.2 Das Gesetz
Das Gesetz besteht aus Sätzen, die unser
/..
- 72 Verhalten dadurch regeln, dass die Bedürfnisse
nach einer Regelung einsehbar und die
Rechtsfolgen, also die möglichen Vor- und
Nachteile bei Einhaltung oder Missachtung der
Regel wahr, freiheitsverwirklichend und gerecht
sind. Von der sozialen Regel unterscheidet sich das
Gesetz dadurch, dass die möglichen Vor- und
Nachteile zwangsweise durchsetzbar sind. Der
Unterschied zur moralischen Regel liegt darin, dass
die Rechtfertigung des Gesetzes zunächst allein in
der Beachtung der formellen Voraussetzungen des
Gesetzgebungsverfahrens,
nicht
aber
in
ausschließlich auf der Vernunft fußenden
Geltungsgründen liegt. Dies muss als der
entscheidende, den Mittelpunkt des modernen
Rechtsstaats
bildende
Vorteil
erkannt,
herausgestellt und immer wieder betont werden.
Dieser Rechtsstaat verbürgt uns nichts anderes als
die Freiheit unter Ablehnung einer Vorstellung des
Gottesstaates
auf
Erden
mit
seiner
Gewaltverherrlichung
des
Mächtigeren
qua
besserer Einsicht.
Werden diese formalen Bedingungen eingehalten,
sind ferner Grundrechte garantiert und ausübbar,
steht man vor dem, was als Rätsel oder Geheimnis
bezeichnet werden muss: Der formale Rechtsstaat
ist in der Lage, Inhalt zu garantieren, die ein
Zusammenleben aller nicht nur ermöglichen,
sondern in guten Bedingungen bietet.
Nimmt
man
diese
Tatsachen
(formelle
Bedingungen
des
Rechtsstaats
einerseits;
Verständigung auf sinnvolle Inhalte auf der
Grundlage
dieser
formellen
Bedingungen
andererseits), steht man vor der Grundfrage des
modernen Rechtsstaates nämlich: Wie ist
Legitimität durch Legalität möglich.
Das Gesetz stammt nicht selten von Beamten des
im
Gesetzgebungsverfahrens
zuständigen
Ministeriums, weniger häufig von Mitgliedern des
Parlaments, mitunter auch von Professoren oder
Richtern,
jeweils
unter
Einbeziehung
der
Vorstellungen aller Beteiligten.
Ein Gesetz ist gelungen, wenn es Harmonie
verwirklicht. Harmonie zwischen den Menschen
und auf Dauer gelingt nur, wenn der Mensch sich
seiner Endlichkeit bewusst ist und in seiner
Verantwortlichkeit vor Gott handelt.
3.2 Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation
/..
- 73 -
Nachfolgend werden zunächst die vorhandenen
Begrifflichkeiten, wie sie die Frage der Methode im
Bereich der Musik und des Rechts kennzeichnen,
erwähnt und einander gegenübergestellt.
Sodann gehe ich kurz auf den Gegenstand des
Wies in der Musik und im Bereich des Rechts ein.
Als nächstes werden Schwerpunkte der Befassung
mit Methode in der Musik und im Recht erwähnt,
eine Rede von Methode ist des weiteren sinnvoll
nur dann, wenn zugleich die zur Verwirklichung der
Methode eingesetzten Mittel dargestellt sind,
wichtig ist die gedankliche Rechtfertigung des
gewählten Methodenansatzes auch und gerade in
der steten, hier den Gegenstand der Erörterungen
bildenden Gegenüberstellung von Musik und Recht,
abgeschlossen werden meine Ausführungen durch
die Frage nach dem Zweck von Musik und Recht.
3.2.1 Die Begriffe, wie sie in Fragen der Methode in
der Musik und im Recht eine Rolle spielen
In der Musik werden die unterschiedlichen
Auffassungen zur Werkaufführungspraxis unter den
Stichwörtern "historisch" oder "historisierend"
einerseits und "romantisch" oder "romantisierend"
andererseits erörtert.
Im Bereich des Rechts gibt es kein entsprechendes
Begriffspaar. Das bekannte Auslegungsschema,
wohl herrührend von der Auslegung der Bibel, wird
in der Regel nicht besonders gekennzeichnet. Der
Gegensatz zwischen der subjektiven und der
objektiven Theorie, welcher hohe Ähnlichkeiten mit
dem Gegensatz zwischen historischer und so
genannter romantischer Werkauffassung aufweist,
findet gleichfalls in gerichtlichen Entscheidungen so
gut wie keine Erwähnung. Darüber hinaus kenne
ich keine Entscheidung, die zur Kenntlichmachung
der eigenen Haltung auf einen neueren Ansatz in
der Methodendiskussion verwiesen hätte. Die
richtlinienkonforme Auslegung hingegen wird
entsprechend
der
gemeinschaftsrechtlich
bestehenden
und
verfassungsrechtlich
sanktionierten Pflicht, diese Auslegung zu
beachten, von den Gerichten erwähnt, große
Unterscheidungen hinsichtlich dieses Instruments
als Auslegungsregel oder Auslegungsziel werden
aber nicht getroffen.
Das im Bereich der Musik benutzte Begriffspaar
historisch-romantisch sagt nichts über den Inhalt
der Interpretationsweise aus, mehr noch, es
/..
- 74 verfehlt
den
Inhalt
der
verschiedenen
Werkauffassungen zur Gänze auch, in dem auf
diese Weise zugleich Abwertungen transportiert
werden.
Historische Aufführungspraxis
bedeutet,
ein
Musikwerk
klanglich
entsprechend
den
Vorstellungen seines Komponisten wiederzugeben.
Jede andere Musikwiedergabe verhält sich zum
historisierend musizierten Werk wie die Fälschung
zum Original.
Romantisierende Aufführungspraxis bedeutet, ein
Werk entsprechend seiner Aussage vor dem
Hintergrund des Heute und Hier wiederzugeben.
Die Entstehungsgeschichte des Werks und damit
alle Aussagen seines Komponisten sind von
Bedeutung. Nachdem allerdings zumindest der
größte Musiker selbst keine Beschränkung seiner
Werke
auf
den
entstehungsgeschichtlichen
Zusammenhang beabsichtigte bzw. verlautbarte, ist
die
Berufung
auf
die
einem
Kunstwerk
innewohnende eigene Dynamik bereits durch
Rückgriff auf den Werkschöpfer berechtigt.
Das bekannte Auslegungsschema betreffend die
Vergegenständlichung von Texten ("Was ist das?")
beinhaltet die Frage nach dem Wortsinn
(grammatische
Auslegung),
nach
dem
Zusammenhang der betreffenden Textstelle mit
diesem Text im Übrigen (inneres System) bzw. mit
sonstigen mit diesem Text zusammenhängenden
Texten (äußeres System), nach den vom
Textverfasser beabsichtigten Zielen oder Zwecken
(historische Auslegung) und dem Textsinn, wie ihn
der heute gedachte Gesetzgeber voraussetzen
würde.
Dieses bekannte Auslegungsschema wird ergänzt
durch Vorgehensweisen, die auf Texte außerhalb
des Textes bezogen sind, hervorzuheben ist die
vergleichende Auslegung (Frage nach dem
Auslegungsergebnis innerhalb einer anderen
Rechtsordnung),
die
verfassungskonforme
Auslegung (das geführte Ergebnis soll gleichsam
mit einem Blick über die eigene Schulter anhand
der Wertungen der Grundrechte überprüft werden)
und der richtlinienkonformen Auslegung (welches
Textverständnis
hätte
der
europäische
Gesetzgeber entfaltet).
Die Auslegungsziele eröffnen die Frage, ob die
genannten Auslegungsregeln vor dem Hintergrund
des gesetzgeberischen Willens (subjektive Theorie)
oder dem Hintergrund des Willens des Gesetzes zu
/..
- 75 entfalten
sind.
Insbesondere
bei
der
richtlinienkonformen Auslegung wird die von
einigen Autoren der Methodenlehre zu sämtlichen
Auslegungsregeln diskutierte Frage praktisch
bedeutsam, ob hier nicht zugleich ein – weiteres –
Auslegungsziel eröffnet wird.
3.2.2 Der Gegenstand des Wies bei der Findung
des zutreffenden Gesetzesverständnisses
Die Entfaltung von Musik bei Beherrschung der
Noten ist ohne gleichzeitige Musikinterpretation
kaum vorstellbar.
Demgegenüber
könnte
die
ausdrückliche
Beachtung (oder besser Nichtbeachtung) der
juristischen Methode im engeren Sinn durch den
praktisch tätigen Juristen zu dem Satz verleiten:
das Recht hat es mit dem Ergebnis, die Musik mit
der Art und Weise der Darstellung zu tun.
Fasst man allerdings unter den Begriff "Juristische
Methode" auch die Beherrschung des täglich
eingesetzten
Handwerkszeugs,
nämlich
die
Sachverhaltserfassung unter dem für die rechtliche
Bewertung bedeutsamen Gesichtspunkt, das
Erfassen der zutreffenden Normen im Stufenbau
der
Rechtsordnung,
die
Verbindung
des
Gesetzestextes
mit
den
einschlägigen
vergegenständlichenden Aussagen insbesondere
der Rechtsprechung nebst Darstellung der
zutreffenden Rechtsfolgeseite, wird – für den
Juristen, nicht aber für den Adressaten des Rechts
– die große Bedeutung auch der juristischen
Methode deutlich.
Es bleibt also dabei: betrachtet man den
Adressatenkreis von Musik und Recht, ist das Wie
von sehr unterschiedlicher Bedeutung.
3.2.3 Schwerpunkt des Belangs von Methode
Methode ist im Bereich der Musik und des Rechts
sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht
von Belang.
3.2.3.1 Schwerpunkte des Belangs von Methode in
praktischer Hinsicht
Die
Vorstellung
einer
authentischen
Werkinterpretation wird von den Vertretern dieser
Auffassung notwendig mit dem Musizieren auf
/..
- 76 Instrumenten
aus
der
Werkentstehungszeit
verknüpft. Zwar greifen auch Interpreten, die nach
der
so
genannten
romantisierenden
Werkauffassung musizieren, gerne auf solcherart
historische Instrumente zurück, dies betrifft
allerdings
beinahe
ausschließlich
die
Streichinstrumente. Die Tonerzeugung auf den
Streichinstrumenten
könnte
allerdings
nicht
verschiedener sein, dies betrifft beispielsweise das
Halten des Bogens, das Vermeiden oder Erzeugen
von Vibratos und des Anspielens eines Tones im
Gegensatz zu einer gleichmäßigen Lautstärke und
Intensität
bei
der
Tonerzeugung
bzw.
Tonentfaltung.
Bei den Singstimmen wird aus dem Fehlen
ausreichend vorhandener Sänger etwa zu Werken
von Bach zu Zeiten von Bach eine Tugend gemacht
hinsichtlich Stimmenanzahl der Mitwirkenden von
Ensembles; darüber hinaus werden Begründungen,
das Publikum fühle sich durch eine Altstimme
möglicherweise sexuell zu sehr angesprochen,
nicht als unbeachtliche Rechtfertigung für die
Besetzung durch einen Knaben–Alt in heutiger
moderner Zeit abgelehnt.
Die Vertreter der so genannten romantischen
Werkinterpretation
greifen
auf
diejenigen
Instrumente zurück, die am schönsten klingen. Sind
dies bei Streichern die Instrumente längst
verstorbener
Geigenbauer
oder
Zupfinstrumentenmacher (für den Erwerb solcher
Instrumente verschulden sich die Musiker mitunter,
ausnahmsweise übernimmt auch einmal eine Bank
die Anschaffung eines solchen Instrumentes), wird
gleichwohl nicht auf den Kinnhalter bei der Geige
oder dem Teleskopstab beim Cello verzichtet.
Vibratos sind nicht verboten, Töne werden
gleichmäßig wie der Sprachton beim Sprechen
erzeugt, Singstimmen werden zur Verwirklichung
heutiger Klangvorstellungen besetzt.
Was den Bereich des Rechts anbelangt, so scheint
die Methode dort nicht auf praktische Belange
verweisen zu müssen, da es – scheinbar – allein
um den Entscheidungstenor geht. Ist allerdings die
gerechte Entscheidung im Ergebnis falsch und
zusätzlich methodisch falsch begründet, werden
auch Personen, die mit Fragen der Methode wenig
am Hut haben, zu echten Sportskanonen und
diskutieren auf diesem Feld eifrig und aufrichtig
empört mit. Ein weiterer – auch – praktischer
Belang für Neugier an Methode ist die Wichtigkeit,
mitunter gar die Notwendigkeit, Entscheidungen in
ihrer Begründung nachvollziehen zu können.
/..
- 77 -
Und drittens ist Methode – auch – praktisch wichtig,
um zu einer gerechten Entscheidung zu gelangen,
möglicherweise gelangen zu können.
3.2.3.2 Schwerpunkte des Belangs von Methode in
theoretischer Hinsicht
Was den Bereich der Musik und dort die
historisierende Werkauffassung anbelangt, so ist
das Musizieren dort ohne Befassung mit
theoretischen Fragestellungen kaum vorstellbar.
Nachdem
nicht
maßgebend
der
heutige
Erkenntnishorizont des Interpreten, sondern das
Erkennen des Horizontes aus der Zeit der
Werkentstehung ist, der Werkentstehungshorizont
aus dem Notenbild selbst nicht abzuleiten ist, liegt
die Notwendigkeit der Befassung mit den
Entstehungsvoraussetzungen und damit der
Geschichte des betreffenden Musikwerkes auf der
Hand. Folgerichtig bedarf es zusätzlich der
musiktheoretischen Rechtfertigung, weshalb die
gefundenen oder vermuteten geschichtlichen
Voraussetzungen des Werks nunmehr so und nicht
anders zu der praktizierten Werkauffassung führen.
Die
romantisierende
Werkauffassung
demgegenüber
bedarf
keiner
reflektierten
Musikästhetik, sie kann auf eine solche verweisen,
notwendig ist dies jedoch nicht. Es gibt Dirigenten,
zugeordnet der romantisierenden Werkauffassung,
die vor Einstudierung und Aufführung eines
Musikwerks sämtliche musikhistorischen oder
sonstigen musiktheoretischen Veröffentlichungen
studieren. Und es gibt Dirigenten, die sich hierfür
nicht interessieren und dennoch hervorragende
Aufführungen verwirklichen. Derartige Dirigenten
setzen allerdings dann ihre eigene Leistung herab,
wenn aus einer Mischung von Überlegenheit und
gefühlter Unterlegenheit keine Kommunikation mit
anderen Musikern gepflegt, mehr noch solchen
Kommunikationsmöglichkeiten aus dem Weg
gegangen wird, evtl. garniert mit der Behauptung,
diese anderen Musiker könnten musikalisch nichts.
Allerdings: Dass auch diese Musici eine
Bereicherung für einen selbst sein können, ist leider
eine ebenso ferne Erkenntnis wie diejenige, dass
niemand alles kann, man selbst eingeschlossen. Im
Übrigen: wer in seiner Musikauffassung durch sein
geniales musikalisches Empfinden geprägt ist,
gerät leichter in die Gefahr, nicht nur positive
sondern auch negative Auseinandersetzungen
gleichfalls gefühlsmäßig beherrschen zu wollen,
/..
- 78 was regelmäßig der Konfliktlage nicht gut tut.
Was den Bereich des Rechts anbelangt, so
ermöglicht es das methodische Bewusstsein,
schneller zu erkennen, vor welchem gedanklichen
Hintergrund die Erkenntnisfindung stattfindet. Auf
diese Weise ist es möglich, die Bestätigung oder
Widerlegung der richterlichen Entscheidung nicht
nur im Hinblick auf das Ergebnis, sondern auch
hinsichtlich des Wies dieser Entscheidung
vorzunehmen. Auswirkungen dürfte dies vor allem
in der über den zu entscheidenden Fall
hinausgehenden zeitlichen Ausdehnung haben: wer
einmal so, das andere mal so vorgeht, widerspricht
sich. Und wer sich widerspricht, kann nicht
erwarten, dass niemand widerspricht. Widerspruch
im Rechtsstaat im Hinblick auf die grundlegende
Forderung der Bindung an das Gesetz widerlegt
den Rechtsstaat auf Dauer allerdings selbst.
Darüber hinaus ermöglicht die Abwesenheit von
Methode
das
Erkennen
ungerechtfertigter
Verantwortungszuweisungen, erinnert sei an die
Begründung des EuGH anlässlich der Änderung
seiner Rechtsprechung zu Art. 30 EGV (= Art. 28
EG), die Entscheidung trägt das Stichwort "Keck",
vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1999, 457,
478, a.E.; s.o. Ziffer 2.2.3.3.
3.2.4
Mittel zur Verwirklichung
Vorstellungen
methodischer
Im Bereich der Musik spielt der zu den
Instrumenten entwickelte technische Fortschritt für
die Vertreter der historisierenden Aufführungspraxis
keine Rolle. So genannte authentische Musik
verwirklicht sich demnach ohne Kinnhalter bei
Violine und beispielsweise ohne Teleskopstange
bei den Celli, bei Klavieren an Werkstücken aus der
Frühgeschichte dieses Instruments, bei Orgeln
allein an mechanisch betriebenen Orgeln (dass der
Blasebalg allerdings durch Fußtreten zu füllen ist,
habe ich noch nicht als für authentische
Tonerzeugung erforderlich wahrgenommen), bei
Musikstimmen an der vorgesehenen Besetzung,
was für Sopran und Alt häufig heißt, dass auch bei
solistischer Besetzung Knabenstimmen singen
dürfen. Die Tonerzeugung findet eher in einem
Anmusizieren statt, ich habe hierauf nochmals in
der Zusammenfassung oben zu Ziff. 3.2.3.1
hingewiesen.
Die so genannte romantisierende Werkauffassung
fragt nach der Tonentfaltung vor dem Hintergrund
/..
- 79 heutigen
Klangverständnisses
und
Klangempfindens. Technischer Fortschritt wird so
genutzt, wie ihn der Komponist selbst gewollt
haben könnte. Die Tonentfaltung ist rund, also nicht
durch einen stärkeren Ausdruck zu Beginn und
einem Nachlassen der Tonstärke im weiteren
Zeitverlauf geprägt, die Stimmführung beim Gesang
ist eher einem runden Sprechen angelehnt.
Im Bereich des Rechts werden methodische
Anliegen oder Vorstellungen durch Rückgriff auf die
Gesetzesbegründung (so genannte Motive) oder –
weniger offensichtlich – durch Bezugnahme auf
solche Bestandteile der juristischen Dogmatik
verwirklicht, die dazu eignen, den eigenen
bewussten oder unbewussten methodischen
Vorstellungen Geltung zu verschaffen.
Nach überwiegender Auffassung nimmt allerdings
die Bedeutung der gesetzgeberischen Begründung
im
Rahmen
der
Konkretisierung
von
Gesetzestexten im Lauf der Zeit ab. Unbewusst
werden
methodische
Erwägungen
durch
Bezugnahme auf bestimmte von der Dogmatik
entwickelte Begründungsweisen entfaltet, wenn
beispielsweise
die
eigene
Entscheidungsbegründung von einer gegenläufigen
Entscheidungsbegründung mit dem freundlichen
Hinweis abgegrenzt wird, diese andere Sichtweise
sei
mit
grundlegenden
vertragsrechtlichen
Beziehungen
nicht
vereinbar,
wobei
bedauerlicherweise für derartige Misstöne auch
Zivilsenate des BGH untereinander verantwortlich
zeichnen. Durch spezielle Freundlichkeit insoweit
fiel in jüngster Zeit der XI. Zivilsenat auf. Er äußerte
sich gegenüber dem II. Zivilsenat in mehreren
Entscheidungen wie folgt: "Die Auslegung des II.
Zivilsenats von § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrkrG erscheint
sehr zweifelhaft ….Das weitere Argument des II.
Zivilsenats ……., der Ausnahme des § 3 Abs. 2 Nr.
2 VerbrkrG rechtfertige sich aus dem Umstand…..,
ist schon im Ansatz unzutreffend…..Auch die
zweite Erwägung des II. Zivilsenats…… entbehrt
einer gesetzlichen Verankerung", s.o. Ziffer
2.2.3.1.1.7.
Offen werden methodische Erwägungen durch
Bezugnahme auf die Rechtsdogmatik eingesetzt,
wenn ausgeführt wird, diese oder jene Begründung
sei
beispielsweise
auch
vom
Gesetzeszusammenhang her geboten.
3.2.5 Gedankliche Rechtfertigung des gewählten
methodischen Ansatzes
/..
- 80 -
3.2.5.1
Die Rechtfertigung der verschiedenen
Ansätze, ein Musikwerk zu interpretieren
Die historisierende Werkauffassung verfolgt das
Ziel, Musik "authentisch" wiederzugeben. Dem liegt
die
Vorstellung
zugrunde,
dass
Aufführungsmöglichkeiten,
die
nicht
vom
Komponisten als Urheber qua Verankerung in dem
betreffenden Musikwerk herrühren, dort ihren
Ursprung nicht haben können. Dies hat die weitere
Folge, dass andere Aufführungsweisen keine
Berechtigung besitzen, weil sie gegebenenfalls vom
Interpreten,
nicht
aber
vom
Komponisten
herstammen.
Nach der romantisierenden Werkauffassung ist es
Kennzeichen des Kunstwerks, derart viele Vorstellungs- und Sichtmöglichkeiten zu wecken, dass
nach Fertigstellung des Kunstwerks selbst dessen
Schöpfer eines Besseren belehrt werden kann.
Die Rechtfertigung der Interpretation eines
Kunstwerks vor dem Hintergrund eines im Zeitpunkt
der Aufführung gedachten Komponisten leitet sich
aus der Tatsache ab, dass der Komponist selbst
häufig
genug
Veränderungen
dieser
Art
aufgeschlossen gegenüberstand.
Als kritische Einwände kommen gegenüber der historisierenden Werkauffassung hinzu, dass es keine
Vorstellung von dem gibt, was seinerzeit
Aufführungspraxis war, welche nicht zugleich durch
das heutige Bewusstsein repräsentiert ist. Neben
diesem methodischen Einwand gegenüber der
historischen Aufführungspraxis als Methode kommt
als praktischer Einwand hinzu, dass Klangweisen,
erzeugt im Hinblick auf Musik des Frühbarocks vor
beinahe
400
Jahren,
überhaupt
nicht
wiederherstellbar sind. Dies führt auch bei
Vertretern der historischen Aufführungspraxis zu
dem Eingeständnis, man wisse nicht, wie seinerzeit
musiziert wurde, könne allerdings sagen, wie
damals nicht musiziert wurde.
Hinzukommt in manchen Fällen: mit dem
Aufdecken der geschichtlichen Zusammenhänge
des Musikwerks soll möglicherweise auch ein
Schleier gelüftet, Rätsel gelöst und die mit dem
Rätsel zusammenhängende, nicht irdische oder
überirdische Aura auf eher normales Maß
zurückgeholt, zurechtgerückt werden.
Nun beteilige ich mich gerne sonst in erster Reihe
/..
- 81 an der Bewältigung der Frage, wie ein Geschehen
tatsächlich verlief. Eine solche Fragestellung im
Hinblick auf ein Kunstwerk beantworten zu wollen,
scheitert nach meiner Auffassung allerdings umso
mehr, je stärker ein Kunstwerk ist. Denn dessen
Entstehungsvoraussetzungen sagen letztlich gar
nichts über dessen Wirkung voraus. Insofern ist
auch ein Religionsstifter als historische Person
wenig aussagekräftig.
Vor diesem Hintergrund muss gleichfalls die
Künstlerpersönlichkeit anders bewertet werden:
Soweit es um das Verhalten des Künstlers als
Künstler geht, ist dieses Verhalten in erster Linie
ausgehend von der künstlerischen Leistung zu
bewerten, dies gilt auch für den ausübenden
Künstler. Mithin: so unglaublich die Tiraden des
größten deutschen Operngenies gegen die Juden
sind, so ist gleichwohl zu erinnern, dass diese
Tiraden weder den Inhalt seiner Musikwerke
ausmachen noch, dass derlei Aktivitäten dessen
Genius schmälern. Hier hat der Satz: man benötigt
Größe, um Größe zu beurteilen, seinen logischen
Ort. Dies gilt im Übrigen – in geringerem Maße –
ebenso für den ausübenden Künstler: auch
insoweit hilft bei der Beurteilung dessen
künstlerischer Leistung wenig der Griff in die
Schublade der Geschichte. Es ist einfach fehlsam
beispielsweise
verbale
Entgleisungen
eines
solchen Künstlers zu bewerten oder gar diese
öffentlichkeitswirksam
zur
Persönlichkeitsdemontage auszuschlachten.
Jeder
Künstler
entwertet
allerdings
seine
künstlerische Leistung, wenn er außerhalb des
Bereichs als Künstler nicht erkennt, dass er dort
durchschnittlich begabt ist wie jeder andere
Durchschnittsbürger.
Will
heißen:
Sind
so
genannte
Demontagespezialisten
aktiv,
grenzen
im
Gegenzug Künstler allerdings außerhalb des
Bereichs der Kunst ständig andere Personen aus,
wird es ständig zu Konflikten kommen.
Als kritischer Einwand kommt gegenüber der
romantisierenden Aufführungspraxis hinzu, dass es
Fälle geben kann, die einen Zugang zur
Wahrnehmung der historischen Aufführungspraxis
ergeben, wobei zusätzlich diese Interpretation
schöner ist, als die Verwirklichung des so
genannten romantischen Klangideals.
3.2.5.2 Die Rechtfertigung des Verstehens von
/..
- 82 Gesetzestexten und der Vergleich mit der
Musikinterpretation
Einen Gesetzestext zu verstehen, indem dessen
Auslegung nicht durch ein allgemeines Textgefühl,
sondern durch gesonderte Ausrichtung des Blicks
auf den Wortsinn, den Zusammenhang, die
betreffende Textstelle mit weiteren, möglicherweise
in anderen Gesetzen enthaltenen Textstellen, der
Absicht des historischen Gesetzgebers und dem
heutigen Sinn und Zweck vorgenommen wird, ist
gerechtfertigt durch die Widerspruchsfreiheit dieser
Vorgehensweise und dem Erfolg dieser Tätigkeit,
welcher alle Angriffe überdauert hat.
3.2.5.2.1 Die Rechtfertigung der grammatischen
Auslegung und der Vergleich zur
Musikinterpretation
Die
Auslegung
nach
dem
Wortsinn
ist
gerechtfertigt, bedingt durch die Notwendigkeit, den
durch die Parlamentsentscheidung mittelbar zum
Ausdruck gebrachten und bestätigten Willen des
Volkes zu achten und zu verwirklichen. Die
Auslegung nach dem Wortsinn ist nur begrenzt
vergleichbar mit einer fehlerfreien Wiedergabe der
Noten.
Dies deshalb, weil der Wortsinn häufig undeutlich
oder gar dunkel ist, die Noten dagegen mit diesen
Eigenschaftswörtern nicht zu verbinden sind. An
den Noten als Voraussetzung des Musizierens
nach Noten festzuhalten, heißt ferner nicht,
lediglich am Buchstaben zu haften, ohne das Ziel
und den Zweck der – textlichen oder musikalischen
- Aussage zu erkennen. Will heißen: im Bereich des
Rechts wird anerkanntermaßen häufig genug über
den Buchstaben hinausgegangen, in sehr seltenen
Fällen ist sogar eine Bedeutung maßgebend, die
gegen den Wortlaut steht. So wurde die
Möglichkeit,
Schadensersatz
wegen
einer
Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
in bestimmten Fällen zu verlangen, bis zum
01.01.2002 als verfassungsrechtlich zulässig
gebotene Rechtsfortbildung gegen das Gesetz
(dem Wortlaut von § 253 BGB a.F.) gerechtfertigt,
vgl. www.arztwerbung-bernreuther.de (D) 9.11.
Ein Musizieren über die Noten hinausgehend, gibt
es nur in sehr begrenztem Umfang mithin, wenn
etwa von Interpreten Umspielungen vorgenommen
werden (beispielsweise von Altistinnen bei der Arie
"Bereite dich Zion mit zärtlichen Trieben …"oder
von Querflötisten/innen im letzten Satz der Suite h-
/..
- 83 Moll, "Badinerie"). Ein Musizieren gegen den
Notentext unter Hinweis darauf, dieser andere
Notentext sei maßgebend, gibt es – wenn
überhaupt – nur in sehr seltenen Ausnahmefällen.
Diese sehr seltenen Ausnahmefälle dürften noch
seltener sein als die vorerwähnte Rechtsfortbildung
contra legem.
3.2.5.2.2 Die Rechtfertigung der systematischen
Auslegung und der Vergleich mit der
Musikinterpretation
Die
Auslegung
nach
dem
Regelungszusammenhang
des
übrigen
Gesetzestextes bzw. dem Zusammenhang mit dem
Text anderer Gesetze ist gerechtfertigt aufgrund
der Notwendigkeit, Widersprüche im Rahmen der
eigenen Aussage zu vermeiden. Im Bereich von
Gesetzen ist solches deshalb von besonderer
Bedeutung, weil das Gesetz die Bindung der
Regelungsadressaten an eben dieses Gesetz
verlangt. Wer sich selbst widerspricht, kann
allerdings schwerlich erwarten, dass ein Verlangen
an Gefolgschaft widerspruchslos Gehör findet. Dies
deshalb, weil er selbst auf eine anderweitig
mögliche Gefolgschaft verweist.
Die Auslegung nach dem inneren und äußeren
Textzusammenhang ist nur begrenzt mit einer
Musikinterpretation vergleichbar, welche das
Musizieren einer bestimmten Stelle der Partitur an
der Partitur im Übrigen oder dem Werk des
Komponisten im Übrigen ausrichtet. Dies einfach
deshalb, weil eine derartige Notwendigkeit im
Bereich des Musik zumindest nicht so häufig wie
bei Gesetzestexten bestehen dürfte. Hinzukommt,
dass es genug Musiker gibt, welche eine im
Zusammenhang mit dem übrigen Musikwerk
stehende Interpretation intuitiv vornehmen, weil sie
für die Verteilung der tempi, crescendo, diminuendi,
accelerandi, der Gewichtung der Stimmen und
Stimmgruppen
zueinander,
dem
Erkennen
bestimmter musikalischer Linien u.a.m., von sich
aus, also ohne vergleichende und durch den
Verstand bedingte Beschäftigung mit dem Werk im
Übrigen Bescheid wissen.
Eine derart intuitiv systematische Auslegung des
Gesetzes gibt es demgegenüber nicht. Die
Einhaltung von Systematik ist geradezu das
Vorzeigebeispiel des Vorhandenseins und der
Anwendung von Verstand und Vernunft. Was die
Interpretation eines Musikwerks nach dem
Zusammenhang mit sonstigen Werken dieses
/..
- 84 Komponisten anbelangt, so kenne ich keine
Aufführung eines Musikers, welche diese
Sichtweise als maßgeblich für eine zutreffende
Interpretation der betreffenden Passage wiedergibt.
Dies steht im Gegensatz zu Aussagen von
wichtigen
und
bedeutsamen
Musikkritikern
insbesondere dann, wenn diese zum allgemeinen
Staunen tiefste Kenntnisse über ursprüngliche
Verwendungsabsichten
einer
Passage
des
betreffenden Werks in einem anderen Werk durch
den Komponisten offenbaren. Nach meiner
Auffassung ist derlei Kenntnis aber nur bedingt
geeignet, ästhetische Erkenntnis oder gar
ästhetisches Erleben zu befördern, um folglich
Vorlage für Interpretation sein zu können.
3.2.5.2.3
Die Rechtfertigung der historischen
Auslegung und der Vergleich mit der
Musikinterpretation
Die Auslegung vor dem Hintergrund des vom
Gesetzgeber gewollten Wortsinnes ist deshalb
gerechtfertigt, weil auf diese Weise erneut der
mittelbar repräsentierte Wille des Volks geachtet
wird, dieses Mal ausgedrückt nicht im Gesetzestext
selbst (wie bei der wörtlichen Auslegung), sondern
in der Gesetzesbegründung.
Diese historische Auslegung ist musikalisch nur
dort von Belang, wo es Interpretationsvorgaben des
Komponisten gibt. Hinsichtlich Begleittexte wie der
Gesetzesbegründung dürfte dies äußerst selten
sein, Interpretationsvorgaben in den Musikwerken
dagegen sind bei manchen Komponisten gang und
gäbe. Wie begrenzt der Wert dieser Angaben im
Bereich der Musik gleichwohl ist, zeigt sich anhand
der Tatsache, dass der, der Anfang und Ende aller
Musik oder besser Ende und Anfang aller Musik ist,
überwiegend
ohne
derartige
Anleitungen
auskommt, ohne dass ein Erkenntnismanko
bestünde. Darüber hinaus gibt es Äußerungen von
Komponisten, welche gerade die so genannte
historisierende
Aufführungspraxis
legitimieren
würden, so gut wie nicht, was die Bedeutung einer
historischen Auslegung im Bereich der Musik
erheblich
hinter
die
historische
Gesetzesinterpretation zurückfallen lässt.
3.2.5.2.4 Die Rechtfertigung der objektiv-teleologischen Auslegung und der Vergleich mit
der Musikinterpretation
Die Auslegung nach dem heutigen Sinn und Zweck,
/..
- 85 nach der Vorstellung eines für den Augenblick der
Interpretation gedachten Gesetzgebers bezieht ihre
Rechtfertigung aus der Erwägung, dass der
Gesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen ist,
nicht davon ausgeht und nicht davon ausgehen
kann, sämtliche von ihm formulierte Aussagen
seien der Weisheit letzter Schluss; seine Aussagen
seien nicht berichtigungsfähig, sie seien nicht
ergänzbar, sie seien nicht in einer mit dem
ursprünglichen
Sinn
verträglichen
Weise
wandelbar.
Eine
so
verstandene
objektiv-teleologische
Auslegung ist auch musikalisch von Bedeutung,
wobei an dieser Stelle deutlich zu machen ist, dass
es hier lediglich um eine Art und Weise der
Interpretation, nicht aber um den Hintergrund
sämtlicher Interpretationsweisen geht. Es ist also
durchaus möglich, mit historischen Instrumenten
und angeblichen oder tatsächlichen historischen
Spielweisen in technischer Hinsicht eine bestimmte
Passage
anders
als
interpretationsmäßig
vorgegeben zu musizieren mit dem Hinweis darauf,
so klinge die betreffende Stelle heute am besten.
Eine andere Frage ist es, ob auf diese Weise
widersprüchliches Verhalten vermieden wird.
3.2.5.2.5 Die juristische Auslegungstheorie und ihre
Parallelen in der historischen bzw. romantischen Werkauffassung
Nicht um eine Art und Weise von Interpretation,
sondern
um
den
Hintergrund
der
Auslegungsregeln,
Grammatik,
Systematik,
historischer Zweck, heutiger Zweck geht es bei der
Frage,
welche
Auslegungstheorie,
beinahe
ausschließlich
diskutiert
anhand
der
Gegenüberstellung von subjektiver und objektiver
Theorie, maßgebend ist. Hier ähnelt die historische
Werkauffassung stark der subjektiven Theorie.
Insoweit geht man also davon aus, dass mehr als
vom Komponisten bzw. dem Gesetzgeber
veranlasst und gewollte Musikwerk bzw. dem
Gesetz nicht vorhanden sein kann; wer anderes
behauptet,
ersetzt
den
Komponisten/den
Gesetzgeber durch sich selbst, was zur Illegitimität,
zur Nichtberechtigung der Interpretation im Namen
des Musikwerks bzw. des Gesetzes führt.
Die so genannte romantisierende Werkauffassung
hingegen ähnelt stark der objektiven Theorie.
Menschliches Handeln ist danach Stückwerk. Ist
dieses Handeln abgeschlossen etwa nach der
Schöpfung eines Musikwerks oder eines Gesetzes,
/..
- 86 bedeutet dies möglicherweise aber nicht zugleich,
dass dieses Werk nicht doch zugleich zusätzlichen
Handlungen oder anderen Handlungen der
Menschen
zugänglich
bleibt. Gerade
das
Kunstwerk
ist
Vorzeigebeispiel
für
seine
immerwährende, durch den Schöpfer nicht
begrenzte Vielgestaltigkeit, ähnliches – Gesetze
sind nicht derart zeitlos wie Musikwerke – gilt für
das Gesetz. Dass derlei Ausführungen nicht bloße
Zauberei
sind,
beweist
die
fortlaufende
Anziehungskraft von Kunst als Kunst im Lauf der
Geschichte des Menschen; beweist ferner die
Wandlungsfähigkeit mancher Gesetze.
Das Bürgerliche Gesetzbuch beispielsweise ist
auch nach mehr als hundert Jahren in der Lage,
das Verhalten der Menschen im Umgang
miteinander sinnvoll zu regeln, auch wenn sich die
Welt in technischer Hinsicht ständig und schneller
verändert.
3.2.5.2.6 Neuansätze in methodischer Hinsicht
Was Neuansätze in methodischer Hinsicht
anbelangt,
so
machen
entsprechende
Überlegungen im Bereich des Rechts deutlich, dass
die Entstehungsvoraussetzungen eines rechtlichen
Bewertungsergebnisses bei weitem nicht als durch
die
genannten
Auslegungsregeln
und
Auslegungsziele bedingt sind.
Die Beschreibung zusätzlicher und anderer
Entstehungsvoraussetzungen steht aber vor der
Schwierigkeit,
nicht
lediglich
allgemeine
Entstehungsweisen aufzudecken, sondern sie als
Werkzeug im Rahmen der Erarbeitung der zu
treffenden Gesetzeskonkretisierung an die Hand zu
geben, also zur Verfügung zu stehen.
Ob es insoweit direkte Entsprechungen zur
Musikinterpretation gibt, scheint fraglich. Eine
gewisse
Ähnlichkeit
ergibt
sich
zu
der
Wahrnehmung, dass jeder Vortrag von Musik von
zusätzlichen
Bedingungen,
also
über
die
Bedingung
des
Vorhandenseins
eines
Notenblattes, eines Interpreten und eines
Instruments hinausgehend abhängt. Hier dürfte der
Streit, welche Bedeutung für das Musikstück
dessen unmittelbare Aufführung oder dessen
Wiedergabe über ein Tonaufbewahrungsmittel
besitzt, seinen logischen Ort haben. Dass manche
Musiker allerdings soweit gehen, jeder Wiedergabe
einer zuvor aufgenommenen Musik den Inhalt von
Musik abzusprechen, verstehe ich nicht (s.o. Ziff.
/..
- 87 1.1.3.2.1).
3.2.5.2.7 Methodische Probleme aufgrund von
Eigenvorgaben durch den europäischen
Gesetzgeber
Was
die
Schwierigkeit
anbelangt,
dass
Ergebnisvorgaben, bedingt durch den europäischen
Gesetz-geber, sich mitunter systematisch aber
auch metho-disch kaum begründen lassen, so steht
dieser
me-thodischen
Schwierigkeit
keine
Entsprechung im Bereich des Rechts gegenüber.
3.2.6 Der Zweck von Musik und Recht
3.2.6.1 Der Zweck von Musik
Es soll, so wird gesagt, zu unterscheiden sein
zwischen
moralischen
und
ästhetischen
Werturteilen.
Geht man hiervon aus, scheint es die Musik mit der
Ästhetik, der Frage nach dem Schönen, dem
interesselosen Wohlgefallen zu tun zu haben. Dies
ist zweifellos – auch – zutreffend. Musik erfreut
unser Herz. Musik, Kunst überhaupt, ist immer
auch eine Sache der Herzensbildung. Mithin ein
Beförderer der Selbsterkenntnis des Menschen als
Menschen.
Musik, Kunst, das, was der technischen Rationalität
weder nutzt noch dient, ist Voraussetzung für das
Geborenwerden des Menschen als Menschen. Ihm
wird durch die Kunst vor Augen geholt, welches
Füllhorn an guten Möglichkeiten zur Entfaltung des
Menschlichen, uns zur Verfügung stehen oder
besser, Gott über uns ausgeschüttet hat. Während
wir von Musikern anderer Länder bewundert
werden, in welch einmaliger Weise schon bereits
aufgrund unserer Komponisten unser Land ein
Kulturstaat ist, scheinen wir selbst zu übersehen,
dass unser zu lobender und ständig zu erneuernder
Rechtsstaat vor allem aus dem Kulturstaat Kraft
und
Nahrung
als
Voraussetzung
einer
menschengerechten Behandlung erzielt.
3.2.6.2 Der Zweck des Rechts
Das
Recht
regelt
das
menschliche
Zusammenleben. Diese Tatsache des Rechts ist
nicht sein Zweck.
/..
- 88 -
Der Zweck des Rechts beinhaltet ein vorwärts:
Neue,
insbesondere
schöpferische
Verhaltensweisen müssen möglich, also nicht
verboten sein. Der Zweck des Rechts beinhaltet,
halt zu sagen. Während ein berühmter
amerikanischer Präsident die Zeit für die
Aufhebung der Rassentrennung in den USA für
noch nicht reif hielt, erklärte kurz darauf der
Verfassungsgerichtshof die Rassentrennung für
verfassungswidrig. Ohne jegliche Übergangsfrist
wurde die Entscheidung zu Zeiten des Nachfolgers
dieses – getöteten – Präsidenten umgesetzt, was
auch dazu führte, dass schwarze Schüler unter
dem Schutz der Bundespolizei in Schulen
einzogen.
Das Recht zielt auf die Verwirklichung von
Wahrheit,
Freiheit
und
Gerechtigkeit.
Die
tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung und
der die Folgen in tatsächlicher Hinsicht betreffende
Urteilsspruch müssen wahr sein. Jede rechtliche
Bewertung menschlichen Verhaltens muss unter
dem Gesichtspunkt der Verwirklichung von Freiheit
erfolgen. Jede rechtliche Entscheidung muss
gerecht sein.
3.2.6.3 Der Zweck von Musik und Recht
Wenn somit Musik und das Gesetz die Entfaltung
des Menschlichen aus verschiedenen Blickwinkeln
mit der Tatsache einer Überschneidung im
Verankerungspunkt des Menschlichen dienen, so
ist es gerade der Begriff des Menschlichen, welcher
der Kritik als Lehrformel unterliegt. Ist nicht der
Begriff des Menschlichen inhaltlich von dem
bestimmt, was der betreffende Redner gerade in
diesen Begriff hineinlegt?
Richtig ist: dies kann so sein. Auch wenn in
verschiedenen
Kulturen
zum
Umgang
beispielsweise mit geistig behinderten Menschen
unterschiedliche Vorstellungen von dem, was
menschlich ist, bestehen, so wird sich sagen
lassen, dass menschlich ist, wer Achtung vor dem
Leben hegt. Wer Achtung vor dem Leben im
Verbund mit dem Satz: "Ich bin Leben, das leben
will inmitten von Leben, das auch leben will" nicht
hegt, ist nicht menschlich.
Menschlich ist es weiter, Glück zu teilen, andere
glücklich zu machen. Menschlich ist es, Wahrheit
zu verlautbaren, sie weiter zu geben, Freiheit zu
schenken und gerecht zu handeln.
/..
- 89 -
Musik kann glücklich machen. Auch deshalb ist sie
über alle Kulturen hinweg – anders als in diesem
Umfang das Recht – umfassend verstehbar. Musik
bedarf keiner Übersetzung, sie spricht unser Herz
an. Und: Musik und Recht vermögen mit den
Mitteln von Musik und Recht nicht zu sagen,
weshalb sie als Musik und als Recht wirken.
4. Musik und Recht und die Entwicklung der
Naturwissenschaften
Wenn es eine Erfahrung des modernen Menschen
gibt, dann diejenige, dass nichts mehr feststeht.
Diese Erfahrung gründet allzumal auf den
Ergebnissen der modernen Naturwissenschaften.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Natur kein
steter Prozess ist, sondern sich in einer Abfolge
von extrem kleinen Rucken vorwärts bewegt, dass
Licht eine Form von elektromagnetischer Strahlung
ist, welche in diesen Ruckbewegungen, den
Quanten, abgegeben wird und zugleich als
Wellenerscheinung verstanden werden kann, dass
sich Zeit je nach der Geschwindigkeit der
Fortbewegung verlangsamen oder beschleunigen
kann, dass sich Lichtstrahlen in Gravitationsfeldern
im Allgemeinen krummlinig fortpflanzen, es eine
Krümmung der Raumzeit wie eine Krümmung des
Lichts
gibt,
dass
also
der
gesunde
Menschenverstand seine Grenzen hat, dass
Bindeglieder zwischen Physik und Chemie
bestehen etwa, weil die chemischen Eigenschaften
von Elementen nicht nur von der Zahl der
Elektronen eines Atoms abhängen, sondern auch
von der Verteilung dieser Elektronen in den
äußeren Schalen, dass mangels Wahrnehmbarkeit
des Inneren eines Atoms infolge zu geringer Größe
allein die Eigenschaften des Inneren eines Atoms
festgestellt werden können, die sich als
kontinuierlich und zugleich unstet erweisen können,
dass infolge des Einflusses von Messungen auf das
Ergebnis im subatomaren Bereich Ursache und
Wirkung sich nicht mehr feststellen lassen, dass
sich das Universum ausdehnt, dass Natur für uns
immer fremd ist, weil jede Erkenntnis über sie
widerlegbar ist und sein muss, dass Quarks
diejenigen Elementarteile sind, aus denen
sämtliche bekannten Materien bestehen, was
beweist, dass Bausteine der Materie immer noch
kleiner sein können, dass Physik und Astronomie
miteinander vernetzt sind, was sich in der Erklärung
der Bedingungen auf der Grundlage der Quarks
betreffend die ersten Augenblicke des Universums
/..
- 90 nach dem Urknall beweist, dass es schwarze
Löcher gibt, dass vor fünfhundert Millionen Jahren
explosionsartig Leben auf der Erde entstand,
bezeichnet als die kambrische Explosion, dass sich
die Mikroanatomie des Gehirns der Menschen
untereinander
in
erheblichem
Umfang
unterscheidet und jede phänomenale Erfahrung in
unterschiedlichen Hirnregionen verarbeitet wird,
was Integrationsleistungen voraussetzt, dass es so
genannte Strings gibt, die so klein sind, dass sie
nicht direkt beobachtet werden können, wobei
Strings seitenartige, häufig aufgewickelte Fäden
sind, ein Elektron ein String ist, welches in die eine
Richtung schwingt, währenddessen ein up-Quark
ein String ist, welches in die andere Richtung
schwingt und so weiter.
Nun mag es Musik geben, die keine Orientierung
im Sinne erkennbarer musikalischer Strukturen,
evtl. gepaart mit der Vermittlung von Wohlbefinden
oder zumindest einem Herausführen aus dem
Chaos
gibt.
Es
gibt
sogar
Strömungen
zeitgenössischer
Musik,
in
welchen
sich
ausdrücklich
niemand
mehr
zur
Tonalität
verpflichtet fühlt, wo es nicht mehr um
Bedeutungen oder Inhalte, sondern nur noch um
Formen geht, wo Komposition die launige Folge
des Zufalls ist.
Das Konzertpublikum hat es gleichwohl nicht
aufgegeben, neben dieser Musik in erster Linie
Schütz, Schein, Scheidt, Bach, Haydn, Mozart,
Beethoven, Brahms, Schumann, Schubert, R.
Strauss, Hugo Wolff und all die anderen zu hören,
hören zu wollen. Ob dies einem Verharren im
Verlässlichen, welches es so nicht mehr gibt,
gleichkommt, möchte ich bezweifeln.
Dem kann die Mechanik als Teilbereich der Physik
nicht als Parallele zur Seite gestellt werden: Wir
haben es auch im Alltag längst akzeptiert, dass die
Welt der Physik aus Mechanik allein nicht besteht,
dass Erkenntnisse existieren, die mit der Mechanik
nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.
Noch rückständiger scheint das Recht zu sein: es
fehlt dort die Ermöglichung verschiedener
Ergebnisse für denselben Sachverhalt, will heißen,
es fehlt die Möglichkeit der verschiedenen
Bewertung desselben menschlichen Verhaltens
innerhalb derselben richterlichen Entscheidung als
Folge
ausdrücklicher
oder
so
gewollter
Gesetzestexte als Grundlage des Urteilsspruch
selbst.
/..
- 91 Dies alles ist aber keine Rückständigkeit, sondern
Gegenstand und Erwartungshorizont derer, die
Recht finden und Recht suchen. Und dabei bleibt
es.
Was in diesem Zusammenhang die Frage der
Methode anbelangt, so ist das Interesse am Wie
der Interpretation von so genannter klassischer
Musik nicht vergleichbar dem Interesse an dem Wie
der Erkenntnis betreffend die Mechanik. Einfach
deshalb, weil die so genannte klassische Musik
kein beinahe schon überholter Teilgegenstand der
Musik ist, sondern den Gegenstand der Musik in
weitem Umfang selbst ausmacht.
Und
was
das
Interesse
am
Wie
der
Vergegenständlichung
von
Gesetzestexten
anbelangt, so ist auch dieses Interesse nicht
veraltet ungeachtet der Tatsache, dass es Bereiche
anderer Wissenschaften gibt, die Methodenfragen
ohne
Rückgriff
auf
das
menschliche
Erkenntnisvermögen respektive das menschliche
Gehirn für zumindest unvollständig halten.
Demgegenüber verständlich und natürlich in ihrer
Berechtigung
sind
die
aufgezeigten
Vorgehensweisen im Bereich des Verstehens von
Gesetzen.
So scheinen sich Musik und Gesetz vor dem
Hintergrund
der
Naturwissenschaften
als
Gegensatz erneut zu berühren, ohne im Geringsten
ihre Verschiedenheit zu leugnen und leugnen zu
müssen.
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