Theater St.Gallen Der Besuch der alten Dame Eine tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt [13+] Material zur Vor-/Nachbereitung des Theaterbesuchs mit der Schulklasse Spielzeit 2014/2015 Theater St.Gallen Materialsammlung Der Besuch der alten Dame Theater St.Gallen, 15. September 2014 Liebe Lehrerinnen und Lehrer Mit der vorliegenden Materialsammlung zu Der Besuch der alten Dame möchten wir Ihnen einen Überblick über das Stück geben. Die angesprochenen Themen und Hintergrundinformationen bieten sich für eine mögliche Vor- und Nachbereitung des Schulklassenbesuchs an. Selbstverständlich verstehen wir die Materialien als Vorschlagssammelsurium: Dem Einen mögen einzelne Texte als Vorlage für eine Unterrichtseinheit nützlich sein, dem Anderen Ideen für eine ganz andere Form der Vorbereitung geben. Verschaffen Sie sich auf den folgenden Seiten einen Eindruck und picken Sie das heraus, was Sie für die spezielle Vor- und/oder Nachbereitung mit Ihrer Klasse für sinnvoll halten. Kurz vor der Premiere finden Sie unter www.theatersg.ch/spielplan/der-besuch-der-alten-dame-0 Fotos zur Produktion, sowie die Vorstellungsdauer. Später Pressestimmen und einen Trailer. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Klasse viel Freude beim Vorbereiten und einen spannenden Theaterbesuch! Für Fragen und Anregungen sind wir für Sie da. Mario Franchi Theaterpädagoge [email protected] 071 242 05 71 weitere Infos: www.theatersg.ch/mitmachen Kartenreservationen bitte direkt bei der Theaterkasse: [email protected] oder 071 242 06 06 Spezialpreise für Schulklassen: www.theatersg.ch/mitmachen > Schulangebote > Ermässigungen Interessiert an der vollständigen Materialsammlung? – Fordern Sie diese kostenlos an bei Mario Franchi, Theaterpädagoge, [email protected] 2 Theater St.Gallen Materialsammlung Der Besuch der alten Dame ANHANG HINTERGRUND GRUNDLAGEN Übersicht 1 Grundlagen Team Zum Stück 04 2 Historischer Hintergrund 05 3 Die Figuren Eine Polis im Kleinen Figuren und ihre Eigenheiten Figurenkonstellation 07 4 Stichworte – Rache, Recht, Gerechtigkeit Rache Trierweiler bedient ein Volk von Voyeuren Süsse Rache? Kill Bill Rache in der Dichtung 10 5 Stichworte – Macht und Mitmachen Was eigentlich ist Macht? Machtmissbrauch 14 6 Stichworte – Verschuldung und Korruption Das sind die korruptesten Länder Günstlingswirtschaft: Bulgarien im Griff von Korruption Leben auf Pump Vor hohen Schuldenbergen Ihre Meinung zur Überschuldung der Jugend? 18 7 Stichworte – Niedergang und Bedeutungslosigkeit Kampflos gibt Revin nicht auf Zum Beispiel Vallorbe Zu unwichtig für «Hauptbahnhof“? 24 8 Zum Autor 28 Gedanken vor einer neuen Aufführung 29 Heidi Maria Glössner im Gespräch 31 «Der Hass ist ja immer die Kehrseite der Liebe» 32 3 Theater St.Gallen Materialsammlung Der Besuch der alten Dame 1 Grundlagen Der Besuch der alten Dame Eine tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt Uraufführung: 29. Januar 1956, Schauspielhaus Zürich Premiere Theater St.Gallen: 19. September 2014, Grosses Haus Inszenierung: Kurt Josef Schildknecht Bühne: Rudolf Rischer Kostüme: Marion Steiner Licht: Andreas Enzler Choreinstudierung: Michael Vogel / Sven Sorring Dramaturgie: Sonja Lamprechter Claire Zachanassian: Heidi Maria Glössner Ihre Gatten VII-IX: Christian Hettkamp Der Butler: Hans Rudolf Spühler Toby: Thomas Nessi (Statisterie) Roby: Tobias Fend Koby: Luzian Hirzel Loby: Sven Sorring Alfred Ill: Wolfgang Krassnitzer Frau Ill: Silvia Rhode Bürgermeister: Thomas Hölzl Pfarrer: Marcus Schäfer Lehrer: Bruno Riedl Arzt: David Steck Polizist: Matthias Albold Erster Bürger/Metzger: Matthias Peter Zweiter Bürger: Julian Sigl Erste Frau/Dritte Bürgerin: Danielle Green Zweite Frau/Vierte Bürgerin: Meda GheorghiuBanciu Zugführer/Kameramann: Mario Franchi Maler/Fotograf: Leonid Koller Reporterin: Wendy Michelle Güntensperger Chor und Bewohner Güllens: Statisterie Zum Stück Vor über vier Jahrzehnten stürzte Alfred Ill seine Geliebte Klara ins Unglück, als er in einem Prozess mit Hilfe von bestochenen Zeugen seine Vaterschaft an ihrem ungeborenen Kind leugnete. Entehrt und verletzt verliess Klara nach dem Verfahren die Kleinstadt Güllen. Als Milliardärin kehrt sie nun in den stark verschuldeten Heimatort zurück und fordert Gerechtigkeit: Sie bietet den Einwohnern eine Milliarde für Ills Tod. Was anfangs mit empörter Miene zurückgewiesen wird, entwickelt sich für die Güllener nach und nach zur unwiderstehlichen Versuchung. «Auf die gegenwärtige Welt wird nicht angespielt, wohl aber spielt die gegenwärtige Zeit auf.» 4 Theater St.Gallen Materialsammlung Der Besuch der alten Dame 2 Historischer Hintergrund Das Wirtschaftswunder Dürrenmatt hatte für sein Stück ursprünglich einen Untertitel vorgesehen, der ziemlich genau den historischen Hintergrund des Dramas widerspiegelt: «Komödie der Hochkonjunktur.» Diese Hochkonjunktur war das Wirtschaftswunder, das nach dem Zweiten Weltkrieg die zerstörte deutsche Wirtschaft zum neuen Blühen brachte. Nach der Währungsreform 1948 zog in Deutschland die Konjunktur wieder spürbar an: Bereits 1952 hatte die Wirtschaft ein Produktionsniveau erlangt, das mit der Vorkriegssituation vergleichbar war. Bis 1960 stieg das Bruttosozialprodukt um über 60%. Der Aufschwung entstand einerseits durch das Europäische Wiederaufbauprogramm der Amerikaner (Marshallplan), andererseits durch die Einführung der sozialen Marktwirtschaft als wirtschaftspolitisches Programm. Damit einher gingen eine massive Liberalisierung und Modernisierung. Konsumgüter, wie sie in «Der Besuch der alten Dame» als Errungenschaften des Aufschwungs genannt werden (z. B. Schokolade, teure Zigaretten, Steinhäger-Schnaps oder der Opel Olympia) wurden in Deutschland wieder erhältlich. Auch auf die Schweiz färbte die Nachkriegskonjunktur ab: Bauboom, Modernisierungsund Motorisierungswelle schwappten über das Land und forderten ihre Opfer, beispielsweise in der Natur. Vom Standpunkt des Schweizers, der dem Wirtschaftswunder kritisch begegnete, lenkte Dürrenmatt seinen Blick auf die düsteren Seiten der Konjunktur – die mitunter auf Unrecht und Zerstörung baut. Entstehung «Der Besuch der alten Dame» entstand 1955 in Neuchâtel. Die Idee für das Drama kam Dürrenmatt während einer Zugfahrt von Neuchâtel nach Bern. Auf der Strecke liegen zwei kleine Orte namens Kerzers und Ins, in denen der Schnellzug Station machte. Beim Blick aus dem Fenster malte sich Dürrenmatt aus, welch eine Katastrophe es für diese beiden Orte wäre, wenn der Zug nicht mehr stoppen, sondern einfach weiterfahren würde: abgeschieden von der Restschweiz, ohne Reisende, ohne potenzielle Käufer. Daraus entwickelte sich die Eröffnungsszene, in der die Güllener den Schnellzügen hinterhertrauern, die zu Zeiten der Hochkonjunktur in dem Städtchen noch Station gemacht haben. Der Rest des Dramas ist aus der Umarbeitung eines Novellenfragmentes mit dem Titel «Mondfinsternis» entstanden (siehe nächste Seite). Die Literaturwissenschaft hat mehrere literarische Vorbilder für das Drama gefunden. Am deutlichsten scheint der Einfluss von Mark Twains Geschichte «The Man That Corrupted Hadleyburg», in der sich ein Mann von den Bürgern einer Kleinstadt schlecht behandelt fühlt und sie daraufhin in Versuchung führt, um ihre Heuchelei zu entlarven. Wirkungsgeschichte «Der Besuch der alten Dame» wurde am 29. Januar 1956 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt (Regie: Oskar Wälterlin). Die Hauptrollen waren mit den bekannten Schauspielern Gustav Knuth (AIfred Ill) und Therese Giehse (Claire Zachanassian) besetzt. Im selben Jahr erschien die Tragikomödie auch in Buchform und avancierte zum meistgespielten Stück der Theatersaison 1956/57. Für 5 Theater St.Gallen Materialsammlung Der Besuch der alten Dame Dürrenmatt bedeutete dies den ersten wirklich grossen Theatererfolg – und finanzielle Unabhängigkeit. Ein Jahr später erlebte das Stück seine deutsche Erstaufführung an den Münchner Kammerspielen. Kritiker und Publikum waren sich einig: Dies war Dürrenmatts bestes Werk, dem später allenfalls noch «Die Physiker» das Wasser reichen konnte. Auch auf internationalen Bühnen machte «Der Besuch der alten Dame» eine gute Figur: 1956 in Japan, 1957 in Paris und Stratford-uponAvon, 1960 in Mailand. Am Broadway wurde das Stück 1958 als «Best Foreign Play» mit dem Preis der amerikanischen Theaterkritiker ausgezeichnet. Die «New York Times» schrieb begeistert: «Eines der anregendsten und fesselndsten aller Stücke, die seit dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden sind.» 1958 verfasste Dürrenmatt ein Drehbuch für eine Verfilmung der ARD, die eine Traumeinschaltquote von 81% erreichte. Auch der amerikanische Film adaptierte die Geschichte 1964 unter dem Titel «The Visit». In den Hauptrollen: Ingrid Bergman und Anthony Quinn. Allerdings wurde daraus eine typische Hollywoodproduktion inklusive Happy End. Schliesslich wurde das Drama sogar in Form einer Oper 1971 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt. Weitere Fernsehfassungen folgten 1982 (mit Maria Schell und Günter Lamprecht) und 1992 (etwas exotisch anmutend: die alte Dame in einem senegalesischen Dorf). Quelle: NZZ am Sonntag, Schweizer Klassiker Kompakt, Ausgabe Nr. 9, 2010 Interessiert an der vollständigen Materialsammlung? – Fordern Sie diese kostenlos an bei Mario Franchi, Theaterpädagoge, [email protected] 6