www.musikundgesetzesinterpretation-bernreuther.de Gliederung 1. Die Musik als Gegenstand, das Gesetz als Gegenstand 1.1 Die Beschreibung der Musik als Gegenstand 1.1.1 Musik als sinnlich wahrnehmbares Ereignis 1.1.2 Frühe Musikausübung und Entwicklung des Menschen 1.1.3 Die Erfahrung von Musik durch den Musikausübenden an sich selbst und durch den Zuhörer 1.1.3.1 Die Erfahrung von Musik durch den Musizierenden 1.1.3.2 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer 1.1.3.2.1 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf die allgemeine Frage der Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Aufführung 1.1.3.2.2 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer allgemein im Hinblick auf die Qualität der Aufführung 1.1.3.2.3 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den oder die Solisten 1.1.3.2.4 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den Dirigenten 1.1.3.2.5 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den Komponisten 1.2 Die Beschreibung des Gesetzes als Gegenstand und Gesetzesrecht als Gegenstand in Gegenüberstellung zur Musik 1.2.1 Das Gesetz in Abgrenzung zum Rechtsgeschäft 1.2.2 Das Gesetz als solches 1.2.3 Die Dogmatik als Teil des Rechts 2. Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation 2.1 Das Wie der Musikinterpretation 2.1.1 Die historische Werkauffassung 2.1.1.1 Festlegung des Verständnisses "historische Werkauffassung" 2.1.1.2 Einer der Anlässe für die historische Aufführungspraxis /.. -22.1.1.3 Technische Vorgehensweisen zur Erzielung eines authentischen Klangbildes 2.1.1.4 Gedankliche Voraussetzungen für die historisierende Aufführungspraxis 2.1.1.5 Die Gründe für die historisierende Werkauffassung im Allgemeinen und im Besonderen 2.1.1.6 Zusammenfassung von Ziff. 2.1.1.1 bis 2.1.1.5 2.1.2 Die romantisierende Werkauffassung 2.1.2.1 Festlegung des Verständnisses von "romantisierende Werkauffassung" 2.1.2.2 Anlässe für die romantisierende Werkauffassung 2.1.2.3 Technische Vorgehensweisen zur Erzielung eines "romantisierenden" Klangbildes 2.1.2.4 Gedankliche Voraussetzungen für die romantisierende Aufführungspraxis 2.1.2.5 Die Gründe für die romantisierende Werkauffassung 2.1.2.6 Zusammenfassung von Ziff. 2.1.2.1 bis 2.1.2.5 2.1.3 Gegenüberstellung der historisierenden und der romantisierenden Werkauffassung 2.2 Das Wie der Gesetzesinterpretation 2.2.1 Der Gegenstand des Wies der Gesetzesinterpretation 2.2.2 Ursachen für die Notwendigkeit der Befassung mit dem Wie des Verstehens von Gesetzen 2.2.2.1 Die unrichtige Entscheidung als Bewegungsgrund für die Befassung mit Fragen der Methode 2.2.2.2 Die Nachvollziehbarkeit der Gedankenführung als Grundlage für das Ergebnis als Beweggrund für die Befassung mit Fragen der Methode 2.2.2.3 Die Richtigkeit der Entscheidung als Hauptursache für die Notwendigkeit der Befassung mit dem Wie des Verstehens von Gesetzen 2.2.3 Drei Schwerpunkte der in der Jurisprudenz gegenwärtig geführten Methodendiskussion aus meiner Sicht 2.2.3.1 Das ergänzte bekannte Methodenschema 2.2.3.1.1 Die Auslegungsregeln 2.2.3.1.1.1 Die wörtliche Auslegung 2.2.3.1.1.2 Die systematische Auslegung /.. -32.2.3.1.1.3 Die historische Auslegung 2.2.3.1.1.4 Die Auslegung des Gesetzes nach dem heutigen Sinn und Zweck (objektiv-teleologische Auslegung) 2.2.3.1.1.5 Die verfassungskonforme Auslegung 2.2.3.1.1.6 Die vergleichende Auslegung (komparative Auslegung) 2.2.3.1.1.7 Die richtlinienkonforme Auslegung 2.2.3.1.2 Die Auslegungsziele bzw. –theorien 2.2.3.1.2.1 Die subjektive Theorie 2.2.3.1.2.1.1 Methodische Durchführbarkeit des Anliegens der subjektiven Theorie 2.2.3.1.2.1.2 Wahrung der Legitimation des historischen Gesetzgebers bei Anerkennung der objektiv-teleologischen Auslegung vor dem Hintergrund der subjektiven Theorie 2.2.3.1.2.1.3 Keine rechtsstaatlichen Sanktionen auf der Grundlage der subjektiven Theorie wegen Ergebnissen, die vor dem Hintergrund der objektiven Theorie getroffen wurden 2.2.3.1.2.1.4 Zusammenfassung von Ziff. 2.2.3.1.2.1.1 bis 2.2.3.1.2.1.3 2.2.3.1.2.2 Die objektive Theorie 2.2.3.1.2.3 Einwände von Vertretern des bekannten Methodenschemas gegen dieses selbst 2.2.3.1.2.4 Die richtlinienkonforme Auslegung als weitere Auslegungstheorie 2.2.3.2 Neue Ansätze zur Lösung von Methodenfragen 2.2.3.3 Europäisches Rechtserkenntnis als Aufgabe für die juristische Methode 2.2.3.4 Meine Auffassung von juristischer Methode 2.2.3.5 Zusammenfassung zu Ziff. 2.2.3 3. Zusammenfassung 3.1 Musik und Gesetz als Gegenstände 3.1.1 Die Gegenstände als solche 3.1.2 Der Zweck von Musik und Gesetz 3.1.2.1 Der Zweck von Musik 3.1.2.2 Der Zweck des Gesetzes /.. -43.1.3 Die gelungene Musik, das gelungene Gesetz 3.1.3.1 Die gelungene Musik 3.1.3.2 Das gelungene Gesetz 3.1.4 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend Musik und Gesetz 3.1.4.1 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend Musik 3.1.4.2 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend das Gesetz 3.1.5 Der Inhalt von Musik und Gesetzen außerhalb des Kreises derer, die musizieren bzw. das Gesetz anwenden 3.1.5.1 Der Inhalt von Musik außerhalb des Kreises der Musizierenden 3.1.5.2 Der Inhalt des Gesetzes außerhalb des Kreises derer, die das Gesetz anwenden 3.1.6 Der Inhalt von Musik und von Gesetzen außerhalb der Handlungen der Musiker bzw. der Gesetzesanwender 3.1.6.1 Der Inhalt der Musik aufgrund Handlungen der Musiker 3.1.6.2 Der Inhalt von Gesetzen aufgrund der Handlungen der Gesetzesanwender 3.1.7 Die Musik und das Gesetz 3.1.7.1 Die Musik 3.1.7.2 Das Gesetz 3.2 Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation 3.2.1 Die Begriffe, wie sie in Fragen der Methode in der Musik und im Recht eine Rolle spielen 3.2.2 Der Gegenstand des Wies bei der Findung des zutreffenden Gesetzesverständnisses 3.2.3 Schwerpunkt des Belangs von Methode 3.2.3.1 Schwerpunkte des Belangs von Methode in praktischer Hinsicht 3.2.3.2 Schwerpunkte des Belangs von Methode in theoretischer Hinsicht 3.2.4 Mittel zur Verwirklichung methodischer Vorstellungen 3.2.5 Gedankliche Rechtfertigung des gewählten methodischen Ansatzes 3.2.5.1 Die Rechtfertigung der verschiedenen Ansätze, ein Musikwerk zu interpretieren /.. -53.2.5.2 Die Rechtfertigung des Verstehens von Gesetzestexten und der Vergleich mit der Musikinterpretation 3.2.5.2.1 Die Rechtfertigung der grammatischen Auslegung und der Vergleich zur Musikinterpretation 3.2.5.2.2 Die Rechtfertigung der systematischen Auslegung und der Vergleich mit der Musikinterpretation 3.2.5.2.3 Die Rechtfertigung der historischen Auslegung und der Vergleich mit der Musikinterpretation 3.2.5.2.4 Die Rechtfertigung der objektiv-teleologischen Auslegung und der Vergleich mit der Musikinterpretation 3.2.5.2.5 Die juristische Auslegungstheorie und ihre Parallelen in der historischen bzw. romantischen Werkauffassung 3.2.5.2.6 Neuansätze in methodischer Hinsicht 3.2.5.2.7 Methodische Probleme aufgrund von Eigenvorgaben durch den europäischen Gesetzgeber 3.2.6 Der Zweck von Musik und Recht 3.2.6.1 Der Zweck von Musik 3.2.6.2 Der Zweck des Rechts 3.2.6.3 Der Zweck von Musik und Recht 4. Musik und Recht und die Entwicklung der Naturwissenschaften /.. -6- musikundgesetzesinterpretationbernreuther.de Um der Vergleichbarkeit der Methoden, der Vergleichbarkeit von Musikund Gesetzesinterpretation nachgehen zu können, müssen die Gegenstände der Interpretation als erstes klar sein. Denn die technische Beherrschung der vorgegebenen Noten sagt noch nichts über deren Spielweise und Wirkung aus, nimmt man als Beispiel die Wiedergabe der Brandenburgischen Konzerte aufgrund zuvor erfolgter Programmierung ohne Tonerzeugung auf herkömmlichen Instrumenten. Das gedankliche Erfassen des Worttextes als Inhalt von Gesetzen zeitigt ähnlich kein Ergebnis für die Gesetzesanwendung als Grund der Falllösung. Dass die hier vorgenommene Trennung zwischen Ton und Interpretation, zwischen Text als Bestandteil eines Gesetzes und dessen Anwendung nicht unerheblich willkürlich ist, wird eingestanden. Denn eine Notenlinie wiederzugeben, ohne sie zu interpretieren, dürfte annähernd unmöglich sein, lässt man die dilettierende Musikwiedergabe als Hauptausnahmefall außer Betracht. Dies gilt auch für angeführte Beispiele der Brandenburgischen Konzerte, bedenkt man die Notwendigkeit der Programmierung. Desgleichen Rechtssatzes vorhandener gelingen, so Wiedergabe übergehen. dürfte jedes Verstehen eines nur vor dem Hintergrund bestimmter Erfahrungs- und Erkenntnisweisen dass auch hier das Erfassen, die und die Interpretation ineinander Zum Zweck der Gegenüberstellung von Musik und Gesetz scheint es jedoch berechtigt, diese Gegenstände losgelöst von ihrer Interpretation zu umreissen. 1. Die Musik als Gegenstand, das Gesetz als Gegenstand 1.1 Die Beschreibung der Musik als Gegenstand 1.1.1 Musik als sinnlich wahrnehmbares Ereignis /.. -7Musik ist Ton, also beinahe ausschließlich über das Ohr wahrnehmbar; und Rhythmus. Die Ausnahmebegabungen unter uns, welche beim Lesen einer Partitur das Werk zugleich selbst hören, bleiben außer Betracht, so dass zugleich die Unterscheidung entfällt, ob diese Partitur als bekannte oder gar als neues Werk gelesen wird. 1.1.2 Frühe Musikausübung und Entwicklung des Menschen Frühe Musikausübung, das frühe Erlernen eines Instruments, fördert die Entwicklung der Intelligenz. Kreatives Denken, das rasche Erfassen einer und die schnelle Reaktion auf die durch die Note bedingte Situation lassen sich früh erlernen. Das Einwirken eines Musikstückes, das Singen oder Spielen vom Blatt erfordert eine hohe Konzentration nebst rascher Auffassungsgabe, was jeweils geschult werden kann. Bereiche des Gehirns werden aktiviert, die bei der Übersetzung eines Textes beispielsweise von römischen Schriftstellern weniger bemüht werden. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen hormoneller und musikalischer Entwicklung. 1.1.3 Die Erfahrung von Musik durch den Musikausübenden an sich selbst und durch den Zuhörer 1.1.3.1 Die Erfahrung von Musik durch den Musizierenden Der Musizierende spürt körperlich seine von ihm erzeugten Töne, in der musizierenden Gemeinschaft gilt dies nicht nur hinsichtlich der eigenen Töne, sondern in Bezug auf deren Gesamtheit. Das Spüren der selbst erzeugten Töne liegt bei Blasinstrumenten auf der Hand oder besser, ist erfahrbar mit Lippe, Herz und Mund, Streichinstrumente berühren gleichfalls unmittelbar den Körper, sind in dessen Hand. Lediglich bei Tasteninstrumenten ist der körperlich erfahrbare Zusammenhang nicht unmittelbar. Am stärksten und innigsten berührt der eigene Ton beim Singen, denn ihn bringt die menschliche Stimme selbst hervor. In der musizierenden Gemeinschaft werden die Töne der anderen nicht nur gehört, um die rhythmische und musikalische Einheit herzustellen, /.. -8sondern gleichfalls gespürt. Dies gilt nicht nur für die Basstöne etwa der Kontrabässe, sondern für die gesamte musikalische Spannung, innerhalb derer sich der jeweils Musizierende verwirklicht. Dieses Aufeinanderachten, das Vorwegerkennen von Beschleunigungen oder eines Verlangsamens des Tempos durch den Dirigenten oder den Solisten, seinen Ausdruck, seine Lautstärke sind nicht allein durch den physiologisch ablaufenden Hörvorgang des Ohres erklärbar, sondern verlangt eine Wahrnehmung durch den ganzen Menschen. Hierin liegt der Unterschied zum Publikum, auch wenn dort musikalische Menschen sitzen mögen, die wie Ensemblemitglieder empfinden. Das Wahrnehmen der Musik über den physikalisch einholbaren Ton nebst Rhythmus hinausgehend in der Gemeinschaft ist erneut am stärksten beim gemeinsamen Singen. Meine Behauptung bewahrheitet sich möglicherweise am Ergebnis: wer gemeinsam singt, verlässt die Gemeinschaft nicht böse. 1.1.3.2 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer 1.1.3.2.1 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf die allgemeine Frage der Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Aufführung Beim Zuhörenden als dem Empfänger von Musik, außerhalb des Kreises als Mitwirkender, kann zwischen dem Anwesenden einer Aufführung oder einer Probe einerseits und dem bei einer wiedergebenden Aufnahme Anwesenden unterschieden werden. Dass Musik einen anderen Inhalt hat, wenn in einem Konzertsaal anlässlich einer Probe niemand oder nur ein kleiner Kreis von Zuhörern zugegen ist im Gegensatz zum vollbesetzten Auditorium, wird niemand ernsthaft bestreiten. Musik als Gegenstand wird also auch bestimmt durch den an der praktischen Aufführung teilhabenden Zuhörer, wobei die Anzahl der Zuhörer über den Inhalt der Musik – in geringem Umfang und nur in gewisser Weise – mitentscheidet. Musik scheint keinen anderen Inhalt zu haben, wenn ich als Einzelner sie aufgrund einer vorausgegangenen Aufnahme höre. /.. -9Demgegenüber gilt: jeder hat schon dieselbe Musikwiedergabe als unterschiedlich zu verschiedenen Zeiten an sich wahrgenommen. Auch insoweit gibt es keine Gegenstandsbestimmung von Musik außerhalb der Beziehung zwischen Subjekt (der oder die Musizierende[n]) und Objekt (der einzelne oder mehrere, regelmäßig später und anderenorts anwesende[n] Zuhörer). Darüber hinaus hat jeder schon im Hinblick auf dieselbe Musikwiedergabe aufgrund vor-ausgegangener Aufnahme erfahren, dass diese Musik eine andere sein kann oder zumeist ist, wenn deren Wahrnehmung einzeln oder in einer Gruppe erfolgt. Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von Musik bei demselben Werkgegenstand kann zusätzlich anhand der Unterscheidung zwischen Studioaufnahme als Vorzeigebeispiel einer in Abschnitten unterteilten Aufnahme und einer unwiederholbaren, also an einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit gebundenen Aufführung getroffen werden. Ob die Wiedergabe von Musik auf die erste oder zweite hier genannte Weise erfolgen soll, war in der jüngeren Vergangenheit ein viel beachteter Gegenstand gegensätzlicher Stellungnahmen. Stellvertretend für die beiden Lager sei auf den auch nach seinem Tod berühmten kanadischen Pianisten einerseits und den langjährigen leitenden Dirigenten der Philharmoniker einer süddeutschen Metropole andererseits verwiesen (s.u. Ziff. 3.2.5.2.6) Was nun Studioaufnahmen anbelangt, so werden diese nicht nur kaum durch jene die musikalische Spannung erfassenden Zuhörer getragen; sie bilden zudem keine mit dem Werk gleiche zeitliche Einheit. Auch wenn die musikalische Spannung nicht vom Zuhörer getragen wird, bedeutet dies aber nicht, dass Spannungsbögen mit eindringlicher Gegenwart, mit einem tonlichen Heraus-, will heißen: Herantreten an den Zuhörer fehlen, das Gegenteil kann der Fall sein. Es ist also fraglich, ob den Studioaufnahmen ein lebensweltlicher Zusammenhang entbehrt, vor dem allein Musik wiederholbar bzw. zu schaffen wäre. Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass die im Lauf der Zeit immer stärker auf technische Vollkommenheit angelegte Werkwiedergabe als Ziel immer mehr musizierend tätiger Personen nicht wenige Aufnahmen hervorgebracht hat, die – bezogen beispielsweise auf Bach – als Technokratiebach bezeichnet werden kann (was für den vorerwähnten kanadischen Pianisten mit Sicherheit nicht gilt). Grundsätzlich allerdings für /.. - 10 eine Studioaufnahme zu sagen, sie sei eine schäbige Fotografie der Wirklichkeit, verstehe ich schon deshalb nicht, weil ich nicht weiß, was eine schäbige Fotografie ist. Was an einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit gebundene Aufführungen anbelangt, so können diese ohne Publikum stattgefunden haben. Insoweit handelt es sich hauptsächlich um Proben. Demgegenüber verstehe ich hier unter unmittelbaren Aufführungen solistische Darbietungen oder Konzerte, bei denen das Publikum zugegen ist. Es ist richtig, dass solche Aufführungen eine Lebenswelt umfassen, die über Studioaufnahmen nicht einholbar ist. Beides aber in einen Gegensatz von totaler Verfälschung und Wahrheit zu stellen, widerspricht meinen Erfahrungen. Diese Lebenswelt ist getragen oder beinhaltet Wahrnehmungen und Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen, die auf den konkreten Ort und die konkrete Zeit bezogen sind und mit dieser Punktualität entstehen und erlöschen. Außerhalb dieser Aufführungsmöglichkeit von Musik sodann jeder anderen Musik deren Qualität als solche abzusprechen, ist deshalb problematisch, weil als Folge die Einordnung der Aufzeichnung einer derartigen unwiederholbaren Aufführung schwierig wird. Will heißen, eine derartige Aufnahme ist und bleibt etwas anderes, als der Regelfall der Studioaufnahme, dasselbe gilt zur Aufführung am Ort und im Zeitpunkt ihres Ereignisses. Der ereignete musikalische Raum ist zwar nicht wiederholbar, das heißt aber auch nicht, dass Musik sich selbst als Musik eingebüßt hat, wenn sie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit reproduziert wird. 1.1.3.2.2 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer allgemein im Hinblick auf die Qualität der Aufführung Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von Musik bei demselben Werkgegenstand ist des Weiteren bedingt durch die musikalische Qualität des oder der Aufführenden. Es beinhaltet eine Binsenweisheit, dass dasselbe Werk, dargeboten durch ein der Musikalität und damit auch den technischen Erfordernissen abholdes Ensemble zu /.. - 11 einem Klangerlebnis – auf derselben Notengrundlage – führen kann, welches den Wiedererkennungswert des vom Komponisten und seinem Werk Gewollten nicht sofort beinhaltet. 1.1.3.2.3 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den oder die Solisten Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von Musik bei demselben Werkgegenstand ist neuerlich und stärker bedingt durch den Solisten. Je stärker ein Solist in seiner Musikalität und in seiner Persönlichkeit ist, umso mehr prägt er den Inhalt der von ihm dargebotenen Musik in Sachen Tempo, Zeit, Phrasierungsbögen, harmonische Auffassung der Notenlinien, der gesungenen Wörter, der Lautstärke, der Anpassung der Mitmusizierenden, der Bedeutung seiner Passage beim Spiel ohne Begleitung nebst deren Gewichtung innerhalb des Werks, um nur einige von Solisten beeinflussbaren Umstände zu nennen. Bei der Beachtung solistischer Leistungen – und dieser Hinweis ist wichtig vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein mitunter durch Unwissenheit sich repräsentierendes Angeberpublikum durch modische und wichtigtuerische Vorgaben geleitet ist – darf nie die Bedeutung der nichtsolistischen Begleiter unterschätzt werden. Wird beispielsweise bei einem Oratorium oder einer Passion durch das Continuo bestehend aus Cembalo, Kontrabass, Cello und Fagott nicht sofort und von selbst jedes ritardando, accelerando, crescendo, diminuendo ohne jede zeitliche Verzögerung erfasst und verwirklicht, ist der ganze solistische Vortrag wenig wert. Will heißen: Je weniger man insbesondere vom Continuo in derartigen Augenblicken etwas bemerkt, desto besser sind die Bedingungen für den solistischen Vortrag zur Entfaltung der Musik als Musik. 1.1.3.2.4 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den Dirigenten Die Wahrnehmung der verschiedenen Inhalte von Musik bei demselben Werkgegenstand ist ferner bedingt durch den ein Werk leitenden Dirigenten. Der Dirigent gibt das Tempo vor, wobei zu erinnern ist, dass die Musikalität der dirigierten Instrumentalisten und Sänger im besten Fall so stark vorhanden sein sollte, dass sie jede /.. - 12 Gestaltung und damit auch diejenige des Tempos von einer zur anderen Aufführung musikalisch mitzugehen vermögen bei gleich bleibender musikalischer Einheit. Der Dirigent gibt die Lautstärke vor, jede Veränderung insoweit, die Einsätze ohnehin, die Phrasierungsbögen, die Betonung der Stimmen und Klangkörper im Rahmen der Gestaltung der Klangperspektiven, die Zeit, die Anpassung der Stimm- oder Instrumentengruppen untereinander, die Betonung der Themen, die Harmonie des Ganzen, d.h. die Einheit von Ton und Rhythmus in allen Erscheinungsund Kombinationsmöglichkeiten. 1.1.3.2.5 Die Erfahrung von Musik durch den Zuhörer im Hinblick auf den Komponisten Womit wir beim Hauptbestimmungsgrund der Frage, was macht die Musik zur Musik, was ist der Gegenstand von Musik als Musik, wären: Der Ton macht die Musik und der Rhythmus. Ton und Rhythmus stammen als Werkschöpfung vom Komponisten, die Ausnahmefälle der nicht im Notensystem gefassten und gegliederten System bleiben hier ebenso außer Betracht wie das notengraphische Einholen von Volksmusik, wir denken hier sofort vor allem an einen ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Wenn also Musik mehr ist als Rhythmus und Ton, so ist Musik schwerpunktmäßig ganz entscheidend eben dieses. Erkennbar sind Rhythmus und Ton vor jeder Aufführung anhand des in Takten gegliederten Notensystems. Diese machen – vor jeder Aufführung – das Musikwerk aus, geschaffen durch seinen Schöpfer, den Komponisten als Urheber. Wenn mithin im nachfolgenden unter Ziff. 2 die Musikinterpretation der Gesetzesinterpretation gegenübergestellt und erörtert wird, im Rahmen der Musikinterpretation sich Darlegungen allein zu den von Dirigenten verwirklichten Möglichkeiten unterschiedlicher Aufführungspraxis finden, welche zu dem Stichwort historisierende Werkauffassung gegen romantisierende Werkauffassung höchst bekannte Kontroversen bilden und Gegenstand beinahe jeder Musikkritik sind, muss klar sein, dass die Bedeutung der Dirigenten und sonstiger Interpreten gegenüber dem Werk und seinem Schöpfer zweitrangig ist. /.. - 13 - 1.2 Die Beschreibung des Gesetzes als Gegenstand und Gesetzesrecht als Gegenstand in Gegenüberstellung zur Musik Das Gesetz stellt den die Schwierigkeit der Rechtsanwendung ausmachenden Gegenstand dar. Allerdings dürfte das Gesetz in weniger als der Hälfte aller Rechtsstreitigkeiten den alleinigen Bezugspunkt der rechtlichen Überlegungen bilden. Denn der Abstraktionsgrad grundlegender Gesetze wie beispielsweise des Bürgerlichen Gesetzbuches, aber auch des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ist regelmäßig hoch, so dass es häufig im Streitfall nicht – allein – um die richtige Anwendung des Gesetzes, sondern um das richtige Verständnis der auf mittlerer Abstraktionshöhe zwischen Norm und Sachverhalt angesiedelten Dogmatik, allzumeist in Gestalt von Judizien der Rechtsprechung geht. Recht existiert also in ganz erheblichem Maße in dieser vorhandenen Ausdifferenzierung, welche vor allem von den Gerichten her stammt. Gerade in der Gegenüberstellung zum Gegenstand "Musik" ist diese rechtliche Dogmatik ebenso Teil des Rechts, wie das Gesetz selbst, geht man allein von der Sichtweise aus, was als Anknüpfungspunkt in rechtlicher Hinsicht für die Falllösung in Betracht kommt. 1.2.1 Das Gesetz Rechtsgeschäft in Abgrenzung zum Stellt man das Gesetz der Musik als Gegenstand der Auslegung gegenüber, taucht als erstes die Frage auf, aus welchen Gründen eine Beschränkung auf diesen Gegenstand erfolgt mithin, weshalb die Gegenüberstellung nicht unter der Überschrift Musik- und Rechtsauslegung erörtert wird. Nachdem man im Bereich des Rechts zwischen Gesetzesund Rechtsgeschäftsauslegung unterscheidet, ist also die Ausklammerung der Rechtsgeschäftsauslegung zu rechtfertigen. Dies bedingt es zunächst, dem Gegenstand des Rechtsgeschäfts und der Auslegung dort nachzugehen. Erscheinungsformen schlechthin des von einzelnen Umständen losgelösten Gedankengebildes "Rechtsgeschäft" – eine Besonderheit der deutschen Rechtsordnung (andere /.. - 14 Rechtsordnungen kennen die Abstraktion "Rechtsgeschäft" nicht) – sind Willenserklärung und Vertrag. Die Auslegung von Willenserklärungen als im Alltag zu lösende Fragestellung ergibt sich bei Gestaltungserklärungen (z.B. Kündigungen) und bei Erklärungen des letzten Willens (also vor allem bei Testamenten). Während Auslegungsfragen insoweit in der Tat einen Gegensatz zur Gesetzesauslegung deshalb aufweisen, weil die der Erklärung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände – ohne konkrete tatsächliche Umstände kommen die Gesetzeswortlaute aus – für die Auslegung maßgeblich oder zumindest mitbestimmend sind, lässt sich die Auslegung von Verträgen nur gedanklich der Gesetzesauslegung gegenüberstellen. Gedanklich ist der Gegensatz zwischen Vertrag und Gesetz deshalb, weil die Begründung des Gegensatzes zwischen Vertrag und Gesetz und damit die Begründung des Vertrags – das freie Aushandeln von Inhalten nebst Einigung auf das übereinstimmend gewollte – so selten ist, wie Vertragsschlüsse des geneigten Lesers auf Flohmärkten und im Zuge des Kaufs von gebrauchten PKWs. Will heißen: Geht es heute um den Inhalt von Verträgen, sind beinahe ausschließlich maßgebend die zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Diese ähneln allerdings in ihrem Aufbau, ihrer Struktur einem Gesetz sehr. Darüber hinaus kommen konkrete tatsächliche, nur durch diesen Fall bedingte Umstände bei AGB nicht vor und schließlich ist allgemein anerkannt, dass die zur Konkretisierung von Gesetzen bekannten Auslegungsregeln mit Ausnahme der historischen Auslegung auch bei der Auslegung von AGB zur Anwendung kommen (vgl. hierzu meine Ausführungen in GRUR 2003, 114, 116 Fn 14 sowie www.agbrecht-bernreuther.de, Ziffer 4). Damit ist als Frage lediglich noch offen, weshalb bei der Gegenüberstellung von Musik- und Gesetzesinterpretation lediglich das Gesetz, nicht aber das Rechtsgeschäft und zwar in seinen Erscheinungsformen der einzelnen, empfangsbedürftigen Willenserklärung (z.B. Kündigung) oder der nichtempfangsbedürftigen Willenserklärung (letztwillige Verfügung, insbesondere Testament) als Gegenstand in Betracht kommt, ferner, ob das Fehlen der historischen Auslegung es rechtfertigt, die Auslegung von AGB als Hauptform der Vertragsauslegung der Vergleichbarkeit mit der Gesetzesauslegung genügen zu lassen mit der Folge einer Nichterwähnung der Vertragsauslegung in Gegenüberstellung zur Musikauslegung. /.. - 15 - Die Rechtsgeschäftauslegung in den Erscheinungsformen der einzelnen, empfangsbedürftigen oder nichtempfangsbedürftigen Willenserklärung eignet nach meinem Dafürhalten deshalb wenig, um in einer Gegenüberstellung zur Musikauslegung Erhellendes für den rechtlichen und den musikalischen Bereich zu ergeben, weil durch die konkreten tatsächlichen Umstände die Besonderheit des Falles ein Gewicht hat, welchem die Entsprechung bei der Interpretation eines Musikwerkes entbehrt. Ferner: Die Unbeachtlichkeit der historischen Auslegung bei AGB ist der Grund dafür, dass die Auslegung von AGB nicht in Gegenüberstellung zur Musikauslegung Erhellendes für beide Bereiche zu leisten vermag, bedenkt man die Tatsache, dass der Streit um die zutreffende Aufführungspraxis in der Musik schlechthin durch den Gegensatz zwischen historischer und romantischer Auffassung, (wenn man diese unerträglich verkürzenden Schlagwörter benutzen will) geprägt ist. Relativierend kann hinzugefügt werden, dass auch die Rechtsgeschäftauslegung im Allgemeinen, also über AGB hinausgehend, das bekannte Auslegungsschema kennt, ohne – wegen der Bedeutung der tatsächlichen Umstände – hierauf beschränkt zu sein (vgl. hierzu meine Ausführungen in GRUR 2003, 114, 116 Fn 11). Wird letztlich eingewandt, es gebe auch eine Vertragsauslegung außerhalb der Auslegung von AGB gilt, dass insoweit die zur sonstigen Rechtsgeschäftauslegung vorgetragenen Gründe der Nichteignung einer Gegenüberstellung zur Gesetzesauslegung verfangen: Die Bedeutung der nur insoweit vorhandenen, maßgeblichen Einzelumstände machen eine Gegenüberstellung zu Musikauslegung ungeeignet. 1.2.2 Das Gesetz als solches Gesetze sind Sätze, die abstrakt– hypothetische Anordnungen enthalten, gerichtet an einen generellen Personenkreis und bezogen auf die Entfaltung von Außenwirkung, wobei die Besonderheit dieser Anordnungen im Gegensatz zur moralischen oder sozialen Regel in der Chance auf Durchsetzung mit staatlicher Gewalt liegt. Diese im herkömmlichen Rahmen sich bewegende /.. - 16 Festlegung des Inhalts und der Grenzen des Begriffs "Gesetz" bedarf ergänzender Feststellungen. Zum einen enthalten die ein Gesetz ausmachenden Sätze nicht ständig Bewertungen menschlichen Verhaltens, also nicht ständig abstrakt-hypothetische Anordnungen, sondern – in der Mehrzahl – die Festlegung von Voraussetzungen hierzu, auch und gerade mittels Begriffsbestimmungen und Beschreibung der tatsächlichen Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit der Regeln. Des Weiteren ist das wichtigste gesetzliche Werkzeug der Gegenwart, die Richtlinie, nicht an einen generellen Personenkreis gerichtet, sondern an den nationalen Gesetzgeber. Nachdem dieser Auftrag allerdings ein zeitlich begrenzter ist, die Richtlinie sodann als nationales Gesetz wirkt, wenn sie vom Gesetzgeber umgesetzt ist bzw. – dies war Gegenstand der Entscheidung des BGHs mit dem Stichwort "Testpreisangebot" im Hinblick auf die Richtlinie über die vergleichende Werbung, www.markenrecht-bernreuther.de Ziffer 4.1.2.1.1 – durch die Rechtsprechung im Rahmen einer Generalklausel unmittelbar angewandt wurde, ändert das Bezogensein einer Richtlinie auf den Gesetzgeber an der vorstehend wiedergegebenen Definition nichts. Dies gilt auch dann, wenn die Richtlinie weder umgesetzt noch von der Rechtsprechung unmittelbar über eine Generalklausel angewandt wurde: nach Überschreitung der Umsetzungsfrist kann sich der Einzelne auf die Richtlinie wie auf ein Gesetz sonst gegenüber dem Staat berufen. Interessant ist schließlich, dass manche Gesetze nur indirekt das Verhalten von Bürgern regeln, will heißen, Wirksamkeit lediglich in der Hinsicht entfalten, dass strengere Regeln in bestimmten Fällen, also insbesondere im Fall eines grenzüberschreitenden Warenverkehrs, für nicht anwendbar erklärt werden, so z.B. § 4 Abs. 2 TDG. In diesem Zusammenhang sind ferner die Regeln des EG-Vertrages und des Grundgesetzes zu sehen. 1.2.3 Die Dogmatik als Teil des Rechts Die Sätze der Dogmatik, also diejenigen Bestandteile, die angesiedelt auf einer Zwischenhöhe unterhalb des abstrakten Gesetzes und oberhalb des zu lösenden Falles eine Gesetzesanwendung häufig erst ermöglichen, teilen selbstredend mit dem Gesetz nicht dessen /.. - 17 Rang und Prädikat einer demokratischen Mehrheitsentscheidung. Sätze der Dogmatik stammen in der Regel von der Rechtssprechung und insoweit zumeist von den Bundesgerichten her, also nicht vom Parlament, darüber hinaus können sie von der Rechtssprechung geändert werden und schließlich sind auch die im Instanzenzug nachfolgenden Gerichte lediglich tatsächlich, also insoweit an diese Vorgaben gebunden, als jede Abweichung keine Gesetzesverletzung oder gar einen Gesetzesbruch bedeutet, wohl aber das Wagnis einer Urteilsaufhebung beinhaltet. Nimmt man allerdings die durch das Thema bedingte Gegenüberstellung Musikund Gesetzesauslegung, muss gesagt werden, dass der Gegenstand "Musik" zwar nahezu ausnahmslos die in Takten vorfindliche Notenniederschrift darstellt, welche sodann Bezugspunkt der Auslegung, der Musikinterpretation ist. Das Gesetz demgegenüber besitzt nicht dieselbe Alleinstellung als das, was Recht ausmacht. Wie dargetan hat die Dogmatik eine erhebliche Bedeutung für den Bereich, der als Recht zu verstehen ist. Nachdem aber gleichermaßen gesagt werden muss, dass die Dogmatik selbst allenfalls in systematischer Hinsicht Gegenstand von Bemühungen der Auslegung, Gegenstand der Bemühungen um die – weitere – Konkretisierung von Recht im Sinne von Interpretation ist, scheint es gerechtfertigt, in Gegenüberstellung zur Musikinterpretation diesen Bereich methodisch nicht weiter zu erörtern. 2. Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation Musikinterpretation, die Möglichkeit einer Aufführungspraxis, wurde in der jüngeren Vergangenheit beinahe ausschließlich anhand der in ein Gegensatzverhältnis gestellten Eigenschaftswörter "historisch" oder "authentisch" einerseits und "romantisch" andererseits erörtert. Die nachfolgenden Gedanken beziehen sich auf diese Gegenüberstellung als Grundlage. Dies gilt auch, um das Thema überschaubar zu gestalten, ein Ziel, dessen Erreichbarkeit durch diese Themenstellung noch nicht eingelöst ist eingedenk der immer noch vorhandenen Weite der notwendigen Gedanken insoweit. Bei der Gesetzesinterpretation werden das herkömmliche, ergänzte Methodenschema, also die Auslegungsregeln sowie die bekannten /.. - 18 Auslegungsziele erörtert, ergänzt durch Hinweise insbesondere zur richtlinienkonformen Auslegung als zusätzlich mögliches Auslegungsziel. Neuere Ansätze in der juristischen Methodendiskussion finden bereits aus Gründen der räumlichen Begrenzung nur kurze Erwähnung, dasselbe gilt für die Tatsache, dass inhaltliche Vorgaben des Gemeinschaftsrechts möglicherweise neue Rechtfertigungsgründe betreffend die Einordnung dieser Ergebnisse in das Rechtssystem und damit auch möglicherweise neue Wege im Bereich der Methode erforderlich machen. Ob sich die auf den ersten Blick einstellende Wahrnehmung bestätigt, wonach der stärkste Berührungspunkt zwischen Musikund Gesetzesinterpretation in der Gegenüberstellung zwischen historischer und romantisierender Werkauffassung einerseits und der subjektiven und der objektiven Theorie andererseits sich bestätigt, werden wir sehen. 2.1 Das Wie der Musikinterpretation Vereinfachend kann gesagt werden, dass zur Frage der Auffassung einer Musikwiedergabe von Musikwerken die historische und die romantische Werkauffassung einander gegenübergestellt werden. Mein erster Gegenstand ist somit die so genannte historische Werkauffassung. 2.1.1 Die historische Werkauffassung Als erstes wird kurz dargelegt, was unter historischer Werkauffassung bzw. historischer Aufführungspraxis zu verstehen ist, erwähnt wird sodann einer der Auslöser dieser Musikweisen, mein Belang ist es weiter, einen kurzen Hinweis auf die Verwirklichung der Tongebung in diesem Zusammenhang zu geben, sodann komme ich zu den mir bekannten Erwägungen für diese Musizierweise und letztlich frage ich, ob diese Erwägungen auf gute Gründe verweisen können. 2.1.1.1 Festlegung des Verständnisses "historische Werkauffassung" "Historische" Interpretation oder "historische" Werkauffassung bedeutet, ein Musikwerk klanglich entsprechend der Vorstellung seines Komponisten wiederzugeben. Nahm der Komponist als Werkschöpfer nach der Uraufführung Veränderungen vor, die nicht allein auf die Konzeption, sondern allein oder zusätzlich auf die /.. - 19 Aufführungspraxis bezogen waren, ist diese Veränderung für die Wiedergabe maßgebend. Wurde ein Werk im Zeitpunkt seiner Erstwiedergabe entgegen dem Willen seines Komponisten aufgeführt, kam es mithin zu einer bewussten oder unbewussten Nichtberücksichtigung des Willens des Komponisten, im zweiten Fall auch deshalb, weil dieser Wille etwa wegen des Todes des Komponisten im Zeitpunkt der Ur-, Erst- oder Wiederaufführung nicht – mehr – bekannt war, entscheidet weiterhin der Wille des Komponisten mit dem Inhalt, wie er rekonstruierbar ist bzw. war. Der "historischen" Interpretation oder "historischen" Werkauffassung liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Aufführungspraxis, die nicht vom Urheber stammt oder legitimiert ist, eine nicht "authentische", nicht wahrheitsgetreue, sondern verfälschende ist. Dem Werk selbst wird kein eigener, vom Komponisten losgelöster Gehalt nach Werkvollendung zuerkannt. Jedes andere Werkverständnis stammt allein vom Interpreten her und ist somit illegitim wie die Fälschung gegenüber dem Original. 2.1.1.2 Einer der Anlässe für die historische Aufführungspraxis Einer der Anlässe für die historische Aufführungspraxis war die Feststellung eines ihrer heute renommiertesten Vertreter, dass die Wiedergabe des zur Aufführung anstehenden Barockwerkes geändert werden müsse, wolle man zu klanglich befriedigenden Ergebnissen gelangen. Folge der sodann gefundenen historischen oder authentischen Aufführungspraxis war es, dass das betroffene Barockwerk in einer zuvor nicht erzielten Klangdurchsichtigkeit, Stimmenklarheit und Nachverfolgbarkeit der instrumentalen, stimmlichen und musikalischen Linien erklang. 2.1.1.3 Technische Vorgehensweisen zur Erzielung eines authentischen Klangbildes Was Violinen anbelangt, so werden diese mitunter, also nicht von sämtlichen Vertretern der historischen Aufführungspraxis, entsprechend den technischen Voraussetzungen der Werkentstehungszeit ohne Kinnhalter gespielt. Dies führte dazu, dass bei größerer Entfernung zum Zwecke der Beibehaltung der Stabilität des Instrumentes die Griffhand nicht ohne Zwischenhalt /.. - 20 zur anderen Position gelangen kann, da anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Violine herunterfällt. Was Celli anbelangt, so werden diese mitunter, also nicht von sämtlichen Vertretern der historischen Aufführungspraxis, entsprechend den technischen Voraussetzungen der Werkentstehungszeit, ohne Teleskopstab, mithin lediglich durch Kniedruck gehalten. Was Tasteninstrumente anbelangt, so wird das wohltemperierte Klavier auf Klavieren gespielt, denen mehrere Generationen veränderte und verbesserte Instrumente nachfolgen. Orgeln werden lediglich als mechanische akzeptiert, auch wenn der Tastenweg erheblich ist und somit das Wort "toccata" mitunter nur im wahrsten Sinne des Wortes eingelöst werden kann. Holzblasinstrumente aus der Zeit der Entstehung des betreffenden Werkes haben mitunter nicht dasselbe Volumen, die Mechanik klappert nicht unerheblich, will heißen, ist manchmal auch in der letzten Reihe deutlich vernehmbar. Diese Schilderung ist nicht abschließend. Was die Tonerzeugung selbst anbelangt, so ist zwischen Instrumental- und Vokalmusik zu unterscheiden. Bei Streichern wird der Ton häufig angespielt und zwar in der Weise, dass von einem kräftigen Ton in ein Ausklingen übergegangen wird, das ganze geschieht ohne Vibratos (ich habe allerdings schon beobachtet, dass Musiker, wenn sie von der Schönheit der Passage menschlich besonders berührt waren, mit der linken Hand das Tremolo bewirkten und beinahe erschrocken innehielten, als sie sich ihres tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlgriffs bewusst wurden), auch der Umkehrfall ist möglich, nämlich das vibratolose, leise Anspielen des Tons nebst Steigerung der Lautstärke. Bei Blasinstrumenten schwingt insbesondere bei den Holzbläsern gleichfalls der Ton nicht gleich bleibend, sondern in einem unmittelbaren Nachlassen nach dem Tonbeginn aus, dieselbe Erscheinung vermag ich bei den Blechbläsern nicht zu erkennen, hier ist lediglich der Ton spröder, als Beispiel wähle ich die Trompete. In Rezitativen wird von den Instrumenten der Ton nicht gehalten, dies betrifft sowohl Streicher, Bläser und in erster Linie das zum Einsatz kommende Positiv. /.. - 21 - Was den Gesang anbelangt, so wird weder beim Solo- noch beim Chorgesang das Ansingen eines Tones in der Weise gepflegt, wie dies bei den Streichern eingängig ist. Gleichwohl ist die Tongebung schlanker. Ensembles musizieren in kleinerer Besetzung. Die Alt-Stimme wird durch Counter-Tenöre gesungen, je strenger die historische Aufführungspraxis gepflegt wird, desto häufiger sind Counter-Tenöre anzutreffen; diese Vorstellung auch in Chören zu verwirklichen, scheitert möglicherweise zumeist an der Zahl solcherart vorhandener Sänger. Erstaunlicherweise verzichten viele Orchester oder Chöre der Alten Musik nicht auf den Dirigenten, obschon es zur Zeit des Barocks diese nicht gab; Bach leitete seine Orchesterwerke von der Bratsche oder von dem Cembalo aus. Das Dirigieren entstand zu Zeiten des Titans der deutschen Klassik, es ist mithin zumeist mit der in einen Gegensatz gestellten romantischen Werkauffassung verknüpft. 2.1.1.4 Gedankliche Voraussetzungen historisierende Aufführungspraxis für die Die historisierende Aufführungspraxis kommt ohne Befassung mit den in der Werkentstehungszeit gepflegten Wiedergabevoraussetzungen nicht aus. Ob dieserhalb Dirigenten und Mitglieder von Ensembles der Alten Musik musikgeschichtlich und musiktheoretisch einen größeren Kenntnisstand als ihre Kollegen der so genannten romantisierenden Werkauffassung besitzen, ist für mich mangels Kenntnis von Ergebnissen einschlägiger Forschungsarbeiten Spekulation. 2.1.1.5 Die Gründe für die historisierende Werkauffassung im Allgemeinen und im Besonderen Allgemein gilt, dass die historisierende Werkauffassung häufig zugleich als authentische Musikweise bezeichnet wird. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Aufführungsmöglichkeiten, die nicht vom Komponisten als Urheber, als auctor, in dem betreffenden Musikwerk verankert sind, dort ihren Ursprung und ihre Verankerung nicht haben können, so dass nichthistorische Aufführungsweisen keine Berechtigung besitzen. /.. - 22 - Insbesondere aus der Veränderung der Besetzungen von Werken der Barockzeit (etwa eine völlig übertriebene Besetzung der Feuerwerksmusik) wird die Notwendigkeit zur historischen Aufführungspraxis zurückzukehren, als allgemeines Anliegen gefolgert. Die historische Werkauffassung ermöglicht – so ihre Vertreter – erstmals Durchsichtigkeit und Klarheit, die das betreffende Werk in romantischer Interpretation entbehrte. Rigoristisch gesprochen stehen sich die historische und die romantische Werkauffassung gegenüber wie Original und Fälschung. Hinsichtlich der vorstehend unter Ziff. 2.1.1.3 beschriebenen instrumentalen, also konkreten Musikweisen ist maßgebend erneut der Gedanke, dass eine andere Tonerzeugung als die mittels seinerzeit verwendeten Instrumente, keine Rechtfertigung durch den Urheber besitzt. Theoretische Ausführungen oder zumindest Anweisungen seitens der Urheber in dieser Hinsicht fehlen allerdings zumeist. So ist gerade Bach ein Vorzeigebeispiel dafür, dass interpretatorische Anweisungen einfachster Art, also bereits betreffend den Vortrag als laut, leise, crescendo oder diminuendo, ritardando oder accelerando ja sogar Registrieranweisungen betreffend das Orgelspiel, fehlen, so dass es nur folgerichtig ist, wenn bei einem solchen Komponisten darüber hinausgehend zusätzliche Hinweise zur Spielweise von Instrumenten ausbleiben. Beachtet werden muss, dass die erwähnten Hinweise zur Spielweise von Instrumenten ohnehin nur allgemeine Fragen betreffen können. Der Ansatz einer Querflöte beispielsweise ist alleinige Sache des Flötisten oder der Flötistin, jede andere Anweisung griffe in die Musikalität des Musizierenden selbst ein und führte lediglich zum Beweis der Abwesenheit von Kunstverständnis in der Person des Anweisenden. Hinsichtlich der vorstehend unter Ziff. 2.1.1.3 beschriebenen gesanglichen und damit konkreten Musizierweise müsste zusätzlich ins Feld geführt werden, dass die Auffassung vertreten wurde, die Ersetzung der Altistin durch den Counter-Tenor sei notwendig, um dem Auftritt eine allzu starke sexuelle Ausstrahlung zu nehmen. Auch wenn dies in der Barockzeit ein Grund dafür war, entsprechend zu verfahren, wird dieser Grund heute zumindest selten als Rechtfertigungsgrund genannt oder gar anerkannt. 2.1.1.6 Zusammenfassung von Ziff. 2.1.1.1 bis /.. - 23 2.1.1.5 Historische Aufführungspraxis bedeutet, ein Musikwerk klanglich entsprechend den Vorstellungen seines Komponisten wiederzugeben. Jede anderweitige Musikwiedergabe verhält sich zum historisierend musizierten Werk wie die Fälschung gegenüber dem Original. Ein konkreter Anlass für die Entwicklung dieser Musizierweise war die fehlende klangliche Wirkung eines Barockwerks oder mehrerer dieser opera insbesondere aufgrund fehlender Transparenz nebst fehlender perspektivischer Wahrnehmbarkeit der Stimmen. Die technischen Vorgehensweisen beim Spielen auf historischen Instrumenten nebst Einlösung des historischen Klangbildes sind so erheblich, dass eigene Studiengänge an den Musikhochschulen und Konservatorien zu dem Behufe der Erlernbarkeit dieser Praxis angeboten werden. Am deutlichsten wird dies bereits bei den Streichern: Bogenund Griffhaltung (ohne Vibrato) unterscheiden sich von der so genannten romantisierenden Aufführungspraxis, mitunter fehlen sogar Kinnhalter (Geige; Bratsche) oder Teleskopstab (Cello); klanglich gilt, dass der Ton schmäler ist, auf ein Anfangsbetonen folgt ein rascher Abfall in der ersten Phase des Ausklingens hinsichtlich Lautstärke und Intensität (möglich ist auch der Umkehrfall), vornehmlich in Rezitativen fehlt ein Aushalten des Tones bei den Instrumenten völlig. Das Pianoforte, im Barock gerade als Instrument entwickelt, wird in dieser Frühausfertigung genutzt. Die Klaviatur ist mithin noch so, dass das "Hammerklavier" seinem Namen alle Ehre macht, es werden nicht zwei oder gar drei Saiten angeschlagen, obschon das Anreißen mehrerer Saiten zur Hervorbringung eines farbigeren, schwingenden Tones im Cembalo durchaus schon damals verwirklicht war. Die technische Vorgehensweise beim Singen ist nur in Teilen ähnlich dem Hervorbringen von Instrumentalmusik. Das Ansingen des Tons mit einem Ausklingenlassen nach anfänglich stärkerer, nicht linearer Rücknahme hinsichtlich Lautstärke und Intensität habe ich weder beim Sologesang noch in Chorkonzerten wahrgenommen. Gleichwohl ist die Tongebung der Sänger häufig schlanker, auf zu vieles gesangliche Vibrato oder gar Tremolo kann ich – ohne dass es hierauf im Rahmen dieser allgemeinen Ausführungen ankäme – ohnehin verzichten. /.. - 24 - Erstaunlicherweise verfügen die Ensembles der Alten Musik nicht selten über Dirigenten. Rechtfertigungsgrund für die historisierende Aufführungspraxis ist die Vorstellung, dass in einem Musikwerk nicht mehr an Inhalt vorhanden sein kann, als durch den Komponisten dort vermittelt ist. Einen zweiten Rechtfertigungsgrund stellt dar, dass nur auf diese Weise Tontransparenz und klangliche Perspektive erreichbar ist. 2.1.2 Die romantisierende Werkauffassung Musiktheoretiker oder zumindest die, die sich mit ihrem Sprachgebrauch im Feld des Nachdenkens über Musik durchsetzen können, besitzen die erstaunenswürdige Gabe, durch die Verwendung zweifelhafter Begriffe den Gegenstand ihrer Überlegungen nicht immer treffend zu kennzeichnen. Gemeint ist als Vorzeigebeispiel der Begriff "Parodie", mit dem ausgedrückt werden soll, dass ein Komponist einen Satz oder den sonstigen Teil seines Musikwerks erneut in anderem Zusammenhang verwendet. So ist es im Rund der kompetenten und der sich diesem Eigenschaftswort annähernden Kritiker durchaus bekannt, dass Bach beispielsweise einige sehr wenige Teile seiner weltlichen Kantaten nahtlos und damit ohne jeglichen musikalischen, systematischen oder sonstigen Bruch im Weihnachtsoratorium oder sogar in der h-moll Messe wieder verwendete. In Abwandlung eines in der Jurisprudenz bekannten Satzes lässt sich insoweit füglich, aber auch zu dem in Gegenüberstellung verwendeten Wörtern "historisierende oder romantisierende Werkauffassung" sagen: "communis error facit linguam". Will heißen: Weshalb die Auffassung, ein Werk sei entsprechend seiner heutigen Aussage wiederzugeben, als romantisierende Werkauffassung bezeichnet wird, erschließt sich nicht nur vom Inhalt dieser Begriffe her nicht, sondern gibt der Werkinterpretation vor dem gegenwärtigen zeitlichen Horizont eine Färbung, die nicht ganz an die Bezeichnung "Parodie" zur Kennzeichnung der Wiederverwendung von Kompositionsteilen heranreicht, allerdings schon schlimm genug ist. 2.1.2.1 Festlegung des Verständnisses von /.. - 25 "romantisierende Werkauffassung" Romantisierende Werkinterpretation bezeichnet ein Musikverständnis, welches das Werk vor dem heutigen zeitlichen Zusammenhang unter Einbeziehung der Tradition und des auf die Zukunft gerichteten musikalischen Gehaltes entfaltet. 2.1.2.2 Anlässe für Werkauffassung die romantisierende Der Anlass, ein Werk vor dem Zusammenhang der Geschichte, des Heute und seiner auf die Zukunft gerichteten Dynamik zu interpretieren, ist keine Besonderheit, sondern die Wahrnehmung der in dem Werk vorhandenen musikalischen Möglichkeit und deren Verwirklichung in einem mit dem Heute stehenden harmonischen Zusammenhang. Und trotz dieser lediglich aus allgemeinen Erwägungen ableitbaren Gedanken lässt sich ein konkretes Beispiel nennen. Der ehemalige erste Leiter des Sinfonieorchesters des in einer süddeutschen Metropole ansässigen Rundfunks erregte zusätzliches Aufsehen nicht nur durch die Tatsache einer außerordentlichen Frühbegabung als Geiger, sondern auch als Schöpfer und damit als Urheber von Musikwerken. In dieser zuletzt genannten Eigenschaft – so sein Bericht – legte er ein selbst gefertigtes Werk dem Orchester mit der Maßgabe vor, dieses so aufzuführen, wie es niedergeschrieben ist. Einer Interpretation oder sonstiger vorausgehender Aufführungshinweise bedürfe es nicht. Beim Musizieren dieses Werkes erkannte der dirigierende Urheber die Notwendigkeit, sich selbst interpretieren zu müssen. Die Aufführung des eigenen Werkes bedurfte der schöpferischen Auseinandersetzung vor allem zwischen Werk und Dirigenten – als dessen Werkschöpfer. 2.1.2.3 Technische Vorgehensweisen zur Erzielung eines "romantisierenden" Klangbildes Was die Instrumentalmusik anbelangt, so werden zunächst diejenigen Instrumente verwendet, die im Wesentlichen heutigem technischen Standard entsprechen. So zählt es zum Bestand des Alltagswissens, dass Instrumente ganz bestimmter Instrumentenmacher begehrte Objekte des Musizierens sind unabhängig davon, wie alt diese Instrumente sind, sofern sie sich nicht lediglich zur Erzeugung eines historischen Klangbildes eignen. Als Vorzeigebeispiel gelten Violinen eines /.. - 26 bestimmten italienischen Geigenbauers. Holzblasinstrumente fallen nicht durch Weckgeräusche für die geistig abwesenden Konzertbesucher bis in die hinterste Reihe auf, bei Klavieren wird der heutige technische Standard (Mechanik; zwei Saiten in den Basstönen, drei Saiten in den Mittel- und Obertönen), im Klavierbau genutzt. Was die Tonerzeugung selbst anbelangt, so werden hinsichtlich Dauer sowie Art und Weise zwischen der Vokal- und Instrumentalmusik keine solchen Unterschiede offenbar, wie im Bereich der historisierenden Werkauffassung. Will heißen, gegen eine volle Klangentfaltung stimmlicher wie instrumenteller Art bestehen im Rahmen dieser Aufführungspraxis keine Vorbehalte. Danach dürfen Töne auch sättigen, sie sind nicht lediglich entschlackte Gesundheitskost zum Zweck der inneren Reinigung und Enthaltsamkeit. Diese Werkauffassung bedeutet nicht, einen Verzicht zu üben hinsichtlich eines ins Nichts führenden Diminuendos. Sie bedeutet nicht, die Forderung aufzugeben, wonach eine Sinfonie so durchsichtig und klar vor allem bei mehrfacher Stimmführung zu musizieren ist, wie ein Quartett. Diese Forderung stellte so im Übrigen der soeben zu Ziff. 2.1.2.2 erwähnte Künstler, bekannt geworden als violinistische Frühbegabung, Dirigent und Komponist, auf. Will heißen, Töne werden – dies betrifft vor allem die Streicher - nicht lediglich angespielt, mit einem starken Rückgang der Intensität des Klanges nach Erzeugung, Ziel ist vielmehr die Entfaltung eines rundes Tones (oder umgekehrt). Dass hierbei auch ein sich positionierendes Gehabe insbesondere bei Vokalsolisten und dort insbesondere in der Oper entfaltet wird, lässt sich nicht leugnen. Dass dies mehr ist als die Folge subjektiver Befindlichkeit der Interpreten, sondern Ergebnis einer "romantisierenden" Werkauffassung, wird von mir bestritten. Solistische Vibratos oder gar Tremolos stärkeren Grades, sich überschlagende Chöre, deren Sänger vornehmlich von sich selbst bewegt sind oder deren Homogenität aus der Tatsache des sich Zusammenfindens von solistisch geprägten oder gar ausgebildeten Einzelstimmen folgt, sind deshalb nicht Resultat einer romantisierenden Werkauffassung, weil auch schlanke Tongebung, Durchsichtigkeit des Klangs, Nachverfolgbarkeit der Linienführung der Stimmlagen, perspektivische Klangwiedergabe als Gegensatz zum Tonbrei, verwirklicht werden kann und verwirklicht sind von /.. - 27 Chören, die dem sogenannten romantisierenden Klangideal anhängen. Homogenität, Transparenz und Klarheit lässt sich also auch verwirklichen mit Chören in großer stimmlicher Besetzung, nicht zwingend notwendig sind verdoppelte Quartette oder Oktette. Das Ideal eines schlanken Tones bedeutet nicht, auf Bewegung innerhalb des Tons selbst zu verzichten. Dies gilt vornehmlich für Streicher, wo der von der historischen Auflösungspraxis bevorzugte statische Ton in auffallendem Gegensatz zum Ton mit Tremolo der romantisierenden Musikweise steht. 2.1.2.4 Gedankliche Voraussetzungen für romantisierende Aufführungspraxis die Dirigenten und Ensemblemitglieder müssen sich mit dem zu musizierenden Werk weder musikgeschichtlich oder musiktheoretisch befassen, um zu dem nach jener Auffassung zutreffenden Klangideal zu gelangen. Dies heißt aber nicht, dass bei entsprechender Befassung die romantisierende Werkauffassung ausgeschlossen wäre, das Gegenteil ist vielmehr der Fall, bedenkt man beispielsweise, dass der Vorgänger des derzeitigen leitenden Dirigenten der Philharmoniker der deutschen Hauptstadt sich ausgiebig mit den musiktheoretischen Veröffentlichungen eines Werks befasste, bevor er zur Aufführung dieses Werkes schritt. Und dies, ohne jemals in den Verdacht zu geraten, musica antiqua zu betreiben. Auch ist beachtlich, dass der wohl bekannteste lebende Musikkritiker, ansässig in einer süddeutschen Metropole und schreibend für eine dort erscheinende, bundesweit vertriebene beachtliche Zeitung, eine Professur für Musikgeschichte in der schwäbischen Metropole innehat, was allerdings nicht dazu führt, dass dieser Kritiker Anhänger der historisierenden Werkaufführungspraxis ist (er ist derlei "Exerzitien" abhold). Aus diesen Beispielen erhellt, dass die Beschäftigung mit der Historie eines Musikwerks nicht notwendig zur historisierenden Aufführungspraxis führt. 2.1.2.5 Die Gründe für Werkauffassung die romantisierende Die so genannte romantisierende Werkauffassung sieht es als gerechtfertigt an, ein Werk vor dem Hintergrund des Heute und Hier zu interpretieren. /.. - 28 Dies deshalb, weil im Musikwerk – und darüber hinaus jedes Kunstwerk – eine eigene Wirklichkeit entfaltet wird, sobald es aus der Hand seines Schöpfers entlassen ist (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 2003, 846, 867 Fn 117. "Nicht verfehlt ist demgegenüber der Satz, dass das Gesetz klüger ist als der Gesetzgeber […..]. Ist das Gesetz aus der Hand des Gesetzgebers entlassen, entfaltet es insoweit eine eigene Wirksamkeit, als die Zwecksetzung sich ändern, vervollständigen kann, so dass Fälle regelbar werden, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat. Die vor allem im Kunstwerk sich offenbarende Übersteigerung der Endlichkeit des menschlichen Schöpfers wird aber erneut nicht durch das Gesetz oder augenfälliger durch das Kunstwerk geleistet, sondern durch die Vorstellungsund Wahrnehmungskraft der Menschen in ihrem Rückbezug und Austausch auf Gott und die Welt" [s.u. Ziff. 2.2.3.1.1.4], ferner meine Ausführungen in WRP 2003, 846, 851 Fn 19 nebst Hinweis auf die Bibel [der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig], s.u. Ziff. 2.2.3.1.1.4). Dies wird auch durch die Tatsache bewiesen, dass selbst der Komponist nunmehr gestaltend mit seinem Werk umgeht und umzugehen hat, auf meine Ausführungen oben zu Ziff. 2.1.2.2 darf ich verweisen. 2.1.2.6 Zusammenfassung von Ziff. 2.1.2.1 bis 2.1.2.5 Das Anliegen, ein Werk entsprechend seiner Aussage vor dem Heute und Hier wiederzugeben, wird nur sehr unvollkommen durch das Wort "romantisierend" gekennzeichnet. Diese Werkauffassung bezweckt es also, Musik vor dem heutigen zeitlichen Zusammenhang unter Einbeziehung der Tradition und des auf die Zukunft gerichteten musikalischen Gehalts wiederzugeben. Der Anlass für dieses Anliegen liegt darin, dass anderenfalls ein Sichverabschieden von dieser Welt, in der wir leben, vorliegt. Was die technische Vorgehensweise anbelangt, so werden im Wesentlichen die Instrumente verwendet, welche dem heutigen technischen Standard entsprechen. Insbesondere im Hinblick auf Geigen bedeutet dies, dass dieser Standard sich seit einem bestimmten italienischen Geigenbauer – um ein bekanntes Beispiel zu nennen – nicht wesentlich weiterentwickelt hat. Kinnhalter und Teleskopstangen sind keine Tabus, bei Orgeln geht man davon aus, dass eine /.. - 29 Verknüpfung von Mechanik und elektronischer Tonauslösung die Orgelpfeifen am besten und schönsten zum Klingen bringt. Was die Tonentfaltung selbst anbelangt, so geht es um den runden vollen Ton, erzeugt bei den Streichern mit Tremolo. Dies bedeutet aber nicht zugleich, dass Vertreter der romantisierenden Werkauffassung die Forderung nach Durchsichtigkeit und Klarheit auch bei großer Orchestrierung, bei mit vielen Sängern besetzten Chören aufgegeben haben, vom Gegenteil darf insbesondere im Hinblick auf einen den besten Chöre, in Franken ansässig, ausgegangen werden. Tonbrei ist auch hier die verachtete Kost. 2.1.3 Gegenüberstellung der historisierenden und der romantisierenden Werkauffassung Die Missverständnisse, die vor Auftauchen der musica antiqua auch als Grundlage der Werkinterpretation von Meistern des Barock und der Klassik (wobei für mich Bach – in Übertragung einer Kennzeichnung zu dem Jahrtausendphilosophen aus Königsberg – Vollender und Überwinder des Barocks ist) dienten, rechtfertigen nicht die Abschaffung eines Kunstverständnisses aus dem Heute und Hier das Wort zu reden. Die Forderung nach so genannten "Authentizität" erlaubt es nicht nur nicht, sondern geht sogar mit der Ungeeignetheit einher, "historisch" losgelöst vom Heute und Hier zu erfassen. Will heißen: es gibt keine Vorstellung von dem, was historisch ist, welche nicht zugleich durch das heutige Bewusstsein bestimmt ist. Geschichte ist immer die Erarbeitung bislang unbekannter Tatsachen und deren Einfügung in einen als historisch betrachteten Zusammenhang. Und Geschichte ist darüber hinaus die Wahrnehmung von wahren und unwahren Geschichten über Geschichte. Kurz: - Gegen die Auffassung einer Interpretation in Entsprechung oder gar auf dieselbe Weise, wie sie vom Komponisten zur Zeit der Werkschöpfung durch ihn gewollt war, spricht die Möglichkeit, solches objektiv erkennen zu können. Es gibt keine Musikaufnahme der Uraufführung der Feuerwerksmusik oder der Eroika, es gibt keine musiktheoretische /.. - 30 Beschreibung der richtigen Aufführungspraxis ungeachtet der Schwierigkeit, dass über Musik trefflich reden auch bedeuten kann, den Ton zu verfehlen. - Gegen die Auffassung einer Interpretation in der Weise, wie sie vom Komponisten zur Zeit der Werkschöpfung durch ihn gewollt war, spricht die Möglichkeit des Vorhandenseins eines entsprechenden Erkenntnissubjekts. Wir leben nicht in der Zeit von Bach, haben andere Wahrnehmungen im Hinblick auf Gott und die Welt. Wir tragen keine Perücke, wir waten nicht durch Dreck zur Kirche oder zum Konzertsaal, wir fahren nicht in einer Kutsche und pudern uns nicht pausenlos bei Nichtbenutzung von Bad oder Toilette. Gleichwohl beweist die Gegenwart insbesondere der Musik von Bach, wie sehr wir uns dieser Musik nähern können, bei Unterschiedlichkeit des Erkenntnissubjektes. - Gegen die Auffassung einer Interpretation in Entsprechung der Deutung des Komponisten im Zeitpunkt der Werkschöpfung sprechen die Absichten des Komponisten, es sei denn, dieser hatte ausdrücklich verboten, von seiner interpretatorischen Vorgabe abzuweichen; es sei denn ferner, dieser verbot, die Fortentwicklung der Technik bei dem für das Werk vorgesehenen Instrumenten zu nutzen. In beiden Fällen steht hiergegen allerdings, dass Bach als Anfang und Ende und Ende und Anfang aller Musik nicht nur äußerst sparsam sogar mit Anmerkungen zur Musizierweise – die noch nicht die Aufführungspraxis selbst beinhaltet – umging (dies führte bei Bach sogar soweit, dass Registrierungsvorgaben für Orgelwerke fehlen); Bach war im Gegenteil technischen Neuerungen, verwirklicht auch nach der Schöpfung vieler seiner Werke, höchst aufgeschlossen, das Wohltemperierte Klavier ist das bekannteste Beispiel der Reaktion auf ein solches Geschehen. Mehr noch, Bach selbst wartete mit Vorschlägen zu technischen Neuerungen auf, die Orgel, die so genannte Bach-Trompete, die Laute, aber auch das Cello, sind hierfür nicht abschließend genannte Beispiele. Von daher ist es nicht gerechtfertigt, die historisierende Werkauffassung mit der Erwägung zu rechtfertigen, mehr als der Komponist bei Schöpfung seines Werks gewollt hatte, könne im Werk interpretatorisch nicht angelegt sein. Mit dieser Haltung wäre man nicht nur klüger als das Werk, sondern /.. - 31 zusätzlich klüger als der Komponist, was die Rechtfertigung der historisierenden Werkauffassung aus dem Willen des Werkschöpfers zuwiderliefe. Das Wollen der historisierenden Aufführungspraxis durch den Komponisten ist häufig nichts anderes als eine Unterstellung. - Gegen die Auffassung einer Interpretation in Entsprechung der Deutung des Komponisten im Zeitpunkt der Werkschöpfung spricht das Werk selbst. Um ein Beispiel zu geben: wie oft schon sind wir mit eigenen Aussagen durch die sich ständig wandelnde Wirklichkeit widerlegt worden, wobei mitunter allerdings die unveränderte Aussage mit einem gänzlich anderen Gehalt bestehen blieb. Es ist einfach, den Satz, wonach insbesondere ein Kunstwerk nach Vollendung eine eigene Dynamik entwickelt, als Hokuspokus abzutun, ich selbst war vor etwa 30 Jahren nahe dieser Meinung. Und doch ist die Wirklichkeit eines Kunstwerks so, dass es dynamisch wirkt. - Gegen die Auffassung einer Interpretation in Entsprechung der Deutung des Komponisten im Zeitpunkt der Werkschöpfung spricht der Zeitablauf selbst und damit die Geschichte des Menschen in anthropologischer Hinsicht. - Gegen die Auffassung einer Interpretation in Entsprechung der Deutung des Komponisten im Zeitpunkt der Werkschöpfung spricht die Tatsache, dass Komponisten – ebenso wie Schriftsteller oder wissenschaftlich tätige Personen – Teile ihres Werkes ganz unterschiedlich wiederholt verwendet und eingesetzt haben, so dass es dieses eine Klangideal zu dem betreffenden Notenteil überhaupt nicht gibt. 2.2 Das Wie der Gesetzesinterpretation 2.2.1 Der Gegenstand Gesetzesinterpretation des Wies der Die Frage, auf welchem Weg man zur Falllösung auf der Grundlage des Gesetzes gelangt, mithin welche – im Gegensatz zur Musik ausschließlichen gedanklichen Mittel erforderlich sind, um zur richtigen Entscheidung zu gelangen bzw. eine solche zu unterstützen, stellt sich für den an Fragen der Methode interessierten Juristen. /.. - 32 - An Methodenfragen sind allerdings nur wenige Juristen interessiert, so dass möglicherweise der starke Gegensatz zur Musikinterpretation in der in diesem Bereich vorhandenen Tatsache besteht, wonach es keine Musikdarbietung beginnend auf einem bestimmten Niveau ohne Interpretation der Musikdarbietung gibt. Hier stehen zu bleiben, hieße allerdings, die verschiedenen Inhalte von Methoden, also den im Verhältnis zur Musikinterpretation anderen Inhalt von Gesetzesinterpretation auf die gleiche Stufe zu stellen. Im Sprachgebrauch der Jurisprudenz wird nämlich die Sachlogik des Rechts, bedingt durch den Stufenbau der Rechtsordnung und bestehend aus den verschiedenen Zusammenhängen des nationalen und gemeinschaftsweiten Rechts, ferner bedingt durch die Sachlogik des einzelnen Gesetzes selbst, nicht zur Methode im engeren Sinn und damit zur Methode als solcher gezählt. Dass demgegenüber der Aufbau einer Falllösung notwendigerweise die Einhaltung von gedanklichen Schritten in der richtigen Reihenfolge, also die Einhaltung von gedanklichen Bedingungen als Folge der juristischen Logik erfordert, wird von keinem Juristen bestritten. Solches Tun ist im Übrigen ein gedankliches Geschäft, welches von der ersten Sekunde im Umgang mit dem Gesetz geübt und bis zur letzten Sekunde im Umgang mit dem Gesetz fortgeführt wird, zeitigend ein stetes Gelingen aber auch ein ständiges Scheitern bis zum Schluss. Denn der erfahrenste Jurist im höchsten Amt (sofern es letzteren gibt) wird nicht von sich behaupten können, ihm seien zum Schluss keine Fehler mehr nachgewiesen worden oder gar unterlaufen; dies stellt einen entscheidenden Unterschied zur Künstlernatur dar. Beim Aufbau einer Falllösung notwendig die Einhaltung von gedanklichen Schritten in der richtigen Reihenfolge einzuhalten, dieser Tatsache haftet durchaus die Vorgabe des richtigen Wegs zum Erkennen und damit die Einhaltung einer Methode an. Hierin besteht aber auch der entscheidende Unterschied zur Ergebnisfindung im Bereich der Literatur oder der Philosophie, wo jeder gute Grund, nicht aber nur bestimmte Ausgangspunkte maßgeblich sein können ungeachtet der Tatsache, dass es in Literatur und Philosophie nicht um Ergebnisse (die richtige Entscheidung) gehen muss, sondern /.. - 33 möglicherweise nur weiterer Fragen. um die Herausarbeitung Für die Tatsache, dass der Gegenstand ein Spiel, ein Experiment oder der Umgang mit dem Absurden sein kann, nicht aber die gerechte Entscheidung zu sein hat, ist insbesondere die Literatur ein erhellendes und im Gegensatz zum Recht stehendes Beispiel. Bei dieser Aussage bleibt es, weil dieses Verständnis vom Umgang mit Recht nicht durch die Absurdität des illegalen und in seiner Abscheulichkeit nicht steigerbaren Ausrottungsplanes der Juden widerlegt wird. Das Einhalten von Vorgaben betreffend den richtigen Weg zur juristischen Erkenntnis wird jeder Laie schon erlebt haben, wenn er bemerken musste, dass sein Einwand möglicherweise ohne jegliche Bedeutung, weil nicht in das Wie der juristischen Erkenntnis passend, blieb. Die Ursache, weshalb das Einhalten von Vorgaben betreffend den richtigen Weg zur juristischen Erkenntnis innerhalb der Jurisprudenz nicht zur Methode derselben gerechnet wird, liegt darin, dass man unter Methode regelmäßig den Weg zur Erkenntnis versteht, welcher nicht vorschreibbar ist (vgl. meine Ausführungen in WRP 2001, 513, 517 Fn 27 und WRP 2002, 368, 370 Fn 18. Zur fehlenden Möglichkeit des Gesetzgebers, Fragen der Dogmatik durch Gesetz [anders: als Gesetz] zu regeln, mein Beitrag in WRP 1995, 452, 459). Demgegenüber beruht das Einhalten von Vorgaben auf dem Weg zur richtigen juristischen Erkenntnis in der Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen. Wenn man – wie dargelegt – auch diesen Erkenntnisweg als Methode ansieht, ist der Gegenstand der juristischen Methode nicht mehr ganz so unterschiedlich zur Methode der Darbietung der Musik, welche von der Musikerzeugung kaum zu trennen ist. Nachfolgend bleibt es aber bei dem herkömmlichen Verständnis von Methode im Rahmen der Gesetzesanwendung als Frage nach dem Wie der Gesetzesauslegung, der Gesetzeskonkretisierung. Das Argumentieren insoweit auf vertrautem Boden hat den Vorteil, auf bekannte und abgesicherte Begründungen zurückgreifen zu können. Interessant ist schließlich, dass das Wie der Erkenntnis zwar auch im Recht nicht vorschreibbar ist (wie vorstehend erwähnt), sehr wohl aber die Nichtvornahme einer Auslegung möglicherweise Rechtsfolgen auslösen kann. Gemeint ist die /.. - 34 Tatsache, dass die Nichtbefassung mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben bei der Auslegung eines nationalen, auf Gemeinschaftsrecht beruhenden Gesetzes, zu einem Grundrechtsverstoß unter dem Gesichtspunkt des Entzugs des gesetzlichen Richters führen kann (vgl. meine Ausführungen in www.markenrecht-bernreuther.de, Ziff. 4.1.2.2.2 und 4.1.2.3.2). 2.2.2 Ursachen für die Notwendigkeit der Befassung mit dem Wie des Verstehens von Gesetzen 2.2.2.1 Die unrichtige Entscheidung als Bewegungsgrund für die Befassung mit Fragen der Methode Mit Methodenfragen befassen sich auch die, die sich sonst mit Methodenfragen nicht befassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine gerichtliche Entscheidung der eigenen Vorstellung von einer richtigen Entscheidung widerspricht und zudem oder zumindest oder möglicherweise hauptsächlich methodische Mängel aufweist. Dann entsteht in scheinbarer Wachheit für Methodenfragen ein Interesse, welches den mehr oder minder einmaligen Griff zu dem Lehrbuch mit dem Titel "Methodenlehre der Rechtswissenschaft" zeitigt, um sich nach tief greifenden Äußerungen insoweit alsbald in die "praktische Haltung" zurückzuziehen. Auch wenn in dieser Art des Grundes mit der Befassung von Methodenfragen keine Ernsthaftigkeit dieser Haltung insoweit aufscheint, insbesondere, weil nicht erkannt wird, dass es eine praktische Haltung als solche nicht gibt sondern immer nur eine Praxis, die auch theoriegeleitet ist und umgekehrt, jede Theorie auch praxisgeleitet ist, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass falsche Ergebnisse bedingt oder mitbedingt durch falsche Vorgehensweisen, die Frage nach der richtigen Methode mit Notwendigkeit aufwerfen. 2.2.2.2 Die Nachvollziehbarkeit der Gedankenführung als Grundlage für das Ergebnis als Beweggrund für die Befassung mit Fragen der Methode Wer die Macht, will heißen, die letztinstanzliche Entscheidungsgewalt im Rechtssystem hat, hat auch Recht. Wer sich außerhalb des /.. - 35 Rechtssystems bewegt, wird möglicherweise die Macht begrenzende Wirkung von Recht zu spüren bekommen. In letzter Instanz fallen Macht und Recht zusammen. Will heißen: Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichtes, des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind nicht deshalb unangreifbar, weil sie aus höchster Einsicht heraus gefällt wurden; vielmehr sind sie unangreifbar, weil sie im Rahmen der Äußerung staatlicher Gewalt das letzte Wort bilden. Hierbei kann durchaus gesagt werden, dass uns gerade die in den Entscheidungsgründen enthaltene Einsicht und Rechtfertigung zumeist stark überzeugt. Hieraus erhellt: Wer Recht behalten darf – was im Rechtsstaat nur für letztinstanzliche Gerichte oder Träger von gerichtlich nicht überprüfbaren politischen Entscheidungen gilt - soll im Bereich des Rechts gehalten sein, die Nachverfolgbarkeit seiner zur Entscheidung führenden Gedanken offen zu legen. Nur so hat er einen Anspruch, Gefolgschaft hinsichtlich des staatlichen Machtanspruchs verlangen zu können, anderenfalls verlangt er ein Bekenntnis. Bekenntnisse passen allerdings nur zu Glaubensgemeinschaften und sie werden – bedauerlicherweise – von manchen Großunternehmen verlangt. Die Nachverfolgbarkeit der zur gerichtlichen Entscheidung führenden Gedanken ist häufig wesentlich durch methodische Erwägungen bedingt. Nochmals: Zwar kann die Entscheidung auch zutreffend sein, ohne dass die Entscheidungsgründe oder gar methodische Erwägungen zutreffend sind. Hierin unterscheidet sich die Tätigkeit des Juristen wesentlich von der Tätigkeit des Musikers, der nicht auf ein Ergebnis am Schluss eines Konzertes oder einer Aufführung, sondern die Richtigkeit und Schönheit eines jeden Tones verwiesen ist. Die zutreffende letztinstanzliche Entscheidung kann aber Gefolgschaft nur bei Offenlegung der Begründung und damit auch der dort enthaltenen methodischen Erwägungen verlangen. Was die auch in methodischer Hinsicht fehlerhafte letztinstanzliche Entscheidung anbelangt, so ist die Offenlegung ihrer Gründe und damit auch ihrer methodischen Erwägungen deshalb erforderlich, weil sie nur auf diese Weise Grundlage des offenen Dialogs über diese Entscheidung sein kann. Die zutreffende Instanzentscheidung hat – auch – die zugrunde liegenden methodischen Erwägungen /.. - 36 offen zu legen, um der unterlegenen Partei die Richtigkeit der Ergebnisse zu verdeutlichen, ferner, um für ein Rechtsmittel die zutreffende Diskussionsgrundlage zu bilden. Die auch in methodischer Hinsicht unzutreffende Instanzentscheidung hat sämtliche Erwägungen offen zu legen, um im offenen, herrschaftsfreien, gesichtswahrenden Dialog Ausgangspunkt für zutreffende Erwägungen sein zu können. Auf diese Weise lassen sich auch künftige Fehler vermeiden. 2.2.2.3 Die Richtigkeit der Entscheidung als Hauptursache für die Notwendigkeit der Befassung mit dem Wie des Verstehens von Gesetzen Die richtigen Erwägungen betreffend das Wie zur richtigen Entscheidung dienen hauptsächlich dazu, die richtige Entscheidung selbst vorzubereiten, möglicherweise sogar zu begründen. Aufgabe eines jeden Juristen ist es, an der richtigen, also in tatsächlicher Hinsicht zutreffenden, die Freiheit verbürgenden und Gerechtigkeit herbeiführenden Entscheidung mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht gilt somit auch in methodischer Hinsicht – und für die Methode selbst. Denn die Methode steht nicht für sich, sondern hat ebenfalls die Aufgabe, das Gesetz mit den vorgenannten Zielen zu verwirklichen. Der Vorteil der Offenlegung der Methode liegt darin, dass über das Wie der Erkenntnis nach allgemeinen, möglicherweise allgemein gültigen und notwendigen Bestimmungsgründen diskutiert werden kann. Demgegenüber sind Entscheidungen, deren zugrunde liegenden Wertungen nicht mit hinreichend überzeugender Begründung aus dem maßgeblichen Gesetz abgeleitet werden können, ausschließlich vernünftig nicht zu begründen, da sie aus einer Setzung des Wertenden resultieren. Hierbei wird nicht zugleich gesagt, die Wertung sei falsch, weil sie aus einer Wertung folgt. 2.2.3 Drei Schwerpunkte der in der Jurisprudenz gegenwärtig geführten Methodendiskussion aus meiner Sicht Hauptanknüpfungspunkt methodischer Überlegungen bei der Gesetzeskonkretisierung ist /.. - 37 nach wie vor das bekannte Methodenschema, ergänzt um zwei zusätzliche Auslegungsregeln. Zum zweiten ist von Belang, wie neue Ansätze zur Lösung von Methodenfragen als neues oder ergänzendes Werkzeug zur weiteren Gesetzeskonkretisierung fruchtbar gemacht werden können. Und drittens stellt sich die Frage, wie Vorgaben des europäischen Rechts so in das nationale Recht eingebunden werden können, dass die Lösung auch methodisch überzeugt. 2.2.3.1 Das ergänzte bekannte Methodenschema Im Rahmen der Darstellung des ergänzten bekannten Methodenschemas unterscheide ich zwischen den Auslegungsregeln, den Auslegungszielen und der internen Kritik zum Wert dieses Schemas. 2.2.3.1.1 Die Auslegungsregeln Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn, entfaltet anhand des Verständnisses der Bibel, gehört zum Bestand des Alltagswissens jedes Juristen in Deutschland. Diese Lehre besagt, dass sich der Inhalt eines Textes vermittels Auslegung in wörtlicher Hinsicht (Grammatik), vermittels Auslegung aus dem Textzusammenhang (Systematik), von den Gründen des Gesetzgebers her (Historie) und nach dem heutigen Sinn und Zweck (Telos) erschließt. Hinzukommt in Ergänzung die Einsicht, dass das Verständnis eines Textes sich auch mit Blick auf die Aussagen der Verfassung (verfassungskonforme Auslegung) ergeben kann, ferner, dass möglicherweise eine vergleichende Sicht (komparative Auslegung) weiterhilft. Nach ganz überwiegender Auffassung können die genannten Auslegungsregeln vor dem Hintergrund der subjektiven Theorie (Sichtweise des historischen Gesetzgebers) bzw. der objektiven Theorie (heute maßgebliches Verständnis vom Wortsinn, dem Zusammenhang, der Geschichte, dem heutigen Sinn und Zweck) verstanden und angewandt werden. Nach einer zahlenmäßig nicht so stark vertretenen Auffassung lassen sich zumindest die vier klassischen Auslegungsregeln zugleich als deren theoretische Grundlage verstehen mit der Folge, dass nicht – wie durch die überwiegende Auffassung vertreten – acht verschiedene Auslegungsregeln, sondern 16 /.. - 38 Auslegungsregeln Anwendung finden können. 2.2.3.1.1.1 Die wörtliche Auslegung Die vom Buchstaben der Erklärung ausgehende Auslegung ist die notwendige Grundlage jeder Auslegung, welche die fremde Aussage nicht durch eine eigene ersetzen will. Im Rechtsstaat sichert die wörtliche Auslegung die Verwirklichung der Mitteilung des Gesetzgebers. Die Nichtbeachtung dieser Mitteilung mit Ausnahme der – äußerst selten vorhandenen – Notwendigkeit einer Fehlerkorrektur würde ähnlich der Musik zu falschen Läuterungen führen, was in keiner Weise zu rechtfertigen ist ungeachtet des sympathischen Satzes eines durch die Nazis vertriebenen, weltberühmten und mittlerweile verstorbenen Pianisten: "Ich bin der letzte große Falschspieler". 2.2.3.1.1.2 Die systematisch Auslegung Systematische Auslegung wird im Rund der Methodendiskussion häufig als die auf Vermeidung von Widersprüchen bezogene Auslegung verstanden. Nur: Um die Tatsache von Widersprüchen in fremden und im eigenen Leben, um die Tatsache des Vorhandenseins widerstreitender Erscheinungen hinsichtlich desselben Erkenntnisgegenstandes in der Physik bzw. im Bereich naturwissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt, mithin um die Tatsache von Widersprüchen in allen Bereichen kommt niemand herum. Auch ausgehend von dieser Tatsache sollte das System des Rechts als organisches Ganzes, bestehend aus Haupt und Gliedern und infolgedessen eine Einheit (nicht: Widerspruchsfreiheit) bildend, verstanden werden. Systematische Auslegung ist darauf bezogen, diesen Zusammenhang des Rechts und der Vermeidung größerer Widersprüche deutlich zu machen, also den Inhalt eines so verstandenen Rechts im Wege der Auslegung zu gewinnen. An zweiter Stelle steht diese Auslegungsregel deshalb, weil die Bezugnahme auf weitere Stellen des Gesetzestextes (so genanntes inneres System) oder anderer Gesetze (so genanntes äußeres System) die Aussagen des Gesetzgebers verwirklicht, unter der von keiner Seite bislang bestrittenen Voraussetzung, dass auch der Gesetzgeber seine Aussagen in das Recht, zu verstehen als organisches Ganzes, gestellt hat und stellt. /.. - 39 - Eine gewisse Entsprechung im Bereich der Musik findet die systematische Auslegung in einer Musikinterpretation, die vor allem auf Werkharmonie achtet. Vor allem Rhythmus, aber auch Lautstärke, die Linienführung aufgrund der Linienerfassung des ausgedrückten musikalischen Gedankens, der Spannungsbögen der betreffenden größeren oder kleineren Stelle der Darbietung, müssen zu dem musikalischen Satz und dieser zum Zweck insgesamt passen, sich also harmonisch unter Wertung aller Gewichtungen einfügen. Auf diese Weise stimmt nicht nur der Ton, sondern auch die Musik. 2.2.3.1.1.3 Die historische Auslegung Die historische Auslegung zieht zum Verständnis des Gesetzestextes die Begründungen des Gesetzgebers heran, welche dieser ausdrücklich zu den betreffenden Regelungen getroffen hat. Gegenstand der Gesetzesbegründung sind häufig Zweckvorstellungen. An dritter Stelle steht diese Auslegungsregel deshalb, weil die Erklärungen des Gesetzgebers im Gesetzestext nicht enthalten sind, das Parlament also über sie keine Abstimmung in repräsentierter Mehrheit der Bevölkerung getroffen hat. Für diese Auslegungsregel spricht die Tatsache, dass mittels der Gesetzesbegründung Sicherheit über die dem Gesetz zugrunde liegenden Zweckvorstellungen besteht, mithin das Argument nicht greift, wonach die betreffende Zwecküberlegung vom Interpreten selbst stamme. Die historische Auslegung führt noch nicht zu dem Ergebnis, dass sämtliche Auslegungsmöglichkeiten aus der Sicht des historischen Gesetzgebers vorzunehmen sind. Die historische Auslegung stellt also unabhängig davon, ob man die Auffassung des Verstehens von Gesetzestexten vor dem heutigen oder vor dem historischen Erkenntnishorizont vertritt, lediglich eine einzelne Art und Weise des Verstehens dar. Vor dem Hintergrund des Verstehens von Gesetzestexten aus heutiger Erkenntnissicht (objektive Theorie) wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass das Gewicht des historischen Arguments im Lauf der Zeit abnimmt (vgl. meine Ausführungen in WRP 1995, 452, 455 Fn 34). Das historische Argument kann gleichermaßen im Zuge der Interpretation eines Musikwerkes eine Rolle spielen so, wenn auf eine ganz spezielle Anweisung des Komponisten zur Aufführungspraxis /.. - 40 zurückgegriffen wird. Ob eine derartige Anweisung im Lauf der Zeit an Gewicht gegenüber der Mehrzahl der Interpreten verliert, kann von mir mangels Kenntnisses entsprechender Forschungsergebnisse nicht beantwortet werden. Eine Interpretation als verwirklichte Anweisung des Komponisten, in ganz bestimmter Weise zu musizieren, führt ungeachtet des Umfangs dieser Anweisung (enthalten lediglich beispielsweise als Diminuendo im Notenwerk selbst oder als schriftlich gesondert niedergelegte Äußerung) noch nicht dazu, dass das Werk selbst historisierend, also auf historischen Instrumenten und Ton erzeugend instrumental oder stimmlich in Abweichung zum heute im übrigen praktizierten Standard – um einige Merkmale isoliert zu benennen – aufzuführen ist. 2.2.3.1.1.4 Die Auslegung des Gesetzes nach dem heutigen Sinn und Zweck (objektivteleologische Auslegung) "Die Frage nach dem Zweck eines Gesetzes ist verfehlt. Ein Gesetz bezweckt für sich betrachtet nichts, will heißen, das Gesetz ist Werkzeug des Menschen. Von dessen Bewertung hängt es ab, mit welcher Zwecksetzung ein Gesetz angewendet wird oder nicht. Nicht verfehlt ist demgegenüber der Satz, dass das Gesetz klüger ist als der Gesetzgeber (….). Ist das Gesetz aus der Hand des Gesetzgebers entlassen, entfaltet es insoweit eine eigene Wirksamkeit, als die Zwecksetzung sich ändern, vervollständigen kann, so dass Fälle regelbar werden, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat. Die vor allem im Kunstwerk sich offenbarende Übersteigerung der Endlichkeit des menschlichen Schöpfers wird aber erneut nicht durch das Gesetz oder augenfälliger durch das Kunstwerk geleistet, sondern durch die Vorstellungsund Wahrnehmungskraft der Menschen in ihrem Rückbezug und Austausch auf Gott und die Welt" (vgl. meine Ausführungen in WRP 2003, 846, 867 Fn 117 [Wiederholung s.o. 2.1.2.5]). Will heißen: Die Frage nach dem heutigen Sinn und Zweck eines Gesetzes ist berechtigt. Dies bedeutet nicht, dass diese Fragestellung die Ergründung der Zweckvorstellung des historischen Gesetzgebers unmöglich macht. Ob vielmehr die Wahrnehmbarkeit der Sicht des historischen Gesetzgebers nur aus historischer Sicht, nur aus heutiger Sicht, aus historischer und heutiger Sicht oder überhaupt nicht möglich ist, entscheidet sich /.. - 41 im Rahmen der Erwägungen zur subjektiven (die Auslegungsregel "historische Interpretation" wird zum Auslegungsziel und damit zum Hintergrund der Auslegungsregeln) bzw. zur objektiven (die Auslegungsregel "objektiv-teleologische Auslegung" wird zum Auslegungsziel und damit zum Hintergrund der Auslegungsregeln) Theorie. Auch ein Musikwerk kann ganz oder teilweise vor dem Hintergrund des heutigen Verständnisses dieses Werks interpretiert werden, ohne dass dies bedeutet, die Noten müssten nicht exakt beachtet, die inneren und äußeren Werkzusammenhänge nicht wahrgenommen und verwirklicht sowie Anweisungen des Komponisten müsste nicht Folge geleistet werden. 2.2.3.1.1.5 Die verfassungskonforme Auslegung Die verfassungskonforme Auslegung hat zum Inhalt, nach Erarbeitung des Auslegungsergebnisses sich sodann gleichsam über die Schulter zu schauen und zu fragen, ob dieses Ergebnis vor den Grundrechten Bestand hat. Zu überprüfen ist also, ob das vor dem Hintergrund des einfachen Rechts an sich zutreffende Ergebnis in seiner insbesondere die Eigentumsfreiheit, die Berufsfreiheit, die Meinungsund die allgemeine Handlungsfreiheit begrenzenden Wirkung nicht geändert werden muss, weil das Gewicht der in den Grundrechten vorhandenen, auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführenden Wertungen im Horizont des so genannten einfachen Rechts einen zu geringen Einfluss auf das Ergebnis hatte. Eine Frage des äußeren Systems ist die verfassungskonforme Auslegung wohl deshalb nicht, weil die Bestimmtheit der Verfassungsaussage zu gering ist, als dass sie eine einheitliche Aussage mit den sonstigen Wertungen als Bestandteil des äußeren Systems ergeben könnte. Darüber hinaus kann man definieren, dass zum äußeren System nicht höherrangige Normen, zumindest nicht solche des Verfassungsrechts zählen. Beides kann man aber auch anders sehen. Die verfassungskonforme Auslegung stellt in besonderer Weise den Zusammenhang mit den grundrechtlichen Wertungen her, sie rechtfertigt das gefundene Ergebnis auch und insbesondere von Verfassung wegen (Wahrung des Legitimationszusammenhangs). Darüber hinaus verhindert diese Auslegung eine zeitliche /.. - 42 Verschiebung vorhandener Verfassungsfragen in einem Verfahren, welches nach Rechtskraft zur Durchbrechung der Rechtskraft beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet werden kann (Aufrechterhaltung der Staatseffektivität; vgl. hierzu jeweils meine Ausführungen in WRP 1995, 452, 458). In der Musik könnte eine Entsprechung dann vorhanden sein, wenn der oder die für die Interpretation zuständige Künstler/in nach Herstellung des Interpretationsergebnisses Überprüfungen dergestalt vornimmt, dass die so gefundene Deutung vor dem Hintergrund der Musikgeschichte aufrechterhalten werden kann. Ob es zu einer solchen Perspektive über die Schulter kam, mehr noch, ob dies je für erforderlich gehalten wurde, ist mir nicht bekannt. 2.2.3.1.1.6 Die vergleichende (komparative Auslegung) Auslegung Die vergleichende Auslegung hat zum Inhalt, auf das Ergebnis vergleichbar entschiedener Fälle zu schauen, um die dortige Vorgehensweise evtl. für das eigene Vorgehen im Zuge der Falllösung zu nutzen. Die vergleichende Auslegung hat auch zum Inhalt, auf andere Methoden fremder Rechtskreise zu schauen. Die vergleichende Auslegung dürfte insbesondere dort von Bedeutung sein, wo ein einheitliches Ergebnis trotz verschiedener Rechtsordnungen gewünscht ist. Auseinandergehende Begründungen und Ergebnisse beispielsweise im Wettbewerbsrecht oder im Urheberrecht beflügeln überdies Harmonisierungsbestrebungen seitens Organe der EU. Die vergleichende Auslegung ist vermittels Verallgemeinerung des Ansatzes auf eine höhere Ebene gebracht, wenn im Zuge der Erarbeitung der richtigen Methode der Gesetzeskonkretisierung auf weitere Rechtskreise geschaut, die Vorgehensweise dort analysiert und möglicherweise für den eigenen Rechtskreis oder zumindest das eigene Rechtssystem fruchtbar gemacht wird. Ein derart umfangreiches Unterfangen wurde in beeindruckender Weise durch einen Autor bewältigt, so dass Aufrufe, man solle sich verstärkt dem komparativen Denken zuwenden, da bei Beibehaltung der in Deutschland herrschenden Methodenlehre "Schizophrenie" drohe (vgl. meine Ausführungen in WRP 2002, 368, 369 Fn 13) etwas erstaunlich sind. /.. - 43 - In der Musik könnte eine Entsprechung dann vorhanden sein, wenn der oder die für die Interpretation zuständige Künstler/in vor, während oder nach der eigenen Werkinterpretation auf anderweitige Werkauffassungen blickt, um gegebenenfalls Anregungen für die eigene Sichtweise zu erhalten. Hierzu muss gesagt werden, dass mit einem Ansteigen des Könnens und des Niveaus des musikausübenden Künstlers allgemein die Neigung sinkt, sich mit fremden Interpretationen zu befassen. Anders also als in der Jurisprudenz, wo es ein Zeichen gedanklicher Fähigkeiten und ein Beweis der für Neuansätze offenen Persönlichkeit ist, sich mit fremden Vorgehensweisen zu befassen, besitzen Künstler eine hohe und durch ihre Persönlichkeit bedingte Sicherheit, so und nur so mit einem bestimmten Werk umzugehen. Darüber hinaus gibt es in der Musik nur in beschränktem Umfang miteinander musikalisch austauschbare Kulturkreise, wie sie im Bereich des Rechts etwa im Hinblick auf das kontinentale Rechtsdenken und das englische Rechtsdenken gegenwärtig sind. Der vorerwähnte, zum Vergleich der Rechtskreise bekannt gewordene, herausragende Autor widmet sich jüngst dem afrikanischen Rechtsdenken. Ob es jemals sein wird, dass so genannte westliche Musik, bewundert von Künstlern in aller Welt, im Zuge der Interpretation Ergänzungen aus fremden Kulturkreisen wie dem indischen, dem chinesischen oder dem afrikanischen aufnimmt, muss offen bleiben. Interessant ist jedenfalls, dass die so genannte westliche Musik einpacken kann, klammert man die deutschen oder gar die deutschsprachigen Komponisten aus. Ob dies gleichermaßen für das deutsche Recht und seine Vertreter gilt, erweist sich z.B. dann, wenn Berichtigungen durch den europäischen Gesetzgeber oder durch die europäische Rechtssprechung dergestalt rückgängig gemacht werden, dass im Ergebnis durch deutsche Juristen getätigte Reflexionen eingeholt werden. Wie gesagt: Ein gelungenes Gesetz und ein Kunstwerk gleichen sich insoweit, als beide Gegenstände niemals abgeschlossen sind, sondern im ersten Fall Handlungsmöglichkeiten erfassen, an die man zuvor nicht dachte. (Ein Beispiel bildet § 1 UWG a.F.: Der I. Zivilsenat des BGH brachte es fertig, im Wesentlichen diejenigen Aussagen, wie /.. - 44 sie heute in § 4 UWG n.F. enthalten sind, in grundsätzlicher Abkehr von einer 90 Jahre lang geübten, sich teilweise unerfreulich zuspitzenden Rechtsprechung, auf der Grundlage eben jener Regelung des § 1 UWG a.F. zu entwickeln). Im Fall der Musik zeigt sich das nie abgeschlossene Musikwerk in der ständigen Wiederholbarkeit dieser Musik, ohne dass diese Musik im Geringsten erschöpft oder gar langweilig wirkt. Im Umgang mit diesen Gegenständen tritt allerdings ein deutlicher Unterschied zutage: während Juristen vermehrt vergleichend interpretieren, spielt die vergleichende Sichtweise für Künstler keine Rolle, sie wissen ganz genau, dass – aus der Fülle der Interpretationsmöglichkeiten – für sie nur diese eine Sichtweise gültig ist. Letzteres ist keinesfalls provinziell, wenn man Provinz nicht als Wohnen in ländlichem Raum, sondern als begrenzte Haltung des eigenen Geistes versteht. Provinziell ist allerdings auch ein möglicherweise ausgrenzend handelnder Künstler, der nur seinen Umgang mit Musik als richtig akzeptiert ohne zu erkennen, dass andere Künstler in ihrer anderweitigen Auseinandersetzung mit dem Werk Bereiche eröffnen können, welche auch für ihn fruchtbar wären, ohne dass damit zugleich gesagt ist, diesen anderen Künstlern gelänge dieselbe Musikinterpretation. 2.2.3.1.1.7 Die richtlinienkonforme Auslegung Die richtlinienkonforme Auslegung besagt, dass die auf gesetzlicher Grundlage zu findende Lösung mit Blick auf die Richtlinie als gemeinschaftsrechtliche Vorgabe der anzuwendenden gesetzlichen Regelung zu erfolgen hat. Erster Bezugspunkt der Auslegung ist mithin die anzuwendende gesetzliche Regelung. Bei dieser handelt es sich beinahe ausschließlich um ein Regelungswerk, welches die als weiteren Bezugspunkt dienende Richtlinie bereits umgesetzt hat. Umsetzung bedeutet dabei entweder eine wörtliche Übernahme des Richtlinientextes oder dessen Präzisierung. In seltenen Fällen wird eine Richtlinie ohne Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber unmittelbar über eine vorhandene Generalklausel angewandt, wobei wichtigstes Erfordernis insoweit die hinreichende Bestimmtheit des Richtlinientextes ist. Als Beispiel mag hier die /.. - 45 Richtlinie über die vergleichende Werbung dienen (Ergänzung der Irreführungsrichtlinie), vom BGH im Jahr 1998 unmittelbar angewandt über die Generalklausel des § 1 UWG a.F. Die Entscheidung insoweit trägt das Stichwort "Testpreisangebot" (www.markenrechtbernreuther.de, Ziff. 4.1.2.1.1.). Bei der richtlinienkonformen Auslegung ist des Weiteren zu unterscheiden, ob bereits eine Auslegungsvorgabe durch den EuGH vorhanden ist oder ob eine solche noch fehlt. Ist eine Aussage des EuGH vorhanden, wonach eine bestimmte Stelle des Richtlinienwortlautes in besonderer Weise ausgelegt werden muss – eine derartige Aussage folgt regelmäßig aus einer Vorlageanfrage durch ein vorlegendes Gericht, wobei das vorlegende Gericht regelmäßig Auslegungsvorschläge unterbreitet - , scheint die Festlegung des Inhalts der "richtlinienkonformen Auslegung" einfach zu sein. Einfach ist die Lage aber nur dann, wenn die Festlegung des Richtlinieninhaltes exakt den zu entscheidenden Fall betrifft. Gibt es demgegenüber Vorgaben des EuGH, die nicht unmittelbar zum gegenständlichen Fall passen, ist die Lösung möglicherweise noch offen, als Beispiel dient die Rechtsprechung des BGH zu den so genannten Schrottimmobilien. So musste der XI. Zivilsenat, der vermeint hatte, den II. Zivilsenat die Verkennung grundlegender Prinzipien des Vertragsrechts vorwerfen zu können, obschon bereits Aussagen des EuGH im Zusammenhang mit der zu entscheidenden Fragestellung vorhanden waren, zur Kenntnis nehmen, dass den EuGH das Denken in vertragsrechtlichen Beziehungen nicht interessiert, wenn es darum geht, dem Widerrufsrecht aufgrund einer Haustürsituation Geltung zu verschaffen und zwar auch gegenüber der über der im Hinblick auf Haustürsituation unbeteiligten Bank (s.u. Ziffer 3.2.4 a.E.). Ist keine Aussage des EuGH vorhanden, hat das auf der Grundlage nationalen Rechts entscheidende Gericht selbst eine Auslegung vorzunehmen, von der es annimmt, das Ergebnis der Auslegung wäre so auch vom EuGH getätigt worden. Dies gilt auch für ein in letzter Instanz entscheidendes nationales Gericht, auch insoweit besteht keine – in Deutschland nach nationalem Verfassungsrecht sanktionierte (Entzug des gesetzlichen Richters) – Pflicht von einer eigenen richtlinienkonformen Auslegung abzusehen, wenn nach Auffassung dieses nationalen Gerichts nur /.. - 46 eine bestimmte, mit dem Gemeinschaftsrecht konforme Lösung in Betracht kommt. Maßgebend für den Inhalt der gemeinschaftskonformen Auslegung ist also das Erkennen der mit der betreffenden Richtlinie verbundenen Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers, wobei diese Art und Weise der Auslegung sich deshalb von einer historischen oder objektiv-teleologischen Auslegungsregel unterscheidet, als der richtlinienkonformen Auslegung jede rangmäßige Einordnung und damit jede Unterordnung in das bekannte Methodenschema fehlt. 2.2.3.1.2 Die Auslegungsziele bzw. -theorien Wie vorstehend zu Ziff. 2.2.3.1.1 ausgeführt, werden die Auslegungsregeln vor dem Hintergrund der subjektiven und der objektiven Theorie verstanden. Dies bedeutet, dass die Auslegungsregeln zum einen nach dem Willen des historischen Gesetzgebers angewandt werden, nach anderer Auffassung ist die Vorstellung vom heutigen Willen des Gesetzgebers maßgebend. Beide Theorien werden nachfolgend kurz beleuchtet. Sollte sich ergeben, dass beide Theorien zu vernünftigen Ergebnissen führen, wird gleichwohl nicht der Frage nachgegangen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die übrigen Auslegungsregeln zugleich als Hintergrund für sämtliche Auslegungsregeln und damit als weitere Auslegungstheorien in Betracht kommen. Ursache für diese Selbstbeschränkung sind allein Gründe der Übersichtlichkeit sowie der persönliche Belang, innerhalb angemessener Zeit mit dem eigenen Manuskript fertig zu werden. 2.2.3.1.2.1 Die subjektive Theorie Der subjektiven Theorie liegt die Vorstellung zugrunde, dass mehr an Wortsinn, mehr an Wortbedeutung, folgend aus dem Zusammenhang mit sonstigen Bestimmungen des betreffenden Gesetzes bzw. folgend aus dem Zusammenhang mit anderen seinerzeit gültigen Gesetzen, mehr an Zwecküberlegung des historischen Gesetzgebers und mehr an objektiven Zweckvorstellungen, gehegt durch den historischen Gesetzgeber, in der auszulegenden Norm nicht enthalten sein kann. Will heißen: in einer Norm können nur solche Inhalte enthalten sein, die der Gesetzgeber in diese /.. - 47 Norm vermittelt hat. Jede andere Inhaltsbestimmung ist vom Gesetzgeber und daher – mittelbar – dem Volk nicht mehr legitimiert. Dem kann ich nur zustimmen, wenn erstens das Anliegen der subjektiven Theorie methodische durchführbar ist, zweitens die objektiv-teleologische Auslegung vor dem Hintergrund der subjektiven Theorie die geforderte Legitimation durch den historischen Gesetzgeber wahrt und drittens eine plausible Erklärung dafür vorhanden ist, weshalb die Nichtwahrung des Legitimationszusammenhangs auf der Grundlage der objektiven Theorie (aus Sicht der subjektiven Theorie) und die somit gefundenen Auslegungsergebnisse zu keinen verfassungsrechtlichen Beanstandungen, bestätigt durch Gerichte, geführt haben. 2.2.3.1.2.1.1 Methodische Durchführbarkeit des Anliegens der subjektiven Theorie Die Bestimmung des Inhalts eines Begriffs vor dem Hintergrund der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers ist deshalb nicht zur Gänze möglich, weil diese historischen Vorstellungen insoweit nicht vollständig rückverfolgbar sind. Zwar kann anlässlich eines Blicks in Enzyklopädien aus der Entstehungszeit des Gesetzes (beim Bürgerlichen Gesetzbuch: vor 1900) festgestellt werden, dass der Begriff "Sache" nicht zugleich Kugelschreiber, Atomkraftwerke und ähnliches umfasste. Nachdem allerdings keine Vorstellung von irgendetwas möglich ist, welche nicht zugleich durch das heutige Bewusstsein repräsentiert ist, wird durch die Ersetzung des heutigen Bewusstseins mittels Rückgriffs auf ein Lexikon nicht bewiesen, dass der lexikalische Eintrag dem Bewusstsein des historischen Gesetzgebers entspricht. Derselbe Einwand gilt gegenüber der Erfassung rechtssystematischer Bezüge aus der Entstehungszeit des Gesetzes ungeachtet der Tatsache, dass möglicherweise zwischenzeitlich aufgehobene Gesetze kaum oder nicht rekonstruierbar sind. Welche Zweckvorstellungen der Gesetzgeber hegte, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung. Nicht herstellbar ist die Vorstellung vom objektiven Sinn und Zweck einer Regelung nach Auffassung des historischen Gesetzgebers: was dieser insoweit gedacht hat, ist nirgendwo niedergelegt. Die Nichteinholbarkeit der historischen Situation im /.. - 48 Zuge der Verwirklichung der historischen Musikinterpretation steht hierzu parallel und wurde oben zu den Ziff. 2.1.1.4 und 2.1.1.5 dargelegt. 2.2.3.1.2.1.2 Wahrung der Legitimation des historischen Gesetzgebers bei Anerkennung der objektivteleologischen Auslegung vor dem Hintergrund der subjektiven Theorie Erkennt man an, dass der historische Gesetzgeber die Möglichkeit einer Auslegung nach dem – im Gesetz nicht enthaltenen – Sinn und Zweck der damaligen Zeit anerkannt hat, ist die Voraussetzung, mehr als das vom Gesetzgeber geregelte und erwähnte könne in einer Regelung nicht enthalten sein, erheblich entwertet. Darüber hinaus gehörte zur Folgerichtigkeit dieses Ansatzes, dass die historischen Gesetzgeber zwar einer Objektivierung ihrer, nicht aber einer Objektivierung durch die Gesamtheit sämtlicher parlamentarischen Nachfolger zustimmen. Eine derartige Annahme ist nicht bekannt und im Übrigen aus erkenntnistheoretischer Sicht – nach uns ist niemand klüger – unhaltbar. Die Parallele dieser Gedanken findet sich dann, wenn die Vertreter der historischen Musikinterpretation nachweisen können, der Komponist habe keine – objektiven – Fortentwicklungen hinsichtlich der technischen Entwicklung der Instrumente, aber auch sämtlicher Musizierweisen gewollt. Dass dieser Nachweis kaum gelingen dürfte, liegt auch und gerade mit Blick auf Bach auf der Hand. 2.2.3.1.2.1.3 Keine rechtsstaatlichen Sanktionen auf der Grundlage der subjektiven Theorie wegen Ergebnissen, die vor dem Hintergrund der objektiven Theorie getroffen wurden Verwerfende Richtersprüche, wie sie in der vorstehend ausgeführten Gliederungsüberschrift angesprochen sind, fehlen. 2.2.3.1.2.1.4 Zusammenfassung von Ziff. 2.2.3.1.2.1.1 bis 2.2.3.1.2.1.3 Die subjektive Theorie kann Fingerzeige liefern, wie Gesetze – auch – interpretiert werden können. Nicht mehr und nicht weniger ist der subjektiven /.. - 49 Theorie zu entnehmen. Die subjektive Theorie widerlegt nicht die objektive Theorie. 2.2.3.1.2.2 Die objektive Theorie Der objektiven Theorie liegt die Vorstellung zugrunde, dass wörtliche, systematische, historische und zweckgerichtete Auslegungen vor dem Hintergrund des heutigen Bewusstseins sich konkretisieren lassen und zu konkretisieren sind. Erkenntnistheoretisch berechtigt ist diese Haltung dadurch, dass es keine Vorstellung von dem gibt, was nicht ausschließlich durch unser heutiges Bewusstsein repräsentiert ist. Rechtsstaatlich berechtigt ist diese Haltung dadurch, dass der Gesetzgeber selbst von einer zweckentsprechenden Fortentwicklung des Gesetzesinhalts im Lauf der Zeit und entsprechend der Zeit ausgeht und ausgegangen ist. Allzu große Abweichungen vom gesetzlich geäußerten Fehlen des Gesetzgebers im Wege der Interpretation lassen sich insbesondere über das Bundesverfassungsgericht kontrollieren und gegebenenfalls berichtigen. Geschichtsphilosophisch berechtigt ist diese Haltung insbesondere mit Blick auf das Kunstwerk: Dessen Unerschöpflichkeit, vor allem dokumentiert durch Sprach- und Musikwerke, beweist die Wirksamkeit des objektiven Geistes (um einen in Berlin ehedem tätigen Philosophen von Weltruhm ins Spiel zu bringen) bzw. das, was über endlichen Menschen in Bezug auf Gott und die Welt hinausgreift. 2.2.3.1.2.3 Einwände von Vertretern des bekannten Methodenschemas gegen dieses selbst Als Haupteinwand gegen die herkömmliche Interpretation von Gesetzen wird insbesondere auch von den Vertretern dieser Interpretationsweise eingewandt, es fehle an verbindlichen Aussagen, die das Rangverhältnis der Auslegungsregeln untereinander ergeben. Und man darf hinzufügen, es fehlt dieselbe Metaregel zur Reihenfolge der Anwendbarkeit von subjektiver und objektiver Theorie, sofern man – wie ich – von einer zumindest teilweise bestehenden Berechtigung beider (die rückwirkende Erkenntnissicht der subjektiven Theorie ist dann gerechtfertigt, wenn sie einen Erkenntnisgewinn zeitigt) Theorien ausgeht. /.. - 50 - Der erwähnte Haupteinwand ist allerdings kein solcher. Zum einen gibt es theoretische Ausführungen zur Rangfolge (auch aus meiner Feder, allerdings unveröffentlicht), zum zweiten sind die dem Einwand zugrunde liegenden Voraussetzungen (verbindliches Rangverhältnis zwischen den Auslegungsregeln) deshalb unrichtig, weil sie gegenüber einem Problem der allgemeinen Argumentation (welche Begründung überzeugt mehr als die andere) Erfordernisse aufrichtet, die in eben jener allgemeinen Argumentation nicht als erforderlich angesehen werden, um Wahrheit im Sinne eines Konsenses zu erzeugen. Will heißen: Wir alle gehen von der Tatsache aus, dass manche Begründungen mehr, andere weniger überzeugen. Die meisten – und auch ich – gehen davon aus, dass ein Schema, anhand dessen das Gewicht und der Wert einer Begründung erfasst und gemessen werden kann, nicht vorhanden ist. Dies ändert aber nichts an der zuerst erwähnten Tatsache, wonach die Tatsache des Vorhandenseins von Plausibilität ungeachtet der schwierigen Begründbarkeit von Plausibilität nicht geleugnet werden kann. Oder anders ausgedrückt: Da jeder das, was er sagt, für wesentlich hält, ist jedes Negativurteil über das Vorhandensein von Wesentlichkeit nicht mehr wert als die dort getroffene Aussage selbst (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 2002, 368, 373 Fn 46). Geht es also um das Rangverhältnis der Auslegungsregeln (und der Auslegungstheorien), entscheiden bessere oder schlechtere Gründe als Teil der allgemeinen Argumentation. Und solange sich argumentieren lässt, lässt sich auch im konkreten Fall die gewählte Vorgehensweise der Auslegung begründen. Zum Schluss hier erlaube ich mir die Anmerkung, dass die juristische Argumentation lediglich ein Teil der allgemeinen Argumentation ist. 2.2.3.1.2.4 Die richtlinienkonforme Auslegung als weitere Auslegungstheorie Die Auslegung nach dem Wortsinn, dem Zusammenhang mit der Gesetzesaussage im Übrigen bzw. mit Aussagen weiterer Gesetzen, die Auslegung nach dem Anliegen des historischen Gesetzgebers und dem Anliegen eine gedanklich heute tätigen Gesetzgebers lässt sich – auch – vor dem Hintergrund des Erkennens und der Deutung /.. - 51 der vom europäischen Gesetzgeber bezweckten Zielsetzung vornehmen. Dass dasselbe für die verfassungskonforme Auslegung gelten können soll, möchte ich bestreiten, wird von mir allerdings hier näher nicht begründet. Diese Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers kann Züge oder gar Inhalte der subjektiven oder mehr noch der objektiven Theorie aufweisen. Maßgeblich dürfte jedoch das Erkennen bestimmter rechtspolitischer Zielsetzungen sein, die es im Zuge der Auslegung als durchsetzbare rechtliche Maßstäbe zu verwirklichen gilt. Eine derart rechtspolitisch verstärkte Auslegungshaltung hat den Vorteil, gedankliche Fortschritte schneller als bisher zu verwirklichen. Eine derart rechtspolitisch verstärkte Auslegungshaltung hat den Nachteil der Rechtszersplitterung: Denn Recht hat als Hauptaufgabe weder, Arbeitsplätze zu erhalten noch beispielsweise, Frauen in der Werbung nicht zu diskriminieren oder, den freien Warenverkehr zu sichern (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1999, 792, 800, 801 li Sp). Das Recht hat die Aufgabe, in der Begründung und im Ergebnis die Grundlage einer gerechten Entscheidung zu sein und zwar ausgehend von zutreffenden Voraussetzungen mit einem auch in tatsächlicher Hinsicht zutreffenden Ergebnis unter Einräumung der größtmöglichen Freiheit für alle Beteiligten. Wer demgegenüber Sonderzwecke in den Vordergrund rückt, verfehlt auf Dauer das Recht. 2.2.3.2 Neue Ansätze Methodenfragen zur Lösung von Zumindest die in Deutschland veröffentlichten Neuansätze zu der Frage darzustellen, auf welchem Weg Entscheidungen auf der Grundlage von Gesetzen zustande kommen, hieße jegliche räumlichen Grenzen hier zu sprengen, ungeachtet der sich auftuenden Anforderungen in gedanklicher und geistiger Hinsicht. Dies allzumal deshalb, weil Ansätze in der Methodendiskussion und damit auch Neuansätze jeweils vor dem Hintergrund einer bestimmten philosophischen Strömung entfaltet werden, was bedeuten würde, auch den philosophischen Zusammenhang der betreffenden methodischen Haltung aufzuarbeiten und offen zu legen. Dass solches ein ziemlich umfassendes Unterfangen bedeuten würde, liegt auf der Hand. Nachstehend greife ich somit auf eine /.. - 52 Veröffentlichung von mir (WRP 1995, 452, 460) zurück, an deren Beginn die Bestätigung der Bedeutung des bekannten Methodenschemas auch durch die Vertreter der Neuansätze steht. "'Dass die Anwendung der Gesetzesregeln nichts anderes als eine logische Subsumtion unter begrifflich befasste Obersätze sei, kann ……. im Ernst niemand mehr behaupten'. Diese Feststellung (sc: eines der bekanntesten Vertreter der Methodendiskussion) kennzeichnet einen der wenigen Punkte in denen innerhalb der zeitgenössischen juristischen Methodendiskussion Einigkeit besteht". Dem ist in seiner Richtigkeit nichts hinzuzufügen. Wenn gleichwohl das bekannte Methodenschema Anwendung fand, bedeutet dies deshalb keinen Widerspruch, weil nicht behauptet wird, die aufgezeigten Ergebnisse resultierten aus einem Syllogismus. M.a.W., auch wenn die Vorstellung, wonach der Richter bei Anwendung strenger Regeln "Mund des Gesetzes" sei, als überholt anzusehen ist, so führt dies nicht zur Preisgabe des traditionellen Methodenkanons, allzumal dieser auch bei Neuansätzen zur Entscheidungsfindung unter evtl. stark veränderten Vorgaben eingebunden wird. Die traditionelle Methode nicht aufgegeben zu haben trotz – teilweise – expliziten Neuansatzes, gilt namentlich für die meisten Vertreter der Methodendiskussion. Was die Nichtnennung eines bedeutenden Rechtsphilosophen anbelangt, so glauben (!) wir nicht, dass dieser Autor mit seinem Ansatz, sein und sollen in die Entsprechung zu bringen, behauptet, dass traditionelle Methodenverständnis besitze keinen Aussagewert. Einer der profiliertesten Vertreter von Rechtstheorie und Rechtsphilosophie führt – in gleicher Weise wie die genannten Autoren von einem eigenen Ansatz ausgehend – zutreffend aus: ‚Die Geschichte der neueren Methodenlehre ist eine Geschichte der Angriffe gegen dieses 'Subsumtionsmodell der Rechtsanwendung', und dennoch hat sich dieses Subsumtionsmodell im Wesentlichen doch wohl behauptet………..Ein Teil der Autoren behält das Subsumtionsmodell zwar grundsätzlich bei, modifiziert es aber in entscheidenden Punkten. So ergänzen ……….und ……………das Modell durch Einfügung einer 'Annäherung von Gesetz und Lebenssachverhalt bzw. Fall'. ………….(erkennt /.. - 53 der Subsumtion eine erhebliche Bedeutung zu, wichtig ist aber auch) wertende Zuordnung. Andere Autoren, vor allem ……….und …………, unterlaufen die Problematik gewissermaßen dadurch, dass sie den Akzent bei der Rechtsfindung auf die richterliche Entscheidung legen, ………(gehen) von einer Vermittlung des im Gesetz liegenden Allgemeinen mit dem im Fall liegenden Besonderen aus. …..sieht …..Gesetz und Richterspruch als dialektische Einheit an’. Nach diesseitiger Auffassung ist die traditionelle Methode aber auch deshalb so lebendig, weil die objektiv-teleologische Auslegung für eine Fülle von Argumenten (dem heute relevanten Normzweck/Normsinn; Sachbezogenheit von Lösungen; Zeitgemäßheit von Lösungen; staatsphilosophische Vorstellungen; rechtsethischer Kontext; Relevanz eines bestimmten Begriffs von Recht) steht, was dem Kanon eine hohe Beweglichkeit dergestalt sichert, dass in Neuansätzen vorhandene Denkweisen Eingang finden können“. Soweit meine Ausführungen aus dem Jahr 1995, wobei der Eingangssatz im Zitat im Zitat meines Zitats ist. Satz 2 ist ein Zitat im Zitat, dasselbe - Zitat im Zitat - betrifft die Ausführungen, die dem Satz nachfolgend: "Einer der profiliertesten Vertreter….. führt …..zutreffend aus". 2.2.3.3 Europäische Rechtserkenntnis als Aufgabe für die juristische Methode Von Personen, die in erster Reihe am Vertrag der Europäischen Gemeinschaft mitgewirkt haben, wird verlautbart, sie und die Beteiligten hätten es sich nicht träumen lassen, auf welche Weise der EuGH den Vertrag und insbesondere die frühere Regelung des Art. 30 EGV (heute: Art. 28 EG) auslegen würde. Nochmals: Es war nicht die Kommission, es war nicht das Europäische Parlament, welche die Rechtsharmonisierung in Europa vorantrieben, sondern der EuGH. Konkret: Es war allem Anschein nach richtig, dass der EuGH jede Werbeaussage als eine der Behinderung des freien Warenverkehrs gleich wirkende Maßnahme bewertete; es war ferner richtig, dass der EuGH nach Anerkanntsein dieser Bewertung ein Stück zurückwich und die Unterscheidung zwischen bloßer Verkaufsmodalität (kein Fall von Art. 30 EGV bzw. Art. 28 EG) und /.. - 54 produktspezifischer Maßnahme (Anwendbarkeit von Art. 30 EGV bzw. Art. 28 EG) einführte. Unverständlich war die Zuweisung der Verantwortlichkeit für diese Änderung an die Kläger ("da sich die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf Art. 30 EGV berufen, …..hält es der Gerichtshof für notwendig, seine Rechtssprechung auf diesem Gebiet zu überprüfen…..", vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1999, 475, 478 a.E.; s.u. Ziffer 3.2.3.2 a.E.). Will heißen: Umbrüche im herkömmlichen Rechtsverständnis können durch die Einsicht in die Notwendigkeit der Verwirklichung europäischen Rechts bedingt sein. Leistet dann der EuGH oder der europäische Gesetzgeber die dogmatische Rechtfertigung, also die Begründung für den nach wie vor bestehenden Zusammenhang mit dem Rechtssystem im übrigen nicht, muss diese Begründung vom nationalen Gesetzgeber oder der nationalen Rechtsprechung vorgetragen werden. Ist eine solche Begründung allerdings nicht zu leisten, stellt sich die Frage, ob die neue Sichtweise richtiges Recht ist. So lässt es sich wohl begründen, dass Verhaltensweisen, die gegen Vorgaben des europäischen Rechts stehen, keinen Vertrauensschutz genießen. Es lässt sich wohl begründen, dass Änderungen der Rechtslage rückwirkend zu gelten haben. Es lässt sich zwar begründen, ist jedoch wegen entgegenstehender bürgerlicher Grundfreiheiten nicht zu rechtfertigen, wenn der EuGH bei Sachverhalten, die dem Kartellrecht unterliegen, von den Betroffenen fordert, sie hätten sich an der Aufklärung des Sachverhalts auch dann noch zu beteiligen, wenn dies zu einer Selbstbelastung führt (zwischenzeitlich durch den EGMR berichtigt, www.markenrecht-bernreuther.de, Ziff. 2.1. und Ziff. 26.2.2.5). Es lässt sich zwar begründen, ist jedoch nicht einsichtig, wenn bei neuerlicher Auftragsvergabe an ein anderes Unternehmen die Arbeitnehmer des ersten Unternehmens wegen Betriebsübergangs einen Beschäftigungsanspruch besitzen. Es lässt sich innerhalb vertraglicher Beziehungen kaum begründen, dass mögliche vertragliche Ansprüche gegenüber den Vertragspartnern des Vertragspartners ohne eigene vertragliche /.. - 55 Beziehungen – unter Übernahme der französischen action directe – geltend gemacht werden können. Es lässt sich – entgegen erstem Anscheins – wohl doch begründen, wenn die bloße Haustürsituation als solche gegenüber der finanzierenden Bank eingewendet werden kann. Es lässt sich kaum begründen, weshalb ein Werbevergleich unter persönlicher Bezugnahme auf den Mitbewerber nur auf tatsächlicher Grundlage (unter Beachtung weiterer Voraussetzungen), nicht jedoch auf der Grundlage von durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützten Bewertungen möglich sein soll. Man sieht: Es gibt eine Menge zu tun. Packen wir's an. 2.2.3.4 Meine Auffassung von juristischer Methode Was meine Haltung in Fragen der juristischen Methode anbelangt, so sehe ich es als Aufgabe der an der Rechtsfindung beteiligten Juristen an, eine gedankliche Brücke zwischen dem Gesetz und der Bewertungsmöglichkeit des Einzelfalles zu schaffen. Ich gehe also nicht davon aus, der Jurist habe die Aufgabe, zwischen Norm und Sachverhalt, zwischen Sollen und Sein zu vermitteln. Der Mandant wird im Gespräch zumindest am Ende der Schilderung seiner Wahrnehmung des Sachverhalts und nach ergänzenden Fragen zum wahrgenommenen Sachverhalt, befragt oder ungefragt mitteilen, welches Ziel er verfolgt. Dieses Ziel hat der Mandant in der Regel klar vor Augen. Will heißen, er bevorzugt die Bewertung seines Verhaltens als rechtmäßig oder als nicht so rechtswidrig, wie ihm dies vorgeworfen wird. Zum Zweck der rechtlichen Durchsetzung dieser Bewertung ist anwaltliche Hilfe notwendig. Es ist sodann Aufgabe des Anwaltes, zwischen der Mandantenbewertung, welche Ausgangspunkt für sein tatsächliches Ziel ist, und den rechtlichen Normen eine Brücke zu schlagen, die auf solche Weise halten muss, dass in der Rolle des Gläubigers das Gewollte als Recht, mithin die eigene Bewertung mit der Möglichkeit eines staatlich ausgeübten Zwangs durchsetzbar ist. Ist der Mandant Schuldner, Angeklagter oder Adressat einer behördlichen Maßnahme, hat der /.. - 56 Brückenschlag den Zweck, die Inanspruchnahme oder Bestrafung des Mandanten zu vermindern bzw. zu vermeiden. Der Brückenschlag beginnt mit der Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen der für einschlägig angesehenen Regelungen, er wird fortgeführt mit der Prüfung, ob das für anwendbar angesehene Gesetz die für den Einzelfall getroffene Bewertung des Mandanten in rechtlicher Hinsicht bestätigt. Wie schwierig es ist, ausgehend vom einschlägigen – Gesetzeswortlaut festzustellen, ob dieser die für den Einzelfall getroffene Bewertung des Mandanten bestätigt, wissen alle nicht betroffenen Juristen sowie die übrigen vom tatsächlichen Geschehen nicht betroffenen Personen. Sodann sind die bereits hier angesprochenen allgemeinen Regeln von Bedeutung, welche die Anwendbarkeit des Gesetzes erleichtern oder sogar erst ermöglichen. Die Richter haben des Weiteren die einfachere Aufgabe zu prüfen, ob die von der einen Partei bejahte oder die von der Gegenpartei verneinte rechtliche Bewertung zutreffend ist. Bei dieser Darstellung der Rechtsfindung hier dürfte es auch dann bleiben, wenn die für den Mandanten nützliche Bewertung des Einzelfalles oder sogar das Erfolgsziel vom Anwalt oder von einem sonstigen Dritten herstammt: erneut ist diese Bewertung keine Folge der Vermittlung von Sollen (gesetzlicher Regelung) und Sein (Sachverhalt, wie dieser den Fall ausmacht). Diese Vermittlung, welche logisch zu begründen wohl nicht gelingt unabhängig davon, dass die Antworten auf die insoweit bedeutsamen Fragen verstärkt in der Gehirnforschung (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1999, 792, 800 Fn 73 und 74) gesehen werden, ist in ihrem Funktionieren ein Faktum, vorhanden in jedem Subjekt selbst. Diese Tatsache heißt selbstredend nicht, jedes Subjekt würde zutreffend im moralischen oder juristischen Sinn bewerten. Sie heißt nur, aber auch, dass jeder Mensch in der Lage ist, zu werten. Lediglich hieran knüpfen meine Vorstellungen über den Ablauf von juristischer Methode an. Dass dabei Vorverständnis, unmittelbar zwischenmenschliche Erfahrungen, sozial oder religiös bedingte Erfahrungen und Bewertungen, Bedingungen der Sprechsituation, Einstellungen gegenüber den Bedingungen des Diskurses, um nur einige Umstände zu nennen, in denen /.. - 57 Bewertungsvorgänge einfließen bzw. ausmachen, ist ebenso gewichtig selbstverständlich. sie wie Diese Selbstverständlichkeit bedingt zugleich die Erkenntnis, dass wir Menschen irren. Irren ist menschlich, irren gehört zum Mensch sein. Wer sich nicht irrt, ist kein Mensch. Wer Mensch ist, irrt. Gerade vor diesem Hintergrund sind moderne Wahrheitstheorien bedeutsam, welche die Bedeutung der Sprechsituation, die Bedingungen des Diskurses, erkennbar machen und betonen. In diesem Zusammenhang geht es nicht mehr so sehr um das Errichten von Positionen, das Einnehmen von scheinbar unverrichtbaren Standpunkten. In Bewusstmachung dieser Tatsache ist es nicht verwunderlich, dass viele, vielleicht sogar die Mehrheit der Neuansätze innerhalb der juristischen Methodendiskussion die Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie für den Bereich juristischen Erkennens widerspiegeln. Jedes methodische Anliegen, welches auf gute Gründe verweisen kann, ist berechtigt. So bleibt der Rechtsstaat nachvollziehbarer Rechtsstaat, er wird nicht zum bevormundenden, weil besser wissenden Rechtstaat. 2.2.3.5 Zusammenfassung zu Ziff. 2.2.3 Die erste Frage nach der Möglichkeit des Erreichens einer zutreffenden rechtlichen Entscheidung ist häufig darauf gerichtet zu erfahren, wie die vorhandene Stofffülle bewältigt werden kann. Stofffülle beispielsweise im Bürgerlichen Recht oder im Markenrecht ist nicht bedingt durch Anstrengungen und Tätigkeiten des Gesetzgebers, sondern bewirkt durch eine stetig ansteigende und weiterhin zunehmende Rechtsprechung. Diese Rechtsprechung zu beachten sind wir gehalten, um staatsrechtliche Vorgaben – Wahrung des insbesondere durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgewiesenen Rechtfertigungszusammenhangs zwischen einem nicht ohne weiteres aufhebbaren Gesetzesverständnis; Einhaltung von Vorgaben des europäischen Rechts, vermittelt durch eine verbindliche Auslegung von Richtlinien – zu verwirklichen. Die Rechtsprechung selbst ist auch das Ergebnis spezieller juristischer Vorgehensweisen, also auch Folge eines /.. - 58 bestimmten Weges zur rechtlichen Erkenntnis, mithin ebenso Resultat juristischer Methode. Vorausgesetzt, die tägliche Arbeit der Juristen beim Erarbeiten von Falllösungen, wird als Methode verstanden. Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dieser Rechtsprechung, welche gerade in ihrer Nachvollziehbarkeit auch die Folge methodischer Erwägungen ist, stellt selbst einen Gegenstand der Methode dar. Denn die Anwendbarkeit dieser die Gesetzesbegriffe selbst auf einer niedrigeren Abstraktionshöhe verallgemeinernden Rechtsprechung, das widerspruchsfreie Zusammenfügen dieser allgemeinen Aussagen, das Wahrnehmen dieser Aussagen vor einem konkreten Fallhintergrund und der Sinn und Zweck dieser Aussage sind einordenbar nur als methodische Anliegen. Was die Auslegung selbst nach dem bekannten Methodenschema, also – nochmals – nach dem Wortsinn, dem systematischen Zusammenhang, nach dem Willen des Gesetzgebers und nach dem Willen des Gesetzes anbelangt, so bekennt sich auch der EuGH zu diesem Weg der Erkenntnis, tatsächlich vernachlässigt er aber die systematische und die historische Auslegung (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 2001, 513, 516 nebst Fn 17 bis 19 u. 26; S. 517 Fn 28), was vor dem Hintergrund der französischen Rechtstradition, eingeführt in die Rechtsprechung durch die Tatsache, wonach Beratungen zwischen den Richtern des EuGH in französischer Sprache stattfinden (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 2002, 368, 369 nebst Fn 15 bis 17), ebenso folgerichtig wie kritisierbar ist. Wichtiger noch als die verfassungskonforme Auslegung, die dazu dient, beim Blick über die eigene Schulter festzustellen, ob im Rahmen des auf der Grundlage einfachen Gesetzesrechts geschaffenen schlüssigen Lösung die Wertungen der Grundrechte hinreichend Berücksichtigung fanden, ist die richtlinienkonforme Auslegung. Die richtlinienkonforme Auslegung besagt, dass die auf gesetzlicher Grundlage zu findende Lösung mit Blick auf die Richtlinie als gemeinschaftsrechtliche Vorgabe der anzuwendenden gesetzlichen Regelung zu erfolgen hat. Nachdem Richtlinien allerdings regelmäßig /.. - 59 entweder wörtlich übersetzt und so zum Bestandteil nationaler Gesetze werden oder aber sogar im Zuge der Umsetzung einen genaueren Inhalt erfahren, dient zur Ermittlung des genaueren Inhalts einer Richtlinie weniger die Richtlinie selbst als die Rechtsprechung des EuGH dazu, Erkenntnisse darüber zu vermitteln, was als "richtlinienkonform" anzusehen ist. Eine Rechtsprechung des EuGH, welche als Auslegungsmöglichkeit im Zuge der Vergegenständlichung des Richtlinienwortlautes in Betracht kommt, ist dann vorhanden, wenn Entscheidungen dieses Gerichts (EuGH) auf Vorlagefragen, wie die betreffende Textstelle der Richtlinie auszulegen ist, vorhanden sind. Vorlagen und somit die in ihnen enthaltenen Fragen zur Auslegung der Richtlinie enthalten häufig Auslegungsvorschläge. Diese Auslegungsvorschläge stammen von vorlegenden Gerichten. Damit wird deutlich, dass die richtlinienkonforme Auslegung zwei Hauptanwendungsfälle kennt: zum einen geht es um die Ermittlung des genauen Inhalts der Richtlinie aufgrund vorhandener Vorgaben des EuGH, zum anderen ermitteln die vorliegenden Gerichte (in Deutschland vor allem der BGH) den wahrscheinlichen Richtlinieninhalt vor dem Hintergrund der Absichten des europäischen Gesetzgebers und des europäischen Rechts. Was nicht die Auslegungsmittel bzw. Auslegungsregeln, sondern die Auslegungsziele anbelangt, so wird herkömmlicher Weise zwischen der subjektiven und der objektiven Theorie unterschieden. Nach der subjektiven Theorie sind sämtliche Auslegungsmittel vor dem Hintergrund der Vorstellung des historischen Gesetzgebers anzuwenden, maßgebend ist demnach der Wille des Gesetzgebers. Nach der objektiven Theorie sind die Auslegungsmittel vor dem Hintergrund des im Zeitpunkt der Auslegung gedachten Gesetzgebers wirksam, maßgebend ist der Wille des Gesetzes. Gegen die Möglichkeit der Anwendung der subjektiven Theorie bestehen nach meiner Auffassung erhebliche methodische Bedenken. Nachdem es – zumindest zunächst – keine Vorstellungen von dem, was ursprüngliches Wortverständnis, seinerzeit gültiger Regelungszusammenhang, damalige Vorstellung von tragbarer Gesetzesbegründung und damaliger Vorstellung vom seinerzeit objektiv gültigen Gesetzeszweck gibt, welche nicht zugleich durch /.. - 60 das heutige Bewusstsein vermittelt sind, ist meines Erachtens der Erkenntniswert der subjektiven Theorie nicht allzu hoch, auch wenn das staatsrechtliche Anliegen – keine Ersetzung des Gesetzes durch eigene Vorstellungen und Behauptungen – hoch zu preisen ist. Gegen die Möglichkeit der objektiven Theorie scheint zu sprechen, dass die Rede vom Willen des Gesetzes keine sinnvolle Rede ergibt eingedenk der Tatsache, dass das Gesetz kein Lebewesen, noch dazu ausgestattet mit einem eigenen Willen, ist. Sinnvoller wird die Rede vom Willen des Gesetzes, wenn man eine Erkenntnissicht einnimmt, welche vom Gesetzeswortlaut nach heutigem Verständnis, vom Regelungszusammenhang, wie er heute im Hinblick auf die zu vergegenständlichende Textstelle besteht, von dem heute festgestellten des damals in der Gesetzesbegründung gemeinten und viertens dem heutigen Zweck des Gesetzes ausgeht, immer entfaltet vor dem Hintergrund eines gedachten, heute abstimmenden Gesetzesgebers. Die richtlinienkonforme Auslegung lässt sich schließlich auch als Auslegungsziel verstehen, vor dessen Hintergrund Wortsinn, Regelungszusammenhang, Vorstellung des Regelungsgebers und objektiver Sinn und Zweck der Richtlinie zu entfalten sind. Gegen die Methode der Rechtsgewinn mittels Rückgriffs auf das bekannte, erweiterte Methodenschema, werden zwei Haupteinwände vorgetragen: Eine Beanstandung lautet, die Rechtsfindung sei durch mehr als die das bekannte und erweiterte Methodenschema ausmachenden Umstände bedingt. Zum anderen wird auch von Vertretern, die eine Rechtsgewinnung in vornehmlich herkömmlicher Weise bevorzugen kritisiert, es gebe keine Metaregel, welche die feste Bestimmung eines Rangverhältnisses zwischen den Auslegungsmitteln ermöglicht. Zum ersten Haupteinwand wiederhole ich gerne die Ausführungen eines in Gießen lehrenden Hochschullehrers, wonach die Geschichte der neueren Methodenlehre eine Geschichte der Angriffe gegen dieses Subsumtionsmodell der Rechtsanwendung ist, wobei festzustellen ist, dass sich trotz dieser Angriffe das Subsumtionsmodell im Wesentlichen behauptet hat. Dieser Einsicht widerspricht in keiner Weise die Erkenntnis, dass /.. - 61 das Verstehen von Gesetzestexten nicht ohne Vorverständnis geschieht oder besser, möglich ist. Die Annahme, die Anwendung des Methodenkanons (Methodenschema) erfolge gleichsam von neutralem Boden aus, wird heute ernsthaft niemand mehr behaupten. Es ist zutreffend, dass sich der Leser mit dem Gesetzestext und dem zu lösenden Fall in einer Art des Hin- und Herwandern des Blicks beschäftigt, was weniger zu einer Kreisbewegung als zu einer spiralförmigen Bewegung führt, was den Erkenntnisprozess in der Beschäftigung mit dem Text anlangt. Zusätzlich lassen sich andere Vorgänge betreffend das Wie der Konkretisierung des Gesetzestextes beschreiben. All dies widerlegt das erwähnte Methodenschema nicht, sondern ergänzt es. Dessen Beweglichkeit und Überlebensfähigkeit folgt vor allem aus der Möglichkeit, das Gesetz auch (und: oder gerade) nach dem heutigen Sinn und Zweck auszulegen. Hier scheint bereits der zweite Einwand, mithin der des Fehlens einer verlässlichen Rangfolge angesprochen: Die Anwendung der genannten Auslegungsmittel dient nach Auffassung eines Teils der Literatur dazu, den Willen des Gesetzgebers zu verwirklichen, nach der überwiegenden Gegenmeinung geht es um die Verwirklichung eines für heute gedachten Gesetzgebers. Wenn allerdings die objektiv-teleologische Auslegung regelmäßig an vierter Rangstelle genannt wird, zugleich aber die Mehrheit der Autoren insoweit sich für eine Bevorzugung der objektiven Theorie ausspricht, liegt – wie zu Anfang dieses Absatzes ausgesprochen – der zweite Einwand scheinbar auf der Hand. Die Lösung dieses Problems dürfte mit der Überzeugungskraft des Methodenkanons als eines Argumentationsmodells zusammenhängen, welches in besonderer Weise die Legitimation des Rechtsstaates widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund gilt: Es ist in keiner Weise ausgeschlossen, sondern im Gegenteil eher nahe liegend anzunehmen, dass die Auslegung vor dem Hintergrund des Willens des historischen Gesetzgebers im Lauf der Zeit nachrangig gegenüber der Auslegung nach dem Willen des Gesetzes wird, wobei diese Entwicklung vom Gesetzgeber mitgetragen wird. Die Novellierung des am 08.07.2004 in Kraft getretenen UWG ist hierfür der beste Beweis: Der Gesetzgeber hat eine vom UWG alter Fassung sich loslösende /.. - 62 Rechtsprechung bestätigt und damit die Auslegung nach dem Willen des Gesetzes mit dem Rang und dem Prädikat einer demokratischen Mehrheitsentscheidung in Form des Gesetzes ausgestattet. Ähnliches gilt für das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1998, 280, 283 nebst Fn 21). Will heißen: Sind gute Gründe für eine Durchbrechung des Rangsverhältnisses der als Schema dargestellten Auslegungsregeln vorhanden und wahren diese guten Gründe insbesondere den Legitimationsanspruch des Gesetzes, können anderweitige Rangverhältnisse maßgebend sein. Hierfür lässt sich durchaus ein Theoriemodell entwickeln, welches von Teilnehmern der jüngeren Methodendiskussion eingelöst wird (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1995, 452, 456 nebst Fn 46 bis 48), auch ich habe einen – bislang nicht veröffentlichten – Beitrag insoweit geleistet. Neue Ansätze in der Methodendiskussion widerlegen das herkömmliche, ergänzte Methodenschema nicht, sondern ergänzen es durch Rückgriff auf andere Mittel. Vorverständnis, Hin- und Herwandern des Blicks, Fallnorm, Herstellung von nicht weiter begründungsfähigen Voraussetzungen zur Ermöglichung einer Diskussion, in welcher Wahrheit durch Meinungsaustausch in der Atmosphäre eines herrschaftsfreien Dialogs hergestellt werden kann, dies alles sind Stichwörter, welche insoweit wichtig sind. Und schließlich fordert das Gemeinschaftsrecht dazu heraus, Begründungen zu finden, die das Verlassen des Denkens in vertraglichen Beziehungen bei der Geltendmachung vertraglicher Ansprüche rechtfertigen, um ein Beispiel zu nennen. 3. Zusammenfassung zu Ziff. 1 und 2 Bei der Gegenüberstellung von Musik- und Gesetzesinterpretation ist zu trennen zwischen den Gegenständen der Interpretation und der Interpretation selbst. Eine Interpretation der Interpretation wird hier nicht geleistet. Dies widerspricht dem transzendentalen Anliegen - zu fragen ist nach den Bedingungen der Erkenntnis innerhalb der Grenzen der Erfahrung -, welches hier mitunter aufscheint, deshalb nicht, weil der /.. - 63 hieraus folgende infinite Regress im Zusammenhang mit meinem Thema weder auf gute Gründe noch sonstige Gründe verweisen kann, wann aufzuhören ist mit der Interpretation der Interpretation (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 2001, 513, 521, Fn 70). 3.1 Musik und Gesetz als Gegenstände 3.1.1 Die Gegenstände als solche Musik ist die Wiedergabe einer Tonschöpfung, das Gesetz ist Ergebnis einer Sprachschöpfung. 3.1.2 Der Zweck von Musik und Gesetz 3.1.2.1 Der Zweck von Musik Musik ist Kunst. Musik ist Kunst, vorausgesetzt, die notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für Kunst ist erfüllt: Die als Kunstschöpfer auftretende Person muss zu allererst etwas können. Wie sagte ein in einer süddeutschen Großstadt ehemals wohnender Künstler, zumeist bezeichnet als Komiker: "Kunst kommt immer noch von Können und nicht von Wollen". Anders als in der Dichtung oder gar in der Malerei, wo jeder Wortposaunist behaupten kann, er sei Künstler, ist Können oder Nichtkönnen in der Musik beweisbar. Will heißen: Wer sein Präludium und seine Fuge spielen kann, kann zumindest etwas. Das Vorhandensein eines Gedichts oder eines Gemäldes beweist demgegenüber noch kein Können. Kunst zählt philosophisch betrachtet zur Ästhetik. Ästhetik ist die Lehre vom Schönen, dies sah – in etwa – so auch der Jahrtausendphilosoph aus Königsberg, nach dem er neun Jahre vor Erscheinen der Kritik der Urteilskraft in der ersten Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft den Begriff "Ästhetik" noch zur Darlegung der einen reinen Form der Anschauung benutzte. Die Frage nach dem Schönen, nach dem interesselosen Wohlgefallen dem, was ohne Begriff gefällt, hat vom Ergebnis her betrachtet einen Wandel erfahren, seit uns und in verstärktem Maße durch Künstler gegenwärtig ist, dass der Mensch /.. - 64 das menschliche Unheil in der Welt verantwortet. Eine schöpferische Auseinandersetzung hiermit, entfaltet auf dem Boden des Könnens, ist Kunst, fällt mithin nicht aus dem Begriff des Schönen heraus, zumal, wenn eine Harmonie mit dem Menschen hergestellt ist. Dies gilt unabhängig davon, dass ich mir persönlich wünsche, die gerade in Auseinandersetzung mit dem Menschen als möglichen Unheilbringer entstandene Kunst weist ein versöhnliches Ende auf, heißt es doch: Lasset euch versöhnen mit Gott. Musik bezweckt die Entfaltung des Menschlichen, verlautbart in der Endlichkeit und gerichtet gegen diese, weil absurd ist, was uns begrenzt: Der Tod. 3.1.2.2 Der Zweck des Gesetzes Das Gesetz bezweckt, die Anwendungsvoraussetzungen der in ihm enthaltenen Handlungsregel festzulegen. Das Gesetz bezweckt weiter, menschliches Verhalten insbesondere im Hinblick auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Alltags zweckentsprechend zu gestalten. Das Gesetz bezweckt, die Freiheit menschlichen Handelns zu sichern; wir binden uns an das Gesetz, um frei zu sein, wie ein römischer Dichter, Redner und Politiker sagte. Das Gesetz bezweckt, der Wahrheit Geltung zu verschaffen. Und das Gesetz bezweckt Gerechtigkeit (vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1999, 792, 797 bis 799 [Ziff. 5.1 bis 5.3], WRP 2001, 513, 521 Fn 69 und WRP 2003, 846, 882 Fn 193). Das Gesetz hat kein ästhetisches Anliegen, es ist nicht auf die Verwirklichung des Schönen in der Breite menschlicher Existenz und gegen die Absurdität des Todes gerichtet. Was es nicht ausschließt, dass Recht – mitunter – in schöner Sprache vorhanden ist, insbesondere Sondervoten von Richtern des Bundesverfassungsgerichts sind hierfür Beleg (sie werden dann Recht, wenn das Bundesverfassungsgericht sich ihnen aus Anlass eines späteren Falls und damit im Zuge einer Änderung der Rechtsprechung anschließt). Durch die Tatsache und die immer wieder einzulösende Forderung, wonach das Recht auf die Ethik als den Grund seiner Rechtmäßigkeit verweist, teilt das Gesetz (obwohl nicht identisch /.. - 65 mit dem Recht) den Moment der Überzeitlichkeit mit der Musik. 3.1.3 Die gelungene Musik, das gelungene Gesetz 3.1.3.1 Die gelungene Musik Zu versuchen, eine Antwort auf die Frage nach der gelungenen Musik zu geben, scheint vermessen. Denn jede Stellungnahme führt möglicherweise zu Bewertungen, die im ungünstigsten Fall das Urteil einer entarteten Kunst ergeben, was eine kaum zu übertreffende Abirrung ist, welche nicht weit entfernt von der Vernichtung unwerten Lebens liegt. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass Musikästhetik zu unserer Frage wesentliche Antworten beitragen kann. Zu einer derart umfassenden Musikästhetik bin ich aber – zumindest bislang – weder in der Lage, noch wäre hier der geeignete Ort, jene zu entfalten. Die Berechtigung der Frage nach der gelungenen Musik ergibt sich somit nur aus der Gegenüberstellung zum gelungenen Gesetz. So lautet meine Antwort: Musik ist Kunst. Und Kunst zeichnet sich für mich dadurch aus, dass sie im Lauf der Zeit weiterhin als Kunst wahrgenommen wird, insbesondere, weil sie als Werk vom – möglicherweise charismatischen – Urheber der Kunst unabhängig besteht. Hauptmerkmal für Kunst ist also für mich ihr Bestehen im Lauf der Zeit. Dass ich nicht zu jedem Komponisten denselben Zugang besitze, ist eine persönliche Begrenztheit meines Blicks, nicht jedoch ein Urteil, die Musik dieses oder jenes Komponisten sei nicht gelungen. Dass Künstler zu Lebzeiten um Anerkennung rangen und ringen, was möglicherweise sogar eine Mitursache für ihren Schöpferdrang war und ist, bedeutet eine Begrenztheit des Blicks für Kunst, der uns alle betrifft. Keiner der geneigten Leser wird für sich sagen können, er hätte auf die Bitte von Bach um mehr Chorsänger nach der Aufführung der Matthäus-Passion 1727 nicht ebenso wie der Rat der Stadt Leipzig mit dem Schlusssatz geantwortet: "Der Kantor tuet nichts" und dies, obwohl die ersten drei Kantatenjahrgänge (von fünf), einige wenige weltliche Kantaten, die Motette "Singet dem Herrn ein neues Lied" (von welcher das mit Salzburg in Verbindung zu bringende Musikgenie nach Besuch der Thomas-Kirche zu Leipzig sagte: "Das ist ja endlich einmal etwas, von /.. - 66 dem man noch lernen kann"), einige Messen, die Johannes-Passion, ein Großteil des Orgelwerks, ein Teil der Konzertbearbeitungen, das Orgelbüchlein, einzelne Choralbearbeitungen, die Inventionen und Sinfonien (Klavier), die englischen Suiten, die französischen Suiten, zumindest ein Teil der Sechs Partiten, das Wohltemperierte Klavier I. Teil, die Toccaten, Neun Kleine Präludien (aus dem Klavierbüchlein Wilhelm Friedemann-Bach), das Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach, Werke für Laute, sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo, ein Teil der Violinkonzerte, die Brandenburgischen Konzerte (als die bekanntesten und schönsten concerti grossi), ein Teil der Orchestersuiten, zumindest ein Teil der Kanons, das Magnaifcat und manch’ anderes mehr komponiert worden waren; keiner wird von sich sagen können, er habe das Frühgenie des schlechthin mit Salzburg in Verbindung gebrachten Künstlers bereits zu dessen Lebzeiten in vollem Umfang erkannt, keiner wird von sich sagen können, er hätte zu Lebzeiten des deutschen Operngenies dessen erstaunliche Bittbriefe vor Entstehung seines Ruhmes nicht als peinlich bewertet. Will heißen: die Definition von Kunst als Kunst, wonach sie im Lauf der Zeit weiterhin als Kunst wahrgenommen wird, weist zwei Bedingtheiten auf. Zum einen wird nicht alles, was heute als Kunst bezeichnet wird, zugleich als Kunst Bestand haben. Zum anderen wird es Kunst geben, von der wir noch keine – oder schlimmer – nie eine Ahnung haben. Diese Tatsache, die für Musiker, Schriftsteller, Maler durchaus gelten kann, vermag sich gleichfalls bei Philosophen oder sonstigen Wissenschaftlern einzustellen. Die gelungene Musik ist also eine solche, die als solche auch später noch oder gar später und anderenorts als Kunst geschätzt wird, vorausgesetzt, sie ist bereits entdeckt. Bleibt die Frage, ob es ausgeschlossen ist, dass Musik als Kunst existiert, obschon diese Kunst in Vergessenheit geraten ist. Wir müssen uns diese Möglichkeit offen halten, zu begrenzt ist unser Blick, auch wenn diese Möglichkeit der Annahme unserer Definition widerspricht. Als Ausnahmefall widerlegt sie aber nicht den Grundsatz, dass Kunst zumindest dann Kunst ist, wenn sie im Lauf der Zeit als Kunst wahrgenommen wird. Eine persönliche Bewertung gestatte ich mir zum Schluss dieses Gliederungspunktes: Musik ist für mich gelungen, wenn Gesetzmäßigkeit und /.. - 67 Folgerichtigkeit, ausgehend von einem Thema, streng eingehalten werden und dabei zugleich ein Füllhorn von neuem und damit stets neuer Wahrnehmung über uns ausgebreitet wird. Verwirklicht hat dies Bach in seinen Fugen. Fugen sind bekanntlich Musikform und Kompositionsart zugleich. Ihm gelang es sogar, auf Fugen hin zu improvisieren. 3.1.3.2 Das gelungene Gesetz Das gelungene Gesetz hängt zunächst mit gelungener Sprache zusammen. Das gelungene Gesetz ist verständlich, weil es verstehbare Begriffe verwendet; weil sein Aufbau eine nachvollziehbare Logik besitzt; weil es eine Sprachrhythmik enthält, die das Lesen, das Verstehen und das Behaltenkönnen des Gesetzestextes erleichtert; weil im Falle eines hohen Abstraktionsgehaltes die allgemeinen Aussagen durch Regelbeispiel erläutert sind. Das gelungene Gesetz hängt mit seinem Inhalt zusammen. Das gelungene Gesetz ermöglicht es, ein bestimmtes, allgemein eingrenzbares Verhalten zusammenhängend und im Wesentlichen einheitlich zu regeln; das Verhalten zutreffend zu regeln, was auf die meisten Gesetze schon deshalb zutrifft, weil wir Gesetze kraft deren inhaltlicher Richtigkeit, nicht aber aus Angst vor möglicher Strafe befolgen (wäre letzteres der Fall, würde kein Gesetz befolgt, weil die Verfolgung von Verstößen an der Gesetzesübertretung aller scheitert, vgl. meine Ausführungen in WRP 1999, 792, 799 Fn 62). Das gelungene Gesetz hängt mit seinen Zielen zusammen. Das gelungene Gesetz zielt darauf ab, Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit zu vermitteln. Das gelungene Gesetz hängt mit seiner Ästhetik zusammen: seiner Form und seinem Inhalt nach führt es als Regelung menschlichen Verhaltens zu einer Lösung, die in allen Belangen stimmig ist und daher gefällt. Auch die Überzeugungskraft von naturwissenschaftlichen Theorien wird dadurch befördert, dass derartige Theorien gefallen. Es wird sogar von nicht wenig prominenter Seite vertreten, dass – auch – eine solche Theorie schön sein muss. Eine persönliche Bewertung gestatte ich mir zum Schluss dieses Gliederungspunktes: Ein Gesetz ist für mich gelungen, wenn seine stark /.. - 68 verallgemeinernde Aussage betreffend die Bewertung eines bestimmten menschlichen Verhaltens war, freiheitsverbürgend und gerecht ist und dabei der Wortlaut es zulässt, eine Fülle von Handlungen, vom Gesetzgeber vorgesehen und von ihm nicht vorgesehen, mit diesem Wortlaut in Verbindung zu bringen, ohne dass eingewandt werden könnte, es liege ein systematischer Bruch insoweit vor und, es entsteht hierbei ein unangenehmer Beigeschmack. 3.1.4 Die Wahrnehmungserfahrung Musik und Gesetz betreffend 3.1.4.1 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend Musik Der Musizierende nimmt Musik mit seinem Ohr, beim Instrumentenspiel mit seinem Tastsinn, beim Singen durch die gesamte Körperwachheit wahr. Das Auge ist nur in geringem Umfang ein die Musik wahrnehmendes Sinnesorgan, auch wenn die Unterschiede für jeden augenfällig sind, legt man beispielsweise eine Partitur von Bach neben eine solche des Heroens der klassischen Musik. Der Musizierende verstärkt diese Wahrnehmungsmöglichkeit beim Musizieren in der Gemeinschaft, am stärksten beim Singen im Chor. Der Zuhörende nimmt Musik – dies klingt etwas schlicht zunächst – mit seinem Ohr wahr. Nimmt er an einer Aufführung oder an einer Probe teil, wird seine Wahrnehmung durch die Augen unterstützt: Musik geht immer auch in die Beine, sie ist Bewegung, welche am Vollkommensten nicht durch ein Ballett, sondern durch den begabten und könnenden Dirigenten vorgegeben wird, auch hier dient der langjährige Leiter eines in Franken gelegenen Knabenchores als positives Beispiel. Musik ist Bewegung, dies kann man jedem musizierenden Künstler anmerken, wobei mich die Musik ausdrückenden Instrumentalisten nicht, die Chorsänger sehr wohl stören (weil letztere häufig von sich selbst bewegt sind, eine Wahrnehmung, welche allerdings keine intersubjektive Gültigkeit beansprucht). Hat der Zuhörer nicht die Möglichkeit, an einer Aufführung teilzunehmen, bleibt allein das Ohr, sieht man von der hier nicht erörterten Ausnahmemöglichkeit einer Video-Aufnahme ab. /.. - 69 3.1.4.2 Die Wahrnehmungserfahrung betreffend das Gesetz Die einen Gesetzestext lesende Person bleibt bei ihrer Sinneswahrnehmung auf das Auge begrenzt. Die Entfaltung des Menschlichen, geweckt durch eine Vielzahl von Sinnen, ist nicht der Inhalt des Vorgangs bei der Wahrnehmung eines Rechtssatzes; aber letztlich doch auch Zweck. Ohne Erfahrung, zumindest ohne Vorstellungsvermögen eines einzigen möglichen Falles, ist die allgemeine Regel als Inhalt eines Gesetzes nicht vorstellbar. Die Erkenntnis, welches menschliche Verhalten wie erfasst und bewertet wird, folgt nicht aus dem Gesetzestext, dies gilt zumindest für eine stark von Einzelumständen losgelöste Regel ohne Regelbeispiele. Wie sagte der Jahrtausendphilosoph aus Königsberg: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), als, seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen, oder Fähigkeiten, können auch ihre Funktionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, dass sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen." Dieser Philosoph ist im Übrigen – auch und gerade durch dieses Zitat – Vorzeigebeispiel dafür, dass auch Wissenschaft sich in schöner Sprache entfalten kann, also Ästhetik möglicherweise besitzt. 3.1.5 Der Inhalt von Musik und Gesetzen außerhalb des Kreises derer, die musizieren bzw. das Gesetz anwenden 3.1.5.1 Der Inhalt von Musik außerhalb des Kreises der Musizierenden Wird Musik aufgeführt, also unter Beteiligung eines Publikums im Zuge einer Generalprobe oder eines Konzertes vorgetragen, ist diese Musik eine andere als ohne Beteiligung des Publikums. Das Publikum verändert nicht nur die Akustik, sondern auch die Spannung, letztere vor allem im Sinne eine Verstärkung (auch wenn Huster und Nieser, die nicht unterdrücken, sondern frisch, fröhlich und frei in Generalpausen oder ungebremst /.. - 70 in der ersten Sekunde nach dem Verklingen des Schlusstones eines Satzes oder eines Werkes sich entsprechend verwirklichen, nichts, aber auch gar nichts in einem Konzertsaal verloren haben). Wird Musik für einen Tonträger eingespielt, kann in besonderer Weise der Anspruch auf Fehlerlosigkeit verwirklicht werden, derart makellose Aufnahmen haben mitunter aber auch den Makel, nur noch perfekt zu sein, will heißen, die Ausdruckskraft der musikalischen Gedanken und seiner Spannungsbögen nicht wiederzuspiegeln. Dies muss allerdings nicht sein. 3.1.5.2 Der Inhalt eines Gesetzes außerhalb des Kreises derer, die das Gesetz anwenden Ob die Gesetzesanwendung eine andere ist, wenn die vom Gesetz im konkreten Fall betroffenen Personen im Gerichtssaal anwesend sind oder nicht, ist nicht einheitlich zu beantworten. Er stellt einen Vorteil des Rechts dar, dass dieses es ermöglicht, von vielen Bedingungen tatsächlicher Art wie etwa der seelischen Verfassung der Parteien anlässlich eines Vertragsschlusses oder anlässlich der Vertragsdurchführung losgelöst zu werten. Derartige tatsächliche Bedingungen spielen aber in manchen Bereichen wie dem Umgangsoder Sorgerecht bei Kindern bzw. bei Straftätern durchaus eine gewisse Rolle. Was den Einfluss tatsächlicher, von außen einwirkender Bedingungen des Weiteren anbelangt, so kommt in allen rechtlichen Bereichen hinzu, dass in der Revisionsinstanz diese tatsächlichen Bedingungen ohne Belang bleiben. Dieser Gesichtspunkt – die Befassung in der Revisionsinstanz allein mit der Rechtsfrage – kann aber mitunter dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht in besonders gelagerten Fällen die Berücksichtigung der tatsächlichen Lage einfordert, als Beispiel sei die Berichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch das Bundesverfassungsgericht zu dem Stichwort der gestörten Vertragsparität genannt. 3.1.6 Der Inhalt von Musik und von Gesetzen außerhalb der Handlungen der Musiker bzw. der Gesetzesanwender 3.1.6.1 Der Inhalt von Musik aufgrund Handlungen der Musiker /.. - 71 - Blendet man das Vermögen derer aus, die Musik aufgrund des Lesens einer Partitur zu hören vermögen, gibt es Musik ohne die Handlung der Musiker nicht. 3.1.6.2 Der Inhalt von Gesetzen aufgrund der Handlungen der Gesetzesanwender Das Gesetz ist auch ohne die vergegenständlichenden Handlungen derer, die an der Gesetzesanwendung beteiligt sind, in der Welt. Ob allerdings für den restlichen Personenkreis ein vernünftiger Gegenstand von dem, was Gesetz heißt, in der Welt ist, blendet man zusätzlich die Veröffentlichungen derer aus, die zur Konkretisierung des Rechts beigetragen haben, ist fraglich. Denn ohne Vergegenständlichung durch die Gesetzesbegründung, die Rechtsprechung und die juristische Literatur dürfte der Inhalt eines Gesetzes für Nichtjuristen schwer vorstellbar sein. 3.1.7 Die Musik und das Gesetz 3.1.7.1 Die Musik Ton, Rhythmus und Harmonie machen die Musik. Die Harmonie muss in den Tönen, im Rhythmus und zwischen Ton und Rhythmus stimmen. In solcher Art Musik kommt es zur Verwirklichung des Menschlichen als dem, was den Menschen als Menschen ausmacht. Das Menschliche soll hier – auch – das sein, worin sich der Mensch als Mensch im Horizont seiner Endlichkeit und vor der Absurdität seines Todes und seinem Verlangen, über den Tod hinaus zu wirken, erblicken kann. In solcher Art Musik hat sich der Schöpfer der Musik als die mit Abstand hauptmaßgebliche Person – dies sollte Erkenntnisgegenstand jeder Musikkritik, aber auch jedes Selbstverständnisses eines ausübenden, also nicht komponierenden Musikers sein – uns offenbart, wobei der kluge Komponist erkennt, dass er nicht allein schuf, sondern zugleich in mehr oder minder starker Weise Gott durch ihn zu uns sprach. 3.1.7.2 Das Gesetz Das Gesetz besteht aus Sätzen, die unser /.. - 72 Verhalten dadurch regeln, dass die Bedürfnisse nach einer Regelung einsehbar und die Rechtsfolgen, also die möglichen Vor- und Nachteile bei Einhaltung oder Missachtung der Regel wahr, freiheitsverwirklichend und gerecht sind. Von der sozialen Regel unterscheidet sich das Gesetz dadurch, dass die möglichen Vor- und Nachteile zwangsweise durchsetzbar sind. Der Unterschied zur moralischen Regel liegt darin, dass die Rechtfertigung des Gesetzes zunächst allein in der Beachtung der formellen Voraussetzungen des Gesetzgebungsverfahrens, nicht aber in ausschließlich auf der Vernunft fußenden Geltungsgründen liegt. Dies muss als der entscheidende, den Mittelpunkt des modernen Rechtsstaats bildende Vorteil erkannt, herausgestellt und immer wieder betont werden. Dieser Rechtsstaat verbürgt uns nichts anderes als die Freiheit unter Ablehnung einer Vorstellung des Gottesstaates auf Erden mit seiner Gewaltverherrlichung des Mächtigeren qua besserer Einsicht. Werden diese formalen Bedingungen eingehalten, sind ferner Grundrechte garantiert und ausübbar, steht man vor dem, was als Rätsel oder Geheimnis bezeichnet werden muss: Der formale Rechtsstaat ist in der Lage, Inhalt zu garantieren, die ein Zusammenleben aller nicht nur ermöglichen, sondern in guten Bedingungen bietet. Nimmt man diese Tatsachen (formelle Bedingungen des Rechtsstaats einerseits; Verständigung auf sinnvolle Inhalte auf der Grundlage dieser formellen Bedingungen andererseits), steht man vor der Grundfrage des modernen Rechtsstaates nämlich: Wie ist Legitimität durch Legalität möglich. Das Gesetz stammt nicht selten von Beamten des im Gesetzgebungsverfahrens zuständigen Ministeriums, weniger häufig von Mitgliedern des Parlaments, mitunter auch von Professoren oder Richtern, jeweils unter Einbeziehung der Vorstellungen aller Beteiligten. Ein Gesetz ist gelungen, wenn es Harmonie verwirklicht. Harmonie zwischen den Menschen und auf Dauer gelingt nur, wenn der Mensch sich seiner Endlichkeit bewusst ist und in seiner Verantwortlichkeit vor Gott handelt. 3.2 Das Wie der Musik- und Gesetzesinterpretation /.. - 73 - Nachfolgend werden zunächst die vorhandenen Begrifflichkeiten, wie sie die Frage der Methode im Bereich der Musik und des Rechts kennzeichnen, erwähnt und einander gegenübergestellt. Sodann gehe ich kurz auf den Gegenstand des Wies in der Musik und im Bereich des Rechts ein. Als nächstes werden Schwerpunkte der Befassung mit Methode in der Musik und im Recht erwähnt, eine Rede von Methode ist des weiteren sinnvoll nur dann, wenn zugleich die zur Verwirklichung der Methode eingesetzten Mittel dargestellt sind, wichtig ist die gedankliche Rechtfertigung des gewählten Methodenansatzes auch und gerade in der steten, hier den Gegenstand der Erörterungen bildenden Gegenüberstellung von Musik und Recht, abgeschlossen werden meine Ausführungen durch die Frage nach dem Zweck von Musik und Recht. 3.2.1 Die Begriffe, wie sie in Fragen der Methode in der Musik und im Recht eine Rolle spielen In der Musik werden die unterschiedlichen Auffassungen zur Werkaufführungspraxis unter den Stichwörtern "historisch" oder "historisierend" einerseits und "romantisch" oder "romantisierend" andererseits erörtert. Im Bereich des Rechts gibt es kein entsprechendes Begriffspaar. Das bekannte Auslegungsschema, wohl herrührend von der Auslegung der Bibel, wird in der Regel nicht besonders gekennzeichnet. Der Gegensatz zwischen der subjektiven und der objektiven Theorie, welcher hohe Ähnlichkeiten mit dem Gegensatz zwischen historischer und so genannter romantischer Werkauffassung aufweist, findet gleichfalls in gerichtlichen Entscheidungen so gut wie keine Erwähnung. Darüber hinaus kenne ich keine Entscheidung, die zur Kenntlichmachung der eigenen Haltung auf einen neueren Ansatz in der Methodendiskussion verwiesen hätte. Die richtlinienkonforme Auslegung hingegen wird entsprechend der gemeinschaftsrechtlich bestehenden und verfassungsrechtlich sanktionierten Pflicht, diese Auslegung zu beachten, von den Gerichten erwähnt, große Unterscheidungen hinsichtlich dieses Instruments als Auslegungsregel oder Auslegungsziel werden aber nicht getroffen. Das im Bereich der Musik benutzte Begriffspaar historisch-romantisch sagt nichts über den Inhalt der Interpretationsweise aus, mehr noch, es /.. - 74 verfehlt den Inhalt der verschiedenen Werkauffassungen zur Gänze auch, in dem auf diese Weise zugleich Abwertungen transportiert werden. Historische Aufführungspraxis bedeutet, ein Musikwerk klanglich entsprechend den Vorstellungen seines Komponisten wiederzugeben. Jede andere Musikwiedergabe verhält sich zum historisierend musizierten Werk wie die Fälschung zum Original. Romantisierende Aufführungspraxis bedeutet, ein Werk entsprechend seiner Aussage vor dem Hintergrund des Heute und Hier wiederzugeben. Die Entstehungsgeschichte des Werks und damit alle Aussagen seines Komponisten sind von Bedeutung. Nachdem allerdings zumindest der größte Musiker selbst keine Beschränkung seiner Werke auf den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang beabsichtigte bzw. verlautbarte, ist die Berufung auf die einem Kunstwerk innewohnende eigene Dynamik bereits durch Rückgriff auf den Werkschöpfer berechtigt. Das bekannte Auslegungsschema betreffend die Vergegenständlichung von Texten ("Was ist das?") beinhaltet die Frage nach dem Wortsinn (grammatische Auslegung), nach dem Zusammenhang der betreffenden Textstelle mit diesem Text im Übrigen (inneres System) bzw. mit sonstigen mit diesem Text zusammenhängenden Texten (äußeres System), nach den vom Textverfasser beabsichtigten Zielen oder Zwecken (historische Auslegung) und dem Textsinn, wie ihn der heute gedachte Gesetzgeber voraussetzen würde. Dieses bekannte Auslegungsschema wird ergänzt durch Vorgehensweisen, die auf Texte außerhalb des Textes bezogen sind, hervorzuheben ist die vergleichende Auslegung (Frage nach dem Auslegungsergebnis innerhalb einer anderen Rechtsordnung), die verfassungskonforme Auslegung (das geführte Ergebnis soll gleichsam mit einem Blick über die eigene Schulter anhand der Wertungen der Grundrechte überprüft werden) und der richtlinienkonformen Auslegung (welches Textverständnis hätte der europäische Gesetzgeber entfaltet). Die Auslegungsziele eröffnen die Frage, ob die genannten Auslegungsregeln vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens (subjektive Theorie) oder dem Hintergrund des Willens des Gesetzes zu /.. - 75 entfalten sind. Insbesondere bei der richtlinienkonformen Auslegung wird die von einigen Autoren der Methodenlehre zu sämtlichen Auslegungsregeln diskutierte Frage praktisch bedeutsam, ob hier nicht zugleich ein – weiteres – Auslegungsziel eröffnet wird. 3.2.2 Der Gegenstand des Wies bei der Findung des zutreffenden Gesetzesverständnisses Die Entfaltung von Musik bei Beherrschung der Noten ist ohne gleichzeitige Musikinterpretation kaum vorstellbar. Demgegenüber könnte die ausdrückliche Beachtung (oder besser Nichtbeachtung) der juristischen Methode im engeren Sinn durch den praktisch tätigen Juristen zu dem Satz verleiten: das Recht hat es mit dem Ergebnis, die Musik mit der Art und Weise der Darstellung zu tun. Fasst man allerdings unter den Begriff "Juristische Methode" auch die Beherrschung des täglich eingesetzten Handwerkszeugs, nämlich die Sachverhaltserfassung unter dem für die rechtliche Bewertung bedeutsamen Gesichtspunkt, das Erfassen der zutreffenden Normen im Stufenbau der Rechtsordnung, die Verbindung des Gesetzestextes mit den einschlägigen vergegenständlichenden Aussagen insbesondere der Rechtsprechung nebst Darstellung der zutreffenden Rechtsfolgeseite, wird – für den Juristen, nicht aber für den Adressaten des Rechts – die große Bedeutung auch der juristischen Methode deutlich. Es bleibt also dabei: betrachtet man den Adressatenkreis von Musik und Recht, ist das Wie von sehr unterschiedlicher Bedeutung. 3.2.3 Schwerpunkt des Belangs von Methode Methode ist im Bereich der Musik und des Rechts sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht von Belang. 3.2.3.1 Schwerpunkte des Belangs von Methode in praktischer Hinsicht Die Vorstellung einer authentischen Werkinterpretation wird von den Vertretern dieser Auffassung notwendig mit dem Musizieren auf /.. - 76 Instrumenten aus der Werkentstehungszeit verknüpft. Zwar greifen auch Interpreten, die nach der so genannten romantisierenden Werkauffassung musizieren, gerne auf solcherart historische Instrumente zurück, dies betrifft allerdings beinahe ausschließlich die Streichinstrumente. Die Tonerzeugung auf den Streichinstrumenten könnte allerdings nicht verschiedener sein, dies betrifft beispielsweise das Halten des Bogens, das Vermeiden oder Erzeugen von Vibratos und des Anspielens eines Tones im Gegensatz zu einer gleichmäßigen Lautstärke und Intensität bei der Tonerzeugung bzw. Tonentfaltung. Bei den Singstimmen wird aus dem Fehlen ausreichend vorhandener Sänger etwa zu Werken von Bach zu Zeiten von Bach eine Tugend gemacht hinsichtlich Stimmenanzahl der Mitwirkenden von Ensembles; darüber hinaus werden Begründungen, das Publikum fühle sich durch eine Altstimme möglicherweise sexuell zu sehr angesprochen, nicht als unbeachtliche Rechtfertigung für die Besetzung durch einen Knaben–Alt in heutiger moderner Zeit abgelehnt. Die Vertreter der so genannten romantischen Werkinterpretation greifen auf diejenigen Instrumente zurück, die am schönsten klingen. Sind dies bei Streichern die Instrumente längst verstorbener Geigenbauer oder Zupfinstrumentenmacher (für den Erwerb solcher Instrumente verschulden sich die Musiker mitunter, ausnahmsweise übernimmt auch einmal eine Bank die Anschaffung eines solchen Instrumentes), wird gleichwohl nicht auf den Kinnhalter bei der Geige oder dem Teleskopstab beim Cello verzichtet. Vibratos sind nicht verboten, Töne werden gleichmäßig wie der Sprachton beim Sprechen erzeugt, Singstimmen werden zur Verwirklichung heutiger Klangvorstellungen besetzt. Was den Bereich des Rechts anbelangt, so scheint die Methode dort nicht auf praktische Belange verweisen zu müssen, da es – scheinbar – allein um den Entscheidungstenor geht. Ist allerdings die gerechte Entscheidung im Ergebnis falsch und zusätzlich methodisch falsch begründet, werden auch Personen, die mit Fragen der Methode wenig am Hut haben, zu echten Sportskanonen und diskutieren auf diesem Feld eifrig und aufrichtig empört mit. Ein weiterer – auch – praktischer Belang für Neugier an Methode ist die Wichtigkeit, mitunter gar die Notwendigkeit, Entscheidungen in ihrer Begründung nachvollziehen zu können. /.. - 77 - Und drittens ist Methode – auch – praktisch wichtig, um zu einer gerechten Entscheidung zu gelangen, möglicherweise gelangen zu können. 3.2.3.2 Schwerpunkte des Belangs von Methode in theoretischer Hinsicht Was den Bereich der Musik und dort die historisierende Werkauffassung anbelangt, so ist das Musizieren dort ohne Befassung mit theoretischen Fragestellungen kaum vorstellbar. Nachdem nicht maßgebend der heutige Erkenntnishorizont des Interpreten, sondern das Erkennen des Horizontes aus der Zeit der Werkentstehung ist, der Werkentstehungshorizont aus dem Notenbild selbst nicht abzuleiten ist, liegt die Notwendigkeit der Befassung mit den Entstehungsvoraussetzungen und damit der Geschichte des betreffenden Musikwerkes auf der Hand. Folgerichtig bedarf es zusätzlich der musiktheoretischen Rechtfertigung, weshalb die gefundenen oder vermuteten geschichtlichen Voraussetzungen des Werks nunmehr so und nicht anders zu der praktizierten Werkauffassung führen. Die romantisierende Werkauffassung demgegenüber bedarf keiner reflektierten Musikästhetik, sie kann auf eine solche verweisen, notwendig ist dies jedoch nicht. Es gibt Dirigenten, zugeordnet der romantisierenden Werkauffassung, die vor Einstudierung und Aufführung eines Musikwerks sämtliche musikhistorischen oder sonstigen musiktheoretischen Veröffentlichungen studieren. Und es gibt Dirigenten, die sich hierfür nicht interessieren und dennoch hervorragende Aufführungen verwirklichen. Derartige Dirigenten setzen allerdings dann ihre eigene Leistung herab, wenn aus einer Mischung von Überlegenheit und gefühlter Unterlegenheit keine Kommunikation mit anderen Musikern gepflegt, mehr noch solchen Kommunikationsmöglichkeiten aus dem Weg gegangen wird, evtl. garniert mit der Behauptung, diese anderen Musiker könnten musikalisch nichts. Allerdings: Dass auch diese Musici eine Bereicherung für einen selbst sein können, ist leider eine ebenso ferne Erkenntnis wie diejenige, dass niemand alles kann, man selbst eingeschlossen. Im Übrigen: wer in seiner Musikauffassung durch sein geniales musikalisches Empfinden geprägt ist, gerät leichter in die Gefahr, nicht nur positive sondern auch negative Auseinandersetzungen gleichfalls gefühlsmäßig beherrschen zu wollen, /.. - 78 was regelmäßig der Konfliktlage nicht gut tut. Was den Bereich des Rechts anbelangt, so ermöglicht es das methodische Bewusstsein, schneller zu erkennen, vor welchem gedanklichen Hintergrund die Erkenntnisfindung stattfindet. Auf diese Weise ist es möglich, die Bestätigung oder Widerlegung der richterlichen Entscheidung nicht nur im Hinblick auf das Ergebnis, sondern auch hinsichtlich des Wies dieser Entscheidung vorzunehmen. Auswirkungen dürfte dies vor allem in der über den zu entscheidenden Fall hinausgehenden zeitlichen Ausdehnung haben: wer einmal so, das andere mal so vorgeht, widerspricht sich. Und wer sich widerspricht, kann nicht erwarten, dass niemand widerspricht. Widerspruch im Rechtsstaat im Hinblick auf die grundlegende Forderung der Bindung an das Gesetz widerlegt den Rechtsstaat auf Dauer allerdings selbst. Darüber hinaus ermöglicht die Abwesenheit von Methode das Erkennen ungerechtfertigter Verantwortungszuweisungen, erinnert sei an die Begründung des EuGH anlässlich der Änderung seiner Rechtsprechung zu Art. 30 EGV (= Art. 28 EG), die Entscheidung trägt das Stichwort "Keck", vgl. hierzu meine Ausführungen in WRP 1999, 457, 478, a.E.; s.o. Ziffer 2.2.3.3. 3.2.4 Mittel zur Verwirklichung Vorstellungen methodischer Im Bereich der Musik spielt der zu den Instrumenten entwickelte technische Fortschritt für die Vertreter der historisierenden Aufführungspraxis keine Rolle. So genannte authentische Musik verwirklicht sich demnach ohne Kinnhalter bei Violine und beispielsweise ohne Teleskopstange bei den Celli, bei Klavieren an Werkstücken aus der Frühgeschichte dieses Instruments, bei Orgeln allein an mechanisch betriebenen Orgeln (dass der Blasebalg allerdings durch Fußtreten zu füllen ist, habe ich noch nicht als für authentische Tonerzeugung erforderlich wahrgenommen), bei Musikstimmen an der vorgesehenen Besetzung, was für Sopran und Alt häufig heißt, dass auch bei solistischer Besetzung Knabenstimmen singen dürfen. Die Tonerzeugung findet eher in einem Anmusizieren statt, ich habe hierauf nochmals in der Zusammenfassung oben zu Ziff. 3.2.3.1 hingewiesen. Die so genannte romantisierende Werkauffassung fragt nach der Tonentfaltung vor dem Hintergrund /.. - 79 heutigen Klangverständnisses und Klangempfindens. Technischer Fortschritt wird so genutzt, wie ihn der Komponist selbst gewollt haben könnte. Die Tonentfaltung ist rund, also nicht durch einen stärkeren Ausdruck zu Beginn und einem Nachlassen der Tonstärke im weiteren Zeitverlauf geprägt, die Stimmführung beim Gesang ist eher einem runden Sprechen angelehnt. Im Bereich des Rechts werden methodische Anliegen oder Vorstellungen durch Rückgriff auf die Gesetzesbegründung (so genannte Motive) oder – weniger offensichtlich – durch Bezugnahme auf solche Bestandteile der juristischen Dogmatik verwirklicht, die dazu eignen, den eigenen bewussten oder unbewussten methodischen Vorstellungen Geltung zu verschaffen. Nach überwiegender Auffassung nimmt allerdings die Bedeutung der gesetzgeberischen Begründung im Rahmen der Konkretisierung von Gesetzestexten im Lauf der Zeit ab. Unbewusst werden methodische Erwägungen durch Bezugnahme auf bestimmte von der Dogmatik entwickelte Begründungsweisen entfaltet, wenn beispielsweise die eigene Entscheidungsbegründung von einer gegenläufigen Entscheidungsbegründung mit dem freundlichen Hinweis abgegrenzt wird, diese andere Sichtweise sei mit grundlegenden vertragsrechtlichen Beziehungen nicht vereinbar, wobei bedauerlicherweise für derartige Misstöne auch Zivilsenate des BGH untereinander verantwortlich zeichnen. Durch spezielle Freundlichkeit insoweit fiel in jüngster Zeit der XI. Zivilsenat auf. Er äußerte sich gegenüber dem II. Zivilsenat in mehreren Entscheidungen wie folgt: "Die Auslegung des II. Zivilsenats von § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrkrG erscheint sehr zweifelhaft ….Das weitere Argument des II. Zivilsenats ……., der Ausnahme des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrkrG rechtfertige sich aus dem Umstand….., ist schon im Ansatz unzutreffend…..Auch die zweite Erwägung des II. Zivilsenats…… entbehrt einer gesetzlichen Verankerung", s.o. Ziffer 2.2.3.1.1.7. Offen werden methodische Erwägungen durch Bezugnahme auf die Rechtsdogmatik eingesetzt, wenn ausgeführt wird, diese oder jene Begründung sei beispielsweise auch vom Gesetzeszusammenhang her geboten. 3.2.5 Gedankliche Rechtfertigung des gewählten methodischen Ansatzes /.. - 80 - 3.2.5.1 Die Rechtfertigung der verschiedenen Ansätze, ein Musikwerk zu interpretieren Die historisierende Werkauffassung verfolgt das Ziel, Musik "authentisch" wiederzugeben. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Aufführungsmöglichkeiten, die nicht vom Komponisten als Urheber qua Verankerung in dem betreffenden Musikwerk herrühren, dort ihren Ursprung nicht haben können. Dies hat die weitere Folge, dass andere Aufführungsweisen keine Berechtigung besitzen, weil sie gegebenenfalls vom Interpreten, nicht aber vom Komponisten herstammen. Nach der romantisierenden Werkauffassung ist es Kennzeichen des Kunstwerks, derart viele Vorstellungs- und Sichtmöglichkeiten zu wecken, dass nach Fertigstellung des Kunstwerks selbst dessen Schöpfer eines Besseren belehrt werden kann. Die Rechtfertigung der Interpretation eines Kunstwerks vor dem Hintergrund eines im Zeitpunkt der Aufführung gedachten Komponisten leitet sich aus der Tatsache ab, dass der Komponist selbst häufig genug Veränderungen dieser Art aufgeschlossen gegenüberstand. Als kritische Einwände kommen gegenüber der historisierenden Werkauffassung hinzu, dass es keine Vorstellung von dem gibt, was seinerzeit Aufführungspraxis war, welche nicht zugleich durch das heutige Bewusstsein repräsentiert ist. Neben diesem methodischen Einwand gegenüber der historischen Aufführungspraxis als Methode kommt als praktischer Einwand hinzu, dass Klangweisen, erzeugt im Hinblick auf Musik des Frühbarocks vor beinahe 400 Jahren, überhaupt nicht wiederherstellbar sind. Dies führt auch bei Vertretern der historischen Aufführungspraxis zu dem Eingeständnis, man wisse nicht, wie seinerzeit musiziert wurde, könne allerdings sagen, wie damals nicht musiziert wurde. Hinzukommt in manchen Fällen: mit dem Aufdecken der geschichtlichen Zusammenhänge des Musikwerks soll möglicherweise auch ein Schleier gelüftet, Rätsel gelöst und die mit dem Rätsel zusammenhängende, nicht irdische oder überirdische Aura auf eher normales Maß zurückgeholt, zurechtgerückt werden. Nun beteilige ich mich gerne sonst in erster Reihe /.. - 81 an der Bewältigung der Frage, wie ein Geschehen tatsächlich verlief. Eine solche Fragestellung im Hinblick auf ein Kunstwerk beantworten zu wollen, scheitert nach meiner Auffassung allerdings umso mehr, je stärker ein Kunstwerk ist. Denn dessen Entstehungsvoraussetzungen sagen letztlich gar nichts über dessen Wirkung voraus. Insofern ist auch ein Religionsstifter als historische Person wenig aussagekräftig. Vor diesem Hintergrund muss gleichfalls die Künstlerpersönlichkeit anders bewertet werden: Soweit es um das Verhalten des Künstlers als Künstler geht, ist dieses Verhalten in erster Linie ausgehend von der künstlerischen Leistung zu bewerten, dies gilt auch für den ausübenden Künstler. Mithin: so unglaublich die Tiraden des größten deutschen Operngenies gegen die Juden sind, so ist gleichwohl zu erinnern, dass diese Tiraden weder den Inhalt seiner Musikwerke ausmachen noch, dass derlei Aktivitäten dessen Genius schmälern. Hier hat der Satz: man benötigt Größe, um Größe zu beurteilen, seinen logischen Ort. Dies gilt im Übrigen – in geringerem Maße – ebenso für den ausübenden Künstler: auch insoweit hilft bei der Beurteilung dessen künstlerischer Leistung wenig der Griff in die Schublade der Geschichte. Es ist einfach fehlsam beispielsweise verbale Entgleisungen eines solchen Künstlers zu bewerten oder gar diese öffentlichkeitswirksam zur Persönlichkeitsdemontage auszuschlachten. Jeder Künstler entwertet allerdings seine künstlerische Leistung, wenn er außerhalb des Bereichs als Künstler nicht erkennt, dass er dort durchschnittlich begabt ist wie jeder andere Durchschnittsbürger. Will heißen: Sind so genannte Demontagespezialisten aktiv, grenzen im Gegenzug Künstler allerdings außerhalb des Bereichs der Kunst ständig andere Personen aus, wird es ständig zu Konflikten kommen. Als kritischer Einwand kommt gegenüber der romantisierenden Aufführungspraxis hinzu, dass es Fälle geben kann, die einen Zugang zur Wahrnehmung der historischen Aufführungspraxis ergeben, wobei zusätzlich diese Interpretation schöner ist, als die Verwirklichung des so genannten romantischen Klangideals. 3.2.5.2 Die Rechtfertigung des Verstehens von /.. - 82 Gesetzestexten und der Vergleich mit der Musikinterpretation Einen Gesetzestext zu verstehen, indem dessen Auslegung nicht durch ein allgemeines Textgefühl, sondern durch gesonderte Ausrichtung des Blicks auf den Wortsinn, den Zusammenhang, die betreffende Textstelle mit weiteren, möglicherweise in anderen Gesetzen enthaltenen Textstellen, der Absicht des historischen Gesetzgebers und dem heutigen Sinn und Zweck vorgenommen wird, ist gerechtfertigt durch die Widerspruchsfreiheit dieser Vorgehensweise und dem Erfolg dieser Tätigkeit, welcher alle Angriffe überdauert hat. 3.2.5.2.1 Die Rechtfertigung der grammatischen Auslegung und der Vergleich zur Musikinterpretation Die Auslegung nach dem Wortsinn ist gerechtfertigt, bedingt durch die Notwendigkeit, den durch die Parlamentsentscheidung mittelbar zum Ausdruck gebrachten und bestätigten Willen des Volkes zu achten und zu verwirklichen. Die Auslegung nach dem Wortsinn ist nur begrenzt vergleichbar mit einer fehlerfreien Wiedergabe der Noten. Dies deshalb, weil der Wortsinn häufig undeutlich oder gar dunkel ist, die Noten dagegen mit diesen Eigenschaftswörtern nicht zu verbinden sind. An den Noten als Voraussetzung des Musizierens nach Noten festzuhalten, heißt ferner nicht, lediglich am Buchstaben zu haften, ohne das Ziel und den Zweck der – textlichen oder musikalischen - Aussage zu erkennen. Will heißen: im Bereich des Rechts wird anerkanntermaßen häufig genug über den Buchstaben hinausgegangen, in sehr seltenen Fällen ist sogar eine Bedeutung maßgebend, die gegen den Wortlaut steht. So wurde die Möglichkeit, Schadensersatz wegen einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in bestimmten Fällen zu verlangen, bis zum 01.01.2002 als verfassungsrechtlich zulässig gebotene Rechtsfortbildung gegen das Gesetz (dem Wortlaut von § 253 BGB a.F.) gerechtfertigt, vgl. www.arztwerbung-bernreuther.de (D) 9.11. Ein Musizieren über die Noten hinausgehend, gibt es nur in sehr begrenztem Umfang mithin, wenn etwa von Interpreten Umspielungen vorgenommen werden (beispielsweise von Altistinnen bei der Arie "Bereite dich Zion mit zärtlichen Trieben …"oder von Querflötisten/innen im letzten Satz der Suite h- /.. - 83 Moll, "Badinerie"). Ein Musizieren gegen den Notentext unter Hinweis darauf, dieser andere Notentext sei maßgebend, gibt es – wenn überhaupt – nur in sehr seltenen Ausnahmefällen. Diese sehr seltenen Ausnahmefälle dürften noch seltener sein als die vorerwähnte Rechtsfortbildung contra legem. 3.2.5.2.2 Die Rechtfertigung der systematischen Auslegung und der Vergleich mit der Musikinterpretation Die Auslegung nach dem Regelungszusammenhang des übrigen Gesetzestextes bzw. dem Zusammenhang mit dem Text anderer Gesetze ist gerechtfertigt aufgrund der Notwendigkeit, Widersprüche im Rahmen der eigenen Aussage zu vermeiden. Im Bereich von Gesetzen ist solches deshalb von besonderer Bedeutung, weil das Gesetz die Bindung der Regelungsadressaten an eben dieses Gesetz verlangt. Wer sich selbst widerspricht, kann allerdings schwerlich erwarten, dass ein Verlangen an Gefolgschaft widerspruchslos Gehör findet. Dies deshalb, weil er selbst auf eine anderweitig mögliche Gefolgschaft verweist. Die Auslegung nach dem inneren und äußeren Textzusammenhang ist nur begrenzt mit einer Musikinterpretation vergleichbar, welche das Musizieren einer bestimmten Stelle der Partitur an der Partitur im Übrigen oder dem Werk des Komponisten im Übrigen ausrichtet. Dies einfach deshalb, weil eine derartige Notwendigkeit im Bereich des Musik zumindest nicht so häufig wie bei Gesetzestexten bestehen dürfte. Hinzukommt, dass es genug Musiker gibt, welche eine im Zusammenhang mit dem übrigen Musikwerk stehende Interpretation intuitiv vornehmen, weil sie für die Verteilung der tempi, crescendo, diminuendi, accelerandi, der Gewichtung der Stimmen und Stimmgruppen zueinander, dem Erkennen bestimmter musikalischer Linien u.a.m., von sich aus, also ohne vergleichende und durch den Verstand bedingte Beschäftigung mit dem Werk im Übrigen Bescheid wissen. Eine derart intuitiv systematische Auslegung des Gesetzes gibt es demgegenüber nicht. Die Einhaltung von Systematik ist geradezu das Vorzeigebeispiel des Vorhandenseins und der Anwendung von Verstand und Vernunft. Was die Interpretation eines Musikwerks nach dem Zusammenhang mit sonstigen Werken dieses /.. - 84 Komponisten anbelangt, so kenne ich keine Aufführung eines Musikers, welche diese Sichtweise als maßgeblich für eine zutreffende Interpretation der betreffenden Passage wiedergibt. Dies steht im Gegensatz zu Aussagen von wichtigen und bedeutsamen Musikkritikern insbesondere dann, wenn diese zum allgemeinen Staunen tiefste Kenntnisse über ursprüngliche Verwendungsabsichten einer Passage des betreffenden Werks in einem anderen Werk durch den Komponisten offenbaren. Nach meiner Auffassung ist derlei Kenntnis aber nur bedingt geeignet, ästhetische Erkenntnis oder gar ästhetisches Erleben zu befördern, um folglich Vorlage für Interpretation sein zu können. 3.2.5.2.3 Die Rechtfertigung der historischen Auslegung und der Vergleich mit der Musikinterpretation Die Auslegung vor dem Hintergrund des vom Gesetzgeber gewollten Wortsinnes ist deshalb gerechtfertigt, weil auf diese Weise erneut der mittelbar repräsentierte Wille des Volks geachtet wird, dieses Mal ausgedrückt nicht im Gesetzestext selbst (wie bei der wörtlichen Auslegung), sondern in der Gesetzesbegründung. Diese historische Auslegung ist musikalisch nur dort von Belang, wo es Interpretationsvorgaben des Komponisten gibt. Hinsichtlich Begleittexte wie der Gesetzesbegründung dürfte dies äußerst selten sein, Interpretationsvorgaben in den Musikwerken dagegen sind bei manchen Komponisten gang und gäbe. Wie begrenzt der Wert dieser Angaben im Bereich der Musik gleichwohl ist, zeigt sich anhand der Tatsache, dass der, der Anfang und Ende aller Musik oder besser Ende und Anfang aller Musik ist, überwiegend ohne derartige Anleitungen auskommt, ohne dass ein Erkenntnismanko bestünde. Darüber hinaus gibt es Äußerungen von Komponisten, welche gerade die so genannte historisierende Aufführungspraxis legitimieren würden, so gut wie nicht, was die Bedeutung einer historischen Auslegung im Bereich der Musik erheblich hinter die historische Gesetzesinterpretation zurückfallen lässt. 3.2.5.2.4 Die Rechtfertigung der objektiv-teleologischen Auslegung und der Vergleich mit der Musikinterpretation Die Auslegung nach dem heutigen Sinn und Zweck, /.. - 85 nach der Vorstellung eines für den Augenblick der Interpretation gedachten Gesetzgebers bezieht ihre Rechtfertigung aus der Erwägung, dass der Gesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen ist, nicht davon ausgeht und nicht davon ausgehen kann, sämtliche von ihm formulierte Aussagen seien der Weisheit letzter Schluss; seine Aussagen seien nicht berichtigungsfähig, sie seien nicht ergänzbar, sie seien nicht in einer mit dem ursprünglichen Sinn verträglichen Weise wandelbar. Eine so verstandene objektiv-teleologische Auslegung ist auch musikalisch von Bedeutung, wobei an dieser Stelle deutlich zu machen ist, dass es hier lediglich um eine Art und Weise der Interpretation, nicht aber um den Hintergrund sämtlicher Interpretationsweisen geht. Es ist also durchaus möglich, mit historischen Instrumenten und angeblichen oder tatsächlichen historischen Spielweisen in technischer Hinsicht eine bestimmte Passage anders als interpretationsmäßig vorgegeben zu musizieren mit dem Hinweis darauf, so klinge die betreffende Stelle heute am besten. Eine andere Frage ist es, ob auf diese Weise widersprüchliches Verhalten vermieden wird. 3.2.5.2.5 Die juristische Auslegungstheorie und ihre Parallelen in der historischen bzw. romantischen Werkauffassung Nicht um eine Art und Weise von Interpretation, sondern um den Hintergrund der Auslegungsregeln, Grammatik, Systematik, historischer Zweck, heutiger Zweck geht es bei der Frage, welche Auslegungstheorie, beinahe ausschließlich diskutiert anhand der Gegenüberstellung von subjektiver und objektiver Theorie, maßgebend ist. Hier ähnelt die historische Werkauffassung stark der subjektiven Theorie. Insoweit geht man also davon aus, dass mehr als vom Komponisten bzw. dem Gesetzgeber veranlasst und gewollte Musikwerk bzw. dem Gesetz nicht vorhanden sein kann; wer anderes behauptet, ersetzt den Komponisten/den Gesetzgeber durch sich selbst, was zur Illegitimität, zur Nichtberechtigung der Interpretation im Namen des Musikwerks bzw. des Gesetzes führt. Die so genannte romantisierende Werkauffassung hingegen ähnelt stark der objektiven Theorie. Menschliches Handeln ist danach Stückwerk. Ist dieses Handeln abgeschlossen etwa nach der Schöpfung eines Musikwerks oder eines Gesetzes, /.. - 86 bedeutet dies möglicherweise aber nicht zugleich, dass dieses Werk nicht doch zugleich zusätzlichen Handlungen oder anderen Handlungen der Menschen zugänglich bleibt. Gerade das Kunstwerk ist Vorzeigebeispiel für seine immerwährende, durch den Schöpfer nicht begrenzte Vielgestaltigkeit, ähnliches – Gesetze sind nicht derart zeitlos wie Musikwerke – gilt für das Gesetz. Dass derlei Ausführungen nicht bloße Zauberei sind, beweist die fortlaufende Anziehungskraft von Kunst als Kunst im Lauf der Geschichte des Menschen; beweist ferner die Wandlungsfähigkeit mancher Gesetze. Das Bürgerliche Gesetzbuch beispielsweise ist auch nach mehr als hundert Jahren in der Lage, das Verhalten der Menschen im Umgang miteinander sinnvoll zu regeln, auch wenn sich die Welt in technischer Hinsicht ständig und schneller verändert. 3.2.5.2.6 Neuansätze in methodischer Hinsicht Was Neuansätze in methodischer Hinsicht anbelangt, so machen entsprechende Überlegungen im Bereich des Rechts deutlich, dass die Entstehungsvoraussetzungen eines rechtlichen Bewertungsergebnisses bei weitem nicht als durch die genannten Auslegungsregeln und Auslegungsziele bedingt sind. Die Beschreibung zusätzlicher und anderer Entstehungsvoraussetzungen steht aber vor der Schwierigkeit, nicht lediglich allgemeine Entstehungsweisen aufzudecken, sondern sie als Werkzeug im Rahmen der Erarbeitung der zu treffenden Gesetzeskonkretisierung an die Hand zu geben, also zur Verfügung zu stehen. Ob es insoweit direkte Entsprechungen zur Musikinterpretation gibt, scheint fraglich. Eine gewisse Ähnlichkeit ergibt sich zu der Wahrnehmung, dass jeder Vortrag von Musik von zusätzlichen Bedingungen, also über die Bedingung des Vorhandenseins eines Notenblattes, eines Interpreten und eines Instruments hinausgehend abhängt. Hier dürfte der Streit, welche Bedeutung für das Musikstück dessen unmittelbare Aufführung oder dessen Wiedergabe über ein Tonaufbewahrungsmittel besitzt, seinen logischen Ort haben. Dass manche Musiker allerdings soweit gehen, jeder Wiedergabe einer zuvor aufgenommenen Musik den Inhalt von Musik abzusprechen, verstehe ich nicht (s.o. Ziff. /.. - 87 1.1.3.2.1). 3.2.5.2.7 Methodische Probleme aufgrund von Eigenvorgaben durch den europäischen Gesetzgeber Was die Schwierigkeit anbelangt, dass Ergebnisvorgaben, bedingt durch den europäischen Gesetz-geber, sich mitunter systematisch aber auch metho-disch kaum begründen lassen, so steht dieser me-thodischen Schwierigkeit keine Entsprechung im Bereich des Rechts gegenüber. 3.2.6 Der Zweck von Musik und Recht 3.2.6.1 Der Zweck von Musik Es soll, so wird gesagt, zu unterscheiden sein zwischen moralischen und ästhetischen Werturteilen. Geht man hiervon aus, scheint es die Musik mit der Ästhetik, der Frage nach dem Schönen, dem interesselosen Wohlgefallen zu tun zu haben. Dies ist zweifellos – auch – zutreffend. Musik erfreut unser Herz. Musik, Kunst überhaupt, ist immer auch eine Sache der Herzensbildung. Mithin ein Beförderer der Selbsterkenntnis des Menschen als Menschen. Musik, Kunst, das, was der technischen Rationalität weder nutzt noch dient, ist Voraussetzung für das Geborenwerden des Menschen als Menschen. Ihm wird durch die Kunst vor Augen geholt, welches Füllhorn an guten Möglichkeiten zur Entfaltung des Menschlichen, uns zur Verfügung stehen oder besser, Gott über uns ausgeschüttet hat. Während wir von Musikern anderer Länder bewundert werden, in welch einmaliger Weise schon bereits aufgrund unserer Komponisten unser Land ein Kulturstaat ist, scheinen wir selbst zu übersehen, dass unser zu lobender und ständig zu erneuernder Rechtsstaat vor allem aus dem Kulturstaat Kraft und Nahrung als Voraussetzung einer menschengerechten Behandlung erzielt. 3.2.6.2 Der Zweck des Rechts Das Recht regelt das menschliche Zusammenleben. Diese Tatsache des Rechts ist nicht sein Zweck. /.. - 88 - Der Zweck des Rechts beinhaltet ein vorwärts: Neue, insbesondere schöpferische Verhaltensweisen müssen möglich, also nicht verboten sein. Der Zweck des Rechts beinhaltet, halt zu sagen. Während ein berühmter amerikanischer Präsident die Zeit für die Aufhebung der Rassentrennung in den USA für noch nicht reif hielt, erklärte kurz darauf der Verfassungsgerichtshof die Rassentrennung für verfassungswidrig. Ohne jegliche Übergangsfrist wurde die Entscheidung zu Zeiten des Nachfolgers dieses – getöteten – Präsidenten umgesetzt, was auch dazu führte, dass schwarze Schüler unter dem Schutz der Bundespolizei in Schulen einzogen. Das Recht zielt auf die Verwirklichung von Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung und der die Folgen in tatsächlicher Hinsicht betreffende Urteilsspruch müssen wahr sein. Jede rechtliche Bewertung menschlichen Verhaltens muss unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung von Freiheit erfolgen. Jede rechtliche Entscheidung muss gerecht sein. 3.2.6.3 Der Zweck von Musik und Recht Wenn somit Musik und das Gesetz die Entfaltung des Menschlichen aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Tatsache einer Überschneidung im Verankerungspunkt des Menschlichen dienen, so ist es gerade der Begriff des Menschlichen, welcher der Kritik als Lehrformel unterliegt. Ist nicht der Begriff des Menschlichen inhaltlich von dem bestimmt, was der betreffende Redner gerade in diesen Begriff hineinlegt? Richtig ist: dies kann so sein. Auch wenn in verschiedenen Kulturen zum Umgang beispielsweise mit geistig behinderten Menschen unterschiedliche Vorstellungen von dem, was menschlich ist, bestehen, so wird sich sagen lassen, dass menschlich ist, wer Achtung vor dem Leben hegt. Wer Achtung vor dem Leben im Verbund mit dem Satz: "Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das auch leben will" nicht hegt, ist nicht menschlich. Menschlich ist es weiter, Glück zu teilen, andere glücklich zu machen. Menschlich ist es, Wahrheit zu verlautbaren, sie weiter zu geben, Freiheit zu schenken und gerecht zu handeln. /.. - 89 - Musik kann glücklich machen. Auch deshalb ist sie über alle Kulturen hinweg – anders als in diesem Umfang das Recht – umfassend verstehbar. Musik bedarf keiner Übersetzung, sie spricht unser Herz an. Und: Musik und Recht vermögen mit den Mitteln von Musik und Recht nicht zu sagen, weshalb sie als Musik und als Recht wirken. 4. Musik und Recht und die Entwicklung der Naturwissenschaften Wenn es eine Erfahrung des modernen Menschen gibt, dann diejenige, dass nichts mehr feststeht. Diese Erfahrung gründet allzumal auf den Ergebnissen der modernen Naturwissenschaften. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Natur kein steter Prozess ist, sondern sich in einer Abfolge von extrem kleinen Rucken vorwärts bewegt, dass Licht eine Form von elektromagnetischer Strahlung ist, welche in diesen Ruckbewegungen, den Quanten, abgegeben wird und zugleich als Wellenerscheinung verstanden werden kann, dass sich Zeit je nach der Geschwindigkeit der Fortbewegung verlangsamen oder beschleunigen kann, dass sich Lichtstrahlen in Gravitationsfeldern im Allgemeinen krummlinig fortpflanzen, es eine Krümmung der Raumzeit wie eine Krümmung des Lichts gibt, dass also der gesunde Menschenverstand seine Grenzen hat, dass Bindeglieder zwischen Physik und Chemie bestehen etwa, weil die chemischen Eigenschaften von Elementen nicht nur von der Zahl der Elektronen eines Atoms abhängen, sondern auch von der Verteilung dieser Elektronen in den äußeren Schalen, dass mangels Wahrnehmbarkeit des Inneren eines Atoms infolge zu geringer Größe allein die Eigenschaften des Inneren eines Atoms festgestellt werden können, die sich als kontinuierlich und zugleich unstet erweisen können, dass infolge des Einflusses von Messungen auf das Ergebnis im subatomaren Bereich Ursache und Wirkung sich nicht mehr feststellen lassen, dass sich das Universum ausdehnt, dass Natur für uns immer fremd ist, weil jede Erkenntnis über sie widerlegbar ist und sein muss, dass Quarks diejenigen Elementarteile sind, aus denen sämtliche bekannten Materien bestehen, was beweist, dass Bausteine der Materie immer noch kleiner sein können, dass Physik und Astronomie miteinander vernetzt sind, was sich in der Erklärung der Bedingungen auf der Grundlage der Quarks betreffend die ersten Augenblicke des Universums /.. - 90 nach dem Urknall beweist, dass es schwarze Löcher gibt, dass vor fünfhundert Millionen Jahren explosionsartig Leben auf der Erde entstand, bezeichnet als die kambrische Explosion, dass sich die Mikroanatomie des Gehirns der Menschen untereinander in erheblichem Umfang unterscheidet und jede phänomenale Erfahrung in unterschiedlichen Hirnregionen verarbeitet wird, was Integrationsleistungen voraussetzt, dass es so genannte Strings gibt, die so klein sind, dass sie nicht direkt beobachtet werden können, wobei Strings seitenartige, häufig aufgewickelte Fäden sind, ein Elektron ein String ist, welches in die eine Richtung schwingt, währenddessen ein up-Quark ein String ist, welches in die andere Richtung schwingt und so weiter. Nun mag es Musik geben, die keine Orientierung im Sinne erkennbarer musikalischer Strukturen, evtl. gepaart mit der Vermittlung von Wohlbefinden oder zumindest einem Herausführen aus dem Chaos gibt. Es gibt sogar Strömungen zeitgenössischer Musik, in welchen sich ausdrücklich niemand mehr zur Tonalität verpflichtet fühlt, wo es nicht mehr um Bedeutungen oder Inhalte, sondern nur noch um Formen geht, wo Komposition die launige Folge des Zufalls ist. Das Konzertpublikum hat es gleichwohl nicht aufgegeben, neben dieser Musik in erster Linie Schütz, Schein, Scheidt, Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Schumann, Schubert, R. Strauss, Hugo Wolff und all die anderen zu hören, hören zu wollen. Ob dies einem Verharren im Verlässlichen, welches es so nicht mehr gibt, gleichkommt, möchte ich bezweifeln. Dem kann die Mechanik als Teilbereich der Physik nicht als Parallele zur Seite gestellt werden: Wir haben es auch im Alltag längst akzeptiert, dass die Welt der Physik aus Mechanik allein nicht besteht, dass Erkenntnisse existieren, die mit der Mechanik nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Noch rückständiger scheint das Recht zu sein: es fehlt dort die Ermöglichung verschiedener Ergebnisse für denselben Sachverhalt, will heißen, es fehlt die Möglichkeit der verschiedenen Bewertung desselben menschlichen Verhaltens innerhalb derselben richterlichen Entscheidung als Folge ausdrücklicher oder so gewollter Gesetzestexte als Grundlage des Urteilsspruch selbst. /.. - 91 Dies alles ist aber keine Rückständigkeit, sondern Gegenstand und Erwartungshorizont derer, die Recht finden und Recht suchen. Und dabei bleibt es. Was in diesem Zusammenhang die Frage der Methode anbelangt, so ist das Interesse am Wie der Interpretation von so genannter klassischer Musik nicht vergleichbar dem Interesse an dem Wie der Erkenntnis betreffend die Mechanik. Einfach deshalb, weil die so genannte klassische Musik kein beinahe schon überholter Teilgegenstand der Musik ist, sondern den Gegenstand der Musik in weitem Umfang selbst ausmacht. Und was das Interesse am Wie der Vergegenständlichung von Gesetzestexten anbelangt, so ist auch dieses Interesse nicht veraltet ungeachtet der Tatsache, dass es Bereiche anderer Wissenschaften gibt, die Methodenfragen ohne Rückgriff auf das menschliche Erkenntnisvermögen respektive das menschliche Gehirn für zumindest unvollständig halten. Demgegenüber verständlich und natürlich in ihrer Berechtigung sind die aufgezeigten Vorgehensweisen im Bereich des Verstehens von Gesetzen. So scheinen sich Musik und Gesetz vor dem Hintergrund der Naturwissenschaften als Gegensatz erneut zu berühren, ohne im Geringsten ihre Verschiedenheit zu leugnen und leugnen zu müssen.